Kapitel 1
Gott ist großartig, aber seine Kinder …
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enn ich an Jerry denke, macht mich das sehr traurig. Als hingegebener Christ arbeitete er fast fünfdundzwanzig Jahre in einer gemeinnützigen christlichen Organisation – für ein Gehalt, von dem er und seine Familie weder große Sprünge machen noch Vorkehrungen für eine Altersvorsorge treffen konnten. Aber er akzeptierte diese Einschränkungen, um Gott dienen zu können. Dann durchlebte die Organisation ein paar unruhige Jahre, in denen viele Umstrukturierungen durchgeführt wurden. Die interne Politik machte die Dinge schwierig. Während eines entscheidenden und spannungsgeladenen Meetings wurde Jerry nach seiner Ansicht zu einem komplizierten Thema befragt, bei dem verschiedene Abteilungsleiter sehr gegensätzliche Meinungen vertraten. Als integrer Mann legte Jerry seine Gedanken dar, wohl wissend, dass sie nicht mit der Meinung der gegenwärtigen Leitung übereinstimmten. Am nächsten Tag erhielt er vom Leiter der Organisation seine Kündigung. »Wir sind nicht sicher, ob wir noch auf Ihre Loyalität zählen können, Jerry.« Vergessen waren die fünfundzwanzig Berufsjahre, die das Gegenteil bewiesen. Jerry hatte noch einen Vormittag lang Zeit, seinen Schreibtisch zu räumen. Heute, mit Ende fünfzig, ohne kaufmännische Ausbildung und ohne gute Arbeitszeugnisse, sitzt Jerry in einer minderwertigen Anstellung fest. Und was seine Beziehungen zu anderen Christen betrifft: Er geht zwar noch zur Kirche, verschwindet nach dem Gottesdienst aber sofort wieder. Er spricht mit niemandem mehr über Gott. Auf der einen Seite sieht Jerry seine Jahre hingegebener Treue an Gott. Auf der anderen Seite sieht er, dass Mitchristen nur ihre eigenen egoistischen Interessen im Auge hatten, dass er zum Sündenbock in der Firma gemacht wurde. Der Dank für seinen lebenslangen Dienst ist eine düstere Zukunft in einer Sozialwohnung. Wenn Christen uns im Stich lassen, ist der größte Schmerz eigentlich der, dass wir uns von Gott selbst im Stich gelassen fühlen. Immer-
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hin war es Gottes Kind, das uns mit voller Wucht einen Schlag versetzte, als wir offen, verletzbar und gutgläubig waren, oder? Und überhaupt: Wo ist er denn? Warum hat er zugelassen, dass man uns so sehr verletzte? Verwundungen, die wir innerhalb der christlichen Gemeinschaft erleiden, haben vernichtende Folgen. Dessen sind Sie sich vielleicht schon bewusst. Was Sie jedoch noch nicht wissen, ist, warum es so wichtig ist, schmerzliche Erfahrungen wieder hervorzuholen und sie gründlich zu betrachten. Warum? Weil Verletzungen, die uns andere Christen beibringen, unserer Fähigkeit, zwischenmenschliche Beziehungen zu knüpfen, unheilbare Schäden zufügen. Nicht nur das: Sie ziehen außerdem tiefe Gräben in unserer Beziehung zu Gott.
Den Schaden betrachten, ohne zu beschönigen Seien wir ehrlich: Für manche Menschen ist die Zerstörung und Enttäuschung, die durch eine schlechte Erfahrung mit Mitgläubigen verursacht wurden, so schmerzvoll, dass sie die Gemeinde auf Nimmerwiedersehen verlassen. Angesichts der Horrorgeschichten, die man von der christlichen Gemeinschaft erzählen kann, ist verständlich, warum manche Menschen keinen neuen Versuch mehr starten wollen. Viele verlassen ihre Gemeinde durch die Hintertür und kommen nie mehr wieder, auch nicht in eine andere Gemeinde. Andere bleiben in ihrer Gemeinde und versuchen, die Beziehungsprobleme zu lösen. Aber viele dieser Menschen stehen wie vor einer Wand: Je mehr sie daran arbeiten, schwierige Beziehungen wiederherzustellen, desto schlimmer entwickelt sich die Situation. Wenn Sie vergeblich versuchen, mit den Leuten ins Reine zu kommen, die eigentlich Vorbilder an gutem Willen, Geduld und Verständnis sein sollten, dann ist das sehr enttäuschend. Wieder andere machen sich auf und suchen sich ein neues geistliches Zuhause. Sie hoffen, dort die gesunden geistlichen Beziehungen knüpfen zu können, nach denen sie sich sehnen. Aber in vielen nagt weiter der Zweifel: Werden diese Beziehungen halten? Werden sie nicht auch wieder kaputtgehen? Sie sind nicht sicher, ob sie sich in der Gemeinschaft mit anderen Christen je wieder zu Hause und entspannt fühlen können.
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Bei Menschen, die durch ihre Glaubensgeschwister ernsthaft verletzt wurden, habe ich einige gemeinsame Merkmale entdeckt. Schauen wir uns einige dieser Merkmale an. Das erste gemeinsame Kennzeichen ist das Gefühl, sich irgendwie in einer Zwickmühle zu befinden. Die meisten Christen, die an solchen Verwundungen leiden, sind von Natur aus nicht verschlossen. Sie neigen eigentlich nicht dazu, Menschen auszuschließen. Vielmehr wollen sie glauben, dass sie wieder ein gesundes, engagiertes Mitglied in der Gemeinde werden können. Sie wollen wieder enge Freundschaften schließen. Aber wann immer sie sich zu einer Gemeinschaft oder einer geistlichen Freundschaft hingezogen fühlen, leuchtet in ihrem Inneren eine rote Alarmlampe auf. Sie bedeutet ihnen: Geh nicht näher ran. Es könnte wieder passieren. Falls Sie vielleicht auch durch andere Christen tief verletzt wurden, dann nehme ich an, dass Sie dieses Gefühl des Argwohns, von dem ich hier spreche, kennen. Es ist oftmals ein Auslöser für den zweiten Aspekt, der viele verletzte Menschen kennzeichnet: Sie halten sorgfältig eine emotionale Distanz. Sie mögen körperlich in der Gemeinde anwesend sein, irgendwo in einer Reihe oder auf einem Klappstuhl sitzen. Ja, ihnen gefällt das Singen und die Anbetung – alles, was nicht zu viel zwischenmenschliche Beziehung erfordert. Händeschütteln ist auch noch in Ordnung. Vielleicht eine Umarmung hier und da. Aber wenn es dazu kommen könnte, dass sie sich anderen gegenüber öffnen sollen, halten sie sich lieber zurück. Dies trägt zu einem dritten Merkmal bei. Manche Mensche bleiben nicht nur distanziert, sie haben sogar gelernt, hastig den Rückzug anzutreten. Sehen sie Druck oder Konfrontation auf sich zukommen oder bittet man sie, sich zu etwas zu verpflichten, dann laufen sie weg. Es war sicherlich in Ordnung, dass sie sich aus den Verletzungen der vergangenen Beziehungen zurückzogen – insbesondere, wenn sie emotional und geistlich missbraucht wurden und keine Möglichkeit hatten, die Angriffe zu stoppen. In diesem Fall war der Rückzug zweifelsohne das sicherste Vorgehen für sie. Aber wenn dieser Rückzug zur Gewohnheit wird, verursacht er etwas, das die Betroffenen eigentlich nicht wollten, nämlich ein wachsendes Gefühl der Isolation.
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Ein viertes Merkmal, das verwundete Christen häufig an sich erleben, ist ein Gefühl körperlicher Müdigkeit beim Gedanken, wieder mit Christen oder einer Gemeinde zu tun haben zu müssen. Jeder Sonntagsschullehrer oder Pastor, der niemals die Gelegenheit bekam, eine wirkliche Pause von seinen vielen Pflichten zu machen, weiß, was ich meine. Häufig machte sich in diesen Menschen, die ihre Hingabe – an die Gemeinde oder an Gott – an Hand der Anzahl der übernommenen Pflichten beweisen mussten, eine schwere Müdigkeit breit. Sie fühlten den Druck, zu viel Verantwortung übernehmen zu müssen. Menschen mussten ihre Loyalität dadurch beweisen, dass sie zur Kirche rannten, sobald die Tür sich öffnete. Andere mussten beweisen, dass sie »der Obrigkeit Untertan« waren, um in Wirklichkeit den egoistischen Anforderungen eines Leiters zu entsprechen, der weder den Ruf noch die Befähigung zu einem wirklichen geistlichen Hirten hatte.1 Ein fünftes Merkmal ist das »Wandern« von einer Gemeinde zu anderen. Ich habe viele Menschen kennen gelernt, die von einer Gemeinde zur anderen getrieben wurden und nie in der Lage waren, Wurzeln zu schlagen, zu wachsen und zu blühen. Sie wollen sich niederlassen und sie sind sich sogar dessen bewusst, dass sie wankelmütig sind. Und doch können sie dieser Rastlosigkeit nicht entfliehen, die ihnen weismachen will, dass die nächste Gemeinde noch Besseres zu bieten hat als diese … Kommt Ihnen irgendetwas von dem, was ich Ihnen gerade beschrieben habe, bekannt vor? Das Traurigste für mich als Pastor ist: Bevor einer dieser Menschen wusste, was geschah, hatten ihm seine Geschwister und Freunde, die sie ja als Kinder Gottes sind, die tiefsten Enttäuschungen und Wunden zugefügt, die ein Mensch je erleiden kann. Vielleicht gehen Sie noch regelmäßig in Ihre Gemeinde. Vielleicht engagieren Sie sich sogar noch in irgendeinem Dienst. Oder aber Sie sind vielleicht mehr ein Zaungast wie Jerry. Tatsache ist jedoch, dass Sie es sich nicht leisten können, den entstandenen Schaden in Ihrem Inneren zu ignorieren, egal, welchen äußeren Eindruck Sie momentan vermitteln. Jedenfalls nicht, wenn Sie den negativen Gefühlen und der drohenden Isolation entkommen wollen. Nicht, wenn Sie weitergehen
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und gesunde, entwicklungsfähige Beziehungen zu anderen Christen und mit Gott aufbauen wollen. Einige verletzte Christen verbringen den Rest ihres Lebens damit, sich hinter einer Schutzmauer der Passivität zu verschanzen. Scheinbar haben sie das Problem gelöst. Aber auf der Kehrseite nagt ein unangenehmes Gefühl an ihnen und eine kleine Stimme in ihrem Inneren sagt ihnen: Du passt einfach nirgendwohin. Oder: Keiner weiß, was du wirklich brauchst – oder zumindest kümmert sich keiner darum. Das ist die Stimme der Entmutigung. Wenn Sie ihr Tag für Tag zuhören, kostet Sie das mit Sicherheit Ihre innere Kraft. Sie müssen sich entscheiden, Schritte dahingehend zu unternehmen, diese Stimme zum Schweigen zu bringen.
Unsere Verwundeten sind überall und sie brauchen unsere Hilfe Wenn in der christlichen Gemeinschaft etwas schief läuft, kann dies nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden. Wenn Sie verwundet wurden, dann wissen Sie, wovon ich spreche. Sie können versuchen, die Enttäuschung zu ignorieren, sowie den Drang, sich selbst zu schützen, und die Trauer darüber, im Stich gelassen worden zu sein. Aber die Tatsache wird nicht verschwinden, nur weil Sie sie ignorieren. Unglücklicherweise ist wahrscheinlich der einzige Rat, den Sie von anderen Christen bekommen: »Los, vergib und vergiss. Warum kannst du es nicht einfach auf sich beruhen lassen?« Tatsache ist jedoch, dass die Verletzungen, die Sie mit sich herumtragen, nicht von selbst verschwinden werden. Man könnte sie mit einer Bisswunde vergleichen, die oberflächlich vielleicht zu heilen scheint, innerlich aber zu eitern beginnt. Ihre negativen Erfahrungen werden Ihre geistlichen Beziehungen beeinträchtigen und Sie (vielleicht ungewollt) immer wieder zum Opfer machen. Ich sage dies im Bewusstsein der »Opfermentalität«, die unsere Kultur ergriffen hat und gegen die, ganz zu Recht, mittlerweile Stimmen laut werden. Teppiche des Mitgefühls auszurollen und Menschen zu erlauben, in Selbstmitleid zu baden, ohne echte Hilfe und Stärkung
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anzubieten – das ist schlimmer als überhaupt keine Hilfe. Trotzdem glaube ich, dass man den Opfern zeigen muss, wie sie Heilung erfahren und zu Siegern werden können. Wenn man einer Person sagt, sie solle ihrem inneren Schmerz und ihrer Angst einfach keine Aufmerksamkeit widmen, wird ihr das nicht weiterhelfen. Es treibt sie nur noch tiefer hinein und richtet noch größeren Schaden an. Wenn Sie durch Männer oder Frauen Gottes verletzt worden sind, dann möchte ich Ihnen helfen, das dadurch entstandene Gedankenmuster zu erkennen, das Sie im Bewusstsein des ewigen Opfers gefangen hält und Sie zwingt, ständig auf der Hut zu sein und Ihren Selbstschutz aufrechtzuerhalten. Wir werden in den folgenden Kapiteln betrachten, was gesunde Beziehungen und Interaktion in der christlichen Gemeinschaft ausmacht. Wir werden den Weg erkunden, der Sie durch die Verletzung hindurch in ein neues Leben führt, das von innerer Stärke, Erfülltheit und Dienst für Gott geprägt ist. Aber daneben gibt es andere wichtige Gründe, warum Christen es sich nicht leisten können, ihre verwundeten Mitchristen zu ignorieren. Kein Armeehauptmann blickt auf das Schlachtfeld, auf dem seine Männer sterbend im Dreck liegen, und sagt zu den Ärzten: »Vergessen Sie die Männer. Wir nehmen andere.« Zu viele Christen fühlen sich wie gute Soldaten, die im Kampf verwundet wurden. Leiter und Kollegen, die eigentlich davon hätten Notiz nehmen und helfen sollen, haben sie ignoriert. Was für eine zusätzliche Beleidigung! Stattdessen werden Sie noch selbst dafür beschuldigt, dass Sie sich verletzen ließen!
Traurige Gesichter im Familienalbum Bevor ich fortfahre, möchte ich noch einmal sagen, wie unglaublich traurig es mich macht, die Geschichten von verletzten Christen zu hören. Die folgenden Erfahrungen beschreiben einige solcher traurigen Gesichter im Fotoalbum unserer geistlichen Familie. Vielleicht entdecken Sie in dem einen oder anderen eine gewisse Ähnlichkeit mit sich selbst. ***
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Karen ist eine junge Mutter, die unter plötzlich auftretenden Panikattacken litt. Innerhalb weniger Wochen lebte sie wie unter einer Wolke von Angst und Furcht, ständig nagte das Gefühl an ihr, dass ihr etwas Schreckliches zustoßen werde und sie nichts dagegen tun könne. Sie bat Freunde aus der Gemeinde, für sie zu beten. Dann suchte sie bei ihrem Pastor seelsorgerliche Hilfe; ihr emotionaler Zerfall musste irgendwie gestoppt werden. Der Pastor war jedoch davon überzeugt, dass sie eine verborgene Sünde versteckte und dass ihre Probleme das Resultat ihres schlechten Gewissens seien. »Dein Problem ist, dass du dich gegen Gott auflehnst«, sagte er ihr schließlich. Die Panikattacken lähmten sie und einen Monat, nachdem ihre Schwierigkeiten begonnen hatten, hörte sie zu ihrem Entsetzen im Sonntagsgottesdienst, wie ihr Pastor sie als Negativbeispiel in seiner Predigt benutzte. Zwar nicht mit Namen, aber das machte kaum einen Unterschied. Durch die Gebetskette, die in der Gemeinde für sie gestartet worden war, wusste jeder, wer mit »der jungen Frau, deren Sünde ihr tiefe Ängste bereitet«, gemeint war. Es ist wichtig anzumerken, dass Karen schließlich einen Arzt aufsuchte, der eine körperliche Ursache für ihre Ängste feststellte. Ein einfaches Medikament linderte ihr emotionales Leiden. Aber obwohl sie heute in eine neue Gemeinde geht, bleibt die seelische Verwundung bestehen. Einerseits erinnert sie sich daran, wie verletzlich sie inmitten ihrer Not war, und andererseits sieht sie, wie ihr Vertrauen missbraucht und sie für eine verborgene Sünde verurteilt wurde, die gar nicht existierte. *** Dann ist da noch Bill. Er wurde berufen, Pastor einer kleinen Gemeinde zu werden, die viele Probleme hatte. Sie reagierte auf seine Fürsorge, sein ausgewogenes Bibelwissen und seine beeindruckenden Predigten mit einem Wachstumsschub. Innerhalb weniger Jahre hatte die Gemeinde genügend Geld gesammelt, um einen großen Anbau, der nötig geworden war, zu finanzieren. Diese Leute bestanden auf ihrem Wunsch nach »starker biblischer Lehre«. Bill bekam die Vollmacht, mehrere wichtige Entscheidungen zu fällen – aber einigen der Ältesten und Diakone gefielen seine Entscheidungen nicht.
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Sie sprachen aber nie mit Bill über ihre Gefühle. Stattdessen begannen die Ehefrauen dieser Männer, Bill hinter seinem Rücken schlechtzumachen. Die Gerüchte kochten zu immer größeren Geschichten auf und schließlich war Bill sprachlos, als einige unglaubliche Anklagen gegen ihn laut wurden. Der Schaden für die Gemeinde war enorm und Bills Ruf – ganz abgesehen von seinen Nerven und seinem guten Willen – litt immens. Bill gab sein Amt fast auf. Der Nebel lichtete sich etwas, als die anklagende Partei die Gemeinde verließ, aber zu diesem Zeitpunkt hatte Bill eine wütende und zerstrittene Gemeinde vor sich. Wenn Bill heute über die Familie Gottes nachdenkt, für die er als Pastor berufen ist, sieht er einerseits seinen Ruf zu dienender Leiterschaft und das Klima geistlicher Einheit, an dessen Entstehen er hart arbeitet. Und andererseits sieht er bei seiner Gemeinde einen Mangel an Loyalität, verbunden mit der Tatsache, dass Christen tatsächlich in der Lage waren, absichtlich sein Lebenswerk und seinen Ruf zu zerstören, ohne über die weiteren Folgen nachzudenken. Zurück bleibt die traurige, belastende Erkenntnis, was Christen sich gegenseitig antun können, plus der Unsicherheit, ob ihm so etwas noch einmal widerfahren wird. *** Bob und Lyn verließen ihre konservative Gemeinde, um sich einer Gemeinde anzuschließen, in der laut Aussage ihrer Freunde »der Heilige Geist tatsächlich wirkt«. Treu besuchten sie jedes besondere Lehrseminar. Sie ließen sich die Hände auflegen – und fielen »ruhend im Geist« um, hauptsächlich, weil jeder andere um sie herum ebenfalls umfiel und sie nicht die einzigen sein wollten, die stehen blieben und den Anschein erweckten, sie hätten sich dem Heiligen Geist »widersetzt«. Dann fiel ihnen auf, wie häufig verschiedene Menschen mit »Worten vom Herrn« zu ihnen kamen – Botschaften bezüglich Bobs Geschäft oder ihrer Ehe. Bob verkaufte sogar ein Grundstück, mit dem er Geld verdiente, und gab das Geld der Gemeinde, weil man ihm gesagt hatte: »So spricht der Herr: Verkaufe.« Schließlich wachte Bob auf. Wenn sie weiter auf diese »Worte« hörten, würden sie ihre Verantwortung, die sie für ihr Leben trugen, ei-
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ner Mentalität des Gruppendenkens überlassen. Erstens hatte keine dieser »Botschaften vom Herrn« irgendeine übernatürliche Qualität. Sie betrafen allesamt Dinge, die allgemein bekannt waren. Und wenn sie sich widersetzten oder etwas in Frage stellten, wurden sie als »zu unabhängig« und »nicht bereit zur Unterordnung« bezeichnet. Als sie beschlossen, die Gemeinde zu verlassen – nicht die Gemeinde Christi als Ganzes, sondern nur diese bestimmte –, warf man ihnen vor, dass sie »den Heiligen Geist zurückwiesen«. Heute blicken Bob und Lyn einerseits auf ihre ehrliche Suche nach einer engeren, dynamischeren Beziehung zu Gott zurück. Andererseits sehen sie, wie missgeleitete Christen in der Lage waren, sich den Platz geistlicher Gemeinschaft und Führung anzumaßen, der nur Gott zusteht. *** Äußerlich scheint Al ein ganz normaler Typ zu sein. Aber in seinem Inneren ist er etwas Besonderes, sehr begabt und intelligent. Jahrelang war er derjenige, der ansprechbar war, wenn jemand in seiner Vorortgemeinde in Not war. Ob jemand Gebet brauchte, geistliche Ermutigung oder Hilfe in alltäglichen Dingen – sein Pastor zählte auf Al, weil Al ein Vorbild an Liebe, Dienst und praktischer Weisheit war. Als die Gemeinde zu wachsen begann und neue Älteste benötigte, wurden zwei Männer ernannt, die neu in der Gemeinde waren. Al wurde übersehen. »Ich hätte dich ja empfohlen«, sagte der Pastor, »aber diese Männer sind erfolgreiche Geschäftsleute, die wissen, wie man mit Finanzen umgeht. Ich brauche jetzt solche Leiter, weil wir eine Spendensammelaktion für unser neues Gebäude starten. Mach dir keine Sorgen. Wir machen dich zum Diakon …« Einerseits hört Al seinen Pastor über hohe Ideale und geistliche Qualitäten wie »Dienst« und »Christusähnlichkeit« predigen. Andererseits sieht er, was dabei herauskommt – dass erfolgreiche, aber unreife Büromenschen in leitende Positionen gesetzt werden, die die Bibel eigentlich solchen Menschen vorbehält, die offensichtlich Christus ähnlich sind.
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Ein geteiltes Haus Jede dieser Geschichten beschreibt tiefe Schnitte, die in den Herzen von Menschen zurückbleiben – aber nicht nur die Verletzungen, die sie persönlich erlebt haben, sondern auch die klaffenden Wunden, die im Hause Gottes zurückbleiben und nicht abheilen, Wunden voller Schmerz, Enttäuschung, Zweifel und ungelöster Fragen. (Wir werden in Kapitel 2 mehr über diese Wunden sprechen.) Ähneln die Verletzungen dieser Menschen Ihren eigenen Gefühlen? Wir wissen, dass es in jeder zwischenmenschlichen Beziehung zu unbeabsichtigten Verletzungen kommen kann. So ist das Leben, das weiß jeder. Aber warum sollte ein Christ dem anderen absichtlich etwas antun? Und warum legt ein Christ, der weiß, dass er einem anderen Unrecht zugefügt hat, sein Problem einfach beiseite, indem er sich weigert, sein Fehlverhalten zuzugeben? Warum machen wir das Opfer auch noch verantwortlich? Warum kümmern sich Christen manchmal nur um ihr Image, ihr Ego und ihre Stellung, anstatt in bedingungsloser Liebe ihre Fehler wiedergutzumachen? Was geschieht wirklich, wenn die Beziehungen in der christlichen Gemeinschaft Schaden erleiden und wir auseinander gerissen werden? Ich glaube, dass es hier um ganz große Themen geht. Was mit uns persönlich geschieht, ist Gott wichtig, weil ihm jeder einzelne Mensch wichtig ist. Aber als wir Teil von Gottes Familie wurden, nahmen wir ebenfalls eine gemeinschaftliche Identität an. In Gottes Augen sind Sie und ich nicht mehr nur Hans und Inge S., Individuen. Wir wurden so sehr mit Christus und seinen Brüdern und Schwestern gleichgesetzt, dass Paulus uns »Glieder am Leib Christi« nennt. Das ist für Christen heute schwer zu begreifen, angesichts der Tatsache, dass wir in einer Gesellschaft leben, die Selbstverwirklichung, Individualität und Unabhängigkeit propagiert. Aber Paulus sagt: »Ihr aber seid Christi Leib und, einzeln genommen, Glieder« (1 Kor 12,17). Außerdem erinnert er daran, dass Gott derjenige ist, der uns als Glieder seines Leibes zusammenfügt, »damit keine Spaltung im Leib sei« (Vers 25). Eine Bemerkung am Rande: Es ist interessant, dass es den Nichtgläubigen sofort auffällt, wenn Christen etwas Schreckliches tun oder andere Christen verletzen. Sie sind empört. Sie sehen allerdings auch,
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wenn Christen Verantwortung übernehmen und ihre Probleme selbst anpacken. Sie nehmen Notiz davon, wenn Christen wie Christen handeln. Wenn sie wissen, wann wir christlich handeln und wann nicht – warum bringen wir selbst dann Recht und Unrecht durcheinander? Worauf ich hinaus will, ist folgendes: Gott verfolgte ein bestimmtes Ziel, als er seinen Sohn, Jesus, in die Welt sandte. Ich spreche jetzt nicht von Jesu Kreuzestod für unsere Vergehen. Ich spreche von einem anderen Ziel. Gott sandte Jesus, um uns zu einem Volk zu machen, das zu ihm gehört und sich gegenseitig unterstützt. Er sandte Jesus, damit Sie und ich und alle anderen Gläubigen Teil des »Leibes Christi« sein können, dessen Glieder wir geworden sind. Leider ist Gott nicht der Einzige, der einen Plan hat. Satan, Gottes und unser Gegenspieler, verfolgt auch ein Ziel. Wir müssen sowohl Gottes Plan für seinen Leib verstehen als auch, wie unser Feind daran arbeitet, Gottes Pläne zu zerstören. Wenn wir einmal den größeren Zusammenhang erkennen, können wir auch verstehen, warum die Tatsache, dass Christen sich gegenseitig verletzen, ein lebensbedrohliches Problem ist.
Worum es bei dem »Biss des Wolfes« geht Wie ich bereits zu Beginn sagte, möchte ich durch dieses Buch mehr erreichen, als Ihnen durch persönliche Verletzungen hindurch zur Heilung zu verhelfen – so wichtig mir dies auch ist. Mein Ziel – und eines Tages hoffentlich auch Ihr Ziel, so seltsam sich das auch momentan anhören mag – ist es, der ganzen Gemeinschaft der Gläubigen Heilung zu bringen. Vieles hängt davon ab, wie Sie mit Verletzungen umgehen, die Sie persönlich erlitten haben. Vieles hängt auch von dem Heilmittel ab, das Sie anwenden. Schauen wir uns den Gesamtzusammenhang an. Jesus wurde nicht nur Mensch, um uns von unseren Sünden zu erlösen, sondern um unsere Beziehung zum Vater – der einzigen wirklichen Quelle unseres Lebens – wieder herzustellen und lebendig werden zu lassen. Das war sein Auftrag am Kreuz und über das Kreuz hinaus. Weil es immer Satans Absicht war und ist, uns von Gott weg in die ewige Finsternis zu ziehen, plante er von Anfang, Jesus zu zerstören und seinen Auftrag zu vereiteln. So beginnt der Kampf.
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Im dritten und vierten Kapitel des Matthäus-Evangeliums können wir nachlesen, wie Gott Jesus buchstäblich väterlich auf die Schulter klopft und sagt: »Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.« Sofort tritt Satan auf den Plan. Wir beobachten, wie er Jesus in Versuchung führt, sich von Gott abzuwenden und Leben, Ehre und Sicherheit in »weltlichen« Dingen zu suchen – dieselben Versuchungen, denen auch wir ausgesetzt sind. Aber Jesus ließ sich nicht von seinem Weg abbringen. Satan auch nicht. Es wäre für ihn ein Hauptgewinn, wenn er Jesus dazu bringen könnte, sich von seinem Vater abzuwenden. Also bot er alle möglichen Kräfte auf – von einem Wirbel finsterer Mächte in den Lüften bis zu den irdischen religiösen Machthabern und der rohen Gewalt des Römischen Reiches. Wenn Jesus sich nicht vor Satan beugte, musste er aus dem Weg geschafft werden. In gewissem Maße funktionierte der Plan. Judas war Zeuge gewesen, als das Wunder der Speisung der Fünftausend geschah, und er hatte mit Jesus beim letzten Abendmahl gemeinsam gegessen. Ich möchte den Verrat gegen Gott nicht durch ein Wortspiel trivialisieren, aber Judas biss wirklich in die Hand, die ihn ernährte. Und die anderen engsten Freunde Jesu ließen ihn auch im Stich und verleugneten ihn in der Stunde seiner größten Not. Ist es möglich, dass Satan Jesus mit den gleichen Waffen angriff, mit denen er uns heute angreift – mit der Waffe der Entmutigung? Oder mit dem Schmerz über zerbrochene Freundschaften, der uns drängt, Gott aufzugeben? Satan dachte, er hätte gewonnen: Da hing Jesus, brutal geprügelt und ans Kreuz genagelt. Und er starb. Satan hatte seine Mission erfüllt. Aber Jesus auch. Versuchen Sie, sich einmal vorzustellen, welches Chaos am Ostertag in der Hölle geherrscht haben muss. (Vielleicht möchten Sie dazu die Verse im Epheserbrief, Kapitel 4, Verse 8-10 und im ersten Petrusbrief, Kapitel 3, Vers 19 lesen). Die riesige verrammelte Tür war durch Jesu Ankunft geöffnet worden. Bei seiner Auferstehung hatte er ein riesiges Loch in die Decke gesprengt, um die Hölle zu verlassen. Gefängniszellen waren aufgebrochen. Ketten lagen nutzlos herum. Überall war der Beweis zu sehen: Satan würde nie die totale Herrschaft und grenzenlose Anzahl von Gefangenen haben, auf die er gehofft hatte.
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Man kann sich fast vorstellen, wie Satan bestürzt den Kopf schüttelt und sagt: »Ich hätte diesen letzten Einsatz nie ausführen sollen.« Nun verstand er schließlich, dass Gott die ganze Zeit einen höheren Plan verfolgt hatte – einen Plan, der jedes finstere Wesen bedauern ließ, dass Jesus ermordet worden war. Ich habe die Geschichte so dramatisiert, damit wir Gottes großen Plan auf neue Weise betrachten können. An diesen Plan dachte auch Paulus, als er an die Gemeinde in Korinth schrieb: »Vielmehr verkündigen wir das Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor allen Zeiten vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung. Keiner der Machthaber dieser Welt hat sie erkannt; denn hätten sie die Weisheit Gottes erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt« (1 Kor 2,7-8). Welchen Plan, welches Ziel hat Gott durch den Tod und die Auferstehung Jesu erreicht? Unsere Freiheit von der »ewigen Verdammnis« wäre schon genug gewesen, um den Feind seinen Anschlag bedauern zu lassen. Aber da war noch viel mehr. Kurz bevor Jesus verraten wurde, offenbarte er seinen Jüngern Gottes »verborgene Weisheit«, seinen »verborgenen Plan«. Er wollte sie ermutigen, indem er sie wissen ließ, was nach seinem Tod geschehen würde. Er sagte ihnen: • »Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht« (Joh 12,24). • »Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. […] gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden. […] Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen« (Joh 14,26;16,7.13). Erkennen Sie, was Satan wirklich frustriert? Durch Jesu Tod wird Gottes »verborgener Plan« aktiviert. Wie Saat aus ihrer zerstörten Hülle aufspringt, entsteht eine neue Art Leben – Leben, das Leben hervorbringt – und verbreitet sich, so weit der Wind es trägt. Satan zerstörte
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Jesus in keinster Weise. Im Gegenteil: Unbewusst trug er zu seiner Verbreitung bei! Nachdem Satan den Körper Christi zerstört hatte, weckte der Heilige Geist nicht nur diesen auf, er rief auch den Leib Christi, die Gemeinde, ins Leben. Kein Wunder, dass Gott das Geheimnis des Leibes Christi vor den geistlichen Mächten verborgen hatte. Jetzt wird klar, was Gottes Plan für uns und Ziel des Hasses Satans ist. Satan verlor seinen Frontalangriff – die Kreuzigung Jesu. Jetzt versucht er es mit Guerillaangriffen – der Infiltration der Gemeinde. Er würde alles tun, um uns zu vernichten.
Christus wird durch die Gemeinde bekannt gemacht Paulus schreibt, dass Gott uns den Heiligen Geist gegeben hat, um uns alle in eine Gemeinschaft zu sammeln. »So sollen jetzt die Fürsten und Gewalten des himmlischen Bereichs durch die Kirche Kenntnis erhalten von der vielfältigen Weisheit Gottes […]« (Eph 3,10). Teil dieser vielfältigen – oder facettenreichen – Weisheit Gottes war auch sein Plan, die Welt mit Licht zu durchfluten. Der Gott der Liebe kam, um unsere Dunkelheit mit dem Licht seiner Liebe zu erhellen. Er schuf diese Gemeinschaft von Gläubigen, damit wir Freunde werden und treu zusammenbleiben können, einander ermutigen, trösten und lieben. Er schuf diesen Leib, damit wir das Leben in Fülle leben können und damit jenen in Not geholfen wird (vgl. 1 Kor 12). Die »Fürsten dieses Zeitalters« hatten keine Ahnung, was Gott vorhatte. Leider haben aber auch die Gläubigen durch die Zeit hindurch Gottes Plan für seine Gemeinde vergessen. Von den Korinthern bis heute haben wir nicht begriffen, was Satan erzittern und die Engel jubeln ließ: einen Einblick in Gottes Plan eines vom Geist bevollmächtigten Leibes Christi, der in Einheit und Liebe handelt. Mit Blick auf diesen großen Plan machte Paulus seine Sorge über die Einzelkämpfe und verschiedenen Fraktionen innerhalb der korinthischen Gemeinde sehr deutlich. Das, was Paulus durch seinen Brief zu erreichen versuchte, sollte auch unser Ziel sein: Wenn die Gemeinde das tut, wozu Gott sie ge-
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schaffen hat – wenn sie durch Liebe und Einheit die Größe der göttlichen Liebe zeigt –, dann mobilisiert und stärkt uns Gott auch so, dass wir die Welt verändern können. Ist es da ein Wunder, dass Satan, der Betrüger, den Leib Christi Glied für Glied auseinander reißen will?
Der »Wolf« und Sie Wir, die Gemeinde, sind für alle Mächte im Himmel und auf der Erde Gottes Beweis dafür, dass er begonnen hat, das Universum zurückzufordern. Und da es Satan nicht gelang, Jesus aufzuhalten, richtet er seine Anstrengungen darauf, Gottes Wirken in und durch die christliche Gemeinschaft zu vereiteln. Da er das Haupt der Familie nicht besiegen kann, muss er die Kinder der Familie zerstören. Immerhin muss er ja Jesu Verheißung (die gleichzeitig eine Drohung für ihn war) gehört haben, als dieser zu seinen Jüngern sagte: »[…] Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen, und er wird noch größere vollbringen, denn ich gehe zum Vater« (Joh 14,12). Größere Werke als seine Werke – erkennen Sie, welchen Riesenfehler Satan begangen hat? Er konnte nichts dagegen unternehmen, dass Christus die Kreuzigung in einen Sieg verwandelte. Jetzt muss Satan alles tun, um Gottes mächtiges Wirken in der Gemeinde zu stoppen. Diese »größeren Werke« sind wir, Gottes Volk. Wir werden zur lebendigen Verkörperung seines Charakters und Wesens. Durch seinen neuen Bund hat Gott uns durch Jesus Christus angenommen und durch den Heiligen Geist bevollmächtigt, allen Menschen unsere Freundlichkeit entgegenzubringen. (Im folgenden Kapitel werden wir näher betrachten, was dieses »geistliche Familienerbe« beinhaltet.) Es scheint vernünftig, dass Satans beste Angriffstrategie nun darin besteht, in Gottes eigene Familie einzudringen. Wenn er uns von unseren Glaubensgeschwistern trennen kann – sei es in Form tatsächlicher oder in Form innerer, durch persönliche Verletzungen entstandener Distanz –, dann ist es ihm vielleicht doch noch möglich, den Vormarsch des Geistes Gottes aufzuhalten! In der Apostelgeschichte wird geschildert, dass Paulus die Ältesten in Ephesus warnt: »Gebt acht auf euch und auf die ganze Herde, in der
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euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat […]. Nach meinem Weggang werden reißende Wölfe bei euch eindringen und die Herde nicht schonen« (Apg 20,28-29). Zweifellos bezogen sich seine Worte zunächst auf Angriffe von außen, besonders auf Männer, die die Gläubigen in die gesetzlichen Fesseln des Judaismus zurückholen wollten. Aber er sagte auch voraus: »[…] selbst aus eurer Mitte werden Männer auftreten« (Vers 30) – Angriffe in der Gemeinde werden aus der gefährlichsten, am wenigsten erwarteten Richtung kommen: aus der Gemeinde selbst. Der Apostel Jakobus verdeutlicht, warum die Zerstörung der Gemeinde wirklich das Werk des Bösen ist: »Wenn aber euer Herz voll ist von bitterer Eifersucht und von Ehrgeiz […]. Das ist nicht die Weisheit, die von oben kommt, sondern eine irdische, eigennützige, teuflische Weisheit« (Jak 3,14.15). Der größte Teil des Jakobusbriefes (Kapitel 2 bis 4) beschreibt verschiedene Dinge, die Christen verletzen und Uneinigkeit in der Gemeinde verursachen: Vetternwirtschaft, ungleiche Behandlung der Menschen, Streitigkeiten und Konflikte, Lästern, Verurteilen. Nun ist es wichtig, dass Sie sich über eines im Klaren sind. Ich sage nicht, dass die Christen, die Sie verletzt, enttäuscht oder verraten haben, selbst »der Wolf« oder »ein Wolf« sind. Wenn ein Bruder oder eine Schwester Sie im Stich lässt – sei es absichtlich oder unbeabsichtigt –, bedeutet das nicht, dass sie teuflisch, eine Verkörperung des Bösen sind. Ich möchte Sie vor einem warnen: Bitte benutzen Sie dieses Buch nicht als Entschuldigung dafür, dass Sie auf Dämonenjagd gehen oder einen anderen Christen mit Ihrem bitteren Urteil zerstören, weil Sie damit selbst nur bei der Zerstörung der Gemeinde Christi mithelfen würden, vor der uns der Apostel warnt! David Johnson und ich erläuterten in »Geistlicher Mißbrauch«, dass es manchmal nötig ist, sich selbst von einer bestimmten Gemeinde oder christlichen Gruppe zu trennen, um sich vor weiterem Missbrauch zu schützen und frei in der Gnade Christi weiter zu wachsen. Aber es gibt noch eine andere Alternative. Angenommen, die Atmosphäre in Ihrer Gemeinde oder in anderen Beziehungen zu Christen lässt gesunde Veränderung zu, dann können Sie dazu beitragen, Gutes aus schmerzlichen Situationen herauszuholen.
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Leider ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Zeilen von den Christen gelesen werden, die Magengeschwüre bekommen, nicht von jenen, die sie verursachen. Manche Umstände werden sich nicht ändern. Die Menschen, die das Problem verursachen, werden sich vielleicht nicht ändern wollen. Aber Sie und ich können es uns nicht leisten, untätig herumzusitzen mit dem frommen Wunsch, dass andere die Gemeinde zu dem machen, was sie nach Gottes Plan und auf Grund unseres Engagements sein sollte. Wenn keine Veränderung eintritt und wir fortfahren, uns zu beklagen und zurückzuziehen – wenn nicht körperlich, dann doch unsere innere Hingabe –, verlieren wir und mit uns die ganze Gemeinde Christi.
Den Schmerz überwinden und innerlich heil werden Es ist leichter gesagt als getan, sich durch seine eigene Verletztheit hindurchzukämpfen und dann in Gottes größeren Auftrag einzusteigen und der Gemeinschaft der Gläubigen Heilung zu vermitteln, nicht wahr? Es scheint unmöglich, einen Weg zu finden. Und doch gibt es verschiedene Schritte, die Ihnen helfen, wieder eine gesunde Beziehung zu Ihrer Gemeinde aufzubauen. Die Tatsache, dass uns etwas wieder in die geistliche Familie hineinziehen will, ist ein Zeichen dafür, dass der Heilige Geist in uns immer noch aktiv ist, dass er uns zu echter Heilung führen will. Und dass wir ihm viel zu viel bedeuten, als dass er uns einfach so davonkommen ließe! In den folgenden Kapiteln werden wir einige Schritte gehen, die für gesunde Beziehungen zwischen Christen entscheidend sind. Erfüllende Beziehungen, in denen wir die Unterstützung und Ermutigung erfahren, die wir brauchen, damit wir wieder in der Lage sind, unseren Platz im Dienst in Gottes Familie einzunehmen. Wenn der Druck wächst und wir uns von der Gemeinde weggezogen fühlen, sollten weder Sie noch ich uns durch die Tatsache, dass andere Christen uns enttäuscht haben, daran hindern lassen, an dem großartigen Plan Gottes für die Menschen teilzuhaben. Das ist nicht eine Frage des einen engagierten Christen mehr oder weniger, es geht um Ihr Überleben. Unsere eigene Gesundheit und unser geistliches Wachstum stehen auf dem Spiel – und mit ihnen das Werk und Zeugnis der
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Jeff VanVonderen »Sie wollen nur dein Bestes«
Gemeinde, die der Welt Licht und Hoffnung bringen soll. Der Schmerz und das persönliche Leid, das Sie erfahren haben, können sich, sobald Sie erst einmal Heilung erfahren haben, in Weisheit und Mitgefühl verwandeln. Diese Qualitäten brauchen Sie, um andere Christen in ihrem Kampf um Freiheit, Ganzheit und Frieden zu unterstützen. Ruhen Sie sich einen Moment aus. Lassen Sie Gott Ihre Seele wieder herstellen, bevor Sie losrennen, um andere zerbrochene Herzen zu heilen. Verwenden Sie dieses Buch als Werkzeug zu Ihrer Heilung. Gott möchte den »Biss des Wolfes« heilen, der Ihnen so viel Leid verursacht. Ihr eigenes Wohlbefinden und das Wohlbefinden anderer Christen wird davon profitieren, wenn Sie sich Zeit nehmen, Ihrem heilenden, liebenden Gott zu begegnen – womöglich auf tieferer Ebene als je zuvor.
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Zum besseren Verständnis der Kräfte, die in einer von Missbrauch gekennzeichneten Gemeinde am Werk sind, empfehlen wir Ihnen die Bücher des Autors: »Geistlicher Mißbrauch« (Projektion J Verlag) und Tired of Trying to Measure Up (Bethany House Publishers).