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„Die Dämonen sind Teil meiner Persönlichkeit“

Wogegen kämpfen wir wirklich: äußere Konflikte oder innere Dämonen? Der Regisseur Johannes Erath inszeniert Giuseppe Verdis I masnadieri nach Friedrich Schillers Drama Die Räuber und spricht im Interview über das Ringen mit sich selbst – und mit den Leerstellen auf und neben der Bühne.

MAX JOSEPH: Herr Erath, das Thema der diesjährigen Spielzeit an der Bayerischen Staatsoper lautet KILL YOUR DARLINGS. Ein essenzieller Bestandteil dieser Phrase zielt auf das Kämpfen ab, mit sich und mit anderen. Wie halten Sie es mit dem Kampf?

JOHANNES ERATH: „Kill your darlings“ bedeutet ja in erster Linie, in einem Filmdrehbuch einen lieb gewordenen Charakter sterben zu lassen beziehungsweise im Theater eine lieb gewordene Idee zugunsten des großen Bogens zu opfern. Das heißt, in diesem Zitat wird schon ein innerer Kampf zum Ausdruck gebracht. Das Wort „Kampf“ hat eine bittere Konnotation, weil vermeintlich immer jemand verliert, stirbt oder geopfert wird. Gibt es Kämpfe, bei denen beide Kontrahenten gewinnen können? Wenn ich mich plötzlich in einer Kampfsituation wiederfinde, frage ich mich automatisch, wogegen ich tatsächlich kämpfe. In der Regel spiegelt die äußere Situation nur einen inneren Konflikt wider, der Kampf gilt meinen inneren Dämonen. Nur sind diese Dämonen für mich keine Fremdkörper, sondern Teil meiner Persönlichkeit. Sie repräsentieren meine Ängste, meine Muster, meine Sehnsüchte, sind aber auch wohlwollende Begleiter, die mich warnen. Wenn ich also mit mir ringe, dann um herauszufinden, was es zu überwinden gilt. Dabei muss nicht zwangsläufig jemand zu Schaden kommen.

MAX JOSEPH: Miteinander kämpfen kann man auch im Rahmen eines Spiels.

JOHANNES ERATH: Ja, wie beim Pingpong: Wenn mir jemand etwas entgegensetzt und ich merke, dass ich darauf reagieren muss. Ich mag dieses wechselseitige Sichherausfordern, um über die eigenen Grenzen zu kommen, um gemeinsam zu einer besseren Lösung zu finden.

MAX JOSEPH: Wo Menschen aufeinandertreffen, geht es immer auch um das Verhandeln von Spielregeln – und um Macht. Wer setzt sich und seine Ideen durch?

JOHANNES ERATH: Warum muss es zwingend einen Konflikt a priori gegeben haben? Ein Miteinander kann doch nur funktionieren, wenn man die Andersartigkeit des Gegenübers akzeptiert und respektiert, wenn man sich auf Augenhöhe begegnet. Im Theater gibt es natürlich Hierarchien und Spielregeln. Müssen die ständig infrage gestellt werden? Augen auf bei der Berufswahl … Warum bin ich Regisseur geworden? Um Menschen zu berühren, um ein Universum zu kreieren, welches uns im besten Fall unseren Sehnsüchten, Ängsten und Abgründen näherkommen lässt. Meine Aufgabe ist es, meine Mitarbeiter von einer Idee zu begeistern, das Regieteam, die Theaterleitung, die Technik, die Sänger, den Chor, das Publikum. Unbedingt die eigenen Ideen gegen Widerstände durchzusetzen, das ist eine andere Arbeitsstrategie. Macht ist kein Privileg. Macht zu haben, bedeutet eine hohe Verantwortung.

Johannes Erath (Foto: Lukas Gansterer

MAX JOSEPH: Friedrich Schiller und Giuseppe Verdi haben ihr künstlerisches Schaffen auch als Kampf für bessere gesellschaftliche Bedingungen gesehen. Worin unterscheiden sich die beiden?

JOHANNES ERATH: Verdi geht es vor allem um zwischenmenschliche Beziehungen, um die Frage, warum Menschen miteinander nicht funktionieren. Natürlich gibt es den sozialen Überbau und einen Konflikt mit Masse und Macht – politische Kämpfe eben. Aber häufig funktioniert eine Verdi-Oper gar nicht, wenn man alles nach dieser Ebene ausrichtet. Verdis Masnadieri haben mit Schillers Räubern nur bedingt etwas zu tun. Die Räuber wurden unter Pseudonym veröffentlicht, die Uraufführung hat zu einem Skandal geführt, auch weil die Sprache so neuartig war: frech und an manchen Stellen richtiggehend vulgär, worüber sich die Menschen dann prompt auch echauffiert haben. Aber ganz gleich, wie rotzig die Sprache im Masnadieri-Libretto von Andrea Maffei auch sein mag, sie klingt – auf Italienisch gesungen – in unserer Wahrnehmung doch immer in erster Linie schön. Deswegen muss das Revolutionäre anderswo gefunden werden. Was ich in der Vorbereitung beflügelnd fand, war ein Interview von Marcel Reich-Ranicki für den Hessischen Rundfunk, in dem er über Die Räuber zunächst urteilt: „Ein miserables, ein törichtes, ein schändliches Stück, lächerlich und albern!“ Und dann sagt er: „Aber ich muss Ihnen doch gestehen, dass ich es liebe!“

MAX JOSEPH: Worum geht es für Sie hier in erster Linie?

JOHANNES ERATH: Es ist zuallererst ein kammerspielartiges Familiendrama. Das Grundthema ist die Beziehung zwischen Carlo und Francesco, die für mich die Geschichte von Kain und Abel widerspiegelt. Ich finde es spannend, den Konflikt zwischen den zwei Brüdern zu beleuchten, die sich bezeichnenderweise in der Oper nie begegnen. Zwischen beiden steht Amalia, die einzige Frau im Stück. Sie wird zwischen den verschiedenen Erwartungen zermahlen, die sie meint, erfüllen zu müssen. Bei Verdi ist sie in dieser Hinsicht noch prägnanter dargestellt als bei Schiller.

MAX JOSEPH: Also eine Familienaufstellung mit Leerstellen?

JOHANNES ERATH: Das könnte man so sagen. Es gibt hier eine große Leerstelle, einen Konflikt im Hintergrund. Es geht um die Absurdität, etwas bekämpfen zu wollen, das man gar nicht bekämpfen kann. Dass das weibliche Element weitgehend ausgeblendet wird, sagt viel aus, sowohl in der persönlichen als auch in der politischen Sphäre. Aus der kleinen Struktur abzuleiten, wie die große funktioniert, halte ich für den Idealfall.

MAX JOSEPH: Inwieweit können Sie als Regisseur für Ihre Arbeit aus eigenen oder selbst beobachteten zwischenmenschlichen Erfahrungen schöpfen?

JOHANNES ERATH: Ich kann doch nur aus meiner eigenen Emotionalität schöpfen, weil sie die einzige ist, die ich kenne. Wenn mir jemand von seinen oder ihren Emotionen erzählt, vergleiche ich diese notwendigerweise immer mit meiner emotionalen Welt. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als aus unserem Universum zu schöpfen und nach Momenten zu suchen, bei denen Situationen innerhalb der Stücke an selbst Erlebtes erinnern.

MAX JOSEPH: Ist es manchmal ein Kampf, mit seiner Botschaft beim Publikum anzukommen?

JOHANNES ERATH: Ich hoffe, dass ein Opernbesuch vor allem ein sinnliches, lustvolles Erlebnis ist – meinethalben auch ein intellektuelles Vergnügen, sich mit Interpretationen auseinanderzusetzen, die nicht unbedingt das Altvertraute bestätigen. Jeder Besucher kommt doch mit individuellen Erfahrungen und Erwartungen, die nun auf eine Deutung treffen, die wiederum aus den eigenen Erfahrungen der Mitwirkenden schöpft. Wenn ich von jedem einzelnen Zuschauer restlos verstanden werden wollte, würde ich anders Geschichten erzählen. Aber ich stelle mir vor, in jedem, der offen in eine Vorstellung kommt, bestimmte Assoziationen zu wecken, ganz gleich, in welche Richtung derjenige sie dann weiterdenkt. Oper folgt für mich immer einer eigenen Traumlogik. Sie spielt in einer anderen Dimension, schon allein deshalb, weil gesungen wird. Und ich glaube, dass der Surrealismus mehr über unsere Welt erzählt als der vermeintliche Realismus. Im Leben verstehen wir doch auch nicht immer alles. Theater kann Antworten geben, muss aber nicht alles erklären, und es sollte nach meiner Auffassung vor allem auch Fragen aufwerfen. Jedes Stück hat ein Geheimnis.

MAX JOSEPH: Jeder Kampf kann in einer Niederlage enden – nicht nur in der künstlerischen Arbeit wäre das ein Scheitern. Wie stehen Sie zu diesem Begriff?

JOHANNES ERATH: Scheitern wir nicht täglich an unseren eigenen Ansprüchen und Erwartungen? Wer entscheidet, wann und woran wir gescheitert sind? Sehen wir nicht manchmal gern anderen Menschen beim Scheitern zu, um unsere eigene Unzulänglichkeit zu übertünchen? Ich würde es mit Samuel Beckett sagen: „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.“

Das Interview führte Daniel Ender.

Der Musikwissenschaftler Daniel Ender ist seit 2018 Generalsekretär der Alban Berg Stiftung Wien. Er fungiert als Herausgeber der Österreichischen Musikzeitschrift und schreibt regelmäßig für den Standard sowie die Neue Zürcher Zeitung.

I MASNADIERI Melodramma tragico in vier Akten (1847) von Giuseppe Verdi

Premiere am Sonntag, 8. März 2020 Nationaltheater

JOHANNES ERATH – Johannes Erath studierte Violine in Wien und Freiburg und arbeitet seit 2006, nach Assistenzen u. a. bei Willy Decker, als freier Regisseur. Er inszenierte in Hamburg (Das schlaue Füchslein, La traviata), Frankfurt (u. a. Angels in America, Otello, Król Roger, Der Mieter), Graz (Lulu, Don Giovanni, Elektra, Lohengrin, Die tote Stadt), Köln (Manon), Dresden (Le nozze di Figaro, Les Contes d’Hoffmann), am Theater an der Wien (La vestale) und bei den Bregenzer Festspielen (Make No Noise, Beatrice Cenci), außerdem die Urauf führungen Paradise reloaded (Lilith) an der Neuen Oper Wien und Caruso a Cuba in Amsterdam. 2016 erhielt er den Österreichischen Musiktheaterpreis. Darüber hinaus lehrt er Szenischen Unterricht an der Universität der Künste Berlin. Nach Un ballo in maschera folgt mit I masnadieri nun seine zweite VerdiInszenierung an der Bayerischen Staatsoper.

I MASNADIERI (DIE RÄUBER) – Das Werk: glühend vor Liebe und Hass, um Menschen, die ein Ventil für ihre Leidenschaften suchen, mit Arien, die vor emotionaler Fülle kaum zu bändigen sind. Eine deutsche Geschichte als italienische Oper: Giuseppe Verdi schrieb I masnadieri auf ein Libretto nach Friedrich Schillers Die Räuber. Doch statt gegen gesellschaftliche Missstände anzukämpfen, müssen die Figuren rund um die Brüder Carlo und Francesco mit einer Familiengeschichte zurechtkommen, die von frühem Verlust und Rivalität, unterdrücktem Begehren und missverstandenen Bedürfnissen geprägt ist. Verleumdung, Erpressung und Messerkampf sind die Mittel der Auseinandersetzung. Der politische Konflikt der Räuber ist in Verdis Oper im Persönlichen aufgehoben: Nicht die Epoche zeigt sich krank, sondern der Mensch. Die Handlung steht von Beginn an unter Hochdruck – eine Spannung, die sich in jedem Takt der Musik äußert, in den Soli ebenso wie in den berühmten Räuberchören.

Foto: Lukas Gansterer

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