BDEW-Magazin "Streitfragen!" - 03/2012

Page 1

n e t t ImScha des ifels

Das EEG

Zwe

Steigende Kosten gefährden die Energiewende. Wie können die Erneuerbaren im Markt bestehen?

in den Hauptrollen

DR. FELIX CHRISTIAN MATTHES & PROF. DR. JUSTUS HAUCAP, PROF. DR. JOACHIM WEIMANN & HANS-JOSEF FELL, PETER TERIUM, IVO GRÜNHAGEN & HOLGER KRAWINKEL, GARRELT DUIN & KLAUS BRUNSMEIER, MICHAEL G. FEIST & ANDREAS MUNDT, JOSEF HASLER, ULRICH KELBER & DR. HANS-JÜRGEN BRICK, IVAR VIGDENES, DR. FRANZ-JOSEF SCHULTE & PAUL KRÖFGES Präsentiert von

Streitfragen!

Regie Die Energie- und Wasserwirtschaft im Dialog Das Magazin 03|2012


Liebe Leserin, Lieber Leser,


der aktuell diskutierte Vorstoß des Bundeswirtschaftsministeriums zu einem Stilllegungsverbot für systemrelevante konventionelle Kraftwerke sowie geplante massive Einschnitte in die Geschäftsmodelle der Gaswirtschaft haben – fast noch mehr als die dramatische Erhöhung der EEG-Umlage – absolut klargemacht, vor welchen Herausforderungen die Energiewende, aber insbesondere die erneuerbaren Energien stehen. Sie müssen sich nicht nur in den Markt integrieren lassen, sondern sie müssen auch Verantwortung für Systemstabilität und Versorgungssicherheit übernehmen. Für die Sicherstellung der Versorgung in den kommenden Wintern hat der BDEW mit der „Strategischen Reserve“ eine rasch umsetzbare Alternative vorgelegt zu den geplanten weit reichenden Eingriffen in die Energiemärkte und in die Eigentumsrechte der Kraftwerksbetreiber. Es ist eine Brückenlösung, die zeigt, wohin der Weg führen muss: Nur mit dem Markt, nicht mit Dirigismus, machen wir das Gesamtsystem zukunftsfähig. Der Ausbau der Erneuerbaren muss konditioniert werden: Dort, wo es an der erforderlichen Netzinfrastruktur (noch) fehlt, sollten Einschränkungen bei der garantierten Einspeisung überlegt werden. Viele werden das als Zumutung empfinden. Man mutet den Erneuerbaren damit tatsächlich etwas zu: nämlich die Gewöhnung an ganz normales, unternehmerisches Denken in Märkten. Und auch die Einspeisevergütung wird einen sukzessiv wachsenden Anteil an marktbezogenen flexiblen Vergütungen enthalten müssen. Verschiedene Modelle für ein stärker integriertes Marktdesign der Zukunft liegen auf dem Tisch, die gesamthafte Lösung aller Probleme ist aber noch nicht dabei. Sie wird sich im konstruktiven Streit herausschälen. In diesem Magazin fangen wir damit an. Spannende Streitgespräche drehen sich um die Kernfrage der Energiewende: Welche Instrumente setzen wir ein, um unsere Ziele kosteneffizient und bei gleichbleibend hoher Versorgungssicherheit zu erreichen? Nach der Vorlage des Modells der Stategischen Reserve wird sich der BDEW nun intensiv mit der Frage eines künftigen gemeinsamen Marktmodells für erneuerbare Energien und konventionelle Kapazi­ täten beschäftigen. Die Energiewende wird sehr viel Geld kosten. Aber wir können durch marktwirtschaftliche Lösungen dafür sorgen, dass es so viel wie nötig ist – nicht so viel wie möglich. Viel Freude beim Lesen! Ihre

Hildegard Müller Streitfragen 03|2012

01


S.12 Photovoltaik – Eine völlig verrückte Subventionsmaschine?

Ist Photovoltaik die richtige Technik, unsere CO2-Emissionen zu vertretbaren Kosten zu senken? Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, und Prof. Dr. Joachim Weimann, Ökonom an der Universität Magdeburg, im Streitgespräch

S.18

S.26

S.34

Marktsignal: Abschalten

Wettbewerb auf dem Energiemarkt – eine Zwischenbilanz

Eine Frage der Vernetzung

Lohnt sich der Betrieb konventioneller Kraftwerke

Kartellamts-Chef Andreas Mundt und Michael G.

Ulrich Kelber, SPD, und Dr. Hans-Jürgen Brick,

noch? Ivo Grünhagen, ENERVIE, und Holger Krawin-

Feist, Stadtwerke Hannover, im Gespräch über

Amprion, debattieren über Kosten und Umfang

kel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen

die Liberalisierung des Gasmarktes

des Netzausbaus

in der Diskussion

02

Streitfragen 03|2012


S.30

Die Zukunft des Energiemarktes

S.06

Josef Hasler, N-ERGIE, über wirksame Hilfen für Geringverdiener angesichts steigender Energiekosten

Sperrstunde für die Förderung?

Dr. Felix Christian Matthes und Prof. Dr. Justus Haucap im Gespräch über die Zukunft des Erneuerbare-­ Energien-Gesetzes

S.12

Photovoltaik – Eine völlig verrückte Subventionsmaschine?

Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, und Prof. Dr. Joachim Weimann von der Universität Magdeburg im Streitgespräch

S.16

Fokus Infrastruktur

S.34

S.38

Wir brauchen Marktwirtschaft und Europäisierung

Norwegen – Reservoir für Ökostrom

Ivar Vigdenes vom Energieministerium in Oslo sieht die energiepolitische Unabhängigkeit seines Landes nicht bedroht

Marktsignal: Abschalten

WASSERWIRTSCHAFT

Lohnt sich der Betrieb konventioneller Kraftwerke noch? Ivo Grünhagen, ENERVIE, und Holger Krawinkel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen diskutieren

S.22

Eine Frage der Vernetzung

Ulrich Kelber, SPD, und Dr. Hans-Jürgen Brick, Amprion, debattieren über Kosten und Umfang des Netzausbaus

Die Energiewende kann trotz aller Hindernisse gelingen, meint RWE-Chef Peter Terium

S.18

Sparlampe statt Sozialtarif

Eine schwarze Zukunft?

S.40

Herausforderung Wasserversorgung

Dr. Franz-Josef Schulte von der RWW Rheinisch-Westfäli­ sche Wasserwerksgesellschaft mbH und Paul Kröfges, BUND, über zukunftsfähige Wassertarifmodelle

Garrelt Duin, Wirtschaftsminister in NRW, und Klaus Brunsmeier, BUND, streiten über die Zukunft der Kohleverstromung

S.26

Wettbewerb auf dem Energiemarkt – eine Zwischenbilanz

Kartellamts-Chef Andreas Mundt und Michael G. Feist, Stadtwerke Hannover, im Gespräch über die Liberalisierung des Gasmarktes

Impressum Herausgeber

BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. Reinhardtstraße 32 10117 Berlin streitfragen@bdew.de www.bdew.de Redaktion

Mathias Bucksteeg Sven Kulka

Konzept und Realisierung

Kuhn, Kammann & Kuhn GmbH, unter Mitarbeit von Wolf Szameit, Redaktion. Meltem Walter und Agnes Winklarz, BDEW Druck und Verarbeitung

Druck Center Drake + Huber, Bad Oeynhausen

Bildnachweis

Roland Horn: Titelseite, Editorial, S. 06–09, 18–19, 21–23, 26–27, 29–31, 33–35. Andreas Chudowski: S. 12–14. Rüdiger Nehmzow: S. 4–5. Statkraft: S. 38. Redaktionsschluss: September 2012

03


4 900 Megawatt umweltfreundlich erzeugten Strom liefert eines der größten Wasserkraftwerke Chinas: Longtan. Das Bild entstand während des Baus und zeigt das Spiralgehäuse einer der vom deutschen Unternehmen Voith gelieferten Francis-Turbinen. Allein das Laufrad der Turbine wiegt mit 250 Tonnen ungefähr so viel wie die neue Boeing 787 „Dreamliner“.



(links) und haben unterschiedliche Vorstellungen von der künftigen Ökostrom-Förderung. Dr. Felix Christian Matthes Prof. Dr. Justus Haucap


Sperrstunde für die FördErung? ›

Wenn Deutschland seinen Strom wie geplant bis 2050 weitgehend aus erneuerbaren Energien erzeugen will, muss die Produktion von „grüner“ Elektrizität weiter gefördert werden. Über mögliche Instrumente wird heiß diskutiert. Einigkeit besteht darüber, dass kosmetische Änderungen nicht reichen werden. 07


Bundesminister Rösler will das ErneuerbareEnergien-Gesetz (EEG) am liebsten abschaffen, Bundesminister Altmaier es behalten, allerdings ein wenig reformieren. Herr Prof. Haucap, welche Position ist Ihnen am liebsten?

ser Prämisse entfallen zwei Optionen völlig: zum einen ein „Weiter so“ mit dem EEG, zum anderen aber auch alle Radikallösungen, die nicht anschlussfähig sind für die langfristige Entwicklung. Herr Prof. Haucap, Sie sind für die Radikallösung.

Wenn man weiter das politische Ziel verfolgt, bis 2020 etwa 35 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen, dann wird man weiterhin eine Art von Förderung benötigen. Insofern würde ich das EEG nicht abschaffen, es aber gründlich reformieren. Man sollte von der derzeitigen Preissteuerung auf eine Mengensteuerung umstellen. Prof. DR. Justus Haucap

Herr Dr. Matthes, wo stehen Sie: eher auf der Seite von Herrn Altmaier? Dr. Felix Christian Matthes Die Ziele, die wir haben, sind nicht auf 2020 begrenzt, sondern reichen bis 2050. Bis dahin sollen wir ein Stromsystem geschaffen haben, das überwiegend auf erneuerbaren Energien basiert. Man muss sich dafür einen Flankierungsrahmen überlegen, der einerseits den gegenwärtigen Aufwuchsprozess für erneuerbare Energien stetig fortsetzt, der aber andererseits auch kompatibel ist mit einem Marktdesign, das das in Kontinentaleuropa überwiegend durch Wind und Sonne geprägte Stromsystem der Zukunft tragen, sprich finanzieren kann. Unter die-

08

Streitfragen 03|2012 Die Zukunft des Energiemarktes

Haucap Ich bin dafür, dass man die garantierten Festpreise aufgibt, um wegzukommen von der Mentalität: produce and forget. Man muss die Erzeuger von EE-Strom stärker am Vermarktungsrisiko beteiligen. Wenn man das als radikal ansieht, dann bin ich in der Tat radikal. Matthes Da sind wir zumindest in Teilen gar nicht so weit auseinander. Mein Konzept ist, dass wir in der nächsten Reformstufe ein System bekommen aus Festpreisen und variablen Bestandteilen, die sich am Stromgroßhandelsmarkt orientieren müssen. Ich meine, dass die Investoren und Betreiber von EE-Anlagen berücksichtigen müssen, was der Strom, den sie produzieren, zum jeweiligen Zeitpunkt wert ist. Es geht darum, in einem ersten Schritt Knappheitssignale vom Strommarkt in die Preisbildung einzubeziehen und in einem zweiten Schritt, der aber erst gegen Ende dieses Jahrzehnts möglich und notwendig sein wird, Kapazitätspreissignale, die wir dann hoffentlich über einen Kapazitätsmarkt generieren, in das System einzuführen.


Prof. Dr. Justus Haucap

ist Mitglied der Monopolkommission und lehrt als Ökonom an der Universität Düsseldorf.

Dr. Felix Christian Matthes

arbeitet als Forschungs-Koordinator für Energieund Klimapolitik am Berliner Öko-Institut.

Lässt sich das EEG so schnell und so tiefgreifend noch verändern? Haucap Es reicht nicht mehr, nur ein wenig am System herumzudoktern und da und dort kosmetisch etwas zu ändern. Man muss klar überlegen, wie die Förderung in Zukunft aussehen soll. Dann muss kommuniziert werden, bis zu welchem Zeitpunkt das jetzige System noch weiterläuft und wann entsprechend umgestellt wird, natürlich mit entsprechendem Vertrauensschutz für die Altanlagen. Matthes Ein Grundproblem liegt in der Tat darin, dass man ohne längerfristige Strategie am System herumgedoktert hat. Wir sollten aber auch die Haben-Seite des EEG nicht vergessen: eine grundsätzlich sinnvolle Technologiebandbreite, Erschließung neuer Investorenkreise und niedrige Risikozuschläge. Wir müssen dies so weit wie möglich bewahren, aber für die Erneuerbaren wie auch die Konventionellen einen Rahmen schaffen, der sich an den zukünftig notwendigen Grundstrukturen des Marktes ausrichtet. Der Strommarkt, den wir heute haben, ist nicht einmal für die konventionellen Kraftwerke nachhaltig. Ein Markt, der keine Gasturbine refinanzieren kann, wird auch für eine Windturbine keinen sinnvollen Rahmen bilden.

Herr Matthes, Sie haben kürzlich die EEG-Umlage als ungeeignet bezeichnet, um künftig noch als Steuerungsgröße zu fungieren. Matthes Weil die EEG-Umlage ja allenfalls die Hälfte der Kostenwahrheit sagt und die Effekte der Erneuerbaren auf dem Großhandelsmarkt ausblendet. Wie dem auch sei, das EEG mit seinen Grundprinzipien von Einspeisevorrang und kostenorientierten Garantiepreisen kommt an sein Ende, wenn erneuerbare Ener­ gien untereinander optimiert werden müssen. Diesen

Punkt erreichen wir jetzt. Die unbeirrte Fortsetzung des traditionellen EEG-Ansatzes führt zu Deckeln und vordefinierten Segmenten, beide willkürlich und mit hoher Fehleranfälligkeit. Meine Idee ist, dass wir Optimierungskriterien hinsichtlich Lokalisierung und Technologiewahl in die Risikoüberlegung von Investoren einbeziehen müssen. Heute bekommt der Produzent von EE-Strom für 20 Jahre eine feste Vergütung, unabhängig vom tatsächlichen Wert des von ihm produzierten Stroms. Ich schlage in einem ersten Schritt vor, dass man die feste EEG-Vergütung deutlich absenkt und durch eine variable Vergütung ergänzt, die den tatsächlichen Wert des Stroms reflektiert. Man bekommt so eine feste Vergütung für die Kapazität und eine variable Vergütung für den produzierten Strom. So können sich Knappheitssignale in der EEG-Vergütung widerspiegeln und in den Entscheidungen der Investoren dynamisch berücksichtigt werden. Herr Haucap, da ist Herr Matthes doch gar nicht so weit von einem modifizierten Quotenmodell entfernt? Haucap Bei Quotenmodellen geht es im Prinzip da­ rum, dass nicht mehr die Preise festgelegt werden, sondern die Menge gesteuert wird. Beim Quotenmodell verpflichtet man den Stromversorger, eine bestimmte Menge an ‚grünem‘ Strom in seinem Strommix zu haben. Ihm ist es aber vollkommen überlassen, welchen ‚grünen‘ Strom er von wem einkauft – ob PV-, Wind- oder Wasserstrom. Es gibt genügend Beispiele, die zeigen, dass Quotenmodelle funktionieren können. Matthes Dass sie theoretisch nach dem idealtypischen Modell funktionieren können, ist keine Frage. Ein realweltliches Instrument ist aber etwas anderes als ein Instrument aus dem Lehrbuch. Wir müssen einen pragmatischen Weg gehen, um auf dem Weg einer

Die Zukunft des Energiemarktes Streitfragen 03|2012

09


Die Entwicklung des EEG seit 1991 100 000 Photovoltaik

StromEINSPEISUNG AUS Erneuerbaren ENERGIEN in Deutschland

90 000 80 000

in Gigawattstunden (GWh) Biomasse und Gase

70 000 60 000 50 000

Wind on-/offshore

40 000 30 000 20 000 10 000

Wasser

1991

1993

1995

1997

1999

2001

2003

2005

2007

2009

2011

2

4

6

8

10

12

Belastung der VErbraucher

EEG/ StrEG

in Milliarden € 14

StrEG

10

1.

2.

EEG

NOVELLE

NOVELLE

01. Januar 1991

01. April 2000

2004

2009

Stromeinspeisungsgesetz tritt in Kraft

Erneuerbare-Energien-Gesetz tritt in Kraft

Streitfragen 03|2012 Die Zukunft des Energiemarktes


Lernphase die positiven Elemente aus dem alten EEG in ein neues System zu überführen. Eine radikale Umstellung auf ein technologieneutrales Quotenmodell ist da meines Erachtens nicht der richtige Weg und die internationalen Erfahrungen sind ja ganz überwiegend auch nicht wirklich überzeugend. Ich bin für eine stufenweise Umstellung auf ein System, das bis auf Weiteres nicht komplett technologieneutral sein kann. Nein, selbst wenn es nicht technologieneutral wäre und es zum Beispiel Teilquoten für die Solarenergie gäbe, hätte ein Quotenmodell schon Vorteile. Ein solcher Vorteil gegenüber der Einspeisevergütung ist, dass sich die Preise am Markt bilden. Der Glaube, dass man die Einspeisevergütung so schnell ändern könnte wie sich die Kosten verändern, ist naiv. Die Politik kann gar nicht so schnell nachsteuern. Das kann nur der Markt. Haucap

Matthes Auch in einem Quotenmodell wie es beispielsweise in Großbritannien als Auslaufmodell noch existiert, wird der Technologiemix aus guten Gründen vorreguliert: Für Offshore-Wind bekommt man zwei Grünstromzertifikate, für Onshore-Wind 0,9 etc. Haucap

Aber man hat immer noch die Mengen-

Haucap Das können Sie auch in einem Quotenmodell erreichen. Sie kombinieren das Quotenmodell mit seinen Grünstromzertifikaten mit einer neuen Art von Marktprämie, die prozentual an den Strompreis gekoppelt sein müsste.

Die Modelle, die wir uns vorstellen, unterscheiden sich dann offensichtlich in einigen Punkten gar nicht so sehr voneinander. Man sieht aber auch, dass sich das Quotenmodell in der Realität gehörig von der Lehrbuchvariante entfernt. Aus meiner Sicht müssen wir im Rahmen eines schrittweisen politischen Transformationsprozesses die zukunftsfähigen Strukturen in das System integrieren. Das wäre vor allem Refinanzierung von Investitionen über eine Kapazitätszahlung und eine marktwirtschaftliche Bewertung des Stroms. Wir müssen aber einen Lernprozess initiieren, der bei den Instrumenten ansetzt, die wir heute haben. Deshalb glaube ich an Reformen und nicht an Abrissmentalität und vage Radikalalternativen. Matthes

Haben wir denn Zeit, die Anpassung schrittweise vorzunehmen? Die Bundesregierung will, wenn bei PV ein Ausbau von 52 Gigawatt erreicht ist, die PV-Förderung für neue Anlagen einstellen. Das könnte ja schon bald erreicht sein.

steuerung. Wenn wir beispielsweise 2005 ein Mengenziel für Photovoltaik und im Jahr 2008 eines für Offshore-Windkraftanlagen formuliert hätten, hätten wir grandios danebengelegen und wahrscheinlich sehr teure Resultate produziert. Matthes

Je mehr Wettbewerb ausgeschaltet wird und je mehr ausdifferenziert wird, desto mehr Marktmacht wird erzeugt mit einem entsprechenden Erpressungspotenzial. Haucap

Matthes Deswegen glaube ich, dass man die Risikokomponente in das Kalkül des Investors einbauen muss. Allerdings muss der breite Kreis der Erneuerbaren-Investoren schrittweise an dieses Risikokalkül herangeführt werden.

Kann der kleine Häuslebesitzer, der sich eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach setzen will, das wirklich lernen? Matthes Er muss es lernen. Er muss bei seiner Entscheidung für die Anlage – Ausrichtung, Speicher etc. – sich auch die Frage stellen: Was richtet die von mir erzeugte Kilowattstunde Strom im System an? Ich will weg von der Haltung: invest – produce – forget. Ich will das ‚forget‘ streichen. Das muss man aber auf eine Weise machen, die die wichtigen Vorteile des bestehenden Systems so weit wie möglich erhält.

Matthes Dann werden wir nicht mehr die Diskussion über die EE-Umlage haben, sondern eine Diskus­ sion darüber, dass die Verbraucher, die keine PV-Anlage haben, die PV-Anlagenbesitzer über die Netzentgelte subventionieren. Haucap Da bin ich auf Ihrer Seite. Wir müssen bei den Netzentgelten zu anderen Strukturen kommen. Wir müssen da zu mehrteiligen Tarifen kommen. Wir brauchen auch bei den Netzen einen Leistungspreis und einen Arbeitspreis. Matthes Meine These ist, dass wir in eine extrem kapitalintensive Welt hineinlaufen. Am Ende des Tages werden wir uns in einer Welt der Kapazitätszahlungen befinden. Das Problem, das wir bei den Netzen haben werden, haben wir ebenso bei den Kraftwerken. Deshalb noch einmal meine Position: Wir müssen Optimierungsprozesse, die wir auch für die Netze und konventionelle Kraftwerke benötigen, in das System hineinbekommen. Das geht nur schrittweise und in der nächsten Stufe nur über eine Integration der entsprechenden Marktpreissignale in das heutige System. Haucap Das ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Aber ich würde doch einen Schritt weiter und zur Mengensteuerung übergehen. Denn die Menge ist unser Ziel.

Die Zukunft des Energiemarktes Streitfragen 03|2012

11


Photovoltaik – Eine völlig verrückte Subventionsmaschine?

12

Streitfragen 03|2012 Die Zukunft des Energiemarktes


Motiv: Skulptur Méta-Maxi von Jean Tinguely, Daimler Kunstsammlung, Berlin

Aufgrund massiver Förderung steht mehr als die Hälfte aller weltweit installierten Solarstrom-Anlagen im nicht gerade von der Sonne verwöhnten Deutschland. Führt Photovoltaik zu vertretbaren CO2-Vermeidungs­ kosten? Darüber streiten ein Umweltpolitiker und ein Ökonom.

Die Zukunft des Energiemarktes Streitfragen 03|2012

13


Hans-Josef Fell

(links) ist energiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und war Autor des im Jahr 2000 verabschiedeten EEG-Entwurfs.

Prof. Dr. Joachim Weimann

(rechts) lehrt Wirtschaftspolitik an der Universität Magdeburg. Der Umweltökonom gehört zu den profiliertesten Kritikern des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.

Herr Prof. Weimann, Herr Fell, wir alle wünschen uns ein umweltfreundliches, stabiles und bezahlbares Energiesystem. Wie fügen sich die Photovoltaik und ihre Förderung via Einspeisevergütung in diese Zielsetzung ein? Wir dürfen nicht die Photovoltaik isoliert betrachten, wir müssen das Gesamtsystem sehen. Und da herrscht ein enormer Druck durch steigende Rohstoffpreise. Mit konventionellen Energieträgern können wir eine nachhaltige, wirtschaft­ liche und verlässliche Energieversorgung gar nicht mehr gewährleisten. Deshalb gibt es keine Alternative zum Ausbau der Erneuerbaren. Hier wiederum spielt Photovoltaik eine große Rolle, auch wenn die Erzeugung wetterbedingt schwankt. Um das aufzufangen, müssen wir unser Energiesystem modernisieren, aber das werden wir schaffen, und zwar auch kostengünstig. HANS-JOSEF FELL

Prof. Dr. Joachim Weimann Ich sehe das komplett anders. Interessant finde ich, dass die Photovoltaik-Förderung jetzt mit der Verknappung fossiler Brennstoffe begründet wird, nicht mehr mit Klimaschutz … FELL … die Ressourcenschonung war genauso wie der Klimaschutz schon immer eines der Ziele des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Weimann Aber jüngste Schätzungen ergeben, dass die fossilen Energieträger noch bis zu 300 Jahre reichen werden, da gibt es keine Knappheit. Und vor allem: Wenn Klimapolitik greift, bekommen wir niedrigere Preise, weil die Nachfrage nach konventionellen

14

Streitfragen 03|2012 Die Zukunft des Energiemarktes

Brennstoffen massiv sinkt. Das Horrorszenario „Wir müssen Milliarden in Photovoltaik stecken, sonst gehen die Brennstoffe aus“ geht völlig an der Realität vorbei. Die Frage bleibt, wie Photovoltaik zu einem nachhaltigen, stabilen und bezahlbaren Energiesystem beiträgt. Weimann Die Photovoltaik macht uns massive Probleme. Früher hatte Deutschland weltweit das sicherste Energiesystem – heute müssen wir Milliarden investieren, um diese Sicherheit wiederzuerlangen. Ich mache mir ums Klima Sorgen. Wir brauchen hier eine wirksame Politik und müssen mit den Ressourcen sorgsam umgehen. Die CO2-Vermeidungskosten von Photovoltaik liegen um den Faktor 100 über dem Preis von Emissionszertifikaten. Das bedeutet: Wenn wir ausgerechnet diese Technik fördern, verschwenden wir Ressourcen im Kampf um unser Klima. FELL Die Kosten für Photovoltaikanlagen sinken doch rasant, wie bei allen Halbleitertechnologien. Da ist gar kein Ende abzusehen. Und das führt schnell in ein bezahlbares Energiesystem, denn die erneuerbaren Energien haben eine ganz andere Charakteristik als konventionelle. Je mehr konventionelle Energieträger wir nutzen, desto teurer wird’s durch Verknappung, je mehr erneuerbare Energien wir nutzen, desto billiger wird’s durch die industrielle Massenfertigung der Produkte. Denn außer bei Biomasse sind wir da unabhängig von Brennstoffkosten.

Bisher wurden in Deutschland Photovoltaik­ anlagen mit einer Gesamtleistung von rund 27 Gigawatt errichtet, das Gesamtausbauziel für geför-


derte Photovoltaik beträgt fast das Doppelte, nämlich 52 Gigawatt. Wenn dieses Ziel erreicht ist, endet die Förderung in der heutigen Form. Wie sollte ein neues System aussehen? Mir geht es um Klimaschutz, deshalb bin ich ein überzeugter Anhänger des Emissionshandels. Der Handel funktioniert nach einem einfachen Prinzip: Am Anfang wird der Deckel festgelegt, die mengenmäßige Beschränkung. Diese Mengenbegrenzung wird politisch entschieden, Sie können den Klimaschutz so scharf machen wie gewünscht. Das EEG hat nur den Effekt, dass die Kosten steigen, die wir aufbringen müssen, um die Begrenzung einzuhalten. Noch so viel Sonne und noch so viel Wind führen nicht zu weniger CO2-Ausstoß in Europa, sondern nur dazu, dass Emissionsrechte den Besitzer wechseln, ohne dass die Menge dieser Rechte kleiner wird. Weimann

FELL Richtig ist: Emissionshandel und Einspeisevergütung passen nicht zusammen. Wir haben heute keinen Klimaschutz in der Welt, die Temperatur steigt, die Emissionen steigen. Warum? Weil fast alle versuchen, Klimaschutz durch Emissionshandel zu organisieren. Der hat den Konstruktionsfehler, dass er Emissionen erlaubt. Wir brauchen aber ein Energiesystem mit null Emissionen. Und das geht auch. Aber Windund Sonnenkraft hätten im Emissionshandel keine Chance. Da würden ausschließlich ein paar Kohlekraftwerke modernisiert. Danach stößt so ein Kraftwerk in vier Tagen aus, was es vorher in drei Tagen ausgestoßen hat. Das ist doch kein Klimaschutz!

Herr Fell, Sie wollen also weiter gezielt bestimmte Technologien fördern? FELL Ja, denn die unterschiedlichen Techniken haben unterschiedliche Entwicklungsstände und deshalb unterschiedliche Kosten. Wer sie heute schon gegeneinander ausspielt, wird nur die billigste bekommen und nicht das ganze Konzert der erneuerbaren Energien. Das ist das Problem von Quotenmodellen. Technologieneutrale Förderung schließt die Techniken aus, die bei der Kostenreduktion noch nicht so weit vorangeschritten sind.

Technologieneutralität wird von Ökonomen immer wieder gefordert. Was bedeutet das für die künftige Förderung von Photovoltaik?

Weimann Wir müssen die Förderung von der Technologie loskoppeln. Beispielsweise hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eine Grünstromquote vorgeschlagen. Erzeuger und Verteiler müssen dann einen bestimmten Anteil von Ökostrom nutzen und nachweisen. Aus welcher Quelle der kommt, entscheiden die Akteure. Dann entsteht ein Wettbewerb der erneuerbaren Energien – die mit den geringsten Kosten haben Erfolg. Das ist zwar nach dem Emissionshandel nur die zweitbeste Lösung, aber so könnte man wenigstens vermeiden, dass jede Technik gefördert wird, ganz gleich, wie unsinnig teuer sie ist. FELL Ach, die Grünstromquote. Quotensysteme hat man immer dort gemacht, wo man die erneuerbaren Energien nicht wollte und nicht richtig unterstützt hat, etwa in Großbritannien. Eine staatlich festgelegte Quote ist doch Planwirtschaft. Die Einspeisevergütung ist jedem Quotensystem überlegen, deshalb haben viele Nationen, die es ernst meinen mit erneuerbaren Energien, dieses Modell übernommen.

Wie sinnvoll wären überhaupt weitere nationale Anstrengungen zur CO2-Vermeidung, wenn wir nicht zu einer globalen Lösung für das Klimaproblem kommen? FELL Sehr sinnvoll. Deutschlands Verantwortung reicht weit über unseren CO2-Ausstoß hinaus, denn wir sind einer der größten Exporteure für Energietechnologie. Wenn Deutschland Kohlekraftwerke exportiert nach China, dann verursachen die dort Emissionen. Wenn wir Nullemissionstechnik bringen, mit Sonne und Windrädern, dann wird sich die durchsetzen auch in China und anderen Ländern. Viele Länder investieren bereits massiv in diese Technologien. Über diesen Weg kommt der Klimaschutz auf die Erde. Weimann Wenn wir keine weltweite wirksame Klimapolitik hinbekommen, dann brauchen wir auch in Deutschland keine zu betreiben. Unser Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen beträgt zwei Prozent; ob wir dann hier etwas erreichen, kümmert das Klima nicht. Deshalb müssen wir mit aller Kraft an einer internationalen Lösung arbeiten. Mein Vorschlag lautet, den europäischen Emissionshandel als Kern zu nehmen und daraus eine globale Koalition zu schmieden. Viele Länder werden nicht freiwillig mitmachen, die müssen wir dafür bezahlen. Meine Sorge ist: Wenn wir zu Hause weiter eine CO2-Politik machen, bei der wir für jede vermiedene Tonne hundertmal mehr bezahlen, als wir müssten, dann haben wir nicht mehr die Mittel, diese Transferzahlungen zu leisten.

Die Zukunft des Energiemarktes Streitfragen 03|2012

15


Wir brauchen Marktwirtschaft und Europäisierung

Die Energiewende kann trotz aller Hindernisse gelingen, meint RWE-Chef Peter Terium. Dafür muss sich die Energiepolitik aber stärker an Europa und am Markt orientieren. Die politischen Entscheidungen zur Energiewende sind im vergangenen Jahr gefallen, niemand stellt sie in Frage! Nach einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen finden 90 Prozent der Deutschen die Energiewende wichtig oder sogar sehr wichtig – deutlicher geht es nicht. Das Zeitalter der Kernenergie läuft in Deutschland aus, die CO2-Emissionsreduzierung wird vorangetrieben, die erneuerbaren Energien gewinnen immer mehr Gewicht. Aber: Wir merken auch, dass wir auf dem Weg dahin immer stärker an systemische und ökonomische Grenzen stoßen. Der starke Ausbau der erneuerbaren Energien führt zu einem Stresstest des Gesamtsystems, die Strompreise für Endverbraucher erreichen immer neue Rekordhöhen, und trotzdem sind neue und hocheffiziente Gaskraftwerke, die doch jeder will, finanziell „unter Wasser“. Und wie reagiert die Politik auf diese Situation: Mit immer mehr Regulierung und immer weniger Markt. Aus meiner Sicht ist das nicht der richtige Weg. Die Erfahrung zeigt: Nur Marktmechanismen sind dauerhaft in der Lage, komplexe Industriesysteme, wie die Energiewirtschaft, effizient zu steuern und zu koordinieren. Je größer ein Markt ist, desto effizienter und reibungsloser funktionieren Preissystem und Wettbewerb. Wir brauchen in der Energiepolitik ein neues Bekenntnis zur Marktwirtschaft und eine

16

stärkere Europäisierung – dann wird die Energiewende auch gelingen. Aus Sicht von RWE erfordern Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Effi­ zienz im europäischen Energiebinnenmarkt der Zukunft ein systemisches Zusammenspiel der drei zentralen energiepolitischen Instrumente: 1. Europäischer Emissionshandel 2. Wettbewerblicher und europäischer Rahmen für die erneuerbaren Energien 3. Europäischer Markt für Strom

1  Zentrales Leitinstrument: Europäischer Emissionshandel

Erstaunlicherweise hat gerade das niedrige Preisniveau für Emissionshandelszertifikate eine intensive Diskussion über kurzfristige Interventionen am Emissionshandelssystem ausgelöst. Über das sogenannte „Backloading“ sollen nach den Plänen der EU-Kommission dem Markt – zunächst vorübergehend – CO2-Zertifikate entzogen werden, um einen politisch gewünschten CO2-Preis zu erzwingen. Der CO2-Preis wäre dann nicht mehr das Ergebnis von Angebot und Nachfrage, sondern das Resultat politischer Opportunität – dies bedeutet mehr regulatorische Unsicherheit für einen Investor. Zudem würde man dem

Streitfragen 03|2012 Die Zukunft des Energiemarktes

Emissionshandelssystem einen wesentlichen Vorteil nehmen: Die Flexibilität bei Änderung der Fundamentaldaten. Gerade in einer Krise ist ein Rückgang des CO2Preises volkswirtschaftlich erwünscht. Der Preisrückgang wirkt antizyklisch, als automatischer Stabilisator der europäischen Volkswirtschaft. Das ist einer der großen Vorteile eines Zertifikatesystems gegenüber einer Steuerlösung. Langfristig ist noch ein weiterer Zusammenhang relevant, der von manchen Experten als Begründung für regulatorische Eingriffe am Emissionshandelssystem vorgebracht wird: Der CO2-Ausstoß wird über das politisch gesetzte CO2-Cap definiert. Erneuerbare Energien senken zwar die Nachfrage nach CO2-Zertifikaten, nicht aber das Cap und damit auch nicht den CO2-Ausstoß. Die Folge: Der CO2-Preis sinkt, je mehr erneuerbare Energien zugebaut werden. Ist das ein hinreichender Grund für eine Verknappung der Emis­ sionshandelszertifikate? Der Stromkunde würde dann doppelt zahlen. Einmal für den teuren Ausbau der erneuerbaren Energien, deren CO2-Vermeidungskosten bei 50 bis 350 Euro je Tonne CO2 liegen, und, da diese den CO2-Preis dämpfen, auch für die Verknappung von CO2-Zertifikaten, die wiederum zu höheren Strompreisen führt. Dies ergibt keinen Sinn und es verteuert den Klimaschutz.


Peter Terium

Die Frage ist nicht, ob und wie viele CO2Zertifikate aus dem Markt genommen werden sollten, sondern wie ein Wachstumspfad für erneuerbare Energien aussehen könnte, durch den der CO2-Handel langfristig nicht ausgehebelt wird. Das Instrument EU-ETS ist funktionsfähig. Es ist ein europäisches Instrument, und es hat das Potenzial, ein internationales zu werden. Die jüngsten Pläne zur Kopplung des europäischen Zertifikatesystems mit dem australischen System weisen bereits in diese Richtung. Was fehlt, sind langfristige verbindliche Ziele für die Zeit nach 2020 und die angemessene Synchronisation mit anderen energiepolitischen Instrumenten.

2

ist Vorstandsvorsitzender der RWE AG. RWE zählt zu den fünf führenden Strom- und Gasanbietern in Europa.

also eine feste Prämie für jede erzeugte Kilowattstunde, ermöglichen. Beide Fördermodelle haben Vor- und Nachteile, die sorgfältig abgewogen werden müssen. Die grundlegenden Prinzipien sind jedoch die gleichen: mehr Wettbewerb und mehr Europa auch bei den erneuerbaren Energien! Ich plädiere für einen Wettbewerb um die besten Ideen zur Weiterentwicklung des EEG.

Marktintegration der

3

erneuerbaren Energien

Der europäische Binnenmarkt

vollständigen Preiskonvergenz in diesem Markt in 60 Prozent aller Stunden. Der relevante Markt für Strom ist hier also mindestens zentral-westeuropäisch. Alle Kraftwerke in diesen Ländern stehen in einem intensiven Wettbewerb zueinander. Das Streben nach nationaler Stromautarkie passt nicht zu einem europäischen Binnenmarkt. Die jüngsten Initiativen für nationale Insellösungen in Frankreich und Belgien sind daher kritisch zu sehen.

für Strom

Die rein nationale Ausrichtung der verschiedenen EE-Fördersysteme in der EU führt dazu, dass die Unternehmen nicht um die wirtschaftlichsten Standorte für erneuerbare Energien konkurrieren, sondern versuchen, das profitabelste Subventionsregime in Europa zu finden. Eines muss klar sein: Langfristig müssen sich Investitionsentscheidung und Einsatz von erneuerbaren Energieanlagen an den Marktpreisen orientieren. Bis dahin brauchen sie aber noch eine Förderung, die so wettbewerblich und europäisch wie möglich sein sollte. Die Frage ist also: Wie sieht ein ordnungspolitisch vertretbarer Förderrahmen für erneuerbare Energien aus? Zunächst braucht ein solcher Förderrahmen ein Enddatum. Subventionen dürfen niemals unbegrenzt gezahlt werden. Außerdem muss die Förderung europäisch ausgerichtet sein, so dass die verschiedenen Erzeugungstechniken in ganz Europa miteinander konkurrieren. Und schließlich müssen die erneuerbaren Energien den erzeugten Strom selbst vermarkten und dafür, wie alle anderen Kraftwerke, Marktpreise bekommen. Dann wirken auch die Marktsignale: Ein hoher Strompreis signalisiert Zubaubedarf, ein niedriger einen gesättigten Bedarf. Eine ordnungspolitisch vertretbare Förderung könnte ein Quotenmodell oder eine Weiterentwicklung des Prämienmodells,

Derzeit wird angesichts des wachsenden Anteils der erneuerbaren Energien eine intensive Diskussion um die Weiterentwicklung des Markt-Designs geführt. Der Hintergrund: Die erneuerbaren Energien senken die Auslastung von konventionellen Anlagen, kaum aber den gesamten Bedarf an konventionellen Kraftwerkskapazitäten. So schätzt die dena, dass auch 2050 noch fast zwei Drittel der heutigen konventionellen Kapazität am Netz sein müssen. Allerdings müssen diese Anlagen aufgrund der Einspeisung der erneuerbaren Energien in immer weniger Stunden die notwendigen Beiträge zur Deckung der Fixkosten erwirtschaften. Das kann gut gehen, wenn die Politik die notwendigen Preisspitzen akzeptiert und auch in knappen Situationen die Marktkräfte wirken lässt. Ob dies hinreichend ist, ist in der Wissenschaft umstritten. Versorgungssicherheit ist gerade beim Strom ein hohes Gut, und die volkswirtschaftlichen Kosten eines Versorgungsausfalls sind hoch. Daher ist es richtig, dieses Thema innerhalb der Branche, in der Wissenschaft und in der Politik intensiv zu prüfen. Aber eines sollte allen klar sein: Versorgungssicherheit ist kein nationales Thema, sondern hat mittlerweile eine europäische Dimension. Die Strombörsen in Zentral-Westeuropa – also Frankreich, Benelux und Deutschland – sind seit November 2010 gekoppelt. Das führte zu einer

Nationale Kapazitätsmärkte verzerren das level playing field und den Handel mit Strom im europäischen Binnenmarkt. Diese Verzerrungen beeinträchtigen auch die Versorgungssicherheit der gekoppelten Nachbarländer und führen zu höheren Kosten als notwendig. Kapazitätsmärkte müssen europäisch abgestimmt sein. Nur so können sie effizient und binnenmarktkompatibel sein. Um einen abgestimmten europäischen Kapazitätsmarkt zu schaffen, braucht es aber Zeit und den politischen Willen, in diese Richtung zu gehen! Daher brauchen wir eine Brückenlösung. Eine Lösung, die den Binnenmarkt nicht verzerrt, die effektiv und effizient ist. Als Brückenlösung schlägt der BDEW die sogenannte strategische Reserve vor: Das sind Kraftwerke, die am Markt nicht mehr ihre Fixkosten verdienen können, deren Leistung aber noch gebraucht wird oder zumindest noch gebraucht werden könnte. Diese Kraftwerke könnten ihre Leistung in einem Ausschreibungsverfahren den Netzbetreibern zur Verfügung stellen, die sie dann mit Höchstpreis in den Markt bieten. Dies kostet relativ wenig – Consentec schätzt, dass 4 000 Megawatt Reserveleistung mit etwa 140 Millionen Euro zu Buche schlagen würden –, hat keine unerwünschten Nebenwirkungen auf den Markt und erhöht die Versorgungssicherheit. Und wir gewinnen Zeit für ein abgestimmtes europäisches Markt-Design.

Die Zukunft des Energiemarktes Streitfragen 03|2012

17


Marktsignal: Abschalten

Ivo Grünhagen

(rechts) ist Vorstandssprecher der ENERVIE – Südwestfalen Energie und Wasser AG. Holger Kr awinkel

(links) leitet den Fachbereich Bauen, Energie, Umwelt beim Bundesverband der Verbraucherzentralen.

18

Streitfragen 03|2012 Die Zukunft des Energiemarktes


Die Stromwirtschaft soll Versorgungssicherheit garantieren – doch der Betrieb konventioneller Kraftwerke lohnt sich vielfach nicht mehr. Ein Strommanager und ein Verbraucherschützer suchen Auswege. Herr Grünhagen, Sie haben kürzlich angekündigt, dass Sie 2014 ein Steinkohlekraftwerk stilllegen werden. Was waren die Gründe für diesen Beschluss? IVO GRÜNHAGEN Die Marktsignale zeigen gegenwärtig ganz eindeutig, dass Bestandskraftwerke, also sowohl Gas- als auch Steinkohlekraftwerke, zurzeit wirtschaftlich nicht betrieben werden können. Diese Aussage gilt derzeit unabhängig vom Alter der Anlagen, denn sowohl hochmoderne Kraftwerke wie unsere 2007 in Betrieb genommene GuD-Anlage als auch der seit 1971 laufende Steinkohleblock, den wir nun stilllegen werden, sind derzeit nicht im Markt.

Herr Krawinkel, können Sie den Hinweis von Herrn Grünhagen auf die schlechte Marktlage nachvollziehen? Holger Kr awinkel Die Entscheidung von Herrn Grünhagen ist eine konsequente betriebswirtschaftliche Entscheidung aufgrund der Marktsignale. Die Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit sind natürlich eine zweite Frage. GRÜNHAGEN Nach meiner Ansicht unterliegen wir einer etwas kurzen Sichtweise. Wir tun immer so, als ob wir dann, wenn die Versorgungslage gefährdet ist, es eventuell sogar zu einem Schwarzfall kommt, kurzfristig gegensteuern könnten. Man müsste meines Erachtens Entscheidungen über die Stilllegung von Kraftwerken mit einem Zeithorizont von mindestens drei Jahren sehen, nicht, wie jetzt fast immer, von sechs bis zwölf Monaten.

Was sind die Gründe für diese kurze Sicht? Kr awinkel Die Rentabilitätsüberlegungen der Unternehmen fußen auf der Preisbildung am Großhandelsmarkt. Die Termingeschäfte gehen dort derzeit aber nur über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren. Deshalb kann ich, von heute aus gesehen, die Preisentwicklung nach 2014 nur annäherungsweise prognostizieren. Heute werden zunehmend Strommengen aus erneuerbaren Energiequellen vermarktet. Das hat die Absatzmöglichkeiten fossiler Kraftwerke verschlechtert, das hat die Spotmarktpreise nach unten gedrückt. Beides zusammen hat die Wirtschaftlichkeit von Bestandskraftwerken deutlich verschlechtert.

Die Zukunft des Energiemarktes Streitfragen 03|2012

19


Aber dann gleich zur Stilllegung zu greifen, kann unter längerfristigen Aspekten doch nicht sinnvoll sein. Heute werden selbst Gaskraftwerke stillgelegt, die erst wenige Jahre zuvor ans Netz gegangen sind, nur weil sie sich betriebswirtschaftlich nicht rechnen. Betriebswirtschaftlich ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn Kraftwerke heute stillgelegt werden, weil sie sich nicht mehr rechnen. Ob es allerdings in einer längerfristigen Perspektive sinnvoll ist, das ist eine Frage, die an die Politik geht.

liert man einen zweiten Mechanismus, der andere, auch langfristige Impulse setzt. Diese Kraftwerke würden dann auch stärker marktorientiert arbeiten. Herr Krawinkel, das liefe wohl auf eine wie auch immer organisierte Beschaffung von Kapazitäten durch den Staat hinaus?

Kr awinkel

GRÜNHAGEN Wir haben vor fünf Jahren eines der modernsten Gaskraftwerke der Welt gebaut mit einem Wirkungsgrad von 60 Prozent. Angesichts der Ertragsentwicklung stehen wir aber jetzt vor der Frage, ob wir das Kraftwerk in die Kaltreserve schicken, weil es sich nicht rechnet. Das kann es doch nicht sein.

Also Regulierung durch den Staat? GRÜNHAGEN Ich bin überzeugter Marktwirtschaftler, doch hier ist meiner Ansicht nach der Staat gefordert. Er hat eine ganze Branche zur Versorgungssicherheit verpflichtet, aber gewährt ihr nicht einmal die entstehenden Kosten, sondern setzt Marktbedingungen, die nicht die Generierung auskömmlicher Preise erlauben.

Sie wollen, dass der Staat Ihnen einen Ausgleich dafür zahlt, dass Sie Kapazitäten vorhalten, um einen Blackout zu vermeiden? GRÜNHAGEN Nicht direkt der Staat, aber in der ganzen Branche besteht meines Erachtens Einigkeit darüber, dass wir einen Mechanismus benötigen, bei dem Leistung als solche wieder bezahlt wird. Die altbekannte Trennung zwischen Grundlast und Spitzenlast gibt es in dieser Form heute schon nicht mehr. Wir werden regional, bundesweit, möglicherweise bald auch europaweit im Jahr lange Phasen haben, in denen die Last vollständig ohne die konventionellen Kraftwerke abgedeckt werden kann.

Und die Lösung? GRÜNHAGEN Ich kann mir vorstellen, dass man zweigleisig fährt. In Randbereichen der Last, die beispielsweise bei unter 1 000 Nutzungsstunden im Jahr liegen könnte, hält man eine Leistungsreserve vor, die auch nicht mehr so effizient sein muss, weil das Thema CO2-Ausstoß nicht die Bedeutung hat bei den geringen Volllaststunden. Für neue Kraftwerke instal-

20

Streitfragen 03|2012 Die Zukunft des Energiemarktes

Wenn wir davon ausgehen, dass der Energy-only-Markt das Problem nicht lösen kann – was ja noch nicht feststeht – und wenn wir davon ausgehen, dass wir nicht auf europäische Kapazitäten zurückgreifen wollen, sondern das Problem national lösen wollen, dann stellt sich natürlich die Frage: Wie organisiere ich das? Dann habe ich schnell das Problem, das immer auftaucht, wenn der Staat eingreift: Ich muss die Menge bestimmen. Wenn zu wenig beschafft wird, ist die Versorgungs­sicherheit gefährdet, ist es zu viel, wird es deutlich zu teuer. Mit solchen Mechanismen habe ich gerade in letzter Zeit im Zusammenhang mit dem EEG als Verbraucherschützer schlechte Erfahrungen gemacht. Kr awinkel

Können Sie sich denn andere Modelle vorstellen? Kr awinkel Die Bundesnetzagentur hat im vergangenen Winter eine Form der Strategischen Reserve praktiziert. Auktionsmodelle, bei denen es zum Wettbewerb um den Markt kommt, sind mir aber etwas sympathischer. Interessant finde ich Modelle, bei denen auktioniert wird, das Ganze aber regionalisiert abläuft. Das könnte man beispielsweise für Süddeutschland anwenden. Ich glaube nicht, dass wir bis 2020 die 3 000 Kilometer Übertragungsleitungen von Nord nach Süd gebaut haben werden. Ich muss deshalb Kapazitäten dorthin bringen. Das kann ich über eine regionale Auktion hinbekommen. Das könnte man sogar erweitern über Ausschreibungsmodelle für erneuerbare Energien, so dass man eine Annäherung der beiden Märkte bekommt: Die konventionellen bekommen eine Kapazitätskomponente, die erneuerbaren eine Marktkomponente. GRÜNHAGEN Ich gebe Herrn Krawinkel recht: Wir müssen systemisch an das Problem herangehen. Wir diskutieren über das EEG, wir diskutieren über konventionelle Kraftwerke, wir diskutieren über Netze. Wir tun so, als ob alles völlig unabhängig voneinander geplant werden kann. Dabei hängt alles miteinander zusammen: Wir müssen für den Verbraucher sauberer definieren, was der Strom für ihn kostet.


Dann kommen wir nämlich sehr schnell zu der Frage: Bauen wir Netze nach Süddeutschland oder bauen wir dort ein Kraftwerk? Bauen wir in Süddeutschland regenerativ stärker zu? Wir müssen auch den Erneuerbaren die gesamten systemischen Kosten stärker zurechnen. Da muss mehr Ehrlichkeit hinein. Dann weiß der Verbraucher, wofür er bezahlt. Weiß der Verbraucher das nicht schon heute bei einem Blick auf seine Stromrechnung? GRÜNHAGEN Nehmen Sie die Strategische Reserve der Netzagentur. Abgesehen davon, dass das sehr intransparent gehandhabt wird, müsste man die Kosten, die die verursacht, aus der EEG-Umlage bezahlen. Denn die Notwendigkeit für die Reserve im vergangenen Winter wurde verursacht durch Fehlallokationen aufgrund der EEG-Förderung.

Gilt das auch 2050? GRÜNHAGEN Es darf nicht sein, dass 2050 rund 80 Prozent des Stroms, nämlich der aus erneuerbaren Energien, weiter staatlich gestützt werden und die restlichen 20 Prozent aus konventionellen Anlagen sich am Markt durchsetzen müssen. Man muss beide Erzeugungsarten zusammenführen. Wir müssen schon jetzt sehr schnell wegkommen von dem Prinzip, dass wir in erster Linie Arbeit bezahlen. Wir brauchen künftig eine Leistungskomponente und eine Arbeitskomponente.

Soll der Staat hier tätig werden? GRÜNHAGEN Der Staat muss ein Modell festlegen. Es gibt verschiedene Vorschläge für Leistungsanreize beispielsweise über Auktionsmodelle. Kr awinkel Man muss jetzt sehen, wie man die verschiedenen Instrumente, die da sind, organisch verändert: die Strategische Reserve transparenter gestaltet, eventuell sogar ausschreibt, bei den erneuerbaren Energien eine Preiskomponente für die Arbeit einbezieht und, weil das beim Netzausbau meines Erachtens nicht klappen wird, regionale Preiszonen aufbaut sowie über Auktionen die dann noch notwendigen Reservekapazitäten beschafft. GRÜNHAGEN Es gibt drei Zeithorizonte: Langfristig müssen erneuerbare und konventionelle Kraftwerke in einem Markt zusammengefasst werden. Innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre müssen wir einen Mechanismus haben, mit dem wir die Interimszeit überbrücken. Und wir brauchen noch in diesem Jahr einen Impuls, wie wir die Bestandskraftwerke und die Kraftwerke, die derzeit im Bau sind, im Markt unterbringen. Damit können wir nicht bis nach der nächsten Bundestagswahl warten.

Die Zukunft des Energiemarktes Streitfragen 03|2012

21


Eine Schwarze Zukunft?

22

Streitfragen 03|2012 Die Zukunft des Energiemarktes


Trotz steigender Ökostrom-Produktion gewinnt Deutschland noch mehr als 40 Prozent seiner Elektrizität aus Stein- und Braunkohle. Doch die Kohlevorräte sind endlich, außerdem entsteht bei der Verstromung CO2. Welche Zukunft hat also die Kohle? Ein Wirtschaftsminister und ein Umweltschützer diskutieren.

Die Zukunft des Energiemarktes Streitfragen 03|2012

23


» Für eine sichere Versorgung sind KohleKraftwerke unverzichtbar.«  » wir Werden uns dafür einsetzen, dass die Kohleverstromung bald Geschichte ist.«

Herr Minister Duin, der Neubau von Kohlekraftwerken stößt vielerorts auf Widerstand. Auch die Wirtschaftlichkeit ist offenbar nicht überall gesichert. Nach einer Übersicht des BUND sind derzeit trotzdem neun neue Kohlekraftwerke geplant oder im Bau. Wie bewerten Sie diese Neubauten?

braucht es jetzt im Übergang hocheffiziente Kraftwerke, die die schwankende Einspeisung aus den erneuerbaren Quellen flexibel nachfahren können. Das aber schaffen nur Gaskraftwerke möglichst mit Kraft-Wärme-Kopplung und flexibilisiert durch Wärmespeicher.

Garrelt Duin Strom aus Kohlekraftwerken ist ein unverzichtbarer Eckpfeiler unserer Stromversorgung. Durch den Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 werden Kohlekraftwerke auf absehbare Zeit noch einen wichtigen Beitrag zur Stromversorgung leisten müssen. Für eine sichere Versorgung sind die Kraftwerke unverzichtbar. Wir brauchen moderne, hocheffiziente Kohlekraftwerke für einen Übergangszeitraum, damit wir die Energiewende meistern können.

Könnte die Abscheidung und Lagerung von CO2, kurz CCS, die Ökobilanz der Kohleverstromung künftig verbessern? Brunsmeier Mit oder ohne CCS – Kohlestrom hat keine Zukunft. Wenn die Energiewende gelingen soll, ist es sogar zwingend, dass wir uns von der Kohleverstromung geordnet ver­ abschieden. CCS wäre kein Beitrag zu Klimaschutz und Energiewende. Diese hochriskante Technik würde Kohlekraftwerke noch ineffizienter, unflexibler und teurer machen.

Herr Brunsmeier, teilen Sie diese Einschätzung? Ich freue mich über jedes Kohlekraftwerk, das nicht ans Netz geht. Kohlekraftwerke sind Auslaufmodelle und das aus zwei Gründen: Erstens sind sie die CO2-intensivsten Kraftwerke und heizen den Klimawandel weiter an. Zweitens passen sie als unflexible Grundlastkraftwerke strukturell nicht zu unserer Energieversorgung mit einem rasant wachsenden Anteil an erneuerbaren Energien. Zu deren Ausgleich Klaus Brunsmeier

24

Streitfragen 03|2012 Die Zukunft des Energiemarktes

Duin Bundestag und Bundesrat haben das CCS-Gesetz im Sommer verabschiedet. Für Nordrhein-Westfalen ist die Option einer Abscheidung von CO2-Emissionen und deren Transport oder Speicherung durchaus denkbar. Eine wichtige Rolle spielen die Preise für die CO2-Zertifikate, die ab 2013 im Rahmen des europaweiten Emissionshandels von den Anlagenbetreibern erworben werden müssen. Eine CO2-Abscheidung macht nur Sinn, wenn ihr der Emissionshandel aus wirtschaftlichen Gründen nicht vorgezogen wird. Grundsätzlich gilt: Die Kohleverstromung in hochmodernen und effizienten Anlagen muss zukunftsfähig bleiben.


Garrelt Duin

Klaus Brunsmeier

ist Wirtschaftsminister des Landes NordrheinWestfalen. Vor seinem Wechsel nach Düsseldorf war er wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

ist stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Mit mehr als 460 000 Mitgliedern und Unterstützern ist der BUND der größte Umweltverband Deutschlands.

Welches Potenzial sehen Sie für die technische Verbesserung von Kohlekraftwerken? Wie weit können Effizienz und Flexibilität noch gesteigert werden?

Die Deutsche Energie-Agentur dena hat gerade vorgerechnet, dass noch im Jahr 2050 konventionelle Kraftwerke in großem Umfang benötigt werden. Herr Brunsmeier, wie sehen Sie das?

Brunsmeier Die Wunschvorstellungen der Konzerne und die Einschätzungen unabhängiger Experten gehen da naturgemäß auseinander. Klar ist, dass Kohlekraftwerke in Bezug auf Anfahrtszeiten und Mindestlast nicht die Flexibilität anderer Kraftwerks­ typen erreichen können. Und: Selbst eine neue Anlage wie das jüngst in Betrieb genommene RWE-Braunkohlekraftwerk in Grevenbroich erreicht nur einen Wirkungsgrad von 43 Prozent und bläst jährlich 16 Millionen Tonnen CO2 in die Luft. Duin Moderne Kohlekraftwerke stehen bereits jetzt im Einklang mit den langfristigen Zielen einer sicheren, ökologischen und wirtschaftlichen Energieversorgung. Neue Steinkohlekraftwerke weisen bereits 45 Prozent Wirkungsgrad auf. Technische Verbesserungen und die damit verbundene Steigerung von Effi­ zienz und Flexibilität sind auch weiterhin möglich. Daneben ist auch der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung für die Effizienzsteigerung unverzichtbar.

Die öffentliche Diskussion kann man so interpretieren, dass nach der Atomkraft jetzt die Braun- und Steinkohle grundsätzlich in Frage gestellt wird. Bekommen wir in ein paar Jahren ein Kohle-Ausstiegs-Gesetz? Duin Rund ein Drittel des in Deutschland verbrauchten Stroms wird in Nordrhein-Westfalen erzeugt und zwar derzeit zu 75 Prozent in Kohlekraftwerken. Die nordrhein-westfälischen Kohlekraftwerke machen die Energiewende überhaupt erst möglich. Wir brauchen fossile Kraftwerkskapazitäten als Back-up, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Ein Kohle-AusstiegsGesetz wird es in den nächsten Jahren nicht geben.

Der Anteil des Kohlestroms an der Energieversorgung wird bei einem stetig steigenden Anteil der Erneuerbaren aus technischen und wirtschaftlichen Gründen immer weiter abnehmen. Es ist aber die Frage, ob er schnell genug abnimmt, so dass die notwendigen CO2-Reduktionen erreicht werden. Auf den Emissionshandel kann man dafür nach heutigem Stand wohl nicht bauen. Es muss für die Kohleverstromung ein Klima-kompatibles Ausstiegsszenario geben. Brunsmeier

Brunsmeier Die dena-Studie wurde von RWE in Auftrag gegeben, insofern überrascht diese Aussage nicht. Seriöse Studien sagen da etwas anderes. Klar ist, dass im Zuge der Energiewende der klassische Grundlastbedarf immer weiter abnimmt und von einem erneuerbaren Energiesystem abgelöst wird, in dem es vor allem auf Flexibilität ankommt. Kraftwerke sind dabei nur ein Baustein, weitere sind zum Beispiel Energieeffizienz und Netzausbau, Lastmanagement oder perspektivisch die Speicherung. Es muss jetzt darum gehen, das erneuerbare Energiesystem intelligent und effizient zu entwickeln – und sicherlich nicht darum, der Kohlewirtschaft eine auskömmliche Marge zu erhalten.

Der Neubau von fossilen Kraftwerken wird derzeit oft als nicht rentabel bezeichnet. Brauchen wir Kapazitätsmärkte, damit rechtzeitig genügend neue Kraftwerke gebaut werden? Duin Wir brauchen nicht per se Kapazitätsmärkte! Der Begriff wird ja geradezu inflationär benutzt und zum Allheilmittel stilisiert. Ergebnisoffenes Denken sieht aber anders aus. Was wir in jedem Fall brauchen, ist eine umfassende Reform des aktuellen Strommarktdesigns. Ein solcher zukunftsfähiger Markt muss die erneuerbaren Energien in die Systemverantwortung nehmen und auf Systemstabilität ausgerichtet sein. Die auf absehbare Zeit noch dringend benötigten konventionellen Back-up-Lösungen müssen daher ebenfalls integraler Bestandteil eines solchen von Grund auf reformierten Gesamtsystems werden. Wie gesagt, kann das einen Kapazitätsmarkt beinhalten, muss es aber nicht. Vorfestlegungen sind nicht zielführend.

Was müsste eigentlich passieren, um das Image des Energieträgers Kohle zu verbessern? Unter welchen Umständen könnte sich der BUND mit neuen Kohlekraftwerken anfreunden? Brunsmeier Der BUND könnte sich unter keinen Umständen mit neuen Kohlekraftwerken anfreunden. Für den Klimaschutz und für den Erfolg der Energiewende werden wir uns weiter dafür einsetzen, dass die Kohleverstromung bald Geschichte ist.

Die Zukunft des Energiemarktes Streitfragen 03|2012

25


26

Streitfragen 03|2012 Die Zukunft des Energiemarktes


Wettbewerb auf dem Energiemarkt – eine Zwischenbilanz

Die Liberalisierung hat das Geschäft der Stadtwerke und anderer Versorger grundlegend verändert und dem Verbraucher neue Entscheidungsspielräume eröffnet. Kartellamts-Chef Andreas Mundt und Michael G. Feist, Stadtwerke Hannover, diskutieren die Zwischenbilanz.

Die Zukunft des Energiemarktes Streitfragen 03|2012

27


Herr Feist, als Leiter eines der bundesweit größten Stadtwerke erleben Sie die Veränderungen auf dem Gasmarkt Tag für Tag in der Praxis. Wie weit ist der Wettbewerb heute entwickelt? Aus meiner Sicht haben wir vollständigen Wettbewerb. Da reicht mir ein Blick auf den Markt: In Deutschland sind rund 100 Versorger aktiv, eine Million Kunden haben im vergangenen Jahr den Anbieter gewechselt. Die Anzahl der Marktgebiete ist von 15 auf zwei gesunken. Und wir sehen enorme Preisunterschiede, für den durchschnittlichen Haushaltskunden bis zu 400 Euro im Jahr. Für mich ist es längst Teil meiner täglichen Arbeit, zu fragen, wie wir uns in diesem Wettbewerb am besten positionieren können. Michael G. Feist

Herr Mundt, dann ist ja offenbar alles in Ordnung auf dem Gasmarkt. Lehnen Sie sich jetzt entspannt zurück? Andreas Mundt Wir sind immer entspannt, aber wir lehnen uns nie zurück. Tatsächlich ist enorm viel passiert auf den Gasmärkten. Wir haben international ein höheres Angebot, etwa aufgrund der Erschließung von Schiefergas-Vorkommen und durch neue Transportleitungen. Auch auf den nachgelagerten Marktstufen für die Belieferung von regionalen Weiterverteilern oder großen Industriekunden hat sich einiges entwickelt. Auf der Endkundenstufe ist die Wechselquote gestiegen, meiner Meinung nach ist sie aber noch zu niedrig. Da herrscht eine gewisse Trägheit bei den Kunden.

Wie bedeutsam ist die Wechselbereitschaft der Kunden als Indiz für funktionierenden Wettbewerb? Spricht es nicht eher für intakte Kundenbindung, wenn ein Haushalt bei seinem Stadtwerk bleibt? Mundt Das entscheidende Merkmal für uns ist, dass das Angebot und der Preis im Wettbewerb zustande kommen. Wettbewerb entsteht erst, wenn der Kunde die Auswahl hat und diese auch wahrnimmt, indem er wechselt. Die Wechselquote kann man also sehr wohl als Indiz betrachten.

sorger, wechseln aber in Sonderverträge mit besseren individuellen Produkt- und Preismerkmalen. In Hannover haben wir jetzt ein gutes Drittel der Kunden in solchen Sonderverträgen jenseits der Grundversorgung. Ich glaube, dass für den Kunden neben dem Preis auch der Service ein wesentlicher Faktor ist. Die etablierten Versorger haben meistens einen sehr guten Service, beispielsweise sind sie in der Regel als Einzige mit Kundencentern direkt vor Ort präsent. Herr Mundt, nach Ansicht des Bundeskartellamts haben mehr als 20 Prozent der Stadtwerke in kommunaler Trägerschaft versucht, durch überhöhte Konzessionsabgaben Wettbewerber am Markteintritt zu hindern. Wie haben die Unternehmen auf Ihre Beanstandungen reagiert? Mundt Die Branche hat hier weitgehend mit uns kooperiert. Viele Unternehmen haben prompt reagiert und dieses Verhalten abgestellt. Nur in einem Fall gab es eine gerichtliche Auseinandersetzung. Da haben wir vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf gewonnen. Wir sind guten Mutes, dass uns auch der Bundesgerichtshof in letzter Instanz bestätigt. Denn in meinen Augen war das ein relativ offensichtlicher Missbrauch. Feist Für Stadtwerke ist es von substantieller Bedeutung Kundenvertrauen zu erhalten. Vermutlich haben deshalb manche das Risiko gescheut, ein Gerichtsverfahren um Konzessionsabgaben zu verlieren und dann in den Augen der Kunden wegen unkorrekten Verhaltens abgestraft zu werden. Für die meisten Versorger ist die Konzessionsabgabe ein durchlaufender Posten. Wettbewerbsrelevant ist sie aus meiner Sicht in keinem Fall, schon wegen der begrenzten finanziellen Dimensionen im Vergleich zu den aktuellen Preisabständen von Gas-Lieferangeboten im Markt. Wo wir noch Heizgas-Konzessionsabgabe haben, liegt die Konzessionsabgabe in der Größenordnung von ca. 80 Euro p.a. für den typischen Haushalt. Bei den aktuellen Preisunterschieden im Markt von bis zu ca. 400 Euro p.a. ist unabhängig von der Abgabe genug Raum, den Wettbewerb über Preisdifferenzierung zu führen.

Ist die Konzessionsabgabe noch zeitgemäß? Herr Feist, Herr Mundt sprach gerade von einer gewissen Trägheit der Kunden. Registriert Ihr Unternehmen diese Immobilität? Feist Wir fangen langsam an, das Verhalten verschiedener Kundengruppe „lesen“ zu können. Am einen Ende haben wir machmal Kunden, für die der Preis nachrangig ist. Auf der anderen Seite finden wir viele Kunden, die die wettbewerblichen Aktivitäten im Energiemarkt sehr eng verfolgen und Wechselsangeboten aufgeschlossen sind. Und in der Mitte haben wir Kunden, die sagen: Wir bleiben beim bisherigen Ver-

28

Streitfragen 03|2012 Die Zukunft des Energiemarktes

Mundt Die Konzessionsabgabe stammt aus einer Zeit, als wir noch über den Wettbewerb um den Markt diskutiert haben und nicht über den Wettbewerb auf dem Markt. Es gibt Abgaben, deren Sinn sich erschließt, und es gibt Abgaben, deren Sinn man mit Fug und Recht hinterfragen kann. Die Konzessionsabgabe würde ich heute eher der zweiten Gruppe zuordnen. Im Moment müssten wir eigentlich darüber nachdenken, wie wir die Energiepreise senken können. Stattdessen verschaffen wir über die Konzessionsabgabe zwar dem kommunalen Säckel einen gewissen Ausgleich, machen Energie aber teurer.


Feist Man muss sehen, wofür die Abgabe steht. Unter der Konzession haben wir als Stadtwerk das Recht, Leitungen zu verlegen, unsere Infrastruktur zu erweitern und anzupassen. Da greifen wir relativ tief in die Struktur der Städte ein. Da habe ich Verständnis für einen Konzessionsgeber der sagt: Das ist nicht umsonst. Für uns als Versorger ist das aber eine von vielen Regulierungen. Diese gesetzlichen Auflagen müssen wir so nehmen, wie sie sind.

Herr Mundt hat gerade die Energiepreise angesprochen. Derzeit wird unter dem Schlagwort Sozialtarif diskutiert, wie man die Strom- und Gaspreise für Haushalte mit niedrigem Einkommen senken kann. Was halten Sie von solchen Sondertarifen? Mundt Die Diskussion halte ich ordnungspolitisch für außerordentlich gefährlich, weil sie auf viele andere Bereiche übertragbar ist. Sie greift auch zu kurz, denn hohe Energiepreise treffen nicht nur die Haushalte, sondern auch die Unternehmen und zwar

Andreas Mundt

ist Präsident des Bundeskartellamts. Die Behörde hat im April 2012 einen Bericht über Gaskonzessionen und die Auswirkungen von Konzessionsabgaben auf den Wettbewerb veröffentlicht.

nicht nur die energieintensiven. Sozialtarife würden außerdem eine endlose Folgediskussion auslösen. Soweit ein Bedarf an einer Stärkung der sozialen Sicherung konstatiert wird, sind direkte Preiseingriffe, verbunden mit neuer Bürokratie, also wieder neuen Kosten, klar weniger geeignet als die traditionellen Mittel der Sozialpolitik. Aus unserer Praxis kann ich die Diskussion kaum nachvollziehen. Wir verzeichnen keine Zunahme der Zahlungsausfälle. Cirka 90 Prozent der Kunden, die Probleme mit Energiekosten haben, hätten Anspruch auf staatliche Hilfe beim Bezahlen Ihrer Rechnung. Sie brauchen Unterstützung in Form von Beratung auf dem Weg zu den staatlichen Stellen, allein finden sie ihn nicht. Grundsätzlich ist Sozialpolitik meiner Meinung nach eine Aufgabe der öffentlichen Hände. Wir als Versorger sind nicht die Fachleute für sozialpolitische Aktivitäten, genauso, wie soziale Hilfsinstitutionen wohl kaum die Energieversorgung übernehmen könnten. Da sollte jeder das machen, was er am besten kann. Feist

Michael G. Feist

ist Vizepräsident des BDEW und Vorsitzender des Vorstands der Stadtwerke Hannover AG. Mit rund 2 500 Beschäftigten ist die Gesellschaft eines der großen kommunalen Unternehmen auf dem deutschen Energiemarkt.

Die Zukunft des Energiemarktes Streitfragen 03|2012

29


Josef Hasler

ist Vorstandsvorsitzender der N-ERGIE Aktiengesellschaft, Nürnberg. Mit 2 500 Beschäftigten und rund 2,5 Milliarden Euro Umsatz zählt die Gesellschaft zu den zehn größten Anbietern auf dem deutschen Strommarkt. 30


Sparlampe statt Sozialtarif

Die Nürnberger N-ERGIE Aktiengesellschaft engagiert sich seit Jahren in der Energieberatung für Geringverdiener. Unterstützung beim sparsamen Umgang mit Strom und Heizung hält Josef Hasler denn auch für den besten Weg, Einkommensschwache vor „Energiearmut“ zu schützen. Herr Hasler, Verbraucherschützer und Sozialverbände verzeichnen als Folge der steigenden Strompreise und Heizkosten immer häufiger sogenannte Energiearmut. Wer davon betroffen ist, muss sich unter Umständen zwischen Essen und Heizen entscheiden. Teilen Sie die Einschätzung, dass die Zahl der Betroffenen wächst? JOSEF HASLER Dies ist schwer zu sagen. Wenn man als Indikator die Anzahl der Sperrungen annimmt, so stellen wir bisher kein Wachstum fest. Wir müssen jährlich 5 000 bis 6 000 Kunden Strom oder Gas abstellen, die Zahl ist relativ konstant. Dazu muss man aber wissen, dass nicht jeder, der seine Rechnung nicht bezahlt, in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, und umgekehrt zahlen auch viele Kunden mit sehr geringem Einkommen ihre Energierechnungen zuverlässig.

Was können Versorgungsunternehmen tun, um Kunden vor Energiearmut zu bewahren?

HASLER Ich glaube, das muss jedes Unternehmen individuell entscheiden, da spielen die örtlichen Gegebenheiten eine zentrale Rolle. Beispielsweise kommt es darauf an, ob es in einer wirtschaftlich starken Region tätig ist oder in einem Gebiet mit hoher Arbeitslosenquote. Sinnvoll sind sicherlich Kooperationen mit der Kommune, sei es mit dem Sozialamt oder mit der Umweltbehörde.

Was tut N-ERGIE? HASLER Wir in Nürnberg arbeiten seit Jahren eng mit dem Sozialamt zusammen. Beispielsweise ermöglichen wir es Hilfeempfängern, auch ohne eigene Bankverbindung unsere günstigen Tarife zu nutzen. Normalerweise ist dafür die Bezahlung per Lastschriftverfahren Voraussetzung. Wenn diese Kunden aber zustimmen, dass das Sozialamt oder das Jobcenter das Stromgeld direkt an uns überweist, können sie unsere kostengünstigen Produkte nutzen. Zudem unterstützen wir das Sozialamt bei seinem Energiesparprojekt mit jährlich 50 000 Euro.

Die Zukunft des Energiemarktes Streitfragen 03|2012

31


Die steigenden Energiekosten treffen Menschen mit geringem Einkommen besonders hart: Für den Kauf sparsamer Elektrogeräte fehlt ihnen oft das Geld, der Wechsel in einen günstigeren Tarif scheitert bei vielen an der fehlenden Bankverbindung. Wer arbeitslos ist, verbringt meist mehr Zeit zu Hause und verbraucht dort schon aus diesem Grund vergleichsweise viel Energie. Für Bezieher von Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) werden zwar die angemessenen Heizkosten übernommen, Strom müssen sie aber von ihrem Regelsatz bezahlen. Rentner sowie Erwerbstätige mit niedrigem Einkommen erhalten derzeit keine Kompensation für steigende Energiekosten. Verbraucherschützer haben hochgerechnet, dass bundesweit jährlich rund bis zu 600 000 Haushalten aufgrund offener Rechnungen der Strom abgeklemmt wird. Bis zu 15 Prozent der Bevölkerung hätten Probleme, ihre Energierechnungen zu bezahlen.

Wofür wird dieses Geld eingesetzt? HASLER Kunden mit niedrigem Einkommen lassen einen Energieberater in die Wohnung kommen. Der schaut nach, welche elektrischen Geräte vorhanden sind, wie sie genutzt werden und wie zum Beispiel geheizt wird. Häufig wird dabei festgestellt, dass die Geräte relativ alt sind, viel Strom verbrauchen und zudem völlig unökonomisch genutzt werden. Vielen Kunden ist gar nicht bewusst, dass sie durch ihr Verhalten Geld sparen können. Nach Möglichkeit helfen wir Geringverdienern außerdem mit unserem CO2Minderungsprogramm. Das statten wir für all unsere Kunden mit jährlich 800 000 Euro aus, um zum Beispiel klimaschädliche Geräte aus den Haushalten durch hocheffiziente zu ersetzen. So wird auch einmal der Kauf eines neuen Kühlschranks ermöglicht.

Höhere Preise ab Januar

Wenn die Strompreise im kommenden Jahr durch die absehbare Anhebung der EEG-Umlage erneut steigen, dürfte sich die Lage für Geringverdiener weiter verschärfen. Bundesumweltminister Peter Altmaier plädiert deshalb in seinem im August vorgestellten Zehn-Punkte-Plan für eine kostenlose Energieberatung insbesondere für Einkommensschwache. Durch Sparen lasse sich der Stromverbrauch um mehr als 30 Prozent senken, das könne Preissteigerungen ausgleichen. Der Sozialverband VdK verlangt dagegen gesetzlich festgelegte und für alle Stromerzeuger verbindliche Sozialtarife. Ein weiterer Vorschlag lautet, für jeden Haushalt ein Grundkontingent an Gas und Strom zum Vorzugspreis bereitzustellen. In zahlreichen Kommunen gibt es bereits Initiativen, die vor allem Haushalten mit geringem Einkommen beim Energiesparen helfen. Beispielsweise unterstützt der Nürnberger Versorger N-ERGIE seit 2008 ein Projekt des städtischen Sozialamts: Hilfeempfänger und Geringverdiener können zu Hause eine kostenlose Energieberatung erhalten. Bisher haben mehr als 1 500 Haushalte diese Chance genutzt und ihre jährlichen Ausgaben für Energie im Schnitt um 250 Euro gedrückt. Angesichts dieses Sparpotenzials lehnt N-ERGIE-Chef Josef Hasler Strompreis-Rabatte für Einkommensschwache ab: Sozialtarife führen seiner Meinung nach zu einer Stigmatisierung der Betroffenen und bieten keinen Anreiz, Energie effizient zu nutzen.

32

Streitfragen 03|2012 Die Zukunft des Energiemarktes

Wie groß ist das Sparpotenzial für den einzelnen Haushalt? HASLER Durchschnittlich sinken die jährlichen Energieausgaben nach der Beratung um rund 20 Prozent. Dies macht bei den Stromkosten 120 Euro jährlich aus und bei den Heizungskosten 130 Euro pro Jahr. Oft reichen ganz einfache Maßnahmen, wie richtiges Lüften der Wohnung oder das Enteisen und richtige Einstellen des Kühlschranks.

Die Deutsche Energieagentur dena hat das Nürnberger Modell als vorbildlich gelobt und ausgezeichnet. Lässt sich das bundesweit übernehmen? Umweltminister Altmaier will ja allen Einkommensschwachen eine kostenlose Energieberatung ermöglichen.


HASLER Das Nürnberger Modell ist deshalb so erfolgreich, weil die Teilnahme freiwillig ist, pro Haushalt mehrere Beratungsgespräche stattfinden und die Berater nicht nur fachlich, sondern auch interkulturell sehr gut ausgebildet sind. Eine bundesweite Übertragung des Nürnberger Modells wirft deshalb die Frage der Finanzierung auf. Da die Strompreissteigerungen der vergangenen Jahre zum größten Teil durch staatliche Eingriffe bedingt sind, müsste die Beratung auch der Staat finanzieren. Denn letztlich sind wir Versorger Wirtschaftsunternehmen, die Rendite erzielen müssen. Und schließlich; Wo sollen die nötigen Energieberater so schnell herkommen?

Wenn man nicht allen Geringverdienern schnell durch kostenlose Beratung beim Energiesparen helfen kann, könnten sie durch günstigere Preise, sogenannte Sozialtarife, entlastet werden. Was halten Sie von solchen Rabatten?

gelesen, dass jemand das bis ins Detail durchdekliniert hätte. In meinen Augen bleiben da viel zu viele wesentliche Fragen offen. Wer soll den günstigen Tarif bekommen, wer entscheidet das? Was passiert mit dem Kunden, dessen Verdienst um einen Euro über den Leistungen von Hartz IV liegt? Aber Sozialtarife sind für mich auch prinzipiell der falsche Ansatz. Denn erstens wird damit das Thema Energieeffizienz völlig von der Tagesordnung genommen. Zweitens erfolgt eine Stigmatisierung der Empfänger. Ich weiß nicht, ob das für den gesellschaftlichen Zusammenhalt förderlich wäre. Deshalb ist das von uns unterstützte Nürnberger Modell, das Kunden mit geringem Einkommen aufzeigt, wie sie Energie und damit Geld sparen können, das aus meiner Sicht nachhaltigere Vorgehen, weil es für alle Beteiligten Vorteile bringt.

Bleiben wir bei N-ERGIE. Ein Sozialtarif ohne staatliche Kompensation würde Ihre Einnahmen drücken. Die freiwillige Gratis-Beratung für Einkommensschwache kostet aber auch Geld und reduziert ihren Gewinn. Welche kaufmännische Logik steht dahinter? HASLER Der direkte finanzielle Effekt ist kaum exakt zu beziffern. Natürlich sparen wir Mahnkosten und vermeiden Forderungsausfälle. Kostenlose Beratung ist eventuell auch ein Wettbewerbsvorteil, wenn die Kunden verstehen: Der Versorger nimmt mich ernst und hilft mir, zu sparen. Sicherlich stärkt unser Engagement auch das Image des Unternehmens. Es bleibt aber ein freiwilliges Angebot, das wir uns derzeit noch leisten können. Sollte der Markt schwieriger werden und die Rendite sinken, müssen auch solche wichtigen Projekte auf den Prüfstand gestellt werden.

HASLER Wenn über Sozialtarife diskutiert wird, bleibt es meistens bei plakativen Äußerungen. Ich habe noch nie gehört oder Die Zukunft des Energiemarktes Streitfragen 03|2012

33


Eine Frage der Vernetzung

34

Streitfragen 03|2012 Fokus Infrastruktur


Ulrich Kelber

(rechts ) ist seit 2005 stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Von 2009 bis 2011 war er Mitglied des Bundesvorstands der Partei. Dr. Hans-Jürgen Brick

(links) ist Mitglied der Geschäftsleitung der Amprion GmbH, Dortmund. Das Unternehmen betreibt das längste Hochspannungsnetz in Deutschland mit insgesamt 11 ooo Kilometern Länge.

Alle wollen erneuerbare Energie, aber unter welchen Bedingungen? Ein Streitgespräch über zuverlässige Stromversorgung in Deutschland. Mit dem ersten Netzentwicklungsplan (NEP) 2012 hat die Bundesregierung einen neuen Weg der Bürgerbeteiligung beschritten. Hat sich das bis­ herige Verfahren gelohnt? Ulrich Kelber Wir brauchen einen Netzentwicklungsplan, sowohl vom Verfahren her als auch unter dem Gesichtspunkt, dass das Netz modernisiert und erweitert werden muss. Was ich beim jetzigen NEP kritisiere, ist, dass weder die Annahmen noch die Ausführungen an einem volkswirtschaftlichen Optimum orientiert sind. Dr. Hans-Jürgen Brick Der NEP ist ein Beitrag zu einem notwendigen energiewirtschaftlichen Gesamtkonzept, um die Ausbauziele für die erneuerbaren Energien und ihre Integration in das Stromnetz zu erreichen. Dabei spielt die Akzeptanz selbstverständlich eine wichtige Rolle. Wir haben schon bisher versucht, die Bürger umfassend zu beteiligen.

Herr Kelber, Sie kritisieren am NEP, er sei viel zu groß dimensioniert?

Fokus Infrastruktur Streitfragen 03|2012

35


Kelber Mein Vorwurf geht nicht in erster Linie an die Netzbetreiber, sondern an die, die die Vorgaben gemacht haben: zu wenig erneuerbare Energien, zu viel Strom aus fossilen Kraftwerken, zu viel Offshore-, zu wenig Onshore-Wind vor allem in Süd- und Südwestdeutschland. Zudem lautete eine der Vorgaben, dass das Netz so ausgelegt sein muss, dass bei voller Last von Wind und Sonne immer noch eine sichere Versorgung gewährleistet sein muss. Das ist so, als ob man eine Autobahn 20-spurig ausbauen würde, nur damit auch am ersten Ferienwochenende im Sommer keiner im Stau steht. Brick

Beim Netzausbau haben wir im Rahmen unserer Marktrolle das volkswirtschaftliche Optimum im Auge. Wir befinden uns aber in einer Zwickmühle. Die Förderung der erneuerbaren Energien ist entschieden worden ohne Beachtung des tatsächlichen regionalen Bedarfs. Wir müssen jetzt durch massiven Netzausbau den Windstrom im Norden und den Solarstrom im Süden einsammeln und durch große neue Übertragungsstrecken dazwischen hin und her transportieren, wo der Strom gerade eben gebraucht wird. Als Grundsatz gilt dabei: nur so viel Netzausbau, wie für eine sichere Versorgung in Deutschland notwendig. Gilt das auch für den Transport von den geplanten OffshoreWindparks in die Verbrauchszentren? Beim Aufbau dieser Windparks hakt es ja mit der Netzanbindung gewaltig, andererseits sollen sie nach dem Willen der Bundesregierung eine ganz wichtige Rolle bei der künftigen Elektrizitätsversorgung spielen. Brick Wir betrachten die Entwicklung im Offshore-Bereich mit Sorge. Hier müssen große Finanzvolumina bewegt werden. Und das geht nur bei hoher Planungssicherheit, etwa bei den Haftungsbedingungen oder der Frage, wie viel Offshore-Parks denn nun kommen und wann. Kelber Ich plädiere dafür, die Offshore-Windenergie etwas langsamer aufwachsen zu lassen, um unter anderem auch die Kostenvorteile, die sich dann aus einer anderen Lernkurve ergeben, zu nutzen. Man sollte in der Anfangsphase mehr an Land machen. Das entlastet uns auch bei den Netzen.

Die Anpassung des Netzes an die Bedürfnisse einer Stromerzeugung, die weitgehend auf der Nutzung erneuerbarer Energien aufbaut, kostet viel Geld: rund 20 Milliarden Euro für die Übertragungsnetze, mindestens zwölf Milliarden für die Anbindung der Offshore-Windparks und vermutlich weitere 25 Milliarden Euro für die Ertüchtigung des Verteilnetzes. Wie wollen Sie das dem Verbraucher erklären? Brick Wir befinden uns gegenwärtig in einem Spannungsverhältnis zwischen dem notwendigen Netzausbau zur Integration der erneuerbaren Energien und der Anforderung einer bezahlbaren Stromversorgung. Wir sind hier in einer Lernsituation. Wir haben unser Netz bislang auf den geordneten Ausstieg aus der

36

Streitfragen 03|2012 Fokus Infrastruktur

Kernenergie ausgerichtet. Nach den politischen Beschlüssen im vergangenen Jahr müssen wir unseren Netzausbau jetzt massiv beschleunigen. Und das kostet Geld. Die Netzbetreiber haben in den vergangenen Jahren ihren Netzausbau nicht in dem Umfang vorangetrieben, wie es notwendig gewesen wäre, weil sie vor Beginn der Anreizregulierung ihre Rendite erhöhen wollten. Die Investitionen, die sie jetzt vornehmen müssen, sind nicht ungewöhnlich hoch. Sie entsprechen denen in den 70er Jahren. Zudem gibt es eine Reihe von Kosten, die auch ohne die schnellere Integration der Erneuerbaren angefallen wären. Ich nenne sie ‚sowieso-Kosten‘. Der Präsident der Bundesnetzagentur kam in einigen Rechnungen zu dem Ergebnis, dass bis zur Hälfte der jetzt diskutierten Investitionen auch ohne die Erneuerbaren notwendig gewesen wäre. Das, was jetzt ansteht, ist für eine Volkswirtschaft tragbar. Es wird nicht zu einer massiven Erhöhung des Strompreises führen. Kelber

Brick Amprion hat in den letzten Jahren viele hundert Millionen Euro in das Netz investiert. Das sieht man auch an 140 Kilometer neu in Betrieb gegangenen Leitungen. Anschlusssicherheit und sicherer Netzzugang sind für unser Unternehmen – und auch für unsere Kunden – ganz wichtige Kriterien. Daran orientieren wir den Netzausbau und nicht an der Frage, wie wir möglichst viel Netz bauen könnten.

Aus der FDP kam der Vorschlag, die Betreiber von EE-Erzeugungsanlagen sollten sich am Netzausbau finanziell beteiligen. Könnten Sie sich mit diesem Vorschlag anfreunden? Kelber Was mich irritiert, ist, dass derzeit viele energiepolitische Einzelvorschläge gemacht werden, aber das Gesamtsystem nicht gesehen wird. Der Energiemarkt wird sich technisch total verändern, weil verschiedene Systeme hier aufeinanderprallen. Systemstabilität ist ein hoher Wert in einem Industrieland wie Deutschland, in dem die Unternehmen auf eine sichere Energieversorgung angewiesen sind. Brick Neue Abgaben für Erzeuger einzuführen, hieße, die Probleme nur an den Symptomen zu kurieren. Die Ursachen sind die Wertentscheidungen gegen die Kernenergie und für den massiven Ausbau der Erneuerbaren. Diese Wertentscheidungen müssen wir so in das vorhandene System integrieren, dass daraus ein einheitliches tragfähiges System entsteht.

Wie groß ist die Gefahr, dass wir uns mit der Umsetzung von NEP 2012 eine Netzstruktur aufbauen, die in 15, 20 Jahren vielleicht schon wieder veraltet ist, weil der Trend zu dezentraler Erzeugung geht? Kelber Wir können den NEP etwas eindampfen, wenn man mehr auf dezentrale Erzeugung setzt. Aber zu glauben, dass man mit dezentraler Erzeugung alle neuen Leitungen streichen könnte, ist wohl ein Wunschtraum. Wir werden Höchstspannungsund HGÜ-Leitungen benötigen. Man sollte zudem ganz neue Technologien wie Hochtemperaturseile bei den Investitionen berücksichtigen.


» Der Energiemarkt wird sich technisch total verändern, weil verschiedene Systeme aufeinanderprallen.«  » Es gilt: Nur so viel Netzausbau, wie für eine sichere Ver­ sorgung notwendig ist.« Brick Netzplanung und Netzentwicklung waren schon immer ein dynamischer Prozess. Bei der künftigen Ausgestaltung des Netzes wird es deshalb auch darum gehen, zentrale und dezentrale Erzeugung zu kombinieren. Neue Technologien spielen bei unseren Planungen schon jetzt eine wichtige Rolle.

Eine rein dezentrale Struktur ist für Sie eine Illusion? Brick Wir müssen gerade für die deutsche Industrie eine zuverlässige Versorgung gewährleisten. Deshalb wird auch in Zukunft eine Kombination aus zentraler und dezentraler Erzeugung erforderlich sein. Denn Sonne und Wind sind leider nicht immer verfügbar.

Die Übertragungsnetzbetreiber klagen über erhebliche Verzögerungen beim Netzausbau durch Bürgereinsprüche und Genehmigungsbehörden. Brick Wir setzen hier auf frühzeitigen Dialog mit der örtlichen Bevölkerung. Wir legen unsere Planungen transparent vor und zeigen auch Veränderungsbereitschaft. Das war bislang sehr erfolgreich. Unser Netzausbau ist weitgehend im Zeitplan.

Unternehmen und Politiker klagen immer wieder über erhebliche Verzögerungen beim Netzausbau. Was ist dran? Kelber Und sie kommen dann mit der falschen Schlussfolgerung, dass Bürgerrechte eingeschränkt und Naturschutzbestimmungen beschnitten werden müssen. Meine Erfahrung ist, dass oftmals die Genehmigungsbehörden personell gar nicht mit den

notwendigen Kapazitäten ausgestattet sind, um einen schnellen Projektverlauf zu ermöglichen. Weder Bürgerrechte noch Naturschutz sind wirkliche Hindernisse. Brick Wir haben es mit Genehmigungsbehörden zu tun, die hochprofessionell arbeiten und auch wissen, dass der Netzausbau nicht auf die lange Bank geschoben werden darf. Sicher würde hier etwas mehr Personal helfen. Von einer Einschränkung der Bürgerrechte und des Umweltschutzes halte ich im Übrigen nichts, denn wir wollen ja gerade mehr Akzeptanz für den Netzausbau. Da muss man dann schon konsequent sein. Kelber Warum gibt es im NEP eigentlich keine Priorisierung der Projekte? Brick Das war nicht Aufgabe des Netzentwicklungsplans. Aber ich bin mir sicher, dass es auf dem Weg zum Bundesbedarfsplan eine Priorisierung geben wird. Es gibt Projekte, die müssten wir besser heute als morgen starten.

… ein Gesetz, das ja das Endergebnis des NEP sein wird. Kelber Ich bin mir sicher, dass es in dieser Richtung auch noch Druck geben wird. Denn wir müssen im Interesse der Bürger auch begründen, warum die Bestimmungen im Bedarfsplan der beste Weg für eine sichere Versorgung auch in Zukunft sind. Auch die dezentrale Erzeugung darf nicht vernachlässigt werden. Denn sonst besteht die Gefahr, dass Landräte, kommunale Entscheider und Bürger den Netzausbau erschweren, weil sie dann zu Recht vermuten, damit würden nur die Interessen der großen Erzeuger befriedigt, während die kleinen, in den Kommunen ansässigen Erzeuger in die Röhre schauen.

Fokus Infrastruktur Streitfragen 03|2012

37


Energieriese im Norden

Norwegen ist – hinter Russland – der zweitgrößte Energielieferant Deutschlands. Neben den Gas- und Ölquellen des Landes könnten künftig auch die Wasserkraftwerke eine wichtige Rolle für die Versorgung der Bundesrepublik spielen. 2018 soll ein neues Seekabel zwischen den beiden Ländern in Betrieb gehen. Überschüssiger Windstrom aus der Bundesrepublik ließe sich dann in norwegischen Pumpspeicherkraftwerken zwischenlagern. Wasserkraftwerke decken derzeit rund 99 Prozent des Strombedarfs der 4,9 Millionen Norweger.

Norwegen – Reservoir für Ökostrom

Umweltfreundlich erzeugter Strom aus norwegischen Wasserkraftwerken kann die deutsche Energiewende unterstützen. Im Alleingang werden die Skandinavier die deutschen Probleme aber nicht lösen, warnt Ivar Vigdenes vom Öl- und Energieministerium in Oslo.


Herr Vigdenes, wie ist Norwegen heute mit den europäischen und insbesondere mit dem deutschen Markt verbunden? Ivar Vigdenes Grenzüberschreitende Verbindungen spielen eine wichtige Rolle für den skandinavischen Strommarkt. Vor 50 Jahren ging die erste derartige Leitung in Betrieb, sie verband uns mit Schweden. Heute haben wir Netzverbindungen auch nach Dänemark, Finnland, Russland und in die Niederlande. Dänemark, Schweden und die Niederlande sind wiederum mit dem deutschen Stromnetz verbunden.

Ivar Vigdenes

ist politischer Berater im norwegischen Öl- und Energie­ ministerium. Die zentrale Aufgabe der Behörde lautet, eine koordinierte und integrierte Energiepolitik für das Land zu entwickeln und umzusetzen.

Norwegen kann große Mengen von Strom umweltfreundlich durch Wasserkraft erzeugen. Wozu brauchen Sie eigentlich die grenzüberschreitenden Anbindungen?

umweltfreundlichen Akku für Europa nutzen. Sind die bestehenden Anlagen und Leitungen in der Lage, die nötigen Energiemengen zu bewegen und zu speichern?

Vigdenes Für unser Energiesystem sind die von Jahr zu Jahr stark schwankenden Niederschlagsmengen charakteristisch. Beispielsweise war der Wasserstand in den Reservoiren 2009 und 2010 niedrig. In regenreichen Jahren haben wir dagegen Wasser im Überfluss. Mit der Niederschlagsmenge schwankt die Kapazität unserer Wasserkraftwerke. Übertragungsleitungen in Regionen mit anders strukturierten Energiesystemen können helfen, die verfügbaren Ressourcen besser auszunutzen, den Strompreis zu stabilisieren und die Versorgungssicherheit zu erhalten. Das sehen inzwischen auch die Gewerkschaften und der norwegische Unternehmerverband so. Und nicht zuletzt lassen sich diese Leitungen profitabel betreiben.

Vigdenes Die Schwankungen der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien müssen ausbalanciert werden – da kann auf Europa eine große Herausforderung zukommen. Norwegische Wasserkraftwerke können zum Ausgleich beitragen, aber wir verfügen nur über einen Bruchteil der insgesamt nötigen Kapazitäten. Eine Zahl verdeutlicht die Dimensionen: Im Jahr 2020 werden in Deutschland allein für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien voraussichtlich Anlagen mit 97 Gigawatt installierter Leistung stehen. In Norwegen dagegen beträgt die gesamte installierte Leistung heute etwa 29 Gigawatt, die gesamte Kapazität der grenzüberschreitenden Leitungen liegt bei 5,4 Gigawatt.

Wie wird der grenzüberschreitende Stromhandel von Norwegen aus abgewickelt? Mit Nord Pool Spot verfügen wir über einen organisierten Marktplatz für den Handel innerhalb Skandinaviens. Der Stromhandel in den skandinavischen Ländern läuft zu 75 Prozent über diese Börse. Außerdem managt sie den Austausch mit dem übrigen Europa. Durch die NorNed-Verbindung mit den Niederlanden, aber auch durch die Verbindungen zwischen Nord Pool und anderen Strombörsen wird Norwegen mehr und mehr Teil des integrierten europäischen Strommarkts. Vigdenes

Welche Bedeutung hat die Energiewende in Deutschland für Norwegen, den zweitgrößten Energielieferanten der Bundesrepublik? Wie werden sich die norwegischen Strom-, Öl- und Gasexporte entwickeln? Mit Deutschland verbindet uns vor allem das Erdgas. Norwegen liefert seit mehr als 30 Jahren Gas nach Deutschland. 2011 waren es mehr als 25 Milliarden Kubikmeter, rund ein Drittel des deutschen Verbrauchs. Die Strompreise in Norwegen werden meines Erachtens durch die neuen Verbindungen nicht wesentlich steigen. Dafür sehe ich angesichts des derzeitigen Tempos beim Bau neuer Leitungen und der aktuellen Pläne für den Ausbau der erneuerbaren Energien keinen Grund. Vigdenes

Manche Experten sagen den norwegischen Pumpspeicherkraftwerken eine große Zukunft voraus und wollen sie als

Wie schätzen Sie das Potenzial für einen Ausbau norwegischer Anlagen und Netze ein? Vigdenes Technisch gesehen ist das Potenzial für neue Anlagen groß. Aber wenn man die Kosten für Bau und Netzanbindung sowie die Umweltaspekte berücksichtigt, bleibt wenig Spielraum. Ich rechne daher nicht mit einem starken Ausbau unserer Speicherkapazitäten. Und vor dem Bau weiterer Leitungen ins Ausland werden wir die Konsequenzen für unsere eigene Versorgungssicherheit und die auf unserer Seite der Grenze erforderlichen Netzinvestitionen genau prüfen.

Einige werfen Deutschland im Zusammenhang mit der Energiewende und dem Atomausstieg eine Art Energieimperialismus vor. Wie sehen Sie das? Befürchten Sie, dass Norwegen in der Energiepolitik unter ausländischen Druck geraten könnte? Vigdenes Unsere Energiepolitik orientiert sich zuallererst an unseren eigenen Interessen. Das geplante Seekabel zwischen Deutschland und Norwegen bringt für beide Länder Vorteile. Wir stehen in engem Dialog mit deutschen Behörden. Zur Weiterentwicklung unserer Stromnetze hat die norwegische Regierung kürzlich Leitlinien formuliert. Die besagen, dass neue Leitungsprojekte anhand der Gesamtkosten und des gesellschaftlichen Nutzens zu bewerten sind. Außerdem liegt die Zuständigkeit für neue Leitungsprojekte beim Übertragungsnetzbetreiber Statnett. Der Unternehmenszweck dieser Gesellschaft ist klar definiert: Statnett soll Netzinvestitionen tätigen, von denen Norwegen sozio-ökonomisch profitiert.

Fokus Infrastruktur Streitfragen 03|2012

39


» DIE HEUTIGEN TARIFSTRUKTUREN SIND BESTENS GEEIGNET, UM ANREIZE FÜR VERBRAUCHSÄNDERUNGEN ZU GEBEN.« 40

Streitfragen 03|2012 wasserwirtschaft


» Es besteht Verbesserungsbedarf, neue Tarifmodelle sind durchaus angebracht.«

wasserwirtschaft Streitfragen 03|2012

41


Dr. Franz-Josef Schulte

ist Geschäftsführer der RWW RheinischWestfälische Wasserwerksgesellschaft mbH in Mülheim an der Ruhr.

Brauchen wir neue Wassertarifmodelle, um die Investitionen langfristig zu sichern? Wie sollten diese Modelle aussehen? Die heutigen Tarifstrukturen sind zwar bestens geeignet, um Anreize für Verbrauchsänderungen zu geben, wenn dies aber greift, wird die ehedem schon bestehende Deckungslücke schlichtweg größer. Nachhaltigkeit muss auch die Versorgungssysteme einbeziehen. Das gelingt nur mit angepassten Tarifsystemen. Dr. Fr anz-Josef Schulte

Bis zu welcher Höhe sind Grundgebühren oder Grundpreise sinnvoll? Schulte Kommen wir von der Kostenstruktur, wären es eigentlich etwa 80 Prozent für das fixe Entgelt. In unserem Tarifsystem haben wir ein ausgewogenes Verhältnis von 50 Prozent Systempreis und 50 Prozent Mengenpreis geschaffen. Dieses wird nach herrschender Rechtsprechung als angemessen erachtet und bietet einen guten Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Ansprüchen an ein Tarifsystem.

Paul Kröfges Ganz sicher besteht hier Verbesserungsbedarf, neue Tarifmodelle sind durchaus angebracht. Hierbei ist denkbar und akzeptabel, dass der hohe Fixkostenanteil über eine höhere Grundgebühr abgedeckt wird. Dabei darf aber die mengen- und verbrauchsbezogene Komponente nicht marginalisiert werden, der Bezug zwischen Verbrauch und Kosten muss weiter spürbar und sichtbar sein.

Kröfges Die Grundgebühr sollte maximal 50 Prozent der Gesamtkosten der Trinkwasserkosten für den Verbraucher betragen, das ist ein Wert, der nach meiner Einschätzung vermittelbar wäre.

Welche Ziele sollten mit einer Tarifänderung erreicht werden?

Kröfges Wenn es eine Deckelung hierfür gäbe, nein, da für den Verbraucher nachvollziehbar ist, dass die Versorgungsinfrastruktur nicht zum Nulltarif zu haben ist. Wichtig ist aber, wie dies kommuniziert wird. Wenn bei jeder Gelegenheit von den Versorgern verkündet wird, mehr Wasser zu verbrauchen wäre für das System gut, wächst das Misstrauen und es wird angenommen, diese Tarifreform sei nur Mittel zum Zweck, den Verbrauch hochzutreiben.

Kröfges Ressourcenschonung und Förderung umweltfreundlichen Verhaltens, verursachergerechte Kostenzuordnung, Erhaltung, Optimierung und Erneuerung der Infrastruktur. Schulte Die Ziele, die wir uns bei der Einführung des Mülheimer Tarifsystems gesetzt haben, dürften für viele Wasserversorger zutreffen: Kompromiss bei Ressourcenschutz und Systemerhalt, Stabilisierung der Umsatzerlöse trotz rückläufiger Absatzmengen, Annäherung von Tarifstruktur und Kostenstruktur. Außerdem ging es uns um die Einhaltung von Be- und Entlastungsbandbreiten bei der Umstellung und die Umsatzneutralität der Umstellung. Die Verständlichkeit der Instrumente und Maßnahmen und die Wahrung der Kundenzufriedenheit waren weitere Ziele.

42

Paul Kröfges

ist seit 2007 Landesvorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) in NRW.

Streitfragen 03|2012 wasserwirtschaft

Widersprechen hohe Grundpreise und -gebühren nicht dem Grundsatz des sorgsamen Umgangs mit der Ressource Wasser?

Schulte Nein, denn um Ressourcenschutz zu beeinträchtigen, müsste der Mengenpreis im Gegenzug zur Grundpreisanhebung drastisch gesenkt werden. Wir haben unseren Mengenpreis um 25 Prozent gesenkt als Kompensation für die Erhöhung des Systempreises. Wir liegen bei 1,21 Euro brutto je Kubikmeter. Allein in NRW haben über 70 Wasserversorger einen Mengenpreis, der unter unserem Wert liegt. Dort wurde bisher meines Wissens noch nicht der Vorwurf der Wasserverschwendung erhoben.


» Die Grundgebühr müsste eigentlich etwa 80 Prozent ausmachen, um die Kostenstruktur korrekt abzubilden.« » Die Grundgebühr sollte maximal 50 Prozent der gesamten Trinkwasser-kosten für den Verbraucher betragen.« wasserwirtschaft Streitfragen 03|2012

43


Können Tarife nachhaltig sein? Kröfges Tarife selbst nicht, aber ihre Wirkung, wobei der Begriff nachhaltig richtig interpretiert werden muss: Die Tarife müssen in diesem Sinne insgesamt kostendeckend sein und dürfen keine exorbitanten Überschüsse bewirken. Der Grundbedarf an Wasser muss auch für Einkommensschwache bezahlbar bleiben und Wasserverschwendung darf nicht belohnt, sondern muss durch progressive Staffelung der Tarife erschwert werden. In diesem Sinne begrüßen wir, dass die EU-Kommission gegen Deutschland vorgeht, weil hier zu wenig gegen Wasserverschwendung getan wird.

Tarife können dann zur Nachhaltigkeit beitragen, wenn sie sowohl bei der Ressource Wasser als auch beim Versorgungssystem dafür sorgen, dass wir heute nicht auf Kosten zukünftiger Generationen leben. Wer will schon seinen Kindern ein marodes Versorgungssystem hinterlassen? Schulte

Welche Standards sind bei der Einführung neuer Tarifmodelle zu beachten? Schulte Wir haben die Umstellung genutzt, um den Kunden zu vermitteln, dass neben dem Produkt Trinkwasser die Leistung des Versorgers auch in dem Systembetrieb und einer Vorhaltung von Kapazitäten besteht. Die bei neuen Tarifsystemen zu beachtenden Standards unterscheiden sich nicht von den bisherigen. Im Hinblick auf Ausgestaltung und Umstellung sollten sich Versorger aber Leitplanken setzen. Aus Kundensicht sind überdies die Punkte Transparenz, Verständlichkeit, Ausgewogenheit und Verursachungsgerechtigkeit von Bedeutung. Nicht jeder kann als Gewinner aus einer Umstellung hervorgehen, aber wir müssen es für die Verlierer erträglich halten. Darin liegt die Kunst der Umstellung und das sollte Standard werden.

44

Streitfragen 03|2012 wasserwirtschaft

Kröfges Zum Standard gehört unbedingt der Zusammenhang zwischen Wasserver- und Abwasserentsorgung, sozusagen als zwei Seiten der Medaille. Wir lehnen ab, dass angestrebt wird, durch höheren Verbrauch für eine bessere Kanalspülung zu sorgen. Dies soll durch Rückbau, Anpassung und/oder zentrale Spülungen der Kanalisation gelöst werden, die Kosten hierfür werden dann über die Grundgebühr umgelegt.

Können Kundeninteressen, Unternehmensinteressen und Umweltschutz tatsächlich in Einklang gebracht werden? Kröfges Warum nicht? Ökologie ist Langzeitökonomie. Alles, was langfristig die Ressource Wasser und die hiervon abhängigen Lebensräume schützt und sichert, liegt im Interesse aller Akteure. Wir sind aber überzeugt, dass dies dauerhaft nur in einem kommunal oder öffentlich-rechtlich organisierten und kontrollierten Unternehmen gewährleistet werden kann. Privatisierte Betriebe müssen private Rendite gewährleisten und sind daher immer in der Versuchung, die Umweltbelange zu vernachlässigen, von sozialen Belangen ganz abgesehen. Schulte Da besteht kein wirklicher Widerspruch. Im Gegenteil: Es kann eine ökonomisch und ökologisch nachhaltige Lösung nur dann erreicht werden, wenn diese Interessen ausgewogen berücksichtigt werden. Davon profitieren dann wieder alle gleichermaßen: der Kunde, der Versorger und die Umwelt.



Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.