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Mercedes-Benz EQS 450 & Porsche Taycan 4S Cross Turisimo
Mercedes-Benz EQS 450+ & Porsche Taycan 4S Cross Turisimo Meister-Elektriker
Ganz oben wird die Luft dünn, so auch am Gipfel der Elektromobilität. Zwei der aktuellen Gipfelstürmer sind der Mercedes-Benz EQS 450+ und der Porsche Taycan 4S Cross Turismo. Doch auch für diese beiden Meister-Elektriker ist der Weg zum Gipfel steil.
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Bescheidenheit sieht anders aus. Nichts weniger als „das beste Elektroauto der Welt“ wollte man bei Mercedes mit dem EQS auf die Räder stellen. Vor allem aber sollte die vollelektrische S-Klasse Maßstäbe in Sachen Reichweite setzen – und damit ohne leidige Achillesferse ganz locker selbst über Autobahndistanzen stromern. Dafür ist der EQS 450+ die theoretisch beste Wahl. In dieser Konfiguration kommt er nämlich mit 333 PS (245 kW) und Hinterradantrieb, während die anderen Varianten auf Allradantrieb und teilweise mehr Leistung setzen, damit aber auch mehr Strom verbrauchen. Nahezu unglaubliche 758 Kilometer Reichweite verspricht Mercedes für den 450+, da wird selbst manch benzin-, ja sogar manch dieselgetriebene Limousine blass – und das ganz ohne das eindrückliche Lebendgewicht des Mercedes, der stattliche 2.480 Kilogramm Leergewicht auf die Waage stemmt.
758 Kilometer Reichweite – theoretisch Wer sich jetzt die Frage stellt, ob die Eckdaten wirklich so eingehalten werden, wie es das raumschiffähnliche Exterieur und das – MBUX Hyperscreen sei Dank – ebensolche Interieur nebst HochglanzWerbewelt versprechen, dem sei klipp und klar gesagt: naja. Zu aller erst: ja, der EQS fährt, federt und lenkt ausnehmend gut und wird seinem „S“ im Namen gerecht. Er beschleunigt zudem so, wie ein schnelles Elektroauto halt beschleunigt. Aber: man spürt das enorme Gewicht. Ein bisschen beim Beschleunigen, natürlich auch in der Querbeschleunigung, sprich, in den Kurven. Vor allem aber ist es beim Bremsen präsent und drängt nach, besonders dann, wenn der Anker abrupt geworfen werden muss.
Und letztendlich nein, denn der EQS kann das Reichweitenversprechen in der Praxis nicht einlösen. Keine Frage, er trägt sich (vor allem sich) und seine Insassen weit, weiter als andere Elektroautos. Und, auch wenn die 21-Zoll-AMG-Felgen wirklich toll aussehen, mit einer etwas bescheideneren Rad-Reifen-Kombination würde er wahrscheinlich noch ein paar Reichweiten-Kilometer dazugewinnen. Dennoch ist die versprochene Reichweite von bis zu 758 Kilometern nicht einmal ansatzweise zu erreichen. Knapp 500, mit besonders leichtem Gasfuß vielleicht 530 Kilometer sind machbar. Doch vor allem auf der Autobahn ist es praktisch unmöglich, unter die Marke von 21 kWh pro 100 Kilometer zu kommen. Da hilft auch die
Datencheck
Mercedes-Benz EQS 450+
Permanent erregte Synchronmaschine, E-Motor hinten 245 kW/333 PS, Hinterradantrieb, Drehmoment 568 Nm, 0-100 km/h V-max WLTP-Verbrauch WLTP-Reichweite Preis 6,2 s, 210 km/h, 16,3 kWh, 756 km, ab € 117.270,56
108 kW große Batterie nur bedingt. Und vor allem bei kühlen Temperaturen dürfte es sich rächen, dass die Mercedes-Ingenieure unverständlicherweise auf eine Wärmepumpe verzichtet haben.
Alles auf S-Klasse-Niveau?
Retrospektiv betrachtet lässt uns der Mercedes-Benz EQS 450+ ein wenig ratlos zurück. Der Fahrkomfort, der Sitzkomfort, die Verarbeitungsqualität, all das liegt unbestritten auf S-Klasse-Niveau. Das MBUX-System ist, auch wenn die Bedienung für Kurzzeit-Benutzer wie uns teilweise etwas kompliziert erscheint, voll am Puls der Zeit und manifestiert sich im fraglos beeindruckenden Hyperscreen und einer ebensolchen Sprachbedienung. Auch das teilautonome Fahren funktioniert auf einem Level, wo das Gros der Mitbewerber erst einmal hinkommen muss. Last but not least ist auch die Reichweite – besonders in Verbindung mit der sensationellen Schnelladefähigkeit, die in unserem Optimalfall mit 180 kW von Statten ging – mehr, als die meisten Konkurrenten derzeit bieten – oder bieten können. Aber, und das ist das große Problem: es ist gleichzeitig doch etwas weit weg von dem, was Mercedes verspricht. Und, wie im Falle unseres Testwagens, für wohlfeile € 156.602,- verkauft. Da wird dann auch bei der Kundschaft die Luft recht dünn.
Viel Preis, viel Ehr‘ Zumindest preislich steht der Porsche Taycan 4S Cross Turismo dem Mercedes EQS 450+ um nicht viel nach: € 144.606,66 veranschlagt die Zuffenhausener Sportwagenschmiede für Ihren Edel-Elektriker in der natürlich fein ausgestatteten Testwagen-Variante. Different wird die Sache aber gleich beim Gewicht. Zwar nicht nominell, denn der einzigartige Shooting-Brake mit optisch etwas seltsamer Offroad-Beplankung bringt mit 2.320 Kilogramm fast genauso viel Leergewicht auf die Waage, wie der wuchtige EQS. Entscheidend ist allerdings, dass sich der Porsche seine schiere Masse nicht wirklich anmerken lässt. Er tritt sportlich straff, gleichzeitig aber auch leichtfüßig auf, anders als der Benz. Sein Gewicht gänzlich leugnen kann natürlich auch dieser Meister-Elektriker nicht, auch in seinem Fall wird man bei heftigeren Bremsmanövern an die Grenzen der Physik erinnert.
Fahrdynamisch ist der Taycan 4S Cross Turismo aber auf jenem Level, das von Porsche erwartet wird, selbst wenn zum „normalen“ Taycan ein kleiner Unterscheid auszumachen ist. Dank Luftfahrwerk, das für den Weg zur Almhütte im Sommer oder für die Zufahrt zum Chalet im tiefverschneiten Winter bis zu 16 Zentimeter Bodenfreiheit schafft und dank simuliertem Allradantrieb, der je ein Getriebe an den beiden Synchronmaschinen der Vorder- und Hinterachse nutzt, um Drehzahlunterscheide zwischen den Achsen zu reduzieren, kommt der
Cross Turismo unter solchen Bedingungen erstaunlich weit. Gleichzeitig kostet ihn dieses erstaunliche Offroad-Talent aber einen Hauch Querdynamik. Doch das ist Jammern auf hohem Niveau, und im Alltagsbetrieb schwebt auch dieser Taycan dank Luftfahrwerk praktisch über den Dingen.
Permanenterregte Motoren, permanenterregtes Fahren Die erwähnten Synchronmaschinen des Porsche Taycan 4S Cross Turismo sorgen gemeinsam für 420 kW, das sind 571 PS Spitzenleistung, und das bekommen die Insassen zu spüren. Den Spurt von 0 auf 100 km/h erledigt er – gerne auch mit Launch-Control – in 3,9 Sekunden. Das ist ein klassischer Supersportwagen-Wert, und genau so fühlt sich das auch an. Besonders daran ist, dass der Porsche dieses Kunststück – ganz im Gegensatz zu vielen Mitbewerbern – beliebig oft hintereinander veranstaltet. So ist nicht nur die Lust an der Beschleunigung groß, sondern auch die Lust am Fahren generell. Sie kennen das: der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach. Darunter leidet allerdings auch die Reichweite. Denn in dieser Hinsicht unterscheidet sich selbst ein Porsche nicht von einem Mercedes, oder anderen Elektrofahrzeugen. Wer seinen Gasfuß nicht in Zaum hält, wird mit schmelzender Reichweite bestraft. Wobei, ein kleiner Vorteil gegenüber der Stuttgarter Konkurrenz findet sich dann doch. Dank der erwähnten Getriebe ist der Reichweitenverlust bei Autobahntempo geringer – beziehungsweise bei deutschem Autobahntempo nicht ganz so groß wie sonst.
Laden mit Stil Was bleibt, ist der Eindruck einer halbwegs realistischen Selbsteinschätzung in Sachen Verbrauch: 452 Kilometer maximale Reichweite verspricht Porsche für den Taycan 4S Cross Turismo mit seinem 94 kWh großen Akku, 400 Kilometer zeigte er in unserem Test maximal an. Da herrschten allerdings noch relativ kühle Temperaturen. Auf der Autobahn zeigt sich ein ähnliches Bild wie beim Mercedes: Unter 21 kWh ist überhaupt nichts zu machen, ergo sieht man sich an der Ladesäule wieder. Wo der Porsche den Strom dann mit maximal 160 kW von der Ionity-Säule aufnimmt. Immerhin: wer währenddessen nicht aussteigen möchte, verbringt die Wartezeit mit Stil. Der Innenraum ist typisch Porsche, das ist als Kompliment gemeint. Hochwertige Materialien, eine ebensolche Verarbeitung, die Sitzposition ist wohl direkt aus dem 911er gestohlen. Wer in solchen Momenten seine Augen schließt, kann sich dann sehr genau vorstellen, wie es jetzt wäre, den benzinbetriebenen Bruder in zwei Minuten aufzutanken, um danach mit echtem Auspuff-Sound weiterzuziehen.
Datencheck
Porsche Taycan 4S Cross Turismo
Verbrauch & Reichweite
Permanent erregte Synchronmaschinen, E-Motor vorne 175 kW/238 PS, E-Motor hinten 320 kW/435 PS,
Systemleistung Allradantrieb, Drehmoment 0-100 km/h V-max WLTP-Verbrauch WLTP-Reichweite Preis 360 kW/490 PS,
650 Nm, 4,1 s, 240 km/h, 22,6 kWh, 388 - 452 km, ab € 117.270,56
mw