5 minute read

Dialog statt Spaltung - Carlus Padrissa über die politische Lage in Spanien

Dialog statt Spaltung

Große Staatenverbünde sollten die Vielfalt ihrer einzelnen Mitglieder achten. Der katalanische Regisseur und Bühnenbildner Carlus Padrissa macht sich anhand der historischen Figur Karls V. Gedanken über den aktuellen Konflikt in Spanien.

Das Imperium von Karl V. war möglicherweise das erste Projekt einer aus Bundesländern bestehenden Europäischen Union. Um die Herrschaft über alle Teile des Königreichs zu erhalten, schwor Karl V. den Repräsentanten der Völker von Kastilien und Aragón sowie denen des heutigen Belgien, den Niederlanden und Deutschland die Treue. Das Imperium Karls reichte von Europa bis nach Amerika. Seine Verteidiger verstanden es als ein umfassendes Weltreich, das sich auf religiöse Prinzipien gründete. Karl selbst war sich jedoch der enormen Größe der Welt bewusst und auch dessen, dass sie unmöglich gänzlich zu beherrschen ist: Die Imperien sind dazu verdammt, auseinanderzubrechen, so wie auch radikale Glaubensrichtungen und Ideologien.

In Barcelona gab es in diesen aufgewühlten Zeiten viele, die den Stil des Monarchen zu schätzen wussten, der die unterschiedlichen Identitäten der einzelnen Gebiete respektierte, und sie glaubten genauso wie er an die Kraft des Dialogs, des gemäßigten Tons und des Verständnisses. Vor fünfhundert Jahren waren die Königreiche Kastilien und Aragón zwei miteinander verbundene freie Länder, die sich gegenseitig respektierten. Ersteres kümmerte sich um die Erkundung und den Handel mit den Ländern jenseits des Atlantiks, letzteres übte seine Macht im Mittelmeerraum aus. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts musste das Königreich

Aragón mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Utrecht und den „Decretos de Nueva Planta“ („Verordnungen zur gründlichen Erneuerung“) sämtliche Privilegien aufgeben. Seither versuchen die Katalanen, ihre vor dreihundert Jahren verlorenen Rechte wiederzuerlangen.

Heute sehen viele das große Problem von Spanien in der Integrität seiner Politiker. Schlechte Politiker können ein Land zugrunde richten. Argentinien ist ein gutes Beispiel. Spanien – Katalonien mit eingeschlossen – ist schlecht regiert. Wir hatten Präsidenten und Außenminister, die nur die Amtssprache Spanisch sprachen, ohne Interesse für die sprachliche Vielfalt des von ihnen repräsentierten Landes zu zeigen. Es gab Parteien, in denen Korruption herrschte, und die Staatsgewalten haben nichts dagegen unternommen. Man hat bestechliche Banker enttarnt, die mit korrupten Politikern, Richtern, Polizeibeamten und Journalisten befreundet waren. Das Wahlsystem ist so beschaffen, dass die Parteien die Wähler ersetzen: Sie entscheiden, wer auf die geschlossenen Listen kommt, und nominieren erst im Nachhinein. Vetternwirtschaft und Nepotismus herrschen anstelle einer Aufgabenverteilung nach Leistung und Verdienst. Die spanische Verfassung, die 1978, nach Francos Tod, beim Übergang zur Demokratie geschaffen wurde, hat man in vierzig Jahren in nur zwei oder drei Artikeln überarbeitet. In

Lita Cabellut, Kumba, 2017-2018

Foto: John Tromp, © Lita Cabellut

Deutschland dagegen wurde das Grundgesetz seit seiner Verkündung 1949 mindestens siebzig Mal abgeändert. Daran sieht man, dass die Mehrheit der spanischen Politiker die Verfassung als festes Mauerwerk betrachtet und nicht als Grundlage für ein Zusammenleben.

Das Thema Katalonien wurde nicht auf politischer, sondern nur auf juristischer Ebene behandelt. Und das nur, weil der Zentralstaat fürchtet, eine politische Auseinandersetzung mit dem Konflikt könnte der nationalistischen extremen Rechten Stimmen einbringen. Hier liegt eines der grundlegenden Probleme im Verhältnis zwischen Katalonien und der spanischen Zentralregierung: Aus Angst vor einem Machtverlust verweigern sich die traditionellen Parteien einer politischen Lösung für den katalanischen Unabhängigkeitskonflikt und halten beharrlich daran fest, ihn auf der juristischen Ebene zu belassen. Diese unbewegliche Haltung hat zur Folge, dass in Katalonien die Zahl der Anhänger der Unabhängigkeit von 14 auf 47 Prozent gestiegen ist, teilweise begünstigt durch wenig realistische Hoffnungen, wie etwa das Verbleiben in der Europäischen Union nach der Proklamation der Unabhängigkeit.

Lita Cabellut, Kumba, 2017-2018

Foto: Johm Tromp, © Lita Cabellut

Das Problem der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung ist nur eine der vielen Ecken und Kanten eines sozialen Problems in Spanien, das die Regierungen nicht in den Griff

bekommen konnten. Ausgehend von der großen Wirtschaftskrise 2008, mit der man nicht in der Weise umgegangen ist, in der es nötig gewesen wäre, kam es zur Gründung von Protestbewegungen wie „Movimiento 15-M“ („Bewegung 15. Mai“) oder „Los Indignados“ („Die Empörten“), die in erster Linie entstanden sind, weil in Spanien über ein Drittel der Jugendlichen arbeitslos war und blieb. Viele von ihnen sieht man in Deutschland auf Arbeitssuche, vergleichbar mit den Emigranten der 1960er Jahre. Dieses Problem – Inspiration für meinen Landsmann Calixto Bieito für seine Boris Godunow-Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper – war einer der Auslöser der „el Procés“ genannten katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Wenn der „15. Mai“ zum Ende des Zweiparteiensystems beitrug – wobei nicht nur die Volkspartei PP, sondern auch die spanische sozialistische Arbeiterpartei PSOE großen Schaden erlitten hat –, so bewirkte „el Procés“ eine Spaltung der katalanischen Gesellschaft und eine starke Reaktion der übrigen Spanier hinsichtlich ihrer Identität und nationalen Symbole. „El Procés“ ließ innerhalb der Bevölkerung eine noch interessantere Frage entstehen: Was macht uns eigentlich zu Spaniern? Und: Kann man von einem Spanien reden, oder sollte man besser von „die Spanien“ sprechen, wie man es früher tat? Die allgemeine Unzufriedenheit, zusätzlich zu den globalen sozia-

len und politischen Themen des 21. Jahrhunderts, hat in Spanien, wie in vielen Ländern der Welt, zu einer besorgniserregenden Popularität der extremen Rechten geführt. Die seit ihrer Gründung 2013 steigende Unterstützung für die Vox-Partei ist wirklich alarmierend. Kurioserweise ist genau das, was die Politiker durch einen Abbruch des Dialogs mit den Katalanen vermeiden wollten, nun doch zu einem wie auch immer gearteten Problem geworden.

Lita Cabellut, Kumba, 2017-2018

Foto: Johm Tromp, © Lita Cabellut

Karl V. wurde unter dem Einfluss des Erasmus von Rotterdam erzogen, des berühmten niederländischen Humanisten, Philosophen und Philologen, dem Karl während seiner ersten Jahre am belgischen Hof begegnete. Sein Lehrer und Meister verteidigte einen Humanismus, der für Toleranz und den Dialog mit Andersdenkenden plädierte; für eine Lösung, um die Völker auf eine höhere Gemeinschaft zuzubewegen. Ich denke, dass sich Spanien dringend an Karl V. erinnern muss, und es ist ein großes Glück, dass die Bayerische Staatsoper mir und meinem Team die Oper Karl V. von Ernst Krenek anvertraut hat, in der es genau um all diese Themen geht, die nicht nur wichtig für Spanien sind, sondern für die ganze Welt.

Carlus Padrissa wurde in Barcelona geboren und ist Mitbegründer der Theatergruppe La Fura dels Baus, die seit ihrer Gründung 1979 ihr künstlerisches Spektrum kontinuierlich erweiterte und auch Großereignisse (etwa die Eröffnung der Olympischen Spiele in Barcelona 1992) realisierte. Carlus Padrissa inszenierte u. a. Der Ring des Nibelungen im Palau de les Arts in Valencia, Die Zauberflöte bei der Ruhrtriennale, La Damnation de Faust bei den Salzburger Festspielen sowie Herzog Blaubarts Burg und Tannhäuser am Teatro alla Scala in Mailand. Beim Rossini Opera Festival in Pesaro gestaltete er 2017 als Regisseur und Ausstatter die Produktion Le Siège de Corinthe. Nach seinen Inszenierungen Babylon, Der kleine Harlekin, Turandot und Wagner vs. Verdi wird Karl V. seine fünfte Arbeit an der Bayerischen Staatsoper sein.

Lita Cabellut, gebürtige Spanierin, wuchs als Straßenkind in Barcelona auf, bis sie im Alter von zwölf Jahren adoptiert wurde. Bereits in ihrer Jugend lernte sie Künstler des Museo del Prado in Madrid kennen und entdeckte ihre Leidenschaft für Kunst. Ihr künstlerischer Stil zeichnet sich durch die Kombination von traditioneller Freskotechnik und moderner Anwendung von Ölmalerei aus, gemalt auf großflächigen Segeltüchern. 2017 war sie bereits für die Ausstattung von Rossinis Le Siège de Corinthe von La Fura dels Baus beim Rossini Opera Festival in Pesaro zuständig. In der Spielzeit 2018/19 zeichnet sie an der Bayerischen Staatsoper für Bühne, Kostüme und Video in Ernst Kreneks Oper Karl V. verantwortlich.

Karl V. Bühnenwerk mit Musik in zwei Teilen Von Ernst Krenek

Premiere am Sonntag, 10. Februar 2019, Nationaltheater

STAATSOPER.TV Live-Stream der Vorstellung am Samstag, 23. Februar 2019, auf www.staatsoper.tv

This article is from: