5 minute read
Mohammad Reza Mortazavi
Herzschlaginstrumente
Mohammad Reza Mortazavi über Klang, Rhythmus und die Liebe zur Musik
Annette Zerpner
„Der Klang der Tombak richtet sich eher nach innen, das Spielen auf der Daf bedeutet, dass man aus sich herausgeht. Es ist wie einatmen und ausatmen – eine schöne Balance.“ Wenn Mohammad Reza Mortazavi über seine Musik spricht, fehlt es ihm nicht an plastischen Bildern. Doch letztendlich geht es dabei gar nicht um seine Trommeln. Auch nicht um Schulen und Traditionen oder um die zahlreichen Spieltechniken, mit denen der weltweit auf Festivals gefeierte 41-Jährige aus dem iranischen Isfahan die traditionelle Kunst des Spiels auf der Bechertrommel Tombak und der Rahmentrommel Daf bereichert hat. Und erst recht nicht, fügt er gleich hinzu, um Virtuosität – seinen Ruf, die „schnellsten Finger der Welt“ (so das ZDF-Magazin Aspekte) zu haben oder um die Aufmerksamkeit, die das Publikum ihm, dem Solisten im Rampenlicht, entgegenbringt. „Es geht nicht darum, was ich machen kann. Das zu zeigen, zwingt mich im Grunde nur die Bühne. Virtuosität steht im Widerspruch zu dem, was ich eigentlich will. Musik ist keine Show, nichts, was man sehen sollte, nur Klang.“ Den sucht er, immer neu und immer wieder, seit mehr als 30 Jahren.
Bereits als Sechsjähriger begann Mortazavi, das Handtrommelspiel bei einem Freund seines Vaters zu lernen. „Im Iran war es damals – und das gilt bis heute – sehr prestigeträchtig, Klavier zu spielen“, erklärt er. Für die westlich orientierte urbane Oberschicht gehörte klassische Musik zum Bildungskanon. Die Tombak dagegen galt als einfaches, traditionelles Instrument, das viele „nur“ mit Volksmusik in Verbindung brachten. „Für mich existierte aber immer eine Motivation, zu zeigen: Das ist Musik, es geht hier nicht um Fell und Holz!“ Bald wurde der junge Mohammad in eine Musikschule aufgenommen, im Alter von neun Jahren gewann er den ersten von vielen Wettbewerben und bereits mit 12 fing er an, sein Können weiterzugeben – „und die Begeisterung“.
Begeisterung ist ein Stichwort, das im Laufe eines Gesprächs mit Mohammad Reza Mortazavi auffällig oft vorkommt, viel häufiger, als es bei Musikerinnen und Musikern normalerweise der Fall ist. Es steht für alles, was den Kern seines Wesens als Mensch und Künstler ausmacht, ein Synonym für Liebe. Wenn die Begeisterung fehlt, bleibt die ungeheure Kontrolle über die hochsensiblen Finger, mit denen er zwischendurch unbewusst immer wieder mal einen winzigen Rhythmus auf den Tisch tupft, bleiben die enorme Merk- und Analysefähigkeit, aber auch das jahrelange Üben eigentlich bedeutungslos. Ohne sie bewegt man sich „nur im Rahmen des Vorgegebenen, der Tradition. Wenn man Grenzen überschreitet, hört man oft: ‚Das darfst Du nicht!‘ Aber ich war immer davon überzeugt, dass die Musik mich führt, nicht ich die Musik. Sie kommt durch mich, nicht von mir. Ich liebe diese Momente, in denen ich spiele und keine Kontrolle mehr über meine Hände habe. Ich höre die Musik gemeinsam mit dem Publikum, und die Hände spielen – ich weiß manchmal gar nicht wie.“ Mortazavi kann so etwas sagen, ohne dass es eine Spur aufgesetzt wirkt. Wenn er von Musik spricht, haben seine Worte eine Art heilige Ernsthaftigkeit. Marketing-Strategen würden wohl am ehesten den Begriff „Charisma“ verwenden, um seine Wirkung zu beschreiben, nur um gleich noch den Stempel „Weltmusik“ dazuzusetzen, damit niemand Angst bekommt, dass es Mortazavi um tiefe und ernsthafte Ideen geht – die im Grunde aber ganz einfach sind. Dass seine Musik weltumspannend, ja universell ist, würde er jedenfalls nie bestreiten. Was aber passiert praktisch, wenn der iranische Handtrommler, der seit 18 Jahren in Deutschland lebt, mit seinen beiden Instrumenten auf der Bühne Platz nimmt? Wie stellt er sich auf die Atmosphäre eines Saals ein? Tatsächlich betritt er die Bühne mit einem kompositorischen Grundkonzept, dass er als „sicher, offen und rund“ charakterisiert. Doch entwickelt sich jeder Auftritt anders, da Mortazavi alles absorbiert, was im Moment geschieht. Dabei bewegt er sich durch innere Räume und bleibt doch enorm wach für das Geschehen um ihn: „Zeit ist das Metronom, das immer weiter läuft und fließt. Wenn ich komplett loslasse, verliere ich sogar sie. Der Puls aber schlägt jeden Moment anders, ist verbunden mit dem, was ich spiele und aufnehme. Ich fokussiere einen Punkt, dem ich mich immer weiter annähere. Zwischen den beiden Händen existiert eine natürliche Balance in der Resonanz, in der Harmonie – dorthin versuche ich zu kommen. Konzentration und Loslassen zugleich, das ist für mich dieser schönste Moment. Wenn man nur loslässt, ist man noch nicht in Balance, und wenn man sich zu sehr konzentriert, ist alles blockiert. In einem Konzertsaal kann ich die Dinge ja nicht festlegen wie beim Spielen in meinem Wohnzimmer, denn ich bin anderen Gedanken und Gefühlen ausgesetzt, die zwischen mir und dem Publikum hin- und hergehen.“
Vor langer Zeit schon hat er gelernt, mit der Distanz umzugehen, die die Bühne zwischen ihm und den Zuhörern herstellt, so dass er sich inzwischen nicht mehr von ihnen abgeschnitten fühlt: „Wir sind in einem Raum und es ist unsere gemeinsame Musik. Ich fühle mich nicht als Solist. Ich fühle die Energie des Raumes und aller Menschen darin und strahle sie in meinem Spiel wieder zurück.“ Am liebsten sitzt er dabei nicht genau im Zentrum, sondern „ein wenig seitlich“, wie vergangene Saison, als er zum ersten Mal im Pierre Boulez Saal zu Gast war. Dessen Architektur, so sagt er, trägt enorm dazu bei, eine Verbindung zum Publikum herzustellen, sowohl durch die elliptische Form als auch durch die große Nähe zu den Zuhörern.
Wenn er zusammen mit einem Orchester auftritt, wie etwa 2016 mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, fließt jene Energie zusätzlich zwischen den Musizierenden – für Mortazavi die Basis jeden Zusammenspiels. Dass für das gemeinsame Musizieren in einem größeren Ensemble Noten unabdingbar sind, ist ihm natürlich klar, auch wenn er sich (nur halb scherzhaft) wünscht, dass alle Musiker jeden Komponisten so liebten, dass sie in einer Art telepathischer Verbundenheit ganz frei miteinander spielen könnten. Als Kind hat er selbst zunächst gelernt, nach Noten zu musizieren. Doch die starke Fixierung darauf in der Musikausbildung macht ihm Sorgen: „Noten gehören zur Sphäre des Auges und nehmen sehr viel von unserer Wahrnehmung in Anspruch. Für mich ist die Energie der Musik heutzutage oft blockiert. Seit ich ohne Noten mit Schülern arbeite, geben sie sich mehr den Ohren hin, fühlen genauer, was ein bestimmter Rhythmus ist, was er bedeutet.“
Nach sechs Jahren in München erhielt Mohammad Reza Mortazavi die Einladung, ein großes Konzert im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu geben. Das gab für ihn 2007 den Anstoß, in die Hauptstadt zu ziehen: „Hier kann ich freier atmen, es ist leichter für mich. Berlin hat sich im Laufe der Jahre zwar verändert, aber es bleibt kreativ.“ Für seine Musik interessieren sich hier viele Menschen, nicht nur im Konzertsaal. Nach einer längeren Pause hat er vor drei Jahren wieder begonnen, in Kreuzberg Gruppenunterricht auf Tombak und Daf zugeben: „Diese Begegnung mit begeisterten Menschen, die angeregt sind von Konzerten und die selbst spielen wollen, tut mir sehr gut – ohne den Abstand, den ich sonst von der Bühne aus zu ihnen habe.“ Das Alter spielt dabei keine Rolle: In der Mutter-Kind-Klinik in Buckow in der Märkischen Schweiz hat er mit Müttern und ihren kleinen Kindern gearbeitet. Trommeln war Teil ihres Genesungsprozesses. Er erinnert sich genau an einen Moment, den er zu seinen schönsten musikalischen Erlebnissen überhaupt zählt und der zeigt, wie die Trommel, dieses uralte Herzschlaginstrument der Menschheit, bis heute auf uns wirkt: „Ich habe zusammen mit den Kindern gespielt, und auf einmal waren alle auf ihren kleinen Trommeln vollkommen im Takt und im Rhythmus. Sie hatten die Augen geschlossen. Zu Beginn des Unterrichts waren sie oft aggressiv untereinander, unkonzentriert, haben gestritten. Am Ende haben sie eineinhalb Stunden gemeinsam verbracht, ohne überhaupt zu sprechen. Wir haben zwischendurch nur eine kurze Pause in Stille gemacht. Ihre Gesichter werde ich nie vergessen. Musik kann in der Gesellschaft ungeheuer stark und positiv wirken, wenn die richtige Balance erreicht ist.“
Auch die tiefe Verbundenheit zwischen Müttern und Kindern hat er bei dieser Arbeit beobachtet. „Wenn die Mütter im gemeinsamen Spiel loslassen konnten, konnten die Kinder es auch – es war wie Telepathie. Wenn aber die Mütter festhielten, haben die Kinder sich beschwert. Sie brauchten diese freiere Art des Spiels.“ Eine Freiheit, die sich nicht nur im übertragenen Sinn auch auf ganz praktische musikalische Gegebenheiten bezieht: „Ein 17-Achtel-Takt entspricht meiner inneren Balance viel mehr als ein Viervierteltakt.“ Für Mohammad Reza Mortazavi scheinen Grenzen tatsächlich kaum zu existieren. „Wenn ich meine Vergangenheit betrachte, ob nun die Musik oder das Leben – das ist für mich dasselbe –, kommt mir alles wie ein Traum vor“, sagt er. „Ich war und bin offen und immer wieder am Anfang eines großen Kreises. Das gibt mir Energie. Ich habe viel vor!“