3 minute read
Widmann, Kozhukhin & Goldmund Quartet
Der Ton des empfindsamen Herzens
Eine kurze Geschichte des Klarinettenrepertoires
Michael Kube
Voller Begeisterung notiert Wolfgang Amadeus Mozart am 3. Dezember 1778 in einem Brief aus Mannheim an seinen Vater, mit Blick auf die Salzburger Hofkapelle: „Ach wenn wir nur auch clarinetti hätten! – sie glauben nicht was eine sinfonie mit flauten, oboen und clarinetten für einen herrlichen Effect macht!“ Tatsächlich war die erst wenige Jahrzehnte zuvor aus dem Chalumeau hervorgegangene Klarinette zu jener Zeit noch ein vollkommen neues Instrument – solistisch wie auch in der Kammermusik oder im Orchester. Mit seiner klanglichen Vielfalt in gleich drei charakteristischen Registern stellte es in der Mannheimer Hofkapelle eine willkommene Bereicherung dar, galt dieses Orchester den Zeitgenossen doch ohnehin als außergewöhnlich und einzigartig im Klang. Christian Friedrich Daniel Schubart beschreibt 1785 in seinen Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst nicht nur dieses Ensemble voller Schwärmerei, sondern auch die Klarinette: „Der Charakter derselben ist: in Liebe zerflossenes Gefühl, – so ganz der Ton des empfindsamen Herzens […]. Der Ton ist so süß, so hinschmachtend; und wer die Mitteltinten [Zwischenfarben] darauf auszudrücken vermag, darf seines Sieges über die Herzen gewiß seyn.“
Dieser Begeisterung für ein vergleichsweise junges Instrument, das in der klassischen Orchesterbesetzung als letztes seinen Platz finden sollte, geht während des 18. Jahrhunderts eine erstaunliche bautechnische wie klangliche Entwicklung voraus. Als Erfinder der Klarinette gilt der 1707 gestorbene Nürnberger Instrumentenbauer Johann Christoph Denner. In seiner überregional bekannten Werkstatt, in der vor allem Oboen und Blockflöten angefertigt wurden, entwickelte er aus dem tief klingenden, nur einen geringen Ambitus aufweisenden Chalumeau ein Instrument, das durch die Möglichkeit des sogenannten Überblasens ein neues Klangregister erschloss. Da dies an das helle „Clarinblasen“ der Trompete erinnerte und das Instrument damit (wie es 1732 im Musicalischen Lexicon von Johann Gottfried Walther heißt) „von ferne einer Trompete ziemlich ähnlich“ klingt, war der Name Clarinetto rasch etabliert. Denner hatte zwar in seiner ursprünglichen Konstruktion mit drei Klappen und zwei Doppellöchern den gesamten Tonumfang des Instruments ausgeschöpft, doch seine Söhne verzichteten später wieder auf diese Innovation, so dass die Klarinette zunächst nur im hohen Sopran-Register gespielt wurde.
Als um 1760, gegen Ende des Barock, die Trompete ihre Funktion in der konzertanten Musik aufgrund der sich wandelnden Tonsprache allmählich verlor, emanzipierte sich die Klarinette im bunten Spiel der Instrumente und Klangfarben. Bereits 1764 notierte der in Paris wirkende Komponist und Klarinettist Valentin Roeser als wichtigste Regel, um für das Instrument zu komponieren, es „angenehm und natürlich singen zu lassen.“ Seine sanften Töne wurden mit der menschlichen Stimme verglichen, und nur wenige Jahrzehnte später galt die Klarinette als ein Instrument der „mannigfaltigsten Effecte“, in dessen Klang „bey seelenvollem Vortrage“ ein „wirklich hinreißender Zauber“ liegt (so schrieb Johann Georg Albrechtsberger 1790). Erst die sich wechselseitig befruchtende schöpferische Zusammenarbeit von engagierten Instrumentalisten und herausragenden Komponisten hatte offenbar die technische Weiterentwicklung wie die Erweiterung des Repertoires beflügelt. So schrieben Carl Stamitz und Ernst Eichner Konzerte für die Musiker der Mannheimer Hofkapelle. Besonders hervorzuheben sind die heute praktisch vergessenen, alle Register und Eigenschaften des Instruments erfassenden Werke von Franz Tausch, der seit 1789 in Berlin wirkte und als Lehrer von Bernhard Henrik Crusell und Heinrich Joseph Baermann seine Erfahrungen an die nachfolgende Generation weitergab.
Beispielhaft für das gemeinsame Experimentieren steht die Zusammenarbeit zwischen dem Wiener Instrumentenbauer Theodor Lotz, dem Klarinettisten Anton Stadler und Wolfgang Amadeus Mozart. Nachdem Lotz und Stadler den Tonumfang des Instruments in der Tiefe erweitert hatten, schuf Mozart für die so genannte Bassettklarinette nicht nur das A-Dur-Quintett KV 581, sondern wenige Monate vor seinem Tod auch das in gleicher Tonart stehende Klarinettenkonzert KV 622. Noch weiter ging der in Reval (dem heutigen Tallinn) geborene Iwan Müller: Er erfand eine vollkommen neue, später als „deutsches System“ erweiterte Klappenmechanik und ersetzte die unzuverlässigen Filzpolster durch Leder. Die 1812 in Paris mit Kapital des (ebenfalls Klarinette spielenden) Bankiers Petit begonnene Produktion endete indes im Bankrott, als eine gegenüber Innovationen allzu skeptische Kommission am Conservatoire dem Instrument ein negatives Gutachten ausstellte.
Ein Jahr zuvor waren sich – auf Empfehlung Giacomo Meyerbeers – Carl Maria von Weber und Heinrich Joseph Baermann erstmals begegnet. Bereits eine Woche nach diesem Besuch beim ersten Klarinettisten der Münchner Hofkapelle hatte Weber mit dem Concertino für Klarinette und Orchester ein Werk fertiggestellt, dessen Uraufführung die beteiligten Musiker und den gesamten Hof gleichermaßen elektrisierte. Weber erhielt einen gut dotierten Auftrag für zwei weitere Konzerte und ging im Dezember 1811 gemeinsam mit Baermann auf eine mehrmonatige Tournee. Bei ihrem nächsten Wiedersehen im April 1813 in Wien bekam Baermann die ersten drei Sätze des Klarinettenquintetts als Geburtstagsgeschenk überreicht. (Das abschließende Rondo wurde erst 1815 in München vollendet.) Über eine Probeaufführung des Werks im privaten Kreis schreibt Weber an seine spätere Ehefrau Caroline Brandt: „Bärmann besonders hat wie ein Engel geblasen, und würde dich eben so ergriffen haben wir mich.“
Solch schöpferische Beziehungen blieben keine Ausnahme: Louis Spohr schrieb seine vier Klarinettenkonzerte in freundschaftlicher Verbindung zu Simon Hermstedt, einem der bedeutenden Virtuosen auf seinem Instrument in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dass sich Johannes Brahms am Ende seines Lebens mit zwei Sonaten, einem Trio und einem Quintett intensiv der Klarinette widmete, geht auf die Anregung des in der Meininger Hofkapelle wirkenden Richard Mühlfeld zurück. Und noch im 20. Jahrhundert kam es zur legendären Zusammenarbeit von Benny Goodman mit Paul Hindemith, Aaron Copland und Béla Bartók.