Inhalt
2 Leitbild der hochschule
41 Lob der Sturheit
4 Editorial
43 Lernen als Loop
von Thomas Rietschel
von Tilman Allert
6 Am Ende gibt es nur Gewinner
Interview mit Sylvia Dennerle
44 Begegnungen auf Augenhöhe
und Peter Wattler-Kugler
von Ernst August Klötzke von Daniela Kabs und Björn Hadem
14 Exzellenz der Lehre im Blick
46 Im Dialog mit der Öffentlichkeit
von Boris Rhein
von Beate Eichenberg
15 Autonom und Akzeptiert
48 Freiheit und Bindung
von Albrecht Eitz
von Angelika Gartner
16 Offenheit als Chance
51 Foren schaffen, die Wissen verbreiten
von Friederike Kreft
von Cédrine Lussac
17 Kooperationen schärfen das Profil
52 Wertschätzung gegen Bewertung?
von Julia Cloot
von Hedwig Fassbender
19 Kunst kommt von Können
53 Einheit in der Vielfalt?
von Fabian Menzel
20 Zwischen Verbindlichkeit und Freiheit von Axel Gremmelspacher
vom Personalrat der HfMDK
54 Richtlinie gegen Machtmissbrauch 57 Es braucht Verstetigung
21 Neugier und Lust auf Erneuerung
58 Fehler im Leitbild der HfMDK
von Hans-Ulrich Becker
von Manuel Röschinger
23 Mut für Schritte ins Unbekannte
60 Gelenkte Aufbauarbeit
von Klaus Schuhwerk
von Maria Spychiger
24 Auch wir forschen!
61 240.000 Euro von der Gesellschaft
von Marion Tiedtke
von Brigitte Binder
25 Prozesse brauchen Planungssicherheit
62 Portraitserie „Verschlungene Lebens-
von Roland Glassl
26 Bereit für Abenteuer
von Lucas Fels
27 Verantworten und Einmischen
von Thomas Rietschel
28 Systeme im Wandel
von Ingo Diehl
30 Erweitern, Bewahren, Integrieren
von Thomas Rietschel
der Freunde und Förderer wege unserer Alumni“: Felix Mantel
64 Jede Note durchleben – Erik Schumann ist neuer Professor für Violine 66 Impressum 67 Die Chance mutig beim Schopf gepackt! – Die CrowdfundingInitiative „kulturMut“ 68 Erfolge unserer Studierenden
32 Entwicklung durchdringt alle Künste
von Orm Finnendahl
Statements von Studierenden
33 Theorie und Praxis im Verbund
15 Philippe Schwarz
22 Raphaela Schwarz
von Katharina Schilling-Sandvoß
35 Lieben, was wir tun
33 Johannes Kasper
42 Anna Linß
von Christopher Brandt
36 Auf der Suche nach Dialog
49 Hannah Weisbach
von Gerhard Müller-Hornbach
55 Finn Lakeberg
38 „Leisure“ statt Ökonomie
von Gerd-Theo Umberg
39 Von der Verwandlung der Langeweile
47 Maurice Lenhard
und Kommunikation
von Henriette Meyer-Ravenstein
Der Senat der Hochschule fßr Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main hat dieses Leitbild in seiner Sitzung am 10. Februar 2014 beschlossen. Wir – die Studierenden, die Lehrenden und die Mitglieder der Verwaltung – haben es in einem partizipativen und transparenten Prozess erarbeitet.
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Selbstverständnis Wir sind Hessens Hochschule für Musik, Theater und Tanz und eine bedeutende Institution des hessischen Kulturlebens. Wir handeln im gesellschaftlichen Auftrag. Unsere Gemeinschaft ist international. Wir profilieren uns als aktiver Partner in einem weitreichenden Umfeld regionaler, nationaler und internationaler Netzwerke und renommierter Kulturinstitutionen. Freiheit der Kunst, Großzügigkeit, Intuition und Leidenschaft bestimmen den Geist unserer Hochschule. Selbstbestimmung des Individuums, Akzeptanz divergierender Auffassungen und kritisches Bewusstsein prägen unser Selbstverständnis.. Wir fördern Innovation und Interdisziplinarität und schaffen Freiräume für Experiment, neue Arbeitsweisen und künstlerische Forschung. Wir reflektieren unser künstlerisches, pädagogisches und wissenschaftliches Handeln auf Grundlage der Sicherung, Pflege und Neudeutung des kulturellen Erbes und gestalten zeitgenössische Entwicklungen mit. Wir setzen uns ein für die Teilhabe aller Menschen an den Künsten. Wir stellen uns den sich rasch verändernden
Unser Bildungsverständnis beruht auf den Werten der Aufklärung und trägt den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts Rechnung. Neben konzentriertem und zielorientiertem Arbeiten sind Raum für unabhängige Kunstausübung, Selbstfindung und kreative Muße Voraussetzung für ein erfolgreiches Studium. Intensive persönliche Betreuung der Studierenden, künstlerisch und wissenschaftlich aktive Lehrende, Verbindung von Theorie und Praxis sowie vielfältige Projekte und Kooperationen kennzeichnen die besondere Qualität der Ausbildung an unserer Hochschule. Zur Ergänzung unserer Studienangebote öffnen wir die Hochschule auch durch Fundraising in die Bürgergesellschaft.
Organisationskultur Leitende Prinzipien unserer Organisationskultur sind Transparenz, Kooperation, Solidarität und Loyalität. Wir fördern lebendige Diskussion und ermöglichen Partizipation. Wir begegnen einander mit Wertschätzung, in wechselseitiger Anerkennung der Kompetenzen und schaffen eine Atmo- sphäre, in der Authentizität und Kreativität gedeihen können. Wir erleben Diversität als Bereicherung und dulden keine Diskriminierung.
Berufsperspektiven und den Herausforderungen
Gegen Eigennützigkeit, Mobbing und Machtmissbrauch
durch demographischen Wandel, Globalisierung
gehen wir aktiv vor. Wir streben nach Verbesserung
und Digitalisierung.
Studium, Lehre und Forschung Bildung und Ausbildung gehören zusammen. Zentrale Aufgabe der Hochschule ist die
auf Basis kontinuierlicher Reflexion. In Konflikten, Fehlern und Irrtümern sehen wir Potentiale für Veränderung.
Ausbildung der Studierenden zu professionellen und sozial
Auf der Grundlage dieses Leitbildes entwickeln wir –
verantwortlich handelnden Künstlern, Pädagogen und Wissen-
die Studierenden, die Lehrenden und die Mitglieder der
schaftlern. Dies schließt die Vermittlung der Künste und die wissenschaftliche Forschung ein.
Verwaltung – unsere Maßstäbe für Qualität und Evaluation und gestalten so die Zukunft der Hochschule.
Frankfurt am Main, 10. Februar 2014
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F r a n k f u r t i n T a k t 14 /1 – L e i t b i l d
Editorial
U
Jetzt kommt es darauf an, wie wir in Zukunft mit unserem
das sich die Hochschule in einem hochschulweiten Prozess
Leitbild umgehen. Einige Leitbildforderungen sind bereits erfüllt
in den letzten zwei Jahren gemeinsam erarbeitet hat. Es ist ein
und Bestandteil unserer „Hochschulkultur“, aber natürlich sind
mutiges Leitbild, eines mit Ecken und Kanten, und an manchen
viele Forderungen noch nicht umgesetzt oder werden noch
Stellen noch nicht ganz ausformuliert und zu Ende gedacht –
nicht gelebt. Gute Ideen dafür finden Sie im vorliegenden Heft
es ist das Zwischenergebnis eines Prozesses des gemeinsamen
reichlich, daran gilt es zu arbeiten.
nsere Hochschulzeitung ist dem neuen Leitbild gewidmet,
Nachdenkens über die HfMDK, der nie zu Ende sein kann und deshalb weiter geführt werden muss.
Gewicht hat dieses Leitbild, weil es einstimmig vom Senat verabschiedet wurde. Der Prozess seiner Erarbeitung war oft
Zu jeder unserer Leitbildaussagen haben wir einen Autor oder
konfliktreich und keineswegs stets konsensual. Deshalb ist diese
eine Autorin aus der Hochschule und ihrem Umfeld um einen
Einstimmigkeit besonders hoch zu werten. Sie macht deutlich,
kurzen erläuternden Kommentar gebeten. Diese Texte geben die
dass die Hochschulangehörigen bereit sind, gemeinsam Verant-
persönliche Meinung der Autoren wieder, sie sind keine offiziell
wortung für ihre Institution zu übernehmen. Auch wenn nicht
verbindlichen Aussagen, und so ist das Ergebnis vielfältig,
alle allen Aussagen zustimmen konnten, so war ihnen am Ende
kontrovers und lebendig – wie unsere Hochschule.
in der Abstimmung das gemeinsam beschlossene Leitbild wichtiger als die eigene eventuell an einigen Punkten abweichende
Das Leitbild formuliert die Grundlagen unserer Hochschule
Position. Darin artikuliert sich der Wille, diese Hochschule
und damit einen Maßstab, an dem wir in Zukunft unser Handeln
gemeinsam zu tragen und weiterzuentwickeln. Ein schöneres
und unsere Beschlüsse messen werden. Gleichzeitig definiert
Bekenntnis zu „unserer“ HfMDK als dieses Ergebnis kann
es auch die Ziele unserer Hochschulentwicklung. Das gibt uns
ich mir nicht vorstellen, und wir sollten alles tun, diesen guten
die Möglichkeit, der Hochschule in ihrer weiteren Entwicklung
Geist weiter zu pflegen und zu bewahren. Er ist kostbar.
auch eine klare Richtung zu geben. Ihr
Thomas Rietschel Präsident der HfMDK Frankfurt am Main
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Neue-Musik-Nacht im Sommersemester 2014
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Wir – die Studierenden, die Lehrenden und die Mitglieder der Verwaltung – haben es in einem partizipativen und transparenten Prozess erarbeitet.
am ende gIbt eS nur geWInner
Gespräch am Rande des „Open Space“
D
r. Sylvia Dennerle, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit
an der HfMDK, koordinierte den anderthalbjährigen Leitbild-Prozess. Mit Peter Wattler-Kugler begleitete ihn ein Diplom-Psychologe der iD Innovative Dienste Köln als externer Moderator. Mit beiden unterhielt sich Björn Hadem über Sinn und Verlauf des Leitbildprozesses.
6
Am Ende gibt es nur Gewinner
Was ist ein Leitbild und welche Bedeutsamkeit kann es für eine
War die Konzeption des Leitbilds auch eine Pflichtaufgabe?
Institution wie die Hochschule gewinnen? Dr. Sylvia Dennerle Im Peter Wattler-Kugler Ein
Leitbild ist ein Instrument der Selbstver-
Sinne des Qualitätsmanagements (QM),
das an unserer Hochschule installiert wurde, ist es eine Pflicht-
ständigung nach innen und der Selbsterklärung nach außen.
aufgabe, ja. Mit dem Leitbild haben wir insofern Vorarbeit ge-
Nach innen – also in die Gemeinschaft der Studierenden,
leistet, als dass sich auf dieser Grundlage nachvollziehbare und
Lehrenden und Mitarbeiter hinein – wirkt es als Instrument der
verbindliche Qualitätsstandards und -maßstäbe entwickeln lassen.
Organisationsentwicklung. Nach außen nimmt es auf das Image Einfluss, und zwar im Sinne der Selbstverordnung, als Orien-
Peter Wattler-Kugler Ich
kenne in der Tat kein QM-System ohne
tierungsmöglichkeit z. B. für Studierende, die sich für ein
dazugehörige Standortbestimmung. Strittige Fragen gibt es in
Studium an der HfMDK interessieren. Im Leitbild gehen Beschrei-
jeder Institution zu klären. Zum Beispiel beim Thema Finanzen,
bung des Status quo und des Wünschenswerten, das noch
also wofür begrenzt zur Verfügung stehende Mittel ausgegeben
nicht erreicht ist, ineinander über.
werden sollen. Derlei Fragen lassen sich entweder auf der Machtebene klären, also in der Vorstandsetage eines Unterneh-
Frau Dennerle, wie ist die Hochschule in den Leitbildprozess
mens oder im Hochschulpräsidium, oder aber demokratisch
hineingewachsen?
aushandeln. Letzteres ist der HfMDK gelungen, wenngleich diese Art der Mitbestimmung „von unten“ hier und da Ängste
Dr. Sylvia Dennerle Die
Hochschule hatte vor Beginn des Leitbild-
und Zweifel ausgelöst haben dürfte.
prozesses eine Ausschreibung gemacht – ein externer Berater sollte den Prozess begleiten, indem er dabei assistiert und
Gab es Ängste und Zweifel, die zu einem Boykott des Prozesses
moderiert, Ziele und Aufgaben der Hochschule zu formulieren,
hätten führen können?
Standards festzulegen und Grundsätze zur Kommunikation Dr. Sylvia Dennerle Einen
festzuschreiben.
Boykott haben wir von keiner Seite erlebt,
wohl aber anfängliche Zweifel selbst in der federführenden
Gab es denn bislang kein Leitbild für die Hochschule?
Steuergruppe des Leitbildprozesses: Was bezwecken wir damit, lohnt sich der gesamte Aufwand überhaupt?
Dr. Sylvia Dennerle Es
existierte ein weit über zehn Jahre altes
Leitbild, das ein heute emeritierter Hochschulprofessor formu-
Und die Steuergruppe war selbst paritätisch besetzt?
liert hatte und aus dem unser jetziger Hochschulpräsident Thomas Rietschel nach seiner Amtsübernahme eigene Leit-
Dr. Sylvia Dennerle Ja!
gedanken entwickelte. In den vergangenen Jahren jedoch hat
Angehörigen aller Hochschulgruppen – also sowohl Studieren-
– Das achtköpfige Gremium bestand aus
sich so vieles in der Hochschule verändert, so dass eine
den wie auch Lehrenden, Verwaltungsmitarbeitern und Mit-
komplette Neuformulierung an der Zeit schien. Die Umstruktu-
gliedern des Präsidiums. Dieses Gremium hat – neben dem
rierung aller Studiengänge durch den Bologna-Prozess, die
Hochschulalltag – in insgesamt 18 jeweils gut dreistündigen
Autonomisierung der Hochschule durch ein neues Hochschul-
Sitzungen getagt, das heißt deren Mitglieder haben damit ein
rahmengesetz, aber auch die öffentliche „Schuldenbremse“
Engagement an den Tag gelegt, das große Anerkennung verdient.
sowie der vielerorts zu beobachtende Kulturabbau stellen die Hochschule vor deutlich veränderte Aufgaben im Vergleich zu
Welche Ängste waren spürbar?
vor zehn Jahren. Daher erschien es dringlich, sich als Hochschule neu zu verorten: Wer sind wir, was wollen wir, wo
Dr. Sylvia Dennerle Zum
einen die anfängliche Skepsis und Angst,
wollen wir hin?
dass das alles nur eine oberflächliche Marketingaktion ist, aber auch die Angst vor dem Unbekannten – vor dem, was der Prozess bringt.
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Stoffsammlung beim „Kick Off“ 8
Am Ende gibt es nur Gewinner
Herr Wattler-Kugler, welche Ängste konnten Sie als Außen-
Peter Wattler-Kugler Das ist eine große Zahl für eine derartige
stehender wahrnehmen?
Unternehmung! Anfangs waren vor allem viele Studierende aktiv, im Verlauf des Prozesses verlagerten sich die Arbeits-
Peter Wattler-Kugler Ich möchte hier nicht spekulieren – und
schwerpunkte stärker auf die hauptamtlichen Kräfte der
finde auch, dass mir als Externem das nicht zusteht. Unter dem
Hochschule. Sie haben dabei geholfen, im Pool von Wünschen
Mantel scheinbarer Objektivität würde ich hier Hypothesen
und Vorstellungen das Wesentliche von Dingen zu trennen,
verbreiten, gegen die sich die Betroffenen nicht einmal zur
die für ein Leitbild zu sehr ins Detail gehen. Damit ein solcher
Wehr setzen können. Das will ich nicht. Spürbar war für mich
Prozess den langen Atem behält, braucht es übrigens einen
gleichwohl bisweilen die Sorge, dass die Leitungsgremien
„owner“, der den Prozess aus tiefem Interesse zu „seiner
der Hochschule das Leitbild in einer Art Auslegungshoheit als
Sache“ gemacht hat. Im Fall Ihrer Hochschule war das Thomas
Instrument etwa für Mittelkürzungen einsetzen, ohne dass die
Rietschel als Präsident der HfMDK.
Betroffenen konsultiert und in die Entscheidungen einbezogen werden. Aber es wäre doch absurd, wenn ein Leitbild in einem
Bringt solch ein Prozess am Ende Gewinner und Verlierer hervor?
partizipativen Prozess verabschiedet würde, um es anschließend dafür zu nutzen, autokratische Entscheidungen durchzusetzen.
Peter Wattler-Kugler Ja, es wäre naiv, das zu bestreiten, auch wenn
Da müssen sich die Gremien auch an der kommunikativen
der Prozess auf Fairness angelegt war und diese Fairness in
Kultur messen lassen, die mit der Diskussion um das Leitbild
der HfMDK bis auf wenige Ausnahmen auch gewahrt wurde.
sicher eine Stärkung erfahren hat.
Aber wenn es um Interessen geht, dann gibt es auch immer widerstreitende Interessen. Und solche, die sich durchsetzen –
Welche sonstigen Hürden mussten genommen werden, um
das wären die Gewinner –, aber auch solche, die mit ihren
den Prozess erfolgreich zu starten?
Anliegen nicht in der gewünschten Weise zum Zug kommen. Die durchgängige Orientierung an Konsens hat aber dazu ge-
Peter Wattler-Kugler Den meisten Beteiligten war am Anfang ja
führt, dass niemand mit seinen Wünschen einfach „abgebügelt“
gar nicht klar, wie das Prozessgeschehen genau aussieht.
wurde – und das war mir als Moderator der entsprechenden
Und es sollte parallel zum sowieso schon aufreibenden Hoch-
Veranstaltungen auch wichtig. Insofern: Wenn es Verlierer
schulalltag laufen, was einen hohen Koordinationsaufwand
gegeben hat, dann sind es diejenigen, die sich in den Prozess
bedeutete, vor allem für Sylvia Dennerle. Solch ein Aufwand
einfach nicht eingebracht haben.
lohnt sich natürlich nur, wenn eine Institution nachher wirklich mit dem Leitbild arbeitet und es keine Alibiveranstaltung ist,
Dr. Sylvia Dennerle Dem kann ich mich anschließen. Mir hat
weil es für die Akkreditierung von Studiengängen nun
besonders gefallen, dass das Klima wechselseitigen Interesses
mal verlangt wird.
und Verstehens den Prozess fast durchgängig geprägt hat. Wer allerdings allzu kompromisslos nur auf die Durchsetzung
Lässt sich bilanzieren, wie viele Menschen sich mit dem
seiner Anliegen gepolt und nicht bereit war, sich zu bewegen,
Leitbildprozess an der Hochschule auseinandergesetzt bzw.
der hat mit hohem Einsatz gespielt – und im Zweifel auch
sich an ihm beteiligt haben?
verloren. Aber das war meines Erachtens kaum der Fall. Was mir besonders wichtig ist: Unter den Fachbereichen gab es
Dr. Sylvia Dennerle
Wir haben überschlagen, dass sich knapp 20
ausdrücklich keine Gewinner oder Verlierer. Hier hat es viel
Prozent aller Hochschulangehörigen kontinuierlich in den
Bewegung auf einander zu gegeben – und insofern sind wir
Prozess eingebracht haben. Viele weitere waren zumindest in
doch eigentlich alle Gewinner.
einer der Großveranstaltungen dabei.
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F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
Welche neuen Erkenntnisse brachte Ihnen der Prozess ein?
Dr. Sylvia Dennerle
Zuvorderst die Erkenntnis, dass in unserer
Was ist in der Zukunftskonferenz vorgefallen?
Dr. Sylvia Dennerle
In dieser Veranstaltung mit 48 ausgesuchten
Gemeinschaft der direkte Kontakt zwischen den Personen
Beteiligten verschiedener Interessengruppen – darunter auch
wichtig ist, die unmittelbare Diskussion. Das haben wir daran
externe Gäste wie die späteren „Arbeitgeber“ der Studierenden –
erkennen können, dass eine Prozessbeteiligung auf elektro-
sollte ein erster Leitbildentwurf in Diskussion gehen, wurde aber
nischem Wege, also über das Internet und den Leitbild-Blog,
massiv abgelehnt, weil er vielen zu konsenslastig erschien.
überhaupt keine Resonanz gefunden hat. Gleichwohl war das
Dieser Protest brachte den Prozessplan ziemlich durcheinander,
Internet ein Garant für dauerhafte Transparenz des Diskussions-
weil wir zunächst ganz kurzfristig den Ablauf der Zukunftskon-
stands. Der Prozess hat an der Hochschule sicher eine neue
ferenz ändern mussten – und dann natürlich die komplette
Gesprächskultur etabliert, die hoffentlich wegweisend ist.
Prozessarchitektur.
Und schließlich beförderte das kommunikative Miteinander Auf der Metaebene wurde die Zukunftskonferenz
wertvolle Themen an die Oberfläche, die gar nicht so eng mit
Peter Wattler-Kugler
dem Leitbild verknüpft schienen. Ich denke da an das Thema
dann aber doch zum Erfolg. Der scheinbare Prozessfehler offen-
„Künstlerische Forschung“, das bereits in einer fachbereichs-
barte, wie es an dieser Hochschule gelingen kann, mit Ambiguität
übergreifenden Arbeitsgruppe jenseits des nun abgeschlos-
und Ambivalenz konstruktiv umzugehen – genau das ist
senen Leitbildprozesses diskutiert wird. „Künstlerische For-
nämlich geschehen.
schung“ war zu Beginn übrigens ein kritisches Thema, was schließlich sogar expliziten Eingang in den Leitbildtext gefunden
Der Senat der HfMDK hat das Leitbild im Februar 2014
hat. Ganz klar ist für uns auch, dass der Prozess Menschen
nach fast zweijähriger Diskussion abgesegnet. Ist damit das
verschiedener künstlerischer Herkunft an einen Tisch gebracht
angestrebte Ziel erreicht?
hat, was eine Perspektivbereicherung für alle Beteiligten war und bleibt.
Dr. Sylvia Dennerle
Uns ging und geht es nicht darum, den Text als
Tafel oder gar Manifest im Eingangsfoyer wie eine Hausordnung Peter Wattler-Kugler
Das Leitbild stieß viel Neues an, was ohne
aufzuhängen. Uns ist viel wichtiger, dass Aspekte des Leitbildes
den Prozess nicht so beschleunigt in den Vordergrund gerückt
in der Diskussion lebendig bleiben. Das schließt ausdrücklich
wäre. Wenngleich dieser nun beendet ist, so aber nicht die
ein, dass Aussagen auch kritisch hinterfragt werden können.
Diskussion über dessen Inhalte: Revisionen sind möglich – und
Das Leitbild ist kein „Evangelium“, das zeitlos Gültigkeit hat. Auf
sicher alle paar Jahre auch nötig, wie die Erfahrung andern-
der formalen Ebene hat uns der Leitbildprozess neue Veranstal-
orts zeigt. Zu den Überraschungen zählte die Feststellung, dass
tungsformate nahegebracht, die wir in Arbeitsgemeinschaften
die Zeiträume in verschiedenen Phasen des Prozesses zu klein
und Gremien weiter ausprobieren möchten. Das Format „World
angesetzt waren. Nach einem halben Jahr wussten – trotz breit
Café“ beispielsweise hat sich bei einer Lehrendenvollversamm-
gestreuter Kommunikation – immer noch nicht alle Studierende
lung als sehr fruchtbar erwiesen. Äußerlich hat sich in der Leit-
und Lehrende, dass ein Leitbildprozess im Gang war. Auch
bilddiskussion eine grafische Bild- und Symbolsprache entwickelt,
war der Prozess noch nicht allzu tief im Bewusstsein der
die wir mittlerweile in unser Hochschul-Erscheinungsbild
Fachbereiche angekommen, als die Zukunftskonferenz statt-
integriert haben – so auch in diese FiT-Ausgabe.
fand – sie war im Prinzip zu früh terminiert. Peter Wattler-Kugler
Immer dort, wo in der täglichen Arbeitsrealität
eine Diskrepanz zwischen Ist- und Soll-Zustand offenbar wird, kann das Leitbild hilfreich sein, denn es beschreibt den Soll- Zustand und gangbare Wege dorthin. Dabei darf das „Soll“ immer auf dem Prüfstand stehen und gegebenenfalls der Realität dynamisch angepasst werden.
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Am Ende gibt es nur Gewinner
Dr. Sylvia Dennerle So findet sich beispielsweise der Leitbildsatz von
der „Teilhabe aller Menschen an den Künsten“ bereits in manchen offiziellen Hochschultexten oder in einer Image-Anzeige. Wir wollen ja schließlich mit unserem Leitbild arbeiten, es immer wieder in Ausschnitten nach innen und außen transportieren. Herr Wattler-Kugler, Sie haben schon viele LeitbildProzesse begleitet – ist Ihnen bei uns etwas Hochschulspezifisches aufgefallen? Peter Wattler-Kugler Mir hat hier sehr gefallen, dass im Laufe des
Prozesses sehr viel Wert auf äußere Ästhetik gelegt wurde – vieles war schön installiert und arrangiert –, zwar nicht ganz überraschend für eine Kunsthochschule, aber eben doch etwas Besonderes! Auch die Ernsthaftigkeit des Ringens um die richtigen Worte beeindruckte mich tief. Dr. Sylvia Dennerle Hieran hatte ohne Frage Dieter Heitkamp, unser
Professor für Tanz und Direktor des Ausbildungsbereiches Zeitgenössischer und Klassischer Tanz, einen wesentlichen Anteil; er hat den Prozess mit seiner Kreativität auch atmosphärisch zu einem Erlebnis gemacht. Seine Beamer-Präsentationen, aber auch die inspirierenden choreografischen Elemente mit Tänzern haben den Prozess sinnlich gemacht. Ich möchte zudem die Gelegenheit nutzen, noch einmal allen zu danken, die sich weit über ihre Pflichtverantwortung hinaus in den Leitbildprozess eingebracht haben – ganz gleich, ob Lehrende, Studierende, Verwaltungskollegen oder externe Beteiligte. Diese knapp zwei Jahre wären ohne so viel Herzblut der Mitwirkenden nicht so erfolgreich verlaufen. bjh
Peter Wattler-Kugler und Sylvia Dennerle im Gespräch.
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Leitbildprozess
SAMMLUNGSPHASE, IDEENGENERIERUNG
20. NOV 2012
KICK-OFF Diskussion im Online-Forum und auf Stellwänden im Foyer
15. JAN 2013
IDENTIFIZIERUNG VON ENTWICKLUNGSPOTENZIALEN BEARBEITEN DES LEITBILDENTWURFS
24. APR 2013
OPEN SPACE Konsense und Streitpunkte werden gesammelt
SYMPOSIUM Formulierung eines ersten Textvorschlags zum Leitbild
3. JUL 2013
ZUKUNFTSKONFERENZ Neuer Textentwurf auf Grundlage bisheriger Prozessergebnisse
20. NOV 2013
GRUPPENVOTEN Meinungsbildung zum neuen Textentwurf in den Fachbereichen, dem AStA und der Verwaltung
12. DEZ 2013
CLOSE UP! Überarbeitung und Klärung kontroverser Kernthemen des zweiten Leitbildentwurfs
5./6. FEB 2014
ÖFFENTLICHE REDAKTIONSKONFERENZ Formulierung eines dritten Leitbildentwurfs
UMSETZUNGSPHASE
10. FEB 2014
SENAT Beschluss des neuen Leitbilds der Hochschule
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F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
Von Boris Rhein, Hessischer Minister für Wissenschaft und Kunst
M
odernste Ausbildung auf höchstem Niveau – das
muss der Anspruch der einzigen Hessischen Hochschule für Musik, Theater und Tanz sein. Und um es gleich vorwegzunehmen, diesem Anspruch werden die Lehrenden wie auch die Studierenden Tag für Tag gerecht. Die HfMDK ist ein in vielen Facetten funkelnder Solitär in der hessischen Hochschullandschaft, auf den ich sehr stolz bin. Stets die Exzellenz der Lehre im Blick – ohne den künstle-
Die heute hier geleistete Arbeit bildet die Basis unserer Kultur
rischen Anspruch aus den Augen zu verlieren, so habe ich
von morgen. Um dieser Herausforderung gewachsen zu sein,
die HfMDK kennengelernt.
bietet die HfMDK eine moderne, praxisorientierte Ausbildung, die auf einem großen Erfahrungsschatz und dem hohen Enga-
Derzeit fördert und fordert die Hochschule insgesamt 900
gement aller Beteiligten fußt. Sie ist der Ort in Hessen, an dem
Studierende in der Instrumental- und Gesangsausbildung, beim
junge Menschen aus der ganzen Welt zu Künstlerpersönlich-
Komponieren oder Dirigieren, dem Musiktheater, der Regiearbeit,
keiten heranreifen.
dem zeitgenössischen oder klassischen Tanz. Insgesamt konzentriert die HfMDK inzwischen mehr als 20 Studiengänge
Doch eine Hochschule für Musik, Theater und Tanz hat
unter einem Dach. Diese Konzentration im Bereich Musik,
nach meinem Selbstverständnis nicht nur die Aufgabe junge
Theater und Tanz, die viele gemeinsame Projekte der jeweiligen
Menschen auszubilden oder wissenschaftliche Erfolge zu
Abteilungen hervorbringt, ist nach meiner festen Überzeugung
verzeichnen – eine solche Institution ist auch dazu da, immer
das Geheimnis des Erfolgs und somit die große Stärke
wieder gezielte künstlerische Impulse zu setzen. Auch diesem
der Hochschule.
Anspruch wird die HfMDK vollumfänglich gerecht. Rund 200 Konzerte und Veranstaltungen pro Jahr belegen das eindrucksvoll und zeigen zudem, wie sehr die Hochschule in der RheinMain-Region vernetzt ist. Damit übernimmt die HfMDK ein Stück gesellschaftliche Verantwortung. Dafür bin ich sehr dankbar, denn dies ist heute leider keine Selbstverständlichkeit mehr. Und so kann mein Fazit nur positiv ausfallen: Die ehemalige „Anstalt für Musik“ hat die ihr 1878 zugedachte Rolle längst erweitert. Sie ist eine über die hessischen Grenzen hinaus anerkannte Hochschule für Musik, Theater und Tanz sowie ein Aushängeschild und damit ein Schwergewicht des hessischen Kulturlebens.
Wir sind Hessens Hochschule für Musik, Theater und Tanz und eine bedeutende Institution des hessischen Kulturlebens.
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Autonom und akzeptiert
Wir handeln im gesellschaftlichen Auftrag.
autonom und akzePtIert
Weder die Autonomie der Kunst noch die der Wissenschaft, beides grundgesetzlich in Artikel 5, Abs. 3 GG geschützt, wird durch diese Fragen eingeschränkt. Es geht vielmehr darum, sich klarzumachen, dass die HfMDK sich immer rückvergewissern
Von Albrecht Eitz, persönlicher Referent
soll, was sie tut. Dies führt zu Diskussionen innerhalb der Hoch-
des HfMDK-Präsidenten
schule über deren Ausrichtung. Diese wiederum finden ihren Niederschlag in Entwicklungsplänen und in Entscheidungen.
D
ie HfMDK ist nicht allein. Auch wenn sie als einzige
Wenn neue Themenfelder durch Lehre und Forschung besetzt oder andere aufgegeben oder verändert werden sollen, dann
Einrichtung ihrer Art in Hessen keine direkte Konkurrenz hat.
muss das Handeln im gesellschaftlichen Auftrag hierbei
Sie ist eine staatliche Hochschule, die zum allergrößten Teil
eine Rolle spielen. Nur dadurch erlangt die Hochschule jene
öffentlich finanziert wird und somit in der Verantwortung steht,
Akzeptanz und jene Legitimation, die es ihr ermöglichen,
zum Nutzen und Frommen der Gesellschaft tätig zu sein. Dies
autonom und selbstbewusst ihre Ausbildung anzubieten. Jene
bedeutet nicht, dass staatlicherseits nun bestimmt werden soll,
Rückvergewisserung dient solchermaßen der Erdung und
was hier unterrichtet wird. Dies wäre ein unangemessenes Ver-
der Verankerung in der Gesellschaft. Es geht weder darum,
ständnis von Hochschulautonomie. Gleichwohl hat die Gesell-
Befehlsempfänger zu sein, noch Auftragskunst oder Auftrags-
schaft ein Interesse daran, zu erfahren, was hier geschieht und
forschung zu produzieren, sondern vielmehr darum, mit feinem
in welcher Qualität die Ausbildung vonstattengeht. Und natürlich
Sensorium die berechtigten Ansprüche der Gesellschaft an
interessieren hierbei auch die Inhalte: Besetzt die HfMDK
das Wirken der Hochschule zu erfassen und darauf adäquat zu
gesellschaftlich relevante Themen? Können ihre Absolventinnen
reagieren: durch hervorragende Ausbildung in messbar hoher
und Absolventen mit den hier erworbenen Fähigkeiten in die
Qualität bei gleichzeitigem Bewusstsein für die Kosten dieses
Gesellschaft wirken? Erfüllt die Hochschule ihren Auftrag?
Tuns. Denn auch dies gehört zum Handeln im gesellschaftlichen Auftrag: Wer für sein sinnvolles und nützliches Tun das Geld der Steuerzahler ausgibt, muss verantwortungsbewusst und sparsam mit den ihm anvertrauten Ressourcen umgehen. Dieses Handeln wiederum erhöht die Akzeptanz für die Institution: Wer nachweisbar mit vernünftigem Mitteleinsatz gute Ausbildung für die Gesellschaft leistet, der hat gute Argumente, wenn es um neue Vorhaben geht, für die möglicherweise zusätzliche Mittel benötigt werden.
Für mich zeigt sich das „Ebenbild Gottes“ in der
Staat und Gesellschaft haben die HfMDK mit dem grundgesetz-
schöpferischen, kreativen Seite des Menschen. Weil
lichen Auftrag ausgestattet (Artikel 12 GG), als Ausbildungsstätte
erst dadurch der Mensch zum Mensch wird, stehen
für Kunst und Wissenschaft zu fungieren. Die Hochschule tut gut
gerade wir in der Verantwortung, einer Gesellschaft,
daran, sich dieser Verantwortung zu stellen, den erteilten Auftrag
die immer mehr nur zählbare und wirtschaftliche
immer wieder neu anzunehmen, ihr Studienangebot, ihre Aus-
Ergebnisse verlangt, den wahren Grund unseres
richtung und ihre Qualität zu prüfen und zu hinterfragen, um sich
Menschseins vor Augen zu halten.
solchermaßen gut justiert den vielfältigen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft stellen zu können und dabei stets
PhiLiPPe schWarZ, student FÜr Posaune
im gesellschaftlichen Auftrag zu handeln. 15
F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
oFFenheIt alS chance Von Friederike Kreft, Internationale Angelegenheiten
Z
um Leitbild-Prozess stieß ich erst kurz vor dem „Close Up!“
Die Antwort auf diese Fragen muss ich Ihnen schuldig bleiben.
und staunte nicht schlecht über den Satz, der vermutlich am
Und da er nun mal im Leitbild steht, können wir auch gleich das
engsten mit meinem Arbeitsgebiet verbunden ist. Was wollen
Beste daraus machen. Denn im Grunde bin ich – bei aller Irri-
wir damit aussagen? Der Satz ist so offen, dass man ihm vor-
tation über die Unschärfe – ganz froh, dass der Satz geblieben
werfen kann, nichtssagend zu sein. Er gibt nicht einmal Auskunft
ist. Er bestätigt, was niemand leugnen kann, und bietet – gerade
darüber, ob wir die Internationalität der HfMDK schätzen, för-
Dank der Unschärfe – die Chance, ihn kreativ und grenzenlos,
dern wollen oder lediglich hinnehmen. Er beschreibt nur unsere
in fast anarchischer Weise zu interpretieren. Das zumindest
Realität. Denn dass die HfMDK mit ihren 30 Prozent an internatio-
wünsche ich mir.
nalen Studierenden und einer international mobilen und vernetzten Studierenden- und Lehrendenschaft das Label „international“
„Unsere Gemeinschaft ist international“ enthält kein offensicht-
verdient, kann niemand leugnen. Aber soll uns das Leitbild nicht
liches Ziel, keine klare Vision und keine Hinweise auf noch
als Wegweiser für unsere weitere Entwicklung dienen?
vorhandenes Entwicklungspotenzial. Das gibt uns die Freiheit, ihn mit allem zu füllen, was wir wichtig und gut an der Interna-
In der abschließenden Redaktionskonferenz wurde darauf hin-
tionalität unserer Gemeinschaft finden. Wir müssen es nur
gewiesen, dass das Leitbild an vielen Stellen konkrete Ziele
tatsächlich auch aktiv und innovativ tun und dürfen den Satz
formuliert, die mit dem Thema Internationalität verbunden sind.
nicht als Tatsachenbeschreibung einfach stehen lassen.
Und tatsächlich finden sich unter anderem folgende Textstellen, die zur Interpretation dienen können: „Wir profilieren uns als
Ich verstehe darunter z. B. den Austausch über die unter-
aktiver Partner in einem weitreichenden Umfeld regionaler,
schiedlichen Musik-, Theater- und Tanzkulturen, die unsere
nationaler und internationaler Netzwerke […] Wir erleben Diver-
internationale und international mobile Studierenden- und
sität als Bereicherung und dulden keine Diskriminierung.“
Lehrendenschaft an die Hochschule bringt, noch gezielter
Verzeihen Sie, dass ich meine Irritation trotzdem nicht abschüt-
und möglichst sichtbar zu pflegen – um nicht zu sagen zu
teln kann. Die HfMDK hat so lange an dem Leitbild gefeilt, hat
„institutionalisieren“. Dazu gehören aber auch schwierige
Ziele, Mindestanforderungen, Arbeitsaufträge und Wünsche
Debatten, z.B. über den Stellenwert von Deutschkenntnissen
formuliert, dass die Unschärfe von „unsere Gemeinschaft ist
oder wie gut – oder schlecht – sich Auslandssemester in
international“ für mich umso stärker hervorsticht. Oder anders
Studienprogramme integrieren lassen.
gefragt: Warum ist dieser Satz im Leitbild geblieben, wenn sich seine Aussage ohnehin nur aus dem Kontext ergibt? Warum
Ihnen fallen gewiss noch viele andere Fragen, Themen und
streichen wir ihn nicht gleich ganz?
Ideen zur „Internationalität“ ein. Ich würde mich freuen, wenn ein stetiges, bereichsübergreifendes Brainstorming stattfindet. Mit so vielen kreativen Menschen unter einem Dach sollten sich immer neue Formen finden lassen, die Internationalität unserer Gemeinschaft mit Leben zu füllen.
Unsere Gemeinschaft ist international.
16
Kooperationen schärfen das Profil
Wir profilieren uns als aktiver Partner in einem weitreichenden Umfeld regionaler, nationaler und internationaler Netzwerke und renommierter Kulturinstitutionen.
Von Dr. Julia Cloot, Kuratorin und stellvertretende Geschäftsführerin des Kulturfonds Frankfurt RheinMain
E
ine Hochschule lebt vom sinnvollen Zusammenspiel
Hochschulen sind Ausbildungseinrichtungen, gleichzeitig
zwischen ihren Innen- und ihren Außenperspektiven. Die Balance
jedoch aktive Mitgestalter eines städtischen und eines regionalen
zwischen beidem zu halten, ist eine der vordringlichen und zu-
Kulturlebens. Für die HfMDK gilt dies in besonderem Maße,
gleich eine der schwierigeren Aufgaben der Hochschulgremien
denn sie ist als einzige Musikhochschule in Hessen eine viel-
und ihres Präsidiums.
gefragte Partnerin. Konzeptionell profilierte Projekte wie „Mein Lieblingsstück“ in der Alten Oper Frankfurt, die Konzertreihe
Die HfMDK hat in den letzten zehn Jahren nicht nur die
„Bestiarium“ im Naturmuseum Senckenberg oder die Regie-
Zusammenarbeit zwischen ihren einzelnen, sehr verschieden
arbeiten in den umliegenden Theatern zeigen deutlich, dass die
ausgerichteten pädagogisch-künstlerischen Abteilungen ver-
HfMDK nicht nur reaktiv mit an sie herangetragenen Angeboten
bessert, sondern auf dieser Basis zugleich ein breites Netz an
aus dem Kulturleben umgeht, sondern aktiv künstlerische Pro-
Kooperationen aufgebaut.
zesse mitgestaltet und dabei mit eigenen Ideen an mögliche Partner herantritt.
Die Liste der regionalen Partner mit internationaler Strahlkraft liest sich beeindruckend: Die Alte Oper, das Ensemble Modern,
National ist die Hochschule dort vernetzt, wo es thematisch
das Künstlerhaus Mousonturm, die Oper und das Schauspiel
sinnvoll ist, wo eine profilierte Ausrichtung ihrer besonderen
Frankfurt oder das Rheingau Musik Festival sind als regelmäßige
Schwerpunkte wie die Alte oder die Neue Musik, das Schauspiel
Gastgeber für die Hochschule darunter. Kaum eine bedeutende
oder der zeitgenössische Tanz Möglichkeiten der Kooperation
Institution in Hessen, die nicht Mitglied in einem fest oder lose
eröffnen. Kommt eine so bedeutende Zusammenarbeit zustande
mit der HfMDK verbundenden Vorhaben wäre. Das Spektrum
wie das 2006 im Rahmen des Tanzplans der Kulturstiftung des
umfasst dabei auch sämtliche hessische Theater (sehr wichtig
Bundes eingerichtete, immer noch bestehende Tanzlabor 21,
für eine Hochschule, in der für die Darstellenden Künste kein
so ist dies für die Hochschule eine bedeutende Auszeichnung
eigener Theatersaal zur Verfügung steht) und alle anderen Aus-
und zeigt, dass die HfMDK als starke Partnerin wahrgenom-
bildungsinstitute der Region.
men wird.
kooPeratIonen SchärFen daS ProFIl 17
F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
In den kommenden Jahren sollte die Hochschule ihre Netz-
Ihre internationale Vernetzung kann die Hochschule noch
werke ausbauen und schärfen. Dazu gehört auch, sich nicht an
verbessern. Mit der in Kooperation mit dem Ensemble Modern
jeder Kooperation zu beteiligen, sondern die künstlerische
angebotenen Internationalen Ensemble Modern Akademie oder
Ausrichtung der Hochschule und die feste Anbindung von
der Kronberg Academy für Streicher besitzt die Hochschule
Projekten an den Lehrbetrieb zum Kriterium für sinnvolles
international wahrgenommene Masterstudiengänge. Potenzielle
Netzwerken zu machen. Der Wert, den eine Zusammenarbeit
Stipendiat/innen aus aller Welt bewerben sich hier. Im Bereich
für die Arbeit der Lehrenden und Studierenden hat, sollte die
anderer spezialisierter Studiengänge sind darüber hinaus
Auswahl der Partner bestimmen, nicht umgekehrt. Der Aufbau
vielleicht internationale Hochschulkooperationen möglich, Pro-
einer Abteilung für Qualitätsmanagement in den letzten drei
gramme mit wechselseitigem länderübergreifendem Austausch.
Jahren trägt indirekt zur Qualitätssicherung auch für die
Die Zusammenarbeit der Gesangsabteilung mit der Internatio-
Netzwerke der HfMDK bei.
nalen Eötvös Foundation und dem angegliederten Institut in Budapest 2013 ist ein solches Beispiel für eine gelungene, aus- bildungsbezogene Vernetzung. Auf diesem Weg gibt es für die HfMDK noch Möglichkeiten – mit der Qualität ihrer Lehrenden, ihres Studienangebots und ihrem kreativen Potenzial hat sie alle Voraussetzungen dafür!
Grundversorgung
18
Kunst kommt von Können
Freiheit der Kunst, Großzügigkeit, Intuition und Leidenschaft bestimmen den Geist unserer Hochschule.
kunSt kommt von kÖnnen Von Fabian Menzel, Professor für Oboe an der HfMDK
D
er Bitte, mich zu diesem Satz kurz zu äußern, komme
ich insofern gerne nach, als ich ihn aus Sicht eines Pädagogen und Musikers für die berufliche Praxis und den pädagogischen Alltag beleuchten möchte. Freiheit der Kunst – Zumindest komponierte Werke als schon
denn mit Leidenschaft, Intuition und Großzügigkeit allein erreicht
exisitierende Musik haben Grundlagen, denen wir Musiker als
man in der Musikausbildung wenig. Die Beherrschung des Instru-
nachschaffende Künstler verpflichtet sind und die es zu ergründen
ments und die dafür notwendige Erarbeitung der methodischen
gilt. Dies ist zunächst ein geistiger Prozess. Quellen- und Partitur-
Grundlagen sind eine conditio sine qua non und stehen an
studien, Handschriftenkenntnis, biographische Daten des Kom-
erster Stelle. Um sie zu vermitteln, muss der Lehrer immer wieder
ponisten und vieles mehr können eine Basis schaffen, auf der
versuchen, sich in den jeweiligen Schüler mit seinen individuellen
das Werk selbstbestimmt interpretiert werden kann. Aus Sicht
Möglichkeiten hineinzuversetzen und adressatenbezogen die
des Studierenden ist dieser Begriff noch weiter zu differenzieren;
Voraussetzungen für einen natürlichen, unverkrampften Umgang
Kunst kommt von Können. Gerade heute muss verstanden werden,
mit dem Instrument zu vermitteln. Nun folgt, teilweise auch
dass Wissen und Wollen nicht gleich Können ist. In der Musik-
parallel, das Studium des Notentextes hinsichtlich Werktreue. Im
ausübung ist Wissen natürlich wichtig, steht aber nicht am
nächsten Schritt erfolgt die Verknüpfung der genannten Belange.
Anfang. Im Gegenteil: Zu frühe und zu viel „Gedankenarbeit“ kann die instrumentale und künstlerische Weiterentwicklung
Dieser Entwicklungsprozess sollte vom Lehrer mit Leidenschaft,
be-, wenn nicht sogar verhindern.
Intuition und Großzügigkeit begleitet werden. Durch den Erwerb instrumentaler Kompetenzen und die Suche nach der Balance
Großzügigkeit, Intuition und Leidenschaft – benötigen für den
zwischen Handeln und Denken kann der Musiker Vorausset-
pädagogischen und musischen Alltag eine Präzisierung. Der
zungen schaffen, dass Freiheit in der Kunst auf der Bühne
Schüler sollte leidenschaftlich, intuitiv und mit einer gewissen
entstehen kann. Die Balance zu finden zwischen dem Handeln
Großzügigkeit sich selbst gegenüber seine Fähigkeiten und
und dem Denken, ist für alle ausübenden Musiker ein immer
Möglichkeiten ausloten, um später selbstbestimmt künstlerisch
wieder hoher Anspruch. Wenn dieser erfüllt ist, sind Leidenschaft
aktiv sein zu können. Für den Lehrer gibt es für eine in diesem
und Intuition hilfreich, damit Freiheit in der Kunst auf der
Sinne erfolgreiche Unterrichtstätigkeit allerdings Voraussetzungen,
Bühne entstehen kann. Geist der Hochschule – Geistiges kann durch miteinander wirkende Menschen entstehen, und eine Hochschule kann dafür Räume schaffen.
19
F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
Selbstbestimmung des Individuums, Akzeptanz divergierender Auffassungen und kritisches Bewusstsein prägen unser Selbstverständnis.
zWISchen verbIndlIchkeIt und FreIheIt Von Axel Gremmelspacher, Professor für Klavier
I
m Leitbild einer Kunsthochschule auf die Selbstbestimmung
konkreten beruflichen Ziels liegenden – Inhalten sollten
des Individuums zu verweisen, mag zunächst als Gemeinplatz er-
Studierende befasst werden, um einen breiten Horizont er-
scheinen. In einer Zeit jedoch, in der nicht zuletzt durch den
langen und eine reife Künstlerpersönlichkeit werden zu können?
Bologna-Prozess eine starke Bewegung hin zu einer direkteren
Wie kann erreicht werden, dass für angehende Musiklehrerin-
Berufsbezogenheit und größeren Stringenz von Studienverläufen
nen und Musiklehrer in der enormen Fülle und Gedrängtheit
stattfindet, muss sie in der Gestaltung von Studiengängen
der Lehrveranstaltungen, Praktika und nun bald auch des
und Hochschulstrukturen immer wieder aufs Neue in Erinnerung
Praxissemesters ein geschützter Raum erhalten wird, der es
gerufen und verteidigt werden.
ihnen ermöglicht, tief in die Auseinandersetzung mit der Kunst einzutauchen, ihre Talente, Neigungen und Vorlieben zu
Für die Studiengangentwicklung ist beispielsweise zu fragen:
entdecken, ihre eigene künstlerische Identität zu entwickeln
In welchem Maß müssen angehende Orchestermusiker auf ein
und reifen zu lassen, bevor sie mit der verantwortungsvollen
bestimmtes Kernrepertoire festgelegt werden, um für ihre Karriere
Aufgabe des Lehrens betraut werden? Um die Qualität und
solide gerüstet zu sein? Wie früh muss die Vorbereitung auf
Lebendigkeit unserer Studiengänge erhalten und verbessern zu
Probespiele ins Auge gefasst werden? Welche Freiräume hingegen
können, wird immer wieder die Balance gefunden werden
sind unerlässlich, um in vielseitigen Erfahrungen ein eigenes
müssen zwischen der Verbindlichkeit akademischer Strukturen
künstlerisches Profil finden zu können, das unter Umständen auf
und der Freiheit zum Suchen, Forschen und „Spielen“, die für
einen anderen professionellen Weg führt als den ursprünglich
selbstbestimmte künstlerische und künstlerisch-pädagogische
geplanten? Mit welchen – manchmal vermeintlich abseits des
Entwicklungen unerlässlich ist. Die in einer Institution wie der HfMDK vorzufindenden vielfältigen Meinungen, Haltungen und Kulturen von Individuen, Fächern und Fachbereichen sind dabei nicht nur zu akzeptieren, sondern stellen den reichen Schatz dar, aus dem für weitere Entwicklungen geschöpft werden kann.
20
Neugier und Lust auf Erneuerung
Wir fördern Innovation und Interdisziplinarität.
Neugier und Lust auf Erneuerung
Von Prof. Hans-Ulrich Becker, Leiter des Ausbildungsbereichs Regie an der HfMDK
W
ikipedia definiert Innovation als „neue Ideen und
zwischen Bewahren und Erneuern. Das geschieht zum Teil auto-
Erfindungen in der Wirtschaft, die zu neuen Produkten, Dienst-
matisch: Jedes Jahr kommen neue Studierende und alle paar
leistungen oder Verfahren führen, die den Markt durchdringen“.
Jahre eine neue Generation zu uns, andere Ethnien kommen
Ertappt! Jede Bank, jede Automobilfirma, jeder Computerher-
dazu, neue technische Entwicklungen erweitern die Ausdrucks-
steller schreibt sich also „Innovation“ auf seine Fahnen. Aber:
möglichkeiten, das Zerfließen von Grenzen verändert die Genres,
Wenn eine Automobilfirma ein Auto in neun Motorversionen
neue Methoden machen alte überflüssig.
und 34 Ausstattungsvarianten herausbringt, ist das noch lange keine Innovation.
Eine Definition aus den Geisteswissenschaften hilft uns weiter: Dort definiert sich Innovation als „die Suche nach neuen
Hinkt unsere Hochschule hinterher, oder will sie sich der Wirt-
Erkenntnissen oder künstlerischen Lösungswegen“. Das setzt
schaft andienen? Für mich ist Innovation kein Wert an sich, der
Neugier und Lust auf Erneuerung voraus. Dafür muss es einen
sich per Leitbild vorschreiben ließe. Jede Pflanze muss die
Raum und ein Klima, Geduld und Offenheit geben. Das ist mit
Blätter abwerfen, jede Schlange muss sich häuten, jeder Mensch
Ängsten und Rückschlägen verbunden und dem Wissen, dass
sich überprüfen, jede Kunst sich die Frage nach Zeitgenossen-
der Irrtum eine Triebfeder jeder Kreativität ist, die sich nicht in
schaft stellen. Wie im richtigen Leben geht es auch bei einem
Credit-Punkten ausdrücken lässt. Das heißt auch, dass Lieb-
so komplexen Gebilde wie einer Hochschule um die Balance
gewonnenes absterben muss, dass das „Alte“ sich immer auf
21
F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
seine heutige Gültigkeit prüfen muss und das „Neue“ auf seine Beständigkeit in der Zukunft. Damit wir nicht Ballast wie Blei herumschleppen oder jeder Mode blind hinterherlaufen. Ähnlich verhält es sich mit der Interdisziplinarität. Auch dieser Begriff kommt ursprünglich aus der Produktion. Weil sich die Realität oft gegen die arbeitsteiligen Prozesse der industriellen Produktion wehrte, mussten komplexere Ansätze gefunden werden. Die Wissenschaftler erkannten, dass die Nutzung von Ansätzen, Denkweisen oder Methoden anderer Fachrichtungen weiterhelfen, wenn die Fachidiotenbrille wieder einmal arg beschlagen ist. Historisch entstanden so neue Wissenschaften, die interdisziplinäre Ansätze verfolgten: z. B. Biochemie, Ökologie und Soziologie. An unserer Hochschule ist z. B. die Regieausbildung qua definitionem interdisziplinär: Hier kommen Geisteswissenschaften, Technik und Kunst zusammen. Aber durch die Ausweitung der Künste und den globalen Wandel sind wir alle gezwungen, über die Tellerränder hinaus zu schauen. Tänzer sprechen, Schauspieler tanzen, Musiker schauspielern, alles kann zum Musikinstrument werden, neue Notationssysteme werden gebraucht und gesucht. Aber Vorsicht! Die Gefahr besteht, dass man vor lauter „Inter“ keine „Disziplinen“ mehr sieht. Die Folge ist häufig ein EklektiVernetzung und Zusammenarbeit der verschiedenen
zismus, der alles zu einem Brei zusammenrührt. Interdisziplinari-
Fachbereiche und Studiengänge sowie Interdisziplinarität
tät sollte ein Zugewinn sein, etwas Neues, Drittes ergeben und
sind sehr wichtig: Gemeinsame Projekte von Regie-,
nicht die Abflachung der Disziplinen, das „Heruntermendeln“
Dramaturgie-, Theater- und Orchestermanagement-
auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bedeuten.
und Schauspielstudierenden sind der Versuch, eine realistische Arbeitsumgebung zu simulieren, um auf
In der HfMDK gibt es Möglichkeiten, Interdisziplinarität zu
die berufliche Zukunft vorzubereiten. Dennoch gibt es
üben. Viele Projekte zeugen davon, in der Einrichtung „Tanz der
Handlungs- und Veränderungsbedarf – solche Projekte
Künste“ können die Studierenden sogar Geld für ihre interdiszi-
sollten viel stärker in den Studienalltag integriert wer-
plinären Vorhaben bekommen. Das ist gewünscht und gewollt.
den, denn nur durch die Zusammenarbeit der unter-
Das verpflichtet die Hochschule allerding dazu, neben dem
schiedlichen Disziplinen können wir unsere derzeitige
Erhalt des status quo für Innovation und Interdisziplinarität
Theaterlandschaft stabilisieren und erhalten.
Gelder und Mittel zur Verfügung zu stellen. Und deshalb ist es gut, dass diese Verpflichtung im Leitbild fixiert ist.
raPhaeLa schWarZ, studentin theater- und orchestermanaGement
22
Mut für Schritte ins Unbekannte
Wir schaffen Freiräume für Experiment und neue Arbeitsweisen.
Von Klaus Schuhwerk, Professor für Trompete an der HfMDK
N
eben den musikalischen und technischen Fertigkeiten
Der Shaolin-Mönch, der uns seine unglaubliche innere Stärke
spielt die mentale Verfassung für den Musiker eine außerordent-
spektakulär demonstrierte. Shaolin-Mönche können mit der
lich wichtige Rolle. Je nach innerem Zustand sind wir zu extremen
Kehle einer Speerspitze widerstehen oder eine Eisenstange auf
Höchstleistungen fähig oder aber können im schlimmsten Fall
dem Kopf zerschlagen, ohne sichtbare Spuren zu zeigen oder
keinen Fuß vor den anderen setzen. Der Geist lenkt den Körper,
Schmerzen zu empfinden. Der Mönch konnte uns eindrucksvoll
und so hat mich im Laufe meiner langjährigen Hochschultätigkeit
vorführen, wozu Menschen fähig sind, wenn sie ihren Körper
dieser Umstand immer wieder dazu bewogen, in diese Richtung
und ihren Geist extrem trainieren.
zu arbeiten, zu forschen und auch zu experimentieren. Der Hochseilartist, dessen Kraft der Konzentration ihn dazu Wie immer muss man, um sich weiter zu entwickeln, auch
befähigt, auf einer „Slackline“ in 500 m Höhe ungesichert von
den Schritt ins Unbekannte wagen, und so haben sich im Laufe
einem Fels zum anderen zu balancieren. Seine Balance, Koordi-
der Jahre neben den schon erprobten und anerkannten Mental-
nation und Konzentration sind seine Lebensversicherung.
trainern auch Zen-Bogenschützen und andere außergewöhnliche, nichtmusische Fachexperten bei uns eingefunden, um den Studie-
Die Parallelen zu unserem Beruf sind offensichtlich: Auch
renden dabei zu helfen, ihre Gedanken „in den Griff“ zu bekommen.
wir müssen die Fähigkeit entwickeln, uns im entscheidenden Moment extrem zu fokussieren, um die Gedanken und somit die
Stellvertretend für die große Bandbreite an Spezialisten, die
Grundlage unserer Leistungsfähigkeit auf den Punkt zu bringen.
uns durch Vorträge, Demonstrationen und praktische Anleitungen
Die Freude am Tun sollte dabei nicht zu kurz kommen – so
wichtige Impulse geben konnten, seien hier drei erwähnt: der
hatten wir viel Spaß dabei, im Grüneburgpark auf gespannten
Mentaltrainer der deutschen Handballnationalmannschaft im
Slacklines ausgiebig zu trainieren.
Weltmeisterschaftsjahr 2007. Sein Spezialgebiet war die Auflösung unverarbeiteter, negativer Erfahrungen, sogenannter Mini-
Beindruckend, wie alle Meister ihres Fachs uns zu Höchstleis-
Traumata, welche uns in unserer Leistungsfähigkeit enorm
tungen inspirieren konnten, sei es durch ihre hohe Kompetenz als
beinträchtigen können.
Lehrmeister oder durch ihr faszinierendes, gelebtes Vorbild. Für mich selbst sind diese Begegnungen und Erfahrungen Motivation und Ansporn zugleich, immer wieder das Alltägliche zu verlassen, um sich neuen Herausforderungen zu stellen.
mut FÜr SchrItte InS unbekannte 23
auch WIr ForSchen!
monatlich trifft. Ihr Ziel ist es zu bestimmen, was denn künstlerische Forschung an unserer Hochschule sei und wie
Von Prof. Marion Tiedtke, Ausbildungsdirektorin
eine solche unser Profil schärfen könne. Das ist kein einfaches
für Schauspiel an der HfMDK
Unterfangen, denn noch beherrschen Vorurteile das Feld. Kunst hängt mit Intuition zusammen, mit dem Genius, vermittelbar
U
allein durch ein Meister-Schüler-Verhältnis – so lauten viele
nsere Hochschule ist institutionell nicht darauf
eingestellt, Forschungsaufträge und -semester zu vergeben,
gängige Argumente derer, die als Hardliner der Wissenschaft die Köpfe über uns schütteln.
geschweige denn für die Forschung Gelder bereitzustellen oder einzuwerben. Unsere personellen und finanziellen
Kunst ist ein singuläres Ereignis: Wie kann das Forschung
Ressourcen sind allein auf die Lehre ausgerichtet, damit ist
sein? Dass die Entstehung eines Kunstwerks immer mit dem
das vorhandene Budget schon ausgereizt. Dennoch gibt es
Anspruch auf Originalität verknüpft ist und daher immer
viele hochengagierte Kollegen, die neben ihrer vollen Lehr-
schon einem Forschungsprozess zugrunde liegt, ist unstrittig,
professur aus der künstlerischen Praxis heraus forschen. Sie
rechtfertigt jedoch noch nicht die Gleichung, Kunst sei Künst-
schaffen Wissenspools über Tanztechniken, sie schreiben
lerische Forschung. Dieser Meinung sind wir auch! Dennoch
Lehrbücher über Instrumentaltechniken, sie erforschen
wird es höchste Zeit, das zu benennen und zu fördern, was
Klangfarben und neue Kompositionsformen, sie arbeiten an
viele Kollegen seit langem schon an dieser Hochschule neben
Notationssytemen für Bewegung und Tanz, sie erforschen
ihrer Lehre tun: Sie forschen. Künstlerische Forschung will
Spielweisen der Darstellung. Die empirischen Wissenschaften
das singuläre Ereignis, also das Kunstereignis, in eine Erkennt-
mögen darüber die Nase rümpfen und sich fragen, wie man
nis überführen, in ein Wissen, dass aus der künstlerischen
denn in der Kunst forschen könne. Tatsächlich tun sich viele
Praxis entsteht und auf sie zurück wirkt. Der Ausgangs-
schwer, genau zu definieren, was denn Künstlerische Forschung
punkt der Künstlerischen Forschung ist an eine klare Frage-
sei, obgleich in Bochum, Berlin, Zürich, Amsterdam, Stock-
stellung geknüpft. Sie zielt auf ein Ergebnis, das im Prozess
holm, Kopenhagen, Graz und vielen anderen internationalen
selber sich verändern kann. Ihre genuinen Aufgaben sind
Städten Künstlerische Forschung längst ein fest etabliertes
Schaffung von Wissenspools, Archivierung, Begriffsklärung
und finanziell abgesichertes Unterfangen ist.
und Methodenreflexion. Schauen wir die vielen oben genannten Forschungsprojekte an dieser Hochschule an, so wird
Um zukunftsfähig zu bleiben, kann und darf sich unsere
schnell klar, dass Künstlerische Forschung neben den Wissen-
Hochschule nicht diesen neuen Strömungen entziehen, sondern
schaftsfächern endlich auch offiziell und institutionell ihren
muss selbstbewusst ihren eigenen Standpunkt vertreten und
Platz finden muss. Sie ist die Entstehung der Theorie aus der
sich institutionell neu aufstellen. Um diesem Anspruch Genüge
Praxis und wird als Theorie auf die Praxis wieder zurückwirken.
zu tun, hat sich in der Hochschule um den Präsidenten Thomas
Sie ist daher neben der Lehre unmittelbarer Bestandteil
Rietschel eine Arbeitsgruppe aus allen drei Fachbereichen
unserer Vermittlungsarbeit und zugleich ein mittelbarer
entwickelt, die sich seit dem letzten halben Jahr regelmäßig
Bestandteil für die Zukunft der Künste.
Wir fördern künstlerische Forschung.
24
Prozesse brauchen Planungssicherheit
Wir reflektieren unser künstlerisches, pädagogisches und wissenschaftliches Handeln auf Grundlage der Sicherung, Pflege und Neudeutung des kulturellen Erbes und gestalten zeitgenössische Entwicklungen mit.
ProzeSSe brauchen PlanungSSIcherheIt Von Roland Glassl, Professor für Viola
E
s ist eine beglückende Aufgabe, sich einerseits der Tradition
Unser Niveau im Hauptfachunterricht, sei es bei Professoren
verpflichtet zu fühlen und sich andererseits mit stets neuen
oder Lehrbeauftragten, hängt in erster Linie allerdings davon ab,
Anregungen, Impulsen und Ideen innovativ dem Wandel der Zeit
wie erfolgreich wir bei den Aufnahmeprüfungen sind, was
zu stellen und junge Leute entsprechend ausbilden zu dürfen.
wiederum die Attraktivität des angebotenen Unterrichts wider-
Wir sind uns als Pädagogen und Künstler bewusst, dass wir uns
spiegelt. Es ist ein jahrelanger Prozess, die bestmöglichen
in permanenter Selbstreflexion den Gegebenheiten, Möglich-
Studierenden für unsere Klassen zu begeistern. Der Prozess
keiten und zeitgenössischen Entwicklungen anpassen müssen,
ermöglicht uns, ein hohes Niveau in den Klassen zu erreichen
dass wir uns informieren, hinterfragen, austauschen und weiter-
und zu halten. Wir wünschen uns dazu eine umfassende Unter-
bilden.
stützung, die uns hilft, die Motivation so hoch wie möglich zu halten. Dafür ist ein noch größeres Verständnis der oft unter-
Eine Besonderheit unserer Hochschule ist der außergewöhn-
schiedlichen Positionen und ein noch durchlässigerer Dialog
lich große kollegiale Austausch und der gemeinsame Versuch,
auf den strukturbedingten Hochschulebenen nötig, also nicht
das individuell Beste für jeden Studierenden zu finden. Dies
nur auf horizontaler Ebene, wo er ja meist sehr gut funktioniert,
bereichert, motiviert und öffnet Lehrende wie Studierende
sondern auch auf vertikaler Ebene!
gleichermaßen auf wunderbare Weise. Uns sollte stets bewusst sein, dass auch die großartige Arbeit unserer Lehrbeauftragten,
Bei allem Bestreben nach möglichst viel interdisziplinärem
welche oft weit über das Soll hinaus geht, nicht nur ergänzender
Austausch, einem umfassenden Fächerkanon und einer damit
Unterricht ist, sondern im erheblichen Maße ebenso zur Sicherung,
verbundenen breiten Ausbildung darf der Kern der instrumen-
Pflege und Neudeutung unseres kulturellen Erbes beiträgt.
talkünstlerischen Ausbildung nicht beeinträchtigt werden! Wir brauchen Planungssicherheit bei unserer Arbeit in den Klassen
Ein universal gebildeter und ausgebildeter Musiker hat bessere
und bei den Stellenbesetzungen, sowohl bei den Professoren
Chancen auf dem modernen Arbeitsmarkt. Dafür ist eine breit
als auch bei den Lehrbeauftragen und möchten nicht das
gefächerte Ausbildung, wie sie unsere Hochschule anbietet
Gefühl bekommen – sei es gerechtfertigt oder nicht –, dass
und die unseren Unterricht stützt, fördert und über das hinaus
finanzielle Sparmaßnahmen, ein Überangebot, ein zu starkes
führt, was wir als Einzelpersonen anbieten können, unerlässlich.
Streben nach Neuerungen, Ergänzungen und Verbesserungen
Bei diesem großen Angebot sind wir in der Pflicht, die Studie-
die eigentliche Kernarbeit beschneiden oder gar behindern.
renden an die Hand zu nehmen und sie auf die Möglichkeiten
Wir sind eine Hochschule mit großem Potenzial und hohen
hinzuweisen, welche individuell sinnvoll sind.
Zielen, sollten aber nie vergessen, dass das Individuum, der Student, an erster Stelle steht und wir hier eine sehr hohe Verantwortung für die Zukunft der jungen Studierenden und letztlich für unser kulturelles Erbe übernehmen. 25
bereIt FÜr abenteuer Von Lucas Fels, Professor für interpretatorische Praxis und Vermittlung Neue Musik
Z
eitgenössische Entwicklungen werden beispielsweise in
den Kompositionsklassen und bei der an die Hochschule angeschlossenen Internationalen Ensemble Modern Akademie (IEMA) schon lange mit großer Innovation auf höchstem Niveau mitgestaltet. Im „normalen“ Instrumentalunterricht, in den Aufnahme- und Abschlussprüfungen jedoch ist es eine große Seltenheit, dass ein Werk, das die „zeitgenössischen Entwicklungen mitgestaltet“, auftaucht. Gründe dafür gibt es viele: Zeitmangel oder Bequemlichkeit sind es sicher oft, manches Mal aber auch Unkenntnis, Ignoranz oder einfach Angst davor, sein eigenes Instrument neu zu „entdecken“, neu „erlernen“ zu müssen. Dass die zeitgenössische Musik weniger Zuhörer anspricht als andere und deshalb nicht Teil der Ausbildung sein müsse, gehört meines Erachtens zur stupiden Diskussion um die „Einschaltquote“ und hat nichts mit der Notwendigkeit von heute komponierter Musik zu tun.
Heute sind Komponisten auf Interpreten angewiesen, die bereit und in der Lage sind, noch nie Gehörtes, Unspielbares, alles bisher Gekannte, „In-Frage-Stellendes“ mindestens auszuprobieren. Das heißt auch: Je innovativer und flexibler wir als Interpreten sind, je besser wir unser Instrument „kennen“, desto mehr werden wir zum „Partner auf Augenhöhe“ und gestalten zeitgenössische Entwicklungen aktiv mit. Für die Ausbildung und damit für die Studierenden erfordert dies also: das Kennenlernen des Repertoires der letzten Jahrzehnte, das Erlernen der „neuen“ Spieltechniken, eine große Experimentierfreudigkeit und -bereitschaft; größte stilistische
Noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war es für alle Instrumentalisten eine Selbstverständlichkeit, zeitgenössische Werke aus allen Stilrichtungen uraufzuführen, oft waren auch Komponist und Interpret ein und dieselbe Person.
Offenheit; der Wille, alle Werke – auch misslungene, „schlechte“ (aber ernsthaft komponierte!) – genauso ernst zu nehmen wie das andere Repertoire, die nötige Zusammenarbeit mit den Kompositionsklassen, dem elektronischen Studio, dem Institut für zeitgenössische Musik an der HfMDK. So wird die Beschäftigung mit zeitgenössischer Entwicklung ein großartiges Abenteuer werden! Die Erfahrung zeigt: Wer sich einmal darauf eingelassen hat, wird sie nicht mehr missen wollen!
Wir gestalten zeitgenössische Entwicklungen mit.
26
Ve r a n t w o r t e n u n d E i n m i s c h e n
Wir setzen uns ein für die Teilhabe aller Menschen an den Künsten.
Von Thomas Rietschel, Präsident der HfMDK
A
lle, die an unserer Hochschule als Lehrende oder
Damit formulieren die Mitglieder der Hochschule zunächst
Studierende tätig sind, teilen eine gemeinsame Erfahrung:
einmal eine Selbstverpflichtung: Sie machen deutlich, dass
Die Begegnung mit der Kunst – sei es in der Musik, im Tanz,
sie als Künstler nicht nur um sich selber kreisen, sondern sich
im Theater oder in der Literatur oder der bildenden Kunst –
aktiv darum bemühen werden, ihre Kunst weiterzutragen,
prägt ihr Leben. Sie hat es bereichert und verändert, hat
zu vermitteln.
Horizonte geöffnet, Erkenntnis geschaffen, sie hat sie berührt oder ihnen geholfen, zu sich selber zu finden. Auf Grund
Mit der Forderung nach Teilhabe aller Menschen an den
dieser Erfahrung wissen sie um die Macht der Künste und
Künsten verbinden sich auch politische Forderungen:
ihren humanen Gehalt.
keine Kürzung des Kunst- und Musikunterrichts an allgemeinbildenden Schulen und Abbau der sozialen, finanziellen
Sie sind vom Wert der Künste für den Einzelnen und für unsere
und gesellschaftlichen Barrieren, die den Zugang zu Kunst
Gesellschaft überzeugt, wissen aber auch, dass nicht alle
und Kultur erschweren.
Menschen Zugang zu den Künsten haben und deshalb ihre Überzeugung nicht teilen. Keine Kunst erschließt sich von
Nicht zuletzt artikuliert sich hier aber auch ein Anspruch
allein. Ihre Sprache muss erlernt werden, und auch gesellschaft-
an die eigene Hochschule. Ihre Mitglieder wollen keinen
liche Barrieren verstellen vielen Menschen den Zugang. Des-
Elfenbeinturm, sondern eine Institution, die nicht nur (passiv)
halb fordern die Hochschulmitglieder nicht nur die Teilhabe
für die Gesellschaft ausbildet, sondern sie auch (aktiv)
aller Menschen an den Künsten, sondern sie wollen auch
mitgestaltet, die sich mit ihren Mitteln in politische Debatten
selber aktiv dazu beitragen.
einbringt. Die Hochschule soll dazu beitragen, dass die Künste auch in Zukunft die Unterstützung und Wertschätzung erhalten, die sie brauchen.
verantWorten und eInmISchen Dass die Hochschule diesen Auftrag schon seit vielen Jahren ernst nimmt, zeigt sich daran, dass sie in den letzten Jahren die Lehrerausbildung gestärkt hat, dass sie Kooperationen wie die mit „live music now“ ausbaut und vor allem durch Projekte wie „Primacanta“, „Response“ oder „Kita-Tanz“, in denen sie sehr erfolgreich und nachhaltig wirksam Kinder und Jugendliche an die Kunst heranführt.
27
F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
Wir stellen uns den sich rasch verändernden Berufsperspektiven.
SYSteme Im Wandel Von Prof. Ingo Diehl, Leiter des Masterstudiengangs Contemporary Dance Education (MA CoDE)
U
nser Theatersystem bzw. die Kulturinstitutionen befinden
Unterschiedliche Blickwinkel auf „Handwerk als Produkt“
sich seit einigen Jahren in einem grundlegenden Wandel, der
und „Kunst als Prozess“ werden in der Vermittlung und damit
mittelfristig dazu führen wird, dass staatlich subventionierte
Ausbildung besonders auch im Tanz immer durchlässiger
Räume des künstlerischen Schaffens zunehmend verschwinden
und differenzierter, sie entziehen sich den Festlegungen und
(werden). Gerade erst wurde in Frankfurt bekannt gegeben, dass
Kodifizierungen historischer Systeme und deren institutioneller
3,8 Millionen Euro an Kulturgeldern eingespart werden sollen.
Verankerung. Es gibt nicht mehr die eine richtige Lösung oder
Diese kultur- und gesellschaftspolitischen Veränderungen ziehen
Technik, sondern vielmehr ein breites Spektrum an Ansätzen,
weitreichende Neuerungsprozesse in der Ausbildung nach sich,
die immer wieder aufs Neue hinterfragt werden müssen. Die
und mehr denn je wird deutlich, dass die Konzeption von künstle-
Vielfalt an Herangehensweisen und der Kontext verlangen
rischen Studiengängen nicht ohne ihren zeitgeschichtlichen
entsprechende Vernetzungskompetenzen oder – wie Stefano
Kontext verantwortungsvoll entwickelt werden kann. Denn wofür
Harney es kürzlich auf einer Konferenz der Gießener Justus
bilden wir aus und was sind die entsprechenden Inhalte, die
Liebig Universität benannte: „Synaptic Labour“1. Wir müssen
gesetzt werden?
in einen Austausch innerhalb von Institutionen wie der HfMDK treten, um auch in Zukunft Relevanz durch unser engagiertes Handeln zu erzeugen und die Bedeutung der kulturellen Sparten zu untermauern.
Getanzte Assoziationen: künstlerische Umrahmung der „Close Up!“-Veranstaltung im Großen Saal 28
1 „This is primarily a neurological labour, a synaptic labour of making contact to keep the line flowing, and creating innovations that help it flow in new directions and at new speeds.“ In: Reader der Tagung „The Public Commons and the Undercommons of Art, Education and Labor“, S. 42–48. Die Tagung fand unter der Leitung von Bojana Kunst, Bojana Cvejic und Stephan ApostolouHölscher am 29. Mai – 1. Juni 2014 im Frankfurt LAB statt. 2 Siehe dazu auch: Ingo Diehl, Internationalität und Globalisierung in der Ausbildung. In: Frankfurt in Takt 13/2 – Zukunft, S. 30 f.
Frie Leysen, die scheidende Schauspieldirektorin der Wiener
Auch in unserem Ausbildungsbereich versuchen wir durch
Festwochen, erläuterte unlängst die Gründe für ihren verfrühten
eine Vielzahl von Projekten, durch internationale Kooperationen,
Abgang in einem offenen Brief an Dr. Rudolf Scholten, den
das Einführen neuer Lerntools oder die Verbindung von Praxis
Aufsichtsratsvorsitzenden. Darin rechnet sie mit der Struktur
und Theorie eine Situation herzustellen, in der wir die sehr
und Geschäftsführung des Festivals ab und beschreibt das
diversen und individuellen Stärken der Studierenden in künstle-
Fehlen einer Vision der Festwochen folgendermaßen: „Um nach
rische Gestaltungsprozesse einbeziehen. Dies bedeutet in der
Jahrzehnten relevant zu sein, muss sich ein künstlerisches
Konsequenz, nicht mehr ausschließlich für bestehende Instituti-
Projekt ständig selbst in Frage stellen und seine Arbeitsweisen
onen auszubilden, sondern neue Spielräume zu erkennen und
hinterfragen. Es bedarf einer klaren Vision, seine Struktur und
auf dieser Grundlage Berufsbilder zu entwickeln, die in Zukunft
Organisation müssen anpassbar und flexibel sein, um diesen in
über das Spartendenken und einzelne Institutionen hinaus
stetigem Wandel begriffenen Zielen zu entsprechen.“
von Relevanz sein können2.
Mit dem „künstlerischen Projekt“ könnte auch unsere Hoch-
Die Akzeptanz multipler Lösungen in einer Hochschule, in
schule gemeint sein. Denn wollen wir die Zukunft durch
einem Fachbereich, in einem Studiengang und in einer Studie-
die hiesige Ausbildung mitgestalten, dann müssen wir den
rendenbiografie eröffnet neue Perspektiven im Arbeitsfeld.
Studierenden heute mehr bieten als die Perspektive auf eine feste Stelle in einem von der Schließung bedrohten Theater. Wir sollten uns gemeinsam mit ihnen überlegen, wie neue und flexible Lebenswege aussehen können und sie dabei unterstützen, sich auf zukünftige und schwer vorhersehbare Arbeitsbedingungen vorzubereiten.
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F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
Wir stellen uns den Herausforderungen durch demographischen Wandel und Globalisierung.
erWeItern, beWahren, IntegrIeren Von Thomas Rietschel, Präsident der HfMDK
D
en Herausforderungen durch Globalisierung und demo-
Auch die demographische Entwicklung wird den Markt
graphischem Wandel können wir nicht ausweichen. Also müssen
verändern und bringt damit neue Berufsbilder und neue Aufgaben
wir uns ihnen bewusst stellen. Ich möchte kurz skizzieren, was
für unsere Absolventen hervor. Von unseren Tanz- bzw. Musik-
das konkret für unsere Hochschule bedeutet.
pädagogen werden Angebote für eine zunehmend älter werdende Bevölkerung erwartet, z. B. in der Musik- oder Tanztherapie oder
Als Folge der Globalisierung wird sich die Hochschule als
auch bei der Vermittlung, die sich in Zukunft nicht nur Kindern
Institution zunehmend auf einem internationalen Markt bewegen,
und Jugendlichen, sondern verstärkt auch älteren Menschen
wird weltweit um die besten Studierenden und die besten
zuwenden muss. Auch das Publikum wird sich in seiner Zusam-
Lehrenden mit anderen Hochschulen konkurrieren müssen. Sie
mensetzung verändern. Das bedeutet neue Herausforderungen
muss deshalb internationale Kontakte aufbauen und international
für unsere Kulturmanager und aktiven Künstler, die sich in
sichtbar sein, präsentiert durch eine aktive, international
Programmplanung und neuen künstlerischen Formaten darauf
operierende Öffentlichkeitsarbeit.
einstellen müssen.
Auch die Künstler von morgen werden auf einen ganz anderen
Der demographische Wandel wird unser Land internationaler
Markt treffen als bisher: länderübergreifend mit internationaler
machen, denn wir brauchen angesichts des zu erwartenden
Konkurrenz über alle Spartengrenzen hinweg. Während vor
Bevölkerungsrückgangs und der zunehmenden Alterung unserer
20 Jahren die Produktion einer eigenen CD die Voraussetzung
Gesellschaft die Zuwanderung von jungen Menschen. Dieser
für den Beginn einer Konzertkarriere war, so beginnen diese
Prozess ist schon lange in Gang, und Frankfurt ist ein gutes
heute immer öfter im Internet – mit selbstproduzierten YouTube-
Beispiel: Über 60 Prozent der Grundschüler in Frankfurt haben
Videos oder durch geschickte Eigenvermarktung. Im Netz
mittlerweile einen Migrationshintergrund. Unsere Mitbürger aus
öffnen sich auch völlig neue Wege der Künstler zum Publikum,
anderen Kulturen sind Steuerzahler und deutsche Staatsbürger,
neue Vermittlungsformen, die wir wahrnehmen und auf die
und sie werden fragen, warum „ihre“ Hochschule für Musik,
wir unsere Studierenden vorbereiten müssen.
Theater und Tanz in Hessen fast ausschließlich die europäischen Kunsttraditionen unterrichtet. Nicht nur deshalb müssen wir uns anderen Kulturen, also grundsätzlich anderen künstlerischen Traditionen öffnen. Das ist auch eine große Chance. Solche Horizonterweiterungen waren schon immer in der Geschichte der Künste Wendepunkte, an denen Neues entstand. Man denke nur an die Bedeutung der Weltausstellungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Entwicklung der Bildenden Kunst und der Musik.
30
Globalisierung bedeutet aber auch, dass die Welt zusammenwächst. Aktuelle Konflikte wie die sich weltweit zuspitzenden Auseinandersetzungen mit radikal fundamentalistischen Muslimen fordern auch uns als Kunsthochschule. Solche Konflikte haben tiefe kulturelle Ursachen und bedürfen auch der künstlerischen „Bearbeitung“. Damit können wir einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leisten, müssen aber auch in unserer Ausbildungstätigkeit wach und aufmerksam darauf reagieren. Bei aller notwendigen Offenheit gegenüber diesen Entwicklungen sollten wir jedoch achtsam den Kern unserer Institution bewahren. In Folge der Globalisierung drohen lokale, regionale oder nationale Traditionen im weltweiten kulturellen Einheitsbrei zu verschwinden. Wir vermitteln jedoch aus gutem Grund eine kulturelle Tradition, die in der Kulturgeschichte unseres Landes fußt. Wo wenn nicht hier sollten diese Traditionen vermittelt werden? Wer in Deutschland Musik studiert, der sucht die Auseinandersetzung mit Bach, Beethoven oder Schumann. Zu solchen Traditionen gehören auch die Grundlagen unserer Ausbildung wie das Meister-Schüler-Verhältnis. Diese Traditionen gilt es zu schützen. Globalisierung und demographischer Wandel sind Herausforderungen, denen wir nicht ausweichen können und denen wir nüchtern mit großer Offenheit, aber auch reflektierter Skepsis gegenübertreten sollten.
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F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
Wir stellen uns den Herausforderungen durch Digitalisierung.
entWIcklung durchdrIngt alle kÜnSte Von Orm Finnendahl, Professor für Komposition
D
igitalisierung im Zusammenhang mit Leitbildern künstle-
Aber auch der nicht unmittelbar künstlerische Einsatz von
rischer Ausbildung zu erwähnen, bedarf vermutlich einer
Technologie, beispielsweise durch die Verwendung von Compu-
Erklärung: Die meisten an der HfMDK gelehrten Fächer beziehen
tern für E-mails, Internetrecherchen, die eigene Präsentation,
sich im Kern auf handwerkliche Fähigkeiten, die wesentliche
die Erstellung wissenschaftlicher Texte etc., hat nicht zu unter-
Aspekte ihrer Verankerung und künstlerischen Ausdifferenzierung
schätzende Auswirkungen auf unsere soziale Existenz und
schon lange vor der Entdeckung digitaler Technologien erfuhr.
das „In-der-Welt-sein“ des Künstlers.
Das in Jahrhunderten entwickelte und erreichte Niveau dieser Fähigkeiten und ihrer Vermittlung bildet mit gutem Grund
Eine Hochschule, die ihren Bildungsauftrag ernst nimmt,
einen zentralen Bezugspunkt unserer Arbeit.
kann sich der Auseinandersetzung mit diesen Entwicklungen nicht verschließen. Ganz im Gegenteil ist sie der Ort, an dem
Doch der Schein trügt: Die Durchdringung praktisch sämtlicher
die Reflexion von Technologie, deren Einbindung in die Lehre,
Bereiche unserer Alltagswelt durch Technologie hat schon seit
ihr auch experimenteller Einsatz und die mit ihrer Hilfe
langer Zeit vielfältige Auswirkungen auf die Künste, selbst in
entwickelnde Gestaltung unserer sich verändernden Welt einen
Bereichen, wo dies nicht unmittelbar sichtbar ist: Die zuneh-
zentralen Platz einnehmen muss. Es versteht sich von selbst,
mend vereinfachte Möglichkeit akustisch hochwertiger Repro-
dass eine Hochschule dabei nicht nur auf technische Entwick-
duktion und Archivierung, die bereits zu Beginn des vergangenen
lungen reagieren darf, sondern aufgrund ihrer einzigartigen
Jahrhunderts begann, hat beispielsweise bei der Interpretation
Konzentration von Kompetenzen die Aufgabe hat, dazu beizu-
klassischer Musik zu einer rasanten Entwicklung und Verände-
tragen, den künstlerisch sinnvollen Einsatz von Technologie
rung der Ton- und Klanggestaltung und instrumentaler Techniken
voranzutreiben und zu definieren.
beigetragen. Für die Darstellenden Künste hat die Entwicklung visueller Aufzeichnungs- und Reproduktionsverfahren und ihre
Es ist eine große Freude und sehr inspirierend, an einer Hoch-
Verbreitung vermutlich sogar noch einschneidendere Konse-
schule zu unterrichten, in der das Bekenntnis zur Integration
quenzen. Fast 90 Jahre nach ihrer erstmaligen theoretischen
und künstlerischen Auseinandersetzung mit der Digitalisierung
Reflexion durch Walter Benjamin werden Gesichtspunkte wie
nicht nur im Leitbild festgeschrieben ist, sondern deren Einsatz
Wiederholbarkeit, Präsenz oder die Aktualität des Konzert-
und diesbezüglicher Gestaltungswille auch in vielen Bereichen
und Theatererlebnisses durch die allgegenwärtige, technisch
zu spüren ist. Eine solche Atmosphäre ist Anreiz und Aufforde-
vermittelte Verbreitung und Verfügbarkeit künstlerischer Arbeit
rung zugleich, mit meinen Möglichkeiten aktiv zu Reflexion und
zu zentralen, oft existenziellen Fragestellungen.
Weiterentwicklung der Verwendung digitaler Technologien im Hochschulkontext beizutragen.
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T h e o r i e u n d P r a x i s i m Ve r b u n d
theorIe und PraXIS Im verbund Bildung und Ausbildung gehören zusammen.
Von Dr. Katharina Schilling-Sandvoß, Professorin für Musikpädagogik
D
as Begriffspaar Bildung und Ausbildung repräsentiert
häufig einen Gegensatz. Bildung ist als umfassender, lebenslanger Entwicklungsprozess, als Möglichkeit reflektierter persönlicher Entfaltung, als aktive Auseinandersetzung mit Welt und Menschen und als eigenständige und individuelle Entwicklung geistiger, kultureller, personaler und sozialer Fähigkeiten ein komplexer, vielschichtiger und nicht zweckbezogener Prozess. Ausbildung dagegen verfolgt praktische Absichten, vermittelt im Beruf erforderliches Wissen und für die Berufsausübung notwendige Fähigkeiten und Fertigkeiten, ist gerade auf Zweckbezogenheit und Anwendbarkeit gerichtet. Hochschulen verstehen Für mich ist die wichtigste Funktion eines Studiums die Stärkung der künstlerischen und sozialen Persönlichkeit. Dazu gehören neben dem praktischen
sich als Orte der Bildung. Im Bereich der Lehramtsstudiengänge wird Ausbildung als Begriff mit dem Referendariat, der zweiten, der berufsbezogenen Phase verknüpft.
Üben und Ausführen auch die Reflexion und das Lernen über die biologischen, historischen und
„Bildung und Ausbildung gehören zusammen“. Mit dieser Leit-
gesellschaftlichen Bedingungen der jeweiligen
bildformulierung setzen Lehrende, Studierende und Mitarbeiter
künstlerischen Tätigkeit. Das Erschließen und Ver-
der HfMDK bewusst beide Begriffe in Beziehung, drücken Gleich-
stehen solcher Zusammenhänge, zusammen mit einem offenen Blick und der Fähigkeit, allgemeine Erkenntnisse auf das eigene Tun zu übertragen,
wertigkeit und gegenseitige Bedingtheit beider Felder aus. Bildung und Ausbildung gemeinsam zu denken, eröffnet den Studierenden die Chance, sich zu künstlerischen, wissenschaft-
ermöglichen ein selbstverantwortliches und zielge-
lichen und pädagogischen Persönlichkeiten entwickeln zu kön-
richtetes Ausbilden spezifischer (künstlerischer wie
nen, ohne den Berufsbezug aus dem Auge verlieren zu müssen.
praktischer) Fähigkeiten in unterschiedlichen Kontexten; und – ebenso wichtig – das Selbstvertrauen in diese Fähigkeiten. Wo dieses Selbstvertrauen
Theorie und Praxis bilden dann nicht gegensätzliche, sondern komplementäre Bereiche des Studiums und können miteinander verknüpft werden.
fehlt, kann Einschränkung des Blicks und des Handlungsspektrums z. B. auf stereotypes Üben zu künstlerischen oder körperlichen Krisen führen. Johannes KasPer, ceLList im studienGanG FÜr historische interPretationsPraXis vioLonceLLo 33
F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
Musiklehrerinnen und -lehrer an Schulen gestalten musikalische
bereich 2 stattfindende und fast abgeschlossene Neukonzeption
und ästhetische Lernsituationen, die Kindern und Jugendlichen
des Grundschulstudiengangs, deren Ziel die Qualifizierung der
einen selbstbestimmten praktischen und reflektierenden Umgang
Studierenden als Lehrerinnen und Lehrer für elementares Musi-
mit Musik in vielfältigen Formen ermöglichen. Musikpädagogik
zieren und Musiklernen ist, orientiert sich beim Erwerb musik-
als eine theoretisch und praktisch orientiert verstandene Disziplin
bezogener Lehrkompetenzen im Berufsfeld Primarstufe und
schafft die Möglichkeit, Fragestellungen für die Praxis aus der
schließt den Aufbau und die Erweiterung der persönlichen musi-
Theorie abzuleiten und aus der Praxis Material für theoriegeleitete
kalischen und wissenschaftlichen Kompetenz als unverzicht-
Reflexion zu erhalten, bewirkt also die Umsetzung einer wissen-
bare Grundlage ein.
schaftlich begleiteten, begründeten und reflektierten Praxis. Das Leitbild der Hochschule ist ein dichtes, konzentriertes und An der HfMDK bestehen im Rahmen der Lehramtsstudiengänge
prägnant formuliertes Leitbild. Die Bedeutung der Aussage
bereits jetzt vielfältige Möglichkeiten, im Rahmen von Projekten
„Bildung und Ausbildung gehören zusammen“ ist ohne den
wissenschaftliche Grundlagen und berufspraktische Erfahrungen
Kontext der folgenden Passagen nicht aussagekräftig, darf nicht
aufeinander zu beziehen. In den anstehenden Reformen aller Lehr-
losgelöst werden von den dort formulierten Ansprüchen
amtsstudiengänge kann die konsequente Ausgestaltung dieser
der Professionalität und sozialen Verantwortung sowie eines
Möglichkeiten eine der Leitlinien werden. Die zur Zeit im Fach-
tradierten und modernen Bildungsverständnisses.
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Zentrale Aufgabe der Hochschule ist die Ausbildung der Studierenden zu professionellen und sozial verantwortlich handelnden Künstlern, Pädagogen und Wissenschaftlern.
lIeben, WaS WIr tun Von Christopher Brandt, Professor für Gitarre, Vize-Präsident der HfMDK „Weil eure Freiheit nur in einem Teil der Gesellschaft wurzelt,
ein notwendiges Korrektiv in einer im Wortsinne unseligen,
ist sie unvollständig. Alles Bewußtsein wird von der Gesellschaft
entfremdeten Gesellschaft. Doch unterwerfen wir uns nicht
mitgeprägt. Aber weil ihr davon nicht wißt, bildet ihr euch
der gleichen Brauchbarkeitsdoktrin, an der unsere Gesellschaft
ein, ihr wäret frei. Diese von euch so stolz zur Schau getragene
krankt, wenn wir fragen, wie unser Tun relevant sein kann?
Illusion ist das Kennzeichen eurer Sklaverei.“
Erst einmal sollten wir das lieben, was wir tun, dafür einstehen, hart arbeiten und uns mit unangreifbarer Professionalität gegen
P
olitische Mandatsträger sprechen gerne von den
kulturelle Erosion wappnen. Es ist entscheidend, was wir tun, nicht, was wir sagen. Außerdem müssen wir, so banal es klingt,
„Bürgerinnen und Bürgern draußen im Lande“, um ihre Sorge
bei uns selber anfangen: unseren Schülern mit Respekt
um das Gemeinwohl zu artikulieren. Zugleich aber drückt diese
begegnen, institutionelle Missstände artikulieren, uns sozial
Formulierung Distanz aus, wo sie Verbindung schaffen soll,
engagieren, im Spielen und Unterrichten. Nicht umsonst werden
deshalb wird sie als sprachlich unglücklich empfunden.
bei „Live Music Now“, der einst von Yehudi Menuhin initiierten Organisation, nur die allerbesten Musiker ausgewählt, um
Auch das heikle Wort der „Vermittlung“ – es soll uns Kultur-
Kunst dorthin zu bringen, wo sie gebraucht wird.
schaffenden den Blick dafür weiten, wie man unsere Arbeit unter die Leute bringt – trennt die Kunst von denen, die
Die Instrumentalpädagogik, nicht nur an unserer Hochschule
sie nötig haben. Dabei ist es doch eine unserer wichtigsten
gelegentlich als Anschlussverwendung für gescheiterte Virtu-
und vornehmsten Aufgaben, diese Distanz zu überwinden.
osen diskreditiert, bringt einen häufig in Kontakt mit Menschen,
Wir müssen uns natürlich über die Situation in einer kultur-
die für kulturelle Teilhabe dankbarer sind als die bedrohte
fernen Nation wie Deutschland im Klaren sein: die Theater-
Spezies des Bildungsbürgers, der im zweiten Tristan-Akt in den
und Orchesterlandschaft im Umbruch, das Schulfach Musik
Theaterschlaf fällt. Projekte wie „Response“ weiten den Blick
dasjenige mit den meisten Unterrichtsausfällen, die Anmelde-
nicht nur der Kinder und Jugendlichen; wie immer lernen wir
zahlen an Musikschulen rückläufig, weil die Kinder ganztägig
das meiste von unseren Schülern: „Es gibt keine neutrale
damit beschäftigt sind, auf ihre ökonomische Verwertbarkeit
Kunstwelt. Ihr müßt wählen zwischen Kunst, die sich ihrer nicht
vorbereitet zu werden; Selbstausbeutung in der vielgerühmten
bewußt und unfrei und unwahr ist, und Kunst, die ihre
sogenannten freien Szene, Ausbeutung an städtischen Büh-
Bedingungen kennt und ausdrückt.“
nen, wo diejenigen, die das Kerngeschäft engagiert betreiben – Tänzerinnen, Schaupieler, Sängerinnen – in der Regel von
Das wichtigste aber ist: dranbleiben. Engagement braucht
allen dort Tätigen die sozialunverträglichsten Verträge haben.
Beharrlichkeit, das wissen wir alle, die wir tagaus-tagein üben,
Das alles ist nicht schön. Es sind aber nur Symptome, wie wir
proben, lesen, schreiben, denken und unterrichten.
alle wissen. Die zentralen Fragen wären: Was bedeutet unserer Gesellschaft eigentlich Kultur? Und was bedeutet uns das, was wir tun, was bringt es anderen? Denn unsere Arbeit ist
Zitate aus: Christopher Caudwell, Bürgerliche Illusion und Wirklichkeit, München (Hanser) 1971, S. 292 ff.
35
F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
Dies schließt die Vermittlung der Künste und die wissenschaftliche Forschung ein.
auF der Suche nach dIalog und kommunIkatIon Von Gerhard Müller-Hornbach, Professor für Komposition
I
st die Kunstausübung an sich nicht immer auch eine Form
Es ist nicht die selbstverliebte, ichbezogene Kunstausübung,
der Vermittlung? Formulieren wir im künstlerischen Ausdruck
die dem Laien, dem Dilettanten als privater Erfahrungsraum
nicht unsere Anliegen so, dass ein – wenn auch imaginäres –
herzlich gegönnt sei, sondern die verantwortlich im gesell-
Gegenüber angesprochen wird? Ist es nicht gerade ein Aus-
schaftlichen Kontext den Dialog suchende und auf Kommunika-
druck von Professionalität, wenn unser künstlerisches Handeln
tion ausgerichtete künstlerische Äußerung, die wir als Leitbild
darauf gerichtet ist, Gedanken, Empfindungen, Einsichten
unserer Ausbildung vermitteln wollen! Kunst als eine Form der
und Fragestellungen in einer Weise zum Ausdruck zu bringen,
Vermittlung ist jedoch keine Einbahnstraße; sie ist ausgerichtet
die den Nachvollzug möglich macht und – wenn auch nicht
auf Resonanz, auf Widerhall, auf Widerspruch, auf Rückfragen
anbiedernd verständlich – so doch prinzipiell verstehbar ist?
und gewinnt ihre Lebendigkeit gerade aus diesem dialog-
Wenn wir mit unserer Kunst berühren wollen, dann kann dies
haften Charakter.
nur dadurch geschehen, dass unsere Sichtweise von Welt, so wie wir sie in unserem jeweiligen Medium formulieren, Räume öffnet, in die der Aufgeschlossene, Neugierige und für das Abenteuer Offene eintaucht und auf seine Weise an dem teilhat, was wir in unserer künstlerischen Praxis entdecken und erschließen!
Beratung in der Zukunftskonferenz
36
Auf der Suche nach Dialog und Kommunikation
Foyergespräch beim Leitbildprozess.
Wenn es um die Vermittlung von Kunst geht – etwa in der
Ist künstlerische Arbeit im eigentlichen Sinne nicht auch immer
Schule –, dann scheint es mir vor allem wesentlich, etwas von
Forschung? Geht es hier nicht um das Erkunden des Unbekannten,
einer Haltung zu vermitteln, die man als künstlerisch bezeichnen
um das Erschließen neuer Räume, um Versuchsanordnungen, die
kann. Eine Haltung, die ein Handeln ermöglicht, das weder im
Möglichkeiten durchspielen und dadurch helfen zu erhellen, zu
ökonomischen noch im materiellen Sinne zielgerichtet ist, das
kategorisieren und zu verstehen? Aber zielt eine solche künstle-
vielmehr der Selbsterweiterung und zugleich der Selbstrelati-
rische Forschung wirklich auf eindeutige Ergebnisse? Ist es nicht
vierung dient, das Offenheit und Risikobereitschaft mit einem
gerade die Ambivalenz, die Mehrdeutigkeit, die Widersprüchlich-
unermüdlichen Suchen, dem Immer-in-Bewegung-bleiben und
keit, die es zu entdecken gilt? Deutet sich Kunst nicht gerade in
der Bereitschaft, auch das Scheitern zuzulassen, verbindet.
jedem Rezeptionsprozess, in jeder Vermittlung, in jeder Begeg-
Dass all dies Freude und Lust am Leben und Sein bedeutet und
nung neu und anders? Aber vielleicht ist gerade hier die besondere
dass Mühe und Disziplin belohnt werden – nicht im materiellen
Chance einer wissenschaftlichen Forschung im Kontext einer
Sinne, sondern durch Lebendigkeit und dem Erleben der
Kunsthochschule: im Dialog mit der Kunst, in der Forschung am
Intensität des Augenblicks – kann sich über den Umgang mit
künstlerischen Gegenstand und in der Erforschung der Umstände
Kunst erschließen und in alle Lebensbereiche hinein vermitteln.
und Bedingungen von künstlerischem Handeln Wege zu beschrei-
Leben nicht als Eindimensionalität eines zielgerichteten Pro-
ten, die immer neue Methoden kreieren, die in ihren Auswertungen
zesses zu verstehen, sondern als Vielfalt und Fülle von Möglich-
Vieldeutigkeit zulassen und die Ambivalenz und Komplexität als
keiten, die Raum lassen für die Entfaltung des individuellen Poten-
Ergebnis ermöglichen. Zugleich ist es auch das Hineinwirken von
zials im lebendigen Miteinander und dem Zulassen von Fremdheit
Wissenschaftlichkeit in die künstlerische Praxis, das dort eine
und Andersartigkeit. Hier kann Kunstvermittlung etwas in die
wesentliche Bereicherung der Arbeits- und Denkweisen und
Gesellschaft hineintragen (in einer Form, die für jedes Mitglied
eine Präzisierung der Fragestellungen anregt.
zugänglich ist), das als Gegengewicht zur pragmatischen Verengung und kommerziellen Gleichschaltung relativierend und
Die besondere Konstellation an einer Kunsthochschule ermög-
belebend zu Flexibilität und Variabilität ermutigt.
licht, dass sich zwischen künstlerischer Praxis und wissenschaftlicher Forschung ein neues, vielversprechendes und unkonventionelles Feld eröffnet, das noch nicht absehbare Potenziale für die Zukunft beinhaltet und das als „künstlerische Forschung“ neuartige Wege eröffnet und beschreitbar macht.
37
F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
„leISure“ Statt ÖkonomIe Von Gerd-Theo Umberg, emeritierter Professor für Theater- und Orchestermanagement an der HfMDK 1784 beantwortete Immanuel Kant die in der Dezember-Nummer
Ungleiches ungleich behandelt werden) – Brüderlichkeit (Soli-
der Berlinische(n) Monatsschrift von 1783 in einer Fußnote ge-
darität) – dieses Dreigestirn ist Orientierung für alle Beschäf-
stellte Frage: „Was ist Aufklärung?“ mit einem Satz: „Der Ausgang
tigten der Hochschule, einzufordern sowohl im täglichen
des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“
Umgang miteinander als auch in Lehre und Vermittlung – das
Und: „Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes
Leitbild der Hochschule ermutigt hierzu. Salto! – wie ihn
ohne Leitung eines andern zu bedienen.“ – Peng! – Der vormals
Miroslav Klose bei der Fußball-WM in Brasilien gezeigt hat –
bestehende Anspruch, alle Fragen des Lebens letztendlich aus
und wir landen im 21. Jahrhundert: Wie soll die Hochschule
der christlichen Glaubenslehre zu beantworten, wird aufgehoben.
„den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts Rechnung tragen“,
Das seinen „Verstand ohne Leitung eines andern bedienende“
wenn dieses gerade mal 14 Jahre alt ist? Ich möchte, dass sich
Einzelwesen Mensch sucht nun in unterschiedlichen und auch
die Lernenden und Lehrenden vor allem einem der Ansprüche des
ungleich gewichtigen Normen- und Werteorientierungen nach
jungen 21. Jahrhunderts widersetzen: dem Anspruch, jeden
Antworten. Das „autonome Individuum“ wird zum Ziel des Hum-
Lebensbereich ökonomisieren zu wollen. Künstlerisch-wissen-
boldtschen Bildungsideals mit dem gerade für die künstlerische
schaftliches Arbeiten, künstlerische Ausbildung, also künstle-
Bildung wichtigen Anspruch auf ‚ganzheitliche Ausbildung in
rische Bildung, benötigt Zeit zur Entwicklung, zur Entfaltung.
Verbindung mit der jeweiligen Studienfachrichtung‘. Hier sehe
Zeit, die das 21. Jahrhundert nicht gewähren will, weil unöko-
ich Lehrende und Lernende gleichermaßen in der Pflicht: Der
nomisch. Die Studiengänge müssen in ihren Curricula diese
Austausch mit anderen Disziplinen darf sich nicht als einmaliger
Zeit – leisure – vorsehen; Fachbereichsräte, AStA und Senat
„Wandertag“ darstellen, sondern Interdisziplinarität soll fester
sind in meinen Augen die Gremien der Hochschule, die auf
Bestandteil in Unterrichtseinheiten in jedem Semester sein.
Grund des verabschiedeten Leitbildes die Diskussion hierüber
Auch sollen die Hochschule und die Lehrenden die Studieren-
eröffnen müssten. Die Hochschule darf nicht, nimmt sie ihr
den zu einem Auslands-Semester anstiften, ermuntern und
Leitbild ernst, Werte der Aufklärung den vermeintlichen An-
helfend begleiten. Lehrende und Lernende bewegen sich nun
sprüchen des 21. Jahrhunderts opfern. Der Bildungsprozess
aufeinander zu: Der Nürnberger Trichter wandert in das Grusel-
darf nicht zu einem reinen Funktionsprozess verkommen –
kabinett: „We don‘t need no education, we don‘t need no thought
eine „Brave New World“ (Aldous Huxley) mit deren Losung
control …“ (Pink Floyd). Lehrende und Studierende fragen, disku-
„Community – Identity – Stability“ wollen wir nicht. Selbst-
tieren, suchen Antworten und werden in diesem Bemühen vom
bestimmung des Individuums und Akzeptanz divergierender
Leitbild der Hochschule gestützt. Sie können sich auf Werte der
Auffassungen sollten Ziel aller Bemühungen der Hochschule
Aufklärung berufen, die mit der Losung „liberté – égalité – frater-
sein – dass diese „im gesellschaftlichen Auftrag“ handelt,
nité“ die Französische Revolution vorangetrieben hat. Freiheit
wie es im Leitbild steht, ist befremdlich.
(Artikel 5 Grundgesetz) – Gleichheit (Gleiches soll gleich,
Unser Bildungsverständnis beruht auf den Werten der Aufklärung und trägt den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts Rechnung.
38
Vo n d e r Ve r w a n d l u n g d e r L a n g e w e i l e
Neben konzentriertem und zielorientiertem Arbeiten ist Raum für unabhängige Kunstausübung, Selbstfindung und kreative Muße Voraussetzung für ein erfolgreiches Studium.
von der verWandlung der langeWeIle Von Henriette Meyer-Ravenstein, Professorin für Gesang
Ü
ber diesen Satz unseres neuen Leitbildes schreiben zu
dürfen, ist mir eine besondere Freude, denn es ist ein Satz, zu dem ich eine starke innere Beziehung habe – mein Lieblingssatz sozusagen. Wenn ich die geballte Kompetenz und Begabung an der HfMDK betrachte und sehe, welche Ergebnisse am Ende des Studiums beim Einzelnen herauskommen, dann kann ich nur sagen: Im konzentrierten und zielorientierten Arbeiten sind wir gut. Wir behalten im Auge, dass das Beherrschen des jeweiligen „Werkzeugs“ – sei es der Körper, die Stimme, der Geist oder ein Instrument – absolute Voraussetzung für einen gelingenden Werdegang der Studierenden ist. Wir beziehen neue Erkenntnisse über den Körper, das Lernen und mentale Strukturen ein. Wir reagieren auf Veränderungen der Kulturszene, indem wir neue Studienfächer hinzufügen, darunter auch solche, die die Studierenden befähigen sollen, unabhängig von den großen Institutionen zu werden, deren Zukunft ungewiss ist. Unsere Studienordnungen bilden das Bestreben ab, die Studierenden mit allem, was sie je brauchen könnten, auf ihren Weg ins Leben zu schicken. Aber all das kostet Zeit. Und Konzentration. Nicht nur unsere Hochschule, die Gesellschaft
Brainstorming beim „Open Space“
insgesamt hat sich ja der permanenten „Beschäftigung“ verschrieben. Vor Langeweile fürchten wir uns. Leere muss sofort gefüllt werden, und sei es mit Fernseher, Handy oder Internet.
39
Aber ein Hirn, das pausenlos von Information zu Information gezerrt wird, das nie Ruhe zum Verarbeiten hat, lernt nicht gut und verliert schlimmstenfalls die Gier auf Neues. Vor allem hat es nicht die Möglichkeit, von selbst Verknüpfungen herzustellen, Überraschungen hervorzubringen, das zu entwickeln, was wir Kreativität nennen. Deswegen liebe ich den Begriff „kreative Muße“. Dieses schöne Wort, das die Verwandlung der Langeweile in etwas Produktives, Überraschendes, Individuelles beschreibt, definiert für mich eine entscheidende Basis für Selbstfindung und unabhängige Kunstausübung. Am Anfang steht ja die Idee. Dann die künstlerische Umsetzung, und am Ende als Resultat, wenn alles glücklich verläuft, die Selbstfindung. Bei der künstlerischen Umsetzung können wir als Hochschule mit den nötigen Strukturen behilflich sein. Dazu gehören beratende Unterstützung, eventuell Fördergeld, ganz bestimmt aber das Vermitteln von einer Sicherheit, in der Scheitern keine Katastrophe ist. Auch da sehe ich viele gute Ansätze – das Projekt „Tanz der Künste“ allen voran. Aber wie entsteht eine Idee? Ich persönlich habe meine besten
Dazu gehört möglicherweise ein Umdenken über unsere
Ideen früh morgens beim Tee – wenn ich zeitlich nicht unter
Studienordnungen. Weg vom für alle zwingenden Fächerkanon
Druck bin. Ein anderer muss vielleicht abends spät alleine auf
hin zu einem individuelleren Zuschnitt. Dazu bietet das Bachelor/
dem Sofa sitzen. Ein Dritter braucht seine Freunde und Kommili-
Master-System eigentlich gute Voraussetzungen. Und viele
tonen um sich, um Gedankenfäden zu spinnen, sei es im Innenhof
Diskussionen um unsere neuen Studienordnungen zeigen,
der Hochschule auf einem Liegestuhl oder am Küchentisch der
dass wir alle um die Problematik wissen. In der letztendlichen
WG. Der Vierte braucht die Atmosphäre nach einem Konzert,
Umsetzung überwiegt dann aber oft doch noch das Bedürfnis,
das Essen mit den Bühnen-Kollegen, das die klassische Geburts-
den Studierenden möglichst viel Wissen und Können mitzu-
stätte des berühmten „Du, wir sollten mal dieses und jenes
geben. Wir haben uns erst auf den Weg gemacht. Die Kunst
zusammen machen“ ist.
des Weglassens ist für motivierte Menschen eine hohe!
Lauter Situationen, die Raum und Zeit brauchen, eine momen-
Bleibt noch, auch die Studierenden zu ermutigen, ihre freie
tane Freiheit von Druck. Und wenn wir Künstler, Pädagogen und
Zeit nicht zu überfüllen, die Langeweile nicht zu fürchten. Sie
Wissenschaftler ausbilden wollen, die nicht nur gut funktionieren
könnte ja zur kreativen Muße werden, Basis für unabhängige
und viel können, sondern auch Neues schaffen, die Kunst und
Kunstausübung und Selbstfindung.
damit die Gesellschaft bereichern sollen, ist es in unserer Verantwortung, diesen Raum und diese Zeit zu schaffen, auch schon während des Studiums.
Tanzszene der Neue-Musik-Nacht 40
Intensive persönliche Betreuung der Studierenden kennzeichnet die besondere Qualität der Ausbildung an unserer Hochschule.
Von Dr. Tilman Allert, Professor für Soziologie und Sozialpsychologie mit dem Schwerpunkt Bildungssoziologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
G
egenwärtig wird gern mit dem Unwort „Entschleunigung“
gearbeitet, um dem Prozess der Rationalisierung und dessen Auswirkungen auf die Selbstauffassung der Menschen begrifflich etwas entgegensetzen zu können. Irrtümer der Universitäts- und Bildungspolitik, entstanden durch kurrikularen Umbau hektisch übernommener Maximen einer Arbeitsmarktorientierung, wären dabei die erste Adresse. Den semantischen Launen des Zeitgeistes muss man nicht folgen, aber von der Sache her wird damit eine wichtige Dimension erfasst, die in Einrichtungen der Bildung zur herausragenden Zielsetzung gehört, nämlich den Tempodruck und die Performanzorientierung zugunsten der Sorgfaltsverpflichtung hinter sich zu lassen. In der künstlerischen Ausbildung, sei sie ausdrücklich und von vornherein kurrikular auf eine professionelle Karriere oder sei sie auf das Lehren ästhetischer Erkenntnis durch die Praxis des Musizierens in Schulen oder Musikschulen ausgerichtet, liegt das Geheimnis des Gelingens im kontinuierlichen Aneignen einer Einstellung, die ich – ungeachtet des Risikos des Missverständnisses – die Sturheit nennen möchte.
lob der SturheIt Sturheit verstanden als ein Habitus unbeirrbarer Sachorientierung, wo sonst wenn nicht an einer akademischen Einrichtung, die sich Bildungsprozessen widmet, lässt sich dergleichen erwerben? Die Universität ist kein Trainingslager, sie bewährt sich vielmehr als eine komplexe Institution der Kulturpflege gerade darin, dass es ihr gelingt, unter ihren Mitgliedern das Gespür für musikalische Wahrheit zu vermitteln. Zum Arkanum der Universität als Institution zählt die kontinuierliche Artikulation von ästhetischer Erkenntnis, und dieses Vermögen setzt Sturheit voraus, anschaulich erfahrbar in der stellvertretenden Identifikation der Lehrenden mit dem musikalischen Gegenstand,
41
F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
der sich bekanntlich jenseits aller Routine in der unauflösbaren
Lernenden einzulassen. Bildung und Ausbildung beziehen
Trias von Instrumentenbeherrschung, Interpretations- und Aus-
sich auf entwicklungsoffene und von daher nicht kalkulierbare
drucksvermögen wie theoretisch-philosophischer Reflexion
Bildungsprozesse. Besonders Musik- und Kunsthochschulen
der ästhetischen Tradition erschließt. Sturheit und nicht das
zeichnen sich von daher durch Entschleunigung und Tempo-
schnelle Wischen, das wäre die Qualifikation, die aus den
toleranz aus, von ihren Gegenständen her mögen sie künstle-
Zeiten der Mitgliedschaft in der akademischen Community der
rischen Avantgardismus vorbereiten, von ihrer Lehrgestalt her
Hochschule erinnerungsfähig ist.
sind sie konservativ und bieten den Lernenden Schonräume für den Erwerb von Professionalität. Aus diesem Grund brauchen
Die hohe lebensweltliche Riskanz schon in der Ausbildung zu
die Musikhochschulen das, was der Soziologe Niklas Luhmann
künstlerischen Berufen führt zu dynamischen Prozessen, die
einmal den „Latenzschutz“ der Institution genannt hat. Sie lässt
eine große Nähe, Vertrautheit und Intimität des Verhältnisses
insofern die Modernismen außen vor und konzentriert sich auf
erzeugen. Um sie für den Studierenden künstlerisch kreativ
die Kernaufgaben, das Einüben künstlerischer Professionalität.
und die Handlungskompetenz fördernd zu lösen, bedarf es eines sich in Muße vollziehenden handlungsentlasteten Übens, das
Wer die Krisen, die beim Erwerb einer künstlerischen Selbst-
der Zukunftsoffenheit und Ungerichtetheit des künstlerischen
auffassung unvermeidbar in den Bildungsprozess eingebaut
Prozesses Rechnung trägt. Potenziale zu erkennen und zu ent-
sind, umgehen möchte, dem sei der Berufswechsel empfohlen.
wickeln, lenkend aber nicht steuernd diesen Prozess zu begleiten,
Die Universität ist eine Organisation – das ist sie von ihrer
charakterisiert die mäeutische Haltung des Lehrenden, die
äußeren Gestalt zweifellos auch –, als Bildungseinrichtung
getragen wird von seiner hohen Bereitschaft, sich auf den
mit einer einzigartigen pädagogischen Kommunikation im akademischen Binnenmilieu ist sie eine Institution, für die die exemplarische krisenhafte Aneignung und Artikulation von ästhetischer Wahrheit essenziell ist. Die um die Sache Musik zentrierte Meister-Schüler-Beziehung bezeichnet das herausragende Lehr-Format, in ihm liegt das Leistungsversprechen der Hochschule. Sie entsteht immer wieder neu, sie vollzieht sich gegen die Routine und entfaltet ihre Wirkungskraft, so leichtfertig und zuweilen hämisch ein modernistisches Bildungsver-
Als Absolventin des Studiengangs Kirchenmusik A kann ich diesen Satz nur unterstreichen. Viele unserer Lehrenden sind künstlerisch aktiv, sei es als erfolgreicher Organist, erfolgreicher Chorleiter oder als Kirchenmusiker an einer renommierten Stelle und können so Vorbild für uns Studierende sein. Eben über die künstlerische Ebene hinaus können uns diese Vorbilder Hilfen geben: Wie organisiere ich mich am besten? Wie schaffe ich es als Kirchenmusiker, trotz der vielen Tätigkeiten genug zu üben, um den künstlerischen Anspruch nicht zu verlieren? Wie gelingt eine pädagogische, nachhaltige und qualitativ hochwertige Chorarbeit? Und wie kann ich Menschen für Musik begeistern? Die Beantwortung dieser Fragen ist essenziell und nur durch die intensive persönliche Betreuung möglich, die uns den Schritt ins Berufsleben erleichtert und so für ein erfolgreiches Studienkonzept spricht. anna Linss, studierende der KirchenmusiK 42
ständnis geneigt ist, diesem vermeintlichen Traditionalismus einen Kult der Gruppe dagegenzuhalten. So ist es nicht die Anzahl der erfolgreichen Karrieren – dergleichen mag für die Außendarstellung der Hochschule gelegentlich von Bedeutung sein –, vielmehr das pädagogische Binnenmilieu, die Einstellung geduldeter und forcierter Sturheit, über die die Hochschule ihre Binnenlegitimation erfährt und für Lehrende wie für diejenigen, die sich haben ausbilden lassen, wirksam bleibt.
Lernen als Loop
lernen alS looP
die Musikwissenschaften formulierte, möchte ich den Gedan-
Von Ernst August Klötzke, Professor für
und deren Interaktion erweitern. So, wie ich Theorie verstehe,
Musiktheorie, Vize-Präsident der HfMDK
liefert sie verschiedene Werkzeuge, mittels derer Perspektiven
ken für alle anderen an der HfMDK existierenden Disziplinen
der Praxis und für die Praxis eröffnet werden. Wie in einem
E
Dominoeffekt werden solche praktischen Erfahrungen dann
iner der aus meiner Sicht zentralen Punkte im Leitbild
wiederum zu Werkzeugen, die ein notwendiges Weiterdenken
unserer Hochschule ist die besondere Qualität der Ausbildung,
der Theorie mit sich bringen: eine hoffentlich endlose loop,
die durch wissenschaftlich aktive Lehrende und die Verbindung
durch deren aktive Pflege wir uns immer mehr der Sache selbst
von Theorie und Praxis gekennzeichnet ist. Der Blick in das
nähern, um den in ihr liegenden Sinn und Gehalt zu Tage
Kollegium des Hauses verrät mir, dass sowohl die Expertise als
fördern und in unser Tun einfließen lassen zu können. Ich
auch die Themen und die internationale Vernetzung im Sinne
erlebe die Verbindung aus Theorie und Praxis an der HfMDK
einer Präsenz in wissenschaftlichen Foren in großem Maß
als Spannungsfeld zwischen dem noch unsicheren – weil nicht-
vorhanden sind. Dies zeigt sich in beachtlichen und vielbeach-
wissenden, aber suchenden – Blick nach vorne und dem daran
teten Publikationen, Teilnahme an und Ausrichtung von Kon-
gekoppelten und immer neu befragten Durchdringen dessen,
gressen, Erweiterung des Forschungsstands in den unterschied-
was als vermeintlich sichere Kenntnis das Fundament liefert.
lichen Disziplinen innerhalb und außerhalb der Hochschule
Robert Musil benennt in seinem Roman „Der Mann ohne
und dem unmittelbaren Einfließen aktueller und immer wieder
Eigenschaften“ den „Wirklichkeitssinn“ als Gegenpol zu
aktualisierter Erkenntnisse in die Lehrformen und Lehrinhalte
einem „Möglichkeitssinn“. Das Ideal, das es aus meiner Sicht
an der HfMDK. Dadurch entsteht eine enge, sinn- und gehalt-
anzustreben gilt, ist eine Brücke vom einen zum anderen
volle Verbindung zwischen Theorie und Praxis. Dem kritischen
und zurück.
Befragen des eigenen Tuns folgt im besten Falle die Recherche in Richtung dessen, was Hans Heinrich Eggebrecht in seiner
Damit solche Ansätze nicht zur bloßen Utopie verkümmern,
wichtigen Schrift „Sinn und Gehalt“ formulierte: „Denn gefordert
brauchen die, die ihnen folgen und sie weiterentwickeln möch-
ist, Aussagen und Urteile über Musik, ihren (…) Sinn und ihren
ten, Freiräume. Hier nun ist die Institution selbst gefordert. Sie
in diesem Sinn erscheinenden Gehalt, in der Musik selbst nach-
muss den Boden bereiten, auf dem die eingangs zitierte Qualität
zuweisen.“ Während Eggebrecht diese Forderung explizite für
der Ausbildung an der HfMDK immer stärker manifestiert wird. Es gilt weiter zu arbeiten und mit Fantasie und Sachverstand aktiv zu bleiben. Vieles ist erfreulicherweise dabei noch Neuland. Erfreulich deswegen, weil wir, mit wachen Sinnen, durch das Neue, noch Unbekannte die Möglichkeit haben, die entsprechenden Wege abseits ausgetretener Pfade selbst zu gestalten.
Künstlerisch und wissenschaftlich aktive Lehrende sowie die Verbindung von Theorie und Praxis kennzeichnen die besondere Qualität der Ausbildung an unserer Hochschule.
43
Von Daniela Kabs, Leiterin des Künstlerischen Betriebsbüros der HfMDK, und Björn Hadem
P
artner auf Augenhöhe – eine Idealvorstellung für alle, die
in Projekten und Kooperationen auf das Miteinander mit „den anderen“ angewiesen sind. Zugegeben: Es erforderte Mut und Selbstbewusstsein, als die Hochschule im Jahr 2011 den hessischen Kulturolymp erklomm, indem sie in der Basilika von Kloster Eberbach dem Rheingau Musik Festival die erste durchinszenierte Oper überhaupt an der Hauptspielstätte des Festivals bescherte. Ein heikles Unterfangen, am Ort höchster ästhetischer Ansprüche mit der blutreichen Enthauptung in „San Giovanni Battista“ von Stradella die Gunst des Publikums zu gewinnen. Das Festival und die Deutsche Bank Stiftung als Kooperationspartner belohnten das Wagnis jedoch mit der Zusage für weitere Engagements.
begegnungen auF augenhÖhe Die HfMDK-Gastspiele beim Rheingau Musik Festival sind ein Beispiel für glückliche Kooperationen und Projekte, in denen externe Partner das Potenzial der Hochschule richtig einzuschätzen und einzusetzen wissen: junge, hochmotivierte Künstler auf der Bühne und im Orchestergraben, die dankbar die Ehre annehmen, sich jenseits des „Schutzraumes Hochschule“ den Ansprüchen des Musikmarktes zu stellen; zum anderen ein flexibles Organisations- und Leitungsteam, in dem das Künstlerische Betriebsbüro der Hochschule musikalisch verantwortliche Professoren wie technische Fachkräfte für eine anspruchsvolle Realisierung um sich geschart hat. Im Rheingau war die Bereitschaft, sich zu besonderen Arbeitszeiten und -bedingungen für das Außergewöhnliche zu engagieren, als kollektives Phänomen aller spürbar, weil auch ein Hauch von Stolz und Anerkennung mitschwang.
Regiestudentin Gertje Graef während des Jubiläums-Symposiums 2013 44
Begegnungen auf Augenhöhe
Es sind vor allem die szenischen Projekte und Kooperationen,
noch reibungsloseres Einbetten von Projekten in den ohnehin
die die personellen Ressourcen der HfMDK bis an ihre Grenzen
schon curricular straff durchgeplanten Semesteralltag garantie-
fordern: Der Partner stellt den Aufführungsort und beteiligt
ren. Um die vielen Binnenkenntnisse bei der Auswahl von
sich an der Finanzierung, die Hochschule bietet im Gegenzug
Künstlern am besten zu nutzen und die Ressourcen der Hoch-
die besten Kräfte des Hauses auf – dies ist eine typische Form
schule inklusive ihrer Kommunikationswege effizient umzusetzen,
der Zusammenarbeit, die in den letzten Jahren eine deutliche
ist eine interne Besetzung des Projektmanagements immer
Professionalisierung durchlaufen hat. Das Künstlerische
sinnvoll. Was die Hochschule als Projektpartner interessant
Betriebsbüro der Hochschule übernimmt dabei oft die Organi-
macht, liegt auf der Hand: Sie ist eine Schatztruhe, voll mit
sationsstruktur und -leitung. Wichtig ist dabei, dass die
jungen, im besten Sinne „unfertigen“ Künstlern, die genau
hausinternen Voraussetzungen für eine störungsfreie Abwick-
deswegen mit großer Ernsthaftigkeit und echter Spielfreude die
lung stimmen: Künstlerische Verantwortlichkeiten müssen klar
Chance nutzen, vor anderem Publikum als dem der „üblichen“
definiert sein, Informationen sollten zeitnah kommuniziert und
Hochschulveranstaltungen künstlerisch zu bestehen. Damit
weitergereicht werden. Überschneidungen mit parallelen
erweitert die Hochschule zugleich ihren Publikumsradius und
Projekten gleicher Art müssten dabei die Ausnahme bleiben.
verhilft ihren Studierenden zu neuen Meilensteinen in ihren
Die vielleicht wichtigste Voraussetzung: Alle auch nur mittelbar
Biografien. Entscheidend bei alldem muss für die Hochschule
am Projekt beteiligten Kräfte des Hauses sollten hinter der
sein und bleiben, dass Kooperationen einen Mehrwert für ihr
Unternehmung stehen, sie nicht nur duldsam zur Kenntnis
Kerngeschäft, die Lehre, bieten: Die Hochschule soll und muss
nehmen, sondern wie eben möglich aktiv unterstützen. Die
die künstlerische Hoheit behalten, sowohl in der Wahl des
gewünschte Gründung eines Projektausschusses könnte ein
Repertoires als auch in Fragen der Um- und Besetzung. Andernfalls würde es sich nur um „Muggen“ handeln, musikalische Gelegenheitsgeschäfte mit reinem Dienstleistungscharakter ohne kooperative Anteile im eigentlichen Sinn. Auch ihnen verschließt sich die Hochschule nicht, indem sie mit der Künstlerbörse, ebenfalls beim Künstlerischen Betriebsbüro angesiedelt, jährlich mehrere hundert Auftritte für Studierende zu verschiedensten Gelegenheiten vermittelt. In der Frage zukünftiger Kooperationen darf und muss die Hochschule noch wählerischer werden. Sie ist längst über den Status hinweg, in der kulturellen Öffentlichkeit der Region ihre Qualität erst unter Beweis stellen zu müssen. Ihre aktuelle Aufgabe sollte sein, für wenige ausgewählte Projekte ihre eigenen Kompetenzen optimal zu bündeln und einzusetzen. Effizienz wird dabei zu einem Qualitätsmerkmal.
Vielfältige Projekte und Kooperationen kennzeichnen die besondere Qualität der Ausbildung an unserer Hochschule.
45
F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
Zur Ergänzung unserer Studienangebote öffnen wir die Hochschule auch durch Fundraising in die Bürgergesellschaft.
Im dIalog mIt der ÖFFentlIchkeIt Von Beate Eichenberg, Fundraiserin an der HfMDK und Geschäftsführerin der Gesellschaft der Freunde und Förderer der HfMDK Frankfurt am Main
W
enn eine staatlich finanzierte Hochschule sich ent-
Auch nach außen benennt die Hochschule so die Entscheidung,
scheidet, Fundraising zu betreiben, dann hat dies besondere
als Körperschaft öffentlichen Rechts zusätzliche private Förder-
Konsequenzen: Denn die Hochschule öffnet sich und lädt
mittel einzuwerben. Was aber bewegt die Hochschule dazu,
Bürgerinnen und Bürger, Stiftungen oder Unternehmen ein.
diesen ressourcenintensiven Weg einzuschlagen und ins Fund-
Anders jedoch als eine Einladung zum Tag der offenen Tür
raising zu investieren?
oder zu Konzerten und Aufführungen bedeutet diese Einladung im besten Fall eine Einladung zur aktiven Teilhabe.
Es sind die besten Ambitionen. Denn hier werden junge Künstler, angehende Pädagogen und Wissenschaftler ausgebildet, die
Aktiv, weil ein Förderer, der der HfMDK einen Teil seines Ver-
hochbegabt und mit großer Begeisterung studieren. Für sie soll
mögens anvertraut, mit der Hochschule darüber ins Gespräch
die Hochschule ein Ort sein, an dem sie die Freiheit der Kunst,
kommen will, wie dieses Geld eingesetzt wird. Er möchte an der
Großzügigkeit und Leidenschaft erleben; hier interpretieren sie
guten Weiterentwicklung der Hochschule beteiligt sein, und
das kulturelle Erbe, gestalten sie zeitgenössische Entwicklungen.
das wiederum wirkt sich auf die Verfasstheit der Hochschule
Das braucht optimale Ausbildungsbedingungen und zusätzliche
aus. Die Formulierung „… öffnen wir die Hochschule auch
Spielräume. Und dann, mit Angeboten, die über das reguläre
durch Fundraising in die Bürgergesellschaft“ im Leitbild zeigt
Curriculum hinausweisen, gewinnt eine Hochschule auch im
also, dass die HfMDK sich auf diesen Austausch einlässt.
internationalen Wettbewerb um die begabtesten Studierenden und die besten Lehrenden.
Und die Fundraiser bauen ebenfalls auf diese Zusage. Denn im Unterschied zu einer Non-Profit-Organisation wie zum Beispiel
Realisiert werden kann das nur mithilfe von Freunden und
„Ärzte ohne Grenzen“, innerhalb derer alle der Idee folgen, dass
Förderern. Ohne philanthropisches Engagement gäbe es keine
die Organisation Spenden sammelt, um in den Krisengebieten
Stiftungs- und Gastprofessuren und nicht das HfMDK Jazzfest.
der Welt medizinische Hilfe zu leisten, funktioniert Hochschul-
Es gäbe weder 50.000 Euro im Jahr für DAAD-Stipendien noch
Fundraising anders. Es ist ein freiwilliger Schritt und braucht
einen Exzellenzpreis für die beste wissenschaftliche Hausarbeit
umso mehr ein inneres, verbrieftes Versprechen, die Einwilligung
im Bereich Musikpädagogik und Musikwissenschaft und auch
der Lehrenden, der Studierenden und der Verwaltung, um
keinen Schauspielpreis. Die Vermittlungsprojekte für Kinder und
zu gelingen!
Jugendliche – Primacanta, Musik Monat Mai, das Schulprojekt Response – fehlten. Viele Stipendien und Projekthilfen für Studierende entfielen.
46
Ich lese mir die zwei Seiten, die das Produkt einer langen, beachtlichen und mit Verve bestrittenen Arbeitsphase sind, wieder und wieder durch – es will nichts hängen bleiben. Ich versuche mich mit Fragen anzuregen: Hilft mir das Leitbild? Kann es Studieninteressierten einen Eindruck von unserer Hochschule geben? Noch immer kein Signal. Vielleicht liegt es an den wohlgeformten Sätzen, die alles widerspiegeln und doch nur so wenig, weil es eben nur Worte auf Gäbe es das Fundraising nicht, wäre die Hochschule eine andere. Sie hätte weniger besondere Projekte und Vorhaben, und sie wäre stiller. So aber sprechen wir über eine Hochschule, die sich im Dialog befindet mit ihren Förderern und der Öffentlichkeit und die diesen Dialog auch als Gradmesser und Korrektiv nutzt. Im Jahr 2005 begann die HfMDK, gezielt mit Privatpersonen, Stiftungen und Unternehmen zu kooperieren. Damals hätte es das Fundraising nicht in ein Leitbild geschafft. Zu unbekannt, wenig erprobt, mit vielen Vorbehalten behaftet. 2014 wurde das Fundraising mit einstimmiger Zustimmung des Senats ins
Papier bleiben? Ist es reizvoll, Konflikte und Divergenz schriftlich anzuerkennen und zu akzeptieren? Müsste ich Worte wählen, die ich mit unserer Ausbildung verbinde (oder zumindest gern verbinden würde), wären das Freiheit, Großzügigkeit, Intuition, Leidenschaft. Jedes dieser Worte sprengt in seiner Bedeutung das Fassungsvermögen eines Textes. Sie zeigen für mich, was eigentlich wichtig ist: wie jeder durch sein persönliches Zutun die Hochschule, die Ausbildung und die Kunst lebendig werden lassen kann. Wem die Worte des Leitbilds dabei behilflich sind – bitte. maurice Lenhard, GesanGsstudent
Leitbild aufgenommen, sind die positiven Wirkungen vieler Kooperationen mit den Förderern der HfMDK unübersehbar: Neue Themenfelder entstehen, die Studienbedingungen werden verbessert und innovative Projekte umgesetzt. Gut, dass die Hochschule sich auch durch Fundraising in die Bürgergesellschaft geöffnet hat.
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F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
Leitende Prinzipien unserer Organisationskultur sind Transparenz, Kooperation, Solidarität und Loyalität.
FreIheIt und bIndung Von Angelika Gartner, Kanzlerin der HfMDK
D
ie vier Begriffe, mit denen wir unsere Organisationskultur
Das Grundrecht des Art. 20 Abs. 3 bindet die Verwaltung und
beschreiben, umreißen die leitenden Prinzipien unseres
verpflichtet sie, sich an Gesetze, Rechtsverordnungen, autono-
hoheitlichen und nicht-hoheitlichen Tuns nach innen und außen
me Satzungen und Gewohnheitsrecht zu halten und diese Hand-
und bezeichnen Grundsätze des Umgangs miteinander, ohne
lungsmaxime in Ausübung ihrer Tätigkeit stets zu wahren. Von
abschließende Zuschreibungen zu liefern. Sie sind gleichrangig,
diesen Grundsätzen, die die wichtigsten normativen Grundlagen
stehen aber in einem Spannungsverhältnis zueinander. Jeder
des Rechtsstaatsprinzips bilden, darf kein Bereich der Öffent-
Begriff für sich findet seine Wirkung relativiert und seine
lichen Verwaltung abweichen.
Bedeutung erläutert durch jeden anderen Begriff. Die vier von uns gewählten Begriffe der Organisationskultur Da sie sich auf unsere Organisationskultur beziehen, liegt der
fügen sich widerspruchslos in dieses Grundgefüge ein und
Akzent auf der freien Entscheidung, die wir zur Formulierung
entfalten auf dieser gesicherten Basis eine Selbstbindung, der
dieser Grundprinzipien im Laufe des Leitbildprozesses getroffen
wir uns in all unseren Handlungen verschreiben. Ihre jeweilige
haben. Wir waren frei, dies zu tun, weil diese Grundaussagen
Bedeutung und das Spannungsverhältnis, das ich eingangs
nicht im Widerspruch stehen zu den rechtlichen Vorschriften,
genannt habe, lassen sich so beschreiben:
die unsere Organisationsstruktur prägen. Diese ist durch die grundrechtlichen Vorgaben bestimmt, wie sie insbesondere in
Transparenz steht für nachvollziehbares Verwaltungshandeln,
Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz zum Ausdruck kommen:
für Offenheit und Durchschaubarkeit aller administrativen
Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die
Vorgänge. Transparenz ist damit unabdingbares Gebot unseres
vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz
Handelns. Beschränkt wird sie durch den Begriff der Loyalität,
und Recht gebunden.
wenn Transparenz individuelle Schutzrechte tangiert (Beispiel Datenschutz) oder höherrangige Geheimhaltungsverbote zu wahren sind. Kooperation bedeutet Zusammenarbeit dort, wo sie vorgeschrieben, notwendig, sinnvoll und erlaubt ist. Das Recht bzw. die Pflicht zur Kooperation findet Grenzen, wenn es – beispielsweise im Prüfungswesen – ausschließlich um die Leistung des Einzelnen geht oder Kooperation unsere institutionellen Interessen gefährden könnte.
48
Freiheit und Bindung
Solidarität verpflichtet uns, füreinander und für unser gemein-
Wir alle an dieser Hochschule haben uns entschieden,
sames Ziel nach innen und außen einzustehen. Solidarität mit
Teil dieser Institution zu sein. Mit unseren Ideen und
rechtswidrigem Tun ist uns aber untersagt.
Wünschen haben wir uns in einen Rahmen begeben, den wir als unseren Ideen und Wünschen dienlich
Loyalität bezeichnet Gesetzestreue und Bindung an die gesetz-
beurteilt haben. Vor uns haben sich viele andere dazu
lich vorgegebene hierarchische Struktur, an Zuständigkeiten
entschieden, Teil dieser Institution zu sein und die
und die Entscheidungen, die sich daraus ergeben. Das Loyali-
Hochschule als das zu erschaffen, was sie heute
tätsgebot zwingt uns aber nicht zu blindem Gehorsam, sondern
geworden ist. Dies ist unsere doppelte Geschichte,
lässt im Lichte der Transparenz Raum für die Berücksichtigung
der wir nicht entkommen können.
begründeter Zweifel.
Wozu sind wir an die Hochschule gekommen und wozu gab und gibt es die Hochschule als Institution?
Es ist an uns, diese leitenden Prinzipien zum Leben zu erwecken,
Zwangsläufig geht in einer Institution Inhalt zugunsten
sie in unserem täglichen Handeln anzuwenden und unser Tun
der Form verloren, da Strukturen geschaffen werden,
auf ihrer Grundlage kontinuierlich zu reflektieren. Wenn uns dies
in denen übereinander geredet wird, anstatt miteinander
gelingt, können wir für uns beanspruchen, eine wahrhaft moder-
zu reden. In der scheinbaren Umsetzungsunmöglichkeit
ne, demokratische Institution zu sein.
gefangen, verlieren wir den Blick für die Ideen und Wünsche, um derentwillen die Institution einst geschaffen wurde und weshalb wir uns entschieden hatten, uns in diese Struktur hinein zu begeben. Nur, wenn wir uns über unsere Beweggründe im Klaren sind, können wir uns zielführend um die Unmöglichkeiten kümmern, denen wir glauben, gegenüber gestellt zu sein. Und dann können wir uns fragen, ob wir weiterhin an die Unmöglichkeiten glauben wollen, die wir bislang in unsere Geschichte malen. Oder aber einen Schritt weiter gehen und miteinander reden, um die Ideen und Wünsche gemeinsam umzusetzen, für die wir und alle mit und vor uns Teil dieser Institution wurden.
hannah Weisbach, oboenstudentin
49
Anzeige gff
50
Foren schaffen, die Wissen verbreiten
Foren schaffen, die Wissen verbreiten Wir fördern lebendige Diskussion und ermöglichen Partizipation.
Von Cédrine Lussac, Projektmanagerin für Lehrentwicklung und Lehrevaluation
A
m Beispiel des hochschulöffentlichen Prozesses des
Partizipation zu ermöglichen. Dabei bedeutet Partizipation nicht
Leitbilds selbst lässt sich dieser Satz gut verorten. Die dort
nur Mitbestimmung, wie in den verschiedenen Gremien üblich,
erfolgreich erprobten Foren wie „World Café“ und „Open
sondern vielmehr Mitgestaltung, also das Einbringen eigener
Space“ motivierten zu regen Diskussionen über alle Fachbe-
Ideen und Bedürfnisse. In dieser Hinsicht gibt es schon einige
reiche hinweg, und eine Verstetigung zeichnet sich schon
aktive Akteure an der HfMDK. Hierbei ist wichtig, diese Syner-
ab, z. B. in der Form der Lehrendenvollversammlung mit den
gien durch systematisch und bewusst eingesetzte Plattformen
gut besuchten Thementischen. Dies sind vielversprechende
zu kanalisieren. Dies kann in Form von Befragungen oder Foren
Schritte, nicht nur zur Förderung des Austausches, des Vonei-
mit moderierter Kommunikation sowie durch gezielte Projekte
nander- und Miteinander-Lernens, sondern auch zur Förderung
stattfinden. Nicht nur die Innovations- und Wettbewerbsfähig-
einer spezifischen Hochschulkultur. Aber auch andere Formate
keit wird dadurch gefördert, sondern es wird auch eine qualifi-
zum Austausch innerhalb der einzelnen Fachbereiche haben
zierte und vor allem maßgeschneiderte Qualitätssicherung
teilweise schon Tradition, z. B. im Rahmen von Fachbereichs-
ermöglicht. Mit der Einführung von Qualitätsmanagement an
tagen. Nicht zuletzt finden sich lebendige Diskussionen auch
der HfMDK und der Unterstützung des Netzwerks Musikhoch-
in kleineren Kreisen, z. B. im Rahmen von gegenseitigen Hospi-
schulen steht dieser Weg an der HfMDK bereits offen. Partizi-
tationen unter Kollegen. Genau hier spielt auch das Netzwerk
pation als gezieltes, systematisches Einholen des „Expertenwis-
Musikhochschulen für Qualitätsmanagement und Lehrentwick-
sens“ bei den jeweiligen Akteuren ist allerdings nicht nur für die
lung eine unterstützende Rolle, indem es über individuelle
Festlegung adäquater Formate und Maßnahmen in der Quali-
Vor-Ort-Angebote zum kollegialen Austausch bzw. zur kollegia-
tätssicherung von Relevanz. Vielmehr ist Partizipation infolge
len Beratung einlädt. Auch durch die angebotenen Workshops,
der Autonomie der Hochschule für effiziente Leistungsstruk-
im Austausch mit den anderen Verbundhochschulen, können
turen unabdingbar. „Partizipation ermöglichen“ bedeutet also
zahlreiche Themen reflektiert und als Diskussionsgrundlage
für die HfMDK Foren zu schaffen, um dieses Wissen zu kom-
wieder in die Hochschule eingebracht werden.
munizieren und somit die Leitungsorgane zu stärken und gleich- zeitig die Effizienz von Entscheidungen sowie die Akzeptanz
Die Anforderungen der Gesellschaft und der Politik an eine
von Maßnahmen zu sichern. Dies kann allerdings nur gelingen,
Kunsthochschule wandeln sich und rufen vielfältige Verände-
wenn wirklich alle Akteure diese Chance auch ergreifen. Hierzu
rungen in der HfMDK hervor. Um diesen gerecht zu werden,
lädt das Leitbild ausdrücklich ein.
ist es besonders wichtig, den Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren der Hochschule weiter zu stärken. Entscheidend für die nachhaltige Entwicklung der Hochschule ist aber vor allem,
51
F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
Wir begegnen einander mit Wertschätzung, in wechselseitiger Anerkennung der Kompetenzen.
Von Hedwig Fassbender, Professorin für Gesang,
was und wie die Kollegen unterrichten. Erst danach kann ich mir
geschäftsführende Dekanin für Darstellende Kunst
ein Urteil darüber bilden, ob ich den Unterricht gut, spannend, wichtig, aussagekräftig oder relevant finde. Ein schnelles,
W
er „Wertschätzung“ bei Wikipedia eingibt, erhält folgende
womöglich in ein „bonmot“ verpacktes Urteil von jemand anderem ist nicht wirklich verlässlich.
Definition: Wertschätzung bezeichnet die positive Bewertung
Wertschätzung zwischen Hochschulleitung und Kollegium – Auch
eines anderen Menschen. Sie gründet auf eine innere allgemeine
hier wäre der Idealfall ein genaues Kennenlernen der Studien-
Haltung anderen gegenüber. Wertschätzung betrifft einen Men-
gänge auf der einen und eine nachvollziehbare Darstellung des
schen als Ganzes, sein Wesen. Wertschätzung ist verbunden mit
Arbeitsfeldes der Leitungsebene auf der anderen Seite.
Respekt, Wohlwollen und Anerkennung und drückt sich aus in Zugewandtheit, Interesse, Aufmerksamkeit, Freundlichkeit.
Wie kann sich Wertschätzung an unserer Hochschule äußern? –
Empfangene und gegebene Wertschätzung vergrößern das
eine sehr persönliche Wunschliste:
Selbstwertgefühl sowohl beim Empfänger als auch beim Geber. Ich wünsche mir ein Kollegium, in dem Lehrende echtes Wertschätzung beschreibt die Sicht auf den Menschen, Bewer-
Interesse dafür zeigen, was ihre Studierenden bei den anderen
tung die Sicht auf eine momentane (Prüfungs-)Leistung. Die
Kollegen lernen und sich darüber mit diesen austauschen. Das
tägliche Herausforderung für die Lehrenden ist es, die Balance
ist mit Lehrbeauftragten, die meist nur einen Tag im Hause
zu finden zwischen diesen beiden Begriffen, also zwischen der
sind schwierig, aber nicht unmöglich!
Empathie, die sich mit der Wertschätzung verbindet, und der
Ich wünsche mir eine Hochschule, in der Lehrende ihre Studie-
Objektivität, die eine Prüfungssituation erfordert. Eine saubere
renden bewusst in ihrer gesamten Entwicklung wahrnehmen
Trennung ist unabdingbar, wenn wir uns als Lehrende über die
und gleichzeitig in Prüfungssituationen einen wachen Blick für
Leistung eines Studierenden oder als Studierende über die
die realistischen Berufsperspektiven behalten.
Qualität des Unterrichts äußern. Bewertung schaut mit objek-
Ich wünsche mir eine Hochschule, in der es zum Standard
tiven, vergleichenden Kriterien auf die Leistung der Studieren-
gehört, dass Prüfungen nicht nur lange und gut mit den Studie-
den im Verhältnis einmal zu den Kommilitonen, zum anderen
renden vorbereitet, sondern auch sorgfältig und wertschätzend
mit Blick auf die Anforderungen im angestrebten Beruf. Nur in
nachbereitet werden; eine Hochschule, in der Studierende nach
einem wertschätzenden Klima ist hilfreiche, konstruktive Kritik
einer Prüfung erfahren, wie sie weiterarbeiten sollten, um sich
denkbar: Es lässt uns als Künstler die Möglichkeit, in einem
in der nächsten Prüfung gereifter präsentieren zu können.
geschützten Rahmen zu scheitern, ohne dass das Selbstwertge-
Ich wünsche mir eine Hochschule, in der das Präsidium die Be-
fühl Schaden nimmt. Ein konstruktiver Umgang mit Scheitern
dürfnisse der Abteilungen mit spürbarer Wertschätzung wahr-
ist für die Entwicklung eines Künstlers essenziell wichtig, und
nimmt; eine Hochschule, in der die Leitung in schwierigen
ohne ein gutes Selbstwertgefühl können wir nicht ausdrucks-
Situationen den direkten Kontakt mit den Ausbildungsdirektoren
stark, nicht authentisch sein. Konstruktive, wertschätzend
sucht, die neben ihrem Unterrichtsdeputat und über die fest-
geäußerte Kritik nach einer möglichst objektiven Bewertung
geschriebene akademische Selbstverwaltung hinaus quasi
lässt den Kern des Anderen unangetastet. Aber nur sie bringt
ehrenamtlich und oft im zeitlichen Konflikt mit ihren Familien
den Studierenden weiter. Generelles schnelles Lob ist oft
Visionen für ihre Studiengänge entwickeln.
einfacher als eine detaillierte Kritik.
Ich wünsche mir eine Hochschule, in der die Studierenden den Mut haben, wertschätzend zu äußern, wenn etwas nicht stimmt;
Wertschätzung im Kollegium – Ein wertschätzender Umgang
ein Ort, an dem sich „Hochschule“ nicht nur in der Leistung,
im Kollegium bedeutet mit echtem Interesse wahrzunehmen,
sondern auch im Miteinander deutlich unterscheidet von „Schule“!
52
Einheit in der Vielfalt?
eInheIt In der vIelFalt? Vom Personalrat der HfMDK
I
n Bezug auf die Vielfalt der Kulturen ist die Hochschule ein
sätze, die der allgemeinen Lohn-Entwicklung seit 40 Jahren
Vorbild. Sie vereinigt Menschen aus aller Welt in 22 Studien-
nicht angepasst wurden, erzeugt nun Unmut auf der einen Seite
gängen. So gewährleistet sie eine Ausbildung, die über die
und das Gefühl von Diskriminierung auf der anderen. Seminare,
Grenzen von Sprachen und Wahrnehmungsweisen hinausgeht
Gesangsstunden und Workshops müssen vorbereitet und
und die das Positive an internationalen Begegnungen hervor-
ausgewertet werden. Qualifiziertes Wissen wird ständig zur Ver-
hebt. Der Begriff der Diversität kann sich aber auch auf ver-
fügung gestellt und im bestmöglichen Sinne an die Studieren-
schiedene Arbeitsweisen und -stile beziehen. Deshalb ist es
den weitergegeben. Der Auftrag der Lehre, den die Hochschule
bemerkenswert, dass die ausgewählte Textpassage unter der
vergibt, sollte gerecht vergütet, gleichwertige Arbeit gleich-
Überschrift „Organisationskultur“ steht. Auch hierbei treffen
wertig honoriert werden.
unterschiedliche Ansichten und Interessen aufeinander. Oftmals wünschen wir uns mehr Offenheit und Neugier, eben mehr
Ein weiteres Beispiel zu unterschiedlichen Sichtweisen auf
Verständnis für die Arbeitsweisen der Anderen. Denn so ver-
einen Sachverhalt ist die Fremdvergabe von dauerhaft erforder-
schieden die Verfahren auch erscheinen mögen: Letztendlich
lichen Aufgaben: Die Pforte ist der Dreh- und Angelpunkt der
geht es um ein gemeinsames Ziel, nämlich die bestmögliche
Hochschule und ein Ort der Begegnung. Hier wie auch im
Lern- und Lehrsituation zu erwirken. Dieses kann nur erreicht
Reinigungsdienst sind aus wirtschaftlichen Gründen Mitarbei-
werden, wenn alle am selben Strang ziehen. Es arbeiten zahl-
ter/innen von Fremdfirmen eingesetzt. Obwohl sie täglich in
reiche Studierende, Professor/innen, Lehrbeauftragte, künstle-
diesem Haus arbeiten, sind sie aus der Gemeinschaft des „Wir“
risch-wissenschaftliche Mitarbeiter/innen und Verwaltungsan-
in mancher Hinsicht ausgeschlossen. Werten wir dies als
gestellte unter einem Dach und bilden eine Gemeinschaft. Doch
Zuwachs an Diversität oder an Diskriminierung? Es ist eine
kein soziales Gefüge ist perfekt und frei von Diskriminierung.
Tendenz unserer Zeit und politisch durchaus korrekt, hauptsäch-
Benachteiligung oder ungerechte Behandlung gibt es überall in
lich nach rechnerisch-wirtschaftlichen Faktoren zu entscheiden.
der Gesellschaft und auch hier an dieser Hochschule. Es stellt
Der Trampelpfad des politisch Korrekten kann aber durchaus ins
sich die Frage, wo Diskriminierung beginnt, und dazu gibt es an
Abseits führen, wenn er nicht laufend überprüft und eventuell
diesem Haus durchaus unterschiedliche Meinungen, wie z. B.
korrigiert wird. Nehmen wir das Leitbild als Anlass und Auffor-
in der Frage der Lehrbeauftragten: Die Lehrbeauftragten sind
derung, in einer lebendigen Auseinandersetzung zu bleiben
Teil dieser Hochschule, sichern nicht unerheblich das Fundament
über die Werte, die unsere Hochschule – und letzten Endes die
der Lehre. Und sie tragen maßgeblich zur Diversität an dieser
Gesellschaft – für alle menschlich und lebenswert machen
Hochschule bei. Ihre Forderungen nach Erhöhung der Stunden-
und eine echte Bereicherung sind.
Wir erleben Diversität als Bereicherung und dulden keine Diskriminierung.
53
Gegen Eigennützigkeit, Mobbing und Machtmissbrauch gehen wir aktiv vor.
Auszüge aus der „Richtlinie gegen Machtmissbrauch durch sexuelle Diskriminierung“, am 4. Juni 2008 herausgegeben vom Präsidenten der HfMDK Frankfurt am Main. Sie wird bei jeder Neueinstellung und Immatrikulation ausgehändigt, deren Empfang schriftlich bestätigt. 1. Präambel 1.1 Die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main fördert die gleichberechtigte Zusammenarbeit von Frauen und Männern auf allen Funktionsebenen in Dienstleistung, Studium, Lehre und Forschung. Sie tritt aktiv gegen Machtmissbrauch durch sexuelle Diskriminierung, Mobbing und Gewalt gegenüber Studierenden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Lehrenden ein und trägt dazu bei, Chancengleichheit im Sinne des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) zu verwirklichen. Sie legt Wert auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und auf eine gute Arbeitsatmosphäre in allen Bereichen der Hochschule.
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1.2 Machtmissbrauch durch sexuelle Diskriminierung ist an der Hochschule und im außerhochschulischen dienstlichen Umgang verboten. Alle Mitglieder und Angehörigen der Hochschule, insbesondere solche mit Ausbildungs-, Qualifizierungs- und Leitungsaufgaben in Lehre, Forschung, Ausbildung und Verwaltung, sind in ihren Arbeitsbereichen und Fachbereichen dafür verantwortlich, dass die Persönlichkeitsrechte von Menschen und deren individuelle Persönlichkeitsgrenzen respektiert und gewahrt werden, sowie sexuell diskriminierendes Verhalten und Gewaltanwendung unterbleiben bzw. abgestellt werden. Machtmissbrauch unter Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen am Arbeits- oder Ausbildungsplatz und im Studium unter Androhung und/oder Realisierung persönlicher oder beruflicher Nachteile bzw. unter Zusage von Vorteilen wird als besonders schwerwiegend bewertet. (…) 3. Beratungs- und Beschwerdeweg Betroffene Frauen und Männer haben das Recht und werden
In meiner Zeit an der Hochschule habe ich die
aufgefordert, über Machtmissbrauch zu berichten und sich zu
unterschiedlichen Persönlichkeiten, mit denen ich in
beschweren. Zuständige Ansprechpartnerinnen und Ansprech-
Kontakt kommen durfte, als menschliche und künstle-
partner sind neben den Frauenbeauftragten und der / dem
rische Inspiration wahrgenommen. Unsere Gemein-
Gleichstellungsbeauftragten alle Personen mit Leitungs-
schaft erlebe ich im respektvollen Umgang miteinan-
und Betreuungsaufgaben. (…)
der, die Stärken und Schwächen akzeptiert. Trotzdem plädiere ich für einen noch aktiveren Austausch
4. Maßnahmen und Sanktionen (…)
untereinander, der selbst Konfrontation nicht ausweicht. Sich aneinander zu reiben, kann meiner
– Durchführung eines formellen Dienstgesprächs
Meinung nach auch eine fruchtbare Methode und eine
– Mündliche oder schriftliche Belehrung
interessante Strategie sein, um vorwärts zu kommen
– Schriftliche Abmahnung
und den eigenen Horizont zu erweitern. Eine starke
– Einleitung eines Disziplinarverfahrens
Gemeinschaft kann dem Einzelnen nicht nur Kraft
– Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz
und Halt geben, sondern auch einfach den Alltag
– Ggf. Strafanzeige durch die Präsidentin oder den Präsidenten
abwechslungsreicher machen.
– Fristgerechte oder fristlose Kündigung – Hausverbot
Finn LaKeberG, student FÜr ZeitGenÖssischen und KLassischen tanZ
– Exmatrikulation
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E s b r a u c h t Ve r s t e t i g u n g
Wir streben nach Verbesserung auf der Basis kontinuierlicher Reflexion.
eS braucht verStetIgung Von Manuel Röschinger, Leiter der Abteilung Finanzen und Controlling an der HfMDK
D
ieses Vorhaben ist ein großes Ziel, das in der Hoch-
Das Vorgehen muss einerseits hochschulweit verfolgt werden –
schule, seit ich das beobachten kann (2009), immer wieder an-
hierfür soll zum Beispiel die AG Konsolidierung, die im Prä-
gestrebt und begonnen, aber oft nur mit großen Anstrengungen
sidium verankert ist, beitragen – als auch von jedem für sich
erreicht wurde. Die größte Schwierigkeit besteht dabei darin,
und seinen Arbeitsbereich. Ich gehe davon aus, dass kontinu-
aus der kontinuierlichen Reflexion dauerhafte Lösungen zu ent-
ierliche Reflexionsprozesse in der Lehre für die Weiterentwick-
wickeln, die auch weiterhin immer wieder sich laufend ändernden
lung eine zentrale Rolle spielen. Aufgrund meiner Tätigkeit
Rahmenbedingungen angepasst werden müssen. Der Hoch-
beziehe ich mich in diesem Beitrag aber auf die administrativen
schule fehlt es nicht an vielen, kreativen und sinnvollen Lösungs-
Prozesse in der Hochschule. Zur Veranschaulichung stelle ich
ideen und ihren Umsetzungen, sondern oft an der Verstetigung
kurz die Arbeit an einer Finanzordnung vor, die nicht einfach
und Institutionalisierung. Dies zu ändern, ist die Hauptauffor-
nur ein Regelwerk darstellt, sondern die kontinuierlich aktuali-
derung, die sich für mich aus dem Leitbildsatz ableitet.
siert und je nach inhaltlichem Bedarf der Empfänger zusammengestellt und persönlich zugesandt wird. Jeder erhält eine
Das erfordert zunächst eine organisatorische Kraftanstrengung
Version, die nur seine Themen betrifft, niemand muss sich mit
durch Dokumentation und systematische Kommunikation und
einem Kompendium auseinandersetzen, das ihn zu 90 Prozent
führt darüber hinaus zu einer Verbindlichkeit, die zunächst nicht
sowieso nicht betrifft. Bei Änderungen werden die aktualisier-
immer nur Freude bei den Betroffenen auslöst. Ich bin aber
ten Versionen unmittelbar per Mail zugesandt, und neue Mit-
überzeugt, dass organisierte und zwischen den Beteiligten
arbeiter erhalten die jeweils aktuellste Finanzordnung zu Tätig-
abgestimmte Arbeitsabläufe zur Entlastung aller Betroffenen
keitsbeginn. Die Zeit der veralteten und nur an den Teil der
führen. Herrscht hierüber Konsens, ist die Grundlage für die
Belegschaft, der zum Zeitpunkt der Verteilung gerade an der
Motivation gelegt, sowohl die eigene Arbeit wie auch die Zu-
Hochschule war, verteilten Regelwerke sollte damit zu Ende
sammenarbeit mit allen anderen Angehörigen der Hochschule
gehen. Das Verfahren wurde gemeinsam von Erstellern und
kontinuierlich zu reflektieren und Verbesserungen zu entwickeln.
Empfängern erarbeitet und soll laufend auf der Basis der
In dem Wissen, dass dies sowohl zur Entlastung der eigenen
Erfahrungen der Ersteller sowie der Rückmeldungen der Nutzer
Tätigkeit und Arbeitsbelastung wie auch die aller anderen führt
weiter entwickelt werden. Wenn dies gelingt, könnte das im
und gleichzeitig bessere Arbeitsergebnisse liefert, steigt die
Sinne dieses Leitbildabsatzes einen wichtigen Beitrag zur
Motivation deutlich an, dieses Ziel zu verfolgen.
kontinuierlichen Weiterentwicklung der administrativen Qualität der Hochschule darstellen. Wenn es einen Beispielcharakter für kontinuierliche Verbesserungsprozesse entwickelt, wäre ein noch höheres Ziel erreicht.
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F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
Von Dr. Maria Spychiger, Professorin für Musikpädagogik
I Fehler Im leItbIld der hFmdk
n unserem Leitbild steht, dass wir in Fehlern Potenziale
sehen. Der ganze Satz, er steht im Abschnitt „Organisationskultur“, klingt etwas vage. Hätte unser Leitbild einen Hypertext – und die aktuelle Ausgabe ist doch nun ein solcher –, würde man hinter dem Satz ein Konzept finden mit dem Namen „Fehlerkultur“. Es war Gegenstand einer Arbeitsgruppe in der Veranstaltung „Open Space“ der Leitbildentwicklung. Fehlerkultur hat eine noch junge Geschichte. Die Katastrophen von Tschernobyl und Schweizerhalle 1986 führten zu organisationspsychologischen Untersuchungen, die ergaben, dass fehlerfreundliche Betriebe sicherer sind. Sie weisen weniger Unfälle und Krankheitstage der Mitarbeitenden aus als solche mit fehlerablehnendem Profil. In der Semantik unseres Leitbildsatzes entspricht dies einem Sicherheitspotenzial des Fehlers. Seither haben viele Produktions- und Dienstleistungsbetriebe, besonders auch das Gesundheitswesen, ein Fehlermanagement eingeführt. Fehlerfreundlichkeit bedeutet, dass man die menschliche Fehlbarkeit – errare humanum est – annimmt und Fehler nicht verleugnet, sondern sie anschaut. Die Unterrichtsforschung und die Lernpsychologie griffen ab den 1990er Jahren den Umgang mit Fehlern in Lehr-Lernprozessen auf, um das vielseitige Lernpotenzial des Fehlers zu ergründen. Einerseits gilt: Lernen aus Fehlern ist schmerzhaft. Vielleicht hat man einem Mitmenschen Leiden zugefügt oder Materialkosten verursacht, einmal droht Gesichtsverlust oder eine schlechte Note. Vor Fehlern fürchtet man sich. Aber es ist den Fehlern etwas Weiteres zu eigen: Sie haben Kreativitätspotenzial. Aus Fehlern ist schon viel Neues und oft Segensreiches entstanden, zum Beispiel das Penicillin. Künstlerinnen und Künstler spielen jeden Tag mit dem Fehler und seinen Grenzen, seiner Überraschungskraft, seinem Freude-, Ärger-, Anregungs- und Reflexionspotenzial. Um an die Potenziale des Fehlers heranzukommen, muss man auch die Frage zum Begriff stellen: Was ist eigentlich ein Fehler?
In Konflikten, Fehlern und Irrtümern sehen wir Potentiale für Veränderung.
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Es gibt die verschiedensten Fehler, kleine und große, katastrophale und Peanuts. Viele kann man wieder gut machen, andere nicht. Die robusteste Fehlerdefinition ist die normtheoretische: Ein Fehler ist die Abweichung von einer durch wen und was auch immer definierten Norm. So kommt man auf richtig und falsch. Oder aber die Norm ist nicht bekannt, dann ist man im Bereich des Irrtums. Mit den Normen ist es auch eine Arbeit. Woher kommen sie, wer darf oder muss sie setzen? Wie verständigt man sich darüber? Es gehört deswegen nebst der Fehlerfreundlichkeit und der Lernorientierung auch die Normtransparenz zur Fehlerkultur. Die Mitglieder einer Institution müssen wissen oder ein Gefühl haben dafür, was gilt, was die Richtschnüre und Standards sind, was erwartet wird und was geschieht, wenn man sich über sie hinwegsetzt. Vieles davon muss man immer wieder aushandeln. Die anspruchsvollen Dinge in unserem Leitbild – darunter auch die Fehlerkultur – können Anlass sein, es nicht auf der Homepage und in den Köpfen einschlafen zu lassen, nachdem wir viel in den Prozess gesteckt haben. Zitierte und weiterführende Lektüren: Kruse-Weber, Silke (Hrsg.) (2012). Exzellenz durch differenzierten Umgang mit Fehlern. Kreative Potenziale beim Musizieren und Unterrichten. Mainz: Schott. Oser, Fritz & Spychiger, Maria (2005). Lernen ist schmerzhaft. Zur Theorie des Negativen Wissens und zur Praxis der Fehlerkultur. Weinheim: Beltz. Spychiger, Maria (2013). Fehlerkultur als Beziehungssicherheit. In: T. Hake (Hrsg.): Von der Herausforderung, die Lösung (noch) nicht zu kennen. Entwicklungskonzepte für Menschen und Organisationen in Zeiten rapiden Wandels (S. 139-161). Heidelberg: Carl-Auer Verlag. Wehner, Theo (Hrsg.) (1992). Sicherheit als Fehlerfreundlichkeit. Opladen: Westdeutscher Verlag.
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F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
Auf der Grundlage dieses Leitbildes entwickeln wir – die Studierenden, die Lehrenden und die Mitglieder der Verwaltung – unsere Maßstäbe für Qualität und Evaluation und gestalten so die Zukunft der Hochschule.
gelenkte auFbauarbeIt Von Brigitte Binder, Referentin für Qualitätsmanagement Studium und Lehre
E
s steckt viel Substanz in diesem Satz. Die Zukunft der
Eine alte „QM-ler Weisheit“: „Die Sau wird nicht vom Messen
Hochschule etwa. Es soll eine geben, so viel steht fest. Diese
fett!“ Das ist völlig richtig, denn es ist das Füttern, das sie fett
Zukunft aber – sie fällt nicht vom Himmel. Sie entsteht nicht
macht. Es geht also nicht darum, Inhalte durch Maßstäbe zu
automatisch gleich einem angestoßenen perpetuum mobile,
überlagern und ohne Berücksichtigung ihres Kontexts einzusetzen.
sondern ist das Ergebnis einer Gestaltung. Es muss also etwas
Aber es geht sehr wohl darum hinzuschauen. Nur wenn wir
aktiv getan werden. Gestaltung ist gelenkte Aufbauarbeit. Die
wissen, wo wir stehen und wo noch Entwicklungspotenziale be-
Gestalt manifestiert sich nicht zufällig. Sie braucht zunächst
stehen, können wir passgenaue Handlungen ableiten. Evaluationen
eine Vision. Dann, um konkret zu werden, einen „Bauplan“.
sind dafür unumgänglich. Sie machen aber nur Sinn, wenn der
Langfristige Ziele bilden das Gerüst dafür, sowohl für die
Blick auf die bestehenden Ziele beibehalten wird. Und dann,
Hochschule als Ganzes als auch für ihre jeweiligen Einheiten.
wenn die gewonnenen Erkenntnisse Handlungen auslösen – im
Konkrete Ziele sind für die Gestaltung unerlässlich. Woher nun
Sinne einer Selbstreflexion und einer Steuerung.
stammen diese Ziele? Auch sie fallen nicht vom Himmel – Gott sei Dank! Sie werden uns nicht „von außen“ vorgegeben. Wir
Übrigens sind auch die gesetzten Ziele und Maßstäbe selbst
selbst dürfen sie definieren und müssen es auch: Wir entwickeln
nicht „in Stein gemeißelt“. Auch sie müssen wir von Zeit zu Zeit
unsere Maßstäbe für Qualität und Evaluation. Was bedeutet
verändern, um dem „großen Ganzen“ Rechnung zu tragen. Dazu
das? Es bedeutet, dass uns niemand sagt, woran wir unsere
gehört etwa die Hochschulumwelt. Gerade durch unseren ge-
Qualität erkennen. Wir sind es, die sagen müssen, welche
sellschaftlichen Auftrag müssen wir unsere Ressourcen ziel-
Beschaffenheit „unsere Qualität“ hat. Woran machen wir die
orientiert einsetzen. Und der Gesellschaft über das Erreichte
Qualität unserer Arbeit fest? Woran merken wir, ob wir unsere
Rechenschaft ablegen. Entscheidungen – nachvollziehbar und
eigenen Ansprüche erfüllen oder eben nicht? Und wie gehen
verbindlich – an unsere Ziele koppeln. Deren Umsetzungsmaß-
wir mit diesen Erkenntnissen um?
nahmen auf den Grad der Zielerreichung prüfen. Diese Arbeit kann kein anderer machen als wir selbst. Wir, das sind die
Dazu ist es nötig, dass wir einen angestrebten Sollzustand
Studierenden, die Lehrenden und die Mitarbeiter der Verwal-
definieren. Und zwar einen langfristigen, allgemeinen, der das
tung. Bei dieser Arbeit müssen wir alle an „einem Strang“
Überleben der Hochschule sichert. Und einen spezifischen,
ziehen, gemeinsam mit der Hochschulleitung, die die Verant-
welcher in den einzelnen Einheiten definiert wird, immer mit der
wortung für die Entwicklungsplanung wahrnimmt. Das Leitbild
Frage: Wie tragen unsere spezifischen Ziele ganz konkret zu
ist dazu eine gute Grundlage. Nun muss es weiter gehen. Diese
den übergeordneten bei? Es ist zudem unverzichtbar, dass wir
Arbeit ist mühsam, erfordert Mut und ständiges „Dranbleiben“ –
Maßstäbe entwickeln, an denen wir den Grad der Annäherung
aber sie lohnt sich. Denn schließlich hängt die Zukunft der
an den Sollzustand beurteilen – heißt messen – können.
Hochschule davon ab.
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Gesellschaft der Freunde und Förderer
240.000 euro von der geSellSchaFt der Freunde und FÖrderer
Auch an der 75-Jahrfeier der HfMDK im April 2013 beteiligte
Am 15. Juli 2014 fand die diesjährige Mitgliederversammlung
Heute unterstützen rund 280 Vereinsmitglieder, darunter 28
der Gesellschaft der Freunde und Förderer (GFF) der HfMDK
Unternehmen, die Hochschule. Damit ist der Förderverein eine
statt. In einem Überblick über das zurückliegende Vereinsjahr
tragende Säule der privaten Finanzierung der Hochschule. Mit
berichtete der Vorstandsvorsitzende Dr. Clemens Börsig über
seiner Förderlinie will der Verein vor allem die Hochschullehre,
die Förderprojekte des Vereins, für die Spendengelder in Höhe
das Stipendienangebot der HfMDK und künstlerische Projekte
von 240.000 Euro bereitgestellt wurden. Unter 30 geförderten
mit großer Ausstrahlung stärken.
sich die GFF: Sie ermöglichte den Druck der Festschrift „Kunstausbildung im Wandel – Zukunft der Künste“ und veranstaltete ein Benefizkonzert mit Christoph Prégardien und Udo Samel. Auch der zweite Kaminabend der Gesellschaft der Freunde und Förderer fand im Rahmen der Festwoche auf Einladung der DZ BANK und ihres Vorstandsvorsitzenden und Vorstandsmitglieds der GFF, Wolfgang Kirsch, statt.
Projekten waren große Jahresprojekte mehrerer Ausbildungsbereiche mit einem Finanzvolumen von jeweils bis zu 25.000
Dieses Engagement der Förderer ist ein hochwirksames
Euro. Am anderen Ende der Skala wiederum wurden viele
Instrument im Wettbewerb um die besten Studierenden und die
studentische Förderanträge bewilligt.
besten Lehrer. Und so sieht sich die gemeinnützige Gesellschaft der Freunde und Förderer der Hochschule für Musik und
Umgesetzt wurden 2013 unter anderem zehn Starterstipendien
Darstellende Kunst Frankfurt am Main e.V. als ein Angebot für
für Studienanfänger sowie Stipendien für ausländische Studie-
alle, die den künstlerischen Nachwuchs auf hohem Niveau
rende, eine Gastprofessur für die Schauspiel- und Regiestudenten,
fördern und die Zukunft der HfMDK mitgestalten möchten.
die Orchestrierung von Abschlusskonzerten im Konzertexamen, Studienfahrten, Instrumentenwartungen, Zuschüsse zu Meister-
Die Mitglieder der Gesellschaft der Freunde und Förderer
kursen und Workshops mit renommierten Künstlern. So arbeitet
der Hochschule genießen besondere Angebote, darunter den
Helmut Deutsch seit 2012 mit den Studierenden, und die Sängerin
ermäßigten Eintritt zu den Konzerten und aktuelle Informatio-
und Opernregisseurin Brigitte Fassbaender hat im Dezember
nen, besondere Einladungen, zum Beispiel zu den „Kunst-
drei Tage mit Gesangsstudierenden der HfMDK gearbeitet.
übungen“, akademischen Feiern, dem Sommerfest der Hochschule, Unterrichten, Generalproben und Workshops. Der Jahresbericht 2013 der GFF mit allen Infos zu den Förderprojekten sowie die Infos zur Vereinsmitgliedschaft stehen als Download im Netz (hfmdk-freunde.de) oder können bestellt werden. Alle Infos rund ums Fördern und Spenden und zur Mitgliedschaft im Förderverein erhalten Sie von den Fundraiserinnen der HfMDK: Beate Eichenberg (Leitung) Telefon 069–154 007 137 beate.eichenberg@hfmdk-frankfurt.de und Dr. Laila Nissen Telefon 069–154 007 210 laila.nissen@hfmdk-frankfurt.de 61
SerIe:
beginnt jeder neue architektonische Auftragsentwurf für ihn
verSchlungene lebenSWege unSerer alumnI № 3
heute mit dem ersten Strich auf Papier oder PC-Bildschirm. „Aus dieser Perspektive ist Architektur noch am ehesten mit der Tätigkeit des Komponierens vergleichbar“, sagt Felix Mantel. Sein Kawai-Flügel steht schon seit Jahren bei Bekannten in Oberursel. Er begleitete seinen Besitzer nicht auf den beruflichen Stationen, die Felix Mantel in seiner zweiten Qualifikation als Architekt absolvierte: Paris, München, Berlin, seit April wieder
vom kIndheItStraum zum lebenSmodell
Frankfurt am Main, wo er sich als selbstständiger Architekt mit sechs Kollegen die gemeinsamen Büroräume in Bornheim teilt. Um es deutlich zu sagen: Das Klavier spielt in seinem Leben zurzeit gar keine Rolle – schon durch das berufliche Einge-
Der selbstständige Architekt Felix Mantel begann seine berufliche Qualifikation vor über 20 Jahren als Klavierstudent an der HfMDK
spanntsein findet Felix Mantel keine Zeit für eigenes Musizieren.
D
und klanglichen Ansprüchen gerecht werden könnte, die vor 20 ie FiT-Serie „Verschlungene Lebenswege unserer Alumni“
Doch seine musikalische Schweigsamkeit ist nicht nur eine Frage des Zeitmanagements: Eine wirkliche Zufriedenheit „mit dem Rumdilettieren auf dem Klavier“ hat Felix Mantel noch nicht gefunden. Er weiß, dass er heute kaum mehr den technischen Jahre noch seinen täglichen künstlerischen Ehrgeiz prägten.
führt in dieser Ausgabe in ein Architekturbüro in einem Altbau
Das klingt nach Neuorientierung und Korrektiv eines Lebens-
an der Berger Straße in Bornheim. Dort sitzt Felix Mantel, seit
traums. Doch die heutige Realität bestätigt Felix Mantel immer
April nach einigen beruflich bewegten Jahren als umtriebiger
wieder in der versöhnlichen Zuversicht: Keine Stunde seines
Architekt wieder dort angekommen, wo er 1992 sein Studium
siebenjährigen Musikstudiums war vergeblich.
begonnen hatte: in Frankfurt am Main – damals noch als Klavierstudent an der HfMDK.
Seine Mutter Psychologin, sein Vater arrivierter Solocellist und Professor für Violoncello an der HfMDK mit für seine Zeit vor-
Als er vor wenigen Jahren in Paris vor 30 Fachleuten seinen
denkerischen Ideen über Methodik und effizienten Übe-Strategien,
architektonischen Plan eines 40-Millionen-Bauprojektes
Sohn Felix der Gymnasiast, der als Kind das Klavier für sich und
präsentierte – in französischer Sprache, versteht sich – fühlte
seine eigene Begeisterungsfähigkeit entdeckte, „weil es einfach
sich Felix Mantel ein wenig an einen Bühnenauftritt als Pianist
zu Hause rumstand“ und Musizieren im Hause Mantel eine schiere
erinnert. Die frühere Erfahrung, sich als Musiker regelmäßig
Selbstverständlichkeit war. Mit sechs Jahren begann sein Klavier-
vor Publikum mit spielerischem Können zu exponieren, kam ihm
unterricht, durchgängig bis zum Studienbeginn. Bis dahin hatte
dort jedenfalls sicherlich zugute. In der Musik interpretierte er
er bereits sieben Jahre bei Irina Edelstein, emeritierte Klavierpro-
bereits Vorhandenes, nämlich Noten – heute schöpft er selber:
fessorin der HfMDK, Unterricht genossen und begann sein
Mit Stift, Skizzenrolle und Computerprogramm lässt er Gebäude
Studium bei Prof. Raimund Havenith, dessen Frau Jimin Oh-
entstehen und wagt damit täglich den Balanceakt zwischen
Havenith als Lehrbeauftragte nach der Erkrankung ihres Mannes
ästhetischer Kreativität und nützlicher Notwendigkeit. Analogien
auch Felix Mantel in ihre Klasse aufnahm. Große Zweifel an
zur Welt seiner Vergangenheit, der Musik? Klar kennt man in
der Eindeutigkeit seines musikalischen Werdegangs hatte der
beiden Disziplinen, Musik und Architektur, die konstituierenden
17-jährige Abiturient damals kaum, wenngleich: Schon im
Phänomene von Reihung und Rhythmus, Regelmäßigkeit und
ersten Semester seines Klavierstudiums besuchte er – vielleicht
deren Durchbrechungen. Doch während Felix Mantel auf seinem
in intuitiver Ahnung – als Gasthörer eine Architekturvorlesung in
Lebensweg zum diplomierten Konzertpianisten stets vorhandenes
Darmstadt: „Das hätte damals schon ein Plan B für mich sein
„Rohmaterial“, bereits auskomponierte Noten, kraft analytischer
können.“ Wie sehr Architektur dies in der Tat später wurde,
Durchdringung, ideeller Aneignung, stilistischer Nuancierung
erschloss sich für ihn gegen Ende seines siebenjährigen Klavier-
und motorischer Fertigkeit zum klingenden Leben erweckte,
studiums. Trotz allen Fleißes und Talents erkannte Felix Mantel,
62
dass ein existenziell zufriedenstellendes Auskommen mit dem Dasein als Konzertpianist nicht in realer Erreichbarkeit schien. Er erinnert sich: „Es war schon auch schmerzhaft zu sehen, dass mein bisheriges Lebensbild nicht zu funktionieren schien.“ Kompromisse wie ein Dasein als Klavierpädagoge oder Musikmanager wollte er nicht eingehen. So kam es, dass der studierte Pianist zwei Tage nach seinem zweiten Diplom-Prüfungsteil in Darmstadt als regulärer Architekturstudent in einer Statikvorlesung saß. Klar befand sich Felix Mantel als Erstsemester damals in einer biografisch anderen Phase als seine Darmstädter Kommilitonen – nicht nur, weil er dort nun zu den Älteren gehörte. Hier wurde ihm aus anderer Perspektive deutlich, wie sehr er während seines Musikstudiums auch auf anderen Ebenen als der rein künstlerisch-musikalischen gereift war: „Die Zeit bei Jimin Oh-Havenith an der Hochschule war für mich eine prägende Zeit, ganz stark persönlichkeitsbildend, weit über reinen Klavierunterricht hinaus“, resümiert der Alumnus seine Frankfurter Studienzeit. „Wovon ich am meisten profitiert habe, ist, dass meine Lehrerin mir nicht nur aufgezeigt hat, wo meine pianistischen Probleme liegen, sondern welche grundsätzlichen tischen Probleme liegen, sondern welche grundsätzlichen Aspekte des Menschseins wesentlich sind.“ Noch heute erwähnt Felix Mantel dankbar das „Privileg des Musikstudiums, sich dabei genau selbst kennenzulernen, weil man sich so direkt und unmittelbar ausgeliefert ist“. Und zwar nicht nur vor dem Hintergrund, dass täglich achtstündiges Üben allein in einem Raum bisweilen die kommunikative Qualität einer Einzelhaft haben kann: „Das klingende Klavier war ein Spiegel meines Inneren, und zwar in einer viel höheren Auflösung, als sie andere Berufsbilder liefern können. Für mich entscheidend war, mich selbst dabei zu beobachten, wie effektiv ich arbeitete.“ Das Musikstudium als begonnene Umsetzung seines Kindheitstraums brachte Felix Mantel zudem „soft skills“ und Tugenden Mantel zudem „soft skills“ und Tugenden nahe wie Kraft, Disziplin, Konzentrationsfähigkeit, DurchhalteverKonzentrationsfähigkeit, Durchhaltevermögen – und Demut. Zudem erlebte er die Hochschule erfreulich als einen „Schmelztiegel von Gruppen und Nationen, mit denen ich nach Feierabend natürlich viel und oft zusammengesessen habe“, erinnert er sich dankbar. Was Felix Mantel in seiner Studienzeit vor 20 Jahren am Geist der Hochschule vermisste, war der „Raum zum Experimentieren“, und zwar jenseits dogmatisch verfestigter Stil- und Interpretationstraditionen. Heute weiß er: Professioneller Anspruch und „Mut zur Unvollkommenheit“ müssen sich nicht widersprechen. bjh
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Jede note durchleben Erik Schumann ist seit einem Jahr Professor für Violine an der HfMDK
I
„ deal ist es, wenn jemand am Ende sich selbst unterrichten kann.“ Ein Satz von Erik Schumann, der wegweisend ist für seinen pädagogischen Auftrag als Geigenprofessor an der HfMDK. Der international erfolgreiche Violin-Solist baut seit dem Wintersemester 2013/2014 seine eigene Geigenklasse in Frankfurt auf und versteht es demutsvoll als „Privileg“, dass ihm junge Musiker auf ihrem Weg in ein professionelles Musikerdasein anvertraut werden. Sein Wunsch, jenseits seines erfolgreichen Solistendaseins – das NDR-Sinfonieorchester, das WDR Sinfonieorchester, das Gewandhausorchester Leipzig, die Bamberger Symphoniker und das Chicago Symphony Orchestra sind nur einige in der Reihe jener Klangkörper, die Erik Schumann bereits begleitet haben – sein Wissen und eigene Erfahrung an Jüngere weiterzugeben, ist in den letzten Jahren „aus der Tiefe heraus gewachsen: Es reizt mich, bei Herausforderungen zu helfen, mit denen ich selbst gekämpft habe, und dabei Lösungswege vorzuschlagen.“ Mindestens genauso wie seine Studierenden profitiere er selbst vom Unterrichten, ist sich Erik Schumann sicher: „Es ist spannend und immer lehrreich zu sehen, wie verschieden Menschen den vielfältigen musikalischen und technischen Anforderungen begegnen.“ Als Geigenprofessor möchte Erik Schumann musikalische Persönlichkeiten zu entfalten helfen, „die danach brennen, das Musikleben der Gegenwart mit zu gestalten“. Die äußeren Umstände und Anforderungen auf dem Musikmarkt wandeln sich seiner Erfahrung nach schnell und umfassend. Die einzige Konstante, an der sich Musiker darin orientieren könnten, bleibe zugleich auch die entscheidende: höchste Qualität. Die zu erreichen, bedeutet für ihn, sich von jeglichem Korsett naiven Nachmachertums zu befreien, eine musikalisch eigene Überzeugung zu leben und sich dabei mit maximaler Empathie auf musikalische Kommunikation mit anderen Musizierenden einzulassen. „Die Fühler zum musikalischen Gegenüber ausstrecken und empfangsbereit sein“ ist eine Tugend, die sich Erik Schumann als Solist zu eigen gemacht hat, um in den knappen Probenphasen vor einem Konzert ein möglichst subtiles Aktions- und Reaktionsschema zwischen Solist, Dirigent und Orchester
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Foto: Marco Borggreve
auch Zakhar Bron später arrangieren, nachdem er Schumann mit elf Jahren als Jungstudent in seine Klasse in Lübeck aufgenommen hatte. Auch die Frage „warum unterrichtest du eigentlich?“ hatte der Geigenprofessor dem jungen Erik zu beantworten. Bei Bron lernte Erik Schumann früh und intensiv, sich auch virtuoses Repertoire anzueignen. Dies empfiehlt er übrigens auch seinen jetzigen Bachelor-Studierenden: sich zeitig in den Extremen des romantischen Repertoires zu bewegen, um über eine große Bandbreite an Ausdrucksmöglichkeiten und technischen Grenzerfahrungen zu verfügen. Eine stets latente Überforderung könne dabei Antrieb sein, sich niemals mit dem Status quo zufrieden zu geben. Spätestens die Schweizer Sommerkurse bei Dirigent Seiji Ozawa sensibilisierten Erik Schumann für den Erlebniskosmos des Quartettspiels bzw. der Kammermusik überhaupt. Vielleicht waren sie die mentale Geburtsstunde des heute international bereisten „Schumann Quartetts“, dessen Primarius Erik Schumann heute ist, komplettiert durch seine Brüder Ken (Violine) und Mark (Violoncello) sowie der HfMDK-Absolventin Liisa Randalu, die aus der Bratschen-Klasse von Roland Glassl stammt – ein eher zufälliger Beweis übrigens für Erik Schumann, in welch qualitativ hochwertige Kollegenschaft er in Frankfurt hineinwächst. in den Dienst der Musik zu stellen. Sich darauf einzulassen,
Wie geht der Solist und Professor, der sein Orchester-Solo-
hat Erik Schumann vor allem bei und mit Dirigent Christoph
Debüt mit 15 Jahren mit dem Gewandhausorchester feierte
Eschenbach erfahren, dessen „wahnsinnig ehrliche und tiefe Art,
und als 23-Jähriger mit Dvoraks Violinkonzert und Christoph
zu musizieren und dabei einfach menschlich zu sein“, auch sein zu musizieren und dabei einfach menschlich zu sein“,
Eschenbach mit dem Chicago Symphony Orchestra den
eigenes Bild als Künstler auf der Bühne geprägt hat. Von ihm
„puren Hammer“ eines unvergesslichen Klangrausches erlebte,
habe er, so Schumann, gelernt, „sich für das, was man tief
eigentlich mit Lampenfieber um? „Aufregung ist für mich
im Inneren fühlt, nicht zu schämen, sondern es zu schätzen
Ausdruck von Verantwortung, die ich verspüre“, erklärt Erik
und zu pflegen“.
Schumann. „Es geht darum, sich diese Aufregung zum Freund zu machen.“ Dabei sei es wichtig, die Verantwortung nicht
Im Alter von vier Jahren erlernte Erik Schumann das Violinspiel
erst unmittelbar vor und während des Auftritts wahrzunehmen,
mit der Suzuki-Methode. Das Kennenlernen des Instruments
sondern in jedem Moment der Vorbereitung. „Das Präsentieren
durch intensive Hörsensibilisierung und die gemeinsamen
im Konzert ist nicht mehr die eigentliche Arbeit. Bevor auch
Auftritte der Geigenschüler auf der Bühne sind zwei Vorzüge,
nur eine Note auf der Bühne gespielt ist, muss ich jede Note
die er damals wie heute an dieser Pädagogik schätzt. An der die er damals wie heute an dieser Pädagogik schätzt. An
vorher durchlebt haben.“ Egal, ob als Solist oder im Tutti am
Rheinischen Musikschule lockten ihn zunächst mehr die
hintersten Pult der zweiten Geigen. Sobald Musik im Spiel ist,
Gespräche mit seiner Lehrerin über Mineralien und Briefmarken spräche mit seiner Lehrerin über Mineralien und Briefmarken
steht Erik Schumann für Hingabe ohne Abstrich. Sein Prinzip:
in den Geigenunterricht als das Geigespiel selbst. Schon in
„Egal, was man tut – man sollte sein Bestes geben.“ bjh
diesen Jahren war Erik Schumann ein dauerhafter „Hinterfrager“ in allen Lebensbereichen, der nichts tat, dessen Sinn sich für in allen Lebensbereichen,
Am 10. Dezember gibt Erik Schumann an der HfMDK sein
ihn nicht erschlossen hatte. Mit dieser Eigenschaft musste sich ihn nicht erschlossen hatte.
Antrittskonzert: um 19.30 Uhr im Großen Saal der Hochschule.
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ImPreSSum Frankfurt in Takt – Magazin der
Fotos
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst
Björn Hadem (42), Marco Borggreve
Frankfurt am Main Eschersheimer Landstraße 29–39 60322 Frankfurt am Main www.hfmdk-frankfurt.de
Titelfoto Schauspielstudent Markus Gläser Layout Opak Werbeagentur GmbH, Münchener Str. 45, 60329 Frankfurt am Main
Herausgeber Thomas Rietschel, Präsident der HfMDK Redaktionsbeirat
Anzeigen Björn Hadem (es gilt die Preisliste 2011)
Dr. Sylvia Dennerle, Prof. Hedwig Fassbender, Björn Hadem,
Erscheinungsweise
Anatol Riemer, Thomas Rietschel, Prof. Eike Wernhard
jeweils zu Beginn des Semesters
Redaktion
Druck
Björn Hadem (bjh) bhadem@arcor.de
k+e druck UG
Autoren
Hainstr. 27, 63584 Gründau
Tilman Allert, Hans-Ulrich Becker, Brigitte Binder, Christopher Brandt, Julia Cloot, Ingo Diehl, Beate Eichenberg,
Drittmittelkonto Account for Private funds
Albrecht Eitz, Hedwig Fassbender, Lucas Fels, Orm Finnendahl,
Konto 200 138 090, BLZ 500 502 01, Fraspa 1822
Angelika Gartner, Roland Glassl, Axel Gremmelspacher, Björn Hadem (bjh), Daniela Kabs, Johannes Kasper, Ernst August Klötzke, Friederike Kreft, Finn Lakeberg, Maurice Lenhard, Anna Linß, Cédrine Lussac, Fabian Menzel, Henriette Meyer-Ravenstein, Gerhard Müller-Hornbach, Personalrat der HfMDK, Boris Rhein, Thomas Rietschel, Manuel Röschinger, Katharina Schilling-Sandvoß, Klaus Schuhwerk, Philippe Schwarz, Raphaela Schwarz, Maria Spychiger, Marion Tiedtke, Gerd-Theo Umberg, Hannah Weisbach
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Überweisungen aus dem Ausland International Payments IBAN: DE71 5005 0201 0200 1380 90 SWIFT-BIC: HELADEF1822
dIe chance mutIg beIm SchoPF gePackt! Uladzimir Soltan, 1987 in Minsk in Weißrussland geboren,
Schauspielstudierenden im letzten Jahr, dieses Jahr erneut ein
ließ 2013, lediglich mit einem DAAD-Stipendium für ein Master-
Studierender der HfMDK bei kulturMut vertreten.
studium in der Hand, eine sichere Stelle als erster Klarinettist im Minsker „Orchester des Nationalen Theaters der Oper und
Mitte Oktober beginnt die vierwöchige Finanzierungsphase
des Balletts“ hinter sich. Er studiert seit dem letzten Oktober
und damit das Crowdfunding für die einzelnen Projekte. Das
an der HfMDK in der Klarinettenklasse von Prof. Laura Ruiz
Besondere dabei: Das Votum der Unterstützer (der „Crowd“)
Ferreres. Die Konzertbesucher der Hochschule haben ihn als
bestimmt über die Vergabe des Fördertopfs der Aventis
Solist im Konzert des Hochschulorchesters Anfang Juni und
Foundation. Und es zählt jede Spende, sei sie auch noch so
im Konzert für die Freunde und Förderer Mitte Juli erlebt.
klein. Wer also die meisten Unterstützer aktiviert, kann am Ende sicher sein, von der Aventis Foundation gefördert
Ebenso konsequent, wie der sympathische Weißrusse seine
zu werden.
Deutschkenntnisse vervollkommnet, will Uladzimir Soltan eine CD unter hochprofessionellen Produktionsbedingungen
Im letzten Jahr wurden 17 von 25 teilnehmenden Projekten
realisieren. Eine CD, die zum weiteren wichtigen Karriere-
voll finanziert und verwirklicht, darunter auch „Der Kick“, die
Baustein für den jungen Musiker werden soll. Das Projekt, das
Schauspielproduktion der HfMDK. In diesem Herbst geht
sonst unerschwinglich bliebe, will er mithilfe möglichst vieler
es darum, den beherzten Klarinettisten aus Weißrussland zu
Unterstützer über Crowdfunding realisieren.
unterstützen; möglich ist das in der Finanzierungsphase vom 10. Oktober bis zum 11. November.
Und so hat er seinen Hut bei „kulturMut“ in den Ring geworfen, der Crowdfunding-Initiative der Aventis Foundation für die
Unterstützen Sie ab Mitte Oktober Uladzimir Soltan!
Kulturschaffenden in der Region Frankfurt Rhein-Main. 44
Alle nötigen Infos dazu finden Sie unter
Projekte hatten sich bis Mitte August beworben, – die Zusage
www.startnext.de/pages/kulturmut.
erhielten dreißig Künstler, Künstlergruppen, studentische
Ihre Fragen beantwortet auch die Fundraiserin der HfMDK:
Initiativen und Kulturinstitutionen. Damit ist, nach acht
Beate Eichenberg, Telefon 069-154 007 137
67
F r a n k f u r t i n T a k t 14 / 2 – L e i t b i l d
Erfolge unserer Studierenden – eine Auswahl Alexander Keidel, Schulmusik L3
Tobias Schneider, Violoncello (Klasse
Das Gutfreund Klaviertrio, bestehend aus
(Gymnasiales Lehramt), hat beim „12.
Prof. Michael Sanderling), gewann als Mit-
Adrian Fischer (Klavier), Julian Fahrner
Bundeswettbewerb Schulpraktisches
glied eines Trios (die Hochschule Dresden
(Violine) und Bogdan Michael Kisch (Violon-
Klavierspiel Grotrian-Steinweg“ in Weimar
vertretend) den 2. Preis beim diesjährigen
cello) erreichte beim 21. Internationalen
den Sonderpreis der Hochschule für Musik
Mendelssohn-Hochschulwettbewerb in
Johannes Brahms Wettbewerb in Pörtschach/
Franz Liszt Weimar für die beste Volks-
Berlin im Fach zeitgenössische Kammer-
Österreich in der Kategorie Kammermusik
liedbegleitung gewonnen.
musik.
den 3. Preis. Das Trio besteht aus drei
Florian Brettschneider, Gitarre (Klasse
Lars Winter, Posaune (Klasse Prof. Oliver
Prof. Christopher Brandt), hat sich beim
Siefert), ist beim Solistenvorspiel für das
Rago-Gitarrenwettbewerb in Stuttgart einen
Landesjugendorchester Hessen als Solist
3. sowie beim Andres-Segovia-Gitarren-
für die Spielzeit 2015 ausgewählt worden.
wettbewerb in Velbert den 1. Preis erspielt.
Musikern der Musikhochschulen in Karlsruhe und Frankfurt am Main und wird von Prof. Angelika Merkle unterrichtet. Darüber hinaus erspielte sich das Trio weitere Preise, unter anderem beim 2. Freundeskreis-Wettbewerb
Nikola Ivanov, Bariton (Klasse Prof.
der Musikhochschule Karlsruhe den 2. Preis.
Hila Ofek, Harfe (Klasse Prof. Francoise
Berthold Possemeyer), ist ab September
Beim internationalen Kammermusik Wett-
Friedrich), hat im Duo mit Andre Tsirlin den
Mitglied im Opernstudio der Komischen
bewerb „Val Tidone“ wurde das Klaviertrio
1. Preis beim „Karl-Adler-Jugendmusik-
Oper Berlin.
mit dem 3. Preis ausgezeichnet.
Gurgen Baveyan, Bariton (Klasse Prof.
Juliana Koch, Oboe (Alumna in der Klasse
Sven Bauer, Klavier (Klasse Prof. Lev
Hedwig Fassbender), ist ab September
Prof. Fabian Menzel, Diplom 2012), hat ein
Natochenny), erzielte beim „International
Mitglied des Opernstudios Frankfurt.
Engagement als Solo-Oboistin der Mailänder
wettbewerb Baden-Württemberg“ erhalten.
Piano Competition Filippo Trevisan“ im Mai den 2. Preis und beim „Concorso Pianistico Internazionale Città di San Donà di Piave“ den 1. Preis. Anne Luisa Kramb, Violine (Jungstudentin bei Prof. Susanne Stoodt), hat Anfang April beim Internationalen Violinwettbewerb „Mlody Paganini“ in Legnica (Lignitz) in Polen den ersten Preis und zwei Sonderpreise gewonnen, nämlich die Auszeichnung für die beste Interpretation eines Werkes
Scala bekommen. Im Vorjahr arbeitete sie Jason A. Jacobs und Gregory Livingston
beim Pariser Festival „Manifeste“ in Paris
(MA CoDE) sind Teil des fünfköpfigen
kammermusikalisch mit Heinz Holliger
Entwicklungsteams der „The Forsythe
zusammen.
Company“ für das Projekt KulturTagJahr der ALTANA Kulturstiftung.
Köster (Klavier), Sindri Lederer (Violine), Tabea Debus, Blockflöte (Historische
Malte Koch (Viola) und Florian Streich
Aufführungspraxis, Klasse Prof. Michael
(Violoncello, Klasse Prof. Michael Sander-
Schneider), hat beim 8. Johann Heinrich
ling), hat als „The Waverly Junior Fellows in
Schmelzer Wettbewerb in Melk/Östereich
Chamber Music“ am Royal Northern College
den 1. Preis gewonnen.
of Music (RNCM) in Manchester einen
von Paganini und den Sonderpreis
Anna-Lena Perenthaler, Barockcello
„Orchester“.
(Historische Aufführungspraxis, Klasse
Vladimir Babeshko, Viola (Klasse Prof. Jörg Heyer und Ingrid Zur), gewann das Probespiel für die erste Solo-Bratsche beim Brazilian Nation Orchestra in Rio de Janeiro.
Prof. Kristin von der Goltz), hat beim Inter- nationale Wettbewerb „Musica Antiqua“ 2014 in Brügge den 1. Preis erzielt. Anne Heinemann, Trompete (Klasse Prof. Klaus Schuhwerk), hat das Probespiel für
Theresia Rosendorfer, Violoncello (Klasse
die Solotrompete bei der Nordwestdeut-
Prof. Michael Sanderling), erhielt einen
schen Philharmonie Herford gewonnen.
Zeitvertrag als Solocellistin beim Landestheater Coburg ab Februar 2014.
Kateryna Kasper, Sopran (Klasse Prof. Hedwig Fassbender), hat den „Internationalen Mirjam Helin Gesangswettbewerb“
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Das Notos Quartett, bestehend aus Antonia
gewonnen.
Lehrauftrag für Kammermusik übernommen. Es steht damit in direkter Nachfolge des Sitkovetsky Piano Trios und ist eines der wenigen nicht-britischen Ensembles, dem dieses Fellowship zuerkannt wurde. Im Mai 2014 hatte es den zweiten Preis des internationalen Kammermusikwettbewerbs „Osaka International Chamber Music Competition“ gewonnen.