![](https://stories.isu.pub/68669601/images/7_original_file_I0.jpg?width=720&quality=85%2C50)
7 minute read
Frang & Lifits
Innigkeit und Virtuosität
Werke für Violine und Klavier
Paul Thomason
Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Sonate für Violine und Klavier von frühen Versuchen, in denen fast durchweg das Klavier im Vordergrund stand und die Geigenstimme lediglich schmückendes, oft scheinbar überflüssiges Beiwerk bildete, zu einer Gattung eigenen Rechts und ebenso gleichberechtigter Partner. Die drei Sonaten für Violine und Klavier von Johannes Brahms, Kernstücke des Repertoires, bauen auf die Stärken beider Instrumente. Typisch Brahms, vernichtete der Komponist zunächst die Manuskripte von mindestens drei weiteren Violinsonaten, bevor er sich an das Werk machte, das heute als G-Dur-Sonate op. 78 bekannt ist. Sie entstand in den Sommermonaten der Jahre 1878 und 1879, in denen sich Brahms im kärtnerischen Pörtschach am Wörthersee erholte und sich von der Umgebung inspirieren ließ.
Brahms war ein begnadeter Pianist. Jan Swafford überliefert in seiner Biographie des Komponisten eine Episode, in der Clara Schumann – selbst eine berühmte Pianistin – annahm, sie höre zwei Menschen vierhändig spielen, dann aber Brahms ganz allein am Klavier vorfand, der seine Hände über die Klaviatur fliegen ließ: er liebte es, so viel Klang wie möglich aus dem Instrument zu holen. In seiner ersten Violinsonate achtete er jedoch sehr bewusst darauf, den zarteren Ton der Geige nicht mit der klanglichen Wucht des Klaviers zu erschlagen. Im Gegenteil übernimmt oft die Violine die Führung und stellt das musikalische Material vor, das Klavier bringt rhythmisch Gegenläufiges und anregende Kommentare.
Die Sonate ist inspiriert von zwei Liedern, Regenlied und Nachklang, die Brahms 1873 auf Verse des niederdeutschen Dichters Klaus Groth geschrieben hatte. Wie viele Gedichte Groths sind auch diese beiden von Melancholie und Vergangenheitssehnsucht geprägt, Emotionen, die bei Brahms großen Widerhall fanden. Regenlied beginnt mit den Worten „Walle, Regen, walle nieder, / Wecke mir die Träume wieder, / Die ich in der Kindheit träumte“; in Nachklang vergleicht der Dichter Regentropfen, die von den Bäumen fallen, mit den Tränen, die aus seinen Augen strömen.
Beide Lieder beginnen mit einem punktierten Motiv – lang, kurz, lang – auf derselben Tonhöhe. Zu Beginn des ersten und des dritten Satzes der Violinsonate wird diese Geste auf dem Ton d von der Geige intoniert, und sie bleibt das Hauptmotiv für das gesamte Werk, das in allen Sätzen immer wieder auftaucht, mal in ursprünglicher Gestalt, mal leicht modifiziert wie etwa im zweiten Satz. Im eröffnenden Vivace bildet es den Ausgangspunkt für eine siebentönige Phrase, die sich elegant genau eine Oktave nach unten neigt – eine der anmutigsten und einprägsamsten Wendungen von Brahms, die dementsprechend effektvoll wiederholt wird. (Ironischerweise hatte Brahms diese Phrase auch in der Klavierbegleitung der beiden Lieder verwendet; dort erklingt sie aber jeweils nur ein einziges Mal und bleibt so beinahe unbemerkt.) Brahms verknüpft die Sätze der Sonate auch dadurch zu einem Ganzen, dass er das Hauptthema des zweiten (vorgestellt vom Klavier) in der Mitte des dritten von der Violine wiederholen lässt. Hier, im Finale, hören wir außerdem die Melodien der beiden Lieder und deren Arpeggio-Begleitung im Klavier, die als musikalisches Fundament des Satzes dient.
Der jüngste Sohn Clara Schumanns, Felix, war 1879 im Alter von 24 Jahren gestorben. Laut Jan Swafford hatte Brahms zusammen mit einer Abschrift des langsamen Satzes seiner Sonate Clara die Nachricht geschickt, er habe den Satz komponiert um auszudrücken, wie sehr er im Herzen bei ihr und Felix war. Allerdings überzeugte diese Nachricht Clara nicht vollends von der Qualität des Adagios. Sie bevorzugte die Außensätze des Werks, das sie zeitlebens als „Regenlied-Sonate“ bezeichnete. Als Brahms die Sonate an seinen Verleger sandte, bat er darum, sein Honorar anonym auf ein Konto Claras einzuzahlen. Offenbar erfuhr die Empfängerin nie, was er getan hatte.
Als Brahms die Komposition fertig gestellt hatte, schickte er auch eine Kopie an den befreundeten Arzt und Amateurmusiker Theodor Billroth, nicht ohne eine seiner typisch augenzwinkernden Kommentare: sie mehr als einmal durchzuspielen sei die Sonate nicht wert, „und dazu muss noch eine sanfte Regenabendstunde die nötige Stimmung liefern.“ Billroth verstand die Anspielung sofort und antwortete: „Du Schelm!… Mir ist die ganze Sonate wie ein Nachklang vom Liede.“
Auch bei der Entstehung von Franz Schuberts Fantasie in C-Dur für Violine und Klavier spielte eine Liedkomposition aus früheren Jahren eine wichtige Rolle. Anders als Brahms war Schubert keineswegs ein Klaviervirtuose. Musiker wie Mozart oder Beethoven waren zunächst als herausragende Interpreten und erst später auch als Komponisten berühmt geworden – oft beeindruckten sie ihr Publikum mit Werken, die sie für sich selbst geschrieben hatten. Mit ihren Fähigkeiten am Klavier verdienten sie nicht nur ihr täglich Brot, sie beförderten auch den Absatz ihrer gedruckten Kompositionen. Louis Schlösser schätzte das pianistisches Können seines Freundes Schubert so ein: „Und doch würde dieses Klavierspiel, vom Standpunkte virtuoser Ausführung betrachtet, sich keineswegs mit den weltberühmten Wiener Meisterpianisten haben messen können. Bei Schubert überwog offenbar der Gefühlsausdruck seiner inneren Welt bei weitem die technische Ausbildung.“ Wenn Schubert Klavier spielte, dann klang es „wie die Ergüsse einer Seele, die aus dem Tiefinnersten ihrer Tongestalten schöpft und in das Gewand idealer Anmut kleidet.“ Als Schubert einmal einer Gruppe von Freunden seine eigene „Wanderer-Fantasie“ vorspielte und im letzten Satz aufgeben musste, weil ihm die Musik schlicht zu schwer wurde, so erinnert sich einer der Anwesenden, „sprang er von seinem Sitz mit den Worten auf: ‚Das Zeug soll der Teufel spielen!‘“
Doch Schubert war zweifellos in der Lage Musik zu komponieren, die den Virtuosen dankbares Material lieferte. Ein solches Stück ist die Fantasie für Violine und Klavier, die im Dezember 1827 entstand, kurz nachdem Schubert die ersten zwölf Lieder der Winterreise vollendet hatte. Geschrieben wurde sie für den jungen böhmischen Geiger Josef Slavík, der im Jahr zuvor nach Wien gekommen war und sich dort bereits einen Namen gemacht hatte (Chopin nannte ihn einen „zweiten Paganini“). Der Pianist der Uraufführung war Carl Maria von Bocklet, ein Freund Schuberts, der bei den berühmten Schubertiaden mit dem Komponisten gelegentlich vierhändig spielte.
Auf das Publikum der ersten Aufführung am 27. Januar 1828 machte das Stück offenbar keinen besonders guten Eindruck. Zum einen hatte Slavík durchaus mit den Schwierigkeiten der Partitur zu kämpfen, zum anderen zog sich das Konzert endlos in die Länge; als Schuberts Fantasie endlich an der Reihe war, hatten viele den Saal bereits verlassen, und der Rest zeigte sich wenig angetan. Ein Kritiker notierte, dass der neuen Fantasie „nicht einmal der geringste Erfolg beschieden war. Man möchte meinen, der beliebte Komponist habe sich selbst in die Irre geführt.“ Dagegen bemerkte der Kritiker der Londoner Zeitschrift Harmonicon, dass das Stück das „Gewöhnliche an Wert weit [übertreffe]“.
Die Fantasie gliedert sich in sieben Abschnitte, die miteinander zu einer durchkomponierten Einheit verknüpft sind. Das Herzstück bildet ein Andantino im Dreivierteltakt, eine Reihe von Variationen auf Schuberts Lied Sei mir gegrüßt aus dem Jahr 1822. Das zugrundeliegende Gedicht Friedrich Rückerts entspricht dem Modell des Ghasel, einer Form arabischer Liebeslyrik, die an eine abwesende Geliebte oder einen Geliebten gerichtet ist. Dietrich Fischer-Dieskau warnte davor, dass ein „allzu sentimentaler Vortrag das herrliche Stück ins Triviale hinabziehen [könne]. Innig und nobel gesungen, muß ihm sein eigenständiger Rang erhalten bleiben.“ In diesen sich in ihrer technischen Schwierigkeit immer weiter steigernden Variationen zieht Schubert alle Register der Virtuosität – für beide Instrumente.
Die Fantasie beginnt mit geheimnisvollen Tremoli im Klavier, über denen sich die Violine leidenschaftlich erhebt. Nach zwei Kadenzen, erst in der Violine, dann im Klavier, folgt ein munteres Allegretto (von einem Kritiker als „paganinesk“ bezeichnet), an das sich die besagten Variationen anschließen. Schubert rekapituliert dann kurz den Beginn des Werks mit den Klaviertremolos und der lyrischen Geigenmelodie, bevor das Thema aus Sei mir gegrüßt emphatisch wiederholt wird, zunächst als schnelles Allegro vivace, dann in einem grazileren Allegretto im Dreivierteltakt. Die Fantasie schließt mit einer heiteren, schwungvollen Presto- Coda.
Auch Béla Bartóks erste Sonate für Violine und Klavier stellt ihre Interpreten vor immense Aufgaben – doch sind sie nie bloße technische Muskelspielerei, sondern dienen der Verwirklichung der sehr persönlichen, expressionistischen Vorstellungen des Komponisten. Die Sonate entstand in den Monaten Oktober bis Dezember des Jahres 1921 in Budapest für die ungarische Geigerin Jelly d’Arányi, die sie am 24. März 1922 in London mit Bartók selbst am Klavier auch uraufführte. Gemeinam hatten sie die Sonate bereits einige Tage zuvor bei einer privaten Zusammenkunft im Haus eines ungarischen Ministers gespielt. „Obwohl die Aufführung nicht öffentlich war, druckte die Times am nächsten Tag eine sehr wohlwollende Rezension. Über meine Ankunft war schon berichtet worden – im Daily Telegraph, der Daily Mail und in zwei Musikzeitschriften“, wie Bartók seine Mutter in einem Brief wissen ließ.
Am 8. April führten Bartók und d’Arányi die Sonate in Paris ein weiteres Mal auf. Im Anschluss gab es einen Empfang im Haus von Henry Prunières, dem Chefredakteur der Revue Musicale, bei dem Igor Strawinsky, Maurice Ravel, Karol Szymanowski, Albert Roussel und Mitglieder der Komponistengruppe „Les Six“ anwesend waren (Prunières bemerkte später, nur Schönberg habe gefehlt). Dort spielten Bartók und d’Arányi die Sonate noch einmal und beeindruckten damit Strawinsky: er war fasziniert davon, wie Bartók für die Violine komponiert hatte, ohne das Instrument selbst zu spielen. Seiner Mutter berichtete Bartók, dass die meisten Komponisten von seiner Sonate begeistert waren, und ebenso von Jelly d’Arányis Spiel, die sich in seinen Worten an diesem Abend selbst übertroffen habe.
Anders als in Europa fand das Stück in den USA nur langsam ihren Weg in die musikalische Öffentlichkeit. Nachdem Bartók und Joseph Szigeti die Sonate gemeinsam mit der ersten Rhapsodie für Violine und Klavier in Washington aufgeführt hatten, äußerte sich der Kritiker der New York Times wohlwollend über letztere, schrieb aber über die Sonate, ihre Ideen seien unnötig in die Länge gezogen, die Themen und Rhythmen zusammengestückelt und gerade die unvorteilhaftesten Eigenschaften der Geige in der Vordergrund gestellt und betont. „Es gibt durchaus Momente, in denen der Komponist eine Stimmung andeutet und durchhält“, heißt es weiter, „doch lässt er sie immer schnell wieder abbrechen, als wolle er Emotionalität überhaupt vermeiden.“
In einer Reihe von Vorlesungen, die Bartók 1927/28 in den USA hielt, bezeichnete er die Periode seines Schaffens, in der die beiden Violinsonaten und auch der Wunderbare Mandarin entstanden, als Zeit der Annäherung „an eine bestimmte Form der Zwölftonmusik. Doch selbst in den Werken dieser Zeit bleibt ihre absolut tonales Fundament stets unüberhörbar.“
Die erste Violinsonate steht in cis-moll, die ersten drei Noten des Klaviers bilden den Tonikadreiklang. Die Violine aber setzt nicht mit einem cis ein, wie man erwarten würde, sondern mit einem c – damit ist die ziemlich antagonistische Beziehung zwischen den beiden Instrumenten umrissen. Im Unterschied zu den meisten anderen Sonaten für Violine und Klavier überschneidet sich das musikalische Material der beiden Instrumente hier kaum, es gibt keine Themen oder Gedanken, die zwischen ihnen ausgetauscht würden. Einige Kommentatoren meinen, er entstehe fast der Eindruck, als ob hier zwei Instrumente zwei unterschiedliche, aber miteinander verschränkte Stücke spielten, die zusammengenommen ein drittes Werk von gewaltigen Ausmaßen ergäben.
Der erste Satz beginnt mit sanften Klavierarpeggien, die an balinesische Gamelanmusik erinnern und mit Debussy verglichen worden sind. Die Geige setzt mit Elan im forte ein. Der kernige Satz fasziniert mit einem Übermaß an interessanten Details. Den zweiten Satz eröffnet die Violine allein, das Klavier tritt später mit gedämpften, beinahe impressionistischen Akkorden hinzu. Die Musik steigert sich zu einer Passage von mitreißenden, leidenschaftlichen Linien, bevor sie leiser werdend abebbt. Bartóks Faszination für die ungarische Volksmusik zeigt sich deutlich im Finale, einem energiegeladenen, immer wilder werdenden Tanzsatz.
Die Worte, mit denen die Musikwissenschaftler Vera Lampert und László Somfai Bartóks Charakter beschreiben, könnte so auch auf seine Violinsonate zutreffen: „Seine Größe liegt nicht so sehr in seinen technischen oder stilistischen Innovationen, sondern vielmehr in seiner außerordentlichen