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Kammerspiele

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Wit and Virtuosity

Wit and Virtuosity

Kammerspiele

Musik von Haydn, Gandolfi, Poulenc und Beethoven

Michael Kube

Mit der kulturellen Etablierung des Bürgertums im ausgehenden 18. Jahrhundert entstanden nicht nur einige der bis heute lebendigen musikalischen Institutionen (wie etwa das Konzert, der Konzertsaal oder das Konservatorium), sondern auch eine ganze Reihe von neuen Gattungen und Besetzungen. In der Instrumentalmusik stehen dabei an erster Stelle die groß besetzte, farbig-dramatische Sinfonie und das mehr introvertiert-geistvolle Streichquartett, aber auch die Klaviersonate, das Klaviertrio oder das Streichquintett. Sie alle haben seit ihrer Begründung in der Wiener Klassik auf je eigene Weise starke Traditionen ausgebildet, die von Komponisten zum Teil gar als Verpflichtung empfunden wurden, während für andere, weniger gängige Besetzungen oft nur Einzelwerke entstanden – oder Werke, die an eine singuläre und zugleich Maßstäbe setzende Komposition anknüpften. Solche Marksteine sind etwa das Klarinettenquintett KV 581 von Wolfgang Amadeus Mozart oder Mendelssohns Streicheroktett, für gemischte Ensembles aus Bläsern und Streichern aber vor allem Ludwig van Beethovens Septett in Es-Dur op. 20 und das Nonett von Louis Spohr aus dem Jahr 1813. Die beiden letztgenannten Werke waren zu ihrer Zeit äußerst populär – und dies trotz ihrer wohl nicht immer leicht zu realisierenden Besetzung. Sie fordern darüber hinaus von allen Ausführenden gehobenes technisches wie interpretatorisches Vermögen. Das zeigt auch eine Bemerkung Beethovens gegenüber dem Leipziger Verleger Franz Anton Hoffmeister, in der er auf die Selbstständigkeit der einzelnen Stimmen anspielt: „Ich kann gar nichts unobligates schreiben, weil ich schon mit einem obligaten accompagnement auf die Welt gekommen bin.“ Bei Spohr war es gar der Auftraggeber selbst, der kunstsinnige Tuchhändler Johann Tost, der verlangte, es möge in der Partitur „jedes der Instrumente seinem Charakter und Wesen gemäß hervortreten.“

Der Herausforderung, gerade den klanglichen Farbenreichtum solcher gemischter Ensembles – ob mit oder ohne Klavier – herauszuarbeiten, stellten und stellen sich noch heute Komponisten mit Werken ganz im Sinn einer Charakterisierung, die Gottfried Wilhelm Fink schon 1837 formulierte: „Keines der zum Ganzen gehörenden Instrumente ist nur zur Füllung da, allen ist ein gebührender Antheil an der Charakterisirung und am Schmucke des Stückes zu Theil geworden, so dass kein einziges ohne Beeinträchtigung des Werkes weggelassen werden könnte […].“

Michael Gandolfi Plain Song, Fantastic Dances

Musik ist nicht bloß eine Folge von Tönen und Klängen, sondern bis heute oft auch eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Schon bei Johann Sebastian Bach findet sich so ein „stile antico“, damals der Rekurs auf die motettisch-polyphone Satzweise des 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Mozart, Beethoven und viele weitere Komponisten nach ihnen bis hin zu Busoni setzten sich wiederum mit Bach und seiner Fugentechnik auseinander. Im 20. Jahrhundert waren es dann grundlegender Formen und Musiksprache des Barock, die im so genannten Neoklassizismus schöpferisch neu durchdrungen wurden (von Reger und Poulenc bis hin zu Strawinsky und Prokofjew). Heute reichen die stilistischen Möglichkeiten noch weiter, so dass nahezu alles Vergangene gegenwärtig erscheinen kann. So auch in Plain Song, Fantastic Dances von Michael Gandolfi. Der 1956 geborene Amerikaner studierte 1986 u.a. bei Leonard Bernstein am Tanglewood Music Center – der seit 1940 bestehenden, hoch angesehenen Sommerakademie des Boston Symphony Orchestra, deren Composition Faculty Gandolfi heute selbst vorsteht. Als Komponist von vornehmlich Orchester- und Kammermusik (und mit einer eigenen Vorliebe für Jazz, Blues und Rock) stehen ihm dabei sowohl die Techniken vergangener Epochen wie auch die Rhythmen der letzten Jahrzehnte zur Verfügung. Plain Song, Fantastic Dances entstand für die Boston Symphony Chamber Players im Auftrag des St. Botolph Clubs zu dessen 125-jährigem Bestehen. Als Ausgangsmaterial für den Kopfsatz („St. Botolph’s Fantasia“) wählte Gandolfi zu Ehren von Botolph, einem englischen Mönch aus dem 7. Jahrhundert, einen gregorianischen Choral. „Außerdem fand ich ein Organum aus der Notre-Dame-Epoche des 12. Jahrhunderts, das auf diesem Choral basiert und das ich am Anfang und Ende des Satzes zitiere“, notiert Gandolfi. „Der Satz ist eine Folge von Variationen, die den gregorianischen Choral in immer kunstvoller verwobenen kontrapunktischen Konstellationen präsentieren. Sie gipfelt in einer siebenstimmigen Schichtung, bei der das Thema in mehreren Geschwindigkeiten und Tonarten parallel erscheint.“ Daran schließen sich „Tango Blue“ und „Quick Step“ als Sätze Nummer 2 und 3 an. Während Gandolfi das Stück komponierte, studierte er intensiv Strawinskys Apollon musagète, bewunderte die Gemälde und Fotocollagen von David Hockney und las Boris Vians Herbst in Peking. „Beeindruckt haben mich die kühnen Striche und die klare Linienführung in den Werken von Strawinsky und Hockney und die starke Verbindung zu den jeweiligen Traditionen. Dazu kam die surreale, humorvolle und unehrfürchtige Natur von Vians Sprache. Alle diese Werke teilen eine schwungvolle, lebendige und sichere Entschlossenheit, die ich auch in Plain Song, Fantastic Dances zu schaffen suchte.“

Joseph Haydn Klaviertrio C-Dur Hob. XV:27

Er war nicht nur Begründer des Streichquartetts, der wichtigsten und noch immer höchst lebendigen kammermusikalischen Gattung, sondern auch einer der großen Meister des Klaviertrios. Erstmals widmete sich Joseph Haydn dieser Gattung um 1755, als sich die heute standardisierte Besetzung langsam aus der barocken Solo- und Triosonate herausbildete. So ist beispielsweise in den frühen Kompositionen die Cellostimme (in Anlehnung an die Continuopraxis) noch weitgehend identisch mit der linken Hand des Klaviers, während die Violine in einen konzertanten Dialog mit der rechten tritt. Im Gegensatz zum Streichquartett, das sich etwa zur gleichen Zeit aus einer Vielzahl gattungsgeschichtlicher Wurzeln herausbildete und bereits in den 1780er Jahren wegen seiner homogenen Faktur hoch angesehen war, entwickelte sich das Klaviertrio ungleich langsamer. Noch Ende des 18. Jahrhunderts oft als „Sonate pour le Fortepiano avec accompagnement d’un Violon et Violoncell“ bezeichnet, bedeutete der allmähliche Wandel hin zu einem auch terminologisch fester gefügten „Grand Trio“ eine relativ späte Konsolidierung dieser Besetzung. Im Gegensatz zu seinem Schaffen für Streichquartett pausierte Haydn mit dem Klaviertrio über längere Zeiträume. Erst um 1784 widmete er sich wieder der Gattung, und in den Jahren 1792 bis 1796 entstanden hauptsächlich für englische Verleger seine 15 letzten großen Klaviertrios. Anders als bei früheren Werken nimmt Haydn bei der Gestaltung des Klavierparts jedoch kaum mehr Rücksicht auf eine vorzugsweise leichtere Ausführbarkeit. Im Gegenteil wird eine spieltechnische Brillanz erwartet, die sich in den Widmungen der Druckausgaben spiegelt: die vermutlich noch 1795 in London entstandene Werkgruppe, zu der auch das C-Dur- Trio zählt, ist Therese Jansen-Bartolozzi zugeeignet, eine der in London führenden Pianistinnen, bei deren Hochzeit Haydn übrigens als Trauzeuge anwesend war. Formal ausgreifend und in den Ecksätzen mit ihrer dramatischen Gestaltung nahezu sinfonisch gehalten, lässt das Trio vom ersten Takt an das oft bemühte Bild des vermeintlichen „Papa Haydn“ erblassen: Diese mit höchstem kompositorischen Witz geschriebene Musik will nicht anbiedern, sondern packt (vor allem im langsamen Satz) mit ihrer noch ganz im Sinne der Klassik gebundenen, unter der Oberfläche glühenden Emotionalität.

Francis Poulenc Sextett für Klavier und Bläserquintett

Die deutlich spürbare Affinität französischer Komponisten zu Holzblasinstrumenten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist nicht nur der herausragenden Stellung traditioneller Werkstätten zu verdanken (etwa den Manufakturen Buffet, Cabart, Henri Selmer und Lorée), sondern auch auf die von Jean Cocteau 1918 in der programmatischen Aphorismensammlung Le coq et l’arlequin geforderte Abkehr von Wagner und Debussy und die Überwindung der musikalischen Romantik zurückzuführen. Dem sollte eine Tonsprache entsprechen, die von „clarté“ (Klarheit) und „simplicité“ (Einfachheit) geprägt ist – Forderungen, die sich Anfang der 1920er Jahre in der Seine-Metropole in den Werken der Groupe des Six nachhaltig realisierten. Auch wenn die Gruppe nur lose verbunden war und sich nach wenigen Jahren gänzlich auflöste (ihr gehörten neben Francis Poulenc auch Arthur Honegger, Louis Durey, Darius Milhaud, Germaine Tailleferre und Georges Auric an), so sind es doch gerade im Œuvre von Poulenc die mit Holzbläsern besetzen Werke, in denen der radikale Geist der Zeit auch später noch fortlebte: im Trio für Oboe, Fagott und Klavier von 1926, in den Sonaten, die jeweils für Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott und Klavier entstanden und auch im Sextett für Klavier und Bläserquintett. Auch wenn alle diese Werke von kompositorischem Witz und schöpferischer Originalität durchzogen sind und gar anhaltend frisch klingen, sollte nicht vergessen werden, dass Poulencs Hinwendung zum katholischen Glauben ab 1936 Konsequenzen für sein Œuvre hatte, auch weil er sich strikt weigerte, eine scharfe Grenze zwischen weltlichem und geistlichem Repertoire und Stil zu ziehen. Mit dem 1932 vollendeten, dreisätzigen Sextett knüpft Poulenc jedenfalls beispielhaft an die Ästhetik der Groupe des Six an und bildet mit der umtriebigen Motorik des Kopfsatzes und den raschen Partien im Finale das wirbelnde Leben der Großstadt ab, zu denen die langsamen Passagen, die Rahmenteile des mittleren Divertissements wie auch der Schluss des Finales das Bild einer gebrochenen Idylle vermitteln. So leicht das Werk anmutet, so schwierig war es für Poulenc, es in seinen Teilen formal konsistent zu gestalten. Auch wenn sich von der ersten Fassung nichts erhalten hat, so gibt doch ein Brief vom September 1939 an Nadia Boulanger hin reichend Auskunft über die Gründe für die in jenen Wochen vorgenommene Revision: „Es gab einige gute Ideen, aber die ganze Sache funktionierte schlecht. Jetzt bin ich damit zufrieden.“

Ludwig van Beethoven Septett Es-Dur op. 20

Denkt man an Beethoven als Kammermusikkomponist, so sind es vor allem die Streichquartette, die in den Fokus rücken – nicht nur wegen ihres kompositorischen Gewichts, sondern auch aufgrund ihrer bis weit ins 20. Jahrhundert reichenden Wirkungsgeschichte. Denkt man an Beethoven als Musiker, so wird man sofort den jungen, ungestümen Pianisten vor Augen haben, dem sich in Wien mit seinem furiosen Spiel (und trotz des eigenwillig harschen Auftretens) rasch die Türen zu den adeligen Salons öffneten. Als Komponist hat sich Beethoven hingegen Schritt für Schritt durch den Kanon der Gattungen gearbeitet – und eröffnet die Reihe seiner mit Opuszahl versehenen Werke nicht etwa mit einer Sammlung von Quartetten, sondern mit drei Klaviertrios, deren neuartige Ausdruckstiefe und klangliche Dimensionen Beethovens Lehrer und Mentor Joseph Haydn erschrecken ließen. Nach den beiden Sonaten für Violoncello und Klavier op. 5, den Streichtrios op. 9 und den Violinsonaten op. 12 erschien erst 1801 ein Druck der sechs Streichquartette op. 18. Und noch bevor Beethoven mit seiner Symphonie Nr. 1 in einem ganz anderen Bereich der Tonkunst reüssierte, schuf er mit dem Septett Es-Dur op. 20 ein Werk, das in Tonfall und Satzstruktur der Tradition des Divertimentos zuzurechnen ist, in puncto Besetzung und vor allem satztechnischer Ausarbeitung aber einen Höhepunkt kammermusikalischen Komponierens an der Wende zum 19. Jahrhundert darstellt. Beethoven war sich des Rangs seines Septetts fraglos bewusst, widmete er das Werk doch der Kaiserin Marie Therese (der Gemahlin von Franz II.) und setzte es auf das Programm seiner Akademie im Wiener Hofburgtheater am 2. April 1800, in der neben dem Klavierkonzert Nr. 1 auch die erste Symphonie erklang. Bedeutende acht Monate später bot Beethoven das Septett dem befreundeten Verleger Franz Anton Hoffmeister in Leipzig an – mit einer gewissen Ironie, doch auch mit einem Hinweis auf die besondere Anlage des musikalischen Satzes, in dem alle Instrumente (im Rahmen des Möglichen) selbstständig geführt werden und zu immer wieder neuen Kombinationen und Konstellationen zusammenfinden: „Geliebtester Herr Bruder! Ich will in der Kürze alles hersetzen, was der Herr Bruder von mir haben könnte: 1. Ein Septett per il violino, viola, violoncello, contrabasso, clarinett, corno, fagotto, – tutti obligati, (ich kann gar nichts unobligates schreiben, weil ich schon mit einem obligaten Accompagnement auf die Welt gekommen bin.) Dieses Septett hat sehr gefallen.“ In der Tat hatte das seiner Faktur nach avancierte, in der melodischen Erfindung aber leichtgängige Werk einen so großen Erfolg, dass es nicht nur vielfach öffentlich aufgeführt wurde, sondern auch in zahlreichen Bearbeitungen Verbreitung fand – etwa für Streichquintett, für Harmoniemusik, für Klavier zu vier Händen oder auch für Gitarre und Violine.

Gegen solche Arrangements verwahrte sich Beethoven in Mitteilungen, die in Wien und Leipzig veröffentlicht wurden – und legte selbst mit einer Fassung für Klaviertrio (op. 38) eine meisterhafte Transkription vor.

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