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Nacht der H\u00F6rner

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Night of the Horns

Night of the Horns

Eine Seele – viele Farben

Vom Solo bis zum Oktett: Das Horn in Original und Bearbeitung

Michael Horst

Von einer Canzone Giovanni Gabrielis aus der Zeit um 1600 bis hin zu einer veritablen Uraufführung: Über 400 Jahre reicht das Spektrum, das die Kompositionen der heutigen „Nacht der Hörner“ historisch abstecken. Unter ihnen findet sich Altes und Neues, Bekanntes und Unbekanntes, Solo und Ensemble, Original und Bearbeitung. „Ich habe versucht, in den drei Teilen des Abends den Hornklang aus verschiedenen Perspektiven vorzustellen“, beschreibt Radek Baborák, Kurator des Programms und Dozent an der Barenboim-Said Akademie, seine Programmidee. „Im ersten Teil finden sich die Klänge des Waldes, Jagdrufe und Jagdmessen. Im zweiten sind Originalwerke für Hornensemble aus dem 20. Jahrhundert zu hören, und für das Finale haben wir berühmte Kompositionen in Bearbeitungen ausgewählt. Ich möchte zeigen, wie sich der Hornklang über die Epochen hinweg verändert hat, aber auch, dass etwas Wesentliches geblieben ist: die Seele des Horns.“

Den Anfang macht der Franzose Charles Koechlin. Bekannt geworden ist der Schüler Gabriel Faurés und Mitstudent Maurice Ravels vor allem durch seine exquisite Orchestermusik, in der Impressionismus und Kirchentonarten ebenso ihre Spuren hinterlassen haben wie Ausflüge in die Atonalität. Von besonderem Reiz sind seine symphonischen Dichtungen zu Rudyard Kiplings Dschungelbuch, die ihn über 40 Jahre hinweg beschäftigt haben. In Koechlins 226 Opusnummern umfassenden Œuvre finden sich allerdings auch eine Vielzahl vom Kammermusikwerken, darunter eine Reihe von Monodien für verschiedene Blasinstrumente, kurze Solostücke aus seinen späten Lebensjahren. Interessant ist insbesondere die Monodie für Horn – schließlich war Koechlin selbst ein versierter Hornist.

Zurück in die Klassik führen die 12 Duos KV 487 von Wolfgang Amadeus Mozart, schlichte, zweistimmige Werke, die bei aller Ökonomie der Mittel die melodische Erfindungsgabe des Genies spüren lassen. Im Autograph ist bei einigen Sätzen das Kompositionsdatum 27. Juli 1786 angegeben – die Besetzung allerdings nicht. Lange Zeit galt die Zuschreibung an Hörner als fraglich. Doch weder die Verwendung chromatischer Töne – ein geschickter Hornist wusste diese sehr wohl zu realisieren – spricht dagegen noch die zuweilen extrem hohe Lage; hier wählte Mozart die aufführungspraktisch günstige Lösung, diese Töne in skalenartige Läufe einzubinden.

Wie Mozart mit der Stadt Wien eng verbunden war auch Anton Reicha, der dort kollegialen Umgang mit Haydn und Beethoven pflegte. Später verlegte er seinen Wohnsitz nach Paris, wo er als hochgeschätzter Professor am Konservatorium wirkte und auch Liszt und Berlioz zu seinen Schülern zählte. Vor allem Bläserwerke haben Reicha als Komponisten bis heute in Erinnerung gehalten; seine 24 Trios für drei Hörner erschienen um 1815. Ihr pädagogischer Anspruch ist kaum zu übersehen, denn der Komponist streute nicht nur unterschiedliche Satz- und Formtypen wie Menuett und Rondo ein, sondern brachte die Hornisten auch mit Kontrapunkt und Fuge in Berührung. Reicha selbst war Flötist, dürfte sich aber für diese Kompositionen technischen Rat bei seinem berühmten Hornistenkollegen Louis-François Dauprat geholt haben.

Dauprat galt zu jener Zeit als Kapazität in Sachen Horn in Paris. Als Solist an der Oper wie am Hofe des Königs Louis Philippe geschätzt, gab er außerdem als Professor am Konservatorium sein Wissen an die nächste Generation weiter. Dem Horn galt auch seine ganzer Einsatz als Komponist: Neben den Sechs Hornsextetten op. 10, aus denen heute abend eine Auswahl erklingt, schrieb er weitere Duos und Trios sowie fünf Hornkonzerte. Dabei zeigte er sich als eifriger Verfechter des Naturhorns und lehnte den Einsatz von Ventilen ab: „Diese Methode, die auch schon bei der Trompete Anwendung gefunden hat, verändert das Timbre des Instruments und gibt ihm einen besonderen Charakter, der weder der Trompete noch irgendeinem anderen bekannten Instrument entspricht. Dasselbe würde dem Horn mit derlei Veränderungen widerfahren: Es würde seinen Charakter und die klare Unterscheidung in Naturtöne und gestopfte Töne verlieren.“

Nichtsdestotrotz verzichten Radek Baborák und seine Mitstreiter auf den Einsatz von Naturhörnern: „Natürlich könnten wir auch Jagdhorn oder Naturhorn blasen“, stellt Baborák klar, „aber in unserem modernen Ventilhorn ist das Jagdhorn ohnehin versteckt, insofern ist es viel interessanter, es zu imitieren und sozusagen die wilde Jagd aus ihm herauszuholen.“ Diese „wilde Jagd“ steckt ganz explizit hinter den Hubertusmessen, die vor allem im Frankreich des 19. Jahrhunderts besonders viele musikalische Anhänger gefunden haben. Der Heilige Hubertus ist der Schutzpatron der Jäger; ihm zu Ehren finden an seinem Gedenktag, dem 3. November, Messen unter freiem Himmel (oder in einer Kapelle mit Orgel) statt, die durch den Hörnerklang einen besonders authentischen Charakter erhalten. Im Konzert sind diese Werke eher selten zu hören; Baborák schwärmt jedoch von der „unglaublichen Energie“, die durch die Kombination von vier Hornstimmen mit Orgel freigesetzt werde.

Die Komponisten dieser Hubertusmessen waren Meister ihres Metiers wie Gustave Rochard und Jules Cantin. Ihr französischer Landsmann mit dem ungewöhnlichen Namen Tyndare Gruyer – oft auch nur als Tyndare bekannt – ist vor allem als Verfasser einer Méthode complète de trompe de chasse, einer Jagdhorn-Schule, in die Annalen eingegangen; auch als Begründer der Nationalen Vereinigung der Hornbläser Frankreichs wird er bis heute verehrt. Im Stil ähneln sich die Hubertusmessen französischer Provenienz sehr; insofern liegt es nahe, einzelne Messteile verschiedener Vertonungen miteinander zu kombinieren – Baborák hat sich in diesem Fall an einer Zusammenstellung seines großen Hornistenkollegen Hermann Baumann orientiert. So steuert Gruyer den Introitus bei, Kyrie und Offertorium stammen von Albert Sombrun, die Wandlung („Élévation“) komponierte Gustave Rochard, und der Auszug („Sortie“) von Jules Cantin beschließt die Messe.

Nicht zufällig wird das Horn im angelsächsischen Sprachraum als „French Horn“ bezeichnet – seine Wurzeln und seine besondere Beliebtheit rühren aus Frankreich her. Dort war das Instrument schon frühzeitig in Oper und Ballett allgegenwärtig, und am heutigen Abend kommt es wiederum einem Franzosen zu, den zweiten Programmblock mit Originalkompositionen zu eröffnen: Olivier Messiaen. Der zutiefst gläubige Katholik, passionierte Ornithologe, Komponist von Orgelmusik und Schöpfer gewaltiger Orchesterpartituren schrieb 1971 ein kurzes Stück für Solo-Horn in Erinnerung an den nicht lange zuvor verstorbenen Hornisten Jean-Pierre Guézec. Als Messiaen bald darauf der ehrenvolle Auftrag erreichte, ein großes Orchesterwerk zum 200. Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung zu schreiben, entschied er sich, die Hornkomposition, nun unter dem Titel Appel interstellaire („Interstellarer Ruf“), zu übernehmen und damit den zweiten Teil von Des canyons aux étoiles… („Von den Canyons zu den Sternen“) zu eröffnen.

In nur fünf Minuten konzentriert Messiaen hier vieles von dem, was die moderne Horntechnik im 20. Jahrhundert ersonnen hat: Glissandi, Flatterzunge, Töne mit halb geschlossenem Ventil. In den lyrischen Momenten dieser Anrufung hört man außerdem den Gesang zweier Vogelstimmen. Messiaen hat später Stellung gegen die durchaus übliche Praxis bezogen, Appel interstellaire losgelöst aus dem orchestralen Zusammenhang als Einzelstück aufzuführen – eine aufgrund der Vorgeschichte der Komposition nicht ganz nachvollziehbare Einstellung.

Ebenfalls auf einen konkreten Anlass geht die Sonate für vier Hörner von Paul Hindemith zurück: Der Komponist schrieb sie 1952 für das Ensemble Salzburger Hornbläser als Dank für ein Ständchen, das ihm die Musiker gebracht hatten. Er selbst bezeichnete es als „ein ausgewachsenes und ernstes Stück“ – was Radek Baborák nur bestätigen kann: „Die Sonate ist wirklich schwer, vor allem im Zusammenspiel.“ Die unmissverständliche Ernsthaftigkeit des dreisätzigen Werkes kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass Hindemith mit einer Fuge beginnt, gefolgt von einem lebhaften Satz, in dem Sonatenform und Fugato frei verbunden sind und der durch häufige Taktwechsel metrisch abwechslungsreich gestaltet ist. Der dritte Satz besteht aus freien Variationen über das spätmittelalterliche Jagdlied Ich schell mein Horn in Jammers Tal des Herzogs Ulrich von Württemberg.

Das Sextett des Tschechen František Šterbák erlebt an diesem Abend seine Uraufführung. Šterbák ist ein Studienfreund Baboráks aus Prag, das Stück entstand bereits vor 25 Jahren – nun endlich wird es aus der Taufe gehoben. Was den Hörer erwartet, umreißt Baborák mit wenigen Worten: „ein Stückchen weit Avantgarde, aber auch mit Sinn für das Tonale“.

Mit De profundis des ebenfalls tschechischen Komponisten Miloš Bok kommt dann schließlich eine Sonderform des Horns ins Spiel, die nicht zuletzt aufgrund ihres Namen eine herausgehobene Stellung einnimmt: die Wagnertuba. Konzipiert und „erfunden“ von Richard Wagner für seinen Ring des Nibelungen, ähnelt sie äußerlich eher der Tuba, gehört aber in spieltechnischer Hinsicht zur Familie der Hörner. Auffällig ist der Schalltrichter, der sich nach oben öffnet, unverwechselbar auch der sehr präsente, dunkle aber durchschlagskräftige Klang. Nach dem Bayreuther Meister war es vor allem der Wagner- Verehrer Anton Bruckner, der diese instrumentale Farbe in seinen drei letzten Symphonien für unverzichtbar hielt. Später kam die Wagnertuba auch bei Richard Strauss in den Opern Elektra und Die Frau ohne Schatten sowie in der gewaltigen Alpensinfonie zum Einsatz; fast gleichzeitig nutzte Igor Strawinsky sie 1913 in Le Sacre du printemps. Seitdem ist das ungewöhnliche Instrument in neuen Werken nur noch selten anzutreffen.

Zum Abschluss der Gruppe mit Originalkompositionen erklingt Musik eines weiteren professionellen Hornisten, des Amerikaners Kerry Turner, Mitglied des American Horn Quartet und höchst produktiver Schöpfer von Werken für sein Instrument. Die Spanne reicht dabei vom Twelve-Tone Waltz für Solohorn bis zum Bronze Triptych für 12 Hörner, Pauken und Schlagzeug. „Mein Ziel ist es, ein musikalisches Bild, einen Gedanken, einen Eindruck so deutlich wie möglich auszumalen“, beschreibt Turner seinen kompositorischen Ansatz, „und sie dann dem Hörer wie dem Interpreten zu vermitteln, so dass das Ergebnis in ihrer Vorstellung so lebendig wirkt, als sähe man es auf einer Kinoleinwand.“

Farewell to Red Castle entstand 1995 als Auftragswerk für Soichiro Ohno und das Japanisch-Deutsche Horn Ensemble. Das Originalthema basiert auf einem mittelalterlichen schottischen Volkslied mit einer typischen Jagdmelodie. In jeder der vier ganz unterschiedlichen Variationen bleibt es deutlich erkennbar. Eine Verklammerung wird auch dadurch erzielt, dass etwa in der dritten Variation die poetisch-traurige

Melodie wie eine Fortsetzung des Originalthemas erscheint. Im brillanten Finale bringt Turner nicht nur alle technischen Raffinessen des Hornspiels zum Einsatz, sondern gibt dem schottischen Thema auch noch ein texanisches Flair mit.

Im letzten Teil der „Nacht der Hörner“ stehen Bearbeitungen im Mittelpunkt – der Reiz liegt hier in besonderer Weise darin, bekannte Kompositionen in einem ungewohnten Klanggewand wahrzunehmen. Dies gilt noch am wenigsten für die Werke des Venezianers Giovanni Gabrieli, wie etwa die Canzon per sonar septimi toni aus dem Jahr 1597, die einst von den Balkons im Innern der Basilika von San Marco erklangen, vorzugsweise musiziert auf Blasinstrumenten. Stereophonie live, kombiniert mit Echoeffekten – diese Idee ist vor allem Gabrieli und der chorischen Aufteilung seiner Bläser- bzw. Chorensembles zu verdanken und findet sich auch in diesem Werk.

Zu seiner Schauspielmusik zu Egmont ließ sich der freiheits begeisterte Ludwig van Beethoven in den Jahren 1809/10 von Goethes Tragödie um den flämischen Grafen inspirieren. Die Ouvertüre, als letzte der zehn Nummern entstanden, folgt dem bewährten Prinzip „per aspera ad astra“ – durchs Dunkel zum Licht. Die gesamte Partitur ist geprägt von ständigem Aufruhr, von Chromatik und schroffen Akzenten. Doch der Tod Egmonts ist nicht umsonst: Die Musik wendet sich von Moll nach Dur und endet mit einer visionär siegesgewissen Coda. Zu hören ist das packende Stück heute abend in einem Arrangement des legendären englischen Hornisten Alan Civil.

Noch eine Stufe grandioser fällt das Finale des Konzerts mit dem ersten Satz aus Anton Bruckners Neunter Symphonie aus. Sein musikalisches Material setzt sich aus drei sehr gegensätzlichen Gedanken zusammen: Monumental gibt sich das erste, scharf punktierte Thema, das in mächtigen Unisonopassagen dem Zuhörer entgegentritt; dagegen schwingt sich das sehr sangliche zweite in großen Bögen immer weiter auf. Das dritte Thema schließlich besteht aus einer herben Dreiklangsbrechung in der Grundtonart d-moll, weicht aber schon sehr bald in entferntere Tonarten aus. Bruckner kombiniert und kontrastiert all dies in unterschiedlichster Weise, um die Musik dann dramatisch kulminieren zu lassen, bevor mit der Reprise allmähliche Entspannung eintritt.

Man darf die Behauptung wagen, dass der Komponist selbst von der Bearbeitung durch Miloš Bok durchaus angetan gewesen sein dürfte – gerade aufgrund der Kombination von Hörnern, Wagnertuben und Orgel. Und damit schließt sich auf zwingende Weise auch der Kreis, den diese „Nacht der Hörner“ durchschreiten möchte. Noch einmal wird – in achtfacher Verstärkung – die von Radek Baborák beschworene „Seele des Horns“ zum Klingen gebracht, in der sich der Kosmos eines Instruments manifestiert, das seit Jahrhunderten Komponisten und Hörer gleichermaßen fasziniert.

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