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Internationale Konferenz

Repräsentationen des Ersten Weltkriegs in den mitteleuropäischen Literaturen veranstaltet im Rahmen des bilateralen Projekts der Germanistikabteilungen der Universitäten Ljubljana und Zagreb

Programm und Abstracts

Ljubljana, Slowenien (Philosophische Fakultät, Blauer Salon – Raum 526) 11.-13. Juni 2015



Programm 11. Juni 2015 8.30 Begrüßung und Einführung Prof. Dr. Branka Kalenič Ramšak, Dekanin der Philosophischen Fakultät der Universität Ljubljana Mag. Marie-Thérèse Hermges, Direktorin des Österreichischen Kulturforums Ljubljana Dr. Jakob Haselhuber, Deutsche Botschaft, Ständiger Vertreter Dr. Pierre-Yves Fux, Schweizerischer Botschafter in Slowenien Uwe Reissig, Direktor des Goethe Instituts Ljubljana Prof. Dr. Milka Car und Doz. Dr. Johann Georg Lughofer, Konferenzleitung 9.00-10.30: Tagebücher und Reflexionen der Lebenswelten Moderation: Wynfrid Kriegleder Thomas Wegmann (Innsbruck): „Sitze in meinem Loch und schreibe“. Über die Rolle von Tagebüchern für die Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs Petra Ernst (Graz): „… mache Dir kein Bild vom Nichts der Kriegserfahrung”. Kriegserlebnis und Gewalterfahrung in Briefen und Tagebüchern österreichisch-jüdischer Soldaten Clemens Peck (Salzburg): K riegspfade und Fluchtwege. Galizische Topographien in der deutsch-jüdischen Literatur 1914-1918 10.30 Kaffeepause 11.00-13.00: Zerfall und Neuordnung aus österreichischer Sicht I Moderation: Stéphane Pesnel Johann Georg Lughofer (Ljubljana): Vor 1914: die literarische und publizistische Vorwegnahme des Weltkriegs bei Bertha von Suttner Primus Heinz Kucher (Klagenfurt): „ ...Oesterreich als ein bloß belastendes Hinterland...” oder: „Oesterreich den Balkan und das oestliche Mittelmeer beherrschend”. Hugo von Hofmannsthals Kriegsziel-Notizen im Kontext deutscher und österreichischer Balkan-Konzepte im Ersten Weltkrieg Oliver Jahraus (München): Traum-Logiken des Krieges. Der (Erste) Weltkrieg in den Romanen von Alexander Lernet-Holenia Claas Morgenroth (Dortmund): Repräsentation und Diktion: Ernst Weiß’ Romane Der Augenzeuge und Der Verführer

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Repräsentationen des Ersten Weltkriegs in den mitteleuropäischen Literaturen

14.30-16.00: Projektionen aus Zentrum und Peripherie Moderation: Boris Previšić Hans Richard Brittnacher (Berlin): Der Erste Weltkrieg als Monsterspektakel. Karl Kraus und Die letzten Tage der Menschheit Marijan Bobinac (Zagreb): Persiflage oder Verherrlichung des k.u.k.-Heerführers Conrad von Hötzendorf? Zu Miroslav Krležas Zeitungstext Barun Konrad (1915) und daraus folgenden Polemiken Milka Car (Zagreb): Miroslav Krleža und der Erste Weltkrieg. Antiimperialer Impetus und Freiheitsprojektionen in seinem Novellenzyklus Der kroatische Gott Mars 16.00 Kaffeepause 16.30-18.00: Die Wahrnehmung der Frauen Moderation: Christine Magerski Renata Jambrešić Kirin (Zagreb): War within the war: professional women during the WWI as cultural agents and political subjects Irena Samide (Ljubljana): Krieg und Gender: Zofka Kveders pazifistischer Briefroman Ulrike Zitzlsperger (Exeter): B ewusstsein und Anteilnahme: Zur Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs abseits der Front

12. Juni 2015 8.30 -10.30: Zerfall und Neuordnung aus österreichischer Sicht II Moderation: Marijan Bobinac Christine Magerski (Zagreb): K risenregion Balkan oder der Anfang vom Ende klarer Verhältnisse Arturo Larcati (Verona/Salzburg): Der Krieg mit Italien aus der Perspektive von Stefan Zweig und anderen Autoren der Monarchie Wynfrid Kriegleder (Wien): L eider (lange Zeit) vergriffen. Vergessene österreichische Weltkriegsromane der Zwischenkriegszeit Christian Kirchmeier (München): Kisch, Redl und die Poetik des neusachlichen Journalismus 10.30 Kaffeepause

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Programm und Abstracts

11.00-13.00: Isonzo- und Gebirgskrieg Moderation: Oliver Jahraus Boris Previšić (Luzern): Karst und Krieg. Die Funktion der Landschaft in der Narrativierung der Isonzofront (Giuseppe Ungaretti, Srečko Kosovel, Kornel Abel und Jovan Cvijić) Svjetlan Lacko Vidulić (Zagreb): „ Schöne Aufnahmen gemacht. “ Zur Topologie und Semantik der (sub)alpinen Landschaft im Gebirgskrieg (1915–1918) Stéphane Pesnel (Paris-Sorbonne): Spurenlesen in den Bergen. Die Natur als Palimpsest des Krieges in Mario Rigoni Sterns Erzählwerk Mira Miladinović Zalaznik (Ljubljana): „Weil ich verspreche, mäuschenstill zu sein, darf ich ein paar Tage lang bei den Artilleriebeobachtern sitzen“. Die Reporterin Alice Schalek bei der Isonzoarmee 14.30-16.00: Politisierung der Ästhetik Moderation: Primus Heinz Kucher Hannah Dingeldein (Mannheim): „Schwerttag, Kriegstag, Bluttag“: Hanns Heinz Ewers umstrittener Propagandaroman Vampir. Ein verwilderter Roman in Fetzen und Farben – ein Text über den Ersten Weltkrieg Mario Grizelj (München): Alterität in Gefangenschaft. Der Erste Weltkrieg und Mile Budaks Ratno roblje (1941) – kulturanthropoetologisch 16.00 Kaffeepause 16.30-18.00: Reflexionen in der Gegenwartsliteratur Moderation: Milka Car und Johann Georg Lughofer Daniela Kirschstein (Ljubljana): Erinnern nach der Erinnerung. Der Erste Weltkrieg in der Gegenwartsliteratur Jelena Spreicer (Zagreb): Kontrafaktuale und alternative Geschichte in Hannes Steins Der Komet Neva Šlibar (Ljubljana): Das Elend des Überlebens: Eisflüstern von Bettina Balàka und Der Spiegelkasten von Christoph Poschenrieder

13. Juni 2015 8.30 Ausflug zu Schauplätzen des Ersten Weltkriegs (fakultativ)

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Abstracts Marijan Bobinac (Zagreb): Persiflage oder Verherrlichung des k.u.k.-Heerführers Conrad von Hötzendorf? Zu Miroslav Krležas Zeitungstext Barun Konrad (1915) und daraus folgenden Polemiken Wegen eines Zeitungsartikels über die kriegsstrategischen Kompetenzen des österreichisch-ungarischen Generalstabschefs Baron Conrad von Hötzendorf, den er unter dem Titel Barun Konrad in der Zagreber Tageszeitung „Obzor“ Ende April 1915 veröffentlicht hat, wurde Miroslav Krleža nach der Beendigung des Krieges, im neubegründeten SHS-Königreich, heftigen Angriffen ausgesetzt. Der vom Autor als ironische Persiflage intendierte Text, zugleich der erste seiner zahlreichen Beiträge zur politischen Publizistik, wurde nämlich von mehreren Anhängern des neuen Regimes als Lobrede der k.u.k.-Armee dargestellt, wobei sich Krleža plötzlich mit Anschuldigungen konfrontieren musste, er – bereits als unerbittlicher Kritiker politischer Verhältnisse in der Donaumonarchie wie auch im neuen südslawischen Staat profiliert – habe während des Krieges die nun verhasste österreichische Soldateska glorifiziert. Mit den Bezichtigungen der Austrophilie hingen auch Verdächtigungen zusammen, dass deswegen auch Krležas pazifistische Haltung, die die bis dahin veröffentlichten Werke des Autors zutiefst prägt, eigentlich erlogen sei. Gegen diese Angriffe hat Krleža mehrmals heftig polemisiert und dabei zu zeigen gesucht, wie seine Gegner die literarische Ironie für bare Münze nehmen und im gleichen Zuge für politische Zwecke instrumentalisieren. Im Konferenzbeitrag soll zunächst Krležas literarisches Verfahren im ursprünglich veröffentlichten Zeitungstext sowie in seinen späteren Formen, die der Autor im Rahmen von zwei weiteren polemischen Texten in den 1920er und 1930er Jahren veröffentlicht hat, erörtert werden. In einem weiteren Schritt soll auch auf literarische und politische Strategien hingewiesen werden, die Krleža und seine Gegner in dieser lange andauernden Polemik verfolgt haben.

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Programm und Abstracts

Hans Richard Brittnacher (Berlin): Der Erste Weltkrieg als Monsterspektakel. Karl Kraus und „Die letzten Tage der Menschheit“ Karl Kraus, nach der Einschätzung Walter Benjamins nicht nur der Unheilsbote seiner Zeit, sondern selbst die Hand, die das Zeitalter an sich legte, verfolgte in seiner Fackel den Krieg mit einer beispiellosen publizistischen Energie, die sich über die kriegsinduzierte entfesselte Unvernunft nicht beruhigen wollte. Der Maßlosigkeit des an allen Fronten, in allen Elementen, mit allen Mitteln und Waffen geführten Krieges entsprach sein schließlich nach Kriegsende fertiggestelltes Untergangsdrama Die letzten Tage der Menschheit .Karl Kraus hat es einem Marstheater zugedacht, weil er es für unaufführbar hielt: zu dicht war dieses Drama, dessen schlimmste Phrasen, wie der Autor im Vorwort versichert, Wort für Wort der Wirklichkeit entnommen waren, an der Realität. Der ätzende Spott, mit dem Kraus die Kriegstreiber und –teilnehmer, vor allem aber die Presse und ihre Handlanger, als Operettenfiguren darstellt, die zu Akteuren einer Tragödie werden, prägt das Stück genauso wie eine delirante apokalyptische Rhetorik. In seiner Radikalität, aber auch seinem Pessimismus transzendiert das Stück gleichsam apriorisch ein Grundverständnis der satirischen Schreibweise, die an die Hoffnung an eine zu verbessernde Wirklichkeit gebunden bleibt. Milka Car (Zagreb): Miroslav Krleža und der Erste Weltkrieg. Antiimperialer Impetus und Freiheitsprojektionen in seinem Novellenzyklus Der kroatische Gott Mars In der Novellensammlung Der kroatische Gott Mars von Miroslav Krleža, der als „kroatischer Dichter von europäischem Rang“ (K.-M. Gauss) gilt, wird die Frage nach narrativen Darstellungsstrategien des Ersten Weltkrieges thematisiert. Miroslav Krležas Novellen fokussieren die peripheren südslawischen Gebiete in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, welche in der Forschung auch als Semi-, Quasi-, oder Pseudo-Kolonien bezeichnet werden, wobei der Erste Weltkrieg hauptsächlich aus der Perspektive der marginalisierten Figuren dargestellt wird. Damit wird eine imperiale Konstellation hergestellt, die vor allem in der längeren Novelle unter dem Titel Màgyar kiràly honvèd Novella [dt. Königlich-Ungarische Honved-Novelle] zum Tra5


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gen kommt. Darin wird das Bild einer geteilten Welt entworfen, das im „katastrophalen Zusammenhang“ (Krleža: KUHN, S. 65) des Ersten Weltkrieges mündet und vor allem mit der Konfrontation zwischen königlich-ungarischer Obrigkeit und einfachen kroatischen bäuerlichen Soldaten geschildert wird. Zu beleuchten sind die Erzählpotentiale, die die nationalen und imperialen Erfahrungen widerspiegeln, wie auch die Erscheinungsformen einer zukunftsorientierten revolutionären Ablehnung der Sinnlosigkeit des Krieges in politischen Imaginationen des jungen Krleža in der Zeit unmittelbar vor der Auflösung der Habsburgermonarchie. Hannah Dingeldein (Mannheim): „Schwerttag, Kriegstag, Bluttag“: 1 Hanns Heinz Ewers umstrittener Propagandaroman Vampir. Ein verwilderter Roman in Fetzen und Farben – ein Text über den Ersten Weltkrieg Hanns Heinz Ewers (1871–1943) ist in vielerlei Hinsicht ein äußerst umstrittener und problematischer deutscher Autor. Gründe dafür sind u.a. besonders sein Rassismus und Nationalismus, sein kämpferischer Einsatz als Propaganda-Redner für Deutschland im Ersten Weltkrieg, später sein kurzzeitig sehr nahes Verhältnis zum Nationalsozialismus – seine Romane Reiter in deutscher Nacht und Horst Wessel legen trauriges Zeugnis darüber ab. Irritierenderweise hat Ewers jüdische Freunde, für die er sich auch während der Zeit des Nationalsozialismus einsetzt, 1933 kommt es zur Verbrennung der Werke von Ewers durch die Nationalsozialisten, 1934 dann zum Bruch mit dem Hitler-Regime. Diese Unstimmigkeiten und Widersprüche in Ewers Biographie machen die Beschäftigung mit seiner Person nur noch schwieriger, zu Recht hat Klaus Gmachl von dem „Problem Hanns Heinz Ewers“2 gesprochen. Aufgrund der umrissenen Problematik fand lange Zeit keine eingehende breite literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Ewers und seinen Texten statt. Jedoch scheint in letzter Zeit ein ge1 Hanns Heinz Ewers: Vampir. Ein verwilderter Roman in Fetzen und Farben. München: Georg Müller, 1920. 2 Klaus Gmachl: Zauberlehrling, Alraune und Vampir. Die Frank Braun-Romane von Hanns Heinz Ewers. Norderstedt: Books on Demand, 2005, S. 312. 6


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wisses Interesse der Literaturwissenschaft an Ewers zu erwachen.1 Man versucht, das „Problem Ewers“ nicht mehr zu ignorieren, sondern – im Kontext deutscher Vergangenheitsaufarbeitung – zu analysieren, um nicht zuletzt die Mechanismen seines Erfolgs wie auch die Möglichkeiten seiner Einflussnahme auf die Massen zu ergründen. Denn Ewers hatte als Schriftsteller Erfolg, er schrieb Bestseller wie den Roman Alraune, er wurde von gleichgesinnten Zeitgenossen hoch geschätzt, seine Texte hatten zuweilen eine gefährliche ideologische Sogwirkung, sie zielten auf Lenkung und Beeinflussung der Leserschaft ab.2 Der Erfolg und die Wirkung seiner propagandistischen Texte auf die Massen lässt sich besonders auch für die Zeit des Ersten Weltkriegs feststellen. Anhand des Texts Vampir. Ein verwilderter Roman in Fetzen und Farben (1920) möchte dieser Vortrag einen Beitrag dazu leisten, sich dem „Problem Ewers“ anzunähern. Der zu großen Teilen autobiographische, mit fantastischen Elementen durchwobene Roman Vampir erzählt von dem Protagonisten Frank Braun, der sich gerade auf einer Amerikareise befindet, als der Erste Weltkrieg ausbricht. Da ihm die Rückreise nach Deutschland verwehrt ist, muss er notgedrungen in New York bleiben, wo er als Propaganda-Redner für Deutschland arbeitet. Während dieser Zeit befällt eine unerklärliche Krankheit Frank Braun, die ihm selbst bis zum Ende des Romans ein Rätsel bleibt. Er fühlt sich abgespannt und erschöpft und hat beängstigende, alarmierende Träume, in denen er sich durch das Blut anderer Menschen stärkt – seine Krankheit offenbart sich schließlich als „vampirische[r] Blutdurst“.3 Indem sich dieser „Blutdurst“ vor allem durch das Trinken des Bluts der Halbjüdin Lotte Lewi, einer Liebschaft Frank Brauns, sättigen lässt, nimmt der Roman bereits das furchtbare Grauen des Zweiten Weltkriegs vorweg.4 Der Beitrag möchte die Einstellung des umstrittenen Autors Hanns Heinz Ewers zum Ersten Weltkrieg und zu seinem „deutschen Vaterland“ analysieren, es soll untersucht werden, mit welchen Strategien der Leserlenkung Ewers zahllose Leser für sich gewinnen und beeinflussen konnte und nicht zuletzt soll gezeigt werden, inwiefern die be1 2 3 4

Ebd., S. 44. Vgl. ebd., S. 40, S. 312. Ebd., S. 258. Ebd. 7


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reits im Titel angelegte, ideologisch-wahnhaft zu verstehende Vampir-Motivik zum Symbol für den gefährlichen deutschen „Blutdurst“ während des Ersten Weltkriegs wird. Petra Ernst (Graz): „… mache Dir kein Bild vom Nichts der Kriegserfahrung” – Kriegserlebnis and Gewalterfahrung in Letters and Diaries of Austrian-Jewish Soldiers In my talk I will analyse motifs, topoi, and discourses in letters and diaries of Austrian-Jewish soldiers in WWI. I will focus on the question, how this writing deals with (the notion of) Kriegserlebnis and Gewalterfahrung. In his famous essay “Der Erzähler” (1936/37) Walter Benjamin writes about the impossibility to talk or write about the experience of war by arguing that the war had produced a poorness of communicable experiences. This seems contradictory if we consider the millions of soldier’s letters and diaries, but also the journalistic texts and novels which were written in the sign of the war in all warring states. The paper will discuss Benjamin’s hypothesis by mainly analyzing some unpublished letters of the young Austrian-Jewish soldier Viktor Zuckerkandl, who fought at the Austrian-Italian front, to Arthur Schnitzler, the published collection of “Kriegsbriefe deutscher und österreichischer jüdischer Soldaten”, the diary of Egon Erwin Kisch, who fought in Serbia, and the essay “Das Erlebnis im Kriege” by Bruno Altmann, who anticipates Benjamin’s position in a radical way. Mario Grizelj (München): Alterität in Gefangenschaft. Der Erste Weltkrieg und Mile Budaks ‚Ratno roblje‘ (1941) – kulturanthropoetologisch Es handelt sich bei Ratno roblje um die Darstellung des zweimonatigen Fußmarsches, den Mile Budak (einer der Chefideologen des kroatischen Ustaša-Staates und Schriftsteller) als kroatischer Offizier in Diensten der österreichisch-ungarischen Armee in serbischer Gefangenschaft durch Serbien, Mazedonien und Albanien von Okt. bis Dez. 1915 zurücklegen musste. Budak liefert uns schriftstellerisch durchaus bemerkenswerte Beschreibungen nicht nur der konkreten Gefangensituation, sondern auch politische und ethnographische Reflexio8


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nen. Die Behandlung der Gefangenen kommt ebenso in den Blick wie Schilderungen von persönlichen Beziehungen, Überlegungen zum Verlauf des Krieges, zu ethnischen Stereotypen, zur aktuellen Informations- und Kommunikationslage, zu Möglichkeiten von Allianzen und vor allem zur kultur-politischen Situation des ‚Balkanraums‘. Im Vortrag soll das Alteritätsmanagement des Faschisten Budak untersucht werden und dabei vor allem die poetologischen Strategien, die dabei zum Einsatz kommen. Zu denken wäre hierbei unter anderem an die Variation der Tagebuchform, die Verwendung von Metaphern, an die narrativen Taktiken und das Verhältnis von plot und story zur beigelegten Landkarte und zu den geschilderten realhistorischen Ereignissen. Oliver Jahraus (München): Traum-Logiken des Krieges. Der (Erste) Weltkrieg in den Romanen von Alexander Lernet-Holenia Die Romane von Alexander Lernet-Holenia scheinen fast einschlägig auf das Konferenzthema zugeschnitten zu sein. Sie behandeln den Krieg mit einem lokalen Fokus auf der Peripherie des Habsburgerreiches, sie gehen insbesondere auf den Zerfall dieser k.u.k. Monarchie ein (und leisten damit einen ganz eigenen Beitrag zu dem von Claudio Magris entfalteten Habsburger-Mythos in der österreichischen Literatur) und sie thematisieren immer wieder Fragen nach Zerfall und Neuordnung in diesem politischen und geographischem Raum. Ein erster Befund allerdings zeigt, dass diese geschilderten militärischen, politischen und historischen Prozesse auf eigentümliche Art und Weise immer wieder mit Liebesgeschichten oder -affären gekoppelt oder gar konterkariert werden, deren Erzählweise tendenziell phantastische Formen annimmt. In meinem Vortrag will ich die These entfalten, dass der Krieg nicht nur als Kolorit dieser Liebesgeschichten fungiert, sondern gerade umgekehrt, dass die Traum-Logik, die sich in diesen Erzählungen Bahn bricht, ein grundlegendes poetologisches Problem verhandelt, das man in der Frage fassen kann: Wie kann denn von einem Krieg, dem Zerfall einer Ordnung und einer (defizitären) Neuordnung im gesellschaftlichen und politischen Bereich, wie er sich mit dem Untergang des Habsburgerreiches dramatisch vollzieht, überhaupt noch erzählt werden? Der von der Tagung gesetzte Fokus 9


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verwandelt sich bei Lernet-Holenia in ein Problemfeld, auf dem Krieg und Literatur auf besondere Weise ins Verhältnis gesetzt werden. Renata Jambrešić Kirin (Zagreb): War within the war: professional women during the WWI as cultural agents and political subjects Memory of the First World War in Croatia is almost completely inhabited by literary and drama representations of this seminal event or historical node, as during the 20th C thus also today. Since in socialist episteme the Second World War figured as the Great war, “a war to end all wars”, its predecessor mainly serves to illustrate the Marxist view of modern history as a result of proletarians and small nations’ struggles against imperialist projects and capitalist “war machine”. The positive, mostly nostalgic references to the period when Croatia was subordinated to the Austro-Hungarian rule and a part of “Central European civilization”, had been introduced during the 1990s, together with a systematic historical research. For literary scholars it brought a new impetus for engaging into cultural, social and gender history, together with the urge to collect and reinterpret autobiographies and ego documents by writers active during the fin de siecle and WWI. Consequently, almost a new “literary Atlantida” was discovered by Dunja Detoni Dujmić in her monograph Ljepša polovica književnosti [Beautiful Half of Literature] (1998) revealing a dozen of female authors who deserve to be reinscribed into the national canon. My own research has followed this track but was more focused on ego documents (women’s autobiographies, correspondence and diaries) and biographies of first Croatian feminist writers, artists and educators, first professional women who were during the Great war fought for the women’s rights, especially the right to education, equal pay and public visibility. Their artistic attempts and humanistic reply to national cataclysm and global collapse, as well as their mutual feminist support and the ethics of care, will be juxtaposed to prevailing xenophobia, religious intolerance, nationalism and misogyny fueled by the print and illustrative magazines as opinion makers of the time. From the recent theoretical angle/edge, some innovations expressed in female ego-documents, autobiographies and visual self-portrait are more important resources to explore the cultural discourses which 10


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shaped the modern identities of women than their literary works. More generally, those valuable materials scattered in Croatian archives and private collections, reveal not only multicultural and transnational orientation of Croatian female writers and intellectuals but also help us to build a challenging corrective to the malestream national narratives and historiographies of the Great War lacking the gender dimension. Christian Kirchmeier (München): Kisch, Redl und die Poetik des neusachlichen Journalismus Neben den militärischen Vernichtungstechniken, die das Gesicht des Ersten Weltkrieges prägen, brachte das frühe 20. Jahrhundert einen zweiten, ganz anderen Typus moderner Kriegsführung hervor: die Spionage. Im Gegensatz zu den offen sichtbaren Zerstörungskräften der modernen Waffen stellt der Spion eine Gefahr im Verborgenen dar. Als stets latente Bedrohung, als Verkörperung des politischen Unheimlichen wird er zum Auslöser einer eigenen sozialen Pathologie, für die die Zeitgenossen den Begriff ‚Spionitis‘ erfunden haben. In meinem vorgeschlagenen Vortrag möchte ich einen besonders spektakulären Spionagefall dieser Zeit untersuchen. Dabei handelt es sich um die Enttarnung des stellvertretenden Chefs des k.u.k. Geheimdienstes, Oberst Adolf Redl, der als Doppelspion Staatsgeheimnisse an Russland verkauft hatte. Es war Egon Erwin Kisch, der durch seine erfolgreichen Recherchen alle Versuche des Generalstabs scheitern ließ, die Affäre zu vertuschen. Wie ich argumentieren möchte, ist dieser Fall für den literarisch-publizistischen Diskurs über den Krieg von größter Bedeutung, weil sich Kisch als Reporter neuen Stils inszenieren konnte, der im Dienste der Öffentlichkeit gegen eine staatliche Geheimhaltungspraxis arbeitet. Ich will also versuchen zu zeigen, wie Kischs Der Fall des Generalstabschefs Redl (1924) dazu beiträgt, dass eine Poetik des investigativen, neusachlichen Journalismus als Reaktion auf das Phänomen der ‚Spionitis‘ im Umfeld des Ersten Weltkrieges entsteht.

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Daniela Kirschstein (Ljubljana): Erinnern nach der Erinnerung. Der Erste Weltkrieg in der Gegenwartsliteratur. Auch wenn die Welle an Texten, die sich um das Jahr 2014 am Ersten Weltkrieg abarbeiten, lange nicht an die Flut der Kriegsliteratur in der Weimarer Republik heranreicht, lohnt es sich, dem neuen Interesse für historische Stoffe nachzugehen. Für kanonische Texte der ‚ersten Generation‘, war die Tatsache, dass deren Autoren den Krieg selbst erlebt hatten, fester Bestandteil ihrer Erinnerungsstrategie, ihrer Poetologie und ihrer Selbstvermarktung. Wie legitimieren demgegenüber Texte wie Erwin Mortiers Götterschlaf (2014), Elena Messners Das lange Echo (2014), Pat Barkers Tobys Zimmer (2014), Hans von Trothas Czernin oder wie ich lernte, den Ersten Weltkrieg zu verstehen (2014) oder Jean Echenoz 14 (2014) ihre Auseinandersetzung mit einem Ereignis, das nur noch in Form fremder Erinnerungen und konkurrierender historiographischer Darstellungen zu haben ist? Für moderne Kunst und Literatur ist Selbstreferenz wichtiger als Fremdreferenz. Gleichzeitig konstituiert, tradiert und verändert Literatur, wie im CFP nachzulesen, kulturelle Sinn- und Zeichenbildungen. Gegenwartsliteratur, die sich mit historischen Stoffen auseinandersetzt, operiert in besonderem Maße im Spannungsfeld von Selbstreferenz und (aufs Eigene zurückschlagender) Fremdreferenz. Vor diesem Hintergrund möchte mein Beitrag die narrativen und poetologischen Strukturen der genannten Texte untersuchen. Wie lösen sie die Formel ‚Erinnern nach der Erinnerung‘ ein? Welche spezifisch literarischen Konzepte von Erinnerung und Geschichte entwickeln sie? Welchen spezifisch literarischen Beitrag leisten sie für die neu entbrannten Debatten um Schuld und Verantwortung? Wo verorten sie Zentrum und Peripherie und wie problematisieren sie deren Verhältnis? Wynfrid Kriegleder (Wien): Leider (lange Zeit) vergriffen. Vergessene österreichische Weltkriegsromane der Zwischenkriegszeit. Während in der deutschen Literatur der 1920er- und 1930er Jahren der Erste Weltkrieg in vielen Büchern fiktional verarbeitet wurde, wird 12


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man in der österreichischen Literatur dieses Zeitraums kaum fündig. Von ganz wenigen Klassikern abgesehen (Joseph Roth, Alexander Lernet-Holenia), sind die nicht sehr zahlreichen entsprechenden Romane spätestens nach 1938 schnell vergessen worden. Ob zu Recht oder zu Unrecht, dieser Frage will mein Beitrag nachgehen. Voraussichtlich werden folgende Romane behandelt: Gina Kaus: Die Front des Lebens (1928) Leo Perutz: Wohin rollst du, Äpfelchen? (1928) Rudolf Geist: Der anonyme Krieg (1929) Josef Hofbauer: Der Marsch ins Chaos (1930) Otto Soyka: Bob Kreit sieht alles voraus. (1931) Heinz Primus Kucher (Klagenfurt): „...Oesterreich als ein bloß belastendes Hinterland...“ oder: Oesterreich den Balkan und das oestliche Mittelmeer beherrschend“. H.v. Hofmannsthals Kriegsziel-Notizen im Kontext deutscher und österreichischer Balkan-Konzepte im Ersten Weltkrieg. Der Vortrag befasst sich mit den im Zuge der kritischen Werkausgabe 2013 erstmals vollständig edierten Notizen und Aufzeichnungen Hofmannsthals zum Ersten Weltkrieg. Diese werden mit seinen für die Neue Freie Presse verfassten (und zum Großteil dort auch publizierten) Kriegsfeuilletons sowie mit den relevanten Briefwechseln (v.a. mit H. Bahr, Harry Graf Kessler, J. Redlich) abgeglichen, um der Frage nachzugehen, inwieweit sich Hofmannsthal mit den grassierenden zeitgenössischen Kriegszielpublikationen und Kriegszieldiskursen auseinandergesetzt und welche er darunter – insbesondere mit Blickrichtung auf die deutsch-österreichischen ‚Balkan-Konzepte‘ – favorisiert und wie er seine Haltungen dazu, vor dem Hintergrund der militärischen Operationen insbesondere bis 1916/17, begründet hat.

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Svjetlan Lacko Vidulić (Zagreb): »Schöne Aufnahmen gemacht.« Zur Topologie und Semantik der (sub)alpinen Landschaft im Gebirgskrieg (1915–1918) Zu den Superlativen des Ersten Weltkriegs gehörte das historisch neuartige Ausmaß systematischer Umgestaltung der Landschaft für militärische Zwecke. Die durch Schützengräben, Unterstände und Todeszonen aufgerissene und unterhöhlte Landschaft des industrialisierten Stellungskrieges ist eine radikale Konsequenz der territorialen und limitischen Organisation moderner Staatsgebilde. Diese Organisation geht mit der Überlagerung gewachsener und durchwachsener Strukturen (von der Geomorphologie bis zu kulturellen Kontinua) durch homogene Strukturen und scharfe Grenzen einher, deren zerstörerisches Potenzial gerade im Zuge ihrer Verschiebung, der gewaltvollen Neukartierung imperialer und nationaler Räume, zur radikalen Entfaltung kommt. Der sog. Gebirgskrieg 1915–1918 an der österreichisch-italienischen Südfront ist ereignisgeschichtlich im Schatten der kriegsentscheidenden Westfront und der weitläufigen und ereignisreichen Ostfront geblieben. Doch gerade an der Südfront erreichte die Formung der Kriegslandschaft neue Höhen – im räumlichen wie im technischen Sinne. In den Dolomiten und am Isonzo traf die zu verschiebende oder zu verteidigende Grenze auf eine ›kriegsuntaugliche‹ Landschaftskonfiguration, der in den höchsten Lagen etwa durch Stollengrabung und Sprengung begegnet wurde. So entstand eine besondere Spielart jenes Handlungsraums, den der damalige Frontsoldat Kurt Lewin unter dem Titel Kriegslandschaft (1917) in der Perspektive einer phänomenologischen Topologie beschrieben hat. Wie findet der empirisch und theoretisch belegte ›gerichtete Raum‹ der Kriegslandschaft Eingang in die Narrativierung von Fronterfahrungen im Gebirgskrieg? In welchem Verhältnis steht dabei die ›abnormale‹, limitische Topologie zu den ›friedenszeitlichen‹, tendenziell grenzüberschreitenden Modi einer Semantisierung von Landschaft? Die von K. Lewin als wahrnehmungspsychologische und somit wertneutrale Konsequenz der ›Kriegslandschaft‹ in der ›Gefechtssituation‹ beschriebene Raumqualität ist kausal mit dem Wirken einer Staatsmaschinerie im Kriegszustand verbunden. Die Reduktion der Wahr14


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nehmung auf die Topologie der Kriegslandschaft erscheint daher als Repräsentation militaristischen Geistes und viriler Verhaltensmuster, während der Einsatz anderer Semantisierungsmodi tendenziell mit Formen des Kampfes um Normalität oder der kritischen Gegenwehr im Zusammenhang steht. Die narrativen Repräsentationen des ›gekerbten‹ und des ›glatten‹ Raumes (Deleuze/Guattari) stehen somit im Verhältnis zur Ideologie des Krieges. Zu diesem Befund führt die Analyse von Ego-Dokumenten (postalischer und fotographischer Nachlass des k.u.k.-Leutnants Viktor Ramov), literarischen Texten (E. Hemingways A Farewell to Arms, L. Trenkers Berge in Flammen, K. Kraus’ Die letzten Tagen der Menschheit) und militärhistorischen Berichten. Arturo Larcati (Verona/Salzburg): Der Krieg mit Italien aus der Perspektive von Stefan Zweig und anderen Autoren der Monarchie Der Erste Weltkrieg ist ein Ereignis, das eine tiefe Zäsur im Leben und Werk von Stefan Zweig markiert: nicht nur, weil es seine Wandlung vom großdeutschen Patriotismus zum Pazifismus bzw. Engagement für Europa markiert, sondern auch weil Zweig sich mit dem Jeremias (1917) als zur Reife gelangten Autor empfindet. In meinem Vortrag möchte ich anhand von wenig bekannten bzw. unveröffentlichten Dokumenten nachvollziehen, wie Zweig den Eintritt Italiens in den Krieg erlebt und welche Folgen das Ereignis für das Verhältnis zu seinen italienischen Freunden (etwa dem Maler Alberto Stringa oder dem Schriftsteller und Germanisten Antonio Borgese) und die Rezeption des größten italienischen symbolistischen Dichters, Gabriele d’Annunzio, hat. Die Darstellung der Position von Zweig soll durch die Stellungnahmen anderer österreichischer Autoren zum Krieg mit Italien verglichen und ergänzt werden. Johann Georg Lughofer (Ljubljana): Vor 1914: die literarische und publizistische Vorwegnahme des Weltkriegs bei Bertha von Suttner Die erste Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner warnte schon früh vor dem anstehenden Weltkrieg. In ihren journalistischen und literarischen Arbeiten beschäftigte sie sich immer wieder mit den 15


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kriegsauslösenden Ereignissen, der Rhetorik und Terminologie des Kriegs, den technischen Methoden der Kriegsführung und deren Konsequenzen auf Individuen und Gesellschaft. Das Attentat in Sarajevo erlebte sie bekanntlich nicht mehr, sie starb genau eine Woche davor. Mit welchen poetischen Strategien bei Suttner bzgl. der literarischen Aufarbeitung des Weltkriegs in seinen technischen und sozialen Dimensionen bedeutende Vorarbeit geleistet wird bzw. vieles vorweggenommen wird, soll der Beitrag im Detail analysieren. Ein Hauptaugenmerk dabei gilt Suttners Beobachtungen zu den Krisensituationen in Südosteuropa. Christine Magerski (Zagreb): Krisenregion Balkan oder der Anfang vom Ende klarer Verhältnisse Im Sommersemester 1914 immatrikulierte sich Joseph Roth im Fach Germanistik an der Universität Wien, wo er gedachte, eine Universitätslaufbahn einzuschlagen. Der Plan scheiterte. Der Erste Weltkrieg begann und die Habsburgermonarchie, das letzte mitteleuropäische Großreich, verschwand. Statt einer Professur widmete sich Roth fortan dem Versuch, dieses Verschwinden literarisch zu begreifen. Einhundert Jahre später vermerkt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler bezüglich des von Roth erlebten Wandels der geopolitischen Ordnung lakonisch: „Österreich-Ungarn war dem Tempo der modernen Welt nicht gewachsen.“ Der Krieg hatte die alte Welt hinweggefegt. Aber hätte es anders sein können und Roth, anstatt der Flucht ohne Ende, eine Karriere als Germanist antreten können? Die melancholisch stimmende Frage der kontrafaktischen Geschichte, so die These des Beitrags, ist für Roth und Münkler mehr als ein Spiel mit der Fiktion. Ihre Beantwortung führt von der Krisenregion Balkan über die Begriffe der Komplexität und des Zufalls hin zu jenem großen Krieg, dessen Einschnitt in die Ideengeschichte die Texte von Roth und Münkler auf literarischer beziehungsweise wissenschaftlicher Ebene bezeugen.

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Mira Miladinović Zalaznik (Ljubljana): »Weil ich verspreche, mäuschenstill zu sein, darf ich ein paar Tage lang bei den Artilleriebeobachtern sitzen“1. Die Reporterin Alice Schalek bei der Isonzoarmee. Alice Therese Emma Schalek (1874–1956), ihres Zeichens Journalistin, Fotografin, Autorin und Weltreisende, war die einzige Kriegsberichterstatterin des k. u. k. Kriegspressequartieres während des Ersten Weltkrieges. In diesem Krieg führte sie ihr Weg (als passionierte Bergsteigerin) auch in die Dolomiten und an den Isonzo. Der Beitrag wird sich einerseits auf ihre Feuilleton-Berichte zum Krieg am Isonzo konzentrieren (die vom Kriegspressequartier genehmigt werden mussten), die sie in der Neuen Freien Presse publizierte, andererseits auf ihr Werk Am Isonzo. März bis Juli 1916. Dazu werden auch die Reaktionen der slowenischen Presse in Deutsch und Slowenisch auf ihre Arbeit (Berichterstattung, Buch, Vorträge) herangezogen. Als eine der wichtigsten Fragen, die erörtert werden, wird die Frage nach dem Charakter ihrer Aufzeichnungen sein: Sind sie in der Tat als Kriegsverherrlichung (Karl Kraus) zu verstehen oder geben sie, trotz der strengen Zensur (sie hat es noch im letzten Kriegsjahr untersagt, Kriegsheimkehrern die Möglichkeit zu geben, öffentlich über ihre Erfahrungen zu reden oder sie gar zu publizieren), ein differenzierteres Bild der kriegerischen Auseinandersetzung. Claas Morgenroth (Dortmund): Repräsentation und Diktion: Ernst Weiß’ Romane Der Augenzeuge und Der Verführer Zuweilen wird behauptet, dass unter den Quellen der Geschichtswissenschaften die Literatur besonders aussagekräftig sei. Sie biete einen Einblick in die Lebens- und Handlungsweisen der Menschen, die über den Belegcharakter der sonstigen historischen Dokumente hinausreiche, etwa deshalb, weil sie neben den vielfältigen Realien des Alltags das Denken und Fühlen der Zeitzeugen zum Gegenstand habe. Sieht man vor diesem Hintergrund die großen Arbeiten zur Geschichte des Ersten Weltkriegs durch, dann stellt sich ein anderes Bild ein. Fritz Fischers bahnbrechende Studie Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschlands 1914-1918 (Düssel1 Alice Schalek: Feuilleton. Bei der Isonzoarmee. In: Neue Freie Presse, Nr. 18549, 12. 4. 1916, S. 1. 17


Repräsentationen des Ersten Weltkriegs in den mitteleuropäischen Literaturen

dorf 1961) etwa, die die deutsche Schuldfrage auf eine neue, gleichwohl kontroverse Grundlage gestellt hat, kommt ohne Anleihen bei der Poesie aus. Das gilt auch für Christopher Clarks jüngst publiziertes Buch Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog (London 2012), das man als das derzeit prominenteste Gegenstück zu Fischers Buch betrachten kann. Das ist vor dem Hintergrund des gestellten Konferenzthemas auch deshalb bemerkenswert, weil Clarks Titel zwar Hermann Brochs gleichnamige Trilogie zitiert, diesen Umstand aber gar nicht erwähnt. Ist es vielleicht so, dass die Literatur unter den Bedingungen der historisierenden Exegese – wenn überhaupt – nur als Metaphern- und Ideenspender taugt, nicht aber als repräsentatives Dokument der Zeitgeschichte? Und wie steht es dann um den mimetischen Charakter der Poesie, die narrativen Verfahren und Darstellungsmöglichkeiten der Literatur, schließlich die persönlichen, sozialen und kulturellen Erfahrungen der Autorinnen und Autoren? Die Quellenlage zum Ersten Weltkrieg, so Clark in seiner Einleitung, sei nicht nur unüberschaubar, sondern auch durchzogen von den Rechtfertigungsstrategien der Kriegsparteien. Das gelte nicht nur für die Dokumentenberge, die im Nachgang des „Großen Krieges“ (Fritz Stern) zusammengetragen wurden, sondern auch für die Erinnerungen der zahlreichen Entscheidungsträger. Macht sie das aber unbrauchbar für die Historik oder erfordert dieser Umstand ‚nur‘ eine andere Untersuchungsmethode? „Eine zentrale These dieses Buches lautet, dass man die Ereignisse vom Juli 1914 nur dann verstehen kann, wenn man die Wege, welche die Hauptentscheidungsträger beschritten, beleuchtet und ihre Sicht der Ereignisse schildert. Dazu genügt es allerdings nicht, einfach die Abfolge der internationalen ‚Krisen‘ passieren zu lassen, die dem Kriegsausbruch vorausgingen – wir müssen uns vor Augen führen, wie jene Ereignisse empfunden und in Narrative eingewoben wurden, welche die Wahrnehmungen prägten und Verhalten motivierten.“ (S. 19, Hervorhebung C. M.) Genau das aber – die narrative Empfindung, Wahrnehmung und Motivierung – scheint eine der zentralen Aufgaben zu sein, die sich die Literatur zum Ersten Weltkrieg gegeben hat, nur dass sie die Frage nach der Repräsentation und dem Gedächtnis der Geschichte bereits auf der Ebene des Erzählens und des Erzählten methodisch bzw. poetologisch zu reflektieren sucht. Schließlich gehört es zu den Grundfragen des 18


Programm und Abstracts

literarischen Schreibens, wie eigentlich das Verhältnis von Geschehen (story) und Darstellung (discourse) in Worte gefasst werden kann, oder nach den Worten Christopher Clarks: Welche Narrative in die Literatur eingewoben wurden, wie diese Narrative die Wahrnehmungen prägten (und prägen) und das geschilderte Verhalten motivierten (bzw. motivieren). Ernst Weiß, 1882 in Brünn geboren, 1940 in Paris gestorben, zählt sicher zu den bekannteren Repräsentanten der mitteleuropäischen Literatur. Obgleich sein Lebensweg (darunter die Stationen Brünn, Prag, Wien, Berlin, Paris) bereits die Probleme hervorkehrt, die eine solch literarische Lokalisierung mit sich führt. Denn der Zerfall der Habsburgermonarchie hat nicht nur deren Geschichte und Untergang in ein anderes, grelles Licht gerückt, sondern auch eine neue, europäische Exilliteratur hervorgebracht, die topographisch nach Städten und Kriegsschauplätzen sortiert ist. Weiß ist in diesem Sinne zunächst einmal ein Prager Autor, dann ein Zeuge des Krieges in Ungarn und der Ukraine, ein Vertreter der Berliner Bohème-Kultur, schließlich ein Autor des Pariser Exils. Zu den Besonderheiten seiner literarischen Texte gehört nun, dass er die lokalen und (inter-)kulturellen Herkunfts- und Bindungskräfte seiner Lebensgeschichte mit einem – in Anlehnung an Clark – poetisch-psychologischen Webmuster versieht, einer spezifischen Diktion, die mit der repräsentativen Funktion der Zeichen und des Erzählens befasst ist. Wie, so könnte man Weiß’ Ansatz zusammenfassen, wird aus Geschichte Literatur und wie aus Literatur Geschichte? Und was bedeutet es, vom Ende einer Kultur zu berichten, deren Sprache man spricht? Eindrucksvolles Dokument dieser Arbeit am historischen Material sind die späten Romane Der Augenzeuge und Der Verführer, die aus dem Geschehen des Zweiten Weltkrieges heraus noch einmal die Genese des Ersten Weltkrieges rekapitulieren. Der Augenzeuge (1939, München 1963, Frankfurt a. M. 2000) erzählt die Geschichte eines süddeutschen Arztes und Psychologen von der Jahrhundertwende bis zum spanischen Bürgerkrieg. Kindheit und Adoleszenz, Studium und Kriegsdienst, Nachkriegszeit und die nationalsozialistische Machtübernahme bilden die Stationen dieses zerrütteten bürgerlichen Werdegangs. Mittendrin steht die fantastisch-schreckliche Heilung 19


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des Gefreiten A. H. (= Adolf Hitler) mit den Mitteln der neuesten Psychologie. Eine beklemmende Episode, die gleichwohl eine folgerichtige Konsequenz der ausgesuchten narrativen Analysetechnik zieht. Denn eine „Unterseele hatte jeder“, und wenn sie sich breit macht und die Völker erfasst – so der Ich-Erzähler und Augenzeuge –, dann macht sie keine Unterschiede „(zum Beispiel wollten alle, Freund wie Feind, nur Opfer eines ungerechten Angriffs sein)“. (S. 127) Der Verführer (Zürich 1938, Frankfurt a. M 1982), der erste Teil einer nicht vollendeten Trilogie, spielt in Österreich und hat „die innere und äußere Entwicklung eines geistigen Menschen in unserer Zeit, seine Selbstbehauptung, sein Elend, seine Größe“ zum Gegenstand. (Zit. nach Deutsche Intellektuelle im Exil, München [u. a.] 1993, S. 168) Die Hauptfigur des Romans, zugleich der Ich-Erzähler, kommt durch Erfolg im Glücksspiel zu viel Geld. Das sorgenfreie Leben ermöglicht ihm, die Seele der vermoderten österreichischen Monarchie am Vorabend des Ersten Weltkriegs zu durchwandern, immer auf der Suche nach einem Sinn in der eigenen Biographie. Fixpunkt dieser Selbstorientierung ist der früh verlorene Vater, ein Doppel der politischen Verhältnisse, die weder Orientierung noch Stabilität anbieten können. So ist diese Studie über den Zerfall der Habsburgermonarchie einerseits ein Spiegelbild der mentalen Zustände zwischen 1900 und 1914, andererseits Fiktion einer psychologisierenden, gleichermaßen von innen heraus argumentierenden Repräsentation der Geschichte. Wenn am Ausgang des Romans der Erzähler ankündigt, er wolle im Krieg „gewisse Geheimnisse der Menschennatur“ (S. 411) an sich selbst erproben und entdecken, dann stoßen hier zwei Realitäten aufeinander: die Realität eines desillusionierten Hedonisten des Geistes, wie ihn die Literatur um 1900 und danach so geschickt ausgeführt hat, und die zurückschauende Realität des Pariser Exilanten, der eine Erklärung sucht für die zerstörende Wucht des Faschismus. Clemens Peck (Salzburg): Kriegspfade und Fluchtwege. Galizische Topographien in der deutsch-jüdischen Literatur 1914-1918 Wie Armin Wallas zuletzt hervorgehoben hat, sind – im Gegensatz zu den süd-westlichen Kriegsschauplätzen – nicht nur die Verheerungen des Ersten Weltkriegs im Osten, vor allem den galizischen Frontlinien 20


Programm und Abstracts

bislang weniger erforscht; kaum etwas ist über das jüdische Leben und jüdische Lebenswelten im Krieg bekannt. Der Vortrag versucht einige Spuren nachzuzeichnen, die diese Lebenswelten in der deutsch-jüdischen Literatur hinterlassen haben – unter formaler Berücksichtigung jener Genres und Erzählweisen, in denen diese Spuren aufzufinden sind: Zunächst werden das Hinterland der galizischen Frontlinien aus der Perspektive von Balduin Grollers Wiener Sherlock Holmes – »Detektiv Dagobert auf dem Kriegspfad« (1914) – in den Blick genommen, der dort gemeinsam mit einer ostjüdischen Obsthändlerin eine Spionageaffäre aufdeckt und solchermaßen die Habsburgermonarchie rettet. Die darin auftretenden jüdischen Figurationen und Topographien folgen allerdings noch deutlich den Wahrnehmungs- und Darstellungsformen der »Kulturbilder« (Aus Halb-Asien [1876ff.]) und der Ghettogeschichten Karl Emil Franzos’ und befestigten dadurch umso nachhaltiger eine von der Hauptstadt aus operierende politisch-imaginäre Blickregie des imperialen 19. Jahrhunderts. Auch Hermann Blumenthals Erzählungen über das jüdische Leben in Galizien schreiben sich in das Genre der Ghettogeschichte ein, arbeiten aber einerseits an einer vom Akkulturationsdiskurs Franzos’ abweichenden Wahrnehmung des Ostjudentums und nehmen Ghetto und jüdische Lebenswelt im Band Galizien. Wall im Osten. Kriegserzählungen (1915) explizit als Topographie des kriegerischen Ausnahmezustands in den Blick. Während sich also in Grollers Detektivgeschichte räumliche Anordnung und ethnographische Klassifikation des ausgehenden 19. Jahrhunderts im galizischen Kriegsschauplatz aktualisieren, diese Topographien in Blumenthals Ghettogeschichten aus dem Krieg herangezogen werden, um die Gewalt des Kriegseinbruchs zu figurieren, entwickeln die nach 1945 verfassten Erinnerungen von Minna Lachs, die über die Ghettoliteratur von Karl Emil Franzos promovierte, eine Perspektive auf den Kriegsschauplatz, in der sich bereits der Horror der Shoa andeutet. Stéphane Pesnel (Paris): Spurenlesen in den Bergen. Die Natur als Palimpsest des Krieges in Mario Rigoni Sterns Erzählwerk Der italienische Schriftsteller Mario Rigoni Stern (1921-2008) gehört zu jenen Erzählern, die in ihrem Werk die beiden Weltkriege thema21


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tisiert haben (wobei er den ersten aus Geschichten und Zeugnissen kennt, den zweiten aber selber erlebt hat). Zu den Grundkonstanten seiner Erzählungen gehört die Dialektik von Natur und Geschichte, von Landschaft und Krieg, von Schönheit und Zerstörung. Meistens bildet die Natur ihrer Erhabenheit und ihrer unglaublichen Vielfalt wegen einen radikalen Gegenpol zum unsinnigen Tun und Treiben der Menschen. Zuweilen kommt es jedoch zu einer Kontamination der bisher unberührten Berg-, Ebenen- und Flusslandschaften (Altipiano di Asiago, norditalienische Berge, Grenzgebiete, Landschaften am Isonzo oder am Don) durch die Gewalt der Menchen und die vor der Naturfolie ausgetragenen Kämpfe. In einigen racconti di guerra wird die Natur sogar zu einem Palimpsest des Krieges und es ist dem Erzähler beschieden, die in den Landschaften vom Menschen hinterlassenen Spuren zu entziffern, um das Kriegsgeschehen sowie das Leben unbekannter Soldaten zu rekonstruieren. Im Vortrag soll es darum gehen, den Status der Landschaften in Mario Rigoni Sterns dem Ersten Weltkrieg gewidmeten Erzählungen zu untersuchen und dabei das dialektische Verhältnis von Natur und Krieg sowie dasjenige von Natur und Gedächtnis stets im Auge zu behalten. Boris Previšić (Luzern): Karst und Krieg. Die Funktion der Landschaft in der Narrativierung der Isonzofront (Giuseppe Ungaretti, Srečko Kosovel, Kornel Abel und Jovan Cvijić) In einer vergleichenden Lektüre geht es weniger um den genauen Frontverlauf und von dessen Berichterstattung als vielmehr um den Einfluss der Karstlandschaft auf die Narrativierung und Rezeption dieses besonders absurden Kriegs im Gebirge. Interessanterweise übernimmt der Karst sehr unterschiedliche Funktionen, die sich in aktuelle Diskurse um den Einfluss der Landschaft auf ihre Bewohner intensiv beschäftigen. Der Karst verweist zum einen auf das Unmenschliche, zum anderen aber auch auf die Überhöhung der Heldenhaftigkeit. So erfährt der Männlichkeitskult just dort seine besondere Überhöhung, wo der Krieg in seiner absoluten Sinnlosigkeit seine Fratze zeigt.

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Programm und Abstracts

Irena Samide (Ljubljana): Krieg und Gender: Zofka Kveders (18781926) pazifistischer Briefroman Zofka Kveder (1878-1926), aus einer Arbeiterfamilie stammende slowenische Literatin und Publizistin, stellt mit ihrer Biographie paradigmatisch das Leben in der multikulturellen und multisprachlichen Habsburgermonarchie dar: In Ljubljana, Triest, Bern, Prag und ab 1906 in Zagreb lebend, schrieb sie auf Slowenisch, Deutsch, Tschechisch und Kroatisch, redigierte mehrere Zeitungen und Zeitschriften, schrieb Prosatexte und Theaterstücke und gab 1917 den Briefroman *Hanka *heraus. Es wird im vorliegenden Beitrag versucht, anhand dieses bisher wenig beachteten Romans eine weibliche Perspektive auf den Krieg zu zeichnen, wobei die gängigen Positionen der Weiblichkeit ebenso in Frage gestellt werden wie die tradierten kriegskonnotierten Männlichkeitsmuster. Zofka Kveders Roman Hanka kann, so die These, einige wichtige Aspekte zu antimilitaristischen und pazifistischen Tendenzen der bisher genderspezifisch wenig erforschten geopolitischen ‘Ränder‘ Europas aufzeigen und gleichzeitig auf eine Literatin aufmerksam machen, die im deutschsprachigen Raum erst (wieder)entdeckt werden muss: Mit der Erstübersetzung ihres bedeutendsten Romans *Ihr Leben *2013 ist der erste Schritt bereits gemacht worden. Jelena Spreicer (Zagreb): Kontrafaktuale und alternative Geschichte in Hannes Steins Der Komet (2013) Der 2013 veröffentlichte Roman Der Komet von Hannes Stein stellt eines der wenigen Beispiele der parahistorischen Literatur im deutschsprachigen Raum dar. Während in der historischen Realität Erzherzog Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 nach dem ersten Attentatversuch in Sarajevo seinen Besuch nicht abbricht und infolgedessen von Gavrilo Princip erschossen wird, spricht er in Steins Roman den Satz: „I bin doch ned deppat, i fohr wieder z‘haus“ aus und kehrt nach Wien zurück. Ab diesem Moment nehmen die europäische und Weltgeschichte eine ganz andere Richtung: die beiden Weltkriege sowie der Holocaust bleiben aus, und die Habsburgische Monarchie bleibt bis zum heutigen Tag bestehen. Dieser Konferenzbeitrag setzt sich mit der Frage, wie kontrafaktuale und alternative historische Analyse als 23


Repräsentationen des Ersten Weltkriegs in den mitteleuropäischen Literaturen

Mittel zum besseren Verständnis sowohl der Vergangenheit als auch Gegenwart eingesetzt werden kann, auseinander. Neva Šlibar (Ljubljana): Das Elend des Überlebens: Eisflüstern von Bettina Balàka und Der Spiegelkasten von Christoph Poschenrieder Der Beitrag stellt sich die Frage, wie Gewaltgeschichte, hier anhand des 1. Weltkriegs und seiner Folgen für die an der Front und im Hinterland Beteiligten, für spätere Generationen darstellbar und nachvollziehbar sein kann, wie Literatur im Vergleich und im Gegensatz zu anderen Medien, dem Film, dem Sachbuch, verschiedenen Fernsehformaten, dokumentarischen und fiktionalen, sowie Ausstellungen den komplexen Sachverhalten und den Auswirkungen auf die Lebenswelt besonders durchdringend veranschaulichen kann. Die beiden Bücher, an denen dieser Frage von zwei unterschiedlichen Sichten nachgegangen werden soll, werden trotz der Tatsache, dass sie Elemente des Kriminalromans und des Tagebuches integrieren, als qualitativ hochrangig eingeschätzt. Sie sind jedoch bisher von der literaturwissenschaftlichen Forschung zum Ersten Weltkrieg wenig beachtet worden. Es handelt sich um die Romane Eisflüstern von Bettina Balàka (2006, 2009 als Suhrkamp Taschenbuch erschienen) und Der Spiegelkasten von Christoph Poschenrieder (2011). Zwar loziert Balàka die Haupthandlung in ein zerrüttetes Wien der zwanziger Jahre, jedoch wird dieses als ein sinnentleertes von den Ereignissen an der ehemaligen Peripherie geprägt. Die Ränder, die politischen, gesellschaftlichen, psychischen, menschlichen, familialen, bestimmen Mentalität und Lebenshabitus, sie verändern die Selbstund Fremdsicht unwiderruflich und mit einschneidenden Folgen für die Menschen und die Geschichte. Balàka verhandelt über ihren Protagonisten, einem Wiener Kriminologen, der seine schlimme Jugend in gutbürgerlichen Kreisen ebenso zu überleben trachtet, wie die unmenschlichen Verhältnisse in sibirischen Gefangenenlagern und die Entfremdung in seiner Familie nach seiner Rückkehr, existenzielle Grenzthematiken. Obwohl das Thema des Überlebens inmitten von Kriegsgräueln und der überhandnehmenden „Seelenblindheit“ sowie die Vermittlung 24


Programm und Abstracts

an die lesenden Zeitgenossen bei Poschenrieder gleichfalls im Zentrum stehen, werden in seinem Buch Möglichkeiten der Annäherung gerade durch Versprachlichung und durch Spurensuche vergangener Ereignisse mit den modernsten Mitteln des Internets angedeutet. Thomas Wegmann (Innsbruck): „Sitze in meinem Loch und schreibe“. Über die Rolle von Tagebüchern für die Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs Tagebücher sind Ego-Dokumente, sie zeichnen Ereignisse und Begebenheiten aus einer dezidiert subjektiven Perspektive auf bzw. transformieren die eigenen Befindlichkeiten selbst in ein (beschreibenswertes) Ereignis. Mit Kriegstagebüchern wiederum macht das schreibende Ich den Krieg zu einer persönlichen Angelegenheit, die im Zuge dessen an einen subjektiven Beobachter und Beobachterstandort geknüpft wird. Aus einem unüberschaubaren Prozess, an dem Millionen Menschen beteiligt sind und der sich zeitgleich an weit voneinander entfernt liegenden Schauplätzen abspielt, wird so – schon durch die Gattungskonventionen und -traditionen bedingt – tendenziell eine ebenso sinnfällige wie subjektive Ereigniskette: Der Krieg sollte für den Einzelnen wahrnehmbar und damit konkret werden. Doch zahlreiche Kriegstagebücher und -berichte aus dem Ersten Weltkrieg bewähren nachdrücklich, dass der moderne Krieg für den Einzelnen zumindest nicht zu sehen ist und lediglich aus Blicken in die und seltenen Blicken aus den Schützengräben besteht. Damit haben sie buchstäblich unser Bild der Kriegsgeschehnisse bis heute geprägt: als eine visuelle Leerstelle, bei der der Schrecken selbst unsichtbar, allenfalls zu hören und letztlich nur an seinen schrecklichen Folgen (Tote, Verletzte und Verstümmelte) indizierbar ist. Diese hier zwangsläufig hypothetisch und verknappt dargestellte Zusammenhänge anhand unterschiedlich perspektivierter Kriegstagebücher (u. a. von Hans Carossa, Ernst Jünger, Robert Musil und Erwin Rommel) genauer aufzuzeigen, ist Anliegen des Beitrags, wobei das Hauptaugenmerk der Lage in Mitteleuropa gilt.

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Repräsentationen des Ersten Weltkriegs in den mitteleuropäischen Literaturen

Ulrike Zitzlsperger (Exeter): Bewusstsein und Anteilnahme: Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs abseits der Front

Zur

1930 erschien Adrienne Thomas‘ Antikriegsroman Die Katrin wird Soldat. Die Perspektive der Rotkreuzschwester am Bahnhof von Metz ist für die Kriegserfahrung der jungen Frau ebenso bedeutend wie der Ort der Handlung im Spannungsfeld zwischen Frankreich und Deutschland. Der Roman dient hier als Ansatzpunkt für eine Reihe von Fragen, die dann auch mit Blick auf andere Autoren aufgegriffen werden: unter anderem, wie und wo Frauen, Veterane und Kinder den Ersten Weltkrieg, der für sie häufig ein anfänglich rein mediales Erlebnis ist, als - plötzlich hereinbrechende - Realität erleben. Mit der Einsicht in die Realität des Krieges als Wendepunkt geht einher, dass nicht nur der Diskurs über den Konflikt neu geführt wird, sondern Anteilnahme in Aktivität übersetzt wird. Die Erfahrung der Katastrophe des Krieges ist damit nicht aufzuhalten: Der ‚verlorenen Generation‘ an der Front stehen, wenn auch unter anderen Vorzeichen, in der Literatur jene gegenüber, die weder einer Generation oder konkreten Erfahrungswelt zugehören und sich stattdessen in einem emotionalen Niemandsland wiederfinden.

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Programm und Abstracts

Leitung der Konferenz und des Forschungsprojekts Ao. Prof. Dr. Milka Car

milka.car@ffzg.hr

Doz. Dr. Johann Georg Lughofer

johann.lughofer@ff.uni-lj.si

Mitglieder des Forschungsprojekts Dr. Daniela Kirschstein (Ljubljana)

daniela.kirschstein@ff.uni-lj.si

Prof. Dr. Mira Miladinović Mira.Miladinovic-Zalaznik@guest.arnes.si Zalaznik (Ljubljana) Doz. Dr. Irena Samide (Ljubljana)

irena.samide@ff.uni-lj.si

Prof. Dr. Marijan Bobinac (Zagreb)

mbobinac@ffzg.hr

Ao. Prof. Dr. Svjetlan Lacko Vidulić (Zagreb)

svidulic@ffzg.hr

Ao. Prof. Dr. Christine Magerski (Zagreb)

cmagerski@ffzg.hr

Jelena Spreicer (Zagreb)

jelenaspreicer@gmail.com

Organisationsassistenz Jasmina Batić (Ljubljana)

jasmina_batic@hotmail.com

Lara Krašovec (Ljubljana)

lkrasovec80@gmail.com

Teilnehmer der Konferenz: Prof. Dr. Hans Richard Brittnacher (Berlin)

brittnacher21@aol.com

Dr. Hannah Dingeldein (Mannheim)

hdingeld@rumms.uni-mannheim.de

Priv.-Doz. Dr. Petra Ernst (Graz)

petra.ernst@uni-graz.at

Prof. Dr. Mario Grizelj (München)

mario.grizelj@germanistik.uni-muenchen.de

Prof. Dr. Oliver Jahraus (München)

oliver.jahraus@germanistik.uni-muenchen.de

Dr. Renata Jambrešić Kirin (Zagreb)

renata@ief.hr

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Repräsentationen des Ersten Weltkriegs in den mitteleuropäischen Literaturen

Dr. Christian Kirchmeier (München)

christian.kirchmeier@germanistik.uni-muenchen.de

Prof. Dr. Wynfrid Kriegleder (Wien)

wynfrid.kriegleder@univie.ac.at

Prof. Dr. Primus Heinz Kucher (Klagenfurt)

Primus.Kucher@aau.at

Prof. Dr. Arturo Larcati (Verona/Salzburg)

arturo.larcati@univr.it

Dr. Claas Morgenroth (Dortmund)

claas.morgenroth@udo.edu

Dr. Clemens Peck (Salzburg)

Clemens.Peck@sbg.ac.at

Dr. Stéphane Pesnel (Paris)

stephanepesnel.sorbonne@gmail.com

Prof. Dr. Boris Previšić (Luzern)

Boris.Previsic@unilu.ch

Prof. Dr. Neva Šlibar (Ljubljana)

neva.slibar@me.com

Prof. Dr. Thomas Wegmann (Innsbruck)

Thomas.Wegmann@uibk.ac.at

Prof. Dr. Ulrike Zitzlsperger (Exeter)

U.C.Zitzlsperger@exeter.ac.uk

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