Maurice Munisch Kumar "Am Ende der Welt – mit der Welt am Ende"

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auszug #11

widerstand und wandel 70er Ăźber die 19

Maurice Munisch Kumar am ende der welt – mit der welt am ende

jahre in tirol


impressum Herausgeber: aut. architektur und tirol (www.aut.cc) Konzept: Arno Ritter Redaktion: Arno Ritter, Claudia Wedekind Lektorat: Esther Pirchner Gestaltung und Satz: Claudia Wedekind Grafisches Konzept und Covergestaltung: Walter Bohatsch, Wien Gedruckt auf Magno Volume 115 g Gesetzt in Frutiger Lithografie und Druck: Alpina Druck, Innsbruck Buchbindung: Koller & Kunesch, Lamprechtshausen © 2020 aut. architektur und tirol, Innsbruck © der Textbeiträge bei den Autorinnen und Autoren © der Abbildungen bei den jeweiligen Rechteinhabern Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in ­irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Herausgebers ­reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme ­verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. ISBN 978-3-9502621-7-9

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.


Maurice Munisch Kumar am ende der welt – mit der welt am ende

Wenn ich an die 1970er-Jahre des letztens Jahrhunderts denke, taucht bei mir eine Bilderwelt auf, die sich zwischen Disco, Punk, der RAF (Roten Armee Fraktion) und den Anti-Atomgruppen bewegt. Es sind vor allem Ereignisse, die außerhalb Österreichs ihren Ursprung haben. Der Einfluss von globalen Ereignissen auf andere Zonen der Welt lässt sich für die damalige Zeit so charakterisieren, dass soziale und kulturelle Phäno­mene nicht überall gleichzeitig auftraten, sondern mit einer er­ heblichen zeitlichen Distanz in den jeweiligen Ländern bedeutend wurden. Was war in diesem Zusammenhang in den 1970er-Jahren in Österreich und ­speziell in Innsbruck los? Für Österreich muss bedacht werden, dass es ­geopolitisch am östlichsten Ende der westlichen Welt lag und an den Eisernen Vorhang grenzte. Der Weg von den Vereinigten Staaten oder den ­britischen Inseln – den Hochburgen subkultureller Zonen und sozialer Bewe­gun­gen – bis nach Österreich war ein weiter, vor allem in einem Zeit­ alter, in dem Kulturaustausch ausschließlich analog funktionierte. Neue ­soziale, politische und kulturelle Ideen und Praktiken verbreiteten sich vor allem durch Mundpropaganda, Bücher, Platten oder den öffentlichen Rundfunk – und das konnte seine Zeit dauern. Doch genau diese Ideen, ­gepaart mit lokaler Unzufriedenheit, waren Wegbereiter für etwas Neues, das etwas Altes und Konservatives aufbrechen konnte.

Rockergruppe im z6


Plakat mit einem Querschnitt von KOMM-BesucherInnen

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Im Innsbruck der 1970er-Jahre gab es kaum etwas, was man heute als ­ alternative“ Infrastruktur bezeichnen würde. Einer der zentralen Orte, „ der empfänglich ist für neues Gedankengut, ist die Universität. Doch auch hier galt: Verglichen mit Westeuropa hatten es neue Ideen, die die ver­ krusteten gesellschaftlichen Strukturen anzugreifen wagten, nicht einfach. Während anderswo die 1968er-Bewegungen gesellschaftliche Umbrüche einleiteten und die Forderung nach geschlechtlicher Emanzipation stark wurde, soziale Bewegungen die gesellschaftliche Ungleichheit anprangerten und Bürgerrechte für alle forderten, schien Innsbruck – geschützt von den Bergen – kein fruchtbarer Boden für eine kritische Auseinander­ setzung mit den damaligen Verhältnissen zu sein. Der Historiker Peter Goller erwähnt in einem Artikel über die „Innsbrucker Studenten­be­we­ gung“ von 1967 bis 1974, dass die weltweiten Studentenunruhen 1968 an Innsbruck spurlos vorbeigegangen seien. Erst in den folgenden Jahren entstanden neue Institutionsgruppen, die Beteiligung im universitären ­All­tag einforderten, aber auch gesellschaftliche Themen kritisch auf­ arbeiten wollten. Sie klagten Mitsprache an Verwaltung, Lehrgestaltung oder in Berufungsfragen ein. Anfang der 1970er-Jahre organisierten sich Gruppen unter dem Einfluss marxistischer Strömungen und der Kriti­ schen Theorie je nach Studiengang in „Kritischer Medizin“, „Kritischer Naturwissenschaft“ oder „Kritischer Psychologie“. Es entstanden in der Folge autonome Zeitungen wie das PIF (Psychologie im Fenster) am Institut für Psychologie. In der Selbstbeschreibung des PIF (aus der ersten Ausgabe 1976) wird die Intention solcher Medien deutlich: „Das PIF wird von


einer Gruppe von Psychologiestudenten herausgeben. Seit jeher hat auf unserem Institut weitergehende Kommunikation zwischen den Studenten gefehlt, jeder hockte einzeln herum, die meisten hatten keine Ahnung, was auf dem Institut los war.“ Eine politische Neuorganisierung wurde aber schon früher deutlich. 1971 kam es in der Studentenschaft zur Aktivierung eines „Basisgruppen­ rats Innsbruck“ (BGR). Unterschiedliche linke Strömungen fanden hier ein gemeinsames Dach. Durch den besseren Organisationsgrad sowie die zunehmende Publikation von eigenen Medien konnten Forderungen ­besser nach außen getragen werden. Deutlich wird das vor allem in einem der ersten Versuche, 1972 ein eigenes studentisches Zentrum zu errichten. So trat im Rahmen der Wahlen für die Katholische Hochschul­gemeinde eine neue Liste an: Die Wahlgruppe Offenes Zentrum (OZ). Ihr Haupt­ interesse lag vor allem darin, Räumlichkeiten für alle möglichen Gruppen zu öffnen und dadurch einen repräsentativen Querschnitt der Innsbrucker Studentenschaften zu vertreten, einen Raum für neue Initiativen zu ­schaffen und damit Eigeninitiative zu fördern sowie Selbst­verwaltung zu leben. Die Wahl wurde mit überwältigender Mehrheit für die Gruppe Offenes Zentrum (OZ) entschieden. Doch dass eine ­anti­klerikale Gruppe die Wahl für die Katholische Hochschulgemeinde ­gewann, war nicht nur ein Paradoxon, sondern verärgerte vor allem den ­damaligen Bischof

Helmut Berchtold, heute noch als Veranstalter im Verein Innpuls bekannt, holte bereits in den 1970er-Jahren Bands und Solisten zu Auf­ tritten nach Innsbruck.

PIF (Psychologie im Fenster), Cover


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Paulus Rusch. Dieser unternahm alles, um dem neuen Zentrum ein Ende zu setzen. Das gelang ihm – wenn auch mit viel Gegenwind – im darauf ­folgenden Jahr. Bischof Rusch war auch der ­zentrale Gegner zweier ­anderer Innsbrucker Einrichtungen, die als Stätten für ein libertäres, freies Handeln abseits von reaktionären und volkstüm­lichen Vorstellungen ­dienten. Die Rede ist vom Jugendzentrum MK (Marianische Kongregation bzw. Mittelschülerkongregation) unter Pater Sigmund Kripp und dem Jugendzentrum z6 mit seinem Gründer Meinrad Schumacher und dem ­späteren Leiter Jussuf Windischer. Beide kirchlichen Jugendzentren wurden zu wichtigen zentralen Sozialisations­orten für viele Jugendliche in Inns­ bruck: die MK meist für SchülerInnen des Gymnasiums, während sich das z6 als Zentrum für Arbeiterjugendliche und sonstige an den Rand der Gesellschaft gedrängte Gruppen etablierte. Bei beiden Beispielen nahm die katholische Kirche eine widersprüchliche Rolle ein: Einerseits stellte sie Infrastruktur bereit, andererseits bekämpfte sie jene Orte. So warnte Bischof Rusch während seiner Predigten Anfang der 1970er-Jahre, Jugend­ liche nicht in die MK gehen zu lassen. Das Aufbrechen klassischer kirch­ licher Jugendarbeit sowie die offene Haltung gegenüber neuen Strö­mun­ gen von Pater Sigmund Kripp widerstrebte ihm. Im z6 störte er sich daran, dass das Jugendzentrum vor allem von sozialen Randgruppen wie den ­sogenannten Rockergruppen ­besucht wurde – von Jugendlichen also, die von der katholischen Kirche bewusst Abstand nahmen. Die Jugendzentren und studentischen Orte der 1970er-Jahre in Innsbruck waren offen für neue Ideen, kritische Geisteshaltung und die ­ersten Versuche, Jugendarbeit, Kulturproduktion und Vermittlung als ­politische Arbeit zu verstehen. Trotz oder vielleicht gerade wegen der Ver­spätung, mit der neue soziale Ideen in Innsbruck ankamen, fanden sie einen fruchtbaren Boden. Es war längst an der Zeit, die verkrusteten ­autoritären Strukturen aufzubrechen. Reaktionäre Kircheninhalte und der Einfluss konservativer Strömungen schafften es somit, in gewissen ­Be­reichen dominant zu werden und verlagerten sich von der Peripherie ins Zentrum. Die Ideen der sozialen Bewegungen flossen in ein neues ­Be­gehren nach einer anderen Welt und einem besseren Leben für alle ein. Dieses fand seinen Ausdruck in der Musik und Kunst, in der Folge ­­­gelang es schon gegen Ende der 1970er-Jahre, neue öffentliche Kultur­ zentren wie das KOMM (Kommunikationszentrum) in der Josef-Hirn-Straße oder das „Gegenzentrum“ KOZ (ebenso Kommunikationszentrum) in St. Nikolaus zu betreiben. Das KOMM konnte sich bis Mitte der 1980erJahre halten. Aus heutiger Sicht waren die Ereignisse in den 1970er-Jahren in Innsbruck überschaubar, aber sie waren ein Weg­bereiter für eine ­spätere kulturelle und soziale Infrastruktur, die ohne die Einflüsse von außen kaum vorstellbar gewesen wäre.


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Die anlässlich der Ausstellung

widerstand und wandel. über die 1970er-jahre in tirol erschienene Publikation kann auf unserer Web-Site unter www.aut.cc bestellt werden. Sonderpreis: 19,70 Euro zuzüglich Versandspesen (6,- Österreich, 12,- Europa) Danke für Ihre Unterstützung!


bildnachweis Archiv AEP S. 40 | Wilhelm Albrecht S. 353, S. 354, S. 356 – 357, S. 359 – 362 | aus: ar­ chi­tektur aktuell 37 / 1973 S. 224 | aus: Architektur und Fremdenverkehr, 1974 S. 276 | Architektur­zentrum Wien, Sammlung S. 87, S. 91, S. 177 (Foto Margherita Spiluttini), S. 178, S. 197, S. 199 (Foto Christof Lackner), S. 213 – 215, S. 323 | Atelier Classic S. 330 | Archiv aut S. 125 – 126, S. 130, S. 148, S. 216, S. 218 | aus: bauforum S. 138 (81 / 1980), S. 312 (23 / 1971), S. 324 (14 / 1969) | aus: Baugeschehen in Tirol 1964 –  1976, 1977 S. 187, S. 210, S. 225, S. 274 – 275, S. 331 | aus: BMZ – Offizielles Organ der Baumusterzentrale S. 279 (3 / 1968), S. 314 (1 / 1967), S. 318 (1 / 1968) | BrennerArchiv Innsbruck – Vorlass Mitterer S. 118 | aus: Broschüre für die „Luxus Ter­rassen­ hausanlage Höhenstraße“ der BOE, o. J. S. 168 | Canadian Centre for Archi­tec­ture (Gift of May Cutler) S. 171 | Archiv COR S. 316 – 317 | aus: das Fenster S. 146 (5 / 1969), S. 150 (11 / 1972) | Digatone S. 63 – 64, S. 67 | Sammlung Albrecht Dor­nau­er S. 55, S. 288 | Andreas Egger S. 200 – 201 | Thomas Eisl S. 93 | aus: Endbe­richt – XII. Olympi­ sche Winterspiele Innsbruck 1976, 1976 S. 288 | aus: Festschrift zur offiziellen Über­ gabe und kirchlichen Weihe, Sprengelhauptschule St. Johann in Tirol, 1980 S. 225 | FI Archiv für Baukunst der Universität Innsbruck S. 119, S. 197 – 198, S. 229 – 231, S. 233, S. 238, S. 241, S. 244 – 245, S. 248 – 249, S. 282 | FRAC Orle­ans S. 157 – 158 | frischauf-bild S. 160 – 161, S. 164 – 165, S. 169, S. 277 | Archiv Galerie Krinzinger S. 104 – 105, S. 108 | Siegbert Haas S. 179 | Karl Heinz S. 206, S. 207 | aus: Norbert Heltschl. Bauten und Projekte, 2002 S. 197 | Nachlass Ernst Hies­mayr S. 132 | Sepp Hofer S. 69 | aus: Horizont. Kulturpolitische Blätter der Tiroler Tageszeitung S. 140 (18 / 1974), S. 143 (4 / 1972), S. 145 (9 / 1973), S. 149 (10 / 1973), S. 152 (29 / 1976), S. 154 (13 / 1974) | Hertha Hurnaus S. 162 | Sammlung Waltraud Indrist S. 284, S. 290 | Sammlung Peter Jordan S. 259 – 260, S. 269 – 270, S. 364 | aus: Kasiwai. Ein Bildband des Kennedy-Hauses in Innsbruck, 1970 S. 31 | Franz Kiener S. 220 – 222 | Wolfgang Kritzinger S. 263 | Christof Lackner S. 226 | Bernhard Leitner S. 76 – 80 | Christian Mariacher S. 14 – 22 | Albert Mayr S. 82, S. 84 –  85 | Wolfgang Mitterer S. 97 | Thomas Moser S. 268, S. 271 | Helmut Ohnmacht S. 345, S. 370 | Stefan Oláh S. 208 | Archiv ORF Landesstudio Tirol S. 343 | Ortner & Ortner S. 129 | Archiv Max Peintner S. 281 | Charly Pfeifle S. 304 – 309 | Wolfgang Pöschl S. 262 | Peter P. Pontiller S. 191, S. 193 –  194 | aus: Pooletin, 3 / 4, 1977 S. 107 | aus: Pressemappe des Bauzentrums Innsbruck, 1971 S. 322 | aus: Prospekt „i-bau 1973“ S. 334 | Carl Pruscha S. 148 | Nachlass Egon Rainer S. 328 – 329 | Kurt Rumplmayr S. 261 – 262 | Sammlung Wolfgang Salcher S. 219, S. 226 | Elisabeth Schimana S. 89 | Hanno Schlögl S. 184, S. 186 | Sammlung Hubertus Schuhmacher S. 57 | aus: Schul­bau in Österreich, 1996 S. 224 | Sammlung Meinrad Schumacher S. 30 | Sammlung Elisabeth Senn S. 255 – 257 | aus: Sozialer Wohnbau in Tirol. Historischer Überblick und Gegenwart, 1987 S. 136, S. 196 | Stadt­ archiv Innsbruck S. 24, S. 68, S. 71, S. 285, S. 325 | aus: Stadtentwicklung Innsbruck. Tendenzen und Perspektiven, 1978 S. 127 | Subkulturarchiv Innsbruck S. 33, S. 34, S. 37, S. 47 – 49, S. 58 – 62, S. 66, S. 70 | Archiv Taxispalais Kunsthalle Tirol S. 100, S. 102 | tirol kliniken S. 283 | Tiroler Landesmuseen / Zeug­haus S. 330 | Tiroler Landes­museum Ferdinandeum S. 109, S. 112, S. 300 (Grafi­sche Sammlung, Inv. Nr. 20Jh / C / 59), S. 302 (Grafische Sammlung, Inv. Nr. 20Jh / P / 118) | aus: Tiroler Nachrichten, 159 / 1968 S. 320 | aus: Tiroler Tageszeitung, 108 / 1973 S. 336 | aus: Tirols Gewerbliche Wirt­schaft, 20 / 1970 S. 327 | aus: TRANSPARENT. Ma­nuskripte für Architektur, Theorie, Kritik, Polemik, Umraum, 8 / 9, 1970 S. 294, S. 299 | Trash Rock Archives S. 52 | Archiv TU Graz, Sammlung Dreibholz S. 190 | Dieter Tuscher S. 131 | UniCredit Bank Austria AG, Historisches Wertpapierarchiv S. 246 | Universitäts­archiv Innsbruck S. 234 | Uni­ver­si­ tätsarchiv Innsbruck – Nachlass A. Pitt­racher S. 251 | aus: Der Volksbote, 19 / 1973 S. 332 | Günter Richard Wett S. 339 – 340, S. 341, S. 344, S. 346 – 351, S. 366 –  369, S. 371 – 491 | Wien Museum, Karl Schwanzer Archiv (Foto Sigrid Neubert) S. 128 | aus: Wohnanlage Mariahilfpark Innsbruck (WE), 1970 S. 166, S. 167 | aus: Wohnen Morgen Burgenland, 1971 S. 180 – 185, S. 188 | Nachlass Arthur Zelger S. 286 | Siegfried Zenz S. 121, S. 122 Trotz intensiver Bemühungen konnten nicht alle Inhaber von Textrechten ausfindig ­gemacht werden. Für entsprechende Hinweise sind die Herausgeber dankbar. Sollten Urheberrechte verletzt worden sein, werden diese nach Anmeldung berechtigter Ansprüche abgegolten.


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