Einheit 1 Training für ein Leben mit Jesus Ich kann mich noch lebhaft an mein erstes Mal auf dem HochseilGerät in einem Freizeitpark namens „Camp Paradise“ erinnern. Falls Sie so etwas noch nie gesehen haben, lassen Sie sich gesagt sein, dass es sich dabei um ein Gewirr aus Seilen in etwa 15 Metern Höhe handelt, über die man balancierend, hangelnd und taumelnd zur anderen Seite gelangen soll. Eigentlich ist es aber ein Gerät, das der Angstüberwindung dient. Angeblich waren die Seile also in 15 Metern Höhe gespannt; mir kamen es eher wie mehrere Kilometer vor! Eine ganze Horde von höchst aggressiven Schmetterlingen bekämpfte meinen Bauch von innen her und meine Schweißdrüsen arbeiteten auf Panik-Hochtouren. „Von wegen ,Camp Paradise‘!“, dachte ich. „Dies ist wohl eher Camp Purgatorium, der Ort, an dem man für alle seine Sünden büßen muss!“ Die Camp-Mitarbeiter bewegten sich völlig sicher und angstfrei über die Seile. Sie erklärten mir, dass mir auf Grund der Spannung der Seile, der Materialfestigkeit und der Sicherheitsvorkehrungen überhaupt nichts passieren konnte. Glaubte ich Ihnen? Ein Teil von mir schon, doch mein Magen und meine Schweißdrüsen wollten davon nichts hören. Ich versuchte mit aller Macht, meine Angst unter Kontrolle zu bekommen. Ich gab mir alle Mühe, mich so entspannt zu fühlen und zu geben wie die Mitarbeiter. Doch weder ihre Erklärungen noch meine Willenskraft genügten, um mein Inneres zu verändern. Ich musste das Hochseilgerät erst erleben. Als ich das tat, veränderte sich etwas in mir. Langsam fing ich an zu glauben, dass ich wirklich in Sicherheit war. Nach einer Weile glaubte es mein ganzes Sein; selbst mein Magen und meine Schweißdrüsen ließen sich überzeugen. Mein Zustand verwandelte sich immer mehr von Panik zu entspanntem Genuss. Die zunehmende Übung machte es mir möglich, mich genauso locker über die Seile zu bewegen wie die Camp-Mitarbeiter. Was bedeutet es, mit dem Training zu beginnen? Es bedeutet, dass Sie Ihr Leben um bestimmte Übungen und Erfahrungen herum arrangieren, die Sie schließlich dazu befähigen, Dinge zu tun, die Sie jetzt nicht tun können, auch wenn Sie es noch so sehr versuchen. Sie müssen für jede wichtige Unternehmung im Leben trainieren – egal, ob es um einen Marathon, die Ausbildung zum Chirurg oder das Klavierspielen geht … Doch die Notwendigkeit zur Übung bezieht 13
Weder ihre Erklärungen noch meine Willenskraft genügten, um mein Inneres zu verändern. Ich musste das Hochseilgerät erst erleben.
Geistliches Wachstum Trainieren statt probieren
Eine geistliche Übung ist jede Aktivität, die mir dabei hilft, das Leben zu leben, wie Jesus es gelehrt und vorgelebt hat.
sich genauso auf die Kunst der Vergebung, Freude oder Mut. Übung ist für ein erfülltes geistliches Leben ebenso nötig wie für andere Aktivitäten. Wenn man lernen will, wie Jesus zu denken, zu fühlen und zu handeln, erfordert das mindestens eben so viel Übung, wie man benötigt, um Klavier spielen zu lernen! Jesus nachzufolgen bedeutet, dass ich mein Leben um Praktiken herum aufbaue, die es mir ermöglichen, in enger Verbindung zu ihm zu bleiben und immer mehr wie er zu werden. So kann man auch den Begriff geistliche Übung umschreiben: Eine geistliche Übung ist jede Aktivität, die mir dabei hilft, das Leben zu leben, wie Jesus es gelehrt und vorgelebt hat.
Was geistliche Übungen nicht sind Leider haben viele Menschen ein verzerrtes Bild vom Konzept der geistlichen Übungen. Ich möchte daher zu Beginn ein paar Dinge klarmachen. Geistliche Übungen sind kein Barometer für Heiligkeit. Der ultimative Indikator für unsere geistliche Gesundheit ist unsere Liebesfähigkeit gegenüber Gott und anderen Menschen. Wenn Sie diese Fähigkeit steigern können, ohne spezielle geistliche Übungen zu machen, dann können Sie beruhigt darauf verzichten! Übungen sind kein Selbstzweck, sie dienen dem Training für etwas Größeres. Geistliche Übungen sind auch kein Weg, um sich „Extrapunkte“ bei Gott zu verdienen. Man kann sich seine Güte und seine Vergebung nicht verdienen. Die Übungen sind keine „Fleißarbeit“; sie dienen einzig und allein dazu, uns in einer lebendigen Beziehung mit Jesus zu halten und uns zu einem Leben zu befähigen, wie er es vorgelebt hat. Disziplin hat mit Übung zu tun, nicht mit Selbstverleugnung. Das bedeutet auch, dass ein disziplinierter Nachfolger Jesu nicht unbedingt jemand ist, der eine Menge geistlicher Übungen vollbringt. Ein disziplinierter Christ ist auch kein total systematischer, durchgeplanter, Listen führender Frühaufsteher. Ein disziplinierter Mensch ist jemand, der das Richtige zur richtigen Zeit auf die richtige Art und aus der richtigen Motivation heraus tut. Ein disziplinierter Mensch kann unterscheiden, wann Lachen, Zärtlichkeit, Schweigen, heilende Worte oder Wahrheit gebraucht wird, und kann dies dann sofort, effektiv und liebevoll anbieten.
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Einheit 1 Training für ein Leben mit Jesus
Jeder Augenblick zählt Wir diskutierten in einer Gruppe darüber, wie man geistlich weiterkommen kann, als eine Mutter von zwei Kleinkindern anmerkte, dass es für sie vor der Geburt der Kinder viel leichter gewesen sei, an ihrem geistlichen Wachstum zu arbeiten. Es hatte ihr scheinbar noch nie jemand gesagt, dass auch die Erziehung und Fürsorge für zwei Kinder eine Form der „geistlichen Wachstumsschule“ sein kann, wenn man sie täglich voller Dankbarkeit annimmt, im Gebet trägt und Geduld übt. Tatsächlich kann uns solch eine Aufgabe geistlich weiter bringen als manch anderer Ansatz! Für die junge Frau zählte aber augenscheinlich nur eine ausgedehnte Stille Zeit, ihre tägliche Arbeit mit den Kindern nicht. Wie traurig! Alles zählt! Jeder Bereich des Lebens zählt! Jeder Moment ist – zumindest potenziell – eine Gelegenheit, sich von Gott leiten zu lassen. Natürlich gibt es einige fundamentale Übungen wie Gebet, Stille und Bibellesen, die ganz besonders wichtig sind. Doch alle möglichen Aktivitäten des Lebens können ein geistliches Training darstellen, wenn man es zulässt. In einem Verkehrsstau zu stecken kann eine Geduldsübung sein. Ganz profane Aktivitäten wie der Einkauf oder eine Dusche können Übungen in Dankbarkeit sein, wenn man sie bewusst als Gelegenheit nutzt, Gott für seine tägliche Versorgung zu danken. Sich an der Natur zu erfreuen oder sich sportlich zu betätigen kann unsere Fähigkeit zur Freude trainieren. Selbst Schlafen kann eine geistliche Disziplin sein! Ja, Sie haben richtig gelesen. Uns soweit zu disziplinieren, dass wir genügend Schlaf bekommen, kann uns einen guten Schritt von Unausgeglichenheit und Hektik wegbringen und unser Vertrauen darauf schulen, dass die Welt in Gottes Händen liegt und sich auch weiterdreht, wenn wir einmal nicht wach sind, um alles unter Kontrolle zu halten. Es besteht keine Notwendigkeit, das Leben in „geistliche Zeiten“ und „normales Leben“ zu unterteilen. Jeder Augenblick ist eine Chance, um etwas darüber zu lernen, wie man im Reich Gottes lebt.
Gottes Rolle und meine Rolle Jetzt fragen Sie sich vielleicht, was denn Gottes Rolle beim geistlichen Wachstum ist. Wenn man von geistlichem Wachstum nur als 15
Ein disziplinierter Mensch ist jemand, der das Richtige zur richtigen Zeit auf die richtige Art und aus der richtigen Motivation heraus tut.
Geistliches Wachstum Trainieren statt probieren
Unsere Aufgabe ist es, uns kreativ und klug mit den Aktivitäten auseinander zu setzen, die Gott die Gelegenheit geben, in unserem Leben zu wirken.
Ergebnis von gezieltem Training spricht, klingt das natürlich leicht so, als könne man dieses Wachstum „produzieren“. Denken Sie an den Unterschied zwischen einem Motorboot und einem Segelboot. Ein Motorboot kann ich ganz allein fahren. Alles, was ich tun muss, ist, den Motor anzuwerfen und das Boot zu lenken. Ich habe die Kontrolle. Doch ein Segelboot ist eine ganz andere Sache. Ich kann die Segel hissen und das Ruder in die Hand nehmen. Doch ich bin ganz und gar abhängig vom Wind. Meine Aufgabe ist es lediglich, die Dinge zu tun, die mein Boot in die Lage versetzen, den Wind zu nutzen, wenn er kommt. Geistliche Veränderung ist wie Segelboot fahren. Ich kann mich durch bestimmte Übungen öffnen, doch ich kann den Wind nicht zum Wehen bringen. Wenn er kommt, ist er ein Geschenk. Wenn ich das erkenne, bewahrt es mich vor falschem Stolz und vor der falschen Form von Anstrengung. Kluge Segler wissen, wie wichtig es ist, den Wind zu lesen und richtig mit den Segeln umzugehen, um seine Kraft maximal auszunutzen. Sie wissen auch, wann sie auf Kurs bleiben und wann sie ihn wechseln sollten. So ist es auch mit geistlichen Übungen. Unsere Aufgabe ist es, uns kreativ und klug mit den Aktivitäten auseinander zu setzen, die Gott die Gelegenheit geben, in unserem Leben zu wirken. Das kann in unterschiedlichen Phasen unseres Lebens unterschiedlich aussehen. Wir können die Segel hissen und sie so einstellen, wie es nötig ist. Doch was dann geschieht, hängt ganz von Gott ab.
„Folge mir nach“ Jesus kam mit der erfreulichen Nachricht, dass Veränderung möglich ist. Es ist möglich, so zu leben, dass Menschen uns sehen und sagen: „Wow! Ich wusste nicht, dass ein Leben so aussehen kann!“ Glauben Sie daran, dass das wirklich wahr ist? Oder wünschen Sie sich zumindest, es wäre wahr? Dann hören Sie auf die Einladung, die Jesus ausspricht: „Folge mir nach!“ John Ortberg
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Einheit 1 Training für ein Leben mit Jesus
Geistliche Übung Ihre Herausforderung besteht in dieser Woche darin zu erkennen, dass alles im Leben geistlich gesehen wichtig ist. Wenn Sie es zulassen, können die ganz gewöhnlichen Momente in Ihrem Leben wirkungsvolle Trainingseinheiten auf dem Weg zu Ihrer geistlichen Transformation werden. Stellen Sie sich jeden Tag in dieser Woche die Frage: „Wie kann dieser Moment mir eine Übung sein?“ Hier einige Beispiele: • Sie stehen in der Schlange vor der „10-Artikel-Schnellkasse“ im Supermarkt. Vor Ihnen steht jemand, der entweder grob unverschämt ist oder nicht zählen kann. Seine Abrechnung dauert ewig und Sie sind ausgesprochen genervt. Halten Sie inne und fragen Sie sich: „Wie kann ich diesen Moment nutzen, um mich in Dankbarkeit und Geduld zu üben?“ • Jemand verletzt Sie mit einer gemeinen Bemerkung. Ihnen liegt schon die passende Antwort auf der Zunge. Halt! Fragen Sie sich: „Wie kann dieser Augenblick mir dazu dienen, meine Selbstbeherrschung und liebevolle Ehrlichkeit zu trainieren?“ • Sie sind wieder einmal im Begriff, dieses unangenehme Projekt vor sich herzuschieben. Fragen Sie sich: „Wie kann ich in diesem Moment reagieren, um mein Durchhaltevermögen und meine Verlässlichkeit auszuweiten?“ • Sie kämpfen sich durch ihre täglichen Pflichten – Wäsche, Einkauf, Putzen, Papierkram. Halten Sie inne und fragen Sie sich: „Wie kann ich diesen Augenblick nutzen, um mich in Dankbarkeit für alles zu üben, das Gott mir gegeben hat?“ • An einem hektischen Tag treffen Sie auf jemanden, der Ihre Hilfe braucht. Fragen Sie sich: „Könnte es sein, dass Gott diesen Moment dazu nutzen will, meine Liebeskapazität zu erweitern? Glaube ich ihm, dass ich dieser Person helfen kann und trotzdem meine Dinge noch rechtzeitig erledigen kann?“
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Geistliches Wachstum Trainieren statt probieren
Dies sind natürlich nur Beispiele. Der Schlüssel besteht darin, sich diese Fragen wirklich während des Tages immer wieder in Erinnerung zu rufen. Manchmal fällt einem sogar vorher ein, dass man in Kürze vor einer schwierigen Situation stehen wird. Dann könnten Sie schon im Voraus beten: „Wie kann dieser Moment meinem geistlichen Wachstum dienen?“ Halten Sie während der Woche fest (am besten schriftlich), welche Erfahrungen Sie machen. Fiel es Ihnen leicht, mitten in einem Gedankengang oder einer Tätigkeit innezuhalten? Wann hatten Sie das Gefühl, es richtig gemacht zu haben? Wie sah es mit Fehlversuchen aus? Konnten Sie irgendein bestimmtes Muster feststellen?
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