AUF Draht - Ausgabe 84

Page 1

AUF DRAHT Zeitschrift der TelefonSeelsorge Deutschland

Blickpunkt:

Humor

84 / Dezember 2013


Auf einer Auslandsreisen kommt der Papst nach New York. Auf dem Airport kann er sich von seinen Begleitern absetzen, er findet ein Taxi und sagt dem Fahrer, einem Inder, er möchte eine Stadtrundfahrt machen. „Kein Problem – setzen Sie sich rein, und es geht los!“ „Nein, Sie haben mich nicht verstanden – Ich möchte fahren!“ „Ausgeschlossen – Sie kennen sich doch hier nicht aus – ich verliere meine Lizenz!“ Doch der Papst bittet: „Guter Mann, verstehen Sie doch! Ich werde mit dem Papamobil durch jede Stadt mit fünfzehn Kilometern pro Stunde kutschiert – ich möchte endlich mal wieder selber fahren!“ Der Inder hat Mitleid, aber er besteht darauf, dabei zu sein und setzt sich in den Fond. Los geht’s, kreuz und quer durch die Stadt. Plötzlich biegt der Papst auf den Highway und gibt Gas, mit 120 km/h an einer Streife vorbei. Der Motorrad-Cop rast mit Blaulicht und Sirene hinterher. Der Papst setzt den rechten Blinker und bleibt stehen. Der Cop stellt sein Motorrad ab und geht zum Taxi. Er beugt sich runter, sieht zum Fenster hinein, schüttelt den Kopf, sieht nochmals hinein, nimmt sein Funkgerät und spricht mit der Zentrale. Cop: „Ich habe da ein Geschwindigkeitsproblem.“ Zentrale: „Da gibt es keine Probleme. Klare Gesetze. Keine Kompromisse. Papiere kontrollieren und so weiter.“ Cop: „So einfach ist das nicht. Das ist eine hochgestellte Persönlichkeit.“ Zentrale: „Ist es der Verteidigungsminister?“ Cop: „Nein, höher!“ Zentrale: „Dann ist es der Präsident?“ Cop: „Nein, höher!“ Zentrale: „Höher als der Präsident? Wer ist es denn?“ Cop: „Ich weiß es nicht. Aber er hat den Papst als Chauffeur.“


Funkspruch von meinen Nerven: „Falls du uns suchst, wir sind am Ende!“ Dieses Heft steht unter dem Blickpunkt Humor. Humor als die Begabung, Missgeschicken mit Gelassenheit zu begegnen und andere zum Lachen zu bringen. Worüber wir lachen, hängt von unserem Temperament und von unserer Kultur ab. Weltweit etabliert sich eine Bewegung, die das Ziel hat, die Erkenntnisse der „Gelotologie“ (Lachforschung) unter die Leute zu bringen. „Humor in der Seelsorge – (wie) geht das? Hat Humor in der TelefonSeelsorge überhaupt etwas zu suchen, angesichts des Leids, das uns entgegentritt?“ fragt Ulf Steidel (S. 18). „Humor blüht oft erst in der Begegnung richtig auf“, glaubt Sepp Gröfler (S. 22). „Stimmt die emotionale Ebene, kann Humor wahre Wunder bewirken“, sagt U. F., indem er Wilhelm Busch zitiert: „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ (S. 24). Bernhard Schmidt gibt einen Einblick in die provokative Therapie nach Frank Farrelly (S. 27), Stefan Kühne zitiert Benimmregeln der Gertrud von Hilgendorff (S. 33) und Gisela Achminow erfreut sich und uns an dem Universalgenie der komischen Literatur: Robert Gernhardt (S. 31). Natürlich darf auch Georg Kreisler nicht fehlen: „Weihnachten bringt alles durcheinander“, eine Erfahrung, die wir teilen ;-). Neben dem Blickpunkt finden Sie in dieser Ausgabe Beiträge zum XIX. IFOTES-Kongress in Göteborg/Schweden. Er stand unter dem Thema „Verletzlichkeit als Herausforderung“. Mehr als achthundert Frauen und Männer aus achtzehn Ländern haben diesmal teilgenommen (S. 16). Wer Bahn fährt, kann viel erleben. Insbesondere die Ansagen des Zugpersonals sind oft unfreiwillig komisch: Lautsprecherdurchsagen, die zu schön sind, um vergessen zu werden. Einige davon finden Sie in diesem Heft, mehr davon gibt es auf Facebook und Twitter. Mit der Frage, wie lang ein Kontakt in der Mail-Seelsorge sein darf, beschäftigen sich Roland Gayer, Ute Fehmer und Helga Merkwirth von der TelefonSeelsorge Nordhessen (S. 34). Wer sich selbst versteht, kommuniziert besser, damit hat Friedemann Schulz von Thun ganz sicher nicht unrecht. Wie er das erklärt, können Sie ab Seite 40 nachlesen. Zum Schluss noch eine Nachricht, die ich nicht gern weitergebe: Volker Bier scheidet aus Zeitgründen aus der Redaktion von AUF DRAHT aus. Wir bedauern das sehr, danken für seine Mitarbeit über viele Jahre und bleiben ihm in kollegialer Freundschaft verbunden. Weder Durcheinander noch Hektik, dafür Mußestunden bei Tee und Wein und Kerzenschein: Das Fest des Friedens soll Sie stärken und erfreuen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gute Zeit. Ihre

AUF DRAHT 84

3


INTERNES

Jahresfortbildung in England Als ich gebeten wurde, über unsere Jahresfortbildung in England zu schreiben, war mir klar, dass dies nur meine eigenen, ganz subjektiven Eindrücke sein können, die diese Reise mir unvergesslich gemacht haben ... Nach dem Reisesegen in St. Urbani in Munster beginnt eine lange Nacht im Bus mit wenig Schlaf. Plötzlich eine Überraschung: Auf einem AB-Parkplatz serviert uns unsere Verwaltungsmitarbeiterin Beate Hüners selbstgemachte leckere Quiche und Hugo. Sofort sind alle wieder wach und total begeistert: Was für ein Einstieg! Dann, am frühen Morgen auf der Fähre, die Kreidefelsen von Dover: Erst ganz klein und schließlich in all ihrer beeindruckenden Größe – wir waren in England! In nur 75 Minuten legte die Fähre die 34 km von Calais nach Dover zurück. Weiter ging’s im Bus und dann standen wir vor Sizewell Hall: von den Jahren gezeichnet und imposant in seiner

Architektur. Der Weg zur Nordsee, das Rauschen der Wellen, der lange, fast menschenleere Strand und das alles in wenigen Schritten und zu jeder Zeit für uns erreichbar. Was für ein Luxus: zwischen den täglichen Seminarblocks Schwimmen, Wandern oder einfach nur Abschalten, Schauen und Zu-sich-Finden. Da stellte sich schon manchmal ein Gefühl von großer Dankbarkeit ein. Unsere Leitung war super, mit viel Humor witzig, spritzig und kurzweilig. Ihre täglichen Fortbildungsangebote waren richtige „Bonbons“, die alle unter dem Motto standen: „Psychische Krankheitsbilder vor der Theorie und Praxis des Gesprächs am Telefon“. Einige Beispiele davon als kleinen Ausschnitt: „Therapeutisch hören – seelsorgerlich antworten“, „Krankheit und Gesundheit zwischen Wahn und Wirklichkeit“, „Natur pur – Burnout-Prophylaxe mit F. Schleiermacher“, „Hören – eine Intervention? Von Buber bis Hirnforschung“, „Trends in der

Therapieszene“, „Achtsamkeit bis Akzeptanz“, „Psychische Störungen: Meine Fragen – meine Antworten“ und viel für die praxisrelevante Arbeit am Telefon. Dazu eine Exkursion in die Weltstadt London und auf der Rückreise ein Besuch im englischen Landschaftsgarten Sussinghurst. Natürlich wurden auch „fish and chips“ gegessen und ein englischer Pub besucht! Das Gefühl von Zusammengehörigkeit und auch Dankbarkeit war deutlich zu spüren und das bei einer Truppe, die sich zum großen Teil vorher nicht gekannt hatte und sich aus starken kompetenten Persönlichkeiten zusammensetzte, die aus den Dienststellen Elbe-Weser, Emsland, Hamburg, Hannover, Kiel, Osnabrück, Wolfsburg und Soltau kamen. Gerade diese Unterschiedlichkeit habe ich als bereichernd empfunden. Danke, danke für alles!

Traute C., TS Soltau

Foto: Beate Hühners

10

AUF DRAHT 84


INTERNES

Der Welttag der Suizidprävention soll aufklären und Schweigen lösen und so stellen wir hier zwei Aktionen vor.

Aktionen zum Internationalen Tag der Suizidprävention

Foto: Rosemarie Schettler

Niemand bringt sich gern um – Erste Hilfe in der Krise Ein ganzes Schaufenster in einer Buchhandlung voll mit Büchern über Suizid? Was für eine Art Werbung soll das denn sein? Seit zehn Jahren ist der 10. September der Internationale Tag der Suizidprävention. Das Schaufenster in der Buchhandlung sollte zum WHOTag auf das Thema aufmerksam machen, weil jeder ganz schnell zum Betroffenen werden kann. Niemand bringt sich gern um.

Viele Menschen halten Betroffene für die klassischen Verlierertypen, aber Suizid geht durch alle Gesellschaftsschichten. Es töten sich auch Menschen, die von außen betrachtet ein sehr attraktives Leben geführt haben. Darunter sind Manager, Schriftsteller, Konzernleiter und Spitzensportler. Es vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht von einem Fall in der Zeitung liest. Weltweit stirbt alle vierzig Sekunden ein

Mensch durch Suizid. Die WHO bezeichnet Suizid als eines der größten Gesundheitsprobleme überhaupt. 2011 haben sich in Deutschland mehr als zehntausend Menschen getötet, sechzig- bis hunderttausend Angehörige waren von der Selbsttötung eines ihnen nahestehenden Menschen betroffen. Rosemarie Schettler, Duisburger Krisenbegleitung

Etwas Besseres als den Tod findest du überall – Weil jedes Leben wertvoll ist Der Verein der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG) und die TelefonSeelsorge Paderborn gestalteten die diesjährigen „Tage der Psychiatrie, Psychotherapie und Beratung“, die mit drei Vorträgen rund um den Suizidtag stattfanden. Alle vierzig Sekunden nimmt sich auf der Welt jemand das Leben. Allein in Deutschland entscheiden sich rund zehntausend Menschen pro Jahr für den Suizid. Es ist ein Thema, über das man sonst schweigt; es steht immer erst im Fokus, wenn es

AUF DRAHT 84

einen spektakulären Fall gibt. Mehr noch als bei anderen Todesursachen entwickeln Angehörige von Suizidopfern Schuldgefühle. Natürlich hemmt das die Bereitschaft, darüber zu sprechen; Betroffene selbst schweigen oft über ihre Suizidgedanken, weil sie Angst davor haben, nicht ernst genommen zu werden. Das Ziel dieser Veranstaltung war es, Menschen die Hintergründe zu dem Thema deutlicher zu machen. Niemanden trifft die Schuld an so einer schrecklichen Tragödie;

es ist wichtig zu wissen, dass es hierbei um Menschen geht, die durchaus zwischen Leben und Tod schwanken. Macht jemand beispielsweise Andeutungen, ist es das Beste, denjenigen offen anzusprechen. Natürlich fällt so etwas unheimlich schwer. Aber es gibt dem Betroffenen sozusagen die Erlaubnis, über seine Gedanken zu reden! Das kann schon ein erster Schritt zurück ins Leben sein. Monika Krieg und Monika Dinger, Leitung der TelefonSeelsorge Paderborn

11


INTERNES

XIX. IFOTES Kongress in Göteborg 10. – 14. Juli 2013 Text: Birgit Knatz Fotos: Andreas Riebe-Beier

Der IFOTES-Kongress tagt alle drei Jahre in einem je anderen Mitgliedsland, diesmal war es Schweden. Mehr als achthundert Frauen und Männer aus achtzehn Ländern kamen in Göteborg zusammen, um an drei Tagen mit Vorträgen, Lesungen und Workshops zum Thema „Verletzlichkeit als Herausforderung“ zu arbeiten. Turnusgemäß stand die Neuwahl des IFOTES-Präsidenten und des Internationalen Komitees an. Zum Präsidenten ist für eine zweite Periode Dr. Stefan Schumacher (TelefonSeelsorge Hagen-Mark) gewählt worden.

Bischof von Göteborg Per Eckerdal und Monica Eckerdal

14

Das Internationale Komitee setzt sich wie folgt zusammen: Marie-Luise Matejka – Telefonseelsorge, Österreich; Alfred Kirschfink – Confederation of Belgian TES, Belgien; Susanna Winter – Finnish Association for Mental Health, Finnland; Titi Gavert – Palveleva Puhelin, Finnland; Marie-France Cano – SOS Amitié, Frankreich; Renée Cheval – SOS Amitié, Frankreich; Alexander Fischhold – Kath. Konf. für TelefonSeelsorge, Deutschland; Dirk Meyer – Evang. Konf. für TelefonSeelsorge, Deutschland; Eva Brandsiz – LESZ, Ungarn; Monica Petra – Telefono Amico Italia, Italien; Herman Drenth – Sensoor, Niederlande; Greta Gramstad – Kirkens SOS, Norwegen; Jasna Semibratov – Ass. of Slovenian TES, Slovenien; Alfonso Echavarri – Teléfono de la Esperanza, Spanien; Ulf Lindgren – TES in Sweden, Schweden; Annemarie Grether – Die Dargebotene Hand, Schweiz.

AUF DRAHT 84


INTERNES

Verletzlichkeit als Herausforderung begreifen

Gastgeberin war die TES Schweden. Der Telefon-Notruf-Dienst in Schweden besteht seit 1965 als eine Verbindung von Organisationen, die telefonische Beratung anbieten und in der Suizidprävention arbeiten. Heute hat die TES in Schweden sieben Mitglieder. Fünf von ihnen werden von der Kirche in Schweden finanziert. TES ist in Schweden eine Dachorganisation sowohl für Beratungseinrichtungen, die von Professionellen, als auch für solche, die von Ehrenamtlichen betreut werden. Mitglieder sind: Priest on call (Priester am Telefon), Fellow men on Call in Stockholm (Mitmenschen am Telefon), Finnisch speaking Helpline (Notruf in finnischer Sprache), Lappisch speaking Help line (Notruf in lappischer/samischer Sprache), The Church in Gothenburg help line (Notruf der Kirche von Göteborg), (Kyrkans Jourtjänst), Help line run by the Red Cross (Notruf des Roten Kreuzes). Jedes Jahr organisiert die TES in Schweden für ihre Mitglieder eine Nationale Konferenz, wo sie sich austauschen können über: • Erfahrungen und Training, • neue wissenschaftliche Erkenntnisse in Vorträgen und Workshops, • Verbesserung der Qualität der Dienste, • Stärkung der Motivation der Ehrenamtlichen, • Möglichkeiten, weitere spezifische Notrufe aufzubauen. Mehr Informationen finden Sie unter: www.tes-in-sweden.se

AUF DRAHT 84

Beim Eröffnungsabend in der Oper

15


INTERNES

Kaleidoskop Auszüge aus Eingesandtem

Philippe Pozzo di Borgo im Interview mit seinem Schwager, der Mitarbeiter von SOS Amitie Frankreich ist

… Es war mein erster IFOTES -Kongress. Und sicher nicht mein letzter! Nach einer perfekten Vorbereitung trafen wir in Göteborg auf noch perfekteres Wetter. Sommer, Sonne, Neugier, freundliche Leute und jede Menge Menschen mit Namensschild am blauen Band oder blauer Kongresstasche. Eröffnungsfeier am Abend in der Oper, Ballett, Gesang, Volksgruppen, Reden und Chöre – die Musik ging unter die Haut. Da Englisch für die meisten eine Fremdsprache ist, sprach jeder einfach und deutlich. Zudem hatten wir tolle Simultanübersetzer. Chapeau! In den nächsten Tagen Vorträge, Plenum, Workshops, Parallelvorträge. Die korrekte Aussprache der ,vulnerability‘ erforderte von uns Hobby-Linguisten hohe Konzentration – aber am Ende ging es uns leicht über die Lippen. Referentinnen und Referenten, Forscherinnen und Forscher, Therapeutinnen und Seelsorger berichteten über ihre Erfahrungen und Ansätze, Krisen zu überwinden. Bekanntes wurde unter neuen Perspektiven dargestellt, wiederholt, vertieft, aber auch neue mutige Theorien erwähnt. Es wird eine CD geben – es lohnt sich, sie zu kaufen! Unvergesslich: Eine interreligiöse Feier in der Kathedrale von Göteborg mit Mitwirkenden und Musizierenden aus den verschiedenen Religionen und Völkern. … eine Bootsfahrt durch die Schärenwelt von Göteborg … schließlich der farewell-Abend mit Tanz … Ein Highlight aus der Schlussveranstaltung: Ein Interview mit Philippe Pozzo di Borgo, dem Vorbild für einen der Helden des Films „Ziemlich beste Freunde“. Sein Schwager, ein französischer TSler, hat es eigens für uns aufgezeichnet. Der querschnittgelähmte Philippe beschreibt darin, wie die schlimmste Einsamkeit und Depression erst eintrat, als seine Frau drei Jahre nach seinem Unfall an Krebs starb. Der „devil keeper“ hat ihn ins Leben zurück geholt …

Clemens Sedmak in Aktion

… Vier Tage lang haben wir uns dem Thema „Verwundbarkeit“ aus unterschiedlichen Perspektiven genähert. Jede und jeder hat diese Zeit anders erlebt, hat andere Workshops und andere Vorlesungen besucht; ich möchte hier zwei besondere herausheben: „Die Kraft der Verletzlichkeit“: Clemens Sedmak, Philosoph und Direktor des Zentrums für Ethik und Armutsforschung an der Universität Salzburg, hielt den ersten Vortrag, mitreißend, witzig und informativ. Wer seine Verwundbarkeit nicht kennt, dem fehlt etwas: Die Einsicht, dass auch er Fehler machen kann. Er nannte das den „Asshole-Faktor“, er trifft auf Menschen zu, die jeden in einen

Aard Kerkhof – Sensoor Niederlande

Im Gespräch: IFOTES-Präsident Dr. Stefan Schumacher (Mitte)

16

Ursula Funke, TS Duisburg-Mülheim-Oberhausen

AUF DRAHT 84


INTERNES

Streit verwickeln können und die völlig immun gegen Kritik sind. Das führt zu Selbstüberschätzung und emotionaler Kälte. Außerdem ist es wichtig, die „Sprachen der Liebe“ zu lernen. Er brachte das Beispiel der Mutter eines autistischen Kindes. Sie muss geduldig und demütig lernen, auf welche Weise sie sich ihrem Kind nähern kann. Dazu gehört sehr viel Selbstvergessenheit, weil sie ihre eigenen Maßstäbe und Bedürfnisse hintanstellen muss. „Die Kunst des nach innen gewandten Lebens“: Ted Harris stammt aus der Karibik, ist dann nach England gegangen und lebt jetzt als Theologe in Stockholm. Er untersucht theoretisch und praktisch die grundlegenden Entwicklungsmöglichkeiten des Menschen. Was bedeutet es, ganz Mensch zu werden? Für ihn ist der Mensch mehr als eine geordnete Ansammlung von verschiedenen Zellen, die auf chemische oder elektrische Weise Informationen miteinander austauschen. (Ein echtes Konfliktthema zwischen ihm und seinem Sohn, einem Neurobiologen.) Erst unsere Fähigkeit zur Vorstellung, die Möglichkeit, Visionen zu entwickeln, die Spiritualität und das Bewusstsein unserer eigenen Endlichkeit machen uns zu dem, was wir sind. Nur das, was uns im tiefsten Innern bewegt, kann zielgebend sein. Alles, was uns von außen angeboten wird, führt zu Abhängigkeit und Fremdbestimmung … Vänliga Hälsningar (Simultanübersetzung: Herzliche Grüße)

Kathedrale von Göteborg

Christina Kling

Als Bill Withers den Song „Lean On Me“ aufnahm, konnte er nicht ahnen, dass gut vierzig Jahre später in der Oper zu Göteborg mehr als achthundert TSlerinnen und TSler aus achtzehn Ländern seine Textzeile „Call me“ zu ihrer Kongresshymne machen würden. Dieser Kongress bedeutet Begegnung, Begegnung mit den interessantesten Menschen überhaupt: mit TSlerinnen und Tslern. Es gibt hier Hunderte davon und alle wollen mit allen sprechen. Und das Schöne ist, dass auch alle zuhören können: Ohrenmenschen eben. Der Kongress hat zum Ziel, die eigene Verletzlichkeit als Herausforderung zu begreifen, und konzentriert sich inhaltlich auf vier Bereiche: 1. Dem Unerwarteten begegnen – Lernen durch Hören und Teilen 2. Sich zerbrechlich fühlen – Lernen durch Erfahrung 3. Einen Schatz entdecken – Lernen durch Üben 4. Das Leben umarmen – Lernen durch Empathie Die Fülle der Angebote führt dazu, dass ich am Abend Mühe habe, alle besuchten Vorlesungen und Workshops aufzuzählen. Ich hoffe, dass die Informationsfülle in mich eindringt und etwas Positives bewirkt. Und so summe ich „Call me“ vor mich hin und warte auf den nächsten Anruf.

Eindrücke

Eindrücke

Konrad Huber, TS München kath.

Die CDs mit den Audio-Präsentationen können bei Carpe Diem carpediem.zell@aon.at bestellt werden. Einen 25-minütigen Film können Sie bei pepe.verdino@gmail.com bestellen, einen Auszug aus dem Film finden Sie unter: www.youtube.com/watch?v=5ZdyzGpo6XE Den nächsten IFOTES-Kongress wird Deutschland ausrichten, im Juli 2016 in Aachen. Themenschwerpunkt: „Suizidprävention“.

AUF DRAHT 84

Eindrücke

17


BLICKPUNKT

Humor in der Seelsorge – (wie) geht das? von Ulf Steidel Hat Humor in der TelefonSeelsorge überhaupt etwas zu suchen? Oder sollten wir ihn besser draußen lassen, bevor wir das Dienstzimmer betreten und uns dem Unglück und dem Leid betroffener Menschen stellen? Meine Beobachtung: In der TelefonSeelsorge wird viel häufiger gelacht, als Außenstehende denken. Zum Glück – denn Humor ist in der Tat eine trotzige und kreative Weise der Lebensbewältigung. Das wissen jene, die sich in einer unveränderbaren Leiderfahrung haben einrichten müssen, oft besser als Nichtbetroffene. Hier erinnere ich mich an einen Geburtstagsbesuch einer alten Dame in einem Altenheim. Sie – seit Jahren immobil und ans Bett gefesselt – auf meine Frage, wie sie ihren Geburtstag verlebt und erlebt hat: „Es war ein berauschendes Fest in einem wunderschönen Ballsaal.“ Lacht und lädt mich ein, dies auch zu tun. Zum Thema Humor in der Seelsorge und Beratung sind zunächst Vorbehalte anzusprechen und Missverständnisse zu klären. Beim Folgenden wird es nicht darum gehen, das seelsorgerliche Methodenrepertoire im Schnellverfahren in Richtung Humor zu erweitern – schon gar nicht durch eine „Bestof-Witze-Sammlung“ für den Dienst am Telefon – wenngleich der eine oder andere Witz zur Veranschaulichung der Theorie herhalten wird. Niemals geht es in der humorvollen Perspektive darum, über andere zu lachen. Vielmehr

18

geht es um Hilfestellungen und Anregungen für die Anrufenden, über sich selbst lachen zu können. Geradezu unerlässlich ist hier die „Nagelprobe des Humors“ in seiner Auswirkung auf das persönliche und gemeinsame Agieren und Lernen in der TelefonSeelsorge: Kann ich als Seelsorgerin und Seelsorger über mich lachen, meine eigenen Eitelkeiten, Widersprüchlichkeiten, Schwächen und Grenzen? Hinzu kommt, dass selbst dort, wo die Komik als Trost dient, Grenzen zu achten sind. Peter L. Berger hält dazu in seiner Abhandlung zum Komischen in der menschlichen Erfahrung („Erlösendes Lachen“) Folgendes fest: „Es gibt Schrecken, vor denen die bestgemeinten Versuche komischer Tröstung versagen müssen … Es gibt Anlässe, bei denen niemand lachen kann oder lachen sollte, Gelegenheiten, da die Tränen zu bitter sind.“ Vor einigen Anregungen zur humorvollen Praxis in der Seelsorge und Beratung soll zunächst ein theoretischer – ich hoffe aber nicht humorloser – Streifzug durch den Humor bzw. das Komische in der menschlichen Erfahrung stehen. Vieles davon verdanke ich neben Peter L. Berger dem Wuppertaler Theologen Peter Bukowski und

seiner kleinen „Animation“ zum „Humor in der Seelsorge“. Humor als Lebensweise oder eine kleine Phänomenologie des Humors Auf die immer wieder gern gestellte Frage, ob unsere humorvolle Ader genetisch vorprogrammiert ist, oder ob sich Humor lernen und entwickeln lässt, antwortet Bukowski mit einem sowohl-als-auch: Humor habe etwas von einer Gabe und einem Charisma, dennoch ließe sich bei jedem und jeder das Wachstum fördern. Der Humor würde einem nicht abschließend mit dem Gen-Paket in die Wiege gelegt, sondern sei in der „Schule des Lebens“ zu entwickeln. Humor als lachender Widerstand Bukowski definiert Humor „als die Fähigkeit, sich von den Widrigkeiten des Lebens nicht verschlingen zu lassen, vielmehr lachend zu ihnen auf Distanz zu gehen und sie so zu relativieren.“ Vor diesem Hintergrund ist auch das Wesen des Clowns zu verstehen – der klassischen Figur des lachenden Widerstandes. Der Wiener Psychotherapeut Alfred Kirchmayr führt

AUF DRAHT 84


BLICKPUNKT

zur Figur des Clowns aus: Das Wesen des Clowns sei die Lust am Scheitern. Gegen die herrschende Lust am Erfolg erinnere der Clown an eine seelsorgerliche Binsenweisheit. Die stärksten Entwicklungsimpulse im Leben gingen von bewältigten Krisen aus. Scheitern ist eine Quelle der Kraft zum Neubeginn. Wer wollte dies gerade auch aus telefonseelsorgerlicher Perspektive nicht unterschreiben? Ein Schlussbild Kirchmayrs zum Clown: Der innere Clown betracht die schmerzlichen Dinge des Lebens wie durch ein umgekehrtes Fernrohr und gewinnt dadurch eine heilsame Distanz.

Nicht vorenthalten möchte ich Ihnen an dieser Stelle einen Witz aus seiner therapeutischen Praxis. Kirchmayr erinnert daran, Witze sind wie Clownnummern – Probleme zum Lachen: Zwei Verrückte flüchten aus der Klinik und laufen auf den Eisenbahnschienen entlang. Da sieht der eine kurz nach hinten und sagt: „Hinter uns kommt ein Zug!“ „Dann müssen wir das Gepäck wegwerfen und schneller laufen!“ So geschieht es. Der eine blickt nochmals nach hinten und sagt: „Der Zug ist schon ganz knapp hinter uns!“ Sagt der andere: „Wenn nicht sofort eine Weiche kommt, sind wir verloren.“

Humor als lachende Weisheit Diese Art des Humors erlaubt mir eine Distanz zu der mich umgebenden Welt mit ihren vermeintlichen Unumstößlichkeiten, ihren Gesetzmäßigkeiten und Zwängen. Im Großen entdeckt er das Erbärmliche, im Kleinen das Erhabene, im Heiligen das Menschliche, im Menschlichen das allzu Menschliche. Entlarven lassen sich auf diesem Weg Ungerechtigkeit, Doppelmoral und Selbstgefälligkeit und – das ist der Clou, der uns das Lachen im Halse festhält – meine persönlichen Verwicklungen in all diese eher unvorteilhaften Haltungen. Wie funktioniert Humor eigentlich? Auf eine Kurzformel gebracht – das Komische hat immer mit Widersprüchlichkeit und Absurdität zu tun: groß – klein, Schein – Sein, Reden – Verhalten, Vordergrund – Hintergrund. Unvergleichlich ist dieser spielerische Umgang mit der Widersprüchlichkeit in den MausElefanten-Witzen festgehalten: „Sie wollen wirklich heiraten?“ fragt der Standesbeamte den Elefanten und die Maus. „Was heißt hier wollen“, sagt der Elefant, „wir müssen.“ Humor als Trost – die Tragikomik (Einige Gedanken zum jüdischen Humor:) Berger definiert das Tragikomische als das, was Lachen unter Tränen weckt. Wie in der Clownsfigur löscht es realen Kummer, reale Traurigkeit nicht aus, aber es macht diese Emotionen erträglicher. Die Wurzeln der Tragikomik sieht Berger in der jüdischen Kultur Osteuropas und seiner jiddischen Ausformung. Beispielhaft verdichtet und verkörpert

Foto: Birgit Knatz

AUF DRAHT 84

19


BLICKPUNKT

Humor blüht oft erst in der Begegnung auf Sepp Gröfler leitet seit dreizehn Jahren die Telefonseelsorge Vorarlberg. Er ist Sozialpädagoge, Familien- und Gruppenarbeiter, Sozialmanager, Sexualpädagoge, Humorberater, Konditor und arbeitet nebenberuflich als Kabarettist. Birgit Knatz hat ihn interviewt. Birgit Knatz: Lieber Sepp, seit dreizehn Jahren leitest du die Telefonseelsorge Vorarlberg, daneben arbeitest du als Humorberater, Clown und Kabarettist. Ist das für dich ein Ausgleich zu der manchmal schweren Arbeit am Telefon? Sepp Gröfler: Ich sehe mich eher als Komiker. Für einen Komiker ist der Humor sozusagen das Material, mit dem er arbeitet. Humor kann ein gutes Ventil sein und manche Belastung in einer Lachfalte versin-

mit Humor zunehmend professionell zu betreiben. Mittlerweile biete ich „Kabarett á la Carte“ für alle möglichen Anlässe an und leite Workshops zum Thema Humor.

ken lassen. In unserer TS-Stelle hat Humor einen großen Stellenwert. Er fördert die Gemeinschaft und schafft ein Gegengewicht zu den oft schweren Themen am Telefon. Bei mir ist im Laufe der Zeit das Bedürfnis gewachsen, den Umgang

und Schreibenden Humor hätten, müssten sie sich gar nicht erst bei uns melden, dann ginge es ihnen quasi automatisch gut? Sepp Gröfler: Humor blüht oft erst in der Begegnung richtig auf, er definiert eine ganz bestimmte

Foto: Birgit Knatz

Birgit Knatz: Du schreibst: „Mit Humor lassen sich seelische Konflikte ausdrücken, ohne damit sich selbst zu behindern oder andere zu verstören, zu verletzen oder auszubeuten.“ Kann ich das auch umdrehen: Wenn die Anrufenden

22

Qualität der Beziehung. Oft haben gerade Menschen, die sich aus einer belastenden Situation heraus an uns wenden, den Kontakt zu ihrer inneren Kraftquelle Humor verloren. Wenn es dann gelingt, die dunklen Wolken ein wenig zu lichten, indem der Blick darauf verändert wird, ist nicht selten eine gute Prise Humor im Spiel. Birgit Knatz: Besteht in solchen Fällen nicht die Gefahr, dass mein Gegenüber eine humorvoll gemeinte Bemerkung missversteht und sich nicht ernstgenommen fühlt? Sepp Gröfler: Diese Gefahr besteht, so gesehen birgt Humor immer auch eine Portion Risiko. Zunächst muss ich natürlich sicher sein, dass ein guter, von Achtsamkeit und Wertschätzung geprägter Kontakt zum Anrufenden besteht. Dann ist die Gefahr, mit einer unangemessen humorvollen Bemerkung in das berühmte Fettnäpfchen zu treten, schon wesentlich geringer. Und natürlich bedeutet das Wagnis, im Kontakt mit meinen Mitmenschen einmal an eine Grenze zu gehen, immer auch, dass ich bereit bin, mich zu zeigen, mich voll einzubringen, ein Risiko einzugehen. Das macht mich authentisch, das überrascht und belebt jede Beziehung. Birgit Knatz: Du sagst, eine humorvolle Beraterin oder ein Berater lebt seinen Humor zunächst einmal

AUF DRAHT 84


BLICKPUNKT

für sich und ohne jede Absicht. Wie soll ich mir das vorstellen? Ich kann mir ja schlecht selbst Witze erzählen und darüber lachen. Sepp Gröfler: Humor ist für mich viel mehr als Witze erzählen. Eine schöne Blume auf dem Schreibtisch im Dienstzimmer ist für mich schon Humor. Eine aufmerksame Geste, ein Auto einfädeln lassen, jemanden an der Supermarkt-Kasse vorlassen, der es eilig hat – das sind alles Dinge, die ein Mensch mit Humor macht. Und er macht es nicht, weil er eine Gegenleistung erwartet, sondern weil es ihm selber gut tut. Das ist übrigens auch der Grund, warum man in der Telefonseelsorge oft auf Menschen mit Humor trifft. Sie tun ihren Dienst nicht, weil sie eine Gegenleistung erwarten, sondern weil sie spüren,

Hände hoch!

wie sehr die Arbeit sie verwandelt und zu ihrer eigenen Entwicklung beiträgt. Birgit Knatz: Eine schöne Blume auf dem Schreibtisch im Dienstzimmer ist also schon Humor. Wo ist denn für dich der Unterschied zwischen Aufmerksamkeit oder Achtsamkeit und Humor? Was ist das typisch Humorvolle? Sepp Gröfler: Humor kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie Feuchtigkeit, Flüssigkeit. Für mich ist Humor so etwas wie die Nährflüssigkeit für unseren Alltag, eine Art „Schmiermittel“ in unseren Beziehungen, so, wie Achtsamkeit die Basis jeder tragfähigen Beziehung ist. Klar ist, ohne Achtsamkeit kann sich die heilende Kraft des Humors

nicht entfalten. Aber wenn zum achtsamen und wertschätzenden Zuhören noch ein Augenzwinkern, eine überraschende Wendung, eine kleine, schmunzelnde Formulierung kommt – dann „sprießt“ der Humor und kann tiefsitzende Ängste und Blockierungen lösen und zu einer befreienden Neubewertung einer als belastend erlebten Situation beitragen. Zynismus zerstört, Ironie irritiert, Humor heilt. Wenn das, was ich tue, für meinen Mitmenschen eine heilsame Wirkung hat, ist in den meisten Fällen Humor mit im Spiel. Birgit Knatz: Das ist ein guter Schlusssatz. Vielen Dank für das Interview. www.beff.at

Eine entschlossene Männerstimme fordert: „Hände hoch!“ Ich glaube, ich höre nicht richtig: „Wie bitte?“ Erneut: „Hände hoch! Das ist ein Raubüberfall!“ Mit Mühe kann ich ein Kichern unterdrücken: „Das geht nicht, ich muss doch den Hörer halten!“ Der Mann stutzt: „Dann eben eine Hand hoch!“ Ich schweige. „Haben Sie die Hand oben?“, fragt er misstrauisch. Man macht ja fast jeden Quatsch mit. „Mmh. Und wie soll es jetzt weitergehen?“ „Ich will das Geld und den Schmuck.“ Ich versichere, dass ich zur Zeit keinen Schmuck an mir habe und meine Barschaft aus wenigen Euros besteht. Er glaubt mir nicht und wiederholt seine Forderung. Nun versuche ich es mit Vernunft und weise auf die Unmöglichkeit hin, ihm irgend etwas auszuhändigen. Da kapituliert er und mit „Schade“ beendet er das Gespräch. U. V., TS Duisburg

AUF DRAHT 84

23


BLICKPUNKT

Männer bei der TelefonSeelsorge – Humoristische Nachtgedanken eines TS-Mannes

Unter den rund sechzig ehrenamtlichen Mitarbeitenden der TelefonSeelsorge Nordschwarzwald gibt es gegenwärtig sechs Männer. Zehn Prozent – eine Minderheit. Wie ergeht es einem Mann mit so vielen Frauen? Was ist die TelefonSeelsorge – ein Weiberladen, ein Männerparadies? Die TelefonSeelsorge ist ein Traum für Männer. Mann wird als Exot wahrgenommen, gut versorgt, gehegt und gepflegt. In der Supervisionsgruppe ist er meistens der einzige Vertreter seines Geschlechts. Mann ist Außenseiter, sein Wort hat Gewicht, seine Meinung ist gefragt. Er vertritt das männliche Prinzip und ist ohne Konkurrenten. Mann kann sich vieles erlauben. Mann wird bewundert, er gerät nur dann in die Kritik, wenn er sich als Machotyp aufführt. Mann ist Hahn im Korbe und kann dies – wenn er es zulässt – uneingeschränkt genießen. Wahrlich ein Traum … ... und ein Alptraum Mann wird kontrolliert, Mann wird beobachtet, Mann wird bemuttert. Mann wird belächelt. Mann wird in Schubladen gepackt. Ja, so sind sie halt, die Männer. Mann muss vieles ertragen: die grenzenlose Geduld, das ewige Mitgefühl, die unendliche Empathie, das ständige Bedürfnis nach Harmonie. „Wir mögen uns und unsere Anrufer. Wir wollen uns doch nicht verletzen. Wir verstehen uns doch alle …“ Mann hat es schwer, Mann hat es leicht in der TelefonSeelsorge. Er begegnet den Frauen seiner Biografie, der Mutter, der Schwester, der Partnerin mit all ihren schönen Seiten und ihren Schattenseiten. Und er stellt fest, es gibt die Frauenwelt, es gibt die Männerwelt und manchmal sind sie meilenwert auseinander und manchmal kommen sie sich so nahe, dass das Leben schöner und größer wird und eine wunderbare Gemeinschaft entsteht. Foto: Stefan Kühne

30

Kai, ehrenamtlicher Mitarbeiter, TS Nordschwarzwald

AUF DRAHT 84


BLICKPUNKT

Ich könnte mir vorstell’n, mich so zu empfehlen: Die Zeit. Ich will sie euch nicht länger stehlen. Den Raum. Ich will ihn euch nicht länger rauben. Den Stuss. Ich will ihn euch nicht länger glauben. Das Ohr. Ich will es euch nicht länger leihen. Das Aug. Ich will es euch nicht länger weihen. Das Hirn. Ich will es euch nicht länger mieten. Die Stirn. Ich will sie euch nicht länger bieten. Das Herz. Ich will es euch nicht länger borgen. Den Rest? Den müsst ihr schon selber entsorgen.

Geboren ist der Balten-Deutsche 1937 in Reval, sein Vater fiel noch in den letzen Kriegswochen, die Mutter floh mit den drei Buben vor der Roten Armee in die Gegend von Göttingen, sie musste die Kinder ins Heim geben, damit sie für ihren Unterhalt arbeiten konnte. Gernhardt hat sie oft aufgezählt, die Institutionen und Konventionen, die uns Füg- und Folgsamkeit abverlangen: Kirche, Schule, Militär, der gute Geschmack, die Familie, Staat und Gesetz. Natürlich wusste er, dass die Welt ohne sie nicht auskommt – aber sind sie darum weniger lachhaft? „Die sollen mich nicht kriegen“, schwor sich der Vierzehnjährige. Nach der Schulzeit in Göttingen studiert er Malerei und Germanistik in Stuttgart und Berlin. Am Ende ist er „staatlich gepr. Kunsterzieher mit Deutsch als Beifach“, zumindest auf dem Papier. Doch ihn reizen andere Formate, 1962 bewirbt er sich bei der neu gegründeten Satirezeitschrift „Pardon“. Noch im selben Jahr veröffentlicht

AUF DRAHT 84

Das Lachen der Vernunft Robert Gernhard – ein Universalgenie der komischen Literatur Kurz von seinem Krebstod im Sommer 2006 gab Robert Gernhardt den Band „Später Spagat“ heraus, dem wir das nebenstehende „Testament“ entnehmen.

er die ersten Zeichnungen und satirische Texte. Mit Pardon-Kollegen begründet er die Rubrik „Welt im Spiegel“ und beginnt die Komik-Serie „Schnuffi“. Elf Jahre lang erzählt er Monat für Monat mit heiter-ironischen Bildern aus dem Leben eines Nilpferds, das ein Meister der absurden Dialoge ist. Später erfindet er das Schwein, das auf einem Floß in die Unendlichkeit treibt, und die Ratte, die so wenig Glück als Kellner hatte.

und Prosa wechselt er den Ton häufiger als andere die Hemden, dichtet gestern wie Goethe, heute wie Heine, morgen wie Brecht oder Benn, schreibt Erzählungen im Stil Boccacios oder Eichendorffs, Thomas Manns oder Thomas Bernhards. Aber seine Parodien machen sich nicht lustig über die Vorbilder, sie halten spielerisch Distanz sowohl zur parodierten Tradition wie zur zu parodierenden Gegenwart.

1979 ist Gernhardt Mitbegründer des Satiremagazins „Titanic“ und prägt den Begriff der „Neuen Frankfurter Schule“, in ironischer Anlehnung an die alte Frankfurter Schule um Horkheimer und Adorno. Er verkörpert einen neuen deutschen Schriftstellertyp: multitalentiert, dichtend, kritisierend, karikierend und oszillierend zwischen hoher Kunst und Lachnummer. Er entlarvt das Lächerliche eines versteinerten Literaturbegriffs und erobert so auch Kreise, die bisher wenig für Literatur übrig hatten. In Poesie

Stärker als die Lyrik mancher Zeitgenossen zeigen seine Gedichte, wie graziös, wie federleicht die deutsche Sprache sein kann. Eine seiner schönsten Sammlungen trägt den Titel „Lichte Gedichte“ (1997). Doch er war nicht der immer gut Gelaunte, er war ein manchmal grüblerischer, melancholischer Mensch, und als ihn schwere Krankheiten, erst der Herzinfarkt, dann der Krebs, immer mehr quälten, wurden seine Gedichte lakonisch bis zum minimalistischen.

31


Inhaltsverzeichnis Vorwort ............................................................... 3 Schreiben Sie uns!............................................. 4 Internes Damit uns die Anrufenden auch in Zukunft erreichen – Anmerkungen zur Umstellung auf das ACD-Routing ........................................... 5 Ulf Steidel ACD-Schaltung – da tut sich was! .......................... 6 Barbara Meier-Beck Bundesverdienstkreuz ............................................. 7 Petra Henning Wenn Worte meine Sprache wären ......................... 8 HannaH Rau Jahresfortbildung in England ................................ 10 Aktionen zum Internationalen Tag der Suizidprävention ............................................ 11 Weihnachten bringt alles durcheinander ............... 12 Georg Kreisler Cohocuante? ........................................................ 13 XIX. IFOTES Kongress in Göteborg 10. – 14. Juli 2013 ............................................... 14

Blickpunkt Humor in der Seelsorge – (wie) geht das? ............. 18 Ulf Steidel Humor blüht oft erst in der Begegnung auf Interview mit Sepp Gröfler ................................... 22 Hände hoch! ........................................................ 23 Humor ist, wenn man trotzdem lacht ................... 24 U. F.

Die Kraft des Lachens .......................................... 26 Isabel Overmans Lachen öffnet die Sinne ........................................ 27 Bernhard Schmidt Ertappt ................................................................. 29 Martina Lüttich Männer bei der TelefonSeelsorge – Humoristische Nachtgedanken eines TS-Mannes ......................... 30 Das Lachen der Vernunft ...................................... 31 Gisela Achminow Haben Sie ein Hutgesicht? .................................... 32 Doris Egert-Bauer Charmant per Draht ............................................ 33 Stefan Kühne

Internet Wie lang darf ein Kontakt in der Mail-Seelsorge sein? ................................... 34 Roland Gayer, Ute Fehmer, Helga Merkwirth Internet wird am Montag für immer abgeschaltet ......................................... 37 Der beste Tweet des Jahres .................................... 37

Wissen Gefühlserbschaften ............................................... 38 Cordula Gestrich Wer sich selbst versteht, kommuniziert besser Interview mit Friedemann Schulz von Thun ........ 40

Empfehlungen ................................................ 43 Impressum ....................................................... 47


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.