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WALDNOSTALGIE? MITNICHTEN Barrie Kosky über seine Neuinszenierung
WALDNOSTALGIE? MITNICHTEN!
Barrie Kosky sagt als Intendant in Berlin Lebewohl. In München inszeniert er derweil eine Tierfabel: die Chance, die Intelligenz unserer Umwelt wahrzunehmen, findet der Regisseur.
Ore maionet estoreh enderor rovidio eatendit omnist et is se min cuptis es is doluptatur re im re non comni sum.
Sorgt mit seinen ideenreichen Inszenierungen stets für Aufsehen: der deutsch-australische Regisseur Barrie Kosky.
Herr Kosky, der Klimawandel zeigt auf dem ganzen Globus seine schrecklichen Auswirkungen. Das Gleichgewicht zwischen Mensch, Tier und Pflanzenwelt ist völlig aus der Balance geraten. Ist die Welt noch zu retten? Die Natur leidet, ja, doch ich halte es für die falsche Reaktion, in Pessimismus zu verfallen. Es entspricht nicht meiner Persönlichkeit, mich zurückzulehnen und an der Apokalypse zu verzweifeln. Was wäre das auch für ein Vorbild für junge Menschen? Das scheint im Moment aber eine verbreitete Meinung zu sein, eine Attitüde, die niemandem weiterhilft.
Da wird es gar zur Gewissensfrage, ob man Kinder in die Welt setzen sollte. Es gibt viel zu tun! In unserer Demokratie können wir wählen, und über diesen Weg müssen wir alle etwas ändern. Punkt! Wir können von Politiker:innen, die zum Klima nichts zu sagen haben, nicht erwarten, dass sie dieses drängende Problem lösen. Also werden diese Politiker:innen meine Stimme nicht bekommen. So funktioniert Demokratie.
An der Bayerischen Staatsoper inszenieren Sie diese Spielzeit Leoš Janáčeks Das schlaue Füchslein. Die Oper basiert auch auf einer Fabel, die von einer gerissenen, freiheitsliebenden Füchsin und einem Förster erzählt. Was hat eine Tierfabel den Menschen heute, die meistens fernab von Tier und Natur leben, noch zu sagen? Das Fundament von Janáčeks Stück ist die Natur und die menschliche Beziehung zur Natur. Darum geht es nicht nur in der Handlung, sondern auch in der Musik. Im Theater sehe ich meine Aufgabe als Regisseur nicht darin, ein realistisches Bild von der Natur auf die Bühne zu bringen. Es geht mir darum, eine szenische Metapher zu entwickeln. Es wäre mir zu einfach zu sagen: Wir haben das Jahr 2022, und der Klimawandel hat Stürme und Dürren hervorgebracht, daher zeigen wir einen verbrannten Wald auf unserer Theaterbühne. Ich habe mir von Michael Levine (Bühne) und Victoria Behr (Kostüme) gewünscht, dass es keinen Wald und keine grünen Wiesen zu sehen gibt – keine Ersatzrealität. Auch sollte es kein folkloristischer Blick sein – wir schauen ja zumeist als Stadtmenschen auf die Natur und entwickeln eine Fantasievorstellung davon. Das kippt schnell in eine sentimentale Waldnostalgie.
Eine Oper mit tierischem Personal ist eher ungewöhnlich. Wie gehen Sie mit Fuchs, Frosch, Hund und Hühnern auf der Bühne um? Ich habe vielleicht fünf oder sechs Inszenierungen von Janáčeks Oper gesehen, in denen die Sänger:innen Tiermasken trugen oder mit Halbmasken andeuteten, Tiere zu sein. Das schlaue Füchslein hat eine falsche Rezeptionsgeschichte. Das ist kein Kinderbuch. Ich kenne eigentlich kein Stück, das weniger eine Kinderoper ist als dieses. Es gibt Rollen darin, die für Kinderstimme geschrieben sind. Aber Kinderoper? Nein.
Worum geht es dann? Es ist eine Oper über die Einsamkeit und die menschliche Verbindung mit dem Tod. Trotzdem sieht man häufig sehr bunte Inszenierungen, alles ist lustig, alle tragen Tiermasken. Da schüttele ich nur den Kopf und denke: Hört euch doch diese Musik an! Hört auf diesen Text! Das Tierische verstehe ich eher als eine Haltung, es steht für Freiheit, für Unmoral. In dieser Tierwelt gibt es keine jüdischen, christlichen, muslimischen Verbote, keine menschliche Moral und keine Institutionen. Das „Tierische“ hat für mich also viel mehr mit der darstellerischen Kunst zu tun als mit der Ausstattung.
Also ist das Füchslein in Ihrer Lesart gar kein Fuchs? Es ist die Repräsentation eines Fuchses. Wir zeigen die Tierwelt als einen Traum, eine menschliche Fantasie. Leoš Janáček eröffnet uns die Naturwelt des Schlauen Füchsleins durch den Blick des Försters, der das Füchslein einfängt und dann wieder verliert. Und so beginne ich den Theaterabend mit der Erinnerung an ein verlorenes Kind. Alle Figuren im Stück sind durchdrungen von Trauer und Melancholie. Es sind Menschen unse
Handlung
Das schlaue Füchslein
Ein Förster fängt ein Füchslein. Es ist Sommer. Die junge Füchsin ist schlau und nimmt schon bald Reißaus. Gehorchen und sich von den Försterkindern herumschubsen lassen wie die anderen Tiere? Nicht mit ihr! Deshalb erobert sie sich ihren eigenen Bau und bandelt mit einem schönen Fuchs an. Es ist mittlerweile Herbst: Den Förster plagt der Liebesblues. Mittlerweile haben Fuchs und Füchsin eine Schar Kinder bekommen. Die Fuchsfamilie stiehlt dem Geflügelhändler Hühner, es kommt zum Äußersten: Das schlaue Füchslein wird erschossen. Im nächsten Sommer zieht der Förster wieder durch den Wald und findet sich inmitten der Nachfahren der Füchsin wieder. Das löst im Förster Erinnerungen an seine eigene Jugend aus. Er erkennt, dass das Älterwerden zum Zyklus des Lebens gehört. Es ist tröstlich! Wenn Leben endet, beginnt woanders ein neues.
rer Gegenwart. Den Weg in die Tierwelt möchte ich anders erzählen. Die Metamorphosen von Ovid sind eines meiner liebsten Bücher. Sie haben schon seit Jahrhunderten einen starken Einfluss auf die westliche Literatur. 2006 habe ich eine achtstündige Inszenierung davon in Australien gemacht. In Ovids Geschichten gibt es permanent Verwandlungen von Mensch zu Tier, von Tier zu Mensch, von Mensch zu Pflanze … Genau in diese Richtung will ich mit der Münchner Inszenierung gehen.
Martin Luther nutzte die Fabel, um im „lustigen Lügenkostüm“ Wahrheiten zu verbreiten, die die Menschen normalerweise nicht wissen wollen. Welche Wahrheit verrät uns Das schlaue Füchslein über den Menschen? Leoš Janáček macht das genial! Man durchlebt diese Geschichte in einem ständigen Wechsel zwischen Menschen und Tierwelt, im Ablauf der Tages und Jahreszeiten. Jede Handlung hat Auswirkungen auf andere Lebewesen. Und schließlich kommt man zum wunderbaren Schlussmonolog des Försters, in dem er eine philosophische Erkenntnis hat. Wie ein „WaldHamlet” fängt er plötzlich an, lauter Fragen zu stellen, und er versteht, dass er ein Teil dieser Welt und ihrer Kreisläufe ist. Das ist für mich auch die „Wahrheit”, die das Publikum am Ende mitnehmen kann: Alles ist miteinander verbunden.
Das Gegenteil vom Kreislauf ist der Schlussstrich. In der Ankündigung für die neue Spielzeit der Komischen Oper sprechen Sie von der Kraft des Theaters, die es gerade aus seiner Vergänglichkeit zieht. Ein Theaterabend ist nicht wiederholbar. Funktioniert der Schlussstrich auch als Symbol für Ihre Zeit nach Ihrer Intendanz, die mit der Spielzeit 2021/22 endet? Das Einzigartige am Theater ist, dass mit dem Ende der Vorstellung noch lange nicht das Ende in den Köpfen der Zuschauer:innen gekommen ist, denn in ihrer Erinnerung ist der Theaterabend noch lebendig. Der Schlussstrich ist als Symbol daher vielleicht etwas zu brutal. Ich mag sehr an der Arbeit im Theater, dass sie wie ein Lebenszyklus verläuft: Man fängt mit einer Konzeption an, es folgen neun Monate Schwangerschaft, und schließlich feiern wir am Premierenabend die Geburt. Diese wunderbare Engelskreatur der Inszenierung fliegt dann für eine bestimmte Zeit, in der ein Stück gespielt wird. Dann ist sie tot. Und es folgt die nächste Theaterarbeit. Das liebe ich sehr, und damit werde ich nach meiner Intendanz auch weiterhin meine Zeit verbringen.
Wenn die ganze Stadt über ein Stück spricht, das gerade gespielt wird, dann ist Theater am lebendigsten. Wenn ich es mir aussuchen könnte, so würde es Theater nur live geben, nicht verfilmt, nicht im Fernsehen, nicht als Stream. Ich bin davon überzeugt, dass man die Dreidimensionalität des Theaters, das Licht, die Bewegung, den Klang nicht auf einen zweidimensionalen Rahmen reduzieren kann. Im Theater können die Menschen etwas erfahren, was sie zu Hause nicht haben.
„Es ist eine Oper über die Einsamkeit und die menschliche Verbindung mit dem Tod. Das Tierische verstehe ich eher als eine Haltung, es steht für Freiheit, für Unmoral. In dieser Tierwelt gibt es keine jüdischen, christlichen, muslimischen Verbote, keine menschliche Moral und keine Institutionen.“
Das Gespräch führte Katja Leclerc
DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN (PŘÍHODY LIŠKY BYSTROUŠKY) Leoš Janáček Nationaltheater
So., 30.01.2022, 19:00 Uhr PREMIERE
(PREISE M) EXKLUSIVER VVK AB 23.12.2021 Do., 03.02.2022, 19:30 Uhr (PREISE M)
EXKLUSIVER VVK AB 27.12.2021 So., 06.02.2022, 17:00 Uhr (PREISE L)
EXKLUSIVER VVK AB 30.12.2021 Do., 10.02.2022, 19:30 Uhr (PREISE L)
EXKLUSIVER VVK AB 03.01.2022 Sa., 12.02.2022, 19:00 Uhr (PREISE L)
EXKLUSIVER VVK AB 05.01.2022 Di., 15.02.2022, 19:00 Uhr (PREISE L)
EXKLUSIVER VVK AB 10.01.2022 Preise L: ab 104,72 € bis 185,36 € Preise M: ab 133,84 € bis 218,96 €
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