Schubert Liedlexikon

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Das Schubert-Liedlexikon bietet erstmals einen Überblick über die gesamte Bandbreite der Lieder, von denen jedes detailliert vorgestellt wird: Ein erster Abschnitt gibt Hinweise zum Gedicht, seiner literaturgeschichtlichen Stellung, klärt inhaltliche Besonderheiten und erläutert sprachliche und begriffliche Eigenarten. Ein zweiter Abschnitt gilt der Vertonung. Er geht auf die Zusammenhänge zwischen Text und Musik ein, erläutert Eigenheiten melodischer, harmonischer und rhythmischer Art und weist Einflüsse anderer Komponisten sowie der geistigen Strömungen der Zeit nach. Informationsblöcke geben Auskunft über Stimmumfang (in der Originallage), Entstehung, Textvorlage sowie über weiterführende Literatur. Abgedruckt ist in der Regel der Anfang jedes Liedes im Notenbeispiel sowie zumeist der vollständige Text nach dem Wortlaut der Neuen Schubert-Ausgabe.

Umfangreiches Nachschlagewerk zu sämtlichen Liedern Schuberts Detaillierte Einzeldarstellung von jedem Lied Abdruck der Liedanfänge im Notenbeispiel sowie der Gedichtvorlagen Kurzbiografien zu sämtlichen Textdichtern

Bärenreiter w w w. b a erenrei ter. c o m

Sämtliche Schubert-Lieder in Einzeldarstellungen Die Autoren Werner Aderhold, Michael Bauer, Dietrich Berke, Christiane Braun, Moritz Chelius, Gerhard Dietl, Walther Dürr, Christian Geltinger, Peter Gülke, Andreas Holzer, Annegret Huber, Christoph Huber, Manuela Jahrmärker, Michael Kohlhäufl, Hans Joachim Kreutzer, Michael Kube, Stefan Lindinger, Walburga Litschauer, Helga Lühning, Christine Martin, Dieter Martin, Almut Ochsmann, Michael Raab, Reinhard Saller, Siegfried Schmalzriedt, Uwe Schweikert, Thomas Seedorf, Thomas Seyboldt, Morton Solvik, Mirjam Springer, Wolfgang Stähr, Stefanie Steiner, Christian Strehk, Astrid Tschense-Oesterle, Till Gerrit Waidelich

634 Sololieder schrieb Franz Schubert und setzte mit diesem gewaltigen und außerordentlich vielfältigen Œuvre die Gattung in

Die Herausgeber

der Musikgeschichte des

Walther Dürr ist Projektleiter der Neuen Schubert-Ausgabe in Tübingen. Neben etlichen Veröffentlichungen zu Schubert erschienen bei Bärenreiter Musik und Sprache (1994) sowie das Schubert-Handbuch (1997).

19. Jahrhunderts durch.

Michael Kube ist seit 1998 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe, seit 2002 Mitglied der Editionsleitung. Uwe Schweikert ist Autor, Herausgeber u. a. der Werke Rahel Varnhagens, Ludwig Tiecks und Hans Henny Jahnns, Mitherausgeber des Verdi-Handbuchs (2001), Literatur- und Musikkritiker.

Viele dieser Lieder, so die Zyklen »Die schöne Müllerin« und »Winterreise«, aber auch die zahlreichen Vertonungen nach Gedichten von Goethe oder Johann Mayrhofer, gehören zum Kernbestand von Schuberts Liedschaffen.

Stefanie Steiner ist seit 2001 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-RegerInstitut (Karlsruhe) tätig.

Hrsg. von W. Dürr, M. Kube, U. Schweikert und St. Steiner, unter Mitarbeit von M. Kohlhäufl

Bärenreiter Irrtum und Lieferungsmöglichkeiten vorbehalten 1/1202/3 · SPA 50-46

The Musicians’ Choice

888 S. mit Notenbeispielen; gebunden ISBN 978-3-7618-1506-9


1812

Akzent und Oktavierung betonten Vorhalt cis–cis’ nach d–d’ dramatische »Verstrickungen« trotz der verhaltenen Dynamik: Erst in der 2. Takthälfte erweist sich der erste Akkord des 2. Taktes als Septnonakkord auf der Dominante.

Klaglied, op. post. 131,3 (D 23) Friedrich Rochlitz

Stimmumfang fis’– g’’ Ausgaben NGA IV,6 Peters 4 Entstehung und Textvorlage Das Lied entstand 1812. Nur die 1. Strophe ist unterlegt, nicht die restlichen drei, daher besteht in weniger Textbezug als in der ersten, s. Vorwort NGA IV,6 und Einstein 57 f. Es liegen zwei Fassungen mit geringen Abweichungen vor, die hauptsächlich die Auszierungen der Singstimme und Details der Klavierbegleitung betreffend. Schuberts Textvorlage war vermutlich: Glycine von Friedrich Rochlitz. 1. Teil, Züllichau u. Freystadt 1805, 213. Literatur Peter Gülke, Franz Schubert und seine Zeit, Laaber 1991, 72

1. Meine Ruh ist dahin, Meine Freud ist entflohn, In dem Säuseln der Lüfte, In dem Murmeln des Bachs Hör ich bebend nur Klageton, Hör ich nur Klageton.

3. Wenn ich von fern ihn seh, Will ich ihn zu mir ziehn, Kaum entdeckt mich sein Auge, Kaum tritt näher er mir, Möcht ich gern in mein Grab entfliehn, Gern in mein Grab entfliehn.

2. Seinem schmeichelnden Wort Und dem Druck seiner Hand, Seinem heißen Verlangen, Seinem glühenden Kuß, Weh mir, daß ich nicht widerstand, Daß ich nicht widerstand.

4. Einmal, ach, einmal nur Möcht ich ihn glücklich sehn, Hier am klopfenden Herzen, An der sehnenden Brust: Wollte lächelnd dann untergehn, Lächelnd dann untergehn!

Stefanie Steiner

24. September 1812

Der Jüngling am Bache (1. Bearbeitung, D 30) Friedrich von Schiller

Zum Text Mit einem überdeutlichen Anklang an Goethes berühmtes Gretchen-Lied »Meine Ruh ist hin« (vgl. Gretchen am Spinnrade [D 118]) versetzt uns dieses Gedicht von Friedrich Rochlitz unvermittelt in die Situation einer verlassenen Liebenden, die der »entflohnen Freud« nachtrauert. Während die erste Gedichtstrophe ausschließlich dem Klagegefühl Ausdruck gibt, enthalten die weiteren drei Strophen dunkle Andeutungen einer gescheiterten oder beendeten Liebesbeziehung: »Weh mir, daß ich nicht widerstand« (Strophe 2) könnte eher auf ein ähnliches Schicksal wie das von Gretchen in Goethes Faust hindeuten, doch scheint der Geliebte sich immer noch im Umkreis der Liebenden aufzuhalten (»Wenn ich von fern ihn seh, / Will ich ihn zu mir ziehn […] tritt näher er mir«, Strophe 3), jedoch für sie unerreichbar (Strophe 4). Ebenso disparat wie der Inhalt der vier Gedichtstrophen – fehlender Trost in der Natur (»nur Klageton«, Strophe 1), bittere Reue über das einstige Nachgeben (Strophe 2), Todeswunsch (Strophe 3) und utopische Vision eines »lächelnden Untergangs« in den Armen des Geliebten – ist das Reimschema: rastlos im Versfuß des Anapäst, mit Endreim nur für den jeweils zweiten und fünften Vers; der sechste Vers, der das Versschema aufzubrechen scheint, bekräftigt durch Wiederholung nochmals den fünften Vers. Zur Musik Bei seiner Vertonung – es war sein erstes Strophenlied – ging der 15-jährige Schubert weitgehend vom Inhalt der 1. Strophe aus, sodass die restlichen Strophen sich der Musik nur widerstrebend fügen. Als Ausdruck der Klage nutzt Schubert Vorhaltsbildungen, die »düstere« Tonart g-Moll, verhaltenste dynamische Bereiche (Wechsel überhaupt nur zwischen pp und ppp) und ein rastlos gehetztes Metrum, das eher an eine Arie als an ein schlichtes »Lied« gemahnt. Das »Säuseln der Lüfte«, das »Murmeln des Bachs« und der »bebende« Klageton werden durch die beschleunigte Bewegung der Klavierstimme verdeutlicht (T. 9 ff. nun Sechzehntel statt Achtel); die pastoralen Naturbilder lösen einen harmonischen Wechsel in die parallele Durtonart B aus, wie das kurze Aufblühen einer verlorenen Idylle (T. 9 –13). Doch schon bei den Worten »nur Klageton« ist wieder die Mollsphäre erreicht, zunächst c-, dann g-Moll. Und bereits die ersten beiden Takte Klaviervorspiel verheißen mit dem durch Klaglied, op. post. 131,3 (D 23)

Leseprobe aus dem Schubert-Liedlexikon · ISBN 978-3-7618-1506-9

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1. An der Quelle saß der Knabe, Blumen wand er sich zum Kranz, Und er sah sie fortgerissen, Treiben in der Wellen Tanz. Und so fliehen meine Tage Wie die Quelle rastlos hin, Und so bleichet meine Jugend, Wie die Kränze schnell verblühn!

3. Was soll mir die Freude frommen, Die der schöne Lenz mir beut? Eine nur ist’s, die ich suche, Sie ist nah und ewig weit. Sehnend breit ich meine Arme Nach dem teuren Schattenbild, Ach, ich kann es nicht erreichen, Und das Herz bleibt ungestillt.

2. Fraget nicht, warum ich traure In des Lebens Blütenzeit! Alles freuet sich und hoffet, Wenn der Frühling sich erneut. Aber diese tausend Stimmen Der erwachenden Natur Wecken in dem tiefen Busen Mir den schweren Kummer nur.

4. Komm herab, du schöne Holde, Und verlaß dein stolzes Schloß! Blumen, die der Lenz geboren, Streu ich dir in deinen Schoß. Horch, der Hain erschallt von Liedern, Und die Quelle rieselt klar! Raum ist in der kleinsten Hütte Für ein glücklich liebend Paar.

Zum Text Nur eine Gelegenheitsarbeit war es, die Schiller in Angriff nahm, als er 1803 für den Spielplan des Weimarer Hoftheaters eine Komödie seines Zeitgenossen, des französischen Dramatikers Louis-Benoît Picard, mit eleganter Meisterschaft ins Deutsche übertrug. Der Parasit lautet der Titel des geistvollen Bühnenwerks, das noch im Oktober desselben Jahres einstudiert wurde und das Publikum mit dem aufhaltsamen Aufstieg eines üblen Intriganten lehrreich unterhielt. Des Parasiten Widersacher, ein verliebter Poet, bringt im 3. Akt ein Gedicht zu Papier, das im 4. Aufzug von seiner Herzensdame Charlotte als Lied gesungen wird. Ihr allein sind diese Strophen zugedacht, ja selbst der scheinbar unüberwindliche Standesunterschied wird thematisiert (»Und verlaß dein stolzes Schloß«). Da diese Romanze einem Schlüssel zur inneren und äußeren Handlung des Dramas gleichkommt (ähnlich wie das Sonett in der Oper Capriccio des späten Richard Strauss), ließ es sich Schiller nicht nehmen, eigene, neue Verse für das französische Lustspiel zu verfassen, die er unter der Überschrift Der 24


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