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Rützel rät | Folge 2: der Psycho
Das Leben ist bekanntlich leichter, wenn einem ein Ratgeber sagt, was man tun soll. Deshalb schickt Max Joseph in dieser Spielzeit vom Schicksal geplagte Opernfiguren mit ihren Fragen zum Coach
Judith
Liebe Florence Nightingale,
Sie schreiben es selbst: „Mal wieder“ haben Sie sich ein Kerlchen angelacht, bei dem schon diverse Warnlämpchen am Emo-Armaturenbrett so wild flimmern wie die Lichtorgel in einer Hamsterdisco. Und nun wünschen Sie sich praktische Tipps zur erfolgreichen Therapie. Zuerst sollten Sie sich aber intensiv fragen, ob Sie wirklich so unglücklich über den neuerlichen Fang sind. Wenn Sie immer wieder Amouren mit Problembären eingehen, legt das ja zumindest den Verdacht nahe, dass Sie sich zu solchen Menschen hingezogen fühlen – und womöglich nur deswegen an ihnen herumdoktern wollen, weil unsere schmirgelbesessene Gesellschaft eben verlangt, dass jede charakterliche oder anderweitig verhaltensauffällige Delle sofort geglättet werden muss, analog zu den angeblich ja auch stets bügelbedürftigen Oberschenkelbeulen.
Vielleicht mögen Sie einfach leicht lädierte Leute? Es gibt ja auch eine Zielgruppe, die sich absichtlich schon zerrissene Jeans oder angeschrappte Kommoden kauft. Vielleicht lieben also auch Sie einfach den Shabby Chic, nur eben bei Menschen.
Falls Sie das ausschließen können, wäre als Nächstes zu klären, was Sie unter einem „Knall“ verstehen. Ist Ihr Galan nur ein Stück auf der Kauzigkeitsskala verrutscht, isst zu Mittag jeden Tag einen Ringel Fleischwurst mit Erdbeergelee und baut im Hobbykeller die packendsten Szenen aus der Historie des Dschungelcamps mit eigenhändig ausgestopften Eichhörnchen nach, klänge das für mich eher interessant als abtrainierungswürdig. Zeigte er dagegen, wie ich annehme, schon in seinen vorherigen Beziehungen toxisches Verhalten, laboriert immer noch an vergorenen Mama-Issues und behandelt jetzt auch Sie wie ein ausgesprochener Sausack, müssen Sie sorgfältig abwägen, wie viel Energie Sie in seine Besserung investieren wollen.
Ich empfehle: Kämpfen Sie nicht mehr als der ungehobelte Klotzerich selbst. Jeder verdient eine zweite, in sehr seltenen Fällen auch eine zweiundzwanzigste Chance, das stimmt. Aber es stimmt eben auch, dass Menschen leider keine Barbapapas sind. Das ist ein in mehrerlei Hinsicht betrüblicher Umstand. Erstens, weil dann alle viel netter zueinander wären – diese Zeichentrickfiguren-Familie war nämlich stets herzensgut und schmuselieb zueinander und ihre Mitglieder sammelten auch schon mal malade Frösche aus dem verschmutzten Bach, um sie gesund zu pflegen. Zweitens, weil die Barbapapas auch eine Sippschaft von hochsympathischen Gestaltwandlern waren, die ihre gummihaften Körper nach Belieben ummodellieren konnten, und es wäre doch wahnsinnig praktisch, wenn auch wir Menschen unser Aussehen und das, was uns ausmacht, jederzeit beliebig verändern könnten. Zum Beispiel, wenn der Dinnerbesuch unangekündigt noch jemanden mitbringt, sodass plötzlich ein Stuhl zu wenig da ist – statt halbhintrig auf dem wackeligen Küchenhocker zu balancieren, könnte der Überraschungsgast einfach auf dem Gastgeber Platz nehmen, der sich ohne große Umstände mal eben in einen samtüberzogenen Loungesessel verwandelt hat. Oder wenn wir nach ein paar Wochen merken, dass wir unseren neuen Beziehungspartner zwar gut finden, aber eigentlich auch nicht, weil wir ihn lieber ganz anders hätten.
Menschen können sich aber nicht in Möbel verwandeln, und Sausäcke nicht in Softherzen. Also habe ich leider keinen funktionalen Tipp für Sie, wie Sie Ihren Lover doch noch umerziehen können, als sei er nur ein hartnäckig tapsiger Welpe, der es irgendwann bestimmt noch lernen wird, nicht auf den Wohnzimmerteppich zu pieseln. Es ist hart, aber wahr: Sie können ihn höchstwahrscheinlich nicht ändern. Wahr ist aber auch: sich selbst schon. Schicken Sie den Typen zum Teufel und leben Sie Ihre gestalterischen Modellierambitionen in Zukunft lieber anderweitig aus: Belegen Sie einen Speckstein-Bildhauerkurs, lernen Sie Töpfern oder die hohe Kunst barocken Buchsbaumhecken-Figurenschnitts.
Anja Rützel lebt als freie Autorin in Berlin, schreibt für Spiegel Online über die Abgründe im deutschen Fernsehen und für Die Zeit über das Reisen. Gerade ist ihr neues Buch bei KiWi erschienen: eine Liebeserklärung an Take That.