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JA, MAI Das neue Festival für frühes und zeitgenössisches Musiktheater
DAS IST ABSOLUT ERFORDERLICH!
Die Themen der Opern Bluthaus, Thomas und Koma, komponiert von Georg Friedrich Haas zwischen 2011 und 2016, sind so aktuell, so zwingend notwendig für uns, dass es ein Geschenk ist, dem Komponisten selbst zuzuhören. Ein Gespräch mit einem Menschen, der uns mit diesen drei Opern wachrüttelt, erschüttert und tröstet.
Georg Friedrich Haas wurde 1953 geboren und wuchs in einem Bergdorf in Voralberg auf. Heute lebt und arbeitet er in New York. In seinen Werken Bluthaus, Thomas und Koma wendete er sich, gemeinsam mit dem Librettisten Händl Klaus, Extrempunkten des Lebens zu: lebenslange Beeinflussung durch Missbrauch im Kindesalter und das Sterben als zentraler Bestandteil des Lebens.
Bluthaus, Thomas und Koma – drei sehr extreme Opern? Die drei Thematiken der Opern empfinde ich als höchst aktuell und notwendig, vielleicht wirken sie dadurch extrem.
Es wird ja viel gestorben auf der Bühne, aber selten so nah an unserer eigenen Lebensrealität wie es bei diesen drei Werken von Ihnen der Fall ist… Es wird sicherlich viel auf der Bühne gestorben. So weit so richtig. Aber: dabei wird der Tod zeitgleich häufig marginalisiert, mindestens idealisiert. Ich denke da an Werke wie Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart oder Tristan und Isolde von Richard Wagner. Normalerweise sterben Menschen auf der Opernbühne in einem Duell oder an Liebeskummer. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich unter diesen Umständen sterbe, ist relativ gering. Hingegen ist es doch viel wahrscheinlicher, dass ich in ein Koma verfalle oder, dass ich nach einer Erkrankung meine letzten Atemzüge in einem Krankenhaus machen werde.
So würden Sie die Handlung von Thomas und Koma beschreiben? Zunächst einmal geht es bei Thomas um Liebe. Genauer, Liebe im Angesicht einer Grenzsituation, dass ein geliebter Mensch nicht mehr ist. Matthias stirbt am Anfang in dieser Oper. Und Thomas hält Wache am Totenbett und existiert in dieser Grenzsituation über das ganze Stück hinweg.
Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Sterben? Komponisten wie Schubert, Mozart, Beethoven haben viele Menschen sterben sehen. Ich gestehe, dass das einzige mir nahestehende Lebewesen, das ich habe sterben sehen, mein Hund war. Ich werde den Moment nicht vergessen, als er aufgehört hat zu atmen. Da gab es nur eine minimale Änderung der Bewegung des Brustkorbes. Dann war Stillstand.
Damit beginnt Thomas… Ja, und die einzige Möglichkeit, diese Änderung in Musik zu übersetzen war, dass der Atem schon immer da ist, bereits bevor die Musik beginnt. Das Publikum tritt in den Aufführungsraum ein und das Einzige, das auf der Bühne geschieht, ist, dass Mathias atmet. Für mich ist Komponieren immer eine persönlich existentielle Ausdrucksform. Ich weiß, dass mir der Tod bevorsteht. Das trifft mich existenziell.
Warum verdrängen wir heutzutage den Tod kollektiv? Der Tod ist ein Tabu. So, wie wir heute mit dem Tod umgehen, das ist geschichtlich ja relativ neu. Tod war lange ein ganz selbstverständlicher Teil des Lebens, er war in der Mitte von Gesellschaften und es wurde viel darüber gesprochen, es wurde viel Kunst darüber gemacht. Ich versuche, den Tod nicht zu tabuisieren.
Die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem Librettisten Händl Klaus hat zu einer Symbiose zwischen Text und
Musik geführt. Wie war der Beginn Ihrer Zusammenarbeit? Klaus erzählte mir während einer Fahrt in ein Gasthaus, um was es in Bluthaus gehen soll. Ich war so begeistert, dass ich auf dem Parkplatz ein anderes Auto angefahren habe ohne es überhaupt zu merken, so elektrisiert war ich von der Idee zu Bluthaus. Erst als ich im Gasthaus darauf angesprochen wurde, wurde mir bewusst, dass ich quasi Fahrerflucht begangen habe. Mich hat die Geschichte von Bluthaus also wirklich sofort getroffen.
Weil es so viel in Ihnen aufgewühlt hat? Es gibt zwei voneinander vollkommen unabhängige „Keulen“, mit denen mich dieses Thema geschlagen hat. Die erste dieser „Keulen“ war: Ich habe selbst in einer Art „Bluthaus“ gelebt. Nach langer Suche hatte ich eine wunderschöne kleine Altbauwohnung im zweiten Bezirk in Wien gefunden. Kurz nach meinem Einzug hörte ich eine Radiosendung über „arisierte“ Wohnungen. Nach der Enteignung der jüdischen Besitzer:innen wurden ihre großen repräsentativen Wohnungen in zwei kleinere unterteilt. Offensichtlich war das auch mit meiner Wohnung so geschehen. Der Eigentümer war nicht an diesem Verbrechen beteiligt: Er hatte das Haus erst 1969 gekauft und hatte den Zweiten Weltkrieg in Argentinien überlebt. Später, nach meiner Übersiedlung nach Basel, erfuhr ich, dass dieses Haus der letzte Aufenthaltsort von 32 Menschen war, bevor sie ins Konzentrationslager deportiert und ermordet wurden.
Und das mündet in der Oper Bluthaus? Es ist eine realistische Geschichte: Nadja versucht ihr Haus zu verkaufen. Sie ist eine Erbin und blickt über ihr Elternhaus tief in die niederösterreichische Nazi-Vergangenheit. Und das ist quasi meine Geschichte.
Möchten Sie davon erzählen? Es geht bei Bluthaus um Missbrauch. Nadja wird von ihrem Vater sexuell missbraucht und die Mutter toleriert es. Und hier ist die zweite der beiden „Keulen“, mit denen mich der Text von Händl Klaus schlug: Meine Eltern wollten mich zum Nazi erziehen. Ich muss zu meinem Schmerz gestehen, dass dies die ersten Jahrzehnte meines Lebens durchaus Erfolg hatte. Das empfinde ich als emotionalen Kindesmissbrauch. Missbrauch und das Wiederaufbranden von Vergangenheit sind die eng miteinander verwobenen Themen von Bluthaus. Nadja – das bin ich selbst.
Können Sie sich jemals von diesem emotionalen Missbrauch befreien? Ich habe Dinge über meinen Körper und über meine Seele geschüttet bekommen, die für immer an mir haften bleiben werden. So geht es nicht nur mir oder Nadja. So geht es vielen Menschen. Es gibt kein Zurück ins Nichtgeschehen. Es ist ein Bestandteil des Lebens. Der letzte Dialog in Bluthaus: „die schwere Tür - - - - schließen Sie ab.“
Das Gespräch führte Christopher Warmuth.
Das neu gegründete Festival Ja, Mai spürt ab dieser Spielzeit jedes Jahr Verbindungen zwischen frühem und zeitgenössischem Musiktheater nach. In Kooperation mit den Münchner Kammerspielen, dem Residenztheater und dem Münchner Volkstheater macht sich die Bayerische Staatsoper zu neuen Aufführungsorten in der Stadt auf.
BLUTHAUS Georg Friedrich Haas, Claudio Monteverdi Cuvilliés-Theater
Sa., 21.05.2022, 20:00 Uhr (PREISE CF) PREMIERE Mi., 25.05.2022, 20:00 Uhr (PREISE CEE) Do., 26.05.2022, 20:30 Uhr (PREISE CEE) Sa., 28.05.2022, 20:30 Uhr (PREISE CEE) So., 29.05.2022, 20:30 Uhr (PREISE CEE)
Preise CEE: ab 29.68 € bis 64,40 €, Preise CF: ab 31,92 € bis 75,60 €
KOMA Georg Friedrich Haas, Claudio Monteverdi
Volkstheater
So., 22.05.2022, 20:00 Uhr PREMIERE Di., 24.05.2022, 20:00 Uhr Do., 26.05.2022, 17:00 Uhr Sa., 28.05.2022, 17:00 Uhr So., 29.05.2022, 17:00 Uhr
Preise: ab 31,92 € bis 75,60 €
THOMAS Georg Friedrich Haas, Claudio Monteverdi Utopia (ehemals Reithalle)
Mo., 23.05.2022, 20:00 Uhr PREMIERE Mi., 25.05.2022, 20:00 Uhr Fr., 27.05.2022, 20:00 Uhr So., 29.05.2022, 14:00 Uhr
Preis € 38,64
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