"Erlebtes und Gedachtes" von Ino Jacobs

Page 1

Erlebtes und Gedachtes Neuefehn Buldern M端nster Tecklenburg G端tersloh Istanbul Minden

Ino Jacobs


Erlebtes und Gedachtes......................................................................................................... 1 Vor meiner Zeit ................................................................................................................ 3 Kinderzeit ......................................................................................................................... 7 Grundschulzeit ............................................................................................................... 12 Krieg ............................................................................................................................... 15 Nachkriegszeit ................................................................................................................ 18 Nach dem ABI ................................................................................................................ 21 Im Beruf ......................................................................................................................... 28 Auf Lebenszeit

in GĂźtersloh.............................................................................. 31

In Istanbul ...................................................................................................................... 33 In Minden ....................................................................................................................... 36 Familie ............................................................................................................................ 40 GroĂ&#x;vater ....................................................................................................................... 48 Pensioniert ...................................................................................................................... 52 Reisen seit 1995 .............................................................................................................. 53 Vorkommnisse................................................................................................................ 56 Im Beruf ......................................................................................................................... 57 Begegnungen .................................................................................................................. 62 Besinnung ....................................................................................................................... 63 Worte .............................................................................................................................. 66 Helfen.............................................................................................................................. 67


3

Vor meiner Zeit Fehn Fehn ist eine Siedlung am Kanal. In meiner Heimat gab es früher, um 1600, nur Moor, das zu einem Gut (Besitz eines Großgrundbesitzers) gehört. Wer leben will, muss schwer arbeiten. Entweder fährt man auf einem Logger (kleines Schiff) in die Nordsee, um Heringe zu fangen oder aber man arbeitet auf dem Land, um sein Leben zu fristen. Die ersten Siedler lassen sich ein Stück Moor auf Erbpacht zuteilen, d.h. das Moorland gehört ihnen nicht, sie pachten es nur, aber der Pachtvertrag kann weiter vererbt werden. Gemeinsam graben sie einen Kanal, damit das Wasser ablaufen kann und das Moor austrocknet. Dann können sie kleine Stücke aus dem Moor graben und in der Sonne trocknen: Torf zum Heizen. Die Moorschicht ist 0,5 bis 5 m dick. Darunter gibt es unfruchtbaren Sand oder Lehm. Der Kanal dient auch dazu, mit kleinen Schiffen den Torf zum Verkauf wegfahren zu können. Geld braucht man damals ja auch. Auf der Rückfahrt wird von den reichen Bauernhöfen Kuhdünger herangebracht, damit der Sandboden fruchtbarer gemacht werden kann. Am Anfang wächst nur Hirse. Später kommen dann Roggen und Kartoffeln hinzu. Die Ziegen oder Schafe brauchen etwas Grünland, das man auf der Mooroberfläche anbaut. Die zu bearbeitende Fläche ist begrenzt: ca. 50 m am Kanal und ca. 250 m senkrecht dazu, d.h. soweit ein Mann mit der Schubkarre sinnvoll transportieren kann. Wenn die Entfernung größer wird, muss eben ein neuer Stichkanal gegraben werden. Häuser baut man aus Torf. Damit der Regen nicht sofort den Torf in Moor zurückverwandelt, wird von außen eine Lehmschicht aufgebracht. Sobald die Kinder die Schulpflicht beendet haben, ca. mit 15 Jahren, fahren sie auf Schiffen als "Junge" auf die Nordsee. Hauptsächlich sind es die Logger, die den Hering von der Doggerbank holen. Wer mehr will, heuert auf Fischdampfer an, die bis in die nördliche Nordsee fahren. So kommt zusätzliches Geld in die Familie. Selbstverständlich gehört das verdiente Geld der Familie. Auf jeden Fall bis zum 21. Lebensjahr, meist wohl bis zur Heirat hat der Junge keine Verfügungsberechtigung über seinen Verdienst. Das Recht der Kinder besteht vor allem darin, dafür zu sorgen, dass die Familie als Ganzes leben kann. Die Mädchen helfen der Mutter, wenn sie Glück haben, können sie „in Stellung gehen“, d.h. sie arbeiten in fremden Familien und verdienen so auch Geld. Im 19 Jahrhundert haben es einige Fehnbewohner zu Wohlstand gebracht. Am Kanal gibt es Werften, auf denen Schiffe gebaut werden, die nach Norwegen oder bis St. Petersburg fahren. Bei der Rückfahrt schleppen sie dicke Baumstämme hinter sich her: Pitspine ist ein schier unverwüstliches Holz. Nur mit dem Hineinschlagen eines Nagels hat man seine Schwierigkeit. 1806 wird das Ständerwerk unseres Hauses mit diesen Stämmen gebaut. 150 Jahre später sind sie immer noch so gut wie am Anfang. Haus Alle Fehnhäuser haben den gleichen Baustil: Beim Wohntrakt beginnt das Dach in etwa 3 m Höhe, direkt daran befindet sich der Stall, bei dem das Dach bis auf 1m heruntergezogen ist. Dadurch spart man die teuren Steine und gewinnt zugleich Stauraum (für Torf oder Viehställe). Die Mauern werden mit roten Ziegeln aus gebranntem Lehm und mit Lehm als Mörtel gemauert. Die Giebelfläche wird aus Sparsamkeit durch ein schräges Dach ersetzt. Die Dachfläche selbst wird meist mit Stroh gedeckt, bei Wohlhabenden mit Ried. In modernen Häusern trennt ein Flur den Wohntrakt vom Stall. Wer es sich leisten kann, ersetzt den offenen Kamin durch einen Küchenherd, der auch zum Heizen der großen Wohnküche dient. Schlafzimmer gibt es nicht. An den Wänden des Wohn-Zimmers ist ein Holzverschlag, hinter dem sich die Schlafstellen befinden: „Butzen“. In modernen Häusern gibt es auch einen Keller, der allerdings nicht zu tief in der Erde sein darf wegen des Hochwassers. Der Fußboden des darüber befindlichen Zimmers muss also etwas höher sein als bei den anderen (sofern es andere gibt).


4 „Upkaumer“ heißt dieses hochgelegene Zimmer. Der Zugang ist nur über eine kleine Treppe im Nebenzimmer möglich. Als mein Vater 1930 den Giebel unseres Hauses erneuert, wird der Fußboden der Upkaumer auf normales Niveau gesenkt. In den Keller gelangt man jetzt durch eine Falltür, eine Klappe im Fußboden. Im Keller selbst kann man sich nun nur noch in Hockstellung bewegen. Aber der Keller ist ja nicht für den Mann, sondern nur für die Frau für ihre Vorräte. Bei Hochwasser haben wir in dem Keller ca. 10 cm Wasser. Deswegen wird manches auf „Füßen“ aus Steinen gestellt.

Kapitän Nicht jedem jungen Mann gefällt die Arbeit als Matrose. Einige wollen weiter: Kapitän eines Schiffes, vielleicht sogar eines eigenen ist das Ziel. So wird im Nachbardorf ein Riesenhaus gebaut, zwei Stockwerke hoch: eine Seefahrtsschule. Der Weg dorthin ist nur etwa 3 bis 5 km lang, das kann man am Tag hin und zurück zu Fuß bewältigen. (Fahrräder gibt es erst seit 1900). Bis zur Kreisstadt sind es ca. 20 km, das ist zu weit für den täglichen Weg ohne Fahrräder. Meine Urgroßmutter erzählt stolz, sie habe als junge Frau ihren Mann auf seinem Schiff bis St. Petersburg begleitet und dort den großen Schlüssel der Kirche gesehen. "Wo ich gewesen bin, kommt ihr nie hin" ist eine ihrer häufigen Kommentare. Von ihr erzählte man auch noch den Satz: „Die Welt kommt noch auf Räder!“ Ein Nachbar hat als Seemann fünfmal die Welt umsegelt und zehnmal Kap Hoorn, die berüchtigte sturmumtoste Südspitze von Südamerika. Eine solche Seereise dauert damals ca. ein Jahr. Solange muss die Frau zu Hause die Landwirtschaft allein versorgen und natürlich die Kinder. In der Regel sind es 5 bis 15. Mehr als 15 Geburten sind durchaus üblich, nur sterben viele Kinder früh. Das Eheleben beschränkt sich auf die wenigen Wochen im Jahr, in denen der Mann zwischen den großen Reisen zu Hause sein kann. Natürlich weiß die Frau in der übrigen langen Zeit nie, ob sie ihren Mann jemals wiedersehen wird. Untergehende Schiffe gibt es auch vor der Titanic. Bei jedem Sturm schweben die Frauen in Todesangst. Als Kind erlebe ich das auch bei meiner Mutter, obwohl mein Vater damals nur noch im Hafen Dienst tut. Aber vor meiner Geburt fuhr er auf Großer Fahrt als Kapitän bis Island oder nach Spanien. Opa Der Vater meines Vaters fährt natürlich auch als Matrose. Als er nach entsprechend vielen Fahrensjahren endlich zur Seefahrtsschule gehen kann, um sein "Patent" zu machen, d.h. Kapitän zu werden, stellt sich heraus, dass er farbenblind ist. Damit ist sein Traum vorbei und für ihn die Seefahrt auch, denn das ganze Leben als Matrose fahren, will er nicht. So bleibt er zu Haus und wird Landwirt. Er ist ein starker Mann, darum lässt er seine Schubkarre um ein Stück verlängern, weil ihm die übliche Größe zu klein ist. Nach zehn Jahren Ehe stirbt er an Tbc. Meine Großmutter bleibt mit fünf Kindern und ihrer verwitweten Schwiegermutter


5 zurück. Sie muss jetzt die Landwirtschaft mit den Kühen und der notwendigen Ackerfläche versorgen. Hilfe gibt es nur durch die Tagelöhner. Papa Mein Vater ist im 1. Weltkrieg bei der Kriegsmarine. Nach seiner Matrosenzeit besucht er die Seefahrtsschule im Nachbardorf. Als Kapitän fährt er Frachter nach Spanien und Fischdampfer nach Island bzw. Nordnorwegen. Eines Tages fragt ein Kollege ihn, warum bei der Reederei neben seinem Namen ein Kreuz in der Liste stehe. So wird ihm klar, dass er keine Zukunftschancen mehr hat: Auf einer früheren Fahrt sollte er in der Biskaya im Sturm einen geheimen Brief öffnen. Darin stand die Aufforderung, dafür zu sorgen, dass das Schiff einen Sturm nicht überstehen würde. Aus Verantwortung für seine Besatzung gab es diesen Sturm nicht, dafür aber das Kreuz. Nach seiner Heirat missfällt ihm das lange Getrenntsein von der Familie. So nimmt er die erste Gelegenheit war, als Steuermann auf einen Hafenschlepper zu wechseln. Geringes Gehalt und untergeordnete Stellung nimmt er in Kauf zugunsten der Nähe zur Familie. Schlimm wird es Ende der zwanziger Jahre während der Wirtschaftskrise. Da gibt es immer wieder Wochen, in denen sein Schlepper überhaupt nicht gebraucht wird, weil kein Seeschiff in den Emder Hafen kommt. Die Gehälter und das Befeuern der Kessel des Schiffes gehen weiter. Niemand weiß, wie lange. Mein Vater nutzt die Zeit, Bastelarbeiten zu machen: Taubenhäuser und Blumenständer aus Sperrholz, Schaukelpferd und Dreiradpferd für die Kinder. Mitte der 30er Jahre übernimmt er dann den Schlepper als Kapitän. Während des Krieges ist der Emder Hafen ein wichtiger Importhafen. Die Stadt wird mehrfach bombardiert und ziemlich zerstört. Im Hafen bleiben die Schäden unbedeutend. Nach Ende des Frankreichfeldzuges 1940 muss mein Vater mit seinem Schlepper nach Calais fahren, für die Vorbereitung der Landung in England. In dieser Zeit erhält er als Zivilist das „Eiserne Kreuz II. Klasse“. Für Zivilisten eine seltene Angelegenheit. Ich habe nie erfahren, was der Anlass gewesen ist. Von meiner Mutter weiß ich nur, dass vor der englischen Küste bei Annäherung von deutschen Schiffen eine Feuerwand gewesen sein soll. (In dem Film „Canaris“ wird sie gezeigt). Im letzten Kriegsjahr muss er mit dem Schlepper nach Brunsbüttelkoog, dem Hafen mit Schleuse für den Kaiser-Wilhelm-Kanal durch Schleswig-Holstein nach Kiel. Nach dem Kriege schleppt mein Vater Schiffe im Hafen für die Engländer, die Norddeutschland besetzt haben. Am 3. August erhalten wir mit der Post die erste Karte von ihm nach dem Kriege. Später am selben Nachmittag überbringt der Bürgermeister die Nachricht, dass mein Vater an einer Vergiftung gestorben ist. Sehr beeindruckt hat mich damals, dass die Engländer den Transport des Sarges zuerst mit dem Schiff nach Bremerhaven und dann mit einem englischen Jeep zu uns bis nach Neuefehn nicht nur gestattet, sondern sogar selber durchgeführt haben. Rettung Wenn der Seemann gesund nach Hause kommt, hat er gut verdient, jedenfalls im Vergleich mit seinen daheimgebliebenen Nachbarn. Eines Tages besuchen meine Eltern einen Nachbarn, der eine große Villa hat, eben kein Fehnhaus. Mir macht der Besuch keinen Spaß, ich werde nur den "Tanten" vorgestellt. Mit einem gleichaltrigen Kind gelingt das Spielen nicht so recht. In Erinnerung ist mir der eine Satz geblieben: "Ich wusste, Reinhard würde uns schon retten." Später erklärt mir meine Mutter, dass das Schiff dieses Nachbarn in der Gegend bei Island im Sturm gesunken war und mein Vater ihn mit seinem Schiff aus dem Rettungsboot geborgen hat. Opa-Müller Der Vater meiner Mutter ist Tiefbauunternehmer. Um das Geschäft seines Vaters weiter ausbauen zu können, besucht er in Nienburg die Technikerschule. Er heiratet die Tochter


6 eines Bauern, die 30 000 Goldmark mit in die Ehe bringt, vor 1900 ein enormes Vermögen. Aufgrund dieses Kapitals können Vater und Sohn eine Offerte abgeben für die Seeschleuse in Leer, die um 1900 gebaut werden soll. Die Mauern werden mit gebrannten Ziegelsteinen gebaut, wie in Ostfriesland üblich. Dazu benötigt man die Jahresproduktion einer nahegelegenen Ziegelei. Die Steine werden aber in einer enormen Übergröße bestellt, um die Mauern schneller hochziehen zu können. Ähnliche Größen habe ich erst 50 Jahre später als Kalksteine gesehen. Für die Arbeit stellt mein Großvater damals Maurer aus Italien ein. Also Gastarbeiter gab es 1900 auch schon. Der Bau zieht sich über zwei Jahre hin. Leider gibt es in dem Winter ein Hochwasser, so dass die Baustelle überflutet wird, wodurch ein großer finanzieller Verlust zu verkraften ist. Unwetterschäden gehen auf Kosten des Unternehmers. Kriege kosten Geld. So kauft mein Großvater für das angesparte Vermögen im ersten Weltkrieg Kriegsanleihen. D.h. er gibt sein Geld dem Staat für den Krieg und erhält eine Bescheinigung, die nach dem Krieg nichts mehr wert ist. Was auf diese Weise nicht verloren geht, „verschwindet“ bei der Inflation 1923. Meine Tante geht seinerzeit auf das Lyzeum. Um das Schulgeld für eine Woche zu bezahlen, verkauft mein Großvater eine Kuh. Eine Woche später reicht der Rest des Geldes nicht mehr für die dann fällige Wochen-Rate. In der einen Woche ist das Geld entsprechend entwertet worden. Zur höheren Mädchenschule kann meine Tante nicht mehr gehen. Besser ergeht es ihrem Bruder. Mein Großvater will einen würdigen Nachfolger aus ihm machen. Dazu ist zunächst das Gymnasium notwendig - und ein großzügiges Taschengeld. Dieses wird dem Jungen zum Verhängnis, es reicht nie, wird aber immer wieder aufgefüllt mit den Worten: „Mein Sohn soll doch Geld in der Tasche haben.“ Wahrscheinlich ist es für den Vater undenkbar, dass der Durst immer größer ist als das Geld. Ziemlich bald ist es mit der Schule aus. Jahre später prangt immerhin ein Meisterbrief für „Zimmermann“ an der Wand. - Nur zu oft muss das Fahrrad meinen Onkel auf dem Heimweg stützen. Den Weg nach Haus findet er wohl immer. Mir als Kind wird durch ihn deutlich gemacht, wohin der Alkohol führen kann. Mutter Meine Mutter ist das älteste Kind der Familie. Sie hat in der Volksschule einen sehr guten Lehrer: Mester Janssen (Mester = Meister = Lehrer). Vielleicht hat er sich auch über seine gute Schülerin gefreut. Später staune ich immer wieder, was meine Mutter in der zweiklassigen Volksschule in ihren acht Schuljahren alles gelernt hat. Als sie mit 15 Jahren aus der Schule kommt, ist sie die erste Hilfe in der väterlichen Landwirtschaft, die neben dem Tiefbauunternehmen betrieben wird. Mit 25 Jahren heiratet sie meinen Vater und arbeitet in der gleichen Weise weiter, jetzt auf dem eigenen Besitz und nur mit drei Kühen. Dafür muss sie sich um ihre Schwiegermutter kümmern. Mein Vater hat bei der Erbteilung das elterliche Haus übernommen mit der Auflage, dass seine Mutter Wohnrecht hat. Ein Bruder soll damals gesagt haben, er habe ein gutes Los gezogen, denn die 65-jährige Mutter sei abgearbeitet und würde wohl nicht mehr lange leben. Sie hat sich aber gut erholt und ist 90 Jahre alt geworden. Nach 20 Jahren Ehe stirbt mein Vater. Meine Mutter ist dann noch 35 Jahre Witwe. Ihre Rente beträgt 1945 ca. 27 RM. Aber für Geld kann man nichts mehr kaufen. Für das Erwirtschaften des Lebensunterhaltes stehen uns ca. 4 ha, also etwa 8 Morgen Land mit zwei Kühen zur Verfügung. Was geerntet werden darf, wird vorgeschrieben von der „Verwaltung“. Das ist im Wesentlichen die Besatzungsmacht. Das ist für uns nichts Neues, im Krieg wurde auch vorgeschrieben, was man produzieren musste. Natürlich muss die Milch zur Molkerei geliefert werden, aber zwei Schüsseln mit Milch bleiben zu Haus. Der Rahm wird abgeschöpft und in einer Flasche aufbewahrt, bis sie sauer ist. Dann schüttelt meine Großmutter sie, bis die Butterklumpen sich bilden. Für uns ist das die Ersatzwährung. Wer etwas kaufen will, muss neben dem üblichen Geld noch mit einer bestimmten Menge Butter bezahlen.


7

Kinderzeit Name Mancher hat sich über meinen Namen schon gewundert. Als Geburtsort wird einmal sogar Brasilien angegeben. Soweit ich weiß, stammen meine Vorfahren alle aus Ostfriesland. Dort ist es üblich, dass das älteste Kind den Namen von den Eltern des Vaters bekommt, das zweite von denen der Mutter usw. Da ich der zweite Sohn war, muss ich nach dem Vater meiner Mutter benannt werden und der hieß Iko, benannt nach Ike. Um nun zwecks Unterscheidung nicht auf Groß-Iko und Klein-Iko angewiesen zu sein, meint mein Vater, statt Iko gehe auch Ino. Vorsichtiger Weise wird dann auch gleich noch meine Großmutter Antje mit bedacht: Arthur. Und was der einen Großmutter recht ist, ist der anderen billig: also aus Mettje wird Mennhard, wobei das hard von dem Namen meines Vaters kommt, der hieß Reinhard. Allerdings sind die beiden Zwischennamen nie benutzt worden, so dass sie kaum einer kennt. Inzwischen habe ich erfahren, dass das Internet Ino als Name einer griechischen Göttin kennt. Weite Welt Unser Haus wird vom Garten durch einen breiten Weg getrennt. Damit ich hier ohne Aufsicht spielen kann (meine Mutter muss arbeiten), befinden sich an beiden Enden des Hauses Pforten. Da der Wohntrakt höhere Mauern hat, bleibt dort mehr Platz, so dass vom Haus bis zu der Pforte noch ein Zaun aus Maschendraht für den Abschluss sorgt. An diesem Maschendraht stehe ich oft und bestaune die "weite Welt". In unendlicher Ferne von ca. 40 m steht das Nachbarhaus. Etwas weiter links hinter Bäumen und Hecken gehen Menschen auf dem unsichtbaren Weg an dem unsichtbaren Kanal. Von Weg und Kanal weiß ich natürlich nichts. Mein Lebensbereich hört an der Pforte und dem Maschendraht auf, er bezieht sich auf den Weg am Haus entlang und auf den breiten Hauptweg im Garten. Regenrinne "Schau ich in die tiefste Ferne meiner Kinderzeit hinab, so taucht mit Vater und mit Mutter auch ein Hund aus seinem Grab..." beginnt ein Gedicht aus meiner Schulzeit. Den Hund gibt es auch bei uns. In meiner Erinnerung ein Riesentier, wohl ein Schäferhund. Dieser „ärgert“ irgendwann meine Schwester. Zur Strafe bzw. zur Genugtuung für meine Schwester muss er sie im Schaukelpferd wie in einem Schlitten ziehen. Das von meinem Vater hergestellte Schaukelpferd ist ca. einen Meter breit, kann also nicht umkippen. Der Hund wird davor geschnallt, meine Schwester hineingesetzt und dann geht es den breiten Gartenweg und schließlich am Haus entlang. Der Hund schafft das spielend. Das Schaukelpferd wird beschädigt. Schlimmer noch: Vom Haus geht von einem Loch in der Wand in den Garten hinein eine Wasserrinne. Diese besteht aus drei Brettern, unten ein waagerechtes und an den Seiten je ein senkrechtes. Als der Schaukelstuhl hinübergezogen wird, klappen die senkrechten Bretter zur Seite. Damit ist die schöne Rinne kaputt, und das Wasser kann seitwärts ausweichen. An den Ärger, den mir dieses Ereignis bereitet, kann ich mich noch gut erinnern. Erst Jahre später wird die demolierte Rinne durch eine neue ersetzt. Beruf Mein Onkel ist Malermeister. Als ich wohl fünf Jahre alt bin, malt er bei uns ein Zimmer. Der Untergrund ist grün. Darauf kommen Blumenmuster, die er mit einer Sprühpistole und großen Schablonen erzeugt. Schließlich muss die Sprühvorrichtung gesäubert werden. Dabei öffnet er die Düse, so dass ein langer Wasserstrahl herausschießt. Ich erzähle meiner Mutter später, dass ich auch Maler werden will, weil ich dann ja auch so eine Spritze bekomme.


8 1. Foto Die Nachbarstochter hat eine „Box“. Das ist 1934 ein Fotoapparat, der aus einer würfelförmigen Blechdose besteht. Vorne ist eine einfache kleine Linse, hinten kann der Film abrollen. Vater, Mutter, Großmutter mit Wickelkind und ich stehen in Positur. Da bekomme ich es mit der Angst zu tun, in den Kasten hinein zu müssen. Alles Zureden hilft nichts. Schließlich lässt man mich gewähren. Um der Katastrophe zu entgehen, drehe ich mich einfach um. So gibt es das schöne Bild mit meinem Rücken. Allerdings muss dann die Einsicht gesiegt haben, denn es gibt die gleiche Aufstellung, wo ich in die Kamera blicke.

Zwillinge Kinder bringt der Klapperstorch. Er beißt dabei der Mutter ins Bein, so dass sie eine Weile im Bett bleiben muss. Davon unberührt ist die Frage, wie das Baby ins Haus kommt, ist aber leicht gelöst: der Storch lässt das Baby durch den Schornstein fallen. Dieses von Max und Moritz bekannte Bild stammt noch aus der Zeit mit dem offenen Kamin, den inzwischen nirgends mehr gibt. Meine Tante hat Zwillinge bekommen. Mit einer ein Jahr jüngeren Cousine unterhalte ich mich über das Kinderkriegen. Sie erzählt: "Ja und da hat die Tante zu dem Onkel gesagt, lass uns man die Arme noch einmal bereithalten, vielleicht kommt ja noch eins. Und richtig da kommt noch der Bruder herunter." Ich kann mich an diese Unterhaltung gut erinnern, aber auch an die mir unbeantwortete Frage, wie die Kinder durch den Schornstein kommen können: Die Wohnung hat nämlich keinen offenen Kamin (den ich nicht kannte), sondern an der Stelle einen normalen Herd mit Ofenrohr zum Schornstein. Es ist also keine Öffnung vorhanden, durch die das Baby den Schornstein unten verlassen könnte. An der Tatsache des Bereithaltens der Arme wird nicht gezweifelt, an die Aufgabe des Storches sowieso nicht. Auch wie der Storch zu dem Bein der Mutter kommt ist keine Frage. Aber der verschlossene Schornstein schon.


9 Eisenbaukasten Bei einem Vetter habe ich einen TRIX-Baukasten gesehen, mit dem man allerlei Modelle zusammenschrauben kann. Fortan rede ich nur noch von dem Eisenbaukasten und werde auf Weihnachten vertröstet. Der allwissende Weihnachtsmann wird es schon richten. Am Weihnachtsmorgen – in der Nacht kommt der Weihnachtsmann – ist die Freude groß: Der Kasten ist da. Lange sitze ich am Tisch und betrachte die fünf Teile, die ich in der Schachtel gefunden habe. Meine Eltern trösten mich: Der Weihnachtsmann hat sich sicherlich vertan. Diese Schachtel war wahrscheinlich für einen anderen Jungen gedacht (der allwissende Weihnachtsmann kann sich also auch irren). Meine Eltern wissen Rat: Ich muss einen Brief an den Weihnachtsmann schreiben (ich war also schon im ersten Schuljahr) und den Text dann in das große Horn unseres alten Grammofons sprechen, das mein Vater mit der Radioantenne verbunden hat. Die Schachtel wird wieder eingepackt und draußen an die Antenne angebunden. Meine Schwester und ich verschwinden mit allen Geschenken in ein abgelegenes Zimmer. Dort bibbern wir dem beruhigenden Kommen meines Vaters entgegen: „Ja, er war da.“ Tatsächlich hängt ein anderes Paket, viel größer, an der Antenne. Mit dem Inhalt kann ich dann wunderbar spielen und vieles bauen. Natürlich wollen wir wissen, wie das denn nun geschehen ist. „Plötzlich ist der Weihnachtsmann in dem hohen Baum und winkt mit dem Finger. Das alte Paket saust an dem Antennendraht nach oben, er vertauscht es mit der neuen Schachtel, die dann wieder herabsaust.“ So einfach ging das. Mein Vater hatte schon Phantasie. Für uns Kinder ist die Welt wieder in Ordnung. Fast. – Es bleibt das Rätsel mit dem Isolator: Die Antenne kommt vom hohen Birnbaum herab und ist an einem Isolator angebunden. Von dort geht sie ans Fenster und durch den Rahmen. Die Schachtel bindet mein Vater an den Draht zwischen Fensterrahmen und Isolator. Auf dem Weg nach oben muss sie also an dem Isolator vorbei. Das ist für mich unmöglich. Das andere Geschehen: Weihnachtsmann im Baum, Schachtel rutscht nach oben, boten meinen Vorstellungen keine Probleme. Erst im Laufe des Sommers erklärt meine Mutter mir auf ständiges Fragen hin den damaligen Sachverhalt: Mein Vater wollte zum Heiligabend mit dem Eisenbaukasten nach Hause kommen. Als er am Nachmittag zur üblichen Zeit noch nicht gekommen war, bekam es meine Mutter mit der Angst und schickte meinen Vetter zum Einkauf ins Nachbardorf. Was er mitbrachte, war ein Ergänzungskasten, mit Einzelteilen, mit denen man allein nichts anfangen kann. Mein Vater kam dann doch noch. Am Abend haben meine Eltern die große Schachtel aufgemacht. Die vielen Einzelteile schockierten sie: Damit wird der Knirps noch nicht fertig, das ist fürs nächste Jahr. So nahmen sie unbesehen die kleine Schachtel. Wohnen Unser Leben spielt sich in der Küche ab. In einer Ecke steht ein Herd, der mit Torf geheizt wird. Es ist die einzige Feuerstelle im Haus. Zwar gibt es in der guten Stube noch einen Ofen, der wird aber nie geheizt. Die Stube wird auch nicht benutzt. Ich kann mich nur an ein einziges Mal erinnern, dass wir dort gesessen haben, nämlich als wir neue Möbel bekommen: Sofa, Sessel, Schrank und Tisch mit Stühlen. Die Küche ist sehr groß. Es gibt zwei Küchentische, die so stehen, dass ich mit dem Pferd, einem pferdähnlichen Dreirad (von meinem Vater) um die Tische herumfahren kann in Form einer Acht. An der einen Seite der Küche gibt es mitten im Haus ein Zimmer, also ohne Fenster nach draußen. Dort stehen zwei Betten für meine Schwester und mich. Diese Betten haben Holzbretter, darauf liegt ein großer Sack, der prall mit Stroh gefüllt ist. Darüber befindet sich ein dünnes Unterbett und darüber das Oberbett, beide sind mit Hühnerfedern gefüllt. Wenn das Stroh durch das Daraufliegen zerbröselt ist, wird neues Stroh hineingesteckt. Im Winter muss man beim Aufwachen vorsichtig sein, um das Oberbett nicht zu zerreißen, da es an der Wand festgefroren sein kann. Im Bett selbst haben wir nie gefroren.


10 Fahnenmast Mitte der dreißiger Jahre gibt es immer wieder etwas Staatliches zu feiern. Selbstverständlich wird erwartet, dass dabei mit der Hakenkreuzfahne geflaggt wird. Dazu ist ein Fahnenmast nötig. Dieser hat eine Verankerung, so dass man den Mast in die Waagerechte kippen kann, um ihn anzumalen oder die Schnur an der Spitze in eine Rolle einzufädeln. Mein Vater gräbt die Verankerung für den Mast vor dem Haus so ein, dass der Mast zum Haus hin kippt und in einer Schräglage liegen bleibt. Der Nachbar meint, dass es besser sei, den Mast ganz umlegen zu können. Ich hörte meinen Vater antworten: "Wenn er schief liegt, nehme ich ihn auf die Schulter." Mein Vater war damals 40 Jahre alt. Ob er sich keine Gedanken an ein höheres Alter gemacht hat? Verlorene Kuh Das Haus des Nachbarn ist ca. 40 m entfernt. Die Grundstücke sind durch eine Hecke getrennt. In dieser Hecke gibt es einen Durchgang. Mindestens einmal am Tag besucht der eine den anderen. Es herrscht ein reger nachbarlicher Verkehr. Die Haustüren sind tagsüber nicht verschlossen. Klingel gibt es nicht. Man kann einfach durch das ganze Haus gehen, wenn man das will. Einige hundert Meter entfernt wohnt ein Tagelöhner. Ein Mann, der jeweils für einen Tag dem einen oder anderen hilft. Der Arbeitstag geht von 7 bis 18 Uhr, eine Stunde Mittag und etwa 15 Minuten vormittags und nachmittags Teetrinken (Schoftiet). Er verdient 3 RM pro Tag, das sind damals 15 kg Brot. Vor 2000 Jahren gab es auch solche Männer, die auf dem Marktplatz warteten. (Kann man in der Bibel lesen). In Istanbul habe ich sie in den 70-Jahren auch gesehen. Nur in Deutschland sind sie wohl ausgestorben. Im Herbst kommt dieser Mann, um den großen Garten zu graben. Beim Vormittagstee geht er dann durch den Stall (wo einige Wochen früher als üblich eine Kuh steht, die kalben wird) und sagt zu meiner Mutter: "Da steht sie ja, die verlorene Kuh." Meine Mutter fragt erstaunt, was diese Bemerkung zu bedeuten hat. "Ja, weißt Du denn nicht, dass Dein Nachbar seit einiger Zeit überall erzählt, dass Du eine Kuh an den Juden verkauft hast?" Die Viehhändler sind seit altersher zumeist Juden. In den dreißiger Jahren heißt die Parole, bei Juden kauft man nicht. Jeder hat Angst vor Repressalien von den Pgs, den Parteigenossen (den Nazis). Unser guter Nachbar hat beobachtet, dass von unseren Kühen plötzlich eine von der Weide verschwunden ist. Die muss heimlich verkauft worden sein. Dafür kommen nur Juden in Frage. Diese Überlegung erzählt er in der Nachbarschaft und bringt meine Eltern wissentlich in Gefahr: Dabei hätte er sehr einfach und leicht einen Gang in den Stall machen können. Der Durchgang in der Hecke wird verschlossen. Mit solchen Nachbarn kann man keinen guten Kontakt pflegen. Ich muss lernen, dass es manchmal besser sein kann, engen Kontakt zu anderen Menschen zu vermeiden. Radio im Garten In den mittleren 30ern passiert Vieles. Mein Onkel hat als einziger ein Radio. Eine stoffbezogene Kiste liefert den Ton, die Stimme. Ein Draht geht zu einer anderen Kiste, die wieder mit zwei anderen verbunden ist. Diese beiden liefern den Strom. Das weiß ich damals aber noch nicht. Eines Tages montiert der Onkel draußen an der Hauswand ein Brett für den Lautsprecher. So kann die radiolose Nachbarschaft herbeiströmen und die „Reden des Führers“ hören. Später wundere ich mich, dass die Anlage nicht mehr vorhanden ist. Ich ahne nicht, dass man mit dem „Führer“ nicht mehr einverstanden ist. Auf mein entsprechendes Fragen habe ich nie eine Antwort erhalten. Radio reparieren Auch mein Vater kauft ein Radio. Es ist ein riesengroßer Kasten mit einem von Tuch verdeckten großen Loch in der Mitte, dahinter steckt ein ebenso großer Papptrichter, der Lautsprecher. Für die Stromversorgung gibt es einen länglichen Kasten mit ca. 100


11 Einzelbatterien für die Spannung der Röhren und einen Akkumulator aus Glas, der von Zeit zu Zeit aufgeladen werden muss. Obwohl mein Vater eine mindestens 50 m lange Antenne von einem Baum zu einem anderen gespannt hat, ist der Empfang sehr schlecht. Einestages entschließt er sich, mit dem Radio zu einem Rundfunkmechaniker zu fahren. Als er zurückkommt, erzählt er den staunenden Nachbarn, dass der Fachmann wirklich ein Mann vom Fach sein müsse, denn er habe in dem Radio 20 Drähte mit einer Schere abgeschnitten und sie später auch wieder angelötet, und der Kasten funktioniere. Strom Natürlich gibt es im Hause keinen „Strom“, d.h. es gibt keine Elektrizität. Das ändert sich um 1935. Für die 220 Volt Freileitung werden hohe Masten gesetzt. Die Drähte müssen über unserem Haus hängen, da sonst kein Platz vorhanden ist. Als die Arbeiter hinter unserem Haus das Loch für den Mast ausheben wollen, kommt ein Nachbar und erklärt ihnen, dass sie ca. einen Meter von der Hauswand entfernt graben sollen, da im nächsten Jahr die Hauswand im Zuge der Renovierung entsprechend versetzt werden soll. An diese Unterhaltung kann ich mich noch gut erinnern (ca. 6 Jahre alt). Die Elektriker müssen die Schalter und Steckdosen an der Wand festschrauben. Dazu nimmt man heute Plastik-Dübel. Damals müssen die Elektriker die Dübel selber machen: mit Gips befestigen sie ein etwa drei cm großes Stück Holz in einem vorher gemachten Loch. Wenn das passende Loch in der Wand fertig ist, schlucken sie etwas Wasser und sprühen es mit dem Mund in dieses Loch, damit der Gips besser haftet. Ich erzähle meiner Mutter später: „Der Onkel spuckt in die Wand.“ Unser Stall ist ca. 10 m lang. Quer dazu schließt sich ein anderer an, für Schweine und Hühner . Mein Vater ordnet an, dass für alles eine Lampe ausreichend sei: Er macht einfach hinter der Lampe ein Loch in die Mauer und schon fällt das Licht der einen Lampe auch in den zweiten Stall. Wesentlich kommt es darauf an, dass Geld gespart wird. Immerhin kostet die Kilowattstunde damals 45 Pfennig, das sind 4,5 Pfund Brot, für die man jetzt etwa 9 DM bezahlt. Heute würde auch manches anders sein, wenn die Kilowattstunde statt 25 Cent 4,5 € kosten würde. Fast alle Glühlampen haben eine Leistung von 15 Watt. Es ist selbstverständlich, dass man für den 20m langen Gang zur Toilette hinten im Stall kein Licht macht. Den Weg kennt man ja und kann ihn auch im Dunkeln gehen.


12

Grundschulzeit unter Segeln Mein Elternhaus steht direkt am Kanal, der für den Schwerverkehr benutzt wird. Eine Straße oder einen Weg für Fuhrwerke gibt es nicht. Als Heizmaterial wird nur Torf verwendet, den ein Schiff anliefert. Diese Schiffe haben keinen Motor. Wenn der Wind günstig ist, wird das Segel gesetzt, sonst müssen zwei Männer das Schiff ziehen bzw. mit einer Stange schieben. Als nun der Torf entladen ist, klettern wir Kinder auf das Schiff und wollen mitsegeln. Erst spät am Abend kommen wir wieder nach Hause. Dort ist inzwischen Panik ausgebrochen: Wo sind die Kinder? Niemand kommt auf den Gedanken, dass wir mit dem Schiff weggefahren sein könnten. Die Folge ist die einzige Tracht Prügel, die ich als Kind bekommen habe. Aufsichtender Als kleiner Junge bin ich immer etwas zart, aber in der Schule von meinem Jahrgang der beste. Ob ich am Unterricht Spaß hatte, weiß ich nicht. Die Schule empfand ich als etwas Selbstverständliches, die Schularbeiten auch. Sicherlich bin ich darauf bedacht, meine Aufgaben gut und richtig zu machen. Nur mit dem Schönschreiben hapert es. Mein Vater ist immer unzufrieden, denn er hatte ja eine besonders schöne Schrift, und die muss sein Sohn natürlich auch haben. Das sehe ich allerdings anders. In der Schule gibt es zwei Klassenräume mit je einem großen Kohleofen und einer Verbindungstür. Die ca. 95 Kinder verteilen sich auf acht Jahrgänge. Da der jüngere Lehrer zur Wehrmacht eingezogen ist, unterrichtet der Hauptlehrer alle Kinder in beiden Räumen. So habe ich sehr oft dafür zu sorgen, dass die Anordnungen des Lehrers beachtet werden, sehr zum Leidwesen der Mitschüler: Der Hauptlehrer setzte mich als „Aufsicht“ ein, wenn er in dem anderen Raum unterrichtete. Die Schüler sollen die Aufgaben aus dem Rechenbuch auf die Schiefertafel abschreiben und gleich rechnen. (Hefte haben wir kaum, sie sind zu teuer). Die Schüler schreiben die Aufgaben alle hin, ohne jeweils – wie verlangt - die Antwort gleich mit hinzuschreiben. Die kann man ja viel schneller und leichter von dem Nachbarn bekommen. Ich steige nun über die Bänke - wir sitzen in starren Holzbänken zu viert - und wische alles bis auf die letzte nicht berechnete Zeile weg. Sicherlich mache ich mir dadurch viele „Freunde“. Aber das kümmert mich nicht. Liefpin Von Raufen mit anderen Jungen halte ich nichts. Ständig klage ich über Leib- und Kopfschmerzen. Sie sind nicht so schlimm, dass ich das Bett hüten muss, aber sie beeinträchtigen mich doch, und meine Mutter geht deshalb mit mir zum Arzt. Der findet nichts und fragt, ob ich gerne zur Schule gehe. Er ahnt wohl, dass die Schmerzen mehr psychischer Natur sind. Zwanzig Jahre später habe ich selber erleben dürfen, wie ein Kind heftige Schmerzen hat, die psychische Ursachen hatten. Immerhin stellt ein Internist in meinem zehnten Lebensjahr ein Magengeschwür fest und verordnet eine Sippykur. Ich bin vier Wochen im Krankenhaus und muss die ersten vierzehn Tage jede Stunde einen Becher Grießbrei essen. Seither kann ich Grießbrei „nicht mehr sehen“. 8 und 1000 Unser Hauptlehrer ist schon „uralt“ und hat immer noch keine Frau. Schließlich heiratet er doch, mit ca. 50 Jahren. Nun braucht seine Frau täglich jemanden für Hausarbeiten. Da ich es unterrichtsmäßig am besten verkraften kann, muss ich als erster und am häufigsten antreten. Das führt dazu, dass diese Frau uns sehr verhasst ist. Dann entwickelt sie noch erzieherische Ambitionen: Eine ständige Frage war: „Aacht is mehr as duusend! Weest du ook, wat dat heet?“ Natürlich weiß ich, dass „8 ist mehr als 1000“ in übertragener Bedeutung gemeint ist. Es handelt sich um ein Wortspiel, weil im Plattdeutschen das Wort für den Wert 8 genauso


13 klingt wie das für ‚Achtung vor dem Menschen’. Und 1000 ist einfach nur ein Wort für ‚sehr viel’. Obwohl mir diese Frau sehr verhasst ist, hat sie mich mit diesem Spruch doch sehr geprägt. Ich glaube, dass vieles in meinem Leben von der Achtung des Menschen vor dem anderen beeinflusst worden ist. Singen Nicht in allen Fächern bin ich gut in der Schule. Neben Schönschreiben ist auch Sport und Musik nichts für mich. In Singen habe ich meistens ein verdientes Mangelhaft. In schrecklichster Erinnerung habe ich die Wanderung von der Schule zum Baden an einer Badestelle im Kanal. Das Wasser ist zwar nur etwa einen Meter tief, aber es ist nass. Und singen müssen wir auf dem Weg auch noch, Lieder wie man sie damals im Frühsommer eben sang. Umso interessanter finde ich heute ein Gefühl, das mich überkommt, wenn ich nach mehr als sechzig Jahren die Melodie eines jener Lieder höre, die wir damals singen mussten. Es ist ein Gefühl des Glückes und der Geborgenheit und sogar die damaligen Gerüche spüre ich, z.B. von dem Heu und dem Gras der Wiesen. - An Situationen, in denen es mir gut gegangen ist, habe ich derartige Erinnerungen und Gefühle nicht. Auf die „Hohe Schule“ Irgendwann sind für jeden die ersten vier Jahre der Schule vorbei. Für mich ist das normal. Ich denke mir anfangs auch nichts dabei, dass mein „Kleiner“ Lehrer (der der ersten vier Grundschuljahre) nach Weihnachten immer, wenn mein Valter zu Hause ist, uns besuchen kommt. Schließlich fragt meine Mutter mich, ob ich bereit sei, auf die „Hohe Schule“ zu gehen. Sie macht sogar mit mir eine Tagesreise per Bahn (morgens früh mit der Kleinbahn die 16 km in die Stadt und frühestens mittags wieder zurück), um mir das Gebäude der Schule zu zeigen. Der Lehrer hat aber keinen Erfolg. Mein Vater kann nicht einsehen, dass die Volksschule für seinen Sohn nicht gut genug sei. Er ist ja auch nach der Volksschule Kapitän geworden. Heute redet man viel von Gleichberechtigung von Mann und Frau. Damals kennt man dies Wort nicht. Aber meine Mutter setzt mich eines Tages hinten auf ihr Rad (ein eigenes Rad habe ich nicht), fährt mit mir zum Bahnhof und in die Stadt, wo in der Schule die Aufnahmeprüfung stattfindet. Ich weiß, dass mein Vater dagegen ist, aber darüber wird nicht gesprochen. Zusammen mit 51 anderen Schülern schreibe ich an dem Vormittag einen Aufsatz, ein Diktat und eine Rechenarbeit, zum Ausgleich ist noch eine Stunde Sport angesetzt, wohl weil die Lehrer die Arbeiten korrigieren müssen. Bei der Gelegenheit sollen wir an senkrechten Stangen in die Höhe klettern. So was habe ich noch nie gesehen, ich bleibe also auch unten. In dem Diktat heißt es, „es goss wie mit Kübeln“. Jemand fragt, was ein Kübel sei. Darauf hält ein Lehrer einen hölzernen Papierkorb in die Höhe. An diese Arbeiten habe ich später oft denken müssen, wenn meine Schüler nur drei Arbeiten schreiben dürfen - pro Woche -, von denen nicht soviel abhängt wie von denen bei der Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium, wo wir drei an einem Vormittag schrieben. Bis auf drei Jungen haben alle die Prüfung bestanden. Als wir dann wieder zu Hause sind, kommt ganz unerwartet mein Vater. Auf die verwunderte Frage meiner Mutter, weshalb er außer der Reihe käme, meint er, dass er sich die Sache mit der Schule anders überlegt habe. „Da kommst du zu spät. Die Prüfung war heute.“ ist die Antwort. Was sonst noch darüber gesprochen wurde, habe ich nicht mitgehört. Jungvolk Mit zehn Jahren kommen alle Jungen automatisch in das “Jungvolk“, einer Vorstufe der „Hitlerjugend“. Für uns ist das genauso normal, wie in die Schule zu gehen. Einmal in der Woche haben wir „Dienst“, d.h. wir müssen uns um 15 Uhr bei der Schule sammeln, wo wir von den Führern, die ein paar Jahre älter sind, mit Marschieren und Nazitheorie beschäftigt werden. Da ich zum Gymnasium gehe, werde ich bald auch Führer (mit ca. 12 Jahren) und


14 muss die Verantwortung für das Geschehen bei dem Dienst übernehmen. Da mir die Theorie nicht behagt, verbringen wir die Zeit fast nur mit Marschieren und Spielen. Mein Vorgesetzter ist der Sohn von einem Pastor. Er kritisiert nie, dass meine Jungen von der Theorie keine Ahnung haben. Pantoffel Mein Vater liebt lederne Pantoffel. Natürlich bekomme ich auch solche und muss sie nicht nur tragen, sondern auch pflegen. Eines Tages passiert das Unglück: Wir spielen an der Kanalschleuse, wo es gemauerte senkrechte Ufer gibt. Ich will wohl die 5 m über das 15 cm schmale Schleusentor gehen – mit den Pantoffeln. Dabei fällt eine Pantoffel ins Wasser. Ich fische lange, aber ohne Erfolg. Die Pantoffel bleibt verschwunden. Mir steht eine schlimme Zeit bevor, denn mir ist klar, dass mein Vater für dieses Geschehen kein Verständnis haben wird. Meine Schwester wird verdonnert, niemandem etwas zu erzählen. Ich bin sicher, dass meine Mutter den Verlust bemerkt. Aber sie sagt nichts. Irgendwann kommt auch mein Vater dahinter und stellt mich zur Rede. Es ist dann doch nicht so schlimm. Die angsterfüllte Zeit hat wohl Spuren hinterlassen. Schlitten In den 40er Jahren gibt es harte Winter mit viel Schnee. An den Kauf eines Schlittens ist nicht zu denken. So nagele ich mir aus Latten und Brettern selber einen Schlitten zusammen, mit dem ich dann die auf dem Ufer gebaute schiefe Eisbahn hinunter fahre. Als meine Tante für ihre Kinder einen richtigen Rodelschlitten kauft, bin ich empört, da ich weiß, dass auch sie nicht viel Geld hat. Als ich ihr diesbezüglich Vorhaltungen mache und meine, ich hätte ihr gerne einen Schlitten für ihre Kinder gemacht, ist ihre Antwort: „Hinterher kakeln die Hühner!“ Diese Zurechtweisung trifft mich sehr, ich habe es ja nur gut gemeint. Immerhin hat auch diese Belehrung mein Verhalten geprägt: Ein einmal getroffener Entschluss wird nicht mehr angezweifelt. „Für die Ewigkeit“ Wenn mein Vater zu Hause ist, muss er meistens den Weidezaun für unsere Kühe reparieren. Ich habe ihn dabei – unwillig – zu begleiten, damit er auch mal mit seinem Sohn zusammen sein kann. Er gräbt alle fünf Meter Eichenpfähle ein, an denen dann der Stacheldraht befestigt wird. Dabei schlägt er ca. 5 cm lange Eisennägel in den Pfahl mit den Worten „das hält für die Ewigkeit“. Jahre später, als ich einen Elektrozaun montiere, muss ich den Stacheldraht von diesen Nägeln befreien, was mir sehr viel Arbeit macht. Ich bin nicht mehr von der Richtigkeit der Arbeit meines Vaters überzeugt. Wenn ich in meinem späteren Leben etwas montieren musste, war immer der Gedanke dabei, wie kann ich das wieder entfernen, ohne dabei unnütze Arbeit zu haben. Ich lerne schon sehr früh, dass es bei allem menschlichen Tun nicht um Ewiges geht. Das einzig Dauerhafte ist die Veränderung.


15

Krieg Im Sommer 1939 bin ich im vierten Schuljahr (Osteranfang). Die Erwachsenen sind meist sehr bedrückt. Wir Kinder hören wohl hin und wieder das Wort Krieg, aber es sagt uns nichts. Einestages wird der Unterricht unterbrochen: Ein Mann führt uns eine Stab-Brandbombe und Löschversuche vor. Zum Löschen benutzt er eine Handspritze, wie man sie später kaufen kann. Zuerst spritzt er direkt auf die brennende Bombe, wodurch sie förmlich explodiert: Also so nicht. Als er dann nur Wassertropfen auf das Feuer rieseln lässt, ist der Brand bald versiegt und der Rest der Bombe bleibt halb verkohlt zurück. Zum Glück habe ich später mit solchen Bomben nichts zu tun gehabt, ich wohnte ja auf dem Lande. Den Polenfeldzug verfolge ich täglich auf einer Karte. Ich habe die Karte auf einem Brett befestigt und die Frontlinie mit einem roten Faden kenntlich gemacht, an Stecknadeln entlang gezogen. Alu statt Kupfer Als der Krieg länger dauert, als man anfangs annimmt, müssen alle Reserven ausgeschöpft werden. So rückt eines Tages ein Trupp Männer an und montiert die Kupferleitungen der Stromversorgung ab. Kupfer ist eben für die Kriegsproduktion wichtig. Allerdings werden dann großzügig an beiden Seiten des Kanals Masten gesetzt und die Doppelleitung wird durch eine Drehstromleitung aus vier Aluminiumdrähten ersetzt. So sind wir in der Lage, einen Elektromotor zu betreiben. Dreschen Mein Vater besorgt eine ausgediente Dreschmaschine, so dass wir nun elektrisch dreschen können und nicht mehr die Männer mit dem Dreschflegel auf das Stroh schlagen müssen. Die Dreschmaschine funktioniert gut, wenn das Stroh trocken ist. Aber im Sommer ist es in jener Zeit oft nass. Das Stroh in den Garben (Bündel Stroh) wird nie richtig trocken und muss schließlich doch ins Haus geholt werden. Beim Dreschen muss ich die Garben aufschneiden und sie meinem Vater anreichen, der sie in die Maschine steckt. Das nasse Stroh wickelt sich manchmal um die Walze, so dass die Maschine stehen bleibt, und mein Valter sie wieder mühsam in Gang bringen muss. Schließlich wird ihm das Ganze zu viel und ich werde ausgeschimpft, dass ich das Stroh besser anreichen solle. Ich habe beobachtet, dass mein Vater müde geworden ist und die Garben nicht genügend auseinander gerupft hat, so dass das Stroh sich festwickelt. Als ich dann die Schuld bekomme, schimpfe ich zurück: „Was kann ich dafür, wenn du nicht richtig auseinander ziehst. Mach deinen Kram alleine!“ und gehe fort. Ich sitze nun mit einem schlechten Gewissen in der Küche und warte auf das kommende Donnerwetter, denn so kann man als Kind dem Vater nicht gegenübertreten. Erst nach längerer Zeit kommt meine Mutter und holt mich mit gutem Zureden. Auf ihre Aufforderung, er solle mich bestrafen und mich holen, soll er gesagt haben, „er hat ja recht“. Nach dem Tode meines Vaters lerne ich als Fünfzehnjähriger die schwierige Bedienung der Maschine. Erbsenpflücken In den Kriegsjahren wird die Schule im Sommer unterbrochen durch Ernteeinsatz. Bei uns geht es vor allem um Erbsen. Die Bauern in den Marschgebieten haben große Flächen Erbsen anbauen müssen. Für die Ernte haben sie nicht genug Helfer. So werden die Kinder auf die Felder gebracht zum Pflücken. Wir genießen die schulfreie Zeit sehr und lernen unsere Lehrer auch mal von einer anderen Seite kennen. Sie werden menschlicher. Basteln Da der Krieg sehr bald alle Menschen in Anspruch nimmt, gibt es keine Produktion von Überflüssigem mehr. So wird auch kaum noch Spielzeug hergestellt. Den ganzen Herbst habe


16 ich mit einigen Freunden gebastelt. Vor allem Lastautos „laufen vom Band“. Aber auch an einen Dackel, der beim Fahren wedelt, da sein Körper aus drei beweglichen Teilen besteht, kann ich mich erinnern. Für mich selbst konstruiere ich ein Spiel, bei dem eine Kugel über ein Brett mit lauter Löchern und Hindernissen rollen kann, bis er in ein Loch fällt. Ein entsprechendes Gerät stand im Bahnhof, wo man aber Geld zahlen musste. Die Laubsägeblätter und die Farben kann ich auf dem Schulweg in der Stadt besorgen. Sperrholz gibt es nicht. Wir verarbeiten nur 10 mm dicke Bretter, die ich irgendwo auftreiben kann. Die ca. 5 m langen Bretter müssen nach dem Einkauf zuerst zersägt werden, bevor ich sie mit Bahn und Fahrrad nach Hause bringen kann. Flakkombattant Im letzten Kriegsjahr glauben wir zwar immer noch an den Endsieg und die Wunderwaffen, doch die Luftabwehr bei den Brücken muss von Schülern geleistet werden. Als 14-jähriger werde ich „Kombattant“ und muss jeden zweiten Tag statt zur Schule zu den Flakstellungen gehen. Für den Schutz der erst im Krieg fertiggestellten Brücke über die Ems haben wir Stellungen gegraben, in denen 2cm Kanonen stehen (ehemalige Flugzeugkanonen). Wir üben zwar hin und wieder, doch einen Schuss geben wir nie ab, bis auf einen, der aus Versehen losgeht. Dafür teilen wir uns lieber von Stellung zu Stellung „wichtige“ Nachrichten mit, wie wir es im Film bei der Marine mit den Fähnchen gesehen haben. Kohleferien In den Wintermonaten muss Kohle gespart werden. Darum fällt die Schule einfach aus. Wir nennen das Kohleferien. Alle Kanäle sind zugefroren. Wir können überall hin mit unseren Schlittschuhen. Leider gibt es dann bald Schnee und das Laufen auf den Kanälen ist kein Vergnügen mehr, weil man immer wieder durch Schneewehen am Weiterkommen gehindert wird. Dafür kann man aber Schneeburgen bauen. Im RAD Im März 1945 - sechs Wochen vor Kriegsende - werde ich zum Reichsarbeitsdienst (RAD) eingezogen. Ursprünglich diente dieser dazu, die arbeitslosen jungen Männer sinnvoll zu beschäftigen (Straßenbau) und auch auf den folgenden Wehrdienst vorzubereiten. Im Kriege geht es nur noch um den Einsatz als Wehrersatzdienst, hauptsächlich Flugzeugabwehr. Ich bin ca. eine Woche im Lager in Stöckse bei Nienburg. Dann heißt es, der Engländer steht auf der anderen Seite der Weser. Wir müssen nach Bremen zur Flak. Abends im Dunkeln gehen wir los. Es ist im Wald so dunkel, dass wir uns gegenseitig anfassen müssen, um nicht vom Wege abzukommen und in den Graben zu rutschen. Gegen Morgen gelangen wir zu der Scheune eines Bauern, wo wir erst mal schlafen. Dann wird unser Ziel geändert, da der Engländer uns bei Bremen schon zuvor gekommen ist. Mit weniger Gepäck, das meiste bleibt bei dem Bauern liegen, geht es weiter in Richtung Lübeck. Meistens marschieren wir tagsüber und schlafen nachts bei Bauern in Scheunen. An einem Abend können wir wählen, Scheune oder eigenes Zelt. Jeder von uns hat eine Dreieckzeltbahn, mit denen man zu viert ein spitzes Zelt bauen kann, 2-mal 2m im Quadrat und ca. 1m hoch. Heute ist es mir unverständlich, weshalb ich damals trotz meiner Müdigkeit mich entschloss, mit drei anderen ein Zelt zu bauen, beengt zu schlafen und am nächsten Morgen, bevor die anderen aus dem Stroh krochen, das Zelt wieder abzubauen und auf dem Tornister zu verstauen. Kinder sind wohl zu Dingen fähig, die Erwachsene nicht verstehen. Unterwegs gibt es einige Tieffliegerangriffe. In der Ferne fliegt ein Munitionszug in die Luft. Einige von meinen Kameraden werden auch verwundet. In diesen letzten Tagen des Krieges sehe ich zum erstenmal ein Raketenflugzeug. Ein deutscher Jäger schießt über den Himmel, wie man es bis dahin nicht gesehen hat. Er bleibt allerdings nur kurze Zeit in der Luft, weil ihm zu schnell das Benzin ausgeht. Abwehren kann man es damals nicht. Er ist allen Flugzeugen kampfmäßig überlegen.


17 Am 2. Mai sind wir wenige km vor Lübeck. Aber der Kanadier auch. So kommt uns ein Panzer entgegen, und wir gehen in Gefangenschaft. In Gefangenschaft Anfang Mai 1945 haben die Kanadier und Engländer innerhalb weniger Tage für alle gefangenen deutschen Soldaten im Norddeutschen Raum zu sorgen. So liegen wir 4 Tage bei Reinsberg vor Lübeck auf einer Wiese zusammen mit ca. 10 000 Soldaten. Einige verstehen es, uns 15-jährigen klar zu machen, dass wir als Kinder sehr schnell nach Hause geschickt und unsere Zeltausrüstung nicht mehr brauchen würden. Mir bleibt nur eine Wolldecke und der Tornister, den ich am Tag vorher beim Leeren unseres Marketenderwagens mit Tabak aufgefüllt habe. Zusammen mit einem Freund aus meiner Abteilung baue ich mit der Wolldecke ein „Zelt“. Es fängt an zu regnen und innerhalb kurzer Zeit verwandelt sich die grüne Wiese in eine Schlickwüste, Reinsberg liegt in der Marsch: An den Füßen kleben große Schlickklumpen. Nach einigen Tagen werden wir in eine Fabrikhalle in Schwarzenbeck verlegt. Auf dem Betonfußboden ist es wenigstens trocken. Zu essen gibt es nur dünne Grießsuppen und etwas Brot. Ich versuche meinen Tabak in Essbares umzutauschen und lebe gut dabei. Als ich einmal zu meinem Schlafplatz zurückkomme, hat ein guter Kamerad meinen Tornister geleert. Da ich nicht weiß, wer es gewesen ist, bleibt ihm die sonst fällige Strafe in Form von Baden in der Latrine erspart. Mir ist klar, dass es einer von meinen Kameraden getan haben muss, weil sonst niemand weiß, was in meinem Tornister ist. Später kommen wir dann nach Kellenhusen bei Fehmarn, wo wir auf dem Dachboden eines Hauses untergebracht werden. Auch dort ist die Verpflegung dürftig. Ich streife jeden Tag durch den Ort und über Land, um Essbares zu bekommen und lerne dabei, dass man Rüben roh essen kann, Kartoffeln aber nicht, da sie nicht schmecken.


18

Nachkriegszeit Heimkehr Die Entlassung als Jugendlicher klappt nicht. So melde ich mich als Landarbeiter. Die Engländer haben eingesehen, dass die Versorgung der Deutschen kaum möglich sein wird, wenn diese nicht ihre Ernte selber bergen werden. So schickt man alle Landarbeiter nach Hause, um die Ernährung des ehemaligen Feindes sicherzustellen. Am 18. Juni komme ich mittags zuhause an, am Geburtstag meiner Schwester. Mein Äußeres ist wohl etwas erschreckend: mager, klapperig und verlaust. Das wochenlange Hungern blieb nicht ohne Wirkung. Nach einigen Stunden liegt dennoch unsere defekte Küchenuhr auf dem Tisch (neben dem Geburtstagskuchen). Meine Mutter ist sicherlich entsetzt, aber sie lässt mich mit der Reparatur gewähren. Sie merkt wohl, dass der Kern ihres Jungen noch intakt ist. Storchaktion 1945 ist die Versorgung der Bevölkerung sehr schlecht, vor allem in Berlin. Die Besatzungsmächte beschließen, die Kinder nach Möglichkeit aus der Stadt herauszubringen. So wird Reklame gemacht für die „Storchaktion“. Auch unser Dorf muss Berliner Mütter mit Kindern aufnehmen. Eines Abends im November pflücken meine Mutter und ich auf dem Feld Rüben. Wir hören ein lautes Stimmengewirr beim Nachbarn. Wie wir mit den Rüben nach Hause kommen, empfängt uns der Bürgermeister mit einer Frau und drei Kindern. Die Nachbarin hätte ihn abgewiesen. So kommt Anni (ca. 30) mit Stefan (5) und Püppi (6) zu uns, der älteste Sohn wohnt bei meiner Tante ein paar Häuser entfernt. Annis Mann ist im Krieg gefallen. Die Kinder beobachten zum ersten Mal das Leben auf dem Lande. Abends sitzen wir alle um den Tisch herum beim Abendessen. Es gibt wie üblich Bratkartoffeln, die Pfanne steht mitten auf dem Tisch. Nur die beiden Kinder mit ihren kurzen Armen bekommen ihre Portion auf einem kleinen Teller. Alle anderen nehmen mit ihrer Gabel die Bissen aus der Pfanne. Nach einer Weile sagt Stefan: „Schau mal Mutti, wie die Hühner!“ Im Laufe des Winters kalbt eine Kuh. Das ist für die Stadtkinder eine aufregende Angelegenheit. Abends im Bett fragt Stefan seine Mutter: „Mutti, hat die Kuh im Bauch auch Haare?“. Und etwas später kommt die Frage: „Sag mal Mutti, bin ich dir auch aus dem Bauch gekrochen?“ Mit Klapperstorch war wohl nichts. Das Leben bei uns ist für die Kinder am Anfang sehr schwer, denn sie verstehen kein Wort, da bei uns nur Plattdeutsch gesprochen wird. Aber später höre ich in einem Nachbarzimmer ein Kind reden und überlege, wer das wohl sein könnte. Ich kenne ja alle Kinder auch an ihrer Sprechweise und an ihrer Sprachmelodie. Ich komme nicht darauf, wer das sein kann und werde neugierig auf den Besuch. Verblüfft merke ich, dass es Stefan ist. Er hat nach wenigen Wochen das Plattdeutsche so gut gelernt, dass er nicht von einem Einheimischen zu unterscheiden ist. Im Laufe des Winters muss meine Mutter am Ohr operiert werden. Sie liegt lange im Krankenhaus. Während dieser Zeit ist Anni bei uns die Wirtschafterin, so als ob das schon immer ihre Aufgabe bei uns gewesen ist. Nur die Versorgung der Kühe muss meine (13jährige) Schwester übernehmen, bis auf das Hinauskarren der Kuhmist, das macht ein Nachbar. Neujahrskuchen Zum Jahreswechsel werden bei uns dünne Kuchen in einem Waffeleisen gebacken. Den Teig rühren die Frauen, aber das Backen kann auch ein männliches Wesen machen, der sonst für die Weihnachtsvorbereitungen unbrauchbar ist. So sitze ich an einem großen Tisch und warte, bis das elektrische Waffeleisen einen Kuchen fertiggebacken hat. Die elektrische Spannung ist trotz oder gerade wegen der neuen Aluminium-Leitungen sehr schwach. Das Eisen wird nicht richtig heiß. Es dauert lange, bis ich den Kuchen auf den Tisch legen kann. Schließlich


19 überbrücke ich die Wartezeit mit dem Lesen in einem Roman. Später kann man an der Farbe der auf dem Tisch aufgereihten Kuchen sehr gut erkennen, wie spannend das Buch jeweils gewesen ist: Die Kuchen in der Reihe werden brauner oder weißer. Elektrozaun Mein Vater hatte für den Weidezaun gute eichene Pfähle genommen. Aber auch sie faulen und müssen irgendwann ersetzt werden. Nur ist es schwer, Pfähle zu bekommen, denn für Geld gibt sie niemand her, weil dies keinen Wert mehr hat. Da höre ich von meinem Vetter, der aus Dänemark aus der Gefangenschaft gekommen ist. Er hat dort einen Elektrozaun kennengelernt und mitgebracht. Zwar ist es möglich, von einer Firma in Eutin Isolatoren zu besorgen, aber ein solches Gerät ist nicht zu beschaffen. So muss ich selber einen Impulsgeber konstruieren. Bei meinem Vetter habe ich gesehen, was dazu nötig ist. Von der Elektrizität habe ich in der Schule schon gelernt, wie man Spannungsspitzen von 15000 Volt erzeugen kann. Jetzt ersetze ich den Stacheldraht durch einen dünnen Draht an Isolatoren. Unser Nachbar warnt mich. Er kann nicht glauben, dass die Kühe diesen dünnen Draht respektieren. Immerhin funktioniert meine Konstruktion. Die Kühe lernen schnell, das besonders leckere Gras am Grabenrand abzurupfen, ohne mit dem Nacken den Elektrodraht zu berühren, aber auch, auf das nicht erreichbare zu verzichten. Spölwaugen Für den Transport von Roggen, Kartoffeln und was wir sonst noch auf dem Acker ernten, steht uns nur eine Schiebkarre zur Verfügung. Vorne hat sie zwar ein eisenbeschlagenes Rad, aber hinten muss man die Last an zwei Stielen anheben, manchmal unterstützt durch einen Riemen, den man über die Schulter legt. Natürlich bin ich für diese Arbeit „nicht geschaffen“ und grübele. Auf dem Dachboden finde ich Eichenlatten, die mein Vater irgendwann besorgt hat, ohne Verwendung dafür zu haben. Damit kann ich das Gerüst machen für eine Kiste, die größer ist als die einer Schiebkarre. Wesentlich sind aber an beiden Seiten im Schwerpunkt Fahrradräder. So brauche ich nur das Gleichgewicht halten und ziehen oder schieben. Das ist keine Arbeit. So kann ich ohne Mühe ein Vielfaches von dem transportieren, was in eine Schiebkarre geht.

Kein Wunder dass die Nachbarin mein Gefährt als Spielwagen bezeichnet. Nachdem die Räder durch die eines Motorrades ersetzt werden, ist der Wagen stabil und für uns unersetzlich.


20 Ferkelkauf Wir hatten immer Schweine für den Eigenbedarf. Nur woher die Ferkel nehmen? Bei uns im Dorf gibt es keine. So muss ich mit dem Fahrrad und einer großen Holzkiste losradeln und im Umkreis von 20 km bei allen Landwirten nach Ferkeln fragen. Viele Tage bin ich umsonst unterwegs. Wer gibt schon einem 16-17-jährigen Jungen Ferkel. Schließlich bekomme ich doch welche und bezahle mit Butter, der neuen Währung. Unsere Versorgung fürs nächste Jahr ist gesichert. Neue Währung Die Lebensmittelversorgung ist seit Kriegsbeginn durch „Lebensmittelmarken“ geregelt. Es gibt sie 135 Monate, bis Febr. 1950, also über 11 Jahre.

Kleidung und andere notwendige Dinge gibt es auf „Bezugsschein“, wenn man solche bekommen kann. Natürlich muss man auch mit Geld bezahlen, bis zur Währungsreform 1948 mit RM (Reichsmark), dann mit der neuen DM. Nach dem Krieg bildet sich sehr schnell eine zusätzliche Währung: die Butter-Währung. Alles was man braucht, wird in Butter-Kilo umgerechnet. Daneben gibt es auch noch die Tabak-Währung, die mit der Butter-Währung konvertierbar ist. Das Wickeln unseres Elektromotors kostet 3,5 Pfund Butter (1 Pfund = ½ Kilogramm). Diese Währung hat für uns den Vorteil, dass wir „Falschgeld“ machen können. Meine Oma sitzt jeden Tag und schüttelt eine Weinflasche, in der saurer Rahm ist. Nach hinreichend langem Schütteln ist Butter in der Flasche. Hamsterer Wenn ich mittags mit der Eisenbahn von der Schule nach Hause fahre, stehe ich meist auf einem Trittbrett, das außen am Waggon angebracht ist. (Meine Mutter hat es zum Glück nie gesehen). Die Waggons sind von den Menschen überfüllt, die aus dem Ruhrgebiet kommen und irgendetwas tauschen wollen, um Butter zu erhalten. Wir nennen diese Menschen Hamsterer. Mancher Hamsterer hat in Ostfriesland seine feste „Kundschaft“, zu der er fährt, um seine Ware hinzubringen und gegen Butter zu tauschen.


21

Nach dem ABI Arbeitssuche Nach 13 Jahren habe ich endlich mein Abi, d.h. zur Schule gehe ich nur 12 Schuljahre, da durch das Ende des Krieges ein Schuljahr ausgefallen ist. Nun geht es um die Frage, wie das Leben weiter gehen und welchen Beruf ich einmal ausüben soll. Lehrer kann ich nicht werden, da ich zwar Hochdeutsch verstehen und sprechen kann, aber mit der flüssigen Rede hapert es, weil ich nur plattdeutsch denken kann. Ich muss jeden Satz ins Hochdeutsche übersetzen. So habe ich für das Abi-Zeugnis als Beruf „Hochfrequenztechniker“ angegeben, weil ich der Meinung war, dass die Entwicklung der Radartechnik Zukunft haben wird. Da ich zum Studieren kein Geld habe, radele ich 6 Wochen durch Ostfriesland, um eine Lehrstelle für einen technischen Beruf zu bekommen. Aber überall wo ich frage, höre ich den gleichen Satz: „Lehrling willst Du bei mir werden? Das geht nicht, denn dann müsste ich dir 40 DM pro Monat zahlen, die habe ich nicht.“ Ich lerne die Hoffnungslosigkeit eines Menschen kennen, den man nicht braucht. Schließlich gibt es jemanden, der noch einen Nachsatz anfügt: „Mit Deinem Abitur willst du doch sicherlich einmal studieren. Dafür brauchst du ein Praktikum. Das kannst du bei mir machen, denn dann muss ich dir kein Geld geben.“ In seiner Werkstatt soll ich 5 m lange Stangen Winkeleisen auf 30 bis 40 cm lange Stücke zersägen. Ich beginne, wie ich es bei meinem Vater gelernt habe. Doch sehr schnell kommt der Altgeselle und klopft mir väterlich auf die Schulter: „Wenn du so weitermachst, bist du in ein paar Tagen fertig und hast nichts mehr zu tun. Denn neues Eisen kannst du nicht mehr kaufen, weil der Chef so hoch verschuldet ist, dass ihm niemand mehr etwas gibt. 30 Kinogleichrichter stehen hier rum, jeder kostet 7000 DM, und keiner ist verkauft.“ Über 200000 DM Schulden, wo die Löhne nur einige Hundert betragen, ist einfach zu hoch. So stehe ich also mit der Säge in der Hand und schaue auf die Türklinke. Sobald sie sich bewegt, säge ich los und höre sofort auf, wenn es nicht der Chef ist. 1949 ist die wirtschaftliche Lage nicht gut. Allerdings von Arbeitslosen redet keiner. Ins "Ausland" Nach gut zwei Monaten trifft ein Brief ein. Ich soll nach Frankfurt am Main (also ins „Ausland“) kommen und mich dort einem mir unbekannten Mann vorstellen. Es ist meine Reise ins Ungewisse. Nach langer Überlegung fahre ich los. Den größten Eindruck macht mir nicht die Firma Heräus sondern die Luftbrücke: Von Frankfurt kommt ein Flugzeug und fliegt über mich hinweg nach Osten. Kaum ist es am Horizont angekommen, erscheint bereits das nächste hinter mir. Das geht so den ganzen Tag und auch die Nacht hindurch. Immerhin erreichen die Amerikaner, dass die Berliner nicht verhungern und erfrieren. Die Deutschen tragen ihren Obolus dazu bei mit der Briefmarke „Notopfer Berlin“ für 2 Pfennige. Die Klinke Dass es sich bei dem fremden Mann um den Onkel eines ehemaligen Mitschülers handelt, weiß ich nicht. Meine Vorstellung bei ihm hat zur Folge, dass ich mich auf dem Rückweg bei seinem Freund, einem Professor in Münster vorstellen soll, in dessen Institut auf Kosten der Firma Hilfsdienste auf mich warten. Das Wort „Sponsor“ kennt man noch nicht. In Münster gehe ich zu Fuß quer durch die Stadt (bitte wörtlich nehmen: Die Trampelpfade gehen durch ehemalige Badezimmer usw. Münsters Innenstadt existiert auch vier Jahre nach dem Krieg noch nicht) bis in die Gegend der Kliniken. Dort klingele ich an einer Haustür. Eine „wohlgenährte“ Frau in Arbeitskleidung öffnet und ich gebe dieser Haushaltshilfe einen Brief für den Professor. Sie öffnet ihn und bittet mich herein. Ziemlich verstört ob dieses frechen Benehmens schließe ich die Tür und habe die Türklinke in der Hand. Entsetzlich! Sie meint nur: „Stecken Sie die Klinke nur wieder hinein. Sie müssen warten, bis mein Mann kommt.“ Also auch Professorenfrauen können „normal“ sein.


22 Buldern Das Institut des Professors für Physikalische Chemie ist ausgelagert, da in Münster alles zerbombt ist. Es befindet sich z.Zt. in dem Schloss des Baron von Romberg in Buldern, 20 km westlich von Münster. Einestages erscheine ich dort und treffe einen großen Kreis von Student(inn)en, die sich um ihre Diplom- oder Doktorarbeit bemühen. Als Begrüßung schallt mir entgegen: „Auf dich haben wir schon lange gewartet!“ - leider kann ich nicht in den Boden versinken. Später lerne ich, wie humorvoll solche Begrüßungen gemeint sind. Die Kameradschaft ist ausgezeichnet. Jeder hilft jedem, so gut es geht. Immer wieder höre ich, dass ich auf jeden Fall auch Mathematik studieren solle, weil man das in der Chemie brauche. Dieser Rat wird später noch für meinen Lebensweg wesentlich werden. Zunächst ist für mich klar, dass ich irgendwann Physik und Chemie studieren werde. Vor allem wird nun aber mein Horizont erweitert. Ich lerne viel von dem, was es sonst noch alles auf der Welt gibt. Und ich erlebe zum ersten Mal den Frühling, das Erwachen der Natur. Zimmersuche Auch das längste halbe Jahr geht einmal zu Ende. Ich habe schon während meiner Arbeit im Institut vormittags an einigen Vorlesungen in Münster teilgenommen. Für das folgende Sommersemester benötige ich in Münster ein eigenes Zimmer. So fahre ich zur Zimmervermittlung für Studenten. Dort erklärt man mir, dass auch andere Studenten die gleiche Absicht hätten. Für mich gibt es keine Alternative, so mache ich klar, dass ich kein Geld habe, mir irgendwelche Wünsche zu erfüllen. Schließlich sagt der zuständige Student: „Vorhin hat hier eine Frau ein Zimmer angeboten, das ich eigentlich für meinen Freund reserviert habe, der auch kein Geld hat. Aber Sie können ja mal hingehen.“ Als ich 6 km außerhalb Münsters an der Haustür klingele, öffnet mir eine Frau, die gerade ihren Mantel auszieht. Sie hat nicht mit einer so schnellen Nachfrage gerechnet. - Ich bekomme ein Zimmer für 8 DM pro Monat. Zu dem Zeitpunkt habe ich keine Ahnung, dass in Münster ein Studentenzimmer mindestens 30 DM kostet. Es stört mich nicht, dass “mein Zimmer“ keinen Schrank und der Tisch nur Platz für ein DIN A4 Heft hat. Eine Schlafgelegenheit und einen Kanonenofen gibt es und Platz auf dem Fußboden. Per Rad zur Uni Ich wohne in der Mondstraße. Bis in die Stadt fahre ich ca. 6 bis 7 km mit dem Fahrrad, dem Hauptverkehrsmittel in Münster. Von der Mondstraße muss ich in die Warendorfer Str. einbiegen. Dort steht ein Stoppschild, ein Fuß muss den Boden berühren, sonst kostet es kostbare DM. Ich kann mich erinnern, dass ich an jener Stelle oft gedacht habe: „Ob ich hier wieder herkomme, weiß ich nicht.“ Ob auch andere Menschen mit ca. 20 Jahren so konkret mit ihrem Tod rechnen? Irgendwie belastet haben mich solche Gedanken nicht. Ich war froh und dankbar, dass mein Leben sinnvoll weiterging. Ich durfte nur nicht den Fehler machen, zu grübeln, wie es morgen weitergehen würde. Ich lernte, die sich bietenden Gelegenheiten zu nutzen und für Neues bereit zu sein. Platz im Labor Ich studiere im Hauptfach Physik. Daneben auch Mathematik und Chemie. Für Chemie muss ich ein Praktikum machen. Dazu benötigt man einen Platz im Labor. In diesem Semester stehen die Studenten im Chemischen Institut nicht mehr im Keller auf Steinsäulen, damit sie die Füße trocken behalten, sondern sie haben das Dach ausgebaut. Doch dort einen Platz zu bekommen, ist sehr schwer. Der zuständige Professor ist allgemein wegen seiner bissigen scharfen Art gefürchtet. Aber ich muss ihn um einen Platz bitten, obwohl ich kein „voller Chemiker“ bin. Alle Bekannten warnen und bedauern mich. Als ich aus der Höhle des Löwen herauskomme, sind alle verwundert, dass ich einen Platz habe. Vielleicht hat es geholfen, dass ich nicht gebettelt, sondern ihn in meinem Fall „um Rat gefragt“ habe.


23 100 DM - soll ich? Das Leben eines Menschen ist gekennzeichnet von der Tatsache, dass er sich ständig entscheiden muss. Sicherlich ist nicht jede Entscheidung gleich wichtig und folgenschwer oder gleich schwierig. Bis zu dieser Zeit sind meine Entscheidungen wohl keine echten Entscheidungen. Eigentlich ist mir mein Weg vorgezeichnet. Ich brauche ihn nur zu gehen, d.h. die Gelegenheiten ergreifen. Entschieden haben andere. Für mich erscheint manches als Zufall. Allerdings mache ich mir keine großen Gedanken darüber. In Münster kenne ich niemanden. Um Kontakte zu bekommen, gehe ich regelmäßig zur dortigen Studentengemeinde der evangelischen Kirche und nehme an vielen ihrer Freizeiten teil. Gerne würde ich 1951 auch an einer Freizeit auf Einladung der österreichischen Studentengemeinde in den Ötztaler Alpen teilnehmen. Doch für mich ist der Preis von 100 DM zu hoch. Meiner Mutter und meiner Schwester gegenüber kann ich diese Ausgabe für ein „Spaßvergnügen“ nicht verantworten. Im chemischen Praktikum stehe ich neben einem Studenten aus Rheine. Wir verstehen uns gut. Außerdem wohnt er auch im selben Haus in der Mondstraße. Anlässlich eines Besuches bei seinen Eltern gibt mir sein Vater einen Briefumschlag. Ich finde 100 DM. Damit beginnt für mich die Situation, vor einer echten Entscheidung zu stehen. Darf ich dies Geld für die überflüssige Freizeit ausgeben oder muss ich sie benutzen um die Zuwendung von meiner Mutter zu verringern. Alle Bekannten - und ich kenne durch die Studentengemeinde sehr viele gute Freunde - frage ich um Rat. Jeder versucht mir zu helfen, zu einer Entscheidung zu kommen. Aber alles ist vergebens. Meine Unsicherheit bleibt. Dann sagt eine Studentin: „Da kann dir keiner helfen. Diese Entscheidung kann dir niemand abnehmen. Du musst sie selber treffen.“ Diese selbstverständliche Aussage hilft. Ich werde ruhig und fahre nach Österreich. Mit 40 DM ins Ausland Die Unkosten der Freizeit, eben die 100 DM, werden in Deutschland eingezahlt und dann über kirchliche Stellen an die österreichische Studentengemeinde überwiesen. Geld in österreichische Währung umzutauschen ist 1951 nicht möglich. Ich darf lediglich 40 DM über die Grenze mitnehmen. Allerdings muss dieses Geld bei der Rückkehr an der Grenze wieder vorgezeigt werden, denn es ist nur für notwendige Ausgaben bei der Heimreise auf deutschem Boden vorgesehen. Alle Unkosten im Ausland muss der dortige Einladende tragen. Drei Jahre nach der Währungsreform kann die deutsche Wirtschaft die Ausfuhr von Devisen ohne Gegenwert nicht verkraften. Urlaub ist keine Ware. Als ich ein Jahr später wieder ins Ausland will und frage, wie viel Geld ich mitnehmen darf, versteht der Bankbeamte meine Frage nicht. 1952 kann man soviel Geld wechseln und im Ausland ausgeben, wie man will. Später spricht man vom Wirtschaftswunder. Im Gemeinderat Dieser Aufenthalt in den Alpen hinterlässt in meiner Entwicklung tiefe Spuren. So ergibt es sich beinahe zwangsläufig, dass ich für die Wahl zum Gemeinderat der Studentengemeinde vorgeschlagen werde. Wieder muss ich mich entscheiden, ob ich in meiner finanziellen Situation diese Beeinträchtigung meines Studiums gegenüber meiner Mutter und meiner Schwester verantworten kann. Noch schlimmer wird es, als ich mit den meisten Stimmen gewählt werde und daran die Erwartung geknüpft wird, dass ich als Vertreter des Vertrauensstudenten in das Studentenheim einziehe. In den nächsten beiden Semestern steht nicht mehr das Studium im Vordergrund, sondern die soziale Betreuung der Student(inn)en. Es vergeht kaum ein Abend ohne entsprechende Gespräche. Als das zweite Semester in der Studentengemeinde zu Ende geht, wird mir klar, dass für mich eine neue Entscheidung ansteht: Entweder Sozialarbeit in der Studentengemeinde oder radikaler Bruch mit dieser und das Studium zu Ende bringen. So endet mein Kontakt mit der Gemeinde, dem ich sehr viel zu verdanken habe.


24 Geld Ein Studium kostet Geld. Das weiß man auch in meinem Fehn, meinem Dorf. Und dort weiß auch jeder, dass meine Mutter mit ihren beiden Kühen mich nicht studieren lassen kann. Uns ist klar, dass jeder meine Mutter für überdreht halten muss, der im Dorf davon erfährt. So heißt die Antwort auf die Frage, was der Sohn denn macht: „Er arbeitet in Münster in einem Labor.“ Erstens stimmt das, denn ich mache ja meine chemischen und physikalischen Praktika im Labor. Zweitens wagt niemand, genauer zu fragen. Niemand will seine Unwissenheit preisgeben. Sicher hat mancher schon mal das Wort Labor gehört, aber was da nun eigentlich gemacht wird, kann man wohl nicht verstehen. Mir ist nur einer bekannt, der das Spiel durchschaut hat: Als ich mal wieder in einem Gesprächskreis die entsprechende Antwort gebe, sehe ich dessen Schmunzeln. Aber er schweigt. Er weiß, was von dieser Information für meine Mutter abhängt. Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang ein Lehrer. Ich weiß nicht mehr, wie der Kontakt zustande kam. Damals war es nicht üblich, dass Schüler ihre Lehrer besuchen. Aber ich war bei ihm, und er bot mir an, mich mit einer monatlichen Summe zu unterstützen. Es bedrückt mich heute noch, dass er nicht erfahren hat, was schließlich aus mir geworden ist. Aber ich habe gelernt, dass ein Lehrer einen Beruf hat, bei dem er nicht seine Wirkungen bei seinen Schülern erlebt. Und ich habe zu lernen, Unterstützung anzunehmen, ohne die Möglichkeit zu sehen, zurückzahlen zu können. Es bleibt mir der Trost, dass es in meinem späteren Leben immer wieder Gelegenheiten geben wird, wo ich anderen, auch jüngeren Hilfe in irgendeiner Weise zukommen lassen kann. Trotz meiner prekären Lage habe ich keinen Anspruch auf ein Stipendium. Lediglich ein „Freitisch“ wird mir gewährt. So kann ich jeden Mittag in der Mensa kostenlos essen. Als Gegenleistung muss ich Besteck abtrocknen oder Aufzugführer sein. Einige Jahre später gibt es diesen Posten nicht mehr. Die Professoren haben wohl gelernt, im Aufzug selber aufs Knöpfchen zu drücken. Semesterarbeiten Natürlich bemühe ich mich während der Semesterferien um Beschäftigung. In einem Sommer bekomme ich eine Stelle in einem Labor der Duisburger Kupferhütte (die es heute nicht mehr gibt). Als wir vor einer Vorlesung eine halbe Stunde bis zum Beginn warten müssen, erzähle ich das meiner Nachbarin, die ich vom gemeinsamen Warten vor der Tür des Vorlesungssaals kenne. Sie bietet mir an, sich bei ihren Eltern in Duisburg um eine vorübergehende Unterkunft zu bemühen. Als das Semester zu Ende ist, trampe ich nach Duisburg und wundere mich, dass ich in einer vornehmen Gegend schließlich das Haus finde. Auf mein Klingeln öffnet eine Frau mit den Worten: „Gut dass Sie da sind. Hier sind Schlüssel, dort ist ihr Zimmer und dort die Küche. Machen sie sich was zu essen. Ich muss dringend in die Stadt.“ Weg ist sie, und ich allein in einem fremden Haus mit der Erfahrung des schier unbegrenzten Vertrauens. Später erfahre ich, dass es sich um einen bekannten Arzt der Stadt handelt. Die Arbeit in dem chemischen Labor gefällt mir sehr gut. Allerdings merke ich, dass mein zukünftiger Beruf nichts mit dieser Tätigkeit zu tun haben wird: Der zuständige Chemiker kommt nur selten ins Labor. Sein Arbeitsplatz ist der Schreibtisch. Damit wird meine Absicht, Chemiker zu werden nicht gerade gestärkt. In einem anderen Sommer arbeite ich in dem Materialprüfungsamt in Dortmund. Dafür werde ich zunächst zu einem Kursus nach Braunschweig geschickt, um die Untersuchung mit „Exoelektronen“ kennen zu lernen. In dem Institut lerne ich die unterschiedlichsten Arbeitsplätze kennen und auch wie sie beurteilt werden. So wird mir ins Ohr geflüstert, dass in der Ecke ein Spinner sich um Verunreinigungen in Kristallen bemüht. Niemand ahnt, dass es sich um die Grundlagen der Transistoren handelt, die inzwischen unsere Welt bestimmen.


25 In Braunschweig schlafe ich im Haus der Studentengemeinde, in Dortmund in einem leeren Labor. Hier bekomme ich abends hin und wieder Besuch – von einer Maus. Die sich so an mich und meine Fotografierwut gewöhnt, dass sie im Licht meiner Schreibtischlampe drei Minuten ruhig sitzen bleibt, bis die Zeitaufnahme meiner alten Kamera fertig ist. Ein Blitzgerät kann ich mir nicht leisten. Bei den Studenten gibt es immer tüchtige Arbeitsvermittler. Sie können sehr gut reden und die zukünftige Arbeit in den besten Farben malen. So werde ich auch einmal als Buchverkäufer angeworben und ziehe über Land. Es gibt immerhin einige Prozente. Leider muss ich feststellen, dass ich nicht in der Lage bin, irgendwelchen Frauen ein teures Lexikon zu verkaufen, was sich für mich lohnen würde, für das sie aber keine Verwendung haben. So bleibt es meist beim Duden, den ja jeder gebrauchen kann, der aber für mich nicht viel einbringt. Anders ist da schon die Stelle als Chemiker in der Zuckerfabrik. Da verdien ich immerhin 1,50 DM pro Stunde. Leider geht die Arbeit bis Mitte Dezember. Aber das muss man eben in Kauf nehmen. Ich wohne in dem Fabrikgebäude direkt über der Rübenwaschmaschine. Das ist eine Wanne, in der die Rüben im Wasser liegen und sich eine Achse mit armdicken Querstangen dreht. In meinem Zimmer, nur durch einen Fußboden aus Holzbrettern von der Maschine getrennt, kann man sich nur durch Gebrüll verständigen. Mittags schlafe ich meinen Mittagsschlaf in voller Montur auf dem Fußboden. Der Krach stört mich nicht. Mein Professor aus Buldern hat einen Kollegen in der Physik, der mich schon sehr früh für die Betreuung der Studenten bei ihren physikalischen Praktika heranzieht. Damit habe ich ein regelmäßiges kleines Einkommen. Aber dies hat nicht nur finanzielle Konsequenzen. Hier wird die Grundlage gelegt für den folgenden Berufswandel. Meine diversen Arbeiten in den Labors als Chemiker oder Physikochemiker haben mich verunsichert in Bezug auf meine Zukunft als Chemiker oder Physiker. In den wöchentlichen Praktika in Physik, bei denen ich kontrollieren muss, ob die Physikstudenten ihre Vorbereitung für die folgenden Versuche ordentlich gemacht haben, mache ich für mich wesentliche Beobachtungen, die zu dem Wunsch führen, Lehrer zu werden, um Schüler so zu erziehen, dass sie zuerst nachdenken und kontrollieren, bevor sie handeln (s.u.). Als ich mich nach dem Staatsexamen von meinem Professor verabschiede, kann er nicht verstehen, dass ich auf eine Promotion verzichten will. Die entsprechende Stelle hat er für mich. Aber ich will nun so schnell wie möglich in die Schule. Trampen Mein Leben in der Studentengemeinde hatte auch großen Einfluss auf mein Leben allgemein. War ich bisher nur brav mit der Eisenbahn gefahren, entdeckte ich nun die Straße. Ich machte mir ein DIN A4–Heft, bei dem die Seiten nur die untere Hälfte ausfüllen. In der oberen Hälfte stand mit 10 mm dicker Schrift das Wort „Student“. In der unteren Hälfte gab es viele Seiten. Auf jeder Seite stand der Name einer Stadt, die für mein Unterwegssein von Bedeutung war. Wenn ich nun an der Straße stand und ein Auto kommen sah, klappte ich das Helft auf – wodurch ich die Aufmerksamkeit auf mich lenken wollte –, und zwar die Seite mit dem Namen meines Zielortes. In einem aktiven Jahr bin ich so ca. 3000 km getrampt. Dabei ergaben sich manchmal interessante Gespräche. Einmal stand ich in der Nähe von Rastatt. Der Fahrer fragte: „Wie kommen Sie auf die Straße?“ Ich war zunächst verdutzt, stammelte dann eine Antwort. Dann: „Erzählen Sie etwas von der Zahl e!“ Ich hatte es mit einem Ingenieur zu tun, der mir beinahe so etwas wie eine Physik-Vorlesung hielt. Ich erfuhr eine Menge, von dem ich keine Ahnung hatte. Gegen 22 Uhr war ich in Waldshut (Nähe Rheinfall von Schaffhausen). Dort suchte ich vergebens eine Jugendherberge. Schließlich bekam ich von einem Bahnbeamten eine Adresse. Ich stieg die Treppe hinauf bis unters Dach. Es gab viele Liegen. Ein Mann wies mir ein Lager an. Am nächsten Morgen, als ich bezahlen wollte, lud er mich


26 zum Frühstück zu sich nach Hause ein. Dort erfuhr ich, dass ich in der Herberge zur Heimat geschlafen hatte, mitten unter den Tippelbrüdern. Er meinte: „Ich hab sofort gesehen, dass Sie nicht hierher gehören.“ Ein anderes Mal hielt ein Wagen. Der Fahrer fragte: „Können sie fahren?“ Ich hatte vor einigen Jahren den Führerschein gemacht, aber seitdem nicht mehr am Steuer gesessen. Aber mir blieb nichts anders übrig, als ihn abzulösen, denn er hatte bis in den Morgen gezecht und war fahrunfähig. So versuchte ich vorsichtig den Wagen von der Stelle zu bringen, während mein Nachbar schon sanft eingeschlafen war. So begann meine erste selbstständige Fahrt auf der Autobahn. Noch eine „Semesterarbeit“ Wenn ich in den Semesterferien nach Hause fahre, hat sich immer eine Menge Arbeit angesammelt. Nicht alles kann meine Schwester machen. So gibt es ein Bild, wo ich auf dem Dach unseres Hauses ohne die übliche Leiter gehe, um Dachziegel zu erneuern.

Vor Weihnachten haben meine Mutter und Schwester alle Hände voll zu tun: Der Wohnteil des Hauses muss sauber gemacht werden. Für mich ist das keine Beschäftigung. So langweile ich mich. Wie ich nun am Heiligabend in der frisch geputzten guten Stube auf und abgehe, wackeln die Gläser im Schrank. Die Balken unter dem Holzfußboden sind schon ca. 150 Jahre alt und morsch geworden. Schließlich kann ich es nicht mehr aushalten. Ich hole einen Bohrer und eine Stichsäge und säge an passender Stelle ein Loch in den Fußboden, um dort den Balken abzustützen. Wie ich gerade fertig bin, kommt meine Schwester und sieht die Bescherung, natürlich bloß die Sägespäne. Ich kann nur bedauern, für die Stabilisierung des Fußbodens gesorgt zu haben. Aber immerhin war ich noch vor dem Kirchgang fertig geworden. Und das bisschen Dreck lässt sich ja schnell wieder entfernen. Ein anderes Mal – an einem Silvestertag – stört mich die fast zusammengefallene Mauer unserer Viehhütte. Also beginne ich, die Mauer zu entfernen und wieder neu aufzumauern. Leider habe ich die Rechnung ohne den eingetrockneten Lehm gemacht. Die Mauer muss natürlich mit Lehm gemauert werden (anderen Mörtel können wir nicht bezahlen). Aber unser Lehmhaufen ist schon einige Jahrzehnte alt und ausgetrocknet. Das Auflösen des Lehms dauert. So bin ich nicht fertig, als die Nachbarn zum Kirchgang vorbeikommen und sich über meine Maurerarbeiten wundern. Eigentlich müsste das ja ein richtiger Handwerker machen. Heiraten In Münster habe ich es sowohl im Studium als auch besonders in der Studentengemeinde mit vielen Mädchen zu tun. Natürlich ist mir klar, dass ich vor Ende meines Studiums meine Frau fürs Leben gefunden haben muss. Aber ich finde sie nicht. Ich "suche" auch nicht, denn für mich ist es selbstverständlich, dass ich zuerst mein Examen haben und finanziell unabhängig sein muss. Ich kenne Studenten-Ehen und sehe die bedrängte Lage vor allem der Frau. Mögen diese Überlegungen und Einstellungen auch noch so wesentlich sein, wenn der richtige Partner kommt, spielen sie keine Rolle.


27 Es kommt doch anders Auf einer Freizeit liegt mir daran, der neuen Vertrauensstudentin in Bezug auf ihre zukünftige Arbeit Hinweise und Ratschläge zu geben. (Als Mitglied des Gemeinderates kenne ich das Leben in der Studentengemeinde.) Schließlich meint sie, können wir nicht auch mal über was anderes reden. Damit ist das Eis gebrochen. Seitdem "gehen wir miteinander", ohne dass so wie heute der Sex eine Rolle spielt. Wir wohnen zwar beide im Haus der Studentengemeinde und treffen uns mehrmals in der Woche irgendwo außerhalb der Stadt, aber niemand im Haus schöpft Verdacht, dass wir etwas "miteinander haben". Als das Semester zu Ende ist, klären wir die besten Freunde über den wahren Sachverhalt auf und amüsieren uns über das große Staunen. Obwohl „wir uns einig sind“, ändert sich unser Leben vorerst nicht. Wir kennen „Studentenfamilien“ und wollen nicht ein so schwieriges Leben führen, was meist von der Betreuung der Kinder bestimmt wird. Aber Gabriele verzichtet auf das Staatsexamen und macht die Prüfung für den Lehrerberuf an Realschulen. So kann sie - bis ich fertig bin - noch viele erfüllte Jahre als Lehrerin mit sehr erfreulichen Folgen erleben. Auch bei mir ergibt sich eine Änderung: Bei meinen Arbeiten in den Semesterferien erlebe ich ja immer wieder, dass der Beruf als Techniker für Physik oder Chemie mich nicht erfüllt. Andererseits mache ich die Erfahrung, dass das Beeinflussen junger Menschen mich packt. Außerdem habe ich gemerkt, dass ich inzwischen hochdeutsch denke und nicht mehr wie noch beim Abitur beim Hochdeutschsprechen vom Plattdeutschen ins Hochdeutsche übersetze. Also ändere ich nach dem Vordiplom in Physik mein Studienziel in Richtung Gymnasiallehrer für Mathematik und Physik. Die erste Stelle In NRW muss man seinerzeit für den Lehrberuf ein Schulpraktikum machen. Als ich mich um das Staatsexamen bemühe, wird dieses Praktikum von mir nicht verlangt, da ich aus Niedersachsen komme. Noch im Prüfungsanzug melde ich mich nach der Prüfung für dieses Praktikum und werde auf später vertröstet. Als ich zu Hause ankomme, finde ich ein Telegramm, dass ich sogleich nach den Ferien einen erkrankten Kollegen vertreten solle. Anfang Januar stehe ich so zum ersten Mal vor einer normalen Klasse. Hernach im Lehrerzimmer kommen immer wieder Kollegen auf mich zu und fragen, wie es denn gewesen sei. Schließlich will ich wissen, weshalb ich so gefragt werde. Da erfahre ich, dass vor mir schon jemand die Vertretung gehabt hat. Diesen hätten die Schüler mit aufgespanntem Regenschirm empfangen, so dass er keinen Unterricht machen konnte. Natürlich weiß ich nicht, wie ich mich in so einer Situation verhalten hätte. Wahrscheinlich hätte ich dem nächsten Schüler den Schirm abgenommen mit den Worten: „Wenn es gleich regnet, will ich trocken bleiben. Du kannst beim Nachbarn unterkriechen.“ Mit einer solchen Reaktion hätte sicherlich niemand gerechnet. Die folgenden Monate sind eine schöne Zeit. Ich lerne viel, mache mein Praktikum und erhalte auch noch Geld dafür.


28

Im Beruf Erstes Referendarjahr Als Referendar müssen wir ca. 12 Stunden bei älteren Lehrern hospitieren oder unter Aufsicht Stunden halten. Mir wird später in Vertretung eines erkrankten Kollegen der Unterricht in einer Klasse übertragen, wo ich wieder für alles verantwortlich bin. Besonders mein TutorLehrer ist mir ein Vorbild. Er kann die Aufgaben seiner Schüler Zeile für Zeile kontrollieren, denn er hat alle Aufgaben in einem Ordner, sie also schon vielfach gestellt. Ob er in seiner Laufbahn mal etwas Neues gemacht hat, weiß ich nicht. Aber er versteht es, die geometrische Behandlung der Kugelgeometrie so überzeugend darzustellen, dass ich in meiner Jahresarbeit den Bildungswert dieses Gebietes vertreten kann. Seither habe ich jedoch die Kugelgeometrie nicht ein einziges Mal mehr unterrichtet. Für mich heißt das, bereit sein, etwas Neues zu erarbeiten und als bedeutend einzuschätzen, dann aber ebenfalls bereit sein, auf die weitere Benutzung zu verzichten. Zur Schule fahre ich jeden Tag etwa 40 km mit der Bahn. An einem Tage komme ich zu spät zum Bahnhof. Also fahre ich die Strecke mit dem Fahrrad. Als ich pünktlich mit dem Klingeln in die Schule komme, empfängt mich der Chef mit den Worten: „Es wird aber Zeit jetzt!“ Meinen verschwitzten Zustand bemerkt er wohl nicht. Unser Oberrat, der Stellvertreter des Direktors, ist ein ausgezeichneter Redner. Seine Sätze veranlassen uns Referendare, mit der Uhr die jeweilige Länge zu messen und aufzupassen, ob er den Satz auch richtig zu Ende bringt. Er brachte. Seine Hauptaufgabe ist die Einteilung der Vertretungen. In der Regel machen wir Referendare den Vertretungsunterricht. Meistens wissen wir auch, wo wir einspringen müssen, denn oft vergisst er die Einteilung, so dass wir Referendare - auf uns allein gestellt - die Vertretungen organisieren. Er ist dann Direktor einer Schule geworden. Man kann schon was werden, nur reden muss man können. Ob die Schule mit ihm glücklich geworden ist, habe ich nicht erfahren. Zweites Referendarjahr Im zweiten Jahr bin ich in Bielefeld. Von Ostern bis nach Weihnachten reden wir nur von der „Arbeitsschule“ Kerschensteiners: die Kinder sollen selbständig handeln und dabei lernen. Etwa acht Wochen vor dem Examen meint unser Boss, was wir jetzt gelernt hätten, könnten wir vielleicht ein oder zweimal in unserer Lehrerpraxis anwenden. Begeistert hat mich diese Art der Ausbildung nicht. Sicherlich ist auch für mich was hängen geblieben. Aber meine pädagogischen Erfahrungen bei den Studenten im Physikpraktikum waren sicherlich tiefgreifender. Allerdings bleibt noch etwas anderes in Erinnerung: Der Boss erzählt von seiner Erfahrung im Schullandheim: In der Mittagspause liest er in seinem Zimmer, als er es im Türschloss rascheln hört. Die Tür ist zu. Draußen kichern seine Schüler. Aufspringen, zur Tür rennen, umdrehen, die Tür zerbrechen, auf dem Flur stehen und die überraschten Gesichter der Schüler sehen geht in Sekundenbruchteilen. Moral von der Geschicht: lasse keine Schlüssel stecken. - Dies befolge ich noch heute. Assessor in Hamm In Hamm beginnt meine Dienstzeit als Studienrat z.A. am altsprachlichen Gymnasium, einzügig mit 225 Schülern und Schülerinnen. Das erste Mal, dass ich auch Mädchen in der Klasse habe. Die Schule ist überschaubar, der Chef eine Respektsperson. Zu Ende jeder Pause steht er im Pausenhof und lässt die Schüler an sich vorbei in die Klassen gehen. Zugleich erscheinen die Lehrer aus dem Lehrerzimmer. Sobald der letzte Schüler in der Klasse verschwunden ist, kommt auch der Lehrer zur Tür herein. Ich werde gleich zum Direktor zitiert, der mir erklärt, dass ich Residenzpflicht habe und also in Hamm wohnen muss. Dafür bekomme ich Trennungsgeld, das ich sofort zu beantragen habe. Ich muss nachweisen, dass ich 235 DM Unkosten habe. Er schreibt auch gleich einen


29 Zettel mit den einzelnen Ausgaben. Einige Monate später in den Ferien erhalte ich von ihm einen Brief. Mein Antrag ist zurückgekommen, da ich noch die 15 DM „Rest“ aufschlüsseln muss. Mein Chef hat auch gleich ein Zettelchen beigelegt mit seinen Vorschlägen für die 15 DM. Ich hätte es nie gewagt, die betr. Angaben so zu machen. Ich habe in allen Klassen von 5 bis 10 Mathematik, aber keine Physik. Die noch offenen Stunden werde ich für Spielturnen eingeteilt. Dass ich nie in meinem Leben Sport betrieben habe, beeindruckt ihn nicht. Ihm ist wichtig, dass ich nicht noch an einer anderen Schule unterrichten muss. Irgendwann bemerkt er zu mir: „Eigentlich müsste ich Sie im Unterricht besuchen. Aber ich finde das nicht nötig, denn meine Frau hatte Kaffeekränzchen, wo auch über die Lehrer der Schule gesprochen wurde. Ich weiß genau, was bei Ihnen in den Klassen los ist.“ Einestages kommt er doch in meinen Unterricht, bittet mich nach hinten und flüstert mir ins Ohr: „Frau Dr. X hat sich für Ihre Sprechstunde angemeldet. Damit Sie Bescheid wissen.“ Dann verschwindet er wieder. Frau Dr. X ist in der Lehrerschaft gefürchtet. Sie versucht die Lehrer zu Gunsten ihrer beiden Töchter zu beeinflussen. Beide sind auch in Mathematik sehr schwach. Das Gespräch verläuft etwa folgendermaßen: „Ich weiß, dass meine Älteste in Mathematik eine 5 verdient hat. Aber dann bleibt sie sitzen und kommt in die Klasse ihrer Schwester. Das geht aber nicht, da die beiden sich nicht ausstehen können. Also müsste die jüngere auch sitzen bleiben. Das geht aber nicht, denn sie würde dann sagen, ich bleibe nur sitzen, weil meine Schwester sitzen geblieben ist. Also müssen beide versetzt werden und also ein ausreichend bekommen.“ Sie bekamen beide, was sie verdient hatten, je eine 5 in Mathe. - Welcher Direktor kommt in den Unterricht eines Kollegen, um ihm mitzuteilen, dass ihm ein unangenehmes Gespräch bevorsteht? Als ich am Ende des zweiten Jahres zum Studienrat auf Lebenszeit an einem Gymnasium in Gütersloh gewählt werde, verlangt er, dass ich meine drei Jahre in Hamm bleiben muss. Ich kann es ihm nicht übel nehmen, denn er sorgt für seine Schule, für Schüler und für Lehrer. (Bei meinem Weggang hätte er keinen Ersatz für mich bekommen). 15 Jahre später habe ich ihn noch einmal besucht und ihm meinen Respekt zum Ausdruck gebracht. Disziplinschwierigkeiten gibt es nicht. Zu Beginn eines Schuljahres besucht mich ein Vater und erklärt: „Mein Sohn benötigt von Zeit zu Zeit eine Ohrfeige. Ich war früher genau wie er, sehr unruhig und unkonzentriert.“ Der Vater sieht seinen Sohn zwar richtig. Nur Ohrfeigen sind damals auch schon verboten. Wolfgang saß in der ersten Reihe. Als er wieder einmal nicht ruhig sitzen kann, nehme ich mit einem ruhigen freundlichen Ton seinen scheinbar überflüssigen Stuhl und bitte ihn, sich wieder normal am Tisch zu „setzen“. Wolfgang macht also Kniebeuge und wird immer ruhiger. Später bekommt er dann seinen Stuhl wieder. An anderen Tagen brauche ich nur noch fragen, ob der Stuhl überflüssig sei. Schülersport Zu allen Zeiten haben Schüler es als Sport verstanden, wenn sie sich mit den Kenntnissen ihrer Nachbarn aus der Not helfen. Die unteren Klassen haben in der Regel (1960) mehr als vierzig Schüler. Bei einer Klassenarbeit passe ich auf, dass jeder sich mit seinen eigenen Kenntnissen bemüht. Und trotzdem passiert es in einer Klassenarbeit, dass gleich vier Schüler den gleichen Rechenfehler in einer Aufgabe haben. Es handelt sich nicht um gravierende Lücken, sondern um die Art „3 mal 3 = 6“. Besonders beachtenswert finde ich, dass die vier an den Ecken des Klassenblocks sitzen. Sie müssen also auch noch Helfer haben. Wie kann das geschehen, da ich doch so gut aufpasse. Ich kann mir weder erklären, wie sie diese Mogelei fertig gebracht haben, noch, wer von wem abgeschrieben hat. Die Besprechung der Aufgaben versuche ich in einer hetzigen Atmosphäre durchzuführen. Kaum hat der erste eine Aufgabe an die Tafel geschrieben, kommt schon einer der Verdächtigen mit der betr. Aufgabe dran. Er macht den erwarteten Fehler. Ohne Kommentar folgt ein anderer mit einer neuen Aufgabe. Als vierter schreibt der zweite Mogler die betr.


30 Aufgabe flott an die Tafel - mit dem Fehler. Auch mit Nummer drei gelingt mir das Experiment. Als schließlich der vierte die betr. Aufgabe anschreiben soll, murrt die Klasse: "Die Aufgabe hatten wir schon." Mit entsprechendem Druck kann er die Aufgabe noch anschreiben. An der Stelle, wo der Fehler ist, stockt er und meint, er müsse mal nachdenken. Ich bin überzeugt, dass niemand abgeschrieben hat. Ich hab mich lediglich an ein eigenes Erlebnis erinnert, das ich selbst in der fünften Klasse hatte: Nach einer Klassenarbeit rechne ich meinen Kameraden eine Aufgabe vor, bis plötzlich alle anfangen zu lachen: – wie in der Arbeit zuvor – habe ich „7 mal 7 = 14“ geschrieben. Wie aber vier Schüler bei derselben Aufgabe denselben Fehler machen konnten, bleibt mir ein Geheimnis.


31

Auf Lebenszeit

in Gütersloh

Enttäuschung In Gütersloh werde ich zum Studienrat auf Lebenszeit ernannt. Die Anstellung beginnt mit einer Enttäuschung: Ich erhalte die Aufforderung, aus dem Landesdienst auszuscheiden. Das Stiftische Gymnasium ist eine Institution der Kirche, ich werde also Beamter der Kirche. Nun, eine Alternative gibt es nicht. Viel schlimmer empfinde ich eine Bemerkung in meiner Anstellungsurkunde: „Wenn er die Schule verlassen will, muss er dies ein halbes Jahr vorher anzeigen.“ Wieso kann man davon ausgehen, dass ich evtl. die Schule verlassen will? Meine Anstellung auf Lebenszeit bedeutet für mich, dass ich an dieser Schule als Studienrat pensioniert werde. – Ich habe keine Ahnung von Verträgen und auch nicht von dem, was das Leben so mit sich bringt. Vektorrechnung Meine Lehrjahre in Hamm, wo ich dreimal den Stoff der Klassen 5 bis 10 durchgearbeitet habe, kommen mir zustatten. Ich kann mich ganz auf die Physik und die Oberstufe konzentrieren. Aus Zeitschriften lerne ich, dass die Vektorrechnung auch für die Schule immer bedeutungsvoller wird. Nur gibt es (noch) keine Lehrbücher dafür. Im Studium, das ja schon weit in der Vergangenheit liegt, hatte ich zwar eine Vorlesung über Vektorrechnung gehört, aber nicht viel verstanden. Vektoren kenne ich vor allem aus der Physik. Ich entwickele also ein eigenes Unterrichtskonzept, in dem ich den Vektor als Pfeil einführe, zahlenmäßige Darstellungen ergeben sich von selbst. Für die Schüler erstelle ich handschriftlich Zusammenfassungen, in denen die Vektoren mit entsprechenden Farben dargestellt werden. Für die Vervielfältigungen benutze ich ein Vervielfältigungsgerät auf Spiritus-Basis. Da im Lehrplan die Vektorrechnung nicht vorkommt, muss ich für die Abituraufgabe in analytischer Geometrie eine eigene vektorielle Aufgabe entwickeln. Dabei geht es um Fragestellungen, für die die Vektorrechnung nicht geeignet ist. In späteren Jahren wird die Vektorrechnung Pflicht und die Aufgaben dem Gebiet der Vektorrechnung selbst entnommen. Physik In der Technik bekommt der Transistor immer größere Bedeutung. Ich schreibe an die Firma Valvo um Anschauungsexemplare und erhalte eine Schachtel voll Transistoren, die zu meinem Erstaunen alle brauchbar sind. Vielleicht haben sie nicht die vorgeschriebenen Sollwerte. Für Versuche in der Physik sind sie gut geeignet. Für meine Schülerübungen in Arbeitsgemeinschaften der Physik entwickele ich Schalttafeln, mit denen alle einschlägigen Versuche gemacht werden können. Später kann man ähnliche bei den Firmen kaufen. Ein Freund – nein Ich bin nun an „meiner“ Schule. Da mache ich mir auch Gedanken darüber, mit wem ich freundschaftliche Beziehungen aufnehmen könne. Bei einem einzigen Kollegen kann ich mir das vorstellen. Erwartungsvoll fahren meine Frau und ich zu einem Abendbesuch. Die Atmosphäre ist ausgezeichnet, bis mein Kollege erklärt, er werde im nächsten Jahr als Auslandslehrer nach Kolumbien gehen. Mit „gutem Freund“ ist also nichts. Diese Enttäuschung sollte Folgen haben. Wo die Frau hingeht Mir gefällt es gut in Gütersloh. Auch bin ich inzwischen verheiratet. Die Planungen für den Bau eines Hauses werden überlagert von den Sehnsüchten meiner Frau, noch etwas anderes kennen zu lernen. Seit den Zwillingen ist sie aus dem Schuldienst ausgeschieden. Teilzeitarbeit kennt man noch nicht in Deutschland. Entweder ganz oder gar nicht. Dem Auslandsschuldienst stehe ich ablehnend gegenüber, obwohl ich mehrfach damit in


32 Berührung gekommen bin, sowohl in Hamm als auch in Gütersloh: Die „eigene“ Schule lässt man nicht im Stich. Mein Berliner Freund strebt in den Kirchenschuldienst nach Tansania. Wir haben kurz zuvor erlebt, wie ein Missionar nach seiner Rückkehr aus Thailand von seiner Kirche gezwungen wurde, das Studium nachzuholen, damit er eine hiesige Pfarrstelle übernehmen könne. Ich war empört wie die Kirche ihre Missionare behandelt. Ich versuche, meinen Freund von seinem Plan abzubringen. Mit Erfolg: So geht er nach Istanbul in den Auslandsschuldienst, der vom Auswärtigen Amt betreut wird, so dass die Versorgung besser ist. Von meiner Frau bekommt er den Auftrag, „schöne“ Briefe zu schreiben, damit ich bereit werde, es ihm gleichzutun. Irgendwann sehe ich ein, dass meine Frau mit dem „nur Mutter sein“ nicht zufrieden ist. Nach einer Wartezeit darf ich auch nach Istanbul ans ´Alman Lisesi´ gehen. Weisheit der Behörde Für mich bekommt nun die Kündigungsklausel eine Bedeutung: Für die Beurlaubung in den Auslandsdienst muss ich wieder in den Landesdienst übernommen werden. Die Übernahme ist kein Problem, aber der Unterrichtsort: Das Schuljahr beginnt am 1. April eines Jahres. Also muss ich zu diesem Termin an eine andere Schule, die ich dann am 1. Juni wieder verlasse, weil in Istanbul das neue Schuljahr im August beginnt. Was soll eine Schule mit einem fremden Lehrer für 8 Wochen anfangen? Ich fahre zur Schulverwaltung und frage, wie viel neue Mathematiklehrer mein Gymnasium für die vier ausscheidenden Mathe-Lehrer bekommt: Es sind zwei. Die Anzahl der in Ausbildung befindlichen Mathe-Referendare kann der Leitende Chef innerhalb von 30 Minuten nicht feststellen lassen. Da bin ich dann lieber zu einem Sachbearbeiter gegangen, um zu beantragen, bis zuletzt an meiner alten Schule bleiben zu dürfen, wo ich die Schüler kenne und sinnvollen Unterricht machen kann. Der erste Gesprächspartner sieht das auch sofort ein. Aber er ist für die Lehrer-Versetzung nicht zuständig und begleitet mich zu seinem Kollegen. Meinen Antrag lehnt der glatt ab. Zum Glück läutet das Telefon vor meiner Verabschiedung. Nach dem Gespräch wiederholt sein Kollege noch einmal meine Argumente, auch ohne Erfolg. Aber wieder rettet das Telefon. Dann fange ich wieder an und werde wieder vom Telefon unterbrochen. Wie oft das so ging, weiß ich nicht mehr. Schließlich kann sich der Mann uns wieder zuwenden und meint: "Dass Sie für so eine kurze Zeit an eine andere Schule gehen, ist totaler Unsinn. Sie müssen im neuen Schuljahr an Ihrer alten Schule bleiben, bis Sie ausscheiden." - Da sag einer, das Telefon sei kein nützliches Ding.


33

In Istanbul Alman Lisesi 1966 beginnt meine Lehrtätigkeit am Alman Lisesi, der deutschen Schule in Istanbul, die 1868 gegründet worden ist. Damals als Schule für alle deutschsprechenden Kinder in der Stadt. Inzwischen – nach zwei Kriegen – liegt das Schwergewicht auf der Ausbildung türkischer Schüler. Von Jahrgang 6 bis 12 gibt es jeweils drei Parallel-Klassen mit 30 türkischen Schülern. In einer vierten Parallel-Klasse werden die deutschen Schüler und deutsch sprechende Schüler anderer Nationalität unterrichtet. Die türkischen Schüler kommen nach ihrer fünfjährigen Grundschule an die deutsche Schule, wo sie von deutschen Lehrern ein Jahr Deutsch lernen und beginnen dann in der Klasse 6, wo sie überwiegend von deutschen Lehrern in den üblichen Fächern unterrichtet werden. Damals machen alle Schüler das deutsche Abitur. (Die Abituraufgaben in Mathematik kann ich später in Deutschland nicht mehr stellen, für deutsche Verhältnisse sind sie zu schwer). Oft stelle ich in den höheren Klassen die Frage, weshalb die Schüler die Tortur der hohen Anforderungen in dieser Schule mitmachen. Die Antwort ist immer wieder gleich: „Hier lerne ich Englisch. Wenn ich mich mit dem Abgangszeugnis der deutschen Schule bewerbe, erhalte ich nicht nur die Stelle, sondern auch sogleich 30% mehr Gehalt.“ Dass sie auch Deutsch lernen und zwar fließend, hat keiner erwähnt. Das war ihnen wohl zu selbstverständlich. Wir unterhielten uns ja auf Deutsch. Mir selbst passiert in einer Klasse 10, dass ich einen Schüler frage, aus welcher deutschen Stadt er käme. Bei der Frage ist mir nicht bewusst, dass in der Klasse nur Türken sitzen, die die Türkei noch nie verlassen haben. Aber an ihrem Sprechen merke ich nicht, dass es keine deutschen Menschen sind. Ein türkisches Mädchen schreibt, dass sie sich gegen den Willen ihrer Eltern durchgesetzt habe, auf die deutsche Schule zu gehen. Personalrat – nein Das Lehrerleben im Ausland ist geprägt von der Begrenzung auf fünf Jahre Dienst. Länger kann ein deutscher Beamter nicht beurlaubt werden. Meine Kritik an meinem Stundenplan hat zur Folge, dass ich im zweiten Jahr in der Stundenplankommission mitarbeiten muss. Später übernehme ich die Betreuung der Physiksammlung. Zusätzlich bin ich verantwortlich für die Verteilung der Geldmittel aus Deutschland und die Beschaffung der Lehrmittel. Als Neuerung führe ich ein, dass nur die Fachschaft Geld zugeteilt bekommt, die vorher begründete Forderungen gestellt hat. So wird niemand gezwungen, Geld unnötig auszugeben, um seinen Etat voll zu verwenden. Die Physiksammlung ist hervorragend ausgestattet. Dem Drängen meines Direktors, einen Lerncomputer für die Schule zu kaufen, gebe ich nicht nach. Ich bin der Meinung, die Schüler haben schon genug zu lernen. Da ist für neuen Kram keine Zeit. Zu Beginn eines neuen Schuljahres werde ich - für mich völlig überraschend - für den Personalrat vorgeschlagen. Ich habe vorher erlebt, welche schwierigen Aufgaben dieser zu leisten hat und lehne spontan ab mit der Begründung, ich sei dafür nicht befähigt. Leider wagt dann niemand mehr, sich zur Wahl stellen zu lassen. Beförderungen In Gütersloh habe ich erlebt, welchen Ärger eine Beförderung mit sich bringt. In NRW war inzwischen die Regelbeförderung zum Oberstudienrat nach sechs Dienstjahren eingeführt worden. Wohl gedacht als Lohnerhöhung für die Lehrer, ohne dass man allen Beamten mehr zahlen muss. Als während einer Sportveranstaltung auf dem Gelände der Botschaft der Kulturattachè mir die Nachricht meiner Beförderung überbringt, während ich mich gerade um technische Probleme der Lautsprecheranlage kümmere, meine ich nur, das sei eine Alterserscheinung. Damit habe ich einen Freund weniger.


34 Als der Direktor-Stellvertreter nach Deutschland zurück muss, bittet der Direktor mich, dessen Nachfolger zu werden. Auch dieser Aufgabe fühle ich mich nicht gewachsen und lehne ab. Schließlich übernimmt ein Kollege das Amt. Da wir gut befreundet sind, verbringe ich fortan nachmittags manche Stunde am Telefon, um mit ihm die Schulprobleme zu erörtern. Im Laufe der Zeit sehe ich ein, dass ich an der Schulverwaltung mitarbeiten kann. Als dann am Ende des Jahres ein zweiter Stellvertreter gesucht wird, bin ich endlich bereit, dies Amt zu übernehmen. Hernach habe ich es nicht bereut, da ich hin und wieder Gelegenheit hatte, eine Ungerechtigkeit vermeiden zu helfen. Anfang der siebziger Jahre erkennt man in NRW, dass durch die Regelbeförderung zum Oberstudienrat keine Möglichkeit mehr besteht, verdiente Lehrer zu befördern. So wird die unbenutzte Stufe A15 im Beamtengesetz, der Studiendirektor, als Beförderungsstufe aktiviert. Davon sollen auch die Lehrer im Ausland profitieren. Einestages teilt mir mein Direktor mit, ich sei vom Land für diese Beförderung vorgeschlagen worden und solle mich bewerben. Meine erste Reaktion ist, ich habe nichts dagegen, wenn ich das werden soll, aber hinterherlaufen und bewerben tue ich nicht. Befördert werde ich (ob ich mich doch noch beworben habe oder so ernannt worden bin, weiß ich nicht mehr). Infolge mehrerer außergewöhnlichen Verlängerungen geht mein Aufenthalt im Ausland erst nach acht Jahren zu Ende. Ich war zwar am Anfang dagegen, ins Ausland zu gehen. Im Nachhinein muss ich feststellen, dass diese Zeit für mich der Gipfel meines Lebens war. Ich trat aus der Enge meines Denkens heraus. Ich lernte andere Menschen, andere Lebensweisen und andere Länder kennen. Ich lernte, dass jede Medaille mindestens fünf Seiten hat. Jedes Problem hat immer noch eine andere Lösung. Meine Lösung muss nicht die beste sein. Es lohnt sich, nach anderen und besseren Lösungen Ausschau zu halten. Ich musste erkennen, dass viele Freunde in erster Linie sich selbst und ihre Vorteile sehen, es gibt aber auch Menschen, die bereit sind, einem anderen helfen zu können. Sie wirken im Verborgenen und erfahren selten Dankbarkeit oder Anerkennung. Oft werden sie von Ellbogen der anderen zur Seite gedrückt. Für mich war es eine große Genugtuung, wenn ich den stillen Arbeitern ihr Leben erleichtern konnte – ohne großes Aufheben aber auf Kosten der Kollegen mit Ellbogen. Reisen Der Unterricht in Istanbul ist hart, sowohl für Schüler als auch für Lehrer. Die Schüler haben 12 deutsche und 6 türkische Fächer. In jedem Fach müssen sechs Arbeiten geschrieben werden, also über 100 im Schuljahr, das 150 bis 160 Schultage umfasst. Die Arbeiten sollen auch noch vorbereitet werden. Als Entschädigung lockt das Land: Anatolien. Ich bin in allen Ferien und freien Tagen im Land unterwegs. Anfangs gibt es nur wenige feste Straßen. Die meisten Straßen sind Sandoder Schotterpisten, auf denen man tunlichst großen Abstand von seinem Vordermann hält, denn die Frontscheiben sind dem Bewurf mit aufgewirbelten Steinen nicht gewachsen. Die Reifen müssen nach einem Jahr erneuert werden. Manchmal wird das Auto von seinem eigenen Staub überholt. Bei Temperaturen um 30 Grad werden die Fenster immer wieder rauf und runter gekurbelt. Entfernungen werden nicht in Kilometer gemessen, sondern in Stunden. Bis zur ersten vernünftigen Übernachtungsmöglichkeit sind es ca. fünf Stunden. Die Hotels, besser Otels, kann man nicht mit denen von heute vergleichen. In einem Hotel geht unser Weg immer zuerst ins Bad: Dusche oder Badewanne gibt es immer, allerdings nur selten Wasser. Im Osten haben wir im ersten Stock in einem großen Zimmer zusammen mit 30 anderen Gästen geschlafen. Wände gab es nicht. Die Toilette war unten. Zum Glück gab es nur die orientalische Art, d.h. zwei Erhöhungen und ein Loch dazwischen. So brauchte man sich nicht hinsetzen, sondern nur Hinhocken. Links und rechts ragten die Erhöhungen für die Füße aus einer bräunlichen Brühe hervor, die man dann nur noch etwas vermehrte. Eine Reise beginnt in Istanbul in der Regel morgens um 6.30 Uhr, damit wir um 7 Uhr auf der Fähre sind. Wir müssen immer per Schiff über den Bosporus. Die erste Brücke wurde erst


35 1972/73 gebaut. Auf einer Weihnachtsfahrt halte ich einmal gegen 16 Uhr vor einem Hotel, zum nächsten sind es noch ca. 4 Stunden Fahrt. Aber in einer halben Stunde würde es dunkel sein und bei Dunkelheit fährt man nicht. Die Kinder hinten im Wagen sind nicht bereit auszusteigen, sie wollen weiterfahren. Die neun Stunden hinten im Auto sind ihnen noch nicht genug. Bolu im Schnee Es wird Weihnachten; die Reisegruppe steht: Niemand fährt allein. Für alle Fälle möchte man noch einen Ersatzwagen bereithaben. Die letzte Besprechung findet am Vorabend bei uns statt. Da kommt die Meldung: Der Bolu-Pass ist durch Schnee verstopft. Bis zu diesem Nadelöhr sind es ca. 300 km. Aber wir müssen dort hindurch. Niemand hat eine erfolgversprechende Lösung des Problems. Da hilft nur: Hinfahren und anschauen, es sind nur drei bis vier Stunden. Man kann auch sagen: Bangemachen gilt nicht. (Wir sind gut durchgekommen).

Meine Fahrten in der Türkei:


36

In Minden Normaler Lehrer Die Verwaltungsarbeit in Istanbul habe ich gerne gemacht. In Minden will ich aber wieder normaler Lehrer sein. Unterrichten ist immer noch meine Hauptaufgabe. Ich vermeide es, von meinen Erfahrungen im Ausland zu schwärmen. Ich will niemanden verletzen oder lästig werden mit Besserwissen. Im Laufe der Jahre habe ich noch zweimal die Vektorrechnung auf neue Art eingeführt. Zunächst ging ich von den Gesetzen der Zahlen aus und zeigte auf, welche Folgerungen sich ergeben, wenn man die Voraussetzungen und Definitionen ändert. Das gipfelte einmal in der Kritik eines Schülers, wir sollten doch nun endlich zur Vektorrechnung kommen und die Betrachtung der Definitionen und ihrer Folgerungen abschließen. Die Überraschung war groß, als die Schüler erkannten, dass sie bereits alle Gesetze der Vektorrechnung gelernt hatten, nur noch nicht den Namen. Ein anderes Mal ging ich von einem konkreten Modell aus, dem `Kuchenbacken mit ca. 7 bis 9 Zutaten´. Wenn man die Zutaten als Elemente eines Vektors betrachtet, ergeben sich alle Gesetze der Vektorrechnung. Vor allem hatte ich sogleich den 9-dimensionalen Raum eingeführt, ohne diesen ominösen Begriff zu benutzen. Verwaltung Da ich bereits als Studiendirektor nach Minden komme, blockiere ich die Beförderung eines Kollegen. Dadurch wird die Stelle des Verwaltungsmannes frei. Aus dem Kollegium steht kein geeigneter Bewerber zur Verfügung. So muss ich doch wieder meine alte Tätigkeit aufnehmen. Diesmal allerdings mit etwas Stundenermäßigung. Verbunden damit ist auch die Erstellung des Stundenplanes. In Minden wird allerdings schon das „Gelsenkirchener Programm“ benutzt: Alle Bedingungen müssen als Zahlencode angegeben werden. Im Rechenzentrum in Düsseldorf erfolgt dann die Eingabe und Durchführung der Erstellung mit dem dortigen Computer. Sehr erschwert wird die Lösung durch die Einführung der differenzierten Oberstufe. Das Programm stellt immer wieder fest, dass die Bedingungen zu keiner Lösung führen können. Ich umgehe dieses Problem dadurch, dass ich vorweg den Plan der Oberstufe selber erstelle. Wang-Computer Als ich nach Minden komme, vertrete ich die Meinung, der Computer sei kein Lehr- oder Lernobjekt in der Schule. Die Kinder haben genug zu lernen. Der an der Schule vorhandene Computer der Firma Wang interessiert mich nicht. Eine Unterhaltung von Mathematikern über die Frage, wie bei Zufallszahlen die Häufigkeit von Zahlenkombinationen verteilt ist, veranlasst mich, die Bedienung des Computers zu lernen. Bei der Erstellung des Programms für die Lösung erkenne ich, dass das Programmieren mehrschichtiges Denken erfordert und fördert, wie es z.B. auch Lateinübersetzungen tun. Beim Programmieren muss zum einen die gegebene Aufgabe in eine Abfolge von Arbeitsaufträgen umgedacht werden, wozu auch die geschickte Wahl der Organisation der zu speichernden Daten gehört. Dann muss der Programmtext entworfen und zugleich aber auch die Reaktion des Computers gedacht werden. So bemühe ich mich mit Unterstützung eines Schülers, um die Beherrschung des Computers und traktiere auch meine Schüler damit. Der Schüler, ein Kollege und ich fahren immer wieder nach Bonn, um dort am Nachmittag an Fortbildungen teilzunehmen. Natürlich kann das nicht während des Schulunterrichts geschehen, und die Fahrtkosten sind sowieso unsere Sache. Immerhin lerne ich die Vorteile der höheren Programmiersprache „Algol“ und die Beschränktheit der Sprache „Basic“ kennen. Unser Wang-Computer erhält eine Speichererweiterung auf das Dreifache, ganze 1800 Byte, und kann dann mit einer Algol nach-


37 geahmten Sprache programmiert werden (heute ist ein Speicher von 4 000 000 000 Byte) im Computer normal. Die zuständige Wang-Maschinensprache beherrsche ich. Die neue höhere Sprache macht mir große Schwierigkeiten. Aber mein Schüler tröstet mich: „Lassen Sie man, Herr Jacobs, das lernen Sie auch noch!“ Auf der Hannover-Messe staunen die Vertreter der Firma Wang, was wir mit dem kleinen Computer anstellen können. Ein Fachmann tröstet mich aber mit den Worten: „So gern Sie es auch wollen, die Sprache PASCAL wird es nie auf Tischcomputern geben, dafür ist sie zu mächtig.“

Wang-Programm

Eck-Zahlen für Vektoren

Unsere Bemühungen sind nicht geheim geblieben, so kann Ende der siebziger Jahre mit Unterstützung des Schulkollegiums in Münster und unseres Lehrerkollegiums die Summe von 40 000 DM für die Schule ausgegeben werden. Nun heißt die Frage, welche Computer kaufen wir? Apple-Computer Zu dritt fahren wir nach Hannover, um uns dort bei den Firmen sachkundig zu machen. Drei Geräte kommen in die engere Wahl. Wir entscheiden uns wegen der Robustheit für APPLE. Damit haben wir richtig gewählt, denn diese Firma gibt es heute noch, die anderen nicht. Zugleich fällt uns noch etwas Entscheidendes in den Schoß: Der APPLE II beherrscht die Sprache PASCAL. Die Meinung des Fachmanns ist schon nach einem Jahr widerlegt: Im Rahmen der Informatik sollte man keine Prognosen wagen.


38 Für die Oberstufe können mein Kollege und ich nun regelrechte Kurse anbieten, für die differenzierte Mittelstufe freiwillige Kurse. In der Zeitung veröffentliche ich Artikel für die Eltern, um deutlich zu machen, dass der Computer bei uns nicht zum Spielen, sondern für die Schulung des Denkens der Schüler benutzt wird. Interessierte Schüler dürfen (mit meiner Genehmigung) in den Pausen ohne Aufsicht in den Computerraum und dort ihre Programme ausprobieren und fortentwickeln. Natürlich tauche ich unregelmäßig auf, ich muss dort ja auch meinen Unterricht vorbereiten und zugleich am Computer weiterlernen. Als ich mich eines Tages an einen Computer setzte, merke ich eine ungewöhnliche Spannung bei den anwesenden Schülern an den anderen Computern. Nach dem Einschalten erscheint auf meinem Bildschirm der Satz: „Pilkuhn war hier.“ Alle warten auf meine „Explosion“. Diesmal vergebens, denn mir ist sofort klar, wer in der Lage sein kann, eine solche Manipulation des Betriebsprogramms durchzuführen. Von diesem Schüler lass ich mir erklären, was er gemacht hat. Ich nutze dieses neue Wissen sofort, um das schwer verständliche Betriebsprogramm so abzuändern, dass es für Schüler verständlicher und handhabbarer wird. Ich gebe diese Änderung dann an viele mir inzwischen bekannte Kollegen an anderen Schulen im Lande weiter. Von den Kollegen an meiner Schule unterstützen uns nur sehr wenige. Die meisten sehen die Beschäftigung mit dem Computer als Spielerei an, von einigen werden wir sogar angegriffen. Ein Kollege macht mir mal große Vorwürfe, am Computer würden die Schüler vereinsamen und die sozialen Bindungen verlieren, sie würden nur noch die Maschine kennen. Ich empfehle ihm, doch mal in einer Pause in den Computerraum zu gehen und zu beobachten. Nach einigen Tagen sagt er zu mir, er sei in dem Computerraum gewesen und müsse sich entschuldigen. Der von ihm kritisierte Schüler würde dort kaum am Computer sitzen, denn er müsse ständig von einem Mitschüler zum anderen rennen um zu helfen (also keine soziale Vereinsamung). Es liegt uns auch daran, dass andere Kollegen nicht die gleichen Schwierigkeiten haben sollen wie wir, deshalb halten wir jahrelang Fortbildungskurse für Lehrer ab. Auch in der VHS gebe ich längere Zeit Kurse. Anfang der Achtziger Jahre gibt es noch keine Schulbücher für Informatik. Alles was die Schüler lernen sollen, müssen mein Kollege und ich uns erst selber erarbeiten. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir uns gegenseitig im Unterricht besuchen und hinterher diskutieren, wie wir was besser machen müssen. Unser Hauptanliegen ist das strukturierte Denken. Im Unterricht in einer Klasse oder einem Kurs legen wir bereits in der ersten Stunde dafür den Grundstein durch die Einführung und das konsequente Benutzen des Funktionsbegriffs. Für die Schüler erstellen wir nach jeder Stunde ein Stundenprotokoll zum Verteilen. Schließlich wird daraus ein Lehrbuch, das vom Klett-Verlag auch 2001 (also nach fast 20 Jahren) noch angeboten wird (obwohl es seit langem veraltet ist). IBM-Computer Mitte der Achtziger vertrete ich im März die Meinung, der Apple ist für den Gebrauch im Unterricht völlig ausreichend. Im Mai kauft eine andere Schule in Minden IBM-Rechner und ich muss meine Meinung ändern. Wir wollen ja die führende Schule in Bezug auf Informatik bleiben, also müssen auch wir IBM-Computer haben. In dieser Branche gibt es keine Meinung, die länger gültig bleibt. Wir merken erst sehr spät, dass wir damals zufällig mit Apple die richtige Wahl getroffen haben. Kein anderer Computer hat solange seine Brauchbarkeit beibehalten. Programme Als wir 1980 auf normalem DIN A4 Papier und nicht mehr nur auf einem 6 cm breiten Streifen drucken können, ist das erste Programm, das ich für den Gebrauch in der Schule anfertige, das Drucken von Klassenlisten. Am Anfang eines jeden Schuljahres ist die


39 Sekretärin innerhalb von wenigen Wochen zweimal tagelang beschäftigt, für jede Klasse die Schülerlisten zu schreiben. Das macht die Maschine so nebenbei. Als nächstes kommt der Stundenplan dran. Ohne große Erfahrung in Bezug auf die Erstellung von komplizierten Programmen beginne ich, für jeden Verwaltungsbereich in der Schule geeignete Programme zu machen. Schließlich sind es etwa ein Dutzend. Das Schülerlistenprogramm wird an einigen Schulen noch bis 2000 benutzt. Vertreter Als nach einigen Jahren der Direktorstellvertreter ins Ausland geht, sehe ich mich wieder einer Entscheidung gegenüber: Ich will nicht schon wieder Stellvertreter sein, mir genügt die Organisation des Schulbetriebes. Aber ob ich mit dem zukünftigen Stellvertreter in Frieden zusammen arbeiten kann, ist für mich eine große Frage. So bewerbe ich mich doch um die Stelle und werde die letzten 13 Dienstjahre noch offizieller Vertreter des Direktors. Zurückschauend darf ich sagen, dass ich ein erfülltes und zufriedenes Arbeitsleben hatte. Eine Tochter brachte es auf die kurze Formel: „Du hast immer nur dein Hobby gemacht.“ Wie man sich täuschen kann Gegen Ende der 80-Jahre sitzen der Direktor und ich beim Kaffee. Da es keine Schulprobleme zu diskutieren gibt, antworte ich auf eine entsprechende Frage: Mein Leben ist durch einen 8Jahres-Rhythmus gekennzeichnet. Die ersten 8 Jahre bestimmen meine Lehrzeit als Lehrer. Dann folgen 8 Jahre in Istanbul. Das war sozusagen der Gipfel meines Lebens: Immer aufs neue gab es Probleme in der Schule und im praktischen Leben. In jeder freien Zeit war ich im Lande unterwegs, um die archäologischen Spuren zu finden und zu sehen. Hier in Minden ist ja bisher kaum etwas passiert. - Da unterbricht mich mein Direktor und weist darauf hin, dass ich hier den Unterricht bzgl. der Computer eingeführt und die Auflösung des C.v.H.Gymnasiums organisiert habe und seit vielen Jahren auch der Direktorstellvertreter bin. Und abgesehen davon sei ich hier in Minden schon zweimal 8-Jahre. Ich bin erstaunt und überrascht und kann es nicht fassen, dass ich meine Aktivitäten und die Zeitdauer hier so unbedeutend empfunden habe.


40

Familie Gütersloh Nach meinem Staatsexamen wird die offizielle Verlobung gefeiert. Gabriele hat statt Staatsexamen die Prüfung für die Realschule gemacht und unterrichtet in Gütersloh an der Mädchenrealschule und macht eine Klassenfahrt nach Amrum.

Während meiner Referendarzeit wohne ich auch in Gütersloh. Um eine Wohnung zu erhalten, muss man damals ca. 6 Jahre warten und vor allem verheiratet sein. Als dann meine Referendarzeit zu Ende geht, wird die Hochzeit auf Mai 1958 festgelegt. Einestages finde ich in der Zeitung ein Wohnungsangebot. Wir kommen in die engere Wahl und können uns bei den Wirtsleuten vorstellen. Es kommen drei Paare in die Entscheidung. Die Tochter, die keinen Lehrer als Mieter will, wählt - wohl zu ihrer großen Überraschung - von den drei Kandidaten gerade uns. So haben wir schon eine Woche vor der Hochzeit eine Wohnung. Diese Wahl sollte für die Tochter noch schicksalhaft werden. Die ersten Jahre Selten kommt es in Gütersloh vor, dass frisch Verheiratete sofort in eine eigene Wohnung einziehen können. Natürlich ist noch nicht alles fertig. Ich habe einen Elektro-Herd gekauft mit modernen Einstellmöglichkeiten und einen Poggenpolschrank. Fürs Wohnzimmer haben wir auch einiges. Fürs Schlafzimmer sorgen die Kollegen von Gabrieles Schule: Direktorin und Stellvertreter besorgen zwei unterschiedlich hohe Liegen. Das sind die direktörlichen Betten. Auf das Telefon müssen wir noch ein Jahr warten. An ein Auto wird noch nicht gedacht. Wir haben ja den „Blauen Engel“: ein Eingang-Mofa, das ich mit einem blauen Blech gegen Schmutz versehen habe. Es fährt zwar nicht schneller als ein Fahrrad, aber ohne dass man trampeln muss. Allerdings komme ich einmal in Münster damit in den Regen. Die Heimfahrt (60 km) muss ich dann wie bei einem Fahrrad treten. Wir haben viel Besuch. Aus unserer Zeit in Münster sind wir bei vielen bekannt, die nun den Weg nach Gütersloh nicht scheuen. Irgendwann fällt dann auch die oft zitierte Bezeichnung: „Heim für bedrängte Seelen“. Für lange Zeit unsere Charakterisierung.


41 Der erste Urlaub Uns geht es gut, so gut wie noch nie zuvor. Wir sind beide voll im Beruf und verdienen beide. Ich bekomme im Monat 800 DM. So können wir uns einen richtigen Urlaub gönnen. Natürlich haben wir immer noch kein Auto. Bestellt habe ich zwar eines, aber die Lieferzeit beträgt 9 Monate. So fahren wir mit „Hummel-Reisen“, die sind etwas preiswerter als „Scharnow-Reisen“, für zwei Wochen nach Kals in Südtirol. Anschließend sollen dann noch zwei Wochen am Wolfgangsee folgen. Gabriele will schwimmen und ich schwärme für die Berge. In Kals wohnen wir direkt am tosenden Gebirgsbach. Als wir das Fenster öffnen, ist es vorbei mit der Unterhaltung. Auch Schreien bringt nichts mehr. Ein anderes Zimmer gibt es nicht. Wir haben ja im Voraus gebucht. Es bleibt nichts anderes, als die Natur zu genießen. Weg zur Stüdlhütte Einestages gehen wir morgens um neun Uhr los zu einem kleinen Spaziergang. Die nähere Umgebung kennen wir inzwischen, so wandern wir immer weiter, auch als der Weg in den Wald einbiegt. Nach einigen Stunden kommen wir aus dem Wald heraus, wir sind unmerklich höher gestiegen und oberhalb der Baumgrenze angekommen. Der Weg ist schmal, so dass wir hintereinander gehen müssen. Dann stehen wir plötzlich vor einem Schneefeld, - mit unseren offenen Sandalen. Auf Schnee sind wir nicht vorbereitet. Der Weg über den Schnee ist nicht weit, ca. 50 m und geht ziemlich eben weiter, aber das Schneefeld hat eine Neigung von ca. 45 Grad. Abrutschen darf man nicht, denn ein Halten gibt es dann nicht mehr. Ich gehe voran und stampfe kleine Löcher in den verharschten Schnee, so dass Gabriele festen Halt hat. Mit der rechten Hand kann sie sich seitlich am Schnee abstützen. Gegen 15 Uhr kommen wir in der Stüdlhütte an, wo wir etwas trinken können. Fürs Essen sind wir zu sparsam. Ich muss wohl doch müde sein, denn beim Hinsetzen stoße ich an die Hängelampe, die auch prompt zu Bruch geht und bezahlt werden muss. Immerhin sind wir von 1300 m auf 2800 m aufgestiegen. Aber ich muss schön still sein, denn Gabriele will ja in gut drei Monaten unser erstes Kind zur Welt bringen. Nach kurzer Rast geht es dann wieder abwärts. Es sind noch mal 1500 Höhenmeter, jetzt aber abwärts. Auf der Rückfahrt machen wir in Werfen eine Unterbrechung. Oberhalb, in Werfenweng wollen Großvati und Großmutti ihren ersten Urlaub verbringen. Wir fahren hinauf, um den Gasthof anzuschauen. Einige Wochen später werden die Schwiegereltern von der Wirtin mit den Worten empfangen: "Ihre Tochter war schon hier." Großmutti will nun wissen, welche ihrer vielen Töchter. "Die ein Kind erwartet" ist die Antwort. Darauf Großmutti: "Das kann nicht sein. Ich habe keine Tochter, die ein Kind erwartet." Die Wirtin schweigt dann wohl. Für Großmutti steht es felsenfest, als nach passender Zeit sich kein Nachwuchs anmeldet, dass wir keine Kinder kriegen werden. Davon versteht sie ja etwas mit ihren neun Kindern. – Die einzige, die Bescheid weiß, ist Schwägerin Sabine, und die schweigt. Später verrät sie, dass sie beobachtet hatte, dass Gabriele ihren Gürtel ein Loch weiter trug. Kinder Gabriele geht nach der Schutzzeit wieder in die Schule. Annemarie, ein 18-jähriges Mädchen, sorgt vormittags für Beate. Unangenehm ist es für Gabriele schon, dass sie noch im selben Jahr wieder wegen Mutterschutz in der Schule ausfallen muss. Aber die Pille ist eben noch nicht erfunden. Im Unterschied zum erstenmal ist Gabriele diesmal sehr stark. Mir kommt das zwar verdächtig vor, aber der Arzt versichert, dass es nur ein Kind sein wird. Das soll dann der Uwe werden. oha zwei Die Geburt muss wieder ein Kaiserschnitt sein. Am Abend vor dem OP-Tag bringe ich Gabriele ins Krankenhaus. Ich sitze noch eine Weile am Bett, als sie plötzlich laut atmet. Nach einer Weile noch mal. Gabriele lacht mich aus, als ich von Wehen spreche. Woher soll


42 ich auch wissen, wie das so ist. Ängstlich wie ich bin, klingele ich gegen den Willen der zukünftigen Mutter. Einer Schwester sage ich nur, sie möge einen Augenblick warten, so ganz sicher bin ich mir eben doch nicht. Plötzlich stürzt die Schwester davon, und dann sitze ich eine Stunde allein im Zimmer, bis eine Schwester kommt - mit zwei Babys im Arm. Sie begrüßt mich mit den Worten: "Sie müssen entschuldigen, das eine Kind ist noch ganz nackt, ich hatte nur für ein Baby Wäsche bereitgelegt." Das war für mich das Zeichen, dass niemand mit Zwillingen gerechnet hat. Als ich dann nach Hause gehe, kommt mir Gabriele auf dem Flur schon wieder entgegengefahren. Sie meint: "So 'ne Weiberwirtschaft!" Erziehung Nun haben wir drei Mädchen in einem Jahr. Man lernt: beide Zwillinge kann ich in kürzerer Zeit wickeln als Beate allein. Natürlich machen wir uns viele Gedanken in Bezug auf die Erziehung der Kinder. Wir sind uns einig, Gefahren gibt es immer wieder und überall, aber wir können die Kinder nicht in jeder Situation bewahren. Sie müssen lernen, wo Gefahren sind, denen man sich nicht aussetzen darf, wie man ihnen aus dem Weg gehen kann und muss. Dazu sind Erklärungen nötig, aber nicht hinreichend, jeder Mensch muss seine eigenen Erfahrungen machen und verinnerlichen. Vor allem hat es keinen Sinn, Kindern zu erzählen, wie sie sich benehmen sollen. In den ersten Lebensjahren kann ein Mensch dem gesprochenen Wort keine Folge leisten. Auch wenn wir Erwachsenen es nicht glauben, die Kinder begreifen sehr schnell, aber sie können sich nicht danach richten. Das Befolgen der Vorschriften kann nicht durch wiederholtes Reden erreicht werden. Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell ein Kind sich richtig verhält, wenn ich ohne zu reden für unerfreuliche Konsequenzen für das Kind sorge. Unsere Wohnungstür ist innen mit einem Knopf gesichert. Nur, wer garantiert, dass die Flurtür nicht mal offen bleibt? Sobald ein Kind krabbeln kann, führe ich es draußen im Flur auf die Treppe, wo es lernt, wie man hinunter kommt. Sobald ein Kind versucht sich aufzurichten, nehme ich es, schalte den Elektroherd an und halte es mit entsprechenden Hinweisen über die warme Platte. Von unseren Kindern hat niemand seine Finger verbrannt, obwohl immer wieder jemand auf dem Tisch oder auf dem Küchenschrank herumgrabbelte, ohne sehen zu können, was da vorhanden ist. Der Herd war tabu. Vor dem Haus ist eine breite Einfahrt, am Ende eine schmale Straße. Eine Abgrenzung gibt es nicht. Also mache ich mit jedem Kind einen dicken Strich und erkläre ihm, dass auf der Straße Autos sind, die nicht auf die Kinder achten, also gefährlich sind. Die Kinder haben Roller mit breiten Reifen bekommen. Im Eingangsbereich unseres Hauses und auf den schmalen Wegen zwischen den Häusern entwickeln sie ein tolles Tempo. Sie dürfen überall hinfahren, nur nicht auf die Straße, die gehört den Autos. Ich stehe mit einer Schwägerin vor dem Haus, als ein Kind mit dem Roller angesaust kommt in Richtung zur Straße. Die Schwägerin setzt sich in Bewegung, um das Kind vor der Straße zu schützen, ohne zu beachten, dass sie viel zu langsam ist. Als das Kind vor der unsichtbaren Grenze vor der Straße stoppt, bleibt die Schwägerin stehen mit den Worten: “Wie ist denn das möglich?“ Wenn wir spazieren gehen und am Ende der Straße ein Auto sichtbar wird, schreit ein Kind „Auto“ und alle stehen an dem Rand der Straße, wo sie gerade sind, solange still, bis das Auto weg ist. Noch schnell zur Mutter laufen, ist verboten. Für uns ist es manchmal schwierig, immer wieder stehen und warten zu müssen. Aber auch für uns Erwachsene gibt es keine Ausnahmen, denn bei kleinen Kindern kann man keine Bewertung der Gefahren erwarten. Es gibt nur JA oder NEIN. Übrigens für unsere Kinder sind Radfahrer auch Autos. Für die Kinder ist es - nach meiner Meinung - sicher gut, zu dritt zu sein. Langeweile gibt es


43 nicht, denn es ist immer jemand zum Spielen da. Probleme gibt es wohl auch nicht, jedenfalls kann ich mich nicht an welche erinnern. Wenn die Kleinen Fragen haben, gibt es ja eine souveräne Auskunftsperson. Und die hat wohl sehr früh gelernt, Antworten selber zu (er)finden. Wenn Beate aus dem Kindergarten kommt, räumt sie vor dem Essen erst noch den Spielzeugschrank aus und wieder ein: "Die Kinners haben alles durcheinander gebracht!" Gabriele stöhnt ihrerseits, was wird aus dem superordentlichen Kind noch einmal werden?

Schule Beate ist sechs Jahre alt. Ihre interessierte Mutter hat sich die Westermann-Hefte für das erste Schuljahr gekauft. Nach kurzer Zeit kann Beate alles lesen. Sie hat ein Heft gefunden und mit Hilfe der Bilder in dem Heft die Schrift gelernt. Dann kommt die Aufnahmeuntersuchung für die Schule. "Bedingt schultauglich" wird sie eingestuft. Gabriele ist entsetzt und fragt ihre Tochter, warum sie so störrisch geantwortet hat: „Geht dieser Frau doch gar nichts an, was ich mal werden will!“ ist die Antwort. Urlaub Besonders erwähnenswert sind die vielen Schulkinder aus Gabrieles Klassen, die unsere drei Babys tagtäglich versorgen. Einige avancieren zu Paten. Aber auch andere bleiben uns treu. (Und das bis heute nach über vierzig Jahren.) In den Sommerferien können wir immer für ca. 12 Tage ohne Kinder verreisen, diese sind gut aufgehoben (bei Schulkindern). Nur einmal müssen wir die Kinder mit in den Urlaub nehmen, sie haben Keuchhusten. Wir verstauen alles in unseren VW-Käfer und fahren ohne hintere Sitzbank nach Bozen. Mit den hustenden Kindern können wir nirgends übernachten, so fahren wir die Strecke von Haus zu Haus. Es sind ja nur 22 Stunden. Wir sind entsetzt: Unser Ferienhaus steht an einem steil abfallenden Felshang (Höhe ca. 50m). Zwischen Haus und der Abbruchkante ist eine ca. 10 m breite Wiese. Ich spanne 2 m


44 vor dem Abgrund einen Bindfaden und zeige den Kindern von der Seite die steile Stelle. Auch wenn der Ball hinter dem Bindfaden liegen bleibt, darf er nicht geholt werden. Wir sind ganz beruhigt. Unsere Kinder werden dort nicht hingehen. Leben in Istanbul Mit sechs bzw. fünf Jahren steht für die Kinder die Fahrt nach Istanbul an. Abends um 22 Uhr geht es los. Morgens um 5 Uhr etwa sind wir bei Salzburg. Nach einem kleinen Frühstück geht es weiter durch die Alpen bis Klagenfurt. Die Kinder haben hinten im Auto ihr Bett. Davor können sie sitzen und malen, wenn sie wollen. Am zweiten Tag geht es bis Nis. Dann am nächsten Tag bis Istanbul, wo wir abends im Dunkeln um 20 Uhr ankommen. Allerdings folgt dann noch eine Fahrt in die Altstadt, um den Hausschlüssel bei der Haushilfe zu holen. Aber es gibt keinen Stadtplan mit den Straßennamen. Glücklicherweise bin ich ein Jahr zuvor schon mal dort gewesen. Sonst hätte ich das Haus nie gefunden. Die Wohnung des Kollegen ist für die folgenden drei Wochen unser Zuhause. Dann ziehen wir in ein großes Haus, das noch nicht ganz fertig ist. Strom gibt es erst sechs Wochen später. Bis dahin kocht Gabriele auf einem Benzinkocher. Aber das Haus hat viele große Zimmer und wird für eine lange Zeit unser Zuhause sein. Kaum haben wir uns in der neuen Heimat eingewöhnt, kommt die Nachricht, dass ein Onkel heiraten wird. Die Kinder stimmen ein lautes Getöse an, sie wollen an der Hochzeitsfeier teilnehmen. Die Mutter erklärt ihnen, dass wir dann wieder nach Deutschland zurückkehren und dort wohnen bleiben müssen. Zu unserem großen Erstaunen kippt die Stimmung: Die Kinder wollen in Istanbul bleiben und auf die Hochzeitsfeier verzichten. In Istanbul ist im Sommer Schulanfang. Beate hatte schon im April mit der ersten Klasse angefangen. Mit viel Mühe gelingt es uns, dass Beate gleich ins zweite Schuljahr kommt. Die Zwillinge besuchen die erste Klasse. So haben wir plötzlich drei Schulkinder. Morgens fahren alle mit mir zu Schule. Mittags besorgt ein Taxi die Heimfahrt. Auch Gabriele darf wieder zur Schule gehen. Mit großem Erfolg wird sie Grundschullehrerin. Die Sportbedingungen der Schule sind sehr begrenzt. Aber Völkerball kann gespielt werden. Leider muss Beate feststellen, dass alle besser werfen können als sie. So beginnt sie eines Nachmittags um 15 Uhr den Ball gegen die Hauswand zu werfen. Bis zum Abend. Ich beobachte es erschüttert staunend. Nach einigen Tagen hat sie es erreicht. Niemand ist vor ihren Ballwürfen sicher. Ihre Mannschaft hat den Sieg. Sport verlangt Training (Mathematik nicht?). Kinder zanken Kinder sind immer brav. Sie haben es wenigstens zu sein. Später, als die Zwillinge so um die 6 oder 7 Jahre alt sind, mache ich einmal die Tür zum Kinderzimmer auf und sehe Kissen durch die Luft fliegen. Schnell mache ich die Tür wieder zu. Keine hat was gemerkt. Aber im Flur hört man auch nichts: Sie können auch ohne Töne streiten. In Istanbul ist es sehr schön: Vor allem kann man auch im Oktober noch im Schwarzen Meer schwimmen.


45

Winter gibt es nicht. (Wird uns versichert)

Stimmt wohl nicht.


46

Ich habe Holzbalken gekauft. Der Querschnitt ist 5 cm im Quadrat. Ich säge 5 cm lange Stücke, so dass es viele Holzklötze gibt, mit denen gebaut werden kann. Z.B. kann man (Kind) einen Turm bauen. Das gibt dann die Möglichkeit, unten einen Holzklotz wegzuziehen, um die Mutter zu erschrecken.


47 Die Kinder in Minden Von Heimkehr nach Minden kann nicht die Rede sein, wir waren noch nie in Minden beheimatet. Für die Zwillinge kommt dort nur eine Schule in Frage, das Caroline von Humboldt Gymnasium für Mädchen. Beate will auf keinen Fall an meine Schule, wo es Koedukation gibt. So geht sie zum altsprachlichen Gymnasium, wo ich ursprünglich hin wollte. Am Mittag des ersten Schultages erklärt Beate, in die Schule gehe ich morgen nicht wieder. Dort lerne ich nichts. Bis auf Latein bin ich in allen Fächern ein Jahr weiter. So bleibt für sie auch nur das CvH. Jedoch ein halbes Jahr später gefällt ihr diese Schule auch nicht mehr. Bei den „vornehmen Damen“ fühlt sie sich nicht wohl. So bleibt nur meine Schule. Sie muss ihr Anliegen persönlich beim Chef vortragen. Ich lehne es ab, sie einzuschleusen. Aber sie nimmt diese unangenehme Hürde. Später ist das Schulleben nicht mehr so wichtig. Sie erklärt: „wenn ich mit dem Klingeln aus dem Haus gehe, bin ich noch vor dem Lehrer in der Klasse.“ (Ich muss ihr zustimmen). Oder „Wozu soll ich Schularbeiten machen. Wenn ich in der Stunde aufpasse, reicht das.“ (Auch hier hat sie Recht). Leider stehen die Zwillinge sehr in ihrem Schatten. Verschwiegenheit Irgendwann kommt das Alter, wo die Kinder lernen müssen, dass man nicht alles weitersagen darf. Wann ich die Anekdote erzählt habe, weiß ich nicht, aber passiert ist es sicher: Der Alte Fritz wird vor einer Schlacht von einem General nach seinen Plänen gefragt und antwortet: "Kann Er schweigen?" Natürlich kommt die Bestätigung und darauf die Auskunft: "Ich auch!" Bei uns ergab sich später folgende Episode: Einer der drei war etwas Unangenehmes passiert. Ich werde telefonisch ins Vertrauen gezogen und um Rat gefragt. Damit wir evtl. nach Lösungen suchen können versuche ich bei einem Telefongespräch mit einer Schwester durch geschickte Fragen herauszubekommen, ob diese auch informiert ist. Es gelingt mir nicht, eine Antwort zu bekommen. Als nach längerer Zeit das Problem keines mehr ist, kommt die Unterhaltung auf das Telefongespräch und ich höre, dass auch mein Gegenüber vergebens versucht hat, aus mir herauszufragen, ob ich Bescheid wusste.


48

Großvater 2. Enkel kommt Der zweite Enkel kündigt sich an. Morgens um 5 Uhr klingelt das Telefon: Ich fahre nach Wuppertal und kümmere mich die nächsten Tage um die zweijährige Große. Gespannt warten wir auf das Baby. Genauso wichtig sind natürlich die trockenen Windeln oder was man heut so hat. Wie ich mal wieder auspacken will, quillt das Ergebnis schon an diversen Stellen zu Tage. Ich erkläre dem Kind, dass der Wickeltisch zu klein ist und ich sie in die Badewanne stellen muss. Zum Glück verschwindet das meiste mit den Pampers. Aber es bleibt noch genug an der Haut kleben. Also erkläre ich ihr, dass die warme Dusche die Haut wieder sauber macht. Sie steht bereitwillig in der Badewanne, und im Nu ist das Problem gelöst, und das Spielen kann weitergehen. Die folgenden Jahre haben für mich zwei Höhepunkte, die Oster- und die Herbstferien: Damit die Eltern auch mal ohne Kinder Urlaub machen können, übernehme ich jeweils für eine Woche die Kinderbetreuung in ihrem Haus. Der Bauch Die Große hat mit dem Sprechen noch Schwierigkeiten. Ganze Sätze fallen ihr schwer. Aber ihre Meinung und ihre Beobachtungen kann sie schon kundtun. Aus Großvati wird bei ihr "Großer Vati". Sie steht so vor mir und schaut zu mir hinauf. Mein Gesicht schwebt in schwindelnder Höhe, d.h. so schwindelig ist es ja auch wieder nicht. Wenn sie auf meinen Armen über meinem Kopf schwebt, war sie noch nie schwindelig. Das gefällt ihr. Nun steht sie unten und schaut nach oben, der Großvati braucht eine Verschnaufpause. Da kommt die sachliche Feststellung: "Großer Vati - großer Bauch". Bei meiner Verblüffung erkläre ich: "In deinem Alter wachsen die Menschen nach oben, in meinem Alter wachsen sie nach vorne.“ Kommentar: "Ach ja" . Zwei Jahre später bemerke ich ein Getuschel zwischen den beiden Enkelinnen und höre die Belehrung: „In unserem Alter wachsen die Menschen nach oben, im Alter von Großvati wachsen sie nach vorne.“ Wieder zwei Jahre später ist der Bub auch da. Eine Begleiterscheinung für das Familienleben ist, dass er immer größer wird. Schließlich passt er nicht mehr in das Körbchen. Er braucht das Kinderbett. Also muss die kleine Schwester nach zwei Jahren Platz machen. Dafür gibt es nun ein Etagenbett mit Leiter. Kaum aufgebaut, huscht die Große dieses neue Möbelstück hinauf und thront wie eine Prinzessin auf dem oberen Bett. Ja und dann drängt die Kleine heran und steigt auch hinauf, sehr zum (nicht gezeigten) Unwillen des Vaters. Kaum ist sie oben angekommen und hat dort einen Rundblick getan, steigt sie wieder hinunter. Voller Befriedigung über den Leiterbenutzungserfolg klettert sie aber wieder hinauf - und hinunter. Zum großen Erstaunen von Vater und Großvater geschieht das insgesamt etwa 10 mal. Nach dieser "Lehrstunde für die Erwachsenen" verschwindet die zweijährige im Kinderzimmer. Die Leiter ist uninteressant geworden. Brötchen-Boot Die Eltern sind "auf Urlaub". In der Frühstücksrunde sitzen die drei am Tisch. Vom Vortag sind noch alte Brötchen vorhanden, eine "Leibspeise", sie werden aufgebacken. Ich frage zuerst den kleinsten, was er denn möchte. Die erste Hälfte des Brötchens wird entsprechend geschmiert. Während die Mädchen dran sind, beobachte ich, wie der Junge mit der einen Hand die Brötchenhälfte hält und isst, mit der anderen aber die andere Hälfte aushöhlt und das Weiche in der Hand knetet. Schließlich zeigt er mir seine Hand und sagt: "Schau mal, Großvati, wie Knetgummi." Ich schaue ihn mit einem sehr ernsten Gesicht an und sage kein Wort. Plötzlich eine Handbewegung und der "Knetgummi" ist in seinem Mund verschwunden. Nach einiger Zeit zeigt er mir die ausgehöhlte Hälfte und sagt: "Schau mal Großvati, ein Boot.“


49 Schließlich ist die eine Brötchenhälfte aufgegessen. Er reicht mir das Boot und sagt: "Schmieren!" Ich nehme sie und streiche mit dem Messer die Margarine darüber mit den Worten: "Die Margarine kommt nur auf die Reling, das ist der Rand des Bootes." Ich reiche ihm das trockene Boot und warte auf den Protest - vergebens. Er isst die trockene Brötchenhälfte ohne Kommentar. (Mir fällt es schwer, meinen Mund zu halten.) Erzwingen Ein anderes Mal frage ich den Buben nach seinen Wünschen und schmiere ihm das gewünschte Brot mit grünem Käse. Seine Schwester bekommt entsprechend das von ihr Bevorzugte. Plötzlich lautes Begehren des Jungen: "Ich will das auch so!" Meine Antwort: "Du hast das Gewollte bekommen. Das musst du jetzt erst aufessen. Dann kannst du anderes haben." wird mit lautem Geheul quittiert. Der Schwester wird das zu viel. Sie sagt zu ihm: "Sei doch still, Du erreichst doch nichts." Aber das Gebrüll hört nicht auf. Ich erkläre ihm, das Brüllen sei für seine Lunge sehr gut und er müsse viel Brüllen, aber wegen meiner alten Ohren müsse er das Brüllen im Flur machen. Ich stehe auf und bringe ihn in den Flur. Dort wird es nach kurzer Zeit still, und er erscheint mit strahlendem Gesicht, um seine Schnitte zu essen. In der folgenden Woche hat er nie mehr gebrüllt. Der Jüngste hat im Kindergarten ein neues Wort gelernt: Scheisse. Bei Tisch kommt es nun in jedem zweiten Satz vor. Natürlich überhöre ich das Wort. Schließlich wird es mir doch zu viel: Beim nächsten Vorkommen des Wortes springe ich auf, nehme ihn aus seinem Hochstuhl und bringe ihn in die Toilette mit den Worten: „Wenn du es so eilig hast, bringe ich dich hin, damit du nicht in die Hose machst.“ Der Junge war so überrascht, dass er keine Abwehr-Reaktion zeigte. Das geliebte Wort wurde nicht mehr benutzt. Strenge Alle drei fahren mit mir nach Minden zur Oma. Die Große, 9 Jahre alt, sitzt neben mir und erzählt. Plötzlich sagt sie: "Großvati, Du bist sehr streng!" Ich antworte: "Ich weiß, aber damit musst du fertig werden." Sie weiter: "Ja, Mutti ist ja auch schon strenger geworden." Ich bin erstaunt, dass sie diese Kritik direkt sagen kann, ohne Angst zu haben vor dem strengen Großvati und ohne eine sanftere Art zu fordern. Die Großen veräppeln Der Junge kann noch nicht mit dem Roller fahren. Dafür aber umso besser mit seinem Watschelauto, bei dem er sich mit den Füßen abstoßen muss. Vor dem Haus gibt es einen Platz mit einem leichten Gefälle. Da kann man von oben runter fahren und ziemlich schnell werden. Am Ende muss man mit einer Kurve in die Straße einbiegen, wenn man nicht im Blumenbeet landen will. Gerade in der Kurve stehen nun die Erwachsenen, Vater mit den Nachbarn. Das Watschelauto kommt in rasender Fahrt heran und fährt zwischen den entsetzten Erwachsenen hindurch. Angereizt durch die aufgebrachten Kommentare, fährt der Bub gleich noch einmal, allerdings diesmal den Kopf in der Rechtskurve ostentativ nach links in die falsche Richtung gedreht. Der Kommentar der Großen ist ihm sicher. Erst später auf dem Videofilm stelle ich fest, dass er zwar den Kopf gedreht hatte, aber aus den Augenwinkeln dennoch die Fahrt kontrollierte, was aber vor Entsetzen niemand bemerkt hat. Bonbons Ich fahre alle drei von Minden nach Wuppertal. Bei Oeynhausen höre ich hinter mir ein Knabbern. Auf dem nächst gelegenen Parkplatz erfahre ich, dass sie in der Türtasche rote WickBonbons gefunden haben. Ich halte eine Standpauke: ‚Man nimmt nicht einfach so, das was man findet. Diese Bonbons sind Medizin für meinen Husten. Die Schachtel dient als Reserve‘. Einige Monate später fahre ich wieder nach Wuppertal. Auf der Straße kommen mir die drei entgegen. Das gab es noch nie. Die Mutter erklärt mir, die Kinder hätten aus ihrem Sparschwein Geld genommen und gesagt, sie müssten für Großvati rote Bonbons kaufen.


50 Ordnung Ab 19:30 Uhr wird vorgelesen, um 20 Uhr ist Lichtaus. Verzögerungen gibt es nicht. Um 18 Uhr kommen wir vom Spielplatz nach Hause. Die Schuhe werden ausgezogen und landen auf dem großen bunten Schuh-Haufen. Mein Kommentar: „Hier sieht es aber lustig aus!“ Um 19:30 Uhr beginnt die Vorlesezeit. Ich sitze am Bett des Jungen und beginne. Als die Mädchen um 19:45 Uhr immer noch nicht da sind, wird es mir unheimlich, und ich sage dem Jungen, dass ich unterbrechen und die Mädchen suchen muss. Wie ich unten ankomme, erklären sie mir wichtig: "Wir haben die Schuhe aufgeräumt. In der hinteren Reihe stehen die Schuhe von der Großen, vorne die von dem kleinen Bruder, der hat noch nicht so lange Arme.“ Dass sie das heißbegehrte Vorlesen versäumt haben, ist kein Thema. Bis 20 Uhr wird weiter vorgelesen. Dann ist Lichtaus. Üben Wieder eine Woche in Wuppertal. Ich frage die Mutter, was ich sinnvoll mit den Kindern tun kann: Einmaleins. Ich setze mich mit der Mittleren (Klasse 2) hin und frage ab. Schließlich wird es mir zu langweilig und ich höre auf. Daraufhin mache ich ein Programm für die Erstellung von Einmaleins-Aufgaben und bringe dem Kind für den nächsten Tag einen DINA4 Zettel mit fünf Spalten von Aufgaben. Motivation muss sein: also habe ich oben bei jeder Spalte „Anfang“ und unten „Fertig“ hingeschrieben. Sie soll jeweils die Uhrzeit hinschreiben. Dann könne sie feststellen, dass sie für die fünfte Spalte weniger Zeit benötigt als für die erste. Als sie mir nach kurzer Zeit den Zettel mit 250 gerechneten Aufgaben bringt, stelle ich fest, dass sie nur bei der ersten Spalte die Uhrzeiten hat. Mit meiner Motivation war es wohl nichts. Ich hefte den Zettel an ihre Zimmertür, damit Mutti sehen kann, dass sie fleißig gewesen ist. Zu meinem großen Erstaunen bittet sie um weitere Zettel. Es dauert nicht lange, dann hat sie ihre Tür mit Zetteln vollgeklebt. Auch die anderen beiden wollen jetzt Aufgabenzettel. So intensiv und ausdauernd haben sie wohl noch nie gelernt. Und das freiwillig. Motivation war nicht die verbrauchte Zeit, sondern das Sichtbarwerden ihres Fleißes. Mond kaputt Die Enkel sind noch klein. Ich hüte ein. Nach dem Vorlesen will ich das Rollo herunterlassen und sehe den Halbmond am Himmel. Mit trauriger Stimme: „Ach, der Mond ist ganz kaputt.“ Darauf tönt aus dem Hintergrund der tröstliche Satz: „Lass man Großvati, der wird auch wieder heil.“ Verzicht Der Junge hat ein Fußballspiel in einem Nachbarort. Für den Abend ist Pizzaessen vorgesehen. Nach dem Spiel muss geduscht werden. Ich warte am Auto. Fast alle Teilnehmer sind inzwischen an mir vorbeigegangen. Meine Enkel kommen als letzte. Ich schweige und bin ungehalten, weil ich solange warten musste. Auf dem Heimweg fahre ich an der Pizzeria vorbei und warte auf den Protest. Nichts geschieht. Am übernächsten Tag ist wieder ein Fußballspiel. Diesmal stehen die Kinder nach dem Spiel am Auto, bevor ich komme: Sie reagieren, ohne dass ich etwas gesagt habe. Jetzt ist natürlich Pizza dran. Ich meine: „Wir wollten doch vorgestern Pizza essen.“ Es kommt die Antwort: "Wir dachten, es sei besser, nicht davon zu reden, da du so ärgerlich warst." Ich bin beeindruckt. Die Kinder können im richtigen Augenblick schweigen und sich zugleich ohne Worte verständigen. Aufräumen Es sind Ferien. Da ist Aufräumen nicht unbedingt erforderlich. Ich erkläre, dass am Tag bevor Vati und Mutti zurückkommen alles schön gemacht werden muss. Bis dahin genügt es, wenn


51 ich durch die Flure und Zimmer gehen kann. Irgendwann dient der Fußboden im Zimmer der Großen als Ablage. Ich schlage das Bett auf und bald ist wieder alles schön. Es dauert nicht lange und schon gibt es Unruhe: Wo sind meine Sachen? Aber ich bin ja nicht für das Aufräumen zuständig. Das Haus und alle Zimmer und Schränke werden durchsucht. Es ist schier hoffnungslos. Schließlich helfe ich mit dummen Fragen. Aber die sind ja alle schon beantwortet. Schließlich ist die Katastrophenzeit lange genug und es wird der Blick auf das sorgfältig gemachte Bett gelenkt. 20 Jahre später in einem Telefongespräch: Während der Sucherei war ich fürchterlich wütend. Dann hast du mir aber geholfen. Rückkehr Abends gibt es die Einstimmung: "Morgen haben wird einen schweren Tag." "Wir wissen schon, Vati und Mutti kommen wieder, wir müssen putzen." Schnell ist der Plan der Arbeitsverteilung gemacht. Nach dem Frühstück sind die Kinder im Nu an der Arbeit. Auf der oberen Treppe erlebe ich, wie der Junge von seiner Schwester bzgl. seiner Aufgabe eingewiesen wird mit einer Kommandostimme wie auf einem Kasernenhof (Ein UvD. hätte es nicht besser machen können. Aber der Kleine ist sehr lernwillig). Später finde ich in der Küche die Große auf der abgeräumten Anrichte hockend die Fliesenwand schrubben. Für mich gehört das nicht zu den notwendigen Tätigkeiten. Aber ich werde eines Besseren belehrt: "Ich fand die Wand zu schmierig. Da musste was gemacht werden." Ich bin natürlich schnell wieder verschwunden.


52

Pensioniert Pfleger 1994 werden Gabriele und ich zugleich pensioniert. Im März vorher stellt man bei ihr Darmkrebs fest. Sogleich ruft sie mich in der Schule an mit den Worten: „Stell dir vor, ich habe Krebs. Jetzt darf ich vor dir sterben.“ An diesen Worten merke ich, dass sie schon sehr lange mit der Angst lebt, dass ich vor ihr sterbe und sie dann mit ihrer MS allein leben muss. Im April wird der Darm entsprechend entfernt. Leber und Lunge sind auch befallen. Eine OP oder auch eine Chemotherapie sind nicht mehr sinnvoll. Bis September kann Gabriele noch ein selbständiges Leben führen. Die Spaziergänge werden allerdings immer kürzer. Im Sommer sind wir noch einmal in Monakam. Den Rollstuhl benutzt sie wenig, da die Erschütterungen ihr wegen der Osteoporose zu viele Schmerzen bereiten. Nachdem sie Ende September im Garten gefallen ist, wird sie bettlägerig. Später setzen dann auch die heftigeren Schmerzen ein, so dass ich nach Anweisung des Arztes Morphin spritzen muss. Ihr Bett habe ich so kippbar gemacht, dass dem Dekubitus entgegengewirkt werden kann. Die letzten Wochen spricht sie kaum noch, da ihre Lungen die Luft nicht mehr bereitstellen können. Am 19. Januar wird sie erlöst. Die letzten Monate bin ich mit der Pflege nicht mehr allein. Eine ehemalige Schülerin von Gabriele und eine Frau aus der Gemeinde lösen mich an zwei Nachmittagen ab, so dass ich für einige Stunden einkaufen und sogar einen Informatikkurs für Senioren halten kann. Berater Die Zeit meines Unbeschäftigtseins dauert nicht lange. Abgesehen von den Informatikkursen für Senioren darf ich als Berater tätig werden für die Benutzung eines Computerprogramms in den Sozialstationen der Diakonie. Ich fahre jeden Tag durch den Kreis Minden-Lübbecke. Für bestimmte Wünsche der Stationen erstelle ich Programme. Dazu muss ich die Datenbank des eingesetzten Programms analysieren, um die von den Schwestern gewünschten Informationen verarbeiten zu können. Damit ist meine Zeit gut ausgefüllt. Programmierer Als die Zeit der Betreuung der Sozialstationen zu Ende geht, beginnt die Erstellung eines Programms für die Belegung einer Rehaklinik. Daran folgt ein weiteres für die Arbeitsverteilung von Therapeuten in der Kurverwaltung. Das letztere wird heute, 2010, immer noch benutzt. Das andere ist durch ein Profiprogramm ersetzt worden. Allerdings wird es dennoch für bestimmte Fragen weiter benutzt. Inzwischen sind es insgesamt ca. 50 Programme. Hervorzuheben sind speziell BettenBelegung, Dienst- und Urlaubspläne, Arbeitszeitberechnungen, Rechnungserstellungen usw. Ein Problem ist manchmal die nicht mögliche Vergütung. Da Programmieren mein Hobby ist, kann es nicht bezahlt werden. Für mich ist interessant, dass ich nur programmieren kann, wenn eine andere Benutzerperson im Hintergrund steht. Nur für mich selbst ein Programm zu entwickeln, fällt mir sehr schwer. Aufräumer In allen Räumen des Hauses müsste dringend Ordnung geschafft werden. Dann und wann räume ich auch mal was weg. Aber immer wieder überlege ich, ob es nicht doch noch etwas zu programmieren gibt. So erhält sich die Unordnung noch eine Weile. Schließlich heißt es: Der Keller wird aufgeräumt, wenn ich pensioniert bin.


53

Reisen seit 1995 Seit Anfang der 80Jahre habe ich damit gerechnet, dass ich keine Reise mehr machen w체rde. Meine Frau liebte das Reisen genauso wie ich. Aber sie war den Strapazen nicht mehr gewachsen. Immer wenn der Abreisetermin n채her r체ckte, stellte sich bei ihr eine Krankheit ein. Jahr

Mon

Tage

1995

9

14

Bodrum

12

8

Ischia

7

25

China

10

16

Marokko

12

8

Ischia

2

8

Malta

3

8

Sizilien

5

4

Krakau

5

25

USA

9

10

Rimini

10

9

Toskana

2

10

Nepal

6

4

Vogesen

6

19

Australien

8

14

Vancouver

3

7

Neapel

7

14

Nordkap

9

15

Saudi-Arabien

11

7

Nizza

4

14

Irak

7

21

Namibia

10

9

Algarve

4

12

Iran

9

6

Normandie

10

11

Rom

6

6

GlacierExpress

7

7

St. Petersburg

9

10

Baltikum

3

12

Japan

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003


54 2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

9

10

Kanada

5

4

London

5

4

Paris

6

19

Türkei

8

4

Gepatschhaus

4/5

9

Slowakei

7/8

13

MoskauPetersburg

3

8

Andalusien

4

2

Weimar

10/11 6

Rhodos

7

15

China

11

8

Zypern

4

13

9 Besuche

5/6

14

USA-West

11

8

Algarve

5

7

Istanbul

11

8

Malta

5

7

Istanbul

8

3

Stuttg. – Plön

10

8

Besuche Bayern-Rhein

2011

10/11 14

Indien

2012

10

London

5

Nach dem Tode meiner Frau dauerte es lange, bis ich lernte, ohne sie zu verreisen. Es ist immer noch so, dass ich entweder Freunde besuche oder mit Gruppen an einer Auslandsreise teilnehme. Besonders eindrucksvoll war die Schifffahrt auf dem Yangtse, zuerst durch die Schluchten und dann durch das Flachland bis Wuhan. Der Yangtse bringt das Wasser von Tibet aus dem Gebirge (4400 m hoch) ca. 4000 km bis zum Tiefland. Dann sind es noch 2000 km bis zum Ozean bei Shanghai. Auf dieser letzten Strecke beträgt die Höhendifferenz weniger als 100 m. Für den Fluss handelt es sich also um ein stehendes Gewässer, so dass das mitgeschleppte Geröll zu Boden sinkt. Die Ufer des Flusses mussten immer höher gemacht werden. Heute fließt das Wasser hinter 10 bis 20 m hohen Deichen. In der flachen Gegend regnet der Monsun aber auch, nur kann das Wasser nicht mehr abfließen und verteilt sich über das Land. Hunderte km fuhr unser Schiff durch ein Meer, Land konnte man nicht mehr sehen. Nur hin und wieder ragten die Dächer von Häusern und einige Baumkronen aus dem Wasser. Nur selten kamen die Flussufer in Sichtweite. Dann sah man auf den Deichen einige Menschen, die dort „wohnten“. Wo die vom Wasser vertriebenen 30 Millionen geblieben waren, kann man nur raten. Als ich 10 Jahre später wieder dort war, sagte ein Chinese zu mir, wir mussten etwas unternehmen. Jedes Jahr Millionen Ertrinkende sind einfach zu viel. Seit 80 Jahren plante man eine Staumauer, um den Wasserabfluss steuern zu können. Inzwischen haben


55 Amerikaner diese Mauer gebaut. Sie wird von vielen Europäern als Katastrophe bezeichnet. Diese reden nur von den 3 Millionen, deren Häuser von dem Stausee überflutet wurden und nun wo anders wohnen müssen. Dass vorher zehnmal soviel jedes Jahr im Hochwasser versanken, wird nie erwähnt. In Europa kann man sich sowas ja auch nicht vorstellen. Dass jetzt Seeschiffe 2500 km den Fluss hinauffahren können, um dann bei einer Stadt ihre Waren aus- und einzuladen, die inzwischen etwa 35 Millionen Einwohner hat, interessiert hier niemanden. Hier können Seeschiffe ja auch nicht von Hamburg nach Rom oder von Istanbul nach Van auf einem Fluss durchs Land fahren. Nur in Deutschland gibt es den Nord-Ostseekanal. Allerdings ist der ca. 100 km lang. Also schnell mal 25 mal hin- und herfahren.

Meine Weltziele, wie meine Enkel es sehen


56

Vorkommnisse Weihnachtsmann / Weihnachten in Neuefehn Das Weihnachtserleben ist nicht nur für Kinder ein Höhepunkt des Jahres, sondern auch für Eltern. Mein Vater ist nur selten am Weihnachtstag zu Hause, denn der Hafenbetrieb muss auch an Festtagen weitergehen. Aber strahlende Kinderaugen will auch er sehen. So kommt der „Weihnachtsmann“ eben schon mal einige Tage vorher vorbei. (Knecht Ruprecht gibt es bei uns nicht). Während des Abends lässt mein Vater plötzlich die Zeitung sinken und horcht zum Fenster. Er hat etwas gehört, was uns natürlich entgangen ist. Er rennt zum Fenster und lauscht hinter der Gardine und spricht auch selbst. So kommt eine Verabredung zustande. Schließlich geht die ganze Familie nach draußen und findet dort vom Weihnachtsmann schön aufgebaut eine Geschenkepyramide. So kann mein Vater die Bescherung miterleben. Ein anderes Mal werden zur Probe Spiele hinterlegt. Nach dem Ausprobieren werden sie wieder zurückgebracht. Weihnachten sind sie dann alle in einer Schachtel „Sieben beliebte Spiele“ wieder da. Kipkapkögel Am Martinstag gehen die Kinder abends in der Dämmerung mit Lampions von Haus zu Haus. Natürlich wird dabei gesungen. Eben die Lieder betr. Martin Luther. Nur, ich kann nicht singen, aber den Text aufsagen kann ich. So übe ich fleißig. „Zu Eisleben ward uns geboren...“ „Martin Luther war ein ...“ Plattdeutsche Texte gibt es auch. In einem kommt die Lebensgeschichte von Martin Luther vor. Da heißt es: „de de Papst in Rom de Kron offschloog“. Aus Märchen weiß ich, was eine Krone ist und wie man etwas (mit dem Schwert) abschlägt. Däumlinge kenn ich auch. Also ist der Sachverhalt klar: ein Däumling schlägt dem Papst (einem anderen Däumling) die Krone vom Kopf, und zwar in der Sahne der Milchschüssel, denn die heißt bei uns „Room“. Das dabei notwendige Geplantsche in der Milch habe ich mir sehr lustig vorgestellt. Schabelmskopp Auch Kinder werden älter: Irgendwann wollen sie nicht mehr mit den Lampions gehen. Dann beginnt die Zeit für "Schabelmskopp", andernorts Masken genannt. Die Jugendlichen ziehen in mehr oder weniger großen Gruppen von Haus zu Haus, verkleidet und mit einer Gesichtsmaske. Die Sprache wird verstellt. Man bleibt längere Zeit in einer Familie und erzählt irgendwas. Dabei wird natürlich von der Familie versucht, herauszufinden, wer sich hinter der Maske versteckt. Für mich war diese Schauspielerei nicht das Richtige. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich selber mit herumgezogen bin. Rutsch ins neue Jahr Der Übergang von einem Jahr ins andere geht mit einem „Ruck“ vonstatten. Dabei können Dinge, die nicht fest verankert sind, leicht in Rutschen kommen. Man findet sie dann am Neujahrsmorgen an einer anderen Stelle wieder. Manchmal muss man lange suchen. So ist es selbstverständlich, dass am Silvesterabend alles weggeräumt wird, das sich fortbewegen lässt. Im passenden Alter zog ich auch mit den Kameraden los, um nach beweglichen Dingen Ausschau zu halten. Bei meinem Onkel fanden wir nichts außer einem Wagenrad, das so aufgebockt war, dass man Eimer zum Trocknen darauf abstellen konnte. Ein paar von uns hoben das Wagenrad auf und schon rollte es auf dem zugefrorenen Kanal davon. Nach einem Kilometer wurde es uns wohl zu langweilig und es blieb liegen. Wie mein Onkel das Rad wiedergefunden hat, weiß ich nicht.


57

Im Beruf Warum Lehrer? Während des Studiums habe ich in allen Ferien gearbeitet, um Geld zu verdienen. Auch während des Semesters hatte ich oft eine bezahlte Beschäftigung. Auf welche Weise ich zu der Aufsicht bei physikalischen Praktika gekommen bin, weiß ich nicht. Ich war kaum älter als die Studenten, die ich beaufsichtigen musste. Es gehörten etwa 8 bis 10 Studenten zu einer Gruppe. Zu Beginn trug jemand an der Wandtafel die theoretische Grundlage des Versuches vor, die in einer entsprechenden Vorlesung im vergangenen Semester dargeboten worden war. Irgendwann hatte ich bei einem Vortrag nicht aufgepasst und fragte: „Warum haben Sie an der Stelle ein Minuszeichen gemacht?“ Der Student machte einen senkrechten Strich und aus dem Minuszeichen wurde ein Pluszeichen. Er korrigierte die folgenden Zeilen und erklärte weiter. Am Schluss stimmte das Ergebnis nicht und die Fehlersuche begann. Ich war erstaunt, dass der Student, ohne meine Frage zu beantworten, sofort die vermeintliche Korrektur durchgeführt hatte. In jeder folgenden Woche habe ich bei allen möglichen Gelegenheiten die Frage nach dem Minuszeichen gestellt und immer das gleiche Vorgehen erlebt. Die Physikstudenten hatten alle eine schwierige Zulassungsprüfung gemacht, sie gehörten alle zu einer begabteren Gruppe. Sie wussten sicherlich, dass ich die betr. Frage zu stellen pflegte. Trotzdem hat nie jemand richtig reagiert und auf die Frage nach dem warum geantwortet. Ich gewann die Überzeugung, in der Schule müssen die Lehrer etwas falsch machen. Die Schüler hatten nicht gelernt, beliebige Fragen zu beantworten, sondern ihre bisherige Lebenserfahrung war, dass ein Lehrer nur fragt, wenn etwas falsch ist. Dieses Erlebnis machte aus dem „Physiker“ einen „Lehrer“. Die folgenden für mich unerfreulichen Begleitumstände habe ich nie bereut: Ich musste Philosophie und Pädagogik lernen. Die weitere Ausbildung nahm einen völlig anderen Verlauf und mein Leben ebenso. Jetzt am Ende meines Lebens kann ich meinen Kindern Recht geben: „Du hast nie gearbeitet, sondern immer nur deinem Hobby gefrönt.“ (Das heißt nicht, dass es immer nur „Hobby-Zeit“ war.) „Lebenshilfe“ Meine Schüler waren 10 bis 20 Jahre alt. Vor ihnen lag die Zeit von 20 bis 70 Jahre. Mein Bemühen zielte auf die größere Zeit hin. Die Schüler sollten in der längeren Zeit ihres Lebens zufrieden sein können. Was nützt später eine schöne Lehrzeit, wenn man aus dem Unglücklichsein nicht herauskommt? Jeder Mensch erlebt schwere Zeiten. Er muss in seiner Jugendzeit die Erfahrung gemacht haben, dass er schwere Situationen durchleben kann, dass er sie überwinden kann, ohne an ihnen zu zerbrechen. Ich wollte beeinflussen. Ich wollte auch formen. Mir war klar, dass ich deshalb auf einiges verzichten musste und muss. Ich durfte keinen Wert darauf legen, geliebt zu werden. Mir war klar, dass ich auch Fehler machen würde, dass ich trotz meines Bemühens nicht immer gerecht sein würde. Natürlich gab es auch Schüler, bei denen mein Bemühen nur darauf beschränkt sein musste, dass sie das Klassenziel erreichen. Auch Enttäuschungen gehören dazu. Ebenso die Tatsache, dass ein Lehrer selten erfährt, ob seine Bemühungen Erfolg gehabt haben. Ich habe meinem Deutschlehrer auch nicht mitgeteilt, wie sehr er mich und viele aus meiner Klasse zu einem positiven Leben geformt hat. Umso mehr bin ich dankbar, wenn mir gesagt wird: „In der Klasse 7 habe ich Sie gehasst, als ich jeden Morgen meine Schularbeiten vorzeigen musste. Aber ich muss sagen, Sie waren der einzige Mensch, der mich beeinflusst hat.“ Oder eine andere Information: „Ich musste schwer kämpfen, bis ich mein Berufsziel erreichte, aber das Kämpfen hatte ich ja bei Ihnen gelernt.“


58 Nach der Hochzeit wohnten wir in einem Haus zur Miete, das sich ein Landwirt gebaut hatte. Die jüngste Tochter des Hauswirtes besuchte die Hauptschule. Am Ende der 8. Klasse kam sie zu uns und erbat einen Rat bzgl. ihres Berufes. Auf unser Anraten ging sie dann zum Aufbaugymnasium in Bethel. Einige Jahre später kam sie wieder: Man hatte ihr an der Schule empfohlen, eine Klasse zu überspringen. Ich riet ab, aber die Schule blieb bei der Empfehlung. So kam sie dann zu mir, damit ich ihr die Mathematik der übersprungenen Klasse 9/10 vermittele. Wir begannen um 16 Uhr. Anfangs verstand sie alles, was ich ihr erklärte. Kontrollfragen machten ihr überhaupt keine Schwierigkeit. Irgendwann merkte ich, dass sie nicht mehr aufpassen konnte. Zu meinem Entsetzen stellte ich dann fest, dass es inzwischen kurz vor 20 Uhr geworden war, ohne dass ich es gemerkt hatte. Ohne Pause 4 Stunden konzentrierte Mathematik zu erklären ist einfach Unfug. Die Kontrolle nach einer Woche ergab, dass sie alles verstanden hatte. Nach weiteren 4 Stunden war das Jahrespensum der Mathematik geschafft. 15 Jahre später erzählte ich diese Begebenheit einer Kollegin. Diese meinte, „bei der habe ich meine Examensarbeit an der Uni Münster geschrieben.“ Mathematik-Aufgaben In der Abiturklasse sollte in einer Klassenarbeit der größte Kegel in einer Halbkugel berechnet werden. Im Unterricht hatte ich als Vorbereitung das Problem Dreieck im Halbkreis behandelt. Während alle Schüler die Aufgabe entsprechend der Vorübungen bearbeiteten, war einer in wenigen Zeilen ohne große Rechnerei fertig. Er war der einzige, der die von mir gestellte Aufgabe richtig gelöst hatte. Er hatte nämlich den Text genau gelesen und bemerkt, dass ich in der Aufgabenstellung eine erforderliche Bedingung für die Lage des Kegels vergessen hatte. Dieser Schüler konnte sich von den geübten Vorgaben lösen und das Problem eigenständig angehen. Leider gibt es in der Schule keine bessere Note als 1. Er hätte sie verdient. In einer anderen Abi-Klasse saß ein Schüler, der nie eine Antwort geben durfte, weil seine Ausführungen einwandfrei, aber für seine Mitschüler unverständlich waren. Um die Note „sehr gut“ zu rechtfertigen, kam ich mit ihm überein, dass er auch mal eine Aufgabe an der Tafel vorrechnen sollte. Bei der Aufgabenstellung erzählte ich sehr ausführlich, dass die astronomische Abteilung einer Universität die Genehmigung erhalten habe, eine Sternwarte bauen zu dürfen. Aus Kostengründen müsse aber die Gesamtoberfläche des Turmes mit der abschließenden Halbkugel bei gegebenem Volumen möglichst klein sein. Zu berechnen sei die Höhe des Turmes. Der Schüler rechnete in Windeseile die Tafel voll und erhielt als Ergebnis: Die Höhe des Turm ist Null Meter. Kaum sah er das Resultat, wischte er auch schon alles aus und begann auf neue zu rechnen. Die Schüler hatten gelernt, dass man Rechenfehler unter Stress nicht findet, es ist besser, das Ganze noch einmal (und möglichst anders) zu rechnen. Als er wieder das Ergebnis Null Meter sah, warf er die Kreide und den Schwamm in die Ecke und verließ den Raum mit den Worten: "Heute kann ich nichts." Als er sich nach der Stunde entschuldigte, konnte ich ihn trösten mit dem Hinweis, seine Rechnung sei richtig, sein Fehler aber gewesen, nicht seinen Fähigkeiten getraut zu haben. – Ich hatte mein Ziel erreicht: Der gute Schüler hatte auch mal erlebt, wie man sich fühlt, wenn man versagt. Und dass man nicht verzagen und dass man sich nicht an vorgefasste Meinungen orientieren sollte. In einer anderen Klasse wurde ich während des Unterrichts abberufen. Ich bat eine Schülerin, (ohne Vorbereitung) die Probleme der begonnenen Aufgabe weiter zu entwickeln. Als ich später wiederkam, setzte ich mich hinten in die Klasse und beobachtete, wie die Schülerin die nötigen Erklärungen in perfekter Weise vortrug und geeignete Fragen stellte, als ob sie sich besonders darauf vorbereitet hätte. An manchem Verhalten der Schülerin wurde ich an mein eigenes Vorgehen erinnert. Ein anderes Mädchen war an der Tafel so blockiert, dass sie keinen vernünftigen Satz zustande brachte. Ich kam mit ihr überein, dass sie zu Beginn jeder Stunde eine Aufgabe an der Tafel entwickeln müsse. Sechs Wochen später gab es im Unterricht an der Tafel ein Problem, und ich suchte nach einem Schüler, der das kommentieren sollte. Plötzlich meinte das


59 Mädchen: "Es macht mir nichts mehr aus, da vorne zu stehen und zu reden." Die harte Zeit hatte nicht geschadet, sondern sie gestärkt. Strafe? Anfang der 60er war es üblich, dass die Schüler beim Eintreten des Lehrers für die Begrüßung aufstanden. Als ich eine Oberstufenklasse betrat, erhoben sich alle bis auf einen Schüler in der ersten Bank, der aufgrund von Wiederholungen zwei Jahre älter war als die anderen und auf seinem Stuhl sitzen blieb. Ich musste auf dem kurzen Weg von der Tür bis zu seinem Platz meine Reaktion überlegen, denn es war ja eine Testprovokation. Ich trat vor ihn hin und sagte: "Guten Morgen", wobei meine Hand auf seiner Wange landete. Alle setzten sich hin, er stand auf und fragte: "Kann ich hinausgehen?" Ich wies zur Tür, und der Unterricht nahm seinen Lauf. Mir war natürlich klar, dass mir eine sehr unerfreuliche Zeit bevorstehen würde. Denn auch damals war eine solche Behandlung eines Schülers, zumal im Alter von ca. 18 Jahren, nicht statthaft. – Nach der Stunde kam er zu mir in die leere Klasse und fragte, ob er nach Hause gehen könne. "Natürlich, ich schreibe ins Klassenbuch, ´krank entlassen´". –Mir war klar, dass er sein Gesicht verloren hatte und jetzt nicht im Unterricht bleiben konnte. Dieser Schüler ist der einzige all meiner Abiturienten, der mich nach dem bestandenen Abitur zu Hause privat aufgesucht hat. Seiner Mutter hat er nie etwas von dem Vorfall erzählt. Misserfolg ? Im neuen Schuljahr übernahm ich als Klassenlehrer eine Klasse 10 mit türkischen Schülern. Hinten in der letzten Reihe saßen hauptsächlich die Wiederholer. Sie waren sehr mit ihren Nachbarn beschäftigt, da sie sich für die Mathematik nicht interessierten. Nach einigen Wochen bat ich sie aufzustehen. Die anderen Reihen sollten sich um eine Reihe nach hinten setzen, so dass vorne die Plätze für die Schwätzer frei wurden. Meine Hoffnung, so mehr Ruhe in der Klasse zu haben, erfüllte sich nicht. Ich hatte erreicht, dass vorne sich eine Geräuschkulisse aufbaute, so dass die dahinter sitzenden nichts mehr verstehen konnten und sich mit Recht beschwerten. Es fiel mir schwer, meinen Misserfolg einzusehen. Aber schließlich musste ich handeln. Ich bat einen Kollegen, der vor mir die Stunde in der Klasse hatte, eine Umsetzung so durchzuführen, dass die erste Reihe nach hinten in die letzte und alle anderen eine Reihe nach vorne kämen. Als ich dann zur nächsten Stunde in die Klasse kam, erlebte ich eine empörte Schülerschaft. Der Englischlehrer hätte sich erlaubt, eine Umsetzung vorzunehmen. Vor allem die in der hinteren Reihe beschwerten sich, sie könnten jetzt nichts mehr verstehen. Ich hörte alle an und ermunterte zu weiterer Kritik. Als dann niemand mehr reden wollte, sagte ich: „Die Umsetzung ist nicht auf Initiative des Englischlehrers geschehen. Ich habe ihn nur darum gebeten.“ „Dann haben wir uns ja völlig umsonst beschwert.“ „Nein, ihr müsst euch doch beschweren. - Aber ihr sitzt jetzt wieder genau so, wie ihr euch zu Beginn des Schuljahres selber hingesetzt habt. Eure Kritik geht also nicht an mich, sondern eigentlich an euch selbst.“ Es gab nur noch ein leises Gemurmel. Für mich war überraschend, dass ich ab dem Zeitpunkt eine ruhige aufmerksame Klasse hatte. Physikhelfer In Istanbul wird mir sehr bald die Physiksammlung anvertraut. Ich bin nicht nur für die Neuanschaffungen zuständig, sondern auch für die Ordnung in der Sammlung. Ein Schüler hilft mir dabei. Anfangs ist es Kemal. Er hat jederzeit Zugang zu den Physikräumen, muss aufräumen und dafür sorgen, dass alles an seinem Platz ist. Er ist auch sonst in allen Dingen mein Helfer, wenn es sich um technische Dinge des Schulalltags handelt. So stehen wir einmal am Fenster, während sich unten auf dem schmalen Hof 1200 Kinder von den Aufnahmeprüfungen erholen. Aber sie müssen wieder in die ihnen unbekannte Schule auf ihre Plätze. Mir ist das ein unlösbares Problem. Kemal tröstet mich, nimmt das Mikrofon und fordert die Kinder auf, wieder die Aufstellung wie zu Beginn der Prüfung einzunehmen. Zu meiner großen Überraschung strömen alle auf die alten Plätze im Schulhof, wo sie von den


60 Helfern in Empfang genommen werden. Nach fünf Minuten sind alle im Schulhaus verschwunden. Später übernimmt Yusuf viele Jahre die Aufgabe. Er war seinerzeit der beste Abiturient. Während des Studiums machte er mir den Vorwurf: „Du hast mich nie an die Grenze meiner Leistungsfähigkeit geführt!“ Er hatte vergessen, dass er nie mein Schüler war, aber auch als sein Lehrer hätte ich wohl kaum die Gelegenheit dazu gehabt. Für mich war das eine Bestätigung für mein Verhalten den guten Schülern gegenüber. Während seines Studiums in Heidelberg besucht er mich in Minden und erzählt: Bei einem Spaziergang mit einem deutschen Kommilitonen treffen sie einen Türken. Yusuf unterhält sich natürlich mit dem Landsmann. Wieder mit dem Deutschen allein, sagt dieser zu ihm: „Du kannst aber hervorragend Türkisch.“ Der Deutsche hat nicht gewusst, dass Yusuf Türke ist. So gut sprach er deutsch. Michael Die Schule hat einen Computer. Michael ist der einzige (Schüler) der damit umzugehen weiß. Nach anfänglicher Ablehnung beginne auch ich, mich dafür zu interessieren. Michael ist mein unermüdlicher Lehrer. Eines Tages stöhne ich, und er meint: „ Ach lassen Sie man, Herr Jacobs, Sie lernen das auch noch!“ Heute nach mehr als 30 Jahren ist unser Kontakt immer noch sehr eng. Ein Sextaner Anfangs gibt es nur normalen Computer-Unterricht für die Oberstufe. Bald führe ich Wahlkurse im Rahmen der Differenzierten Mittelstufe ein. Später gebe ich auch für die fünfte und sechste Klasse in einer sechsten Stunde pro Woche Programmierunterricht. Die Hälfte der dreißig Schüler einer Klasse darf zu zweit an die Computer und aus meinem Unterrichtsbuch Programme abtippen, die dann auch funktionieren. Den anderen vermittele ich Theorie. Eines Tages im November zanken sich zwei Schüler an einem Computer. Sie erklären mir, der eine habe das Buch vergessen. Ich verbitte mir das Gezanke, helfen könne ich nicht. Später bemerke ich, dass der eine Schüler ein Programm aus dem Kopf eintippt. Nach einigen Tagen hole ich ihn in mein Zimmer und bitte ihn, das Programm auf einen Zettel zu schreiben. Er ist empört, da er das nicht auswendig könne. Aber er schreibt, so gut er es kann. Wieder einige Tage später kommt er während meines Unterrichts in den Computerraum. Auch dort bitte ich ihn, das Programm an die Tafel zu schreiben. Nach anfänglichem Sträuben schreibt er die Tafel voll. Als er fertig ist, sage ich: „Da ist noch ein Fehler drin!“ Er schaut zur Tafel, findet die Stelle und korrigiert. Ich frage, was das Programm mache. Er erklärt, nach Eingabe einer Zahl würden alle Zahlen von 1 bis zu der eingegebenen Zahl multipliziert. Diese Aufgabe stehe im Buch, allerdings nicht die Lösung. Anfangs denke ich, er habe die Lösung irgendwoher bekommen. Allerdings kann ich an der Wahl der Variablen erkennen, dass er meine Programmiermethoden gelernt und anwendet hat. Die waren damals nur in meinem Buch so beschrieben. Von August bis Weihnachten hat der Sextaner das Buch für den Oberstufenkurs durchgearbeitet und verstanden. Ein paar Jahre später kann er meinen Unterricht in den Wahlkursen der Mittelstufe ohne Vorbereitung übernehmen und weiterführen. Auch Mädchen In der fünften Klasse gebe ich Physikunterricht, der nur aus Experimentieren besteht. Nach kurzer Einführung holen die Schüler die benötigten Geräte und Teile aus den Schränken zusammen. 30 Kinder wuseln in dem Raum herum. Nie ist etwas auf den Boden gefallen oder kaputt gegangen. Am Schluss der Stunde müssen jeweils einige Schüler nach dem Wegräumen das Erlebte und Gelernte zusammenfassen. Eine Schülerin darf nur selten etwas sagen: Sie kann alles kurz und knapp zusammenfassen, worauf es ankommt. Ich bin immer wieder verblüfft. Für die Mitschüler ist die Formulierung aber zu kompakt. Sie hat später


61 Klassen übersprungen, wird aber dennoch nicht glücklich in der Schule, da die Mitschüler sie mobben. Erst als sie die Schule verlassen hat, um auf einer Christopherusschule ihr Abitur zu machen, habe ich wieder Kontakt zu ihr bekommen. Sie sagt mir dann, ich hätte ihrer Mutter schon in der 5. Klasse gesagt: “Mit der Tochter werden sie noch Ärger bekommen in der Schule, die kann auf dem Gymnasium nicht gefördert werden.“ Begegnungen Für jeden Menschen gibt es wichtige Personen. In der Jugend sind es die Eltern und Familienangehörige. Später kommen andere hinzu. Mit einigen gibt es nur interessante Begebenheiten, andere wiederum stehen an Lebens-Kreuzungen oder sind Wegbegleiter. Es gibt auch Weichensteller. Meine Großmutter hat sicherlich das Fundament für meinen Glauben gelegt. Erinnern kann ich mich nur daran, dass sie mir am Krankenbett biblische Geschichten vorgelesen hat. Aber das kann nicht alles gewesen sein, denn sonst kann ich mir meine Sicherheit im Glauben nicht erklären. Später war es dann mein "Fähnleinführer" (in der Nazi-Zeit ein obligatorischer Vorgesetzter), der mich in seinen Bibelstunden formte. Aus der Schulzeit ist mein Deutschlehrer zu nennen. Es ist auffallend, dass etwa fünf Schüler aus meiner Klasse Pastor geworden sind. Frau Mancher meint wohl, dass die Frau erst mit der Emanzipation zur Geltung gekommen ist. Ich vertrete die Meinung, „aus den meisten Männern wird nicht mehr, als die Frau aus ihnen macht.“ Meine Aufnahme am Gymnasium hat meine Mutter gegen den Willen ihres Mannes organisiert.


62

Begegnungen Krankenschwester In Namibia besuchen wir die Ombili-Stiftung, wo man sich um die Buschleute kümmert. ein Farmer hat seinen Besitz für diese Menschen zum Wohnen zur Verfügung gestellt. Seine Frau erzählt uns von dem Vorhaben: Hilfe zur Selbsthilfe. Im Hintergrund sitzt eine Krankenschwester, die uns später herumführt. Auf Fragen nach ihrer Herkunft kommt heraus, dass sie in Minden im Klinikum ein Praktikum für die Lehrschwester-Ausbildung macht. Bei der Gelegenheit wird ihr das Büro einer erkrankten Pflegedienstleiterin zugewiesen. Es ist das Zimmer von meiner Tochter, die wegen ihrer Leukämie pausieren muss. Auch eine Mindenerin In St. Franzisco nehme ich an einem Ausflug zu den roten Bäumen teil. Mit 10 Teilnehmern kurven wir in einem Kleinbus durch die Stadt. Die Fahrerin hält mit der rechten Hand das Mikrofon und erklärt uns die Sehenswürdigkeiten. Irgendwann wird sie gefragt, warum sie gut deutsch spricht. Sie ist als Deutsche mit einem amerikanischen Soldaten verheiratet. Geboren ist sie in Minden. Einige Wochen später erzähle ich diese Begebenheit in Minden bei einer ehemaligen Schülerin. Ja, sagt sie, die wohnte hier in der Nachbarschaft. Die Nachbarin In St. Petersburg am Finnischen Meerbusen sind die Abende lang. Um 23 Uhr geht die Sonne unter. Ich wandere auf einer Terrasse entlang, allein mag ich mich nirgends hinsetzen. Plötzlich höre ich meinen Namen. An einem Tisch sitzt eine Reisegruppe, mittendrin eine Nachbarin aus Minden, die ich schon seit ca. 20 Jahren mal besuchen will. Aber in Minden sind die 500 m zu ihrem Haus ja eine enorme Entfernung.


63

Besinnung Immer wieder habe ich auch mal einen Augenblick, in dem ich an meine derzeitige Lage oder auch an frühere Begebenheiten denke. Dabei tauche ich ein in das Gefühl der Dankbarkeit. Sicherlich habe ich auch Situationen erlebt, in denen ich nicht glücklich war. Doch werde ich beherrscht von dem Empfinden des unverdienten Glücks. Aus einigen Briefen: 13.4.53 Ich weiß nur zu gut, dass ich Ihnen nichts sagen kann. Sie schreiben, sich „vergraben“ zu mögen und dass Sie „nicht nur vor den Schicksalen, sondern vor der Berührung mit vielen Angst haben“. Liebes Fräulein, es soll nicht überheblich von mir sein, - aber ich wusste, dass, wenn Sie auch nicht darüber sprechen würden, es Ihnen doch einmal so gehen würde. Ich habe im Sommer [wo ich Sozialreferent war] sehr oft an Nachmittagen mit einem Angstgefühl an den Abend gedacht, ach wäre er doch erst wieder vorüber... Zweifellos spielte damals auch eine rein physische Erschöpfung mit, aber ich glaube doch, dass es nicht nur dies Äußerliche war. Ich wusste ja, in einigen Stunden wird vielleicht irgendetwas, irgendwelche Worte, vielleicht sogar Rat oder Trost, von mir erwartet, und im Grunde genommen bin ich doch völlig leer. Mir wurde geraten, mich zurück zu ziehen. Nun, das habe ich nicht getan, - ich weiß nicht, ob es nicht doch besser gewesen wäre, - eines aber weiß ich (und möchte es Ihnen sagen), denn ich habe es sehr oft erfahren: Im geforderten Augenblick hatte ich die Kraft, stark sein zu können, wenn ich auch kurze Augenblicke vorher noch gezagt hatte. Ich weiß nur zu gut, dass zwischen dem Wissen und dem Daraus-Leben ein großer Unterschied ist: “Wir müssen das Seil im jedem Augenblick von neuem loslassen.“ Sie werden manchen Weg im Dunklen gehen müssen, wo weder ich noch sonst irgendjemand Sie begleiten kann, - und doch darf ich Ihnen sagen, dass Sie auch auf solchen Wegen niemals allein sein werden (wenn Sie sich auch allein fühlen sollten): Unser Jesus wird bei Ihnen sein. ---------- x ---------

10.3.54 Und wie oft werden wir im Leben noch Abschied nehmen müssen und nicht nur Abschied auf Zeit, sondern auch für immer, für unser ganzes Leben – ohne Widerruf. Ich werde nie den Augenblick vergessen, wo man meiner Mutter den Tod meines Vaters mitteilte. „Festhalten mit leichter Hand, willig zum Loslassen in der Stunde des Abschieds.“ 13.3.54 Man soll die „Geschäfte“ des Tages am Abend Ihm anvertrauen, übergeben, denn wenn er die ganze Welt zusammenhält, so wird Er auch mein Umsorgtes für die Nacht verwalten können, während ich mich ausruhe und neue Kraft sammle. Ich schreib dies, obwohl ich weiß, dass ich es nicht so sagen kann, dass es Dich ergreift; aber mir ist es neu geschenkt worden, und darum muss ich es sagen.

Auch ein Brief: 24.10.54 (Zuckerfabrik) Seit dem 5.10. werden hier in der Zuckerfabrik die Rüben angenommen. Wenn die Bauern ihre Ladungen bringen, müssen diese erst gewogen werden und dann fahren die Wagen über den Hof bis zu einer Stelle, wo die Rüben mit Wasser vom Wagen gespritzt werden. Das nennt man abspritzen. Beim Verlassen des Hofes werden die Wagen wieder gewogen. Die


64 Rüben werden in einem unterirdischen bzw. in der Luft befindlichen Kanal bzw. Rohr fortgeschwemmt und schließlich in der sogenannten Schwemme auf einen großen Haufen geworfen. Von dort geht es dann auf Abruf in die Produktion. Der Sinn der Fabrik ist, Zucker herzustellen. Nun hat man es bisher nur fertig gebracht, den in den Wurzeln gewisser Pflanzen vorhandenen Zucker aus den besagten Wurzeln auf den Ladentisch bzw. in den Kuchen zu befördern. Es darf also nicht von einer Herstellung sondern nur von einer Gewinnung (des bereits vorhandenen) Zuckers die Rede sein. Dieser Zucker findet sich nun nicht in allem, was die Bauern anliefern: Ich sagte schon, die Wagen nehmen sie wieder mit. Hier lassen tun sie vornehmlich, was auf dem Wagen ist. Darunter befinden sich auch die vielzitierten Rüben, die allerdings nicht vollständig aus Zucker bestehen (gottseidank – denn wäre es der Fall, wäre ich nicht hier). Neben und an den Rüben befördern und bringen die Bauern - vornehmlich in diesem Jahr, wo die Himmelsschleusen so sehr reparaturbedürftig sind – noch sehr viel mit, was auch – leider – kein Zucker ist. Aber das ist von - von verschiedenen Standpunkten mit wechselnden Vorzeichen versehener - Bedeutung. So möchte der Doktor – der Leiter der Fabrik – lieber nur Rüben sehen, während viele andere sich freuen, laufend damit beschäftigt sein zu dürfen, das Überflüssige, eben weil es durchaus nicht flüssig ist, zu entfernen. In diesem Zusammenhang ist noch ein Mann zu erwähnen, der sich sicherlich in obiger Hinsicht nicht den Wünschen des Doktors anschließen würde, denn auch er verdient etwas, dieser Mann hat speziell die Aufgabe - die übrigens meiner sehr eng verwandt ist, aber doch konträr: Ich stelle fest, was drin ist, er stellt fest, was dran ist, an der Rübe natürlich. Hat er nun aber auch nichts mit der Rübe, eben das von der Fabrik so sehr begehrte, zu tun, so ist er doch einer der zweitwichtigsten Leute in Bezug auf das Möglichsein der Existenz der Fabrik der Zuckerfabrikation der Aktionäre der Fabrik (der andere bin ich, doch davon später), insofern nämlich, als er nicht wie ich die Zuckerprozente, sondern die Schmutzprozente festzustellen die Ehre und die verdammte Pflicht und Schuldigkeit (er wird dafür bezahlt, s.o.) hat. Sind wir nun auch gute Freunde und – wie erwähnt – gleich wichtig, ja so unterscheiden wir uns in einer, nun der wesentlichsten Eigenschaft, nämlich insofern als seine Prozente den Bauern abgerechnet, während meine Prozente den Bauern angerechnet werden, aber dafür ist er auch soviel älter als ich. Während er also die Schmutzprozente feststellt (indem er einfach die Rüben von Ferne beschaut), laufen da einige herum, die sich näher heranwagen (an den Wagen) und einige repräsentative Rüben auf die Seite schaffen – ein seltener Fall von bezahltem Langefingermachen. Aber uneigennützlich sind sie (trotzdem werden sie bezahlt) und bringen die Beute mit dem Dreck, auf den sich die Schmutzprozente beziehen, dahin, wo sich einige Frauen näher mit dem beschäftigen, was der Mann von oben nur mit den Augen (seinen eigenen) erschaut. Unter den Händen (messergeschärft) sinken die Schmutzprozente zusehends, d.h. man kann auch wegschauen, sofern man Gefahr laufen will, seine Finger mit zu den Schmutzprozenten zu rechnen. Eine dritte Frau fasst dann die so zu Rüben gewordenen Rüben und keilt einen Keil da hin, wo vorher kein Keil hingekeilt war. Diesen Keil, d.h. das, was vorhin da war, wo nun der Keil ist, aber zu Mus gemahlen, das passiert dem Keil eben beim Keilen, wird in eine Blechdose gefüllt, allerdings ist diese nie ganz gefüllt, denn dann würde sie zu schwer, und dann kommt sie zusammen mit anderen (Blechdosen natürlich, nur etwas Keilmus drin) zu uns ins Labor. Das „uns“ bezieht sich auf mich und meine Wage und meine Helferin, denn ihretwegen ist ja die gefüllte Dose nicht gefüllt. – Ich bin sehr bescheiden und nehme von der Dose, d.h. von dem, was da drin ist, d.h. nicht die Luft, sondern dem Mus, nur ein ganz klein wenig auf Butterbrotpapier, das nie etwas mit Butter, Brot usw. zu tun hatte, und tue das in eine Blechflasche, korke zu und stelle die Flasche (aus Blech) in einen Schüttelapparat. Hinterher wird filtriert und das Filtrat, - das ist das, was flüssig ist, das vorhin schon in der Flasche war, - in den Pol gegossen, das ist keine Mütze sondern eine Abkürzung für „Polarisationsapparat zur Bestimmung der Zuckerprozente nach Dr. X.Y.“


65 In diesem Pol, d.h. im Labor mit diesem Pol stelle ich dann die Zuckerprozente fest, eigentlich stehen sie ja schon fest, aber ich bemühe mich, das von der Natur festgestellte bzw. festgelegte zu erfahren. Nachdem ich nun in einigen Andeutungen des Arbeitsganges gedacht habe, will ich noch kurz den Arbeitsgängern gedenken. Zu meinem näheren Kreis gehören neben den Zuckerprozenten meine Helferin, die zugleich Kaffee (für sich) und Tee oder Cacao (für mich) kocht [allerdings nicht zugleich im selben Topf], ferner die Erna, die keilt, und Frau Willkopp und die Elisabeth, die putzen (beileibe nicht verputzten) die Rüben, wenn sie (die Rüben) noch positive Schmutzprozente haben. Als nun die Reparaturbedürftigkeit der eingangs erwähnten Schleusen noch sehr groß war, waren die Zuckerprozente gering, aber dafür die Schmutzprozente sehr hoch, und außerdem war es dem Bauern möglich, bei einigem Balancegeschick die Rüben mitsamt den Schmutzprozenten vom Felde zu tragen. Da wir nun unser Arbeitstempo dieser neuartigen Beförderungstechnik anpassen mussten, hatten wir für eine Untersuchung, genannt „Probe“, etwa siebenmal soviel Zeit, wie in den letzten Tagen. Da nun aber das herzliche Verhältnis unter uns nicht darunter litt, beschloss ich, bei Gelegenheit per Dosenpost eine Tafel Schokolade zu den drei Putzern zu schicken, die durch eine Durchreiche von uns getrennt sind. Ich schrieb auf einem Filterpapier als Begleittext: „Gegengift bei Langeweile.“ Nun wollte ich meiner Helferin, Oma Würger, aber nichts von dem Vorhaben wissen lassen, da sie viel erzählt, ich aber vermeiden wollte, dass es weitere Kreise ziehen sollte. Leider bemerkte sie die Schokolade und so wurde diese gemeinsam mit ihr verspeist. – Unter meiner Wohnung ist die Rübenwäsche. Dort werden die Rüben gewaschen. Das Getriebe dröhnt und alles zittert. Wenn man sein Ohr aufs Kissen legt im Bett, meint man, im Güterzugwaggon das Ohr auf den Boden zu legen. Aber ich merke nichts davon. Wenn ich in der Mittagspause um 12:45 vom Essen komme, lege ich mich aufs Bett und wache manchmal erst nach 13:00 Uhr wieder auf, dann habe ich auch die Sirene nicht gehört, die die Mittagstunde beendet. Manchmal liege ich auch in voller Montur auf dem Fußboden. Mein schönstes Geburtstagsgeschenk war der Umstand, dass wir 347 Proben hatten, das waren 50 mehr als die bisherigen Spitzen. Wenn man bedenkt, dass ich jede Probe einwägen und polarisieren muss, was zusammen ca. 2 Min. dauert, so sind das 700 Min, also 11,5 Stunden, in denen man wie ein Automat die Hände bewegen und trotzdem noch wissen muss, was man tut. Es klingt paradox, ich war nicht so erschöpft wie an den Faulenzertagen.


66

Worte In meinem Leben gibt es viele Begebenheiten und Begegnungen, die mich wesentlich geprägt haben. Weniges habe ich versucht aufzuschreiben. Hoffnung Als ich mit 11 Jahren vier Wochen im Krankenhaus liege, um ein Magengeschwür auszukurieren, lese ich einen "dicken" Roman. Der Titel hat mich in meinem Leben begleitet und mir vielleicht auch manchmal geholfen: "Es muss doch Frühling werden." Abschied Eine Richtschnur war auch das Goethewort (Abschied von Italien): "In jeder großen Trennung liegt ein Keim von Wahnsinn, man muss sich nur hüten, ihn auszubrüten." Grenzen Meine Patentante hatte eine mir unsympathische Schwiegermutter. Sie residiert am Tisch und spricht sehr laut. Eine oftmalige Bemerkung war: "Man muss aufpassen, dass man Geber bleibt!" Sie gibt damit zu verstehen, dass man durchaus helfen soll, auch mit Geld. Aber zugleich weist sie darauf hin, dass das Schenken seine Grenzen hat. (Im Kaiserreich gab es sogar ein Gesetz, das sich auf einen Fall bezog, wo ein Gutsbesitzer durch Spenden verarmte). Für mich geht daraus auch hervor, dass man sich hüten soll, sich Vorwürfe zu machen, wenn man bei einem Fall nicht hat helfen können, weil man an eigene Grenzen kam. Wir dürfen nicht vergessen, dass dem Menschen Grenzen gesetzt sind. Aber die Grenze darf weder Angst einflößen noch darf man sie aus Überheblichkeit außer Acht lassen.


67

Helfen "Nur

wer in einer Sackgasse drin saß, hat gelernt, wie er wieder herauskommt."

Dies schreibt mein Istanbuler Direktor in seinen Erinnerungen. Mich erinnert dies auch an meinen Unterrichtsstil: Vor allem bei guten Schülern habe ich versucht, sie in eine Sackgasse zu leiten, damit auch sie erleben, wie man sich verloren fühlt und wie man sich trotzdem mühen muss, aus der Sackgasse herauszukommen. – Und dass man herauskommen kann. Tief berührte mich, dass Britta Steffen mach ihrem 1. Olympiasieg etwa das gleiche sagt. Gerade Menschen, die in der Schule gut waren, denen dort alles zuflog, werden im späteren Leben oft nicht den erwarteten Anforderungen gerecht. Sie haben in ihrer Jugendzeit nicht gelernt, zu arbeiten und in schwierigen Situationen zu kämpfen und nicht aufzugeben. Lehrer und ebenso Eltern müssen den ihnen anvertrauten Kindern helfen. Das heißt auch, ihnen Schwierigkeiten bereiten, sie in scheinbar aussichtslose Situationen führen, damit sie lernen, immer wieder nach Lösungen zu suchen und nicht zu verzweifeln. Training im Sportbereich ist manchmal hart. Braucht man für die Bewältigung des Lebens nicht zu trainieren? Für die Erwachsenen ist es oft unerträglich, ein Kind leiden zu sehen. Wer helfen will, sollte nicht die Lösung anbieten, sondern zu einem Weg dahin ermuntern. Das 1x1 lernen muss das Kind selber, helfen kann man nicht durch Mitleid oder Drohungen, sondern nur durch Motivation. Aber vom Kind aus gesehen ist diese Motivation meistens völlig anders als wir sie uns denken. Nicht die benötigte Zeit ist für ein Kind wichtig, sondern z.B. die Zettel an der Tür, um die Mutter zu beeindrucken. Natürlich ist es manchmal beschämend, wenn man feststellen muss, dass die üblichen eigenen Methoden völlig versagen und man dies auch noch bekennen muss. Umso mehr war ich beeindruckt, dass durch mein hilfloses Agieren eine ganze Schülergruppe ihr Benehmen änderte und zum positiven Verhalten fand.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.