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PASSAGEN Ballettdramaturg Serge Honegger über die Entstehung des neuen Ballettabends

EINES IST SICHER: ES WIRD ANDERS

Ballett verkörpere einen Prozess, kein „nacktes Konzept“, sagt Serge Honegger. Der Dramaturg gibt Einblick in die Entstehung von Passagen – sinnliche Bewegtbilder für den unendlichen Übergang… für den unendlichen Übergang…

Im Workshop mit Ludovico Pace lernen die Tänzer:innen die Bewegungssprache des Choreographen Marco Goecke kennen.

Hier wird sich etwas verändern. Prinzipiell wäre damit auch schon alles gesagt. Eine Passage, ganz formunabhängig, enthält immer das Versprechen, dass sich etwas wandelt. Nichts bleibt da gleich. Aber natürlich gibt es da noch so viel mehr zu sagen. Denn der im März 2022 seine Premiere feiernde Ballettabend Passagen hat es in sich, weil er uns fragen lässt, wohin wir warum wollen.

Passagen ist dreigeteilt: die Choreographen David Dawson, Marco Goecke und Alexei Ratmansky widmen sich drei Mal dem Thema Übergang. Die Urauff ührungen Aff airs of the Heart von Dawson und die neue Choreographie von Goecke sowie Bilder einer Ausstellung (Ratmansky) werfen an diesem Abend ganz existentielle Fragen auf: Wie kommt man von einem Zustand zum nächsten? Wie überwindet man mit welcher Geschwindigkeit Stillstand? Warum bewegt sich etwas? Und: Wohin soll es denn gehen? Als Ballettdramaturg möchte ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, vom Entstehen dieses Abends berichten. Dabei wurde mir nochmals bewusst, was bei Übergängen so alles passieren kann und wie viele Chancen mit ihnen verbunden sind.

Dezember 2021: Damit sich die Tänzerinnen und Tänzer bereits im Vorfeld der eigentlichen Proben mit der Bewegungssprache auseinandersetzen können, hat Marco Goecke einen Workshop veranstaltet. Dieser fand im großen Ballettsaal im sechsten Stock des Nationaltheaters statt. Ich wollte verstehen, wohin sich die Choreographie entwickeln wird, wie sich das alles in den großen Passagen-Abend einfügen soll und was sich hinter der

Chiff re „Passagen“ versteckt. Zwei Stunden lang studierte Ludovico Pace, der persönliche Ballettmeister von Marco Goecke, eine rasche Folge von Bewegungssequenzen zu einem Song von Patti Smith ein: „Ihr sollt Spaß haben am Tanzen, das ist für Marco das Allerwichtigste. Findet immer eine Idee hinter der Bewegung, nutzt den Schwung für den nächsten Abschnitt und habt keine Angst, etwas auszuprobieren, das auf den ersten Blick vielleicht nicht schön oder elegant aussieht.“ Goecke hat sich zwar ein genaues Konzept überlegt, möchte aber auch die individuellen Möglichkeiten, Vorlieben und Interessen der Tänzerinnen und Tänzer berücksichtigen. Auf diese Weise ist die ganze Compagnie unmittelbar an der Entwicklung des Stücks beteiligt und kann im Austausch mit dem Choreographen eigene Ideen beisteuern. Für mich als Ballettdramaturg ist dieses prozesshafte Arbeiten besonders spannend, weil die Choreographie in und mit einem Tanzkollektiv wächst. Es ist ein Prozess, kein nacktes Konzept.

So auch bei David Dawson, der zu Beginn dieses Jahres mit seinen Proben startet. Im gleichen Ballettstudio, sechster Stock: ich wieder nach Antworten suchend, die ich aus Dawsons Erläuterungen heraushöre, als er im Verlauf der Probe der Compagnie seine Bewegungssprache erklärt: „Ich bin von geometrischen Formen fasziniert. Schaut euch beispielsweise den Leerraum an, der entsteht, wenn ihr die Arme auf Schulterhöhe hebt. Nicht nur der Körper, auch der Raum um euch herum gehört somit zur Choreographie. Wenn wir tanzen, zeichnen wir Formen in den Raum, diese hängen zusammen wie Wörter in einem Satz. Somit seid ihr als Tanzende eine Art Bildhauer der Luft. Je klarer die Formen sind, die ihr gestaltet, und je emotionaler sie von euch persönlich gefüllt sind, desto eher kann sie das Publikum lesen.“

Was wird das für eine Choreographie, die dann auf der Bühne zu sehen sein wird? Diese Frage beschäftigt mich als Ballett dramaturg natürlich genauso wie das Publikum. Anders als in vielen Schauspiel- oder Musiktheaterproduktionen gibt es beim Ballett keinen schriftlichen Text, sondern vor Beginn der Proben oft nur eine Idee oder eine vage Struktur.

Alle drei Werke von Passagen beschäftigen sich auf ihre je eigene Weise mit Phänomenen des Überganghaften, ohne dass es die Choreographen abgesprochen hätten. Dazu gehören die sogenannten musika lischen „Promenaden“ zwischen ver- schie denen Bildern bei Alexei Ratmanskys Bilder einer Ausstellung genauso, wie eine in vielen Farben schillernde Seelenreise in Aff airs of the Heart von David Dawson, und der kreative Umgang mit off enen Räumen, wie er als künstlerische Haltung der Kreation von Marco Goecke zugrunde

liegt. So werde ich nach Proben, Workshops, Gesprächen und Beobachtungen zum Begleiter der Produktion. Es ist selbst ein Übergang, bei dem ich als Dramaturg das Privileg habe, der Kunst beim Wachsen zuschauen zu dürfen und in der Institution des Bayerischen Staatsballetts zum Vermittler der jeweiligen Produktion zu werden. Für die Kolleginnen und Kollegen, für die Beteiligten der Produktion und fürs Publikum. Dramaturg sein ist dann eben auch bei Passagen ein Prozess.

Ein Prozess, der nah am Menschen ist. „Jede Form einer Passage ist schließlich immer mit verschiedenen Dynamiken verbunden“, sagt Igor Zelensky. Deshalb hat jede Auff ührung eine so besondere Bedeutung als gemeinschaftsstiftender Anlass. „Das Ballett ist eine ganz besondere Form des Kommunizierens. Die Vermittlung fi ndet über die Körper, über die Emotionen, über die Musik, über Bühne und Kostüme und ganz besonders über die Anwesenheit von Leuten im Zuschauerraum statt. Wir alle kommen ja aus verschiedenen Richtungen, haben unterschiedliche Biografi en und besitzen ganz individuelle Prägungen. Das Theater ist vor diesem Hintergrund ein wunderbarer Ort, wo wir uns alle gemeinsam treffen können, um etwas zu erleben. Mit der Arbeit von Marco Goecke, David Dawson und Alexei Ratmansky möchte ich verschiedene choreographische Zugänge präsentieren, an die man anknüpfen kann, um sich inspirieren zu lassen und seine eigene Passage zu fi nden. Das ist es, was der Tanz kann. Nie ist er Stillstand, sondern er regt zur Bewegung an“, so Igor Zelensky. Damit spricht er auch gedankliche oder emotionale Vorgänge an, die sich von den drei Choreographen dieses Ballettabends weder kontrollieren noch als Wirkungsziel planen lassen. Passagen sind also immer auch ein wenig wie eine Wundertüte. Und genau deshalb sind sie so immens wichtig. Wir können hoff en. Hoff en, dass am Ende einer prinzipiell off enen Passage etwas auf uns wartet, von dem wir noch nicht wussten, welche Bedeutung es für uns haben könnte. So ist das im Theater.

Serge Honegger studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Organisationstheorie. Nach Engagements in Zürich, Baden-Baden, New York und St. Gallen arbeitet er nun die zweite Spielzeit als Dramaturg für das Bayerische Staatsballett.

Serge Honegger

PASSAGEN David Dawson, Marco Goecke, Alexei Ratmansky Nationaltheater

Sa., 26.03.2022, 19:30 Uhr PREMIERE, URAUFFÜHRUNG (PREISE H)

EXKLUSIVER VVK AB 03.03.2022* So., 27.03.2022, 19:30 Uhr (PREISE G)

EXKLUSIVER VVK AB 03.03.2022* Sa., 09.04.2022, 19:30 Uhr (PREISE H)

EXKLUSIVER VVK AB 02.03.2022* Di., 12.04.2022, 19:30 Uhr (PREISE G)

EXKLUSIVER VVK AB 07.03.2022* Di., 03.05.2022, 19:30 Uhr (PREISE G)

EXKLUSIVER VVK AB 28.03.2022* Sa., 07.05.2022, 19:30 Uhr (PREISE H)

EXKLUSIVER VVK AB 31.03.2022* Do., 12.05.2022, 19:30 Uhr (PREISE G )

EXKLUSIVER VVK AB 05.04.2022* Preise G: ab 47,60 € bis 81,20 € Preise H: ab 58,80 € bis 101,36 €

* Pandemiebedingt ohne Gewähr. Informationen und Karten im SZ-ServiceZentrum – solange der Vorrat reicht

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