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Ferr\u00E1ndez & Kozhukhin

Schattierungen des Lyrischen

Cellosonaten von Brahms, Rachmaninow und Prokofjew

Gavin Plumley

Mstislaw Rostropowitsch, der Sergej Prokofjew den Anstoß zu seiner heute abend zu hörenden Cellosonate gab und sie später auch uraufführte, hat die besondere Klangqualität seines Instruments am besten in Worte zu fassen gewusst: Der Cello-Ton, so befand er, sei einer Tenorstimme vergleichbar und damit zutiefst „heroisch“ im Charakter. Tatsächlich ist das Cello in einer sehr vollen, ja der menschlichsten aller Tonlagen zuhause, die – wie das Programm von Pablo Ferrández und Denis Kozhukhin zeigt – eine Fülle an außerordentlich lyrischen Werken inspiriert hat. Doch diesen Lyrismus nur mit der Natur des Instruments zu erklären, wäre zu einfach – seine Ursprünge sind komplexer. Immerhin ist das musikalische Idiom etwa in Prokofjews Cellosonate aus dem Jahr 1949 wohl auch das Ergebnis von vorsichtiger Zurückhaltung angesichts der kulturpolitischen Erlässe Andrej Schdanows aus den späten 1940er Jahren, in denen Stalins Mann für die Kultur eine Liste „musikalischer Vergehen“ spezifiziert hatte, die Prokofjew und seine Komponistenkollegen von nun an zu unterlassen hatten.

Johannes Brahms und Sergej Rachmaninow komponierten glücklicherweise in – zumindest politisch – unbeschwerteren Zeiten. Die lyrische Qualität von Brahms’ Sonate für Cello und Klavier in F-Dur, entstanden 1886 während eines Sommeraufenthalts am Thuner See in der Schweiz, verrät den nachhaltigen Einfluss der Altistin Hermine Spies, die Brahms dort besuchte und deren Stimme in diesem Werk stets mitklingt. Brahms’ heimliche Gefühle für Hermine führten letztlich nirgendwohin, die sehnsüchtigen Töne in Rachmaninows Cellosonate dagegen bahnen sich ihren Weg zum Durchbruch – nicht im Sinne von amouröser, sondern von künstlerischer Erfüllung, denn mit einer Reihe von erfolgreichen Uraufführungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte der Komponist endlich die Geister der Vergangenheit hinter sich lassen.

Von Erfolgen begleitet war auch das rastlose Leben des jungen Prokofjew, sowohl vor als auch nach der Revolution von 1917. Anders als Rachmaninow, der in den Wirren des Umsturzes ebenfalls sein Heimatland verlassen hatte, hielt Prokofjew seine Verbindung zur Sowjetunion ganz bewusst aufrecht, ging zehn Jahre später dort sogar auf Konzerttournee. In der Folge intensivierte er seine Kontakte nach Moskau und Leningrad und erwarb 1932 eine Wohnung in der Hauptstadt. Nach seiner Rückkehr in die Heimat konnte er sich mit der sowjetischen Staatsführung zunächst gut stellen, sollte aber bald – wie etwa auch Schostakowitsch – mit dem Zensurapparat in Berührung kommen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Andrej Schdanow, Stalins kulturelles Sprachrohr, eine Reihe von Dekreten erlassen, die die offizielle Parteilinie in künstlerischen Fragen für die gesamte Sowjetunion festlegten, zunächst für literarische Zeitschriften, bald aber auch für den Film und schließlich, am 10. Februar 1948, auch für die klassische Musik. Vier Tage später wurden zahlreiche Werke Prokofjews auf den Index gesetzt und der Komponist sah sich – konfrontiert mit Vorwürfen wie „formalistische Auswüchse“, „antidemokratische Tendenzen“, „Verstöße gegen die Prinzipien der klassischen Musik“ und „Verbreitung der Atonalität“ – gezwungen, seine „Verfehlungen“ einzugestehen. Düstere Zeiten.

In der Kritik stand 1948 auch Nikolai Mjaskowski, einer von Prokofjews ältesten Freunden. Mjaskowski war Prokofjew bei der Überarbeitung seines Cellokonzertes zur Hand gegangen, das dieser kurz nach seiner Rückkehr in die Sowjetunion geschrieben hatte. 1949 war er erneut für die Entstehung eines Cello-Werkes von Prokofjew von zentraler Bedeutung: Nachdem er die fesselnde Aufführung einer Cello-Sonate Mjaskowskis durch Mstislaw Rostropowitsch und Swjatoslav Richter erlebt hatte, beschloss Prokofjew, selbst ein Werk für diese Besetzung zu schreiben.

Prokofjews Sonate ist, zweifellos im Bewusstsein der Kritik von oberster Stelle, vergleichsweise geradlinig gestaltet. Sie beginnt mit einer nachdenklichen Kantilene im Cello, begleitet von einer wiegenden Figur im Klavier. Chromatische Einfärbungen und Modulationen durchziehen den gesamten Satz, der geführt vom Klavier zunächst in ein eher lyrisches Thema, später zu kräftigeren, fanfarenhaften Figuren übergeht. Die reichhaltige Textur des Klavierparts erinnert beinahe an ein Klavierkonzert – die Uraufführung der Sonate spielte ebenfalls Richter gemeinsam mit Rostropowitsch –, im zweiten Thema gewinnt dann aber das lyrische Element die Oberhand. Ein fugenartig einsetzender Abschnitt, Moderato animato überschrieben, leitet die Durchführung ein, in der die gesanglichen mit den rastlosen Elementen der Sonate kontrastiert werden. Der lyrische Grundcharakter geht jedoch trotz aller Energie nie verloren, das Stück bleibt immer optimistisch, ganz so wie der „Sozialistische Realismus“ es verlangte – um beinahe jeden Preis.

Der zweite Satz ist de facto ein Scherzo mit Trio, ersteres ausgelassen und übermütig, letzteres ein ähnlich gefühlvoller Gesang wie das Seitenthema des Eröffnungssatzes. Auch hier bleiben die bissigen Momente im Hintergrund. Das Finale schließlich ist ein offenherziges Rondo, in dem das Klavier die schwungvolle Entschlossenheit von Prokofjews Klavierkonzerten in Erinnerung ruft und das Cello Lyrik ebenso wie Witz beisteuert. Die Kulturbehörden zeigten sich tatsächlich besänftigt und die Sonate erlebte am 1. März 1950 ihre Uraufführung im Moskauer Konservatorium. Es war das letzte Kammermusikwerk, das Prokofjew vor seinem Tod drei Jahre später vollenden sollte.

Wie sein jüngerer Landsmann schrieb auch Rachmaninow nur eine einzige Cellosonate. Entstanden 1901, blieb sie einer seiner wenigen Abstecher in die Kammermusik. Tatsächlich gab Rachmaninow nach dieser Sonate die Komposition kleindimensionierter Instrumentalwerke ganz auf. Nichtsdestotrotz strahlt das Werk das Selbstbewusstsein eines Komponisten aus, der sich entschlossen den (Selbst-)Zweifeln stellt, die ihn seit dem Misserfolg seiner Ersten Symphonie 1897 verfolgt hatten. In dieser Hinsicht ist die Sonate mit dem zur selben Zeit entstandenen Zweiten Klavierkonzert vergleichbar. Die üppigen Melodiebögen sind gleichmäßig unter beiden Instrumenten aufgeteilt; nur manchmal droht der Klavierpart – auch hier an das Klavierkonzert erinnernd – zu dominieren und erfordert deshalb größte Zurückhaltung und Virtuosität in der Interpretation. Zweifellos spielte Rachmaninow sein Instrument mit gewinnender Zurückhaltung, als er das Stück gemeinsam mit dessen Widmung s träger Anatoli Brandukow nur zwei Monate nach der erfolgreichen Premiere des Klavierkonzerts am 2. Dezember 1901 uraufführte.

Die Grundtonart des Stücks, g-moll, wird im einleitenden Lento durchweg nur angedeutet; erst zu Beginn des Allegro moderato seiner mitreißenden Melodik und den wirbelnden Sechzehnteln im Klavier wird sie geradeheraus affirmiert. Darauf folgt das nachdenklichere, rhapsodische Seitenthema, vorgestellt vom Klavier, das auf seinem Weg in die Dominante die Durparallele streift. Der ganze Abschnitt ist von der Molltonika eingefärbt und erinnert auch damit an die berauschende Musik des Klavierkonzerts; gleichzeitig wirft hier auch die Zweite Symphonie von 1906/07 schon ihre Schatten voraus. Ein spannungsgeladeneres Allegro scherzando in c-moll schließt sich an. Das Cello springt hier zunächst zwischen Pizzicato und Spiccato hin und her, bevor es erneut ins lyrische Singen gerät. Diese gefühlsgeladene Musik steht zunächst in Es-Dur, kurz darauf wandert der Satz mit einer weiteren ergreifenden Melodie ins noch sattere As-Dur. Mit Emotionen wird nicht gegeizt, besonders nicht auf dem Höhepunkt, der zum Allegro scherzando des Beginns zurückführt.

Ähnlich geht es im anschließenden Andante weiter, wiederum eingeleitet durch das Klavier. Die beiden Instrumente umschlingen sich gegenseitig mit Themen und Gegenthemen und zeigen dabei Rachmaninows melodische Meisterschaft. Schließlich endet die Cellosonate, genau wie die Zweite Symphonie, mit der Rachmaninow seinen Kritikern resolut entgegentrat, in einem beschwingten Tanz. Auch dieses aufgedrehte Rondo voller wagemutiger Sprünge, mit dem das Duo dem Abschluss entgegen stürmt, ist im Kern lyrisch – jedoch ohne die nostalgische Note der vorhergehenden Sätze.

Zwischen den beiden russischen Werken steht Johannes Brahms’ zweite Sonate für Cello und Klavier. 21 Jahre trennen sie von Brahms erstem Beitrag zu dieser Gattung aus dem Jahr 1865. Die Sonate eröffnet mit einer kühnen harmonischen Geste, ähnlich wie die drei Jahre zuvor entstandene Dritte Symphonie. Hier klingt das Eröffnungsmotiv allerdings eher fiebrig, bis das Cello weit in die Höhen des Violinschlüssels abhebt. Auch dies wirkt bisweilen fast neurotisch, und erst wenn Cello und Klavier sich gemeinsam in Richtung Seitenthema bewegen, kommt die Musik wirklich in Fluss. In der Durchführung, die mit einer überraschenden Modulation nach fis-moll eröffnet, geben sich die beiden Instrumente durchaus streitlustig, danach kehrt die unruhige Musik des Satzbeginns wieder. Die Stimmung nimmt einen geradezu beängstigenden Tonfall an, das Cello rumort am unteren Ende seines Tonumfangs, bis das Klavier mit erst waghalsigen, dann nachdenklichen Figuren zur Reprise überleitet.

Die Modulation in die „Neapolitaner“-Tonart zu Beginn der Durchführung des ersten Satzes ließ die Grundtonart fis-moll des zweiten, Adagio affetuoso überschriebenen Satzes bereits anklingen. Im Grunde ist der Satz ein beseeltes Lied, das Brahms’ reifen, „herbstlichen“ Stil vorwegnimmt. Das Adagio moduliert im zweiten Abschnitt einen Halbton nach unten und schwankt zwischen f-moll und dem verwandten As-Dur hin und her, bevor die Tonika mit noch überschwänglicherem Ausdruck wieder erreicht wird. F-moll wird dann zur Grundtonart des anschließenden Scherzos mit einem für Brahms typischen, virtuosen Klavierpart. Dies verweist, zusammen mit einer weiteren abrupten Modulation (nach e-moll) zurück auf den Eröffnungssatz; das Trio in F-Dur bietet nur eine kurze Atempause.

Es bereitet den Weg für das unbekümmerte Finale, in dem sich die Spannungen der vorhergehenden Sätze schließlich lösen. Obwohl es auch hier durchaus nicht immer einmütig zugeht und generell eine harmonische Tendenz zur Molltonika besteht, ziehen Cello und Klavier doch an einem Strang und erreichen gemeinsam leidenschaftliche Höhepunkte und schließlich ein liedhaftes Seitenthema in b-moll (hier zeigt sich der Einfluss von Hermine Spies). Flexible, fließende Form und große Vielfalt des musikalischen Materials kennzeichnen den Satz insgesamt, der umwerfend energisch endet – und erstmals interpretiert wurde von Brahms am Klavier und Robert Hausmann am Cello.

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