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Sicher nach Hause
WEIT MEHR ALS EIN
Gratis-Taxi
Zur Person
Gallus Hengartner kam 2002 als freiwilliger Fahrer zu Nez Rouge Ostschweiz. Seit 2014 hält er als Präsident von Nez Rouge Schweiz und Nez Rouge Ostschweiz die Fäden ehrenamtlich in der Hand und packt auch an der Front noch immer tatkräftig mit an. Er lebt mit seiner Frau in Teufen AR, wo er als Leiter Betriebe und Sicherheit bei der Gemeinde wirkt. Davor war er 30 Jahre bei den SBB im Einsatz. Der 57-Jährige ist Vater zweier erwachsener Kinder und spricht drei Landessprachen.
Seit über 30 Jahren sorgt die Aktion Nez Rouge dafür, dass Menschen im Dezember sicher nach Hause kommen, wenn sie sich nicht mehr hinters Steuer setzen sollten. Doch dieses Jahr kommen die Helferinnen und Helfer erstmals nicht zum Einsatz.
Gallus Hengartner ist seit 2002 für Nez Rouge in der Sektion Ostschweiz tätig. Der 57-Jährige wirkt als Präsident und koordiniert die 23 Sektionen des gemeinnützigen Vereins. Um die Fahrgäste, aber auch die über 10'000 Helferinnen und Helfer vor einer möglichen Corona-Infektion zu schützen, hat sich Nez Rouge dazu entschieden, seinen Fahrdienst dieses Jahr auszusetzen.
Das erste Mal in der Geschichte von Nez Rouge wird es die Weihnachtsaktion dieses Jahr nicht geben. Was löst das in Ihnen aus?
Es war keine leichte Entscheidung, aber die Sicherheit von Menschenleben geht vor. Hier geht es nicht um meine Meinung oder persönliche Emotionen, sondern um die Gesundheit aller.
Schon seit 30 Jahren gibt es Nez Rouge in der Schweiz. Wie kamen Sie dazu?
Bereits vor meiner Zeit bei Nez Rouge war ich in meiner damaligen Führungsfunktion bei den SBB in der Alkoholprävention ehrenamtlich tätig. Nicht, weil ich strikt gegen Alkohol bin. Es geht mir um das richtige Mass. Diese Idee findet sich auch im Kern von Nez Rouge wieder: Es geht nicht um Verbote, sondern darum, eigenverantwortlich zu handeln – insbesondere auf der Strasse.
Was spornt Sie in Ihrem Amt an – früher als Fahrer, heute als Präsident von Nez Rouge Schweiz?
Meine Motivation war es, etwas Gutes zu tun. Als Fahrer hatte ich die Möglichkeit, mit den Fahrgästen über den Einfluss von Alkohol am Steuer zu reden, ohne dabei belehren zu wollen. Ich möchte Menschen dafür sensibilisieren, was geschehen kann, wenn man unter Alkoholeinfluss hinter dem Steuer sitzt. Die Reaktion der Gäste, die Nez Rouge nutzen, ist in den allermeisten Fällen positiv, und den Freiwilligen wird viel Wertschätzung entgegengebracht. Der solidarische Gedanke hinter Nez Rouge in der Schweiz ist für mich etwas ganz Spezielles.
Wie funktioniert Nez Rouge?
Nez Rouge hat mittlerweile zwei Standbeine. Neben der Gratisaktion, die üblicherweise im Dezember stattfindet und die in diesem Jahr leider ausfällt, bieten wir unter dem Jahr einen kostenpflichtigen Fahrdienst an. In den meisten Köpfen ist Nez Rouge aber als Gratis-Fahrgelegenheit fest verankert. Das Spezielle an der Aktion ist, dass wir die Gäste mit ihrem eigenen Auto nach Hause bringen. Damit das möglich ist, sind unsere Fahrer in Teams unterwegs: Einer fährt mit dem Gast, der zweite folgt mit einem unserer Poolautos. Die genauen Abläufe regelt jede Sektion individuell. Während der Weihnachtszeit ist der Fahrdienst zwar kostenlos, in der Regel erhalten wir von den Gästen aber ein Trinkgeld. Zwei Drittel unserer Auslagen können wir damit abdecken, den Rest erhalten wir über Spenden.
Was raten Sie Autofahrerinnen und Autofahrern, wenn sie sich nicht auf Ihren Fahrdienst verlassen können?
Wir rufen zu einem verantwortungsvollem Handeln auf. Am besten bestimmt man schon vorab in einer
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«Ein Ja für Nez Rouge ist auch ein Ja zu mehr Sicherheit auf den Strassen.»
Gruppe einen fahrtüchtigen Fahrer. Wer fahruntüchtig und alleine unterwegs ist, ruft ein Taxi oder einen Bekannten an, nutzt die öffentlichen Verkehrsmittel oder übernachtet vor Ort.
Haben Sie selbst schon vom Angebot Gebrauch gemacht?
Ich bin oft mit meiner Frau unterwegs, da sprechen wir uns im Vorfeld ab, wer nach Hause fährt. Dennoch ist es schon vorgekommen, dass ich mich nicht anders organisieren konnte, wenn ich allein unterwegs war: Sei es, dass kein Zug gefahren ist oder dass sich kein Fahrer im Bekanntenumfeld finden liess. Dann habe ich auch schon bei Nez Rouge angerufen.
Wann wird Nez Rouge während der Weihnachtszeit üblicherweise am meisten in Anspruch genommen?
Viele Firmen feiern ihre Weihnachtsessen oder Apéros an einem Donnerstag- oder Freitagabend. An diesen beiden Tagen ist viel los. Und natürlich um den 24. Dezember herum. Die Nacht der Nächte ist aber mit Abstand Silvester. Bis zu 30 Fahrerteams sind dann in unserer Sektion im Einsatz. Dazu kommen die Freiwilligen in der Zentrale: im Telefondienst, in der Disposition oder für die Verpflegung des Teams.
Wie finden Sie Freiwillige?
Die meisten Helferinnen und Helfer werden über Mund-zu-Mund-Propaganda auf uns aufmerksam. Wir betreiben kaum Werbung, man findet uns aber auch über unseren Facebook-Kanal. Ein guter Teil der Freiwilligen sind ehemalige Fahrgäste. Manche kommen für einen Abend, um sich für ihre Fahrt zu revanchieren. Andere sind regelmässig im Einsatz.
Was muss ich beachten, wenn ich mich als Helferin oder Helfer melden möchte?
Wer sich in seiner Region bei Nez Rouge engagieren möchte, findet auf unserer Website das übersichtliche «Handbuch für Freiwillige». Darin stehen alle wichtigen Informationen und Verhaltensregeln. Für Fahrer ist ein gültiger Fahrausweis obligatorisch. Daneben sind Teamgeist und Spass die Hauptsache. Unsere Freiwilligen sind wie eine kleine Familie. Viele sind schon seit Jahren dabei. Ein Alterslimit gibt es grundsätzlich nicht. Bei den Fahrern achten wir aber darauf, dass die Sicherheit gewährleistet ist. Personen bis 70 Jahre können sich als Fahrer problemlos melden, für die anderen Ämtli sind wir offen.
Welche Herausforderungen sehen Sie für Nez Rouge in den kommenden Jahren?
Einen Verein wie Nez Rouge lässt sich nicht mehr
führen wie vor 20 Jahren. Alles ist technischer geworden. Vor allem in den Bereichen Finanzen oder Recht muss man heute anders arbeiten – strukturierter, professioneller. Und vor allem transparent. Es gibt sauber aufgesetzte Verträge, insbesondere beim ganzjährigen Fahrdienst. Wir sind ein grosses KMU, das sein Know-how ständig ausbaut. Ein Beispiel: Dieses Jahr führen verschiedene Sektionen ein neues Dispositions-Tool ein, das die Planung und den Betrieb erleichtert. Die Disposition sieht auf einer Karte in Echtzeit, wo sich alle Fahrer befinden und welche Aufträge anstehen. Durch eine sektionsübergreifende Schnittstelle zu den Nachbarsektionen können Leerfahrten vermieden und die Effizienz pro Fahrt gesteigert werden.
Haben Sie in Ihrer Zeit als Fahrer auch schwierige Situationen erlebt?
Mein Credo lautet: C’est le ton qui fait la musique. Wenn ich einem Fahrgast freundlich und offen begegne, kommt das in der Regel auch zurück. An schwierige Situationen kann ich mich nicht erinnern. Grundsätzlich waren die Leute wirklich dankbar dafür, dass sie gesund und sicher nach Hause gekommen sind. Und dass noch jemand da war, mit dem sie reden konnten.
Welches Ereignis ist Ihnen in besonders schöner Erinnerung geblieben?
In meiner Zeit als Fahrer habe ich einmal drei Lehrerinnen nach Hause gefahren. Unterwegs hatten wir ein riesiges Gaudi. Ich habe die drei nach St. Gallen gefahren und Adieu gesagt. Zwei Jahre später, als ich an einem anderen Anlass vor Ort war, ruft es plötzlich von Weitem: «Juuuhuuu, Herr Heeengartner!» Und da standen sie wieder, alle drei, mit strahlenden Gesichtern. Mein Name war ihnen geblieben, und der Zufall wollte es, dass wir uns an zwei völlig unterschiedlichen Orten wiedersehen.
Das sind für mich die schönen Erlebnisse. Es zeigt, dass unsere Arbeit wertvoll ist und geschätzt wird.
Sie werden in der Weihnachtszeit nun das erste Mal «frei» haben. Wie ändert das Ihre Pläne für die Festtage?
Der Silvester war 18 Jahre lang fest für Nez Rouge eingeplant. Für meine Frau und mich wird 2020 das erste Jahr seit langem sein, in dem wir nicht mit den Helferinnen und Helfern vor Ort arbeiten und gemeinsam ins neue Jahr rutschen. Pläne für Silvester haben wir noch keine. Der 24. Dezember hingegen war schon immer für die Familie reserviert. Auch dieses Jahr hoffen wir, mit unseren mittlerweile erwachsenen Kindern und unseren Eltern feiern zu können.
Die Idee stammt ursprünglich aus Kanada. In der Schweiz wurde Nez Rouge als Verein 1990 ins Leben gerufen und ist eine von und für die Bürgerinnen und Bürger organisierte Präventionsmassnahme zur Unfallverhütung: ein kostenloser Fahrdienst im Dezember. Ziel der Aktion ist es, die Anzahl Verkehrsunfälle um die Weihnachtszeit zu verringern, die durch das Fahren in untüchtigem Zustand verursacht werden. Heute bietet Nez Rouge auch unter dem Jahr seine Dienste an, dann aber kostenpflichtig. 2019 waren schweizweit 10’700 Freiwillige im Einsatz und haben 35’200 Personen in 16’800 Fahrten samt Fahrzeug sicher nach Hause begleitet.