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Jerry B. Jenkins

Countdown Roman

Die Nachmittagsschatten wurden länger. Paul führte Stephen von dem Gebäude fort zu dem noch übrig gebliebenen Baumaterial. „Ich erkenne dieses Medaillon“, erklärte Paul. Stephen steckte die Hände entschlossen in die Taschen und zuckte die Achseln. „Ich glaube, es verrät Sie.“ Stephen rieb sich das Gesicht mit beiden Händen. Trotzdem schien alle Farbe aus seinen Wangen zu schwinden. „Wissen Sie, es ist nicht ungewöhnlich“, drang Paul in ihn, „dass Leute wie Sie solche Gegenstände mit sich herumtragen, damit andere Gleichgesinnte Sie erkennen.“ Stephen stemmte die Hände in die Hüften, schloss die Augen und wandte sein Gesicht der Sonne zu. „Und als Sie Jefferson sagten, dieses Medaillon sei ein Glücksbringer für Sie, haben Sie etwas ganz anderes damit gemeint als er, nicht wahr?“ Stephen öffnete die Augen und starrte Paul an. „Und als Sie sagten, das Ölphänomen seit etwas Natürliches, meinten Sie über-natürlich, nicht?“ Der Mann verzog das Gesicht, als wüsste er nicht, was er antworten solle. „Man sagt, es sei ein Zeichen“, sagte Paul. „Ein Wunder.“ Paul fühlte sich wie ein Jäger, der seine Beute umkreiste. Zornig dachte er an den christlichen Gottesdienst in San Francisco zurück, an die Witwe, die von dem Zeichen sprach, „dass das Kommen des Herrn nahe ist“, und die „Aufgaben, die


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wir tun müssen – trotz des Gesetzes, trotz der Gefahr“. Und der Gedanke an die Begrüßung – das Passwort – der Gläubigen. „Hören Sie zu, Stephen. Er ist auferstanden.“ Dem Mann brach der Schweiß aus. „Wer ist auferstanden?“, flüsterte Lloyd. Paul hatte das Gefühl, als ständen sie beide jetzt am Rande eines Abgrundes. Wird er es leugnen? „Christus ist auferstanden.“ Lloyd legte die Hand auf den Mund, dann nahm er sie so weit weg, dass er heiser flüstern konnte: „Wer, sagten Sie?“ Paul erinnerte sich an das, was er in dem Gottesdienst gehört hatte. „Der Eine, der sagt: ,Ich bin die Wurzel und der Stamm Davids, der strahlende Morgenstern.‘ Der Eine, der sagt: ,Wer durstig ist, der komme.‘“ Stephen schien kaum still stehen zu können. Paul zitierte nun Worte aus dem Brief seines Vaters: „,Er wird sie zur Quelle des lebensspendenden Wassers führen. Und Gott wird alle ihre Tränen abwischen.‘“ Lloyd schnappte nach Luft. Paul spielte nun seinen Trumpf aus. „Der Eine, der uns in der Offenbarung zuruft: ,Siehe, ich komme bald.‘“ „Er ist wahrhaftig auferstanden“, krächzte Lloyd. Bingo! Lloyd klammerte sich an Paul und schluchzte beinahe. „Mann o Mann, noch nie bin ich auf diese Weise auf die Probe gestellt worden. Man weiß nie, ob man den Mut hat … ich hätte es beinahe nicht geschafft …“ Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Es ist schwer, so alleine zu sein“, meinte Paul mitfühlend. „Hier draußen festzusitzen und ein so Ehrfurcht gebietendes Zeichen zu sehen … Ich hoffe, Sie sind nicht ganz allein.“ „Gott sei Dank nicht“, flüsterte Lloyd. „Es gibt andere?“ „Einige. Vorwiegend Mexikaner. Sie halten sich gerne an die alten Traditionen. Aber die anderen? Ist das zu glauben? Versuchen doch tatsächlich, den Mexikanern und Arabern die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. Sabotage! Ich meine, wollen Sie mich veräppeln? Eine Feuersäule, Mann! Wenn das nicht Gott ist, wer dann?“ Sie wurden durch die Ankunft einer Limousine unterbrochen. „Hallo, ihr da!“, rief Donny Johnson, als er aus dem Fond ausstieg. Mit seinem Cowboyhut überragte er sogar Stephen Lloyd. „Wie läuft es?“ „Prima“, erklärte Paul. „Ich werde eine Verhaftung vornehmen.“ Stephen Lloyd zuckte zurück. „Wer? Du?“, fragte Johnson. Er packte Stephen am Arm. „Du bist der Brandstifter?“ „Nein, nein, ich –“


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„Er ist ein Christ“, erklärte Paul verächtlich. „Ich möchte ihn in Haft nehmen –“ „Du – du Mistkerl –“ Johnson trat einen Schritt zurück und versetzte Lloyd einen Fausthieb in den Magen. Dieser sackte in sich zusammen. Johnson riss ihn an den Haaren wieder hoch und bearbeitete ihn fluchend mit seiner freien Hand. Tick und Jefferson kamen aus den Baracken gestürmt. „Johnson, hören Sie auf!“, rief Tick. Er hielt seinen Arm fest. Johnson riss sich los. Erneut fiel er über Lloyd her. Er stieß ihn gegen aufgestapelte Ziegel. Bevor Tick ihn aufhalten konnte, hatte Johnson bereits einen Stein in der Hand und schlug auf ihn ein. „Sie werden ihn noch umbringen!“ Jefferson warf sich auf Johnson und versuchte, ihn von dem armen Lloyd loszureißen. „Helfen Sie mir doch!“, rief er Paul zu, der Johnson bei seinem Tun zugesehen hatte. Johnson tat nur, was Paul am liebsten selbst erledigt hätte. Doch das hätte ihn seinen Job gekostet. In aller Ruhe trat Paul schließlich hinzu – aber erst in dem Augenblick, als Johnson, dem endlich die Puste ausgegangen war, den Ziegel sinken ließ. „Was ist mit Ihnen los, Mann?“, keuchte Jefferson. Die Frage war sowohl an Paul als auch an Johnson gerichtet. Tick kniete nieder, um die reglose Gestalt auf dem Boden zu untersuchen. Lloyds T-Shirt und seine Jeans waren dunkel von Blut und Schmutz. Tick sah auf. „Ich kann keinen Puls fühlen, Donny. Ich werde Sie in Haft nehmen müssen.“ Johnson schnaubte und sein Körper fiel regelrecht in sich zusammen. Die Ärmel seines teuren Hemdes waren zerrissen. „Ich habe den Kopf verloren. Ein christlicher, aufrührerischer und Sabotage betreibender –“ „Wer hat das gesagt?“, fragte Tick. „Lloyd hat mir gegenüber gestanden“, erklärte Paul. „Somit fällt dieser Fall in den Zuständigkeitsbereich des Sonderkommandos Zelotischer Untergrund. Überlassen Sie Johnson mir. Ich brauche seine Hilfe. Bringen Sie jeden Mexikaner auf diesem Ölfeld zur Vernehmung zu mir. Und ich will diese Gruppe in der Baracke sofort hier draußen sehen.“ Sieben Mexikaner standen Schulter an Schulter in zwei Reihen vor Paul, bewacht von vier bewaffneten Männern. „Wo ist der mit dem verletzten Fuß?“, fragte Paul. Eine Wache schob ihn aus der hinteren Reihe vor. Er stolperte auf Grund seines neu geformten Plastikschaumgipses. Paul packte ihn am Arm und zerrte ihn zu Stephens blutüberströmtem Leichnam. „Siehst du deinen Freund hier?“ Der Mann nickte.


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„Weißt du, was ihn umgebracht hat? Seine Connections. Und er hat mir erzählt, dass er viele Freunde bei den Mexikanern hat. Bist du ein Christ?“ Keine Antwort. „Du leugnest es nicht? Du hältst dich wohl für tapfer, ja? Das ist eine einfache Frage. Bist du ein Christ?“ Stille. „Zäher Bursche, ja? Stephen war auch zäh, aber sieh ihn dir jetzt an. Ich weiß – und du weißt es auch –, wer hinter dem Feuer steckt.“ Paul zwang den Mann in die Knie. „Ich will Namen hören.“ Er drückte dem Mann seine Pistole an den Kopf. „Du hast fünf Sekunden.“ Einer der Mexikaner hinter ihnen schluchzte. „Höre ich einen Namen?“, rief Paul. „Euer Mann wird sterben.“

Jerry B. Jenkins: Countdown Paperback, 320 Seiten • Bestell-Nr. 657 516 Lieferbar: Juli 2004


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