Auf Draht - Ausgabe 90

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AUF DRAHT Zeitschrift der TelefonSeelsorge Deutschland

Blickpunkt:

Sprache

ISSN 2364-9933

90 / Dezember 2015 Jahrgang 32


Es gibt Stimmungen und Erkenntnisse, die man nur in Worten ausdrücken kann, die es noch nicht gibt Gottfried Benn

Sprache ist das wichtigste Ausdrucksmittel in unserer Arbeit, ob am Telefon, ob beim Mailen oder beim Chatten. Sprache beschreibt nicht nur, sie verleiht Ausdruck und erschafft Wirklichkeit. Sprache schafft Klarheit, emotionalisiert und bewegt. Mark Twain wird der Satz zugeschrieben: „Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe wie der zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen.“ Konkret erleben wir das gerade in der Diskussion um die Flüchtlinge. Kommen da Flüchtlinge, die unsere Hilfe brauchen, oder kommen Asylanten, die uns zur Last fallen? Sterne, Blumen, Quadrate, Kreise, Spiralen, Gesichter … Jeden Tag entstehen in den TS-Stellen ganz nebenbei kleine Zeichnungen. Meist verschwinden sie im Papierkorb. Schade, fanden wir und haben dazu aufgerufen, uns die Kunstwerke zu schicken. Wir haben viele Kritzeleien erhalten, aus Bochum, Bremen, Aachen, aus Essen, Dresden, Berlin, aus Ingolstadt und Ostwestfalen, von Sylt, aus Lüneburg, aus Neuss und der Oberlausitz, aus dem Schwarzwald, aus Wuppertal und Zwickau, aus Ulm und Jena, aus Köln und Karlsruhe. Sie finden sie in dieser Ausgabe. Der erste Fotowettbewerb in der Geschichte der TelefonSeelsorge wurde anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens der „TelefonSeelsorge im Internet“ ausgeschrieben. Die Initiatorin und die Initiatoren wollten damit der Arbeit der TelefonSeelsorge ein Gesicht geben, denn Bilder sind geeignet, das Denken mit dem Fühlen und den Geist mit den Sinnen zu verbinden. Rund einhundertfünfzig Fotografinnen und Fotografen sind der Ausschreibung gefolgt, weit mehr als vierhundertfünfzig Fotos hat die Jury gesichtet und vierzig nominiert. Der Jury gehörten an: Martin Breutmann, Chefredakteur des fotoforum Magazins, Petra Schulze, Evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR und Leiterin des Rundfunkreferats NRW der evangelischen Kirche im Rheinland, Thomas Kamm, Diözesanbeauftragter des Bistums Münster, und Birgit Knatz, Verantwortliche Redakteurin AUF DRAHT. Eines der nominierten Fotos von Werner Burgstaller aus Österreich sehen Sie als Titelbild dieser Ausgabe von AUF DRAHT. Mein aufrichtiger Dank zum Ende des Jahres gilt dem Redaktionsteam von AUF DRAHT und all den ehrenamtlich und hauptamtlich Mitarbeitenden, die mit dazu beitragen, dass AUF DRAHT so bunt und vielfältig die Arbeit der TelefonSeelsorge wiedergibt. Eine gesegnete Weihnacht und ein frohes und friedvolles 2016 wünscht Ihnen Ihre

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INTERNES

Drei Fragen an den Projektmanager Frank Ertel Frank, du bist Projektmanager des 20. IFOTES Kongresses, Thema: „For life to go on“. Der Countdown läuft, bis zum Kongressbeginn sind es noch sieben Monate. Wie ist der aktuelle Stand der Vorbereitungen? Frank Ertel: Seit Mitte November läuft die Registrierung über die Webseite und die Kongress-App. Wir freuen uns über das Engagement der vielen Kolleginnen und Kollegen, die sechzig Workshops in deutscher Sprache anbieten. Es wird, wie bei jedem Kongress, wieder ein attraktives Rahmenprogramm geben, zum Beispiel eine Fahrt ins Dreiländereck und ein Konzert im Aachener Dom. Es gibt diesmal sogar ein eigenes Kongress-Lied. Wer will, kann es schon jetzt auf der Internetseite oder über die App hören. Wie viele Leute sind mit der Vorbereitung beschäftigt, und welche Herausforderungen stehen jetzt noch vor euch? Frank Ertel: Neben der Steuerungsgruppe und dem Programmkomitee sind fünf Personen intensiv mit den Kongressvorbereitungen beschäftigt. Das sind in Italien Diana Rucli, die Generalsekretärin von IFOTES, und Elena Misdariis. In Deutschland sind es Hermann-

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Josef Johanns für das Fundraising, Andreas Pils für die Administration und ich für das große Ganze ;-). Das Bistum Aachen unterstützt uns großzügig. Mit wie vielen Anmeldungen rechnet ihr? Gibt es ein Limit für deutschsprachige Teilnehmerinnen und Teilnehmer? Was muss man tun, um dabei sein zu können? Frank Ertel: Wir rechnen mit 1500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, etwa ein Drittel aus nichtdeutschsprachigen Ländern. Es ist geplant, dass Mitte November die Registrierung über die Homepage möglich sein wird. Ab dann kann man sich zum Kongress anmelden, Unterkünfte und das Rahmenprogramm buchen. Spätestens im Januar, wenn das Programm in alle Sprachen übersetzt ist, kann man sich dann auch für die Vorträge und Workshops eintragen.

Homepage www.ifotescongress2016.org Facebook https://www.facebook.com/ home.php Anmeldung / Registrierung ab Mitte November Kosten Die Teilnahmegebühr für den Kongress wird zwischen 280 und 300 Euro liegen. Unterkunft Es wird Hotels ab 30 Euro aufwärts geben und auch kostenfreie Privatunterkünfte.

Frank Ertel ist Pastor, Sozialpädagoge, Supervisor und Leiter der TS Aachen-Eifel und verantwortlich für die Organisation des Kongresses vor Ort

Die Fragen stellt Birgit Knatz.

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INTERNES

A

ls IFOTES-Delegierte für Deutschland haben Alexander Fischhold (Leiter katholische TelefonSeelsorge München) und Dirk Meyer (Leiter TelefonSeelsorge Niederrhein/ Westmünsterland) einen Fragebogen entwickelt, der an alle Mitgliedsländer der Internationalen Telefonseelsorgevereinigung (IFOTES) versandt wurde. Wir werden Ihnen die Ergebnisse in loser Reihenfolge vorstellen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Telefonkultur der Mitgliedsländer zu zeigen. Wir danken den IFOTES-Delegierten für ihre Mitarbeit.

Telefonseelsorge

UNGARN

Zahlen In Ungarn gibt es acht Stellen mit einem 24-Stunden-Dienst und elf kleinere Stellen, die nur an bestimmten Wochentagen besetzt sind. Im Durchschnitt arbeiten sechsundzwanzig Ehrenamtliche pro Stelle. Sechzehn Prozent sind Männer, vierundachtzig Prozent Frauen. 2014 wurden insgesamt 100 509 Gespräche geführt, das sind am Tag durchschnittlich 14,5 pro Stelle. Telefonkultur Die TS Ungarn arbeitet seit etwa vierzig Jahren und ist von der Bevölkerung gut angenommen. Sie ist unter der europäischen Kurzwahlnummer zu erreichen. Wegen der hohen Suizidraten liegt der Fokus in Aus- und Fortbildung auf Suizidprävention, aber es geht auch um Einsamkeit, Sucht, vor allem Alkohol, um Gewalt- und Missbrauchserfahrungen und Krisenintervision. Trägerschaft Die Stellen sind rechtlich NGOs (non-government-organization). Unterstützung erfolgt durch die Regierung, die Kirchen und lokale Gesundheitsorganisationen. Genutzte Medien Telefon 24 Stunden, E-Mail über die Web-Seite (nur im Notfall), Antwort innerhalb von 48 Stunden. Skype: zwei Zeitfenster einmal von 19.00 bis 7.00 Uhr und einmal von 21.00 bis 1.00 Uhr. Kein Chat. Umgang mit Mehrfachanrufern Wenn bei einem Mehrfachanruf keine Krisenanzeichen vorliegen, sind die Mitarbeitenden angehalten, das Gespräch schnell zu beenden.

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Umgang mit Suizid-Anrufen Wir unterstützen die Anrufenden in einem Krisengespräch. Je nach Situation motivieren wir dazu, andere Hilfsstellen in Anspruch zu nehmen. In schweren Fällen versuchen wir, die Suizidanten so lange in der Leitung zu halten, bis Notdienst oder Notarzt eintreffen. Ausbildung Psychologisch-diagnostischer Test, Interviews und Gruppenarbeit im Vorfeld, Selbsterfahrung, theoretisches und praktisches Training zu Themen der Anrufenden, Hospitationen. Fortbildung Supervision, wöchentliche oder zweiwöchentliche Gruppentreffen. Anonymität Anrufende und Mitarbeitende bleiben anonym. Mitarbeitende haben einen Decknamen. Sie verpflichten sich, nicht über die Arbeit zu sprechen. Absprachen Terminabsprachen oder andere Kontakte zwischen TSlern und Anrufenden sind nicht erlaubt. Was kostet ein Anruf? Die Anrufenden nichts, die TS 10 HUF (0,323 €/min). Anerkennung Die Ehrenamtlichen erhalten ca. 100 HUF (ca. 30 Cent) je Dienststunde. Die Besten werden in der jährlich stattfindenden TelefonseelsorgeKonferenz ausgezeichnet.

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BLICKPUNKT

Die Sprache der Träume Von Elke Brandmayer „Ich hatte so einen komischen Traum“ – viele von uns haben diesen Satz in einer Nachtschicht schon gehört. Aber nur selten mochte jemand den Traum dann auch erzählen. Was mich am Anfang meiner Zeit bei der TS gewundert hat, ist mir nach zwei Jahrzehnten intensiver Beschäftigung mit Träumen verständlich geworden. Träume gehören zum Intimsten, was ein Mensch von sich preisgeben kann, und im Wachzustand erscheint ihr Inhalt oft unverständlich. Die Scheu, über Träume zu sprechen, ist verständlich, aber bedauerlich, denn es ist die Aufgabe der Träume, uns zu lehren, mit Ängsten, Verdrängtem und noch unbewältigten Reifungsprozessen umzugehen. Träume haben eine eigene Sprache. Sie drückt sich vor allem in Bildern aus. Sie ähnelt der der Mythen und Märchen, bei denen sich der tiefere Sinn hinter einer vordergründigen Erzählung verbirgt. Diese Parallelität haben nicht erst Sigmund Freud und C. G. Jung herausgefunden. Schon in biblischen Zeiten wussten die Menschen, die Allegorien der Traumsprache für das reale Leben

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zu nutzen. Josephs Traumübersetzungen im Alten Testament, mit denen er dem ägyptischen Pharao half, durch geschickte Lagerhaltung Notzeiten zu überwinden, sind ein Beispiel dafür. Während Mythen über die Entwicklung der Welt berichten, thematisieren Märchen das erfolgreiche Bewältigen schwieriger

Aufgaben auf dem Weg von der Kindheit zum Erwachsenwerden. Die Traumgleichnisse dagegen beziehen sich fast ausschließlich auf die Person des Träumenden und zeigen, welche individuellen Erlebnisse und Eindrücke gerade zu verarbeiten sind. Allerdings macht es uns die Traumsprache nicht immer leicht, die Botschaft zu verstehen, denn dem Wachverstand erscheint die Bildersprache der Nacht oft unzusammenhängend, skurril, manchmal angsterweckend. Aber genau so wie eine Fremdsprache lässt sich auch diese Sprache erlernen. Es gibt heute verschiedene gute Methoden der Traumarbeit. Ich arbeite mit der Methode der Gleichnissprache von Ortrud Grön, die sie in vierzig Jahren therapeutischer Arbeit mit Patienten ihrer Herz-Kreislauf-Klinik

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BLICKPUNKT

Erste Sätze Von Martina Schmidt Erste Sätze sind besondere Sätze. Da verdichtet sich die Sprache zu einem Anfang. Nachstehend einige aus verschiedenen Lieblingsromanen von mir:

„Laurids Madsen war im Himmel gewesen, doch dank seiner Stiefel war er auch wieder heruntergekommen.“ (Carsten Jensen: Wir Ertrunkenen) „Seine Kindheit, das hatte die Baufirma Brüning auch gar nicht mehr zu beschönigen versucht, würde in der Mitte auseinanderbrechen, eher früher als später, in zwei Teile.“ (Moritz Rinke: Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel)

„Der Brief, der alles verändern sollte, kam an einem Dienstag.“ (Rachel Joyce: Die unwahrscheinliche Pilgereise des Harold Fry)

„Am Tag vor seinem dreiundvierzigsten Geburtstag kam in Hubert Rosebrock der Verdacht auf, dass er eine ausgesprochene Pfeife war.“ (Axel Marquardt: Rosebrock) „Anfang November. Neun Uhr. Die Kohlmeisen knallen gegen das Fenster.“ (Per Petterson: Pferde stehlen)

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rste Sätze sind besondere Sätze: Sie entscheiden in Romanen darüber, mit welchem Gefühl ich weiterlese. Mit Neugier? Denn was machte Laurids Madsen im Himmel? Und welcher Himmel ist gemeint? Welcher Brief hat alles verändert? Oder lese ich weiter mit Erschrecken, weil die Kohlmeisen gegen das Fenster knallen? Lege ich das Buch deswegen sogar weg? Oder werde ich amüsiert oder verblüfft mit einer Frage auf den Weg geschickt? Warum vermutete

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Hubert Rosebrock, eine ausgesprochene Pfeife zu sein? Was hat Baufirma Brüning mit der Kindheit des Romanhelden zu tun? Da nimmt ein Roman, nimmt sein Autor Kontakt mit mir auf, es entsteht eine Resonanz in mir. Der erste Satz löst ein Gefühl in mir aus, ein gutes oder nicht so gutes, er schickt mich mit einem Auftrag weiter oder er irritiert mich. Und manchmal langweilt er mich auch.

Nach dem ersten Satz geht es dann auf Entdeckerreise: Wie geht es weiter? In welche Geschichte werde ich mit hinein genommen? Nehme ich bereitwillig die Spur auf oder folge ich schleppend? Habe ich eine Hypothese? Liege ich richtig mit meinem ersten Eindruck oder werde ich überrascht vom Fortgang der Geschichte? So ist jedes Buch ein Neuanfang, der mich aufmerksam werden lässt, der mein Interesse weckt und

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BLICKPUNKT

„Kann ich mit Ihnen sprechen?“ Von Schwester Sigrid Bucher So fragen uns Anrufer und Anruferinnen oft. Sprechen und Sprache sind etwas elementar Wichtiges. Unsere vielfältigen Möglichkeiten der Kommunikation unterscheiden uns von allen anderen Lebewesen. Mit der Sprache können wir mitteilen, was uns bewegt, Positives oder Negatives, können aufbauen oder verletzen. Aber was bedeutet „Sprache“ in der TelefonSeelsorge? Immer wieder spüre ich, dass mich manche Gespräche in Sprachlosigkeit bringen: eine Sprachlosigkeit, die ausgelöst wird von den Inhalten der Gespräche, aber auch durch die Wortwahl. Nicht selten begegnet mir am Telefon eine Fäkal-Sprache, die mir buchstäblich die Sprache verschlägt. Sprache Halte mich in deinem Dienst Lebenslang in dir will ich atmen ich dürste nach dir trinke dich Wort für Wort mein Quell Dein zorniges Funkeln Winterwort Fliederfein Blühst du in mir Frühlingswort Ich folge dir bis in den Schlaf buchstabiere deine Träume Wir verstehen uns aufs Wort Wir lieben einander

Voraussetzung für ein hilfreiches Gespräch ist, dass ich verstanden habe, in welcher Situation sich mein Gegenüber befindet. Bin ich betroffen von dem, was ich höre? Finde ich eine Sprache, mit dem Anrufer, der Anruferin in Kontakt zu kommen? Am Telefon bin ich auf Sprachklang, Wortwahl und Lautstärke angewiesen. Das ist eine Einschränkung. Wäre ich mit jemandem Face-to-Face im Gespräch, würde ich mehr durch seine Körpersprache erfahren. Sprache ist nicht nur eine Herausforderung, was die Inhalte betrifft. Dialekte sind ein eigenes

Thema – auf beiden Seiten der Leitung. Wir werden mit vielerlei Dialekten konfrontiert. Und sicher bin ich als eine Ur-Schwäbin für manchen Anrufenden eine Herausforderung. Des Öfteren bekomme ich die Rückmeldung: „Ihre Sprache gefällt mir.“ Ob ich deshalb verstanden wurde, ist damit noch nicht gesagt. Ohne Sprache verkümmert der Mensch. Für viele der Anrufer und Anruferinnen ist die TelefonSeelsorge der einzige Ort, an dem sie ihre Sprache einsetzen können. Deshalb oft die Frage: „Kann ich mit Ihnen sprechen?“ Viele der Anrufer und Anruferinnen klagen über Einsamkeit, die sie in Gefahr bringt, ihre Sprache zu verlernen und dabei zu verkümmern. Mich begeistern Menschen, die eine Sprache besitzen, die mich in Bann zieht. Bei der Suche nach einem lyrischen Text über Sprache war die Auslese gering. Bei Rose Ausländer habe ich einen Text gefunden, der vielleicht inspirieren kann.

Schwester Sigrid Bucher ist Franziskanerin, pastorale Mitarbeiterin im Kloster im Herzen der Stadt und Ehrenamtliche der TS Ulm/Neu-Ulm

(aus Rose Ausländer: Im Ascheregen die Spur deines Namens. Gedichte und Prosa 1976, 1984)

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INTERNET

Die Jury hat getagt! Geschafft und zufrieden war die Jury, nachdem sie die Einsendungen zum ersten Fotowettbewerb „Aus Worten können Wege werden“ anlässlich des Zwanzigsten Jahrestages gesichtet hatte. Gemeinsam haben die vier Juroren Martin Breutmann, Chefredakteur des fotoforum Magazins, Petra Schulze, Evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR und Leiterin des Rundfunkreferats NRW der evangelischen Kirche im Rheinland, Thomas Kamm, Diözesanbeauftragter des Bistums Münster, und Birgit Knatz, verantwortliche Redakteurin AUF DRAHT, getagt. Aus den 463 eingesandten Fotos der vier Kategorien ,Weit weg – ganz nah‘, ,Abgrundtief‘, ,Freudensprünge‘ und ,Nachtlicht‘ wurden vierzig Fotos nominiert, die auf der Jubiläumsveranstaltung in Köln erstmalig ausgestellt waren. Die Jury hat bewusst auf eine „Siegerehrung“ verzichtet, um die Idee der TelefonSeelsorge (eine starke Gemeinschaft) auch hier spürbar werden zu lassen. Einige der Nominierungen zeigen wir Ihnen hier. Alle nominierten Fotos sind als Wanderausstellung über die Geschäftsstelle der evangelischen Konferenz für TelefonSeelsorge und Offene Tür e.V. in Berlin bei Frau Platt (Telefon: 030/65211-1681, E-Mail: telefonseelsorge@ diakonie.de) auszuleihen.

Birgit Knatz

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INTERNET

Zwanzig Jahre TelefonSeelsorge im Internet Liebe Onlinerinnen und Onliner, vor zwanzig Jahren haben Kolleginnen und Kollegen aus unseren Stellen die ersten Schritte in dieses Arbeitsfeld getan. Freiwillig, mit Forschergeist und von der Idee getragen, dass wir in dieser „neuen Welt“ unsere Kompetenzen einbringen sollten. Auch wenn Pioniere für den „ruhigen Fluss“ in der Alltagsroutine nicht sehr praktisch sind, bringen sie das Gesamtsystem voran. Dafür vielen Dank und eine virtuelle Rose. Dieses „Forschergen“ in unseren Reihen zu wissen, ist höchst erfreulich und auch 2015 ist es wertvoll, wenn Kolleginnen und Kollegen Plätze beackern, die niemand vorher kannte oder der Mühe wertschätzte.

pletter aufgestellt und permanent aufgefordert, sich auseinanderzusetzen - mit medienvermittelter Kommunikation über das Telefon hinaus. - mit medienspezifischen technischen Anforderungen und ihren inhaltlichen Implikationen. - mit dem Anspruch und den Möglichkeiten der eigenen Arbeit. - mit Standards- und Qualitätsfragen, die überregional beantwortet werden müssen. Während wir in der Arbeit am Telefon manchmal noch sehr örtlich denken und die dafür notwendige Vernetzung und den sogenannten „overhead“ vergessen, wissen wir durch die Mail- und Chatarbeit, dass wir überörtlich arbeiten müssen, wenn wir die Arbeit vor Ort überhaupt betreiben wollen.

:-) Fotowettbewerb, Kategorie: Weit weg – ganz nah, Foto: Achim Brand

:- B Ich freue mich, dass dieses Jubiläum stattfindet. Am „Vorabend“ des sechzigsten Jahrestages wird ein zwanzigster schnell übersehen; auch wenn der weitsichtige Beschluss gilt, dass alle Arbeitsbereiche gleichwertig sind. Ich freue mich darüber, wie wir die zwanzig Jahre erreicht haben. Selbstbewusst, selbstkritisch und engagiert. Aber vor allem mit der Gewissheit, für Menschen da zu sein, für die die Tastatur der Mund ist, um Schweres in Worte zu fassen, Unsagbares zu begreifen und wieder in Kontakt zu kommen mit sich und der Welt. ^L^ Durch die Arbeit im Internet ist die TelefonSeelsorge in Gänze kom-

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Hier und heute verbindet die TelefonSeelsorge nicht nur ein Jubiläum mit einer Fortbildungsveranstaltung, sondern auch die Durchführung des ersten Fotowettbewerbs der TelefonSeelsorge. Ich bin dankbar für das ambitionierte, geistvolle und begeisternde Vorhaben, Fotos sprechen zu lassen. Gekürzte Version der Begrüßungsansprache beim 20-jährigen Jubiläum der „TelefonSeelsorge im Internet“ am 14. November 2015 in Köln.

Michael Hillenkamp ist Mitarbeiter der TS Dortmund und Sprecher der Katholischen Konferenz für TelefonSeelsorge und Offene Tür Deutschland

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INTERNET

Weit weg – und doch ganz nah … Anmerkungen zum Potential der Mailberatung aus ehren- und aus hauptamtlicher Perspektive Von Nicole Berner und Thomas Kamm

Ob aus einem Erstkontakt ein langer Mailprozess wird, ist am Beginn des Mailwechsels nicht abzusehen. Viele Kontakte enden nach drei oder vier Mailwechseln, ein durchschnittlicher besteht aus zehn bis zwanzig Mailwechseln und läuft über ebenso viele Wochen. Dass ein Kontakt länger dauert, ist eine Ausnahme. Von einem solchen handelt der nachstehende Artikel.

Aus der Perspektive der Ehrenamtlichen In den nahezu sechs Jahren, die ich in der Mailberatung tätig bin, sind mir einige Schicksale sehr nahe gegangen. So habe ich mit einem jungen Mädchen in den letzten drei Jahren in erst kleinen und später größeren Abständen korrespondiert. Sie schrieb mir von ihren zerrütteten Familienverhältnissen, von ihren Drogenproblemen und von vielen selbstzerstörerischen Verhaltensweisen. Sie öffnete sich mir gegenüber, erzählte, was sie dachte, fühlte, was sie umtrieb. In ihrem direkten Umfeld (in der Schule oder im Beratungsprozess) brach sie stets alle Brücken ab. Nur der anonyme Kontakt zu mir schien eine zuverlässige Konstante zu sein. Zu Beginn war sie gerademal dreizehn Jahre alt. Mir konnte sie schreiben, wann immer es ihr schlecht ging, nachts, morgens, an Feiertagen, egal wann, nüchtern oder berauscht. Ich war am anderen Ende präsent und antwortete verlässlich. Zugewandt, unterstützend, kritisch und manchmal wütend. Etliche Male bin ich aufgeregt vor meinem PC auf und ab gelaufen, brauchte eine

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zusätzliche Supervision, wenn ihre Lage aktuell so heftig war und mir die Hände gebunden waren. Meine Mails boten ihr Orientierung, manchmal ein Korrektiv zu ihrer oft verdrehten Welt, ohne sie so zu bedrängen, dass sie aus dem Kontakt ausbrechen musste. Das Schwierige für mich war, dass sie von meiner Seite keine konkreten Konsequenzen zu befürchten hatte, und somit bei mir gelegentlich das Gefühl aufkam, dass sich in unserem Kontakt wenig bewegte.

Diesen Gefühlen der Unzulänglichkeit bin ich immer wieder in der Supervision nachgegangen, konnte sie dort erden, mir eine neue Perspektive auf die junge Frau erarbeiten. Nach mehr als drei Jahren ungezählter Mailwechsel habe ich den Kontakt aktiv beendet. Ihr zu schreiben, dass ich mich verabschieden möchte, ist mir schwergefallen. Meine letzte Mail hat sie bis heute nicht abgerufen. Schon die Ankündigung eines Endes hat zum Ende unseres Kontakts geführt.

Fotowettbewerb, Kategorie: Weit weg – ganz nah, Foto: Martin Hollaus

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