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Christian Tetzlaff und Alexander Lonquich
Mit Eleganz und Emphase
Werke für Violine und Klavier von Brahms, Enescu, Webern und Franck
Kerstin Schüssler-Bach
Vier der größten Geiger der letzten zwei Jahrhunderte –Joseph Hellmesberger, Jacques Thibaud, Arnold Rosé und Eugène Ysaÿe – spielten die Uraufführungen der Werke des heutigen Programms. Ihr Künstlertum ist ein eindrucksvoller Beweis dafür, dass Musik nicht im luftleeren Raum entsteht, sondern ein resonierendes Gegenüber braucht. Auch an diese bedeutenden Interpreten wollen die folgenden Bemerkungen deshalb erinnern.
„Wehmütig, süß und stark“ Johannes Brahms: Sonate für Violine und Klavier A-Dur op. 100
Schon als der 20-jährige, noch völlig unbekannte Johannes Brahms das Ehepaar Robert und Clara Schumann in Düsseldorf aufsuchte, hatte er „Sonaten für Violine und Clavier“ im Gepäck – sie überstanden freilich die strenge Selbstkritik ebenso wenig wie über 20 Streichquartette aus der Jugendzeit. Vermittler in der persönlichen Bekanntschaft mit den Schumanns war der Geiger Joseph Joachim gewesen, der später auch zum „Geburtshelfer“ für Brahms’ Violinkonzert wurde und den Komponisten in vielen spieltechnischen Fragen beriet. Dennoch wandte sich Brahms – von seinem Beitrag zu der Joachim gewidmeten Gemeinschaftskomposition der „F.A.E.-Sonate“ abgesehen – erst spät der Violinsonate zu. Als er im Sommer 1886 an seinen Sonaten Nr. 2 und 3 arbeitete, war das Verhältnis zu Joachim wegen eines privaten Zerwürfnisses stark abgekühlt. So kam Joseph Hellmesberger (dem Älteren) die Ehre zu, die A-Dur-Sonate op. 100 am 2. Dezember 1886 im Wiener Musikverein aus der Taufe zu heben – mit Brahms am Klavier. Hellmesberger war Primarius des nach ihm benannten Streichquartetts und Konzertmeister des Wiener Hofopernorchesters. Im Vergleich zu Joachim galt er als der elegantere, emotionalere Geiger, oder wie Eduard Hanslick es geschlechterstereotypisch formulierte: „Die Vortragsweise der beiden verhält sich beinahe wie Weibliches und Männliches.“ So mochte diese lyrischste und darum populärste der drei Brahms-Sonaten Hellmesbergers Vorzüge besonders unterstrichen haben.
Wie schon in der 1879 entstandenen ersten Violinsonate baute Brahms auch in der zweiten Bezüge zu eigenen Liedern ein. Zum einen konnte er so die gesanglichen Qualitäten des Instruments hervorheben, zum anderen verbargen sich in diesen Selbstzitaten konkrete, zunächst nur für den Freundeskreis dechiffrierbare Verweise. In dem so ertragreichen Sommer im schweizerischen Idyll am Thunersee, wo Brahms in aller Ungestörtheit ein Meisterwerk nach dem anderen konzipierte, erwartete er die Ankunft der Altistin Hermine Spies, mit der ihn eine schwärmerische Freundschaft verband. So lässt er jene Lieder, die er mit der Stimme Hermines im Ohr niederschrieb, in der Sonate mehr oder weniger deutlich anklingen, darunter Wie Melodien zieht es und Komm bald!. Auch das wunderbar warme, auf der G-Saite zu spielende Thema des dritten Satzes erscheint als Reverenz an die „Macht und Tonfülle des Organs“ der frühverstorbenen Sängerin.
Die goldene, lyrische Atmosphäre der A-Dur-Sonate hatte schon die ersten Hörer (und Leser!) begeistert, etwa Brahms’ Vertraute Elisabeth von Herzogenberg: „Was haben Sie da Liebes und Behagliches gemacht, das ist ja eine wahre Liebkosung, das ganze Stück“. Der befreundete Hanslick notierte nach der Uraufführung den Eindruck „der köstlichen Stille eines würzigen Sommerabends […]. Eine himmlische Zufriedenheit durchströmt den ersten Satz mit seinem schlichten, etwas zu merklich an das Preislied in den ‚Meistersingern‘ anklingenden Thema.“ Letzterer Verweis hat dem Werk neben dem Beinamen „Thuner“ auch den zweifelhaften Titel „Meistersinger-Sonate“ eingebracht. Tatsächlich sind nur die ersten drei Intervalle des ersten Themas identisch mit Stolzings Preislied „Morgenlich leuchtend“ aus Wagners Oper. Bei aller Opposition gegen den Komponistenkollegen rühmte Brahms die „Heiterkeit und Größe der ‚Meistersinger‘“, und vielleicht schöpfte auch er hier in einer „morgenlichen“ Klarheit Luft. Im letzten Satz klingt das Lied Meine Liebe ist grün an, dessen Worte von Brahms’ 1879 verstorbenem Patensohn Felix Schumann stammen. Als liebevollkurioses Aperçu widmete der Schweizer Schriftsteller Joseph Viktor Widmann, ein enger Brahms-Freund, der „Thuner Sonate“ eine ganze Märchenballade: „Nun aber hat sich hier am See erschwungen / Ein Saitenton, wie wir ihn nie gehört. / So hat vielleicht einst Davids Spiel geklungen, / Erquickend Saul, als ihm sein Sinn verstört. / Er zog zu uns, wehmütig, süß und stark / Und traf mit Sehnsucht uns ins tiefste Mark.“ Widmanns Traum von Rittern und Feen und seine Charakterisierung der „singenden Sehnsucht“ stellt ein frühes Beispiel unmittelbarer Wirkungspsychologie dieses von jeher besonders geschätzten Kammermusikwerks dar.
Veredelte Erotik George Enescu: Sonate für Violine und Klavier f-moll op. 6
Beim Sohn des Brahms-Freundes Joseph Hellmesberger studierte George Enescu, der bereits in seinem fünften Lebensjahr als Wunderkind komponierte, am Wiener Konservatorium, und durch ihn lernte er 12-jährig auch sein großes Vorbild Brahms persönlich kennen. Doch bald ging Enescu andere Wege und sog bei Jules Massenet und Gabriel Fauré in Paris die französische Tradition auf. Obwohl Enescu selbst ein hervorragender Geiger war und u.a. Yehudi Menuhin unterrichtete, sah er im Komponieren seine eigentliche Passion. Große Werke wie die Oper Oedipe zeugen von seiner eigenwilligen Tonsprache. Sein rumänisches Erbe brachte Enescu in die Vorliebe für klare architektonische Formen ein, ohne in vordergründigen Folklorismus zu verfallen.
Seine zweite Violinsonate entstand 1899, noch während Enescus Pariser Konservatoriumsjahren. Ihr thematischer Keim war jedoch schon vorher gelegt, wie sich der Komponist am Ende seines Lebens erinnerte: „Als ich im Alter von vierzehn Jahren allein im Garten des Prinzen Maurouzi spazierenging, kam mir ein Thema in den Sinn. Ich trug es drei Jahre lang mit mir herum und schrieb dann, als ich siebzehn war, meine zweite Violinsonate innerhalb von vierzehn Tagen.“ Enescus eigene geigerische Fähigkeiten waren außerordentlich, international wurde er auch für sein Bach-Spiel bewundert. Die zweite Sonate, von der Enescu eine gemeinsam mit dem Pianisten Dinu Lipatti entstandene Aufnahme hinterließ, war allerdings auf einen Pariser Kommilitonen zugeschnitten: den eminenten Virtuosen Jacques Thibaud, dessen Spiel der Kollege Carl Flesch eine „wenngleich veredelte, so doch unverfälschte Erotik“ zugestand. Thibauds biegsamer Ton und seine pastellnen Klangfarben inspirierten Enescu zu einer Komposition, die er selbst als sein erstes Werk bezeichnete, in dem er seine eigene Tonsprache gefunden habe.
Neben Fauréscher Geschmeidigkeit der Melodie und der Vitalität rumänischer Volksweisen zeichnet sich die Sonate durch zyklische Geschlossenheit, reiche Chromatik – und durch eine faszinierende Rätselhaftigkeit aus. Gleich das erste Thema des ersten Satzes, unisono von Violine und Klavier eingeführt, gibt sich mit seinem in chromatischen Schritten auf- und abwogenden, langgezogenen Duktus enigmatisch, ja fast geisterhaft. Das zweite Thema entflieht in die höchsten Lagen der Violine, leidenschaftlich glühend. Der langsame Satz behält die Grundtonart f-moll bei, doch mischen sich immer wieder Dur-Einsprengsel hinein. Enescus Vorliebe für solche Verschiebungen hat man von den chromatischen Modi rumänischer Volksmusik und ihren harmonisch zweideutigen Dur-Moll-Terzen abgeleitet. Das an ein melancholisches Volkslied erinnernde Thema ist zuerst in der mit Dämpfer spielenden Geige, dann im Klavier zu hören. Aparte rhythmische Wechsel und Ornamente sorgen für ein rhapsodisches Flair.
Die frische Energie rumänischer Tänze fließt in das Finale unüberhörbar ein, und Doppelgriff- oder Tremolopassagen lassen auch das virtuose Element nicht zu kurz kommen. In zwei vom Klavier mit „glockenspielartiger Sonorität“ zu begleitenden langsameren Abschnitten kehrt das chromatische Thema des ersten Satzes zurück. Doch der tänzerische Elan bricht sich immer wieder Bahn und führt die Sonate schließlich ihrem sehr überraschenden Ende entgegen.
„Wie ein Hauch“ Anton Webern: Vier Stücke für Violine und Klavier op. 7
Der österreichische Geiger Arnold Rosé führte die Wiener Tradition Joseph Hellmesbergers zukunftsweisend weiter: Das in bewusster Nachfolge des Hellmesberger-Quartetts gegründete Rosé-Quartett pflegte zwar die romantische Literatur, setzte sich aber auch mutig für die Musik Arnold Schönbergs und Anton Weberns ein. Bevor Rosé, der Schwager Gustav Mahlers, noch mit über 75 Jahren durch den „Anschluss“ Österreichs ins Exil gezwungen wurde, hatte er zentralen Werken des Schönberg-Kreises zu Aufführungen verholfen, darunter auch Weberns Vier Stücken op. 7, die er 1912 mit dem Komponisten am Klavier spielte.
Die extrem kurzen Miniaturen hatte Webern bereits im Sommer 1910 komponiert, nach einem aufreibenden Engagement als OperettenKapellmeister. Wie sehr sich Weberns Berufung von diesem Brotberuf unterschied, zeigen die Vier Stücke, mit denen er den Weg zur äußersten Reduktion und Konzentration einschlug. Fort vom romantischen Überschwang seiner Jugendwerke, hin zu aphoristischer Ausgespartheit – mit seinem Opus 7 legte Webern den Grundstein zu seinem Personalstil. Traditionelle Formen sind aufgelöst, tonale Bezüge in chromatischer Verdichtung fast verschwunden. Wie improvisiert muten die expressionistisch eckigen Gesten an, die dennoch strengster Konstruktion folgen. Zwei langsame, verhaltene Stücke (Nr. 1 und 3) kontrastieren mit dem explosiven Aufschrei der Nummern 2 und 4. Bemerkenswert sind die spieltechnischen Neuerungen für die Geige: Das Spielen am Griffbrett und am Steg produziert ungewöhnliche, dem gesanglichen Ideal entgegenstehende Klangfarben. Auch das Schlagen der Saiten mit dem Holz des Bogens („col legno“) und das Knallen der gezupften Saite auf dem Griffbrett betonen das geräuschhafte Element. Flageolett-Effekte und Vortragsanweisungen wie „kaum hörbar“ oder „wie ein Hauch“ bringen das Flüchtige dieser Aphorismen zum Ausdruck.
Ein zartes Glück César Franck: Sonate für Violine und Klavier A-Dur
Eugène Ysaÿe, prominenter Vertreter der französisch-belgischen Violinschule, erhielt 1886 ein besonderes Hochzeitsgeschenk von César Franck: die Violinsonate A-Dur. Ysaÿe amtierte zwei Jahre lang als Konzertmeister der Bilse’schen Kapelle – Vorläuferorganisation der Berliner Philharmoniker –, bevor er als gefeierter Virtuose um die Welt reiste. Zum Zeitpunkt von Francks Widmung stand er noch am Anfang seiner kometengleichen Karriere, die allerdings schon um 1910 aufgrund physischer Probleme wieder im Niedergang begriffen war (was Ysaÿe durch die stärkere Verlagerung seiner Aktivitäten aufs Dirigieren auszugleichen versuchte). Um die Jahrhundertwende aber galt er als der größte Geiger seiner Zeit, der romantische Leidenschaft mit glänzender Technik und interpretatorischer Gestaltungskraft verband. Ysaÿes Spiel galt als impulsiv, schlank und elastisch – Eigenschaften, die sicher auch Francks Sonate zugute kamen, ebenso wie seinen Interpretationen von Saint-Saëns, Fauré oder Debussy.
Noch am Tage seiner Hochzeit spielte Ysaÿe seinen Gästen die Sonate vom Blatt vor, und selbstverständlich präsentierte er auch die offizielle Uraufführung im Dezember 1886 in Brüssel. Der 64-jährige, als Organist in Paris wirkende Franck war zu dieser Zeit, obwohl seit Jahren auch als Professor lehrend, als Komponist noch kaum ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gedrungen. Ysaÿes Einsatz für die Sonate half, Francks Namen die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen. Instrumental- und Kammermusik galt im operndominierten Frankreich ohnehin als „zweitrangig“. Die Société nationale de musique, zu deren Präsident Franck im gleichen Jahr 1886 gewählt wurde, sollte hier Abhilfe schaffen. Tatsächlich gilt seine Violinsonate als eines der bedeutendsten französischen Kammermusikwerke überhaupt, und mit einer halben Stunde Dauer zeigt sie der Salonkultur der kurzen Amuses-gueules klar die rote Karte.
Auf dem Untergrund einer zart wiegenden Bewegung im Klavier setzt die Violine mit einem sanft in Terzen fallenden Thema ein. Es zieht sich in unterschiedlichen Metamorphosen durch alle vier Sätze, den Gedanken einer zyklischen Einheit weiter ausformend, wie ihn Francks Freund Franz Liszt schon propagiert hatte, aber auch Brahms ihn in seiner Kammermusik verfolgte. Der vorwärtsdrängende Impetus des zweiten Satzes wird zunächst vom Klavier dominiert, bevor die Geige das bohrend-intensive Thema aufnimmt. Im dritten, „Recitativo-Fantasia“ überschriebenen Satz spinnt die Violine erst ein frei fließendes, kadenzartiges Solo aus, bevor sich ganz sachte ein träumerischer, wie improvisierter Dialog der Instrumente entfaltet. Das Finale verbindet das Terzfall-Motiv des ersten Satzes mit den vor- und zurückrollenden Sekundfiguren des zweiten. Nebenbei stellt Franck seine handwerkliche Souveränität mit elaborierter Kanontechnik und einer triumphalen Apotheose eindrucksvoll unter Beweis – den Beinamen „französischer Bruckner“ trug er nicht nur wegen seines Organistenberufs. Die technische Demonstration vermeidet aber jede „teutonische“ Schwere: Auch