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Voll in Mode
Von Kleidern,
DIE GESCHICHTEN ERZÄHLEN
Seit fünfzig Jahren sammelt Martha Wieland Kleider, Schuhe und Accessoires. Mit uns spricht sie über ihre Lieblingsstücke und darüber, wie Mode den Zeitgeist der Gesellschaft widerspiegelt.
Martha Wieland liebt Mode und bewundert die Handwerkskunst schöner Designs. In ihrem eigenen Kostümmuseum in Uerkheim stellt sie die raffiniertesten Sammlerstücke aus vergangenen Zeiten aus. Im Gespräch mit ihr begeben wir uns auf eine Zeitreise durch die Modegeschichte, die gleichzeitig viel über die Stellung der Frau in der Gesellschaft aussagt.
Frau Wieland, die bunte Welt der Mode ist Ihr Leben. Wie beschreiben Sie Ihren persönlichen Modestil?
Ich habe viele Modestile durchlebt. Heute mag ich es bequem und doch elegant. So trage ich keine hohen Absätze mehr, weil mir darin die Füsse wehtun. In Turnschuhen und Abendgarderobe wird man mich aber nie sehen. Dennoch ist mir der Einfluss der Sportwelt auf die Mode bewusst, so kombinierte die preisgekrönte Regisseurin Chloé Zhao bei den diesjährigen Oscars eine edle Robe von Hermès mit weissen Turnschuhen. Was für Orthopäden eine Freude sein mag, ist aus Sicht des Schuhmacherhandwerks keine gute Nachricht.
Auf Turnschuhe und Abendgarderobe können Sie also verzichten. Auf welche drei Stücke in der Garderobe keinesfalls?
Auf drei Stücke kann ich mich nicht festlegen, auf Farben schon. In meinem Schrank sind Teile, die sich gut kombinieren lassen. Ich trage viel Schwarz, kombiniert mit einer Farbe. Grün würde ich allerdings nie tragen. Das beeinflusst übrigens auch unbewusst meine Sammlung, denn wenn ich mich so umsehe, stelle ich fest, dass die Farbe Grün kaum in meiner Modesammlung vorkommt.
Welches war Ihr erstes Sammelstück?
Ein Leder-Maximantel im Trenchcoat-Stil aus der Zeit, als ich in den 1960er-Jahren in London lebte und dort zur Schule ging. Mit 20 Jahren arbeitete ich nebenbei in einem französischen Delikatessengeschäft in der Nähe des Film District. Dort verkehrten Filmlegenden wie Liz Taylor oder Roger Moore. Diese Zeit hat mein Stilbewusstsein sehr geprägt. Den Mantel habe ich übrigens immer noch.
War das der Beginn Ihrer Modeleidenschaft?
Nicht unbedingt. Als 16-Jährige machte ich in der Nähe von Paris einen einjährigen Sprachaufenthalt. In dieser Zeit kam ich in Kontakt mit einer Dame, die ein originales Chanel-Kostüm besass. Das hat mich elektrisiert. Mein Interesse für die Mode von Chanel reicht aber noch weiter zurück: Meine Mutter war stets bemüht, uns Kinder modisch zu kleiden, und hat uns Kostüme im markanten Chanel-Stil genäht – ohne den Beruf erlernt zu haben. Zu dieser Zeit übten sich viele Frauen im Nähen, und Modehefte sowie Schnittmuster waren hoch im Kurs. Eine Tante von mir war gelernte Schneiderin. Ich genoss es sehr, meine Ferien bei ihr zu verbringen und die Anproben der massgeschneiderten Kleider zu beobachten.
Was fasziniert und begeistert Sie an Mode?
Die Modegeschichte ist ein Spiegel der Gesellschaft. Feste, Bräuche, Trends, Kunst und vor allem auch Rollenbilder schlagen sich in der Modewelt nieder. So zeigt die Modegeschichte deutlich die Stellung der Frau: von der «festgezurrten» Frau, die sich in ein Korsett zwängt, über die Bein zeigende Emanze in den 1920er-Jahren hin zur Errungenschaft, dass
«Die Geschichte der Mode zeigt deutlich auch die Stellung der Frau und ihre Rolle in der Gesellschaft.»
Die Ausstellung «150 Jahre – 150 Kleider» zeigt eindrucksvoll die Geschichte der Mode – und jene der Frau.
auch Frauen Hosen tragen dürfen, sich die Haare abschneiden oder ohne Schürze zur Schule gehen.
Wie sehen Sie die Freiheiten der Frauen in Sachen Mode heute?
Heute kann sich frau mit Mode frei ausdrücken. Sie kann tragen, was ihr gefällt und worauf sie Lust hat. Das ist wunderbar. Ich stelle aber fest, dass mit dieser Freiheit der Druck zugenommen hat, wie frau auszusehen hat. Wenn Frauen ihren Körper mit chirurgischen Eingriffen verändern, missfällt mir das enorm. Solche Beobachtungen gibt es immer wieder: Wenn irgendwo Freiheit dazugewonnen wird, entsteht an anderer Stelle etwas Einengendes. Heute ist es ebendieses unerreichbare Schönheitsideal verbunden mit operativen Eingriffen.
Inwiefern ist Mode für Sie ein feministisches Thema?
Eine Frage mit viel Zündstoff. Zum einen machen Frauen heute alles, um gut auszusehen, zum anderen möchten sie nicht auf ihr Aussehen reduziert werden. Ein grosses Dilemma. Frauen wollten aber schon immer gefallen. Nun werden die Körper zunehmend optimiert, weil Mode zugänglicher geworden ist.
Was genau meinen Sie damit?
Jeder kann sich heutzutage gut kleiden. Früher blieb dies den oberen Schichten vorbehalten, denn Material und Herstellung waren teuer. Heute dagegen bleiben praktisch keine Modewünsche unerfüllt. Die Stil- und Farbenvielfalt ist unglaublich. Bei den Materialien wird leider immer mehr Synthetik beigemischt. Das führt dazu, dass Kleidung billiger geworden ist. Eine Folge von Fast Fashion sind die Wegwerfmentalität und in Folge eine entsprechend hohe Belastung der Umwelt.
Wie stehen Sie zu der Schnelllebigkeit heutiger Mode?
Der Respekt für die Kleider ist – nicht zuletzt wegen der niedrigen Preise – völlig verschwunden. Meistens werden die Kleider von Frauen gefertigt, die unter unerträglichen Bedingungen arbeiten müssen und zudem schlecht bezahlt sind. Auch Kinderarbeit ist ein Thema. Hier gibt es Handlungsbedarf. Mode ist «Big Business» geworden, ständig werden neue Kollektionen auf den Markt geworfen. Die Mode befindet sich in einem grossen Umbruch.
Umbrüche sind generell interessant für Sie, stehen sie doch auch in der Modegeschichte für zeitliche Epochen. Welche ist Ihre Lieblingsmodeepoche?
Als Sammlerin liebe ich alle Stile. Bei den Kleidern aus den 1920er-Jahren sticht allerdings deren gewagte Machart heraus. Es handelt sich um allerfeinste Schneiderkunst. Die edlen Materialien und die ungemein raffinierten Elemente sind ein Hingucker. Ich besitze ein paar wunderschöne Teile aus dieser Zeit, die ich zum Teil selbst restauriert habe. Das ist mit enorm viel Arbeit und Herzblut verbunden.
Wie kommen Sie zu den modischen Sammlerstücken?
Bei Ausstellungen und historischen Modeschauen habe ich interessante Menschen kennengelernt, die mir ihre wertvollen Stücke überlassen haben. Zudem bin ich eine leidenschaftliche Floh- und Antikmarktbesucherin. Viele Ausflüge und Ferien passe ich dieser Leidenschaft an, und so ist mit den Jahren eine beachtliche Sammlung entstanden.
Es gibt bestimmt viele interessante Geschichten, die hinter Ihren Kleidungsstücken stecken.
Darüber könnte ich tatsächlich ein Buch schreiben und das tue ich vielleicht auch. Niemals vergessen werde ich die Begegnung mit einer hochbetagten Dame, die vom Hochzeitsstrauss nach sechzig Jahren nur noch das Gerippe der Pflanzen übrighatte. Trotzdem hätte sie diesen niemals weggegeben. Das Hochzeitskleid wurde mir jedoch mit einem letzten Darüberstreichen übergeben – ein sehr berührender Moment.
Welches ist Ihr wertvollstes Exponat?
Ein Ballkleid mit Cape und Schleppe aus Schweizer Abraham-Seide von Yves Saint Laurent. Es ist eines meiner liebsten Stücke und zugleich mein wertvollstes. Den genauen Preis verrate ich allerdings nicht.
Was muss ein Stück haben, damit Sie es in Ihre Sammlung aufnehmen?
Es muss typisch für eine Epoche sein und dieser klar zugeordnet werden können. Ausgefallenheit, schöne Materialien und eine aufwendige Verarbeitung sind ebenfalls Kaufkriterien. Es müssen nicht immer die grossen Marken sein. Ich bewundere die vielen Schneiderinnen landauf und landab, die für wenig Geld sehr schöne Kleidungsstücke hergestellt haben. Auch Kinderkleider haben es mir angetan.
Die gefallen sicher auch Ihrer Enkelin.
Ja, und nicht nur die Kinderkleider. Meine Enkelin ist richtig begeistert von der Sammlung. Wer weiss, vielleicht führt sie sie irgendwann weiter. Das ist ein schöner Gedanke.
Das teuerste Kleid aus der Sammlung von Martha Wieland stammt aus dem Jahr 1980 und ist ein Ballkleid von Yves Saint Laurent.
Interview: Christina Schildknecht Fotos: Selina Meier Martha Wieland ist Modesammlerin aus Leidenschaft. Mit ihrem Mann André, der Musiknoten sammelt, hat die 73-Jährige in einer ehemaligen Kapelle in Uerkheim ein Kostümmuseum eröffnet. Die Ausstellung «150 Jahre – 150 Kleider» gibt einen Einblick in die Geschichte der Mode und in Wielands umfangreiche Sammlung. Ihre Ausstellungsstücke wurden bereits für Film und Fernsehen verwendet, zum Beispiel im Film «Mein Name ist Eugen». Für Firmenanlässe organisiert Wieland zudem individuelle Modeschauen mit den Sammlerstücken. Neben ihrer Modesammlung besitzt sie rund 1'600 Modezeitschriften und 1'000 Modebücher.