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Ihr schwester Kampf
Um den König vor dem Tod zu retten, bietet seine Gattin sich selbst als Opfer an. Mit seiner Oper Alceste hat Christoph Willibald Gluck dieser mythologischen Heldin ein musikalisches Denkmal komponiert. Dorothea Röschmann singt in der Neuproduktion erstmals die Titelpartie. Die Sopranistin im Gespräch über Skrupel, Entschlossenheit und die Kraft der Liebe.
engelsloge: Mit der Neuproduktion an der Bayerischen Staatsoper geben Sie Ihr Debüt als Alceste. Welchen Stellenwert hat diese Partie im Rahmen Ihrer Entwicklung als Sängerin? Was reizt Sie an der Rolle?
Dorothea Röschmann: Alceste ist eine sehr komplexe Figur. Ihre Gestaltung bedarf großer Erfahrung im behutsamen Aufbau der dramatischen Entwicklung einer Rolle. Da diese Geschichte in der geplanten Selbstaufopferung für einen anderen Menschen kulminiert, …
el: … Königin Alceste ist bereit, für ihren Mann Admète zu sterben …
DR: … muss man ganz in den Charakter einsteigen und die wunderbar dramatisch geschriebenen Rezitative eindringlich gestalten. Ich bin sehr gespannt auf diese Produktion, weil die Thematik und ihre Umsetzung eine große Herausforderung darstellen. Die Zerrissenheit Alcestes, ihre Zweifel und dann diese überwältigende Entschlossenheit, für ihren Gatten in den Tod zu gehen – das zeugt von einer beeindruckenden seelischen Kraft, die in ihr wohl bis zu diesem Zeitpunkt geschlummert hat. Gluck hat diese Frau großartig porträtiert, fein abschattiert in den unterschiedlichen Arien und den dramatisch ausgeloteten Rezitativen. Das ist für eine Sängerin und Darstellerin eine fantastische Herausforderung und eine Aufgabe, auf die ich mich sehr freue!
el: Wie bewegen Sie sich auf ein Rollendebüt zu, was tun Sie dafür?
DR: Die Vorbereitung auf eine neue Rolle geht durch verschiedene Phasen und findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. Schon die erste Auseinandersetzung mit der Musik und dem Libretto ergibt eine emotionale Bindung an die Figur. Durch das intensive Studium der Partie und des Textes dringe ich dann immer tiefer in die Materie ein. Trotzdem versuche ich, zu Beginn der Proben wie ein offenes Buch zu sein und alles, was ich für die Rolle in mir gespeichert habe, zur Verfügung zu stellen – für den Weg, den ich nicht kenne und den der Regisseur und der Dirigent mit mir zusammen gehen.
el: Und was kann solch ein Prozess mit Ihnen machen? Was das diesmal mit mir machen wird?
DR: Ich weiß es nicht. Aber es ist spannend. Ich habe von allen großen Frauengestalten in der Opernliteratur immer auch persönlich gelernt – von ihren Stärken, ihren Schwächen und den Tiefpunkten, aber auch von diesem großartigen Über-sich-hinauswachsen, das ich sehr berührend finde. Ob Pamina, die Gräfin im Figaro, die Marschallin oder Scarlattis Griselda, sie alle verbindet die Liebe, für die sie große Opfer bringen.
el: Sie haben einmal gesagt: „Das Leben hat verschiedene Stationen. Man hat Narben, ist bereichert oder verletzt worden, war mit Leben und Tod konfrontiert. Das möchte ich in meinem Singen, in meinen Rollen mitteilen.“ Welche Möglichkeiten bietet Ihnen hierfür die Partie der Alceste?
DR: Alceste wird mit einer gnadenlosen Extremsituation konfrontiert – dem Tod. Sie droht, ihren geliebten Mann zu verlieren und muss erkennen, dass keine der ihr nahestehenden Personen die Hilfe anbietet, die sie bräuchte: sich für Admète als Opfer anzubieten. Dies zwingt Alceste zu einer Entscheidung. In dieser Situation beschließt sie ganz spontan, aus ihrer Emotion heraus, für ihren Mann in den Tod zu gehen.
el: Erst nach dieser Entscheidung kommen ihre Zweifel.
DR: Genau! Die Kinder, die jetzt ohne ihre Mutter aufwachsen werden, der Mann, den sie nie mehr sehen wird. Das sind Konflikte und Fragen, die einem als Ausführende ganz schön an die Nieren gehen, und wo man als Darstellerin an seine Grenzen geführt wird. Welch größere Herausforderung gibt es als Krankheit und Tod? Alles andere im Leben wird dadurch relativiert. Deshalb sind diese Themen im Musiktheater und Lied auch so zeitlos, und darum kann eine Geschichte, die vor rund 250 Jahren uraufgeführt wurde, die Menschen immer noch berühren.
el: Alceste opfert sich für Admète aus selbstloser Liebe. Ein Gefühl, das es in dieser ultimativen Ausformung nur in einem klassischen Stoff gibt?
DR: Alceste will für ihren Mann sterben, weil es für sie in der Situation keine Alternative zu geben scheint. Die Selbstaufopferung der Liebe wegen kommt in der Opernliteratur immer wieder vor – Senta im Fliegenden Holländer, Elisabeth im Tannhäuser oder im Fidelio die Leonore. Aber in Alceste steht der Entschluss am Anfang der Oper, und wir erleben all ihre Konflikte und Ängste, nachdem sie sich entschieden hat. Das heißt nicht, dass sie einen Rückzieher macht. Aber wir werden Zeuge ihrer Skrupel und wie sie sich immer wieder selbst aus dem Sumpf der Ängste herauszieht. Eine kämpferische Frau! Dieses Sich-opfern erfordert sehr viel Mut. Und sie ist dabei ganz allein.
el: Wird sich Alceste in dieser Situation, in der sie auf niemand anderen bauen kann, der Tiefe ihrer Liebe zu Admète überhaupt erst bewusst?
DR: Ich glaube schon, dass die Entscheidung über Leben und Tod die extremste Prüfung für eine Liebe ist. Definitiv wächst Alceste in dieser Situation über sich hinaus und kämpft den schwersten Kampf für diese Liebe.
el: Charles Castronovo singt König Admète, Alcestes Gatten. Er nennt Glucks Musik eine sehr noble, kultivierte Art zu singen, eine Art Balsam für die Stimme. Wie ist das für Sie?
DR: Die Musik von Gluck ist wunderbar zu singen und sehr abwechslungsreich in ihren Anforderungen. Ich freue mich besonders auf die Rezitative und „kleinen Arien“, die sehr reizvoll sind.
el: Alceste wird von dem Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui inszeniert, der mit Rameaus Les Indes galantes vor zwei Jahren einen großen Erfolg an der Bayerischen Staatsoper feiern konnte. Er sagt: „Wenn ich Opernsänger sehe, fühle ich, dass sie tanzen.“ Tanzen Sie die Alceste innerlich?
DR: Auf die Zusammenarbeit mit einem Choreographen für eine Operninszenierung bin ich tatsächlich sehr gespannt. Ich singe zwar die Musik, aber Musik ist immer auch Tanz, und so bewege ich mich auch innerlich immer zu der Musik und „tanze“.
el: Sie haben den Ruf einer differenzierten Darstellerin mit großer Bühnenpräsenz und sind zudem mit einem Schauspieler verheiratet. Wie fördern Sie den darstellerischen Ausdruck zutage? Kann Ihr Mann hier auch eine Art Sparringspartner sein, mit dem Sie sich darüber auseinandersetzen?
DR: Ich versuche stets, mich in eine Figur einzugraben und ihre Emotionalität auszuloten. Das bedingt dann auch den darstellerischen Ausdruck. Mein Mann kann sich leider oft erst eine Aufführung anschauen. Danach befrage ich ihn natürlich intensiv, und er gibt mir dann auch, immer diskret, klare Antworten.
el: „Diese Götter, unsere einzige Hoffnung“, sagt Alceste zu Beginn. Worauf bauen Sie im Leben, was gibt Ihnen Hoffnung und Zuversicht?
DR: Ich baue auf die Kraft der Liebe und ihr heilendes Element. Liebe versetzt Berge und ist die größte Kraft, die ich kenne.
el: Zugleich fühlt Alceste sich den Göttern und deren Willkür ausgeliefert. Ist Ihnen dieses Gefühl vertraut?
DR: Ohnmacht und Ausgeliefertsein ist ein furchtbares und zerstörerisches Gefühl, das einem alle Lebenskraft raubt. Ich glaube an die eigenen Kräfte, die jeder in sich trägt, und daran, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist. In diesem Sinne handelt auch Alceste, indem sie nicht passiv in Lethargie und Trauer versinkt, sondern dem Schicksal trotzt. Chapeau und Hochachtung!
Das Gespräch führte Detlef Eberhard.
ALCESTE
CHRISTOPH WILLIBALD GLUCK
So., 26.05.2019, 18:00 Uhr (Preisgr. M) Premiere Mi., 29.05.2019, Sa., 01.06.2019, Do., 06.06.2019, jeweils 19:00 Uhr (jeweils Preisgr. L) Mo., 10.06.2019, 18:00 Uhr (Preisgr. L) Do., 13.06.2019, Do., 18.07.2019, jeweils 19:00 Uhr (jeweils Preisgr. L)
Nationaltheater
Preisgruppe L: ab 104,72 € bis 185,36 € Preisgruppe M: ab 133,84 € bis 218,96 €