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Einheit 4 Wenn die Gemeinschaft zerbricht Ich bin technisch völlig unbegabt, besonders wenn es um Autos geht. Ich habe eine Theorie, nach der alle Automotoren Hypochonder sind. Wenn man sie nicht immer sofort verhätschelt, wenn sie ein merkwürdiges Geräusch von sich geben, hören sie irgendwann wieder mit dem Gejammer auf und funktionieren normal. Da ich so mit meinen Autos umgehe, brechen sie manchmal völlig zusammen. Wenn das passiert, mache ich das, was alle Männer machen. Ich steige aus dem Auto aus, mache die Motorhaube auf und schaue hinein. Ich habe keine Ahnung, warum ich das mache. Unter der Haube befindet sich ja kein großer An-/Ausschaltknopf, den ich bedienen könnte. Ich vermute, dass ich mich dadurch einfach etwas besser fühle, wenn ich auf den Mann vom Pannendienst warte. Unweigerlich beendet er unsere gemeinsame Zeit immer mit den ermutigenden Worten: „Wissen Sie, das hätte sich verhindern lassen. Haben Sie Ihre Bedienungsanleitung nicht gelesen?“ Viele Menschen schenken weit ernsthafteren Zusammenbrüchen im Leben – einem Zusammenbruch auf der Beziehungsebene – ebenso wenig Aufmerksamkeit wie ich meinen Autopannen. Was macht man also, wenn man in einer Beziehung auf die Nase fällt? Jesus gab uns dazu eine ganze Reihe von Anregungen. Sie können das „Handbuch“ in Matthäus 18, Vers 15 nachlesen. Zusammenfassen lässt es sich etwa folgendermaßen: Wenn ein anderer Ihnen Unrecht getan hat – wenn ein Konflikt aufgetreten ist –, dann setzen Sie sich unter vier Augen mit dem anderen zusammen und diskutieren Sie das Problem mit dem Ziel, sich wieder zu versöhnen. Von allen Lehren Jesu verletzen wir diese vermutlich am häufigsten. Denn wir sind an jedem Punkt vor eine Entscheidung gestellt. Und wir haben immer gute Gründe, seine Anweisungen zu ignorieren. Im Folgenden möchte ich mit Ihnen Jesu Worte durchgehen, damit wir dann absolute Klarheit darüber haben, wie wir in einer solchen Situation handeln sollen.

Erkennen Sie den Konflikt an Der erste Schritt vollzieht sich rein mental: Sie müssen anerkennen, dass es einen Konflikt gibt. Menschen kämpfen. Manchmal 63

Von allen Lehren Jesu verletzen wir diese vermutlich am häufigsten. Denn wir sind an jedem Punkt vor eine Entscheidung gestellt. Und wir haben immer gute Gründe, seine Anweisungen zu ignorieren.


Gruppen Die verändernde Kraft der Gemeinschaft Aber wenn man in eine Gemeinschaft eingebunden ist, erfordert dies die starke innere Bereitschaft, nicht mit schwelenden Konflikten zu leben.

konstruktiv, manchmal destruktiv. Manchmal endet ein Kampf mit Küssen und Umarmungen, manchmal mit Kälte und Rückzug. Zu leben bedeutet, in Konflikten zu stehen. Aus einer ganzen Reihe von Gründen ist es einfacher, so zu tun, als ob es keinen Konflikt gäbe. Aber wenn man in eine Gemeinschaft eingebunden ist, erfordert dies die starke innere Bereitschaft, nicht mit schwelenden Konflikten zu leben. Fangen Sie mit der tiefen Bereitschaft an, Beziehungsprobleme direkt anzugehen.

Seien Sie initiativ Der nächste Schritt ist für Jesus völlig klar. Wenn es einen Konflikt gibt, dann gehen Sie los. Es ist an Ihnen, die Initiative zu ergreifen. Aber sehr wahrscheinlich haben Sie dazu keine Lust. „Soll doch der andere kommen. Warum muss ich denn immer den ersten Schritt tun? Warum nicht auch mal er? Warum ist er immer so störrisch und dickköpfig?“ Kennen Sie diese Gedanken? Nun, Jesus nimmt Sie jedoch in die Pflicht, und zwar unabhängig davon, ob Sie Unrecht erfahren oder zugefügt haben (Matthäus 5,23–24). Sie sind aufgefordert, aktiv zu werden. Warten Sie also nicht darauf, dass der andere losgeht und das Problem zu lösen versucht. Sie müssen losgehen. Noch einmal: Das liegt uns nicht gerade sehr. Ich möchte lieber weiterhin schmollen. Ich bin doch nicht verrückt. Es macht schließlich mehr Spaß, wegen des Konfliktes zu schmollen und mir immer wieder vorzusagen, wie sehr mich der andere verletzt hat. Davon abgesehen könnte es ausgesprochen hässlich werden, wenn ich doch aktiv werde. Vielleicht sogar schrecklich. Und die meisten von uns fürchten die Konfrontation. Loszugehen ist ein großer Schritt. Wichtig ist dabei zu wissen, dass es egal ist, ob Sie Ihre Sache gut machen oder über Ihre Worte stolpern. Natürlich sollten Sie es so weise und so gut wie möglich machen, und es ist durchaus hilfreich, sich vorher zu überlegen, was man sagen möchte, aber die Hauptsache ist nicht, dass Sie alles fehlerlos über die Bühne bringen. Die Hauptsache ist, dass Sie losgehen, denn Konflikten aus dem Weg zu gehen, wirkt sich tödlich auf die Gemeinschaft aus. Heruntergeschluckter Ärger wirkt in Ihnen wie vergrabener Giftmüll. Und früher oder später wird er an die Oberfläche kommen. Jesus gibt Ihnen jedoch den Rat, den Konflikt anzugehen und nicht zu vermeiden. 64


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Keine dritte Partei Zu wem gehen Sie? Jesus lässt dabei keinen Spielraum. Sie gehen zu dem Menschen, mit dem Sie einen Konflikt haben. Das scheint selbstverständlich zu sein. Aber normalerweise ist gerade dies der letzte Mensch, zu dem wir gehen wollen. Ich möchte zu jemand anderem gehen, der nicht an diesem Konflikt beteiligt ist, und sagen: „Machst du dir genauso wie ich Sorgen um unseren Bruder in Christus, der offensichtlich ein völlig gestörter Psychopath ist?“ Es macht mehr Spaß, zu jemand anderem zu gehen, weil ich von ihm Anteilnahme und Bestätigung für meinen Ärger erwarten kann. Aber in der Bibel steht, dass dies nicht der richtige Weg ist. Darauf sollten wir in einer Gemeinschaft vorbereitet sein. Früher oder später wird jemand zu Ihnen kommen, um sich über eine dritte Person zu beschweren. Oft macht es Spaß, sich solche Beschwerden anzuhören. In gewisser Weise schafft es etwas Verbindendes zwischen Ihnen beiden. Aber es ist für die Situation nicht hilfreich. Sie sollten sich also vorbeugend eine liebevolle und taktvolle Möglichkeit ausdenken, wie Sie den anderen ermutigen können, Sie nicht als Ventil zu missbrauchen, sondern zu der Person zu gehen, die an dem Konflikt beteiligt ist. Wenn Sie den anderen vorsichtig und überlegt konfrontiert haben und dabei zu keiner guten Lösung gelangt sind, dann, und nur dann, gestattet Jesus, ein paar andere reife Christen in den Prozess einzubeziehen (Matthäus 18,16).

Direkte Kommunikation Jesus sagt, dass die Konfrontation stattfinden soll, wenn Sie mit dem anderen alleine sind. Widerstehen Sie also der Versuchung, den anderen vor Freunden in Verlegenheit zu bringen. Haben Sie das schon einmal getan? Haben Sie schon einmal einen wohl platzierten Tiefschlag vor Freunden ausgeführt? Vielleicht auf humorvolle Weise, aber es war trotzdem ein Tiefschlag. Und es war vor anderen Leuten. Jesus fordert uns auf, jeden Wunsch danach beiseite zu schieben, den anderen in Verlegenheit zu bringen. Ziehen Sie sich zurück. Dann geht es darum, das Problem zu diskutieren. Sprechen Sie darüber. Kommunizieren Sie direkt. In unserem Bemühen, den Schlag abzumildern, gehen wir das Problem oft nur indirekt an. Wir 65

Zu wem gehen Sie? Jesus lässt dabei keinen Spielraum. Sie gehen zu dem Menschen, mit dem Sie einen Konflikt haben.


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Wer diszipliniert formulieren kann, kann deutlich sagen, was ihn verletzt hat und aus welchem Grund.

reden um den heißen Brei herum. Wir vermeiden es, das Problem beim Namen zu nennen. Manchmal werden wir manipulativ und formulieren es in Form einer Frage statt in Form einer direkten Aussage. Eine Frau sagt beispielsweise zu ihrem Ehemann: „Wolltest du heute nicht die Garage sauber machen?“ Er denkt darüber nach, hört in sich hinein und kommt zu dem Schluss, dass er wirklich überhaupt keine Lust dazu hat, die Garage sauber zu machen. Er sagt ihr dies, stolz auf seine Selbstwahrnehmung und seine Aufrichtigkeit. Nun wird sie erst recht wütend, denn ihre Frage war gar nicht als Frage gemeint! Sie werden hart an sich arbeiten müssen, um konstruktive Wege zu finden, die es Ihnen ermöglichen, direkt über den Konflikt zu sprechen. Dazu gehört Disziplin in der Wortwahl. Wer diszipliniert formulieren kann, kann deutlich sagen, was ihn verletzt hat und aus welchem Grund – aber ohne Sarkasmus, weitschweifige Erklärungen, Übertreibungen und emotional aufgeladene Wortwahl, die nur Öl ins Feuer gießen. Wer diszipliniert formulieren kann, weiß um seine eigenen Fehler. Und wenn er dann die Wahrheit ausspricht, spricht er sie mit Gnade.

Versöhnung als Zielvorgabe Am Ende steht noch ein Imperativ: Wir sollen all dies mit dem Ziel der Versöhnung tun, um den anderen zurückzugewinnen und die Gemeinschaft wiederherzustellen. Wenn das nicht Ihre Motivation ist, wird der gesamte Prozess beeinträchtigt. Wenn ich ehrlich bin, habe auch ich manchmal nicht die Versöhnung im Blick, wenn ich einen anderen Menschen konfrontiere. Mein Ziel besteht vielmehr darin, dem anderen Schmerz zuzufügen, weil ich so verletzt bin. In diesem Fall wird eine direkte Konfrontation eher schaden als nutzen – vielleicht auch schweren emotionalen Schaden anrichten. Offen gesagt, sind Sie für die ersten Schritte erst dann reif, wenn Sie sich ehrlich mit sich selbst auseinander gesetzt haben. Vielleicht sind Sie sehr wütend. Aber verfolgen Sie wirklich das Ziel, sich um das Beste zu bemühen – für sich selbst, den anderen und den Leib Christi? Ist Ihr Ziel die Wiederherstellung der Gemeinschaft, soweit es in Ihren Händen liegt? Wenn nicht, müssen Sie erst an Ihrem Herzen arbeiten. 66


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Biblisches Konfliktmanagement führt unter Umständen nicht immer zur Wiederherstellung aller Beziehungen. Manchmal ist auch eine Trennung sinnvoll, verbunden mit der Hoffnung, dass sich der Konflikt vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt lösen wird. Manchmal haben Sie alles getan, was in Ihrer Macht steht, und müssen jetzt einfach loslassen. Aber wenn Sie den Konflikt offen, in Liebe und voller Mut angegangen sind, werden Sie Genugtuung für Ihre Seele finden. Sie werden zufrieden sagen können, dass Sie sich um Frieden bemüht haben, soweit es an Ihnen lag. Sie haben sich bemüht, das zu bewahren, was Gott so kostbar ist – die Gemeinschaft (vgl. Römer 12,18). Man kann es schaffen. Sie können es schaffen. Mit Gottes Hilfe ist es wirklich möglich.

John Ortberg

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Geistliche Übung Fiel Ihnen beim Lesen der Einführung in dieses Kapitel ein Name ein? Gibt es einen Konflikt, dem Sie aus dem Weg gehen, statt ihn direkt anzugehen? Wenn Ihnen nichts einfällt, erzwingen Sie es nicht! Ihre geistliche Übung besteht in dieser Woche darin, Gott aufrichtig für den Segen der Gemeinschaft zu danken, den Sie momentan erleben. Wenn Sie in dieser Woche mit Freunden und Familienangehörigen zusammentreffen, danken Sie Gott für die Harmonie, die Sie in diesen Beziehungen genießen – ebenso für in der Vergangenheit erfolgreich gelöste Konflikte und für konkrete Erfahrungen, die Ihre Beziehungen vertieft haben. Machen Sie diese Woche zu einer Woche der Anbetung, wenn Sie über die Worte „Seht doch, wie gut und schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen“ (Psalm 133,1) nachdenken. Wenn Ihnen aber tatsächlich eine Situation einfällt, beten Sie dafür und setzen Sie um, was Sie gelesen haben. Wenn Sie an den Punkt kommen, an dem Sie auf den anderen zugehen müssen, berücksichtigen Sie Folgendes: • Fangen Sie an, indem Sie die Beziehung bestätigen. („Unsere Beziehung macht mir in letzter Zeit so viel Freude. Deswegen möchte ich einen Punkt ansprechen, der mir aufgefallen ist.“) • Betrachten Sie den Konflikt aus der richtigen Perspektive. Wenn es eine ziemlich kleine Kränkung war, kann es hilfreich sein, das auch so zu sagen. („Es ist keine große Sache.“) • Sprechen Sie dann darüber, was geschehen ist. („Wenn wir miteinander sprechen, unterbrichst du mich oft mitten im Satz.“) • Drücken Sie aus, was Sie dabei empfinden. („Das frustriert mich und ärgert mich ein bisschen. Ich habe dann das Gefühl, dass dir nicht wichtig ist, was ich denke.“) • Ergänzen Sie, wenn Sie in diesem Bereich auch bei sich Schwächen festgestellt haben. Dadurch zeigen Sie Gnade. („Ich weiß, 68


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dass auch ich manchmal andere unterbreche. Ich mag es nicht, wenn ich das mache. Vielleicht stört es mich deshalb so, wenn du es machst.“) • Formulieren Sie deutlich, was Sie vom anderen erwarten. („Ich wünsche mir, dass wir uns wirklich zuhören und ganz Ohr sind, wenn wir miteinander sprechen.“) • Praktizieren Sie Disziplin in Ihren Formulierungen. Vermeiden Sie Sarkasmus, schneidende Bemerkungen, emotional aufgeladene Wortwahl, ausschweifende Erklärungen. (Sagen Sie nichts wie: „Du unterbrichst mich immer. Du bist ein Kontrollfreak!“)

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Bibelstudium Jeder von uns hat sich andere Methoden angeeignet, wie er mit Konflikten umgeht. Falls es Ihnen bisher noch nicht aufgefallen ist, werden Sie sicher bald merken, dass die übrigen Mitglieder Ihrer Kleingruppe sehr unterschiedliche Tendenzen haben, wenn es darum geht, mit Beziehungskonflikten umzugehen. Es kann positiv zur Gruppendynamik – wie auch zu anderen Bereichen Ihres Lebens – beitragen, wenn Sie Ihren persönlichen Ansatz kennen. Wir alle müssen lernen, mit Konflikten konstruktiv umzugehen. Es ist hilfreich, zuzugeben, dass nur wenige in ihrer Kindheit und Jugend perfekte Vorbilder zur Konfliktlösung hatten. In unserer Seele ist vorprogrammiert, wie wir reagieren, wenn es in Beziehungen eng wird. Hier etwas zu verändern, gelingt in der Regel nicht ohne beträchtliche Mühen. Das Schöne an einer Kleingruppe ist, dass sie Raum bietet, diese Bemühungen umzusetzen und dann zu sehen, was passiert. Die Arbeit, die Sie mit der Hilfe und Unterstützung des Heiligen Geistes in einer Kleingruppe leisten, wird viele positive Veränderungen mit sich bringen. 1. Bewerten Sie Ihren Konfliktlösungsstil anhand folgender Skalen. Erklären Sie Ihre persönliche Bewertung in der Gruppe. Den Konflikt anerkennen 1 Ich gehe Konflikten aus dem Weg.

10 Ein Konflikt gibt mir neue Energie.

Initiative ergreifen 1 Ich finde es unmöglich, die Initiative für die Lösung eines Konfliktes zu ergreifen. 70

10 Ich neige dazu, andere mit meinem aggressiven Stil im Umgang mit Konflikten zu überfahren.


Einheit 4 Wenn die Gemeinschaft zerbricht

Keine dritte Partei 1 Ich spreche mit Dritten nie über einen Konflikt, bevor ich nicht den Konfliktgegner direkt konfrontiert habe.

10 Ich neige dazu, meine Gefühle im Gespräch mit Dritten zu verarbeiten, ohne mit der Person zu sprechen, die mich verletzt hat.

Persönliches Gespräch 1 Ich finde eigentlich immer eine Möglichkeit, den anderen unter vier Augen anzusprechen.

10 Ich halte verbale Spitzen vor Dritten für eine gute Möglichkeit, meinen Standpunkt klar zu vertreten.

Direkte Kommunikation 1 Ich neige dazu, andere auf subtile und indirekte Weise wissen zu lassen, dass sie mich verletzt haben.

10 Man hat mir gesagt, dass ich andere mit meiner Direktheit überfahre.

2. Beschreiben Sie, wie in Ihrer Herkunftsfamilie üblicherweise Konflikte gelöst wurden/werden.

Inwiefern entspricht Ihre heutige Umgangsweise dieser Erfahrung? Inwiefern unterscheidet sie sich?

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