Dialog statt Spaltung
Große Staatenverbünde sollten die Vielfalt ihrer einzelnen Mitglieder achten. Der katalanische Regisseur und Bühnenbildner Carlus Padrissa macht sich anhand der historischen Figur Karls V. Gedanken über den aktuellen Konflikt in Spanien.
Das Imperium von Karl V. war möglicherweise das erste Projekt einer aus Bundesländern bestehenden Europäischen Union. Um die Herrschaft über alle Teile des Königreichs zu erhalten, schwor Karl V. den Repräsentanten der Völker von Kastilien und Aragón sowie denen des heutigen Belgien, den Niederlanden und Deutschland die Treue. Das Imperium Karls reichte von Europa bis nach Amerika. Seine Verteidiger verstanden es als ein umfassendes Weltreich, das sich auf religiöse Prinzipien gründete. Karl selbst war sich jedoch der enormen Größe der Welt bewusst und auch dessen, dass sie unmöglich gänzlich zu beherrschen ist: Die Imperien sind dazu verdammt, auseinanderzubrechen, so wie auch radikale Glaubensrichtungen und Ideologien. In Barcelona gab es in diesen aufgewühlten Zeiten viele, die den Stil des Monarchen zu schätzen wussten, der die unterschiedlichen Identitäten der einzelnen Gebiete respektierte, und sie glaubten genauso wie er an die Kraft des Dialogs, des gemäßigten Tons und des Verständnisses. Vor fünfhundert Jahren waren die Königreiche Kastilien und Aragón zwei miteinander verbundene freie Länder, die sich gegenseitig respektierten. Ersteres kümmerte sich um die Erkundung und den Handel mit den Ländern jenseits des Atlantiks, letzteres übte seine Macht im Mittelmeerraum aus. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts musste das Königreich
Aragón mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Utrecht und den „Decretos de Nueva Planta“ („Verordnungen zur gründlichen Erneuerung“) sämtliche Privilegien aufgeben. Seither versuchen die Katalanen, ihre vor dreihundert Jahren verlorenen Rechte wiederzuerlangen. Heute sehen viele das große Problem von Spanien in der Integrität seiner Politiker. Schlechte Politiker können ein Land zugrunde richten. Argentinien ist ein gutes Beispiel. Spanien – Katalonien mit eingeschlossen – ist schlecht regiert. Wir hatten Präsidenten und Außenminister, die nur die Amtssprache Spanisch sprachen, ohne Interesse für die sprachliche Vielfalt des von ihnen repräsentierten Landes zu zeigen. Es gab Parteien, in denen Korruption herrschte, und die Staatsgewalten haben nichts dagegen unternommen. Man hat bestechliche Banker enttarnt, die mit korrupten Politikern, Richtern, Polizeibeamten und Journalisten befreundet waren. Das Wahlsystem ist so beschaffen, dass die Parteien die Wähler ersetzen: Sie entscheiden, wer auf die geschlossenen Listen kommt, und nominieren erst im Nachhinein. Vetternwirtschaft und Nepotismus herrschen anstelle einer Aufgabenverteilung nach Leistung und Verdienst. Die spanische Verfassung, die 1978, nach Francos Tod, beim Übergang zur Demokratie geschaffen wurde, hat man in vierzig Jahren in nur zwei oder drei Artikeln überarbeitet. In
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Premiere Karl V.