BDEW-Magazin "Streitfragen!" - 04/2013 - kommunale Energiepolitik

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Streitfragen! Die Energie- und Wasserwirtschaft im Dialog | Das Magazin 04|2013

S.12

S.28

S.38

Wo spielt die musik?

Wie wichtig ist das Netz?

Was tun gegen Nitrat?

Christian Haferkamp und Thomas Mahlbacher diskutieren die kommenden Herausforderungen für den Energievertrieb.

Matthias Trunk und Christoph Born über die Frage, welche Aufgaben Stadtwerke selbst übernehmen müssen.

Stefan Wenzel und Johann Hans erläutern ihre Vorschläge zum Schutz des Grundwassers.


Liebe Leserin, Lieber Leser, wenn dieses Magazin erscheint, ist der Mitgliederentscheid der SPD über die Zustimmung zu einer großen Koalition gelaufen. In langen Koalitionsverhandlungen hatten CDU, CSU und SPD unter anderem ihre Ziele für die Energie- und Wasserwirtschaft und insbesondere für die Energiepolitik, die für unsere Mitgliedsunternehmen von großer Bedeutung sind, festgeschrieben. Die Energiewende bedeutet Zukunft und Erneuerung. Sie ist verbunden mit Veränderungen, in denen die Kommunen eine ganz wichtige Rolle spielen: Städte und Gemeinden treffen nicht nur viele Belastungen, die aus den energie- und infrastrukturpolitischen Entscheidungen und Entwicklungen resultieren. Kommunen, Stadtwerke, Genossenschaften haben auch die Möglichkeit und die Chance, der Energiewende neue Geschäftsfelder, große Bürgernähe und erweiterte Gestaltungsspielräume abzugewinnen.


Wo sich etwas verändert, stellen sich viele Fragen, auf die nicht nur, aber vor allem die Stadtwerke und kleinen und mittleren Unternehmen im BDEW Antworten geben müssen. In dieser Ausgabe von „Streitfragen!“ gehen wir – wie immer kontrovers – diesen Fragen nach. Was sind mögliche Gründe für die Renaissance von Stadtwerken? Was kann kommunale Energiepolitik erreichen und welche Risiken gibt es? Welche Herausforderungen kommen, gerade auch vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen über das künftige Marktdesign, auf die Vertriebe zu? Viele Kommunen sind in Finanznöten. Ein Stadtkämmerer beschreibt die Lage in seiner Stadt und die Auswirkungen der Energiewende auf die Kommunen. Ist der Kauf des Stromnetzes ein Weg, um mehr Geld in die städtische Kasse zu bekommen? Sollte ein Stadtwerk immer auch ein Netz betreiben? Das sind Fragen, die Kommunen und Stadtwerke ganz unterschiedlich beantworten können. Neue Geschäftsfelder und neue Technik – dafür brauchen wir neue Köpfe: Wann und in welchen Bereichen erwarten die Unternehmen der Energie- und Wasserwirtschaft einen Nachwuchsmangel? Welche personellen Ressourcen erfordert die Energiewende? Wie können zukünftig junge Menschen für die anspruchsvollen Ausbildungsberufe und Einsatzfelder in der Energie- und Wasserwirtschaft begeistert werden? In unseren Kommunen sind die Gegebenheiten und Herausforderungen sehr unterschiedlich – ebenso wie die Strategien, mit denen wir die Energiewende voranbringen. Weil es nicht den einen richtigen Weg, sondern viele richtige Wege der kommunalen Energiepolitik gibt, lohnt sich die Diskussion. Auch in dieser Ausgabe, deren Bildwelt wir unter dem Motto „Heimat“ an den Schwerpunkt anlehnen, werden wir die „Streitfragen!“ deshalb wieder offen ansprechen. Heißt: nach Lösungen suchen, eigene Positionen kritisch überprüfen und im Diskurs wieder ein Stück weiter kommen. Viel Freude beim Lesen!

Hildegard Müller P.S.: Vom 24. bis 26. Juni 2014 findet der BDEW-Kongress 2014 statt. Melden Sie sich unter www.bdew.de/kongress an.

Streitfragen 04|2013

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S.06 Global denken, lokal Handeln

Dr. Gerd Landsberg (l.), Deutscher Städte- und Gemeindebund, und Dr. Dieter Steinkamp, RheinEnergie AG, über die Umsetzung der Energiewende in den Kommunen.

S.12

S.20

S.46

Wo spielt die Musik?

»Die strombörse steht für transparenz und wettbewerb.«

Misstrauen gegen Politik und Wirtschaft

Christian Haferkamp (r.), EWE Vertrieb GmbH,

Peter Lintzel, Stadtwerke Leipzig,

Prof. Dr. Franz Walter über die neuen

und Thomas Mahlbacher, Stadtwerke Fellbach,

hält den Energiehandel der Stadtwerke

Protestbewegungen und den Ansehensverlust

diskutieren die kommenden Herausforderungen

für unverzichtbar.

von Politikern und Unternehmen.

für den Energievertrieb.

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S.34

Kommunale Energiepolitik

S.06

Ralf Schürmann, Stadtwerke Peine, rechnet mit einem Ausbau von Kraft-Wärme-Kopplung in privaten Haushalten.

Global denken, lokal handeln

Dr. Gerd Landsberg, Deutscher Städte- und Gemeindebund, und Dr. Dieter Steinkamp, RheinEnergie AG, über die Energiewende in den Kommunen.

S.12

Wasserwirtschaft

S.38

Wo Spielt die Musik?

Christian Haferkamp, EWE VERTRIEB, und Thomas Mahlbacher, Stadtwerke Fellbach, zu den kommenden Herausforderungen für den Energievertrieb.

S.17

Telekommunikation – kein Selbstläufer Nachwuchs

S.42

Energiewende von unten

Dr. Eckhard Ott, Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband, sieht noch großes Potenzial für Energiegenossenschaften.

S.20

S.45

»DIE STROMBÖRSE STEHT FÜR TRANSPARENZ UND WETTBEWERB.«

Akzeptanz

S.46

Klares Votum für Stadtwerke

Dr.-Ing. Kurt Berlo und Oliver Wagner, Wuppertal Institut, räumen neuen Versorgern in kommunaler Hand gute Chancen ein.

Misstrauen gegen Politik und Wirtschaft

Prof. Dr. Franz Walter, Universität Göttingen, über die neuen Protestbewegungen und den Ansehensverlust von Politikern und Unternehmen.

Wie wichtig ist das Netz?

Matthias Trunk, Stadtwerke Neumünster, und Christoph Born, Stadtwerke Stade, über die Frage, welche Aufgaben Stadtwerke selbst übernehmen müssen.

S.32

Techniker werden Mangelware

Peter Asmuth, Stadtwerke Aachen, plädiert für branchenweite Initiativen zur Nachwuchssicherung.

Geplatzte Blütenträume

Der Essener Kämmerer Lars Martin Klieve beschreibt die finanziellen Folgen der Energiewende für seine Stadt.

S.28

»Die Energiewende macht die Branche wieder sexy.«

Andreas Henrich, RWE Deutschland AG, über die Suche nach Talenten.

Peter Lintzel, Stadtwerke Leipzig, hält den Energiehandel der Stadtwerke für unverzichtbar.

S.24

Was tun gegen Nitrat?

Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel und Johann Hans, Wasser- und Abwasser-Zweckverband Niedergrafschaft, erläutern Vorschläge zum Schutz des Grundwassers.

Klaus Steiner, Stadtwerke Lindau, über die Voraussetzungen für gute Geschäfte mit Telefon, Internet und TV.

S.18

Dezentrale Zukunft

S.50

»Akzeptanz ist der entscheidende faktor.«

Dr. Volker M. Brennecke, VDI, zur neuen Richtlinie für die Beteiligung der Öffentlichkeit bei Industrie- und Infrastrukturprojekten.

Impressum Herausgeber

BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. Reinhardtstraße 32 10117 Berlin streitfragen@bdew.de www.bdew.de Redaktion

Mathias Bucksteeg Sven Kulka

Konzept und Realisierung

Kuhn, Kammann & Kuhn GmbH, unter redaktioneller Mitarbeit von Wolf Szameit und Wolf-Dieter Michaeli. Meltem Walter (Bildwelt), Ricarda Eberhardt und Anastasiya Broytman, BDEW. Druck und Verarbeitung

Druck Center Drake + Huber, Bad Oeynhausen

Bildnachweis

Asbach/laif: Titelseite. Chaperon: Editorial. Horn: S. 4 – 16, S. 20 – 28, S. 43, S. 46. Schuering: S. 18, S. 34. Stuhlmann: S. 45. ©iStock.com: VvoeVale: Editorial, S. 20, Turnervisual: S. 4, aurigadesign: S. 18, S. 45, thumb: S. 6, S. 9, ElementalImaging: S. 10, billnoll: S. 6. LeonART-Fotial.com: S. 10, S. 17, S. 45 Redaktionsschluss: Dezember 2013

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1 439 mehrheitlich kommunale Energie- und Wasserbetriebe sind Mitglied des BDEW – Tendenz steigend. Denn immer mehr Städte und Gemeinden gründen eigene Versorgungsunternehmen. Insgesamt ist die Zahl kommunaler Betriebe innerhalb von zehn Jahren um 22 Prozent gestiegen. Damit sind sie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor: Ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt beträgt zehn Prozent.


(Skulptur „Liebe deine Stadt“ von Merlin Bauer an der Kölner Nord-Süd-Fahrt, 2005, Dibond, Metall, 26,0 x 3,6 x 4,5 m, www.liebe-deine-stadt.de, www.merlinbauer.de)


Dr. Gerd Landsberg

(links) ist geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städteund Gemeindebunds. Der kommunale Spitzenverband vertritt etwa 11 000 große, mittlere und kleinere Städte und Gemeinden in Deutschland mit insgesamt über 50 Millionen Einwohnern.

Dr. Dieter Steinkamp

(rechts) ist Vorstandsvorsitzender der RheinEnergie AG. Mit zuletzt knapp 3,7 Milliarden Euro Umsatz und rund 3 100 Beschäftigten gehört das Unternehmen zu den bedeutendsten kommunalen Versorgungsunternehmen des Landes.


» Bei Stadtwerken hat der bürger das Gefühl, dass er Einfluss hat.« » Man darf die eigenen Fähigkeiten nicht überschätzen.«

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Global denken, lokal handeln: Die Energiewende findet zu großen Teilen in den Städten und Gemeinden statt. Was kann eine kommunale Energiepolitik erreichen? Welche Risiken entstehen? Ein Verbandsmanager und ein Stadt­ werke-Chef diskutieren. Herr Dr. Landsberg, Herr Dr. Steinkamp, welche Bedeutung hat der Bereich Energie für Städte und Gemeinden? Gibt es überhaupt so etwas wie kommunale Energiepolitik? Dr. Gerd Landsberg Eindeutig gibt es kommunale Energiepolitik. Denn die Energiewende wird unser Leben grundlegend verändern. Ich sehe zwei Möglichkeiten: Es klappt, dann werden wir Wohlstand haben und das führende Energieland der Welt sein. Oder es klappt nicht, dann bekommen wir Wohlstandsverluste und Arbeitslosigkeit. Das wirkt sich auf die Kommunen aus. Auch der Umstieg auf eine dezentrale Erzeugung macht Energie zu einem wesentlichen kommunalen Thema, schon weil viele Erzeugungsanlagen für alternative Energien in den Städten und Gemeinden stehen. Dort müssen auch die Verteilnetze ausgebaut werden. Dr. Dieter Steinkamp Die RheinEnergie ist nicht nur in der Kernstadt Köln unterwegs, sondern auch über zahlreiche Beteiligungen an Stadtwerken fest mit dem Umland verbunden. Überall wollen die Städte Einfluss auf die Infrastruktur nehmen, und insbesondere auf den Aufbau moderner Infrastruktur. Daneben spielt der lokale Klimaschutz eine Rolle. Es gibt ein großes Interesse, vor Ort etwas für die CO2-Reduzierung zu tun. Und drittens: Wo Stadtwerke vorhanden sind, geht es auch um Wertschöpfung und Einnahmen für die kommunalen Haushalte.

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Eigentümerschaft hat die Kommune selbstverständlich mehr Steuerungsmöglichkeiten. Außerdem ist die Erwartung der Bürger, dass ihre Gemeinde sich kommunalwirtschaftlich engagiert, viel größer geworden. Stadtwerke genießen in der Bevölkerung unstreitig ein besonderes Vertrauen. Steinkamp Die Kölner kennen uns, wir haben viele Verbindungen in die Stadt hinein und sind dort präsent. Wir engagieren uns für Soziales, Kultur, Bildung und Ausbildung. Da tut ein kommunales Unternehmen am Ende mehr – und das wissen die Menschen. Wir bekommen eben mit, was vor Ort passiert. Das gilt auch für die Stadtplanung. Dadurch können sich Stadt und Unternehmen miteinander entwickeln, das ist ein Riesenvorteil. Die konkreten Projektentscheidungen spiegeln das wider.

Gibt es dafür ein Beispiel?

Infrastruktur-Entwicklung und Klimaschutz können Kommunen auch mit privaten Partnern betreiben. Was spricht für Versorgungsunternehmen in kommunaler Hand?

Steinkamp Wir haben in Köln beschlossen, ein neues Kraftwerk zu bauen. Der Baubeschluss war ganz und gar unkritisch. Ich bin sicher: Hätte ein auswärtiges Unternehmen die Anlage bauen wollen, hätte das zumindest mehr Diskussionen gegeben. Trotzdem müssen wir transparent bleiben, in die Öffentlichkeit gehen und unser Handeln begründen. Anders als der Bau des Kraftwerks wurde beispielsweise das Verlegen der Leitung für den Anschluss ans Übertragungsnetz sehr kritisch beobachtet. Wir konnten das erfolgreich abschließen, weil wir in einem breit angelegten Kommunikationsprozess erläutert haben, warum wir das machen, und weil wir Anregungen aus der Bürgerschaft aufgenommen haben.

Landsberg Ob es für eine Kommune sinnvoll ist, ein Stadtwerk zu betreiben, muss in jedem Einzelfall geprüft werden. Natürlich gibt es auch private Unternehmen, mit denen Städte und Gemeinden gut zusammenarbeiten. Aber bei der 100-prozentigen

Das klingt alles sehr harmonisch. Sehen Sie keinen Konflikt zwischen dem Wunsch der Kommune nach Einfluss und Einnahmen und dem Interesse der Bürger an niedrigen Preisen für Energie und Wasser?

Streitfragen 04|2013 Kommunale Energiepolitik


Landsberg Ich sehe das nicht als Interessenkonflikt. Viele Bürger sind bereit, mehr für Strom zu bezahlen, wenn er ökologisch produziert wird. Für die Städte steht das Geldverdienen nicht im Vordergrund. Stadtwerke dienen der Daseinsvorsorge, der Arbeitsplatzsicherung und der lokalen Wertschöpfung. Das verstehen die Bürger. Und die Strompreise steigen ja nicht wegen der Stadtwerke – sie steigen, weil es die Energiewende nicht zum Nulltarif gibt. Steinkamp Man kann nicht oft genug darauf hinweisen, dass sich die Preise für Strom und Gas im Markt bilden. Wenn wir irgendwo Wettbewerb geschaffen haben durch Liberalisierung, dann hier.

Unternehmerische Tätigkeit ist mit Risiken verbunden, auch für Kommunen und Stadtwerke. Momentan häufen sich die Meldungen über Probleme durch Beteiligungen an konventionellen Erzeugungsanlagen. Rechnen Sie mit einer neuen Diskussion über die Begrenzung kommunaler Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten? Landsberg Ich sehe das nicht. Natürlich machen Unternehmen Fehler, auch Stadtwerke. Aber der Grund für die Renaissance der Stadtwerke liegt tiefer: Die Leute haben Angst vor der fort-

schreitenden Globalisierung. Sie suchen Schutz in ihrer Region und misstrauen großen Unternehmen. Bei Stadtwerken hat der Bürger das Gefühl, dass er Einfluss hat. Steinkamp Ich habe die Sorge, dass Städte durch diese Beteiligungen ernsthaft in Schwierigkeiten geraten. Das wäre Futter für die Neoliberalen, die dann sagen: „Wir haben immer schon gewusst, dass die Kommunalen nicht mit Geld umgehen können.“ Ich bin überzeugt, dass unsere gesamte Branche das dann wieder vorgehalten bekommt. Dabei zeigt es nur: Bei einer Rekommunalisierung darf man die eigenen Fähigkeiten nicht überschätzen.

Viele Kommunen nutzen den sogenannten steuerlichen Querverbund, um mit den Gewinnen aus dem Energie- und Wassergeschäft Defizite beispielsweise im öffentlichen Nahverkehr zu decken. Manche kritisieren das als Quersubvention. Wie lange ist das noch erlaubt? Landsberg Wir halten am Querverbund fest. Wir meinen aber auch, dass man das offen kommunizieren muss. Wenn Sie die Bürger fragen: „Wollt ihr, dass es das Schwimmbad weiter gibt und dass Bus und Bahn bezahlbar bleiben?“, dann werden Sie dafür eine Mehrheit finden. Für viele Kommunen ist der Querverbund alternativlos. Einen Großteil ihrer Leistungen könnten sie

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» Wir halten am Querverbund fest.« » Ich wehre mich gegen den Begriff Quer­ subventionierung.« ohne ihn gar nicht mehr anbieten. Für den weiteren Bestand des Querverbunds werden wir uns sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene vehement einsetzen. Ich wehre mich gegen den Begriff Quersubventionierung. Wenn der Stadtrat entscheidet, mit Gewinnen aus der Energieversorgung Nahverkehrsleistungen zu bestellen, ist das eine klassische kommunale Entscheidung. Anschließend nutzen wir wie jedes andere Unternehmen die legitimen Möglichkeiten, unsere Steuerlast zu reduzieren. Wie die EU das sieht, ist eine andere Frage. Aus Brüsseler Sicht ist unsere Kommunalwirtschaft ein Exot. Aber ich denke, auch hier muss die EU unseren Föderalismus und bestehende Systeme akzeptieren. Daher bin ich nicht so skeptisch. Steinkamp

Voraussetzung für den Querverbund sind Überschüsse. Wie viel Gewinn kann ein Stadtwerk im Wettbewerb dauerhaft erzielen? Sorgen machen uns viele Stadtwerke, die Gaskraftwerke gebaut haben, auch auf Initiative der Politik. Die Anlagen fahren sie im Moment mit Verlusten. Dabei sind gerade die klimafreundlichen Gaskraftwerke für die Sicherung der Grundlast unverzichtbar. Deshalb brauchen wir von der neuen Bundesregierung eine Reform der Energiegesetze mit mehr Markt- und weniger Planwirtschaft – und natürlich muss die Grundlast gesichert sein. Landsberg

Steinkamp Durch den zunehmenden Wettbewerb und durch die Verwerfungen des Markts sind die Ergebnisse von Energieversorgern allgemein unter Druck. Dass es im Moment die Gaskraftwerke trifft, liegt ja auch daran, dass der Emissionshandel nicht funktioniert. Besser sieht es dort aus, wo moderne Gaskraftwerke in Kraft-Wärme-Kopplung laufen: Die reine Stromproduktion ist problematisch, aber Fernwärme bleibt profitabel.

Stichwort Wärmemarkt: Welche Rolle spielt er für kommunale Energiepolitik? Steinkamp Zunächst mal wird der Wärmemarkt immer inhomogener. Wir haben die klassische Gasversorgung und daneben in den Ballungsräumen die Fernwärme. Zunehmend kommen Nahwärmenetze dazu. Die Bedeutung von Kraft-Wärme-Kopplung wird wachsen, auch weil wir damit schnell und zu relativ geringen Kosten viel CO2 sparen können. Und wir diskutieren den Stromwärmemarkt neu. Da kann man sich Geschäftsmodelle vorstellen mit Systemen, die überschüssigen Strom aus den Erneuerbaren Energien aufnehmen und als Wärme speichern. Das dürfte in fünf oder zehn Jahren relevant werden.

Wenn der Stromwärmemarkt ein Geschäftsfeld mit Zukunft ist – welche weiteren lukrativen Bereiche können Stadtwerke erschließen? Landsberg Um die Zukunft der Stadtwerke ist mir nicht bange, weil sie immer neue Geschäftsfelder finden werden. Ein Beispiel: Es gibt in Deutschland 8,5 Millionen Straßenlaternen. Die sind zum Teil 60 Jahre alt und brauchen viel Energie und viel Wartung. Würde man die auf LED-Technik umstellen, könnten Städte und Gemeinden nach unseren Berechnungen rund 600 Millionen Euro Energiekosten sparen. Die Kredite dafür sind momentan günstig. Mit modernen Beleuchtungsanlagen lässt sich eine Stadt regelrecht designen und schöner machen. Man sieht: Es geht im Energiebereich nicht immer nur um Geld und ums Sparen, man kann auch gestalten. Steinkamp Wir werden langfristig ein Zusammenwachsen von Systemen unter der Überschrift Smart Energy haben. Das können wir bisher erst in Ansätzen erkennen. Im Modellversuch SmartCity Cologne testen wir gerade ein intelligentes Netz mit allem, was heute technisch möglich ist. Wir sind hier der Systemdienstleister, der die Einzelansätze integriert. Damit entwickeln wir eine wichtige Fähigkeit für ein Geschäftsfeld von morgen. Denn so eine smarte Plattform, wie wir sie jetzt im Kleinen ausprobieren, brauchen wir am Ende für ganz Deutschland.

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» In Zukunft muss sich die Nachfrage dem Angebot anpassen.« » Bisher war immer der Kunde die FührungsgröSSe.«


Thomas Mahlbacher

(links) ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Stadtwerke Fellbach GmbH. Das kommunale Unternehmen versorgt den größten Teil der Einwohner der Stadt mit Strom, Gas, Wasser und Wärme.

Christian Haferkamp

(rechts) ist Geschäftsführer der EWE VERTRIEB GmbH. Die Gesellschaft mit Sitz in Oldenburg beliefert rund eine Million Kunden mit Strom und etwa 700 000 Kunden mit Erdgas.


Wenn die Erneuerbaren Energien den größten Teil des Stroms liefern sollen, braucht Deutschland neue Mechanismen für den laufenden Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Christian Haferkamp, Geschäftsführer bei EWE VERTRIEB GmbH, und Thomas Mahlbacher, Geschäftsführer der Stadtwerke Fellbach, diskutieren kontrovers unter anderem darüber, welche Arbeitsteilung zwischen Vertrieben und Netzbetreibern künftig sinnvoll ist und welche neuen Geschäftsfelder entstehen. Herr Haferkamp, Herr Mahlbacher, der Ausbau der Erneuerbaren Energien stellt das Energiesystem nicht nur technisch vor enorme Herausforderungen. Auch die Vertriebe müssen sich ändern. Was bedeutet es für die Vermarktung, wenn die Erneuerbaren immer mehr Strom produzieren? Christian Haferkamp Ich sehe zwei Entwicklungen. Der Vertrieb wird nicht mehr in erster Linie Kilowattstunden verkaufen, sondern Lasten und Kapazitäten managen. Der zweite Block ergibt sich aus der zunehmend dezentralen Bereitstellung von Energie für Haushalte, kleine und mittlere Unternehmen. Hier kann der Vertrieb die Energielösungen vor Ort managen.

Haferkamp Wir haben eine Studie durchführen lassen zum künftigen Design des sogenannten Retail-Markts, also des Endkundenmarkts. Die Kernthese lautet: Mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien bekommen wir statt der von der Nachfrage getriebenen eine von der Erzeugung abhängige Preisbildung. Das ist ein Paradigmenwechsel. In Zukunft muss sich also die Nachfrage dem Angebot anpassen.

Herr Mahlbacher, wie viel Anpassung kann der Vertrieb dem Kunden abverlangen?

Bei einem Erneuerbaren-Anteil von beispielsweise 50 Prozent sehe ich eine Gefahr für Unternehmen, die stark auf Ökostrom-Tarife gesetzt haben. Wenn ohnehin so viel Ökostrom im Netz ist, braucht man solche Tarife nicht mehr. Eine andere Frage für den Vertrieb ist: Wie bleibt Strom bezahlbar? Wenn es uns nicht gelingt, die EEG-Umlage und die anderen Umlagen konstant zu halten, dann wird sich ein eigener Energiemarkt für Menschen mit geringem Einkommen abspalten.

Mahlbacher Für den Kunden ist wichtig, dass die Energie einfach da ist, wenn er sie haben möchte. Bisher war deshalb immer der Kunde die Führungsgröße. Wenn er sich künftig an die Erzeugung anpassen soll, werden wir nicht auf Verständnis stoßen. Oder der Kunde verlangt einen extrem hohen Preis in Form einer Spreizung zwischen Hoch- und Niedrigtarif.

Was passiert auf diesem Markt?

Wie groß ist denn der Spielraum für Preisanreize?

Mahlbacher Dort wird die Energie für wirtschaftlich schwächere Kunden auf irgendeine Weise bezahlbar gemacht. Dafür müssen aber die Übrigen mehr bezahlen. Die Mittelschicht kommt so von zwei Seiten in die Bredouille: auf der einen Seite durch die Entlastung der energieintensiven Unternehmen, auf der anderen Seite durch die Unterstützung für ärmere Bürger.

Mahlbacher Bei einem Börsenpreis von 3,5 Cent für die Kilowattstunde kann man die Tarife nicht mehr sehr stark spreizen. Ich glaube deshalb nicht, dass wir viele Privatkunden für Lastmanagement begeistern können. Das ist ja bei Industriekunden schon schwierig genug. In der Realität haben die ganz andere Prioritäten, als über den eigenen Verbrauch ihre Energiekosten zu steuern.

Thomas Mahlbacher

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Herr Haferkamp, der BDEW-Lenkungskreis Energievertrieb hat sich mit langfristigen Szenarien beschäftigt. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Streitfragen 04|2013 Kommunale Energiepolitik


Herr Haferkamp, teilen Sie die Skepsis? Haferkamp So pauschal nicht. Bei einigen Gewerbekunden geht Laststeuerung sehr gut, etwa bei Kühlhäusern und Mahlwerken. Dort ist Energie ein wesentliches Produktionselement. Außerdem lassen die technischen Rahmenparameter einen flexiblen Betrieb zu.

Und wie sieht es mit den Haushalten aus? Haferkamp Ich denke an Kunden, die eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach haben. Heute speisen sie den erzeugten Strom ein, aber schrittweise gehen sie zur Eigenversorgung über. Noch achten sie dabei nicht aufs Netz. Viele von ihnen werden außerdem Stromspeicher einbauen. Und dann ist die Frage: Kann ich das Einspeise- und Entnahmeverhalten dieser Kunden so steuern, dass es das Netz stabilisiert? Ein weiteres Klientel sind die Nachtspeicherkunden. Wir prüfen gerade, ob wir die Geräte ansteuern können, um sie sozusagen als Windspeicherofen zu nutzen.

Wer soll die Nachfrage regeln? Der Vertrieb? Der Netzbetreiber? Der Kunde? Haferkamp Das kann nicht der Einzelkunde sein, das müssen die Vertriebe übernehmen. Die Herausforderung wird darin liegen, erstens die Kunden zum Mitmachen zu bewegen und zweitens das Netz stabil zu halten.

Haferkamp Die zunehmende Verzahnung von Gas und Strom ist wichtig für die Optimierung des Gesamtsystems. Das geht kleinteilig bei Brennstoffzellen, die als Strom erzeugende Heizung vermarktet werden. Wenn immer mehr Altbauten mit dieser Technik ausgerüstet werden, können wir die Stromproduktion netzfreundlich steuern. Im großen Maßstab reden wir zum Beispiel über Power to Gas.

Ich sehe im Moment viele Kopfgeburten. Ohne Frage ist technisch vieles möglich. Aber die meisten Kunden wollen sich mit ihrem Strom gar nicht so intensiv befassen. Deshalb haben doch viele Unternehmen noch mehr als 50 Prozent der Kunden in der Grundversorgung. Diese Menschen wollen in Ruhe gelassen werden. Denen kann ich auch kein Smart Meter verordnen. Mahlbacher

Smart Meter gelten aber als Voraussetzung für viele neue Energie-Dienstleistungen. Noch ist allerdings nicht ganz klar, wer künftig die Daten aus diesen Geräten abrufen, verwalten und aufbereiten darf. Mahlbacher Es gibt auf Ministerialebene die Überlegung, bundesweit 70 sogenannte Data Access-Point Manager (DAM) zuzulassen. Die sollen Verbrauchsdaten sammeln und anderen Marktteilnehmern zur Verfügung stellen. Dazu kommt der Vorschlag, ihnen auch den Betrieb virtueller Kraftwerke zu übertragen und vielleicht noch die Netzausbauplanung.

Welche Folgen hätte das? Also, wenn einer Solaranlagen und Pufferspeicher ins System integrieren kann, dann der Netzbetreiber. Denn nur er kennt die Lage in jedem einzelnen Ausläufer des Netzes. Der Vertrieb sitzt doch im Extremfall ganz woanders und kann den Zustand des Netzes gar nicht einschätzen. Mahlbacher

Mahlbacher Jetzt denke ich mal an einen kleinen Netzbetreiber in einer ländlichen Region. Der hat einen Netzausläufer mit 40 Einfamilienhäusern, alle mit Solaranlage. Plötzlich geht die Spannung durch die Decke oder es droht Unterspannung. Und nun muss der Netzbetreiber den schätzungsweise 300 Vertrieben der Republik erklären: „In dem Gebiet könnten wir ein Signal zur Steuerung brauchen.“ Und dann stelle ich mir vor, dass ein bundesweiter Vertrieb sämtliche Netzausläufer in den ländlichen Regionen im Blick behalten soll. Der Vertrieb wird sich das verbitten.

Viele Hoffnungen richten sich auf sogenannte intelligente Energie-Dienstleistungen als neues Geschäftsfeld. Welche Potenziale sehen Sie dort?

Haferkamp Ich sehe die Schwierigkeiten und Herausforderungen. Aber der Umgang mit Massen von Kundendaten ist nichts Neues, das üben wir in anderen Branchen: Telekommunikations-

»Nachfrage regelung müssen die Vertriebe übernehmen.« »Privatkunden las sen sich schwer für das Lastmanagement begeistern.«

Haferkamp Aber mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik kann das Netz in Echtzeit Informationen an den Vertrieb senden. Der Vertrieb schickt dann entsprechende Signale an die Anlagen. Im Interesse des Vertriebs will ich den freien Markt so weit wie möglich ausdehnen. Dazu sollten wir in der Ampellogik denken: Bei Grün herrscht freies Spiel der Kräfte. Bei Gelb sendet der Netzbetreiber das Signal „Bitte tut was für Stabilität“. Da greift immer noch der Marktmechanismus. Erst bei Rot, also in kritischen Situationen, sollte der Netzbetreiber eigene Schaltvorgänge zur Stabilisierung einleiten.

Mahlbacher Das rührt an die Grundfesten insbesondere der kleinen Verteilnetzbetreiber. Wie weit sind wir dann noch von der Deutschen Netzagentur oder vom Volkseigenen Betrieb Netze entfernt? Und ich habe ein Riesenproblem mit dem Datenschutz, wenn im DAM die Lastprofile der Kunden mit registrierender Leistungsmessung und der Standardlastprofil-Kunden aus den Smart Metern vorgehalten werden. Wir bauen da eine Datenkrake auf. Ich frage mich, wann kommt das Finanz- oder das Sozialamt und verlangt die Daten? Und was passiert, wenn die Öffentlichkeit von der Übermittlung der Informationen an Behörden erfährt?

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unternehmen speichern schon lange riesige Mengen solcher Informationen und löschen sie nach einer gewissen Zeit wieder. In erster Linie ist mir wichtig, dass wir hier keine Monopolstrukturen aufbauen, sondern diskriminierungsfrei und kostengünstig neue Märkte schaffen.

schiedenen Gründen für einen Irrweg, unter anderem, weil er zukunftsgerichteten Investitionen in schnell regelbare Kraftwerke und in Speicher nicht dienlich ist. Ich sehe für die Vertriebe große kommunikative Probleme, wenn sie bei den Stromkunden Geld für Braun- und Steinkohlekraftwerke einsammeln sollen.

Letzte Frage: Welches Marktdesign eignet sich aus Sicht des Vertriebs, um kostengünstig die Versorgungssicherheit zu erhalten?

Haferkamp Ob Versorgungssicherheitsnachweise genau das richtige Instrument sind, hängt davon ab, was genau es für den normalen Haushaltskunden bedeuten würde. Ich halte es für sinnvoll, Versorgungssicherheit auf regionaler Ebene zu organisieren. Und das muss marktwirtschaftlich passieren, vielleicht über eine Ausschreibung im Sinne der strategischen Reserve.

Mahlbacher Die Idee, dass Leistung etwas wert sein muss, ist in Ordnung. Aber den im Moment diskutierten Kapazitätsmarkt mit Versorgungssicherheitsnachweisen halte ich aus ver-

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Vier Fragen an

Können Sie anderen Stadtwerken empfehlen, in die Telekommunikation einzusteigen?

Klaus Steiner

Zur Wahrheit gehört: Das Telekommunikationsgeschäft ist kein Selbstläufer. Ein Stadtwerk sollte sich gut überlegen, welche Kompetenzen es mitbringt, wenn es in diesem Markt mitspielen möchte. Am besten spricht man zunächst mit kommunalen Unternehmen, die den Einstieg in diesen Markt erfolgreich bewältigt haben. Entscheidend ist, welche Wertschöpfungsstufen ein Stadtwerk besetzen möchte. Die Erstellung passiver Infrastruktur setzt eine hohe Planungskompetenz voraus. Wer in Breitbandnetze investiert, muss wissen, dass die langfristige Kapitalbindung im Verhältnis zu den kurzfristig erzielbaren Umsätzen nicht ohne Risiko ist. Der Betrieb eines aktiven Netzes ist technisch anspruchsvoll und kann in aller Regel nicht mit dem vorhandenen Personal abgedeckt werden. Im Endkundengeschäft mit Telefon- und Fernsehdiensten stehen wir im Verdrängungswettbewerb.

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DIe Stadtwerke Lindau sind bereits 1998 ins Telekommunikationsgeschäft eingestiegen und haben damit ein neues Geschäftsfeld etabliert. Warum?

Verlegen Sie die Kabel flächendeckend oder beschränken Sie sich aus Kostengründen auf dicht besiedelte Bereiche?

Wie kann ein Stadtwerk auf diesem hart umkämpften Markt bestehen?

Die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen erfordern die Erschließung neuer Geschäftsfelder. In der smarten Welt von morgen mit dezentraler Erzeugung und intelligenter Steuerung von Netz und Speichern findet Energiewirtschaft zunehmend virtuell statt. Die wachsende Zahl von Messdaten und die zunehmende Komplexität der Prozesse werden dazu führen, dass sich Telekommunikation, IT und Energie immer stärker verbinden. Außerdem zeichnet sich bei unseren Industriekunden ein Trend zur Auslagerung von IT-Aktivitäten ab – das funktioniert nur mit einer guten Anbindung an ein Glasfasernetz. Für Kommunen ist die Verfügbarkeit von Breitbandanschlüssen heute bereits ein harter Standortfaktor. Energieversorger sind für diese Aufgabe prädestiniert, denn sie haben Erfahrung mit mediengebundenen Leitungssystemen und kennen das Massenkundengeschäft.

Für das Stadtgebiet von Lindau am Bodensee haben wir uns für den flächendeckenden Ausbau entschieden, da wir beim Tiefbau erhebliche Synergien mit den anderen Netzen erzielen konnten. In Randlagen führen wir mit den Kommunalpolitikern und Bürgern intensive Gespräche und können durch flächendeckende Kundengewinnung häufig doch zu wirtschaftlich erträglichen Bedingungen investieren. Im Umland von Lindau bauen wir VDSL aus. Damit können wir Bandbreiten mit bis zu 50 MBit/s realisieren.

Sie müssen vom ersten Tag an bereit sein, den Markteintritt hartnäckig und unternehmerisch anzugehen. Sie können mit Regionalität bei den Kunden punkten, müssen aber einen guten Service bieten. Die derzeit viel diskutierten BreitbandFunknetze sind für uns noch nicht als Konkurrenz erkennbar. TV-Dienste lassen sich im Moment gar nicht über Funk realisieren.

Klaus Steiner

ist Geschäftsführer der Stadtwerke Lindau. Eine Tochtergesellschaft des Unternehmens bietet Dienstleistungen rund um Internet, Telefonie, Fernsehen, Rechenzentrum, IT-Service und Breitbanderschließung an.

Kommunale Energiepolitik Streitfragen 04|2013

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Energiewende von

unten.

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Streitfragen 04|2013 Kommunale Energiepolitik


In Deutschland investieren bereits 700 Energiegenossenschaften mit insgesamt 150 000 Mitgliedern vorrangig in Windräder, Solar- und Biogasanlagen. Künftig könnten sie noch mehr Aufgaben übernehmen, meint Dr. Eckhard Ott. Welchen Stellenwert haben Stadtwerke als Partner für Energiegenossenschaften? Würden Sie von einem neuen Bündnis der Kommunen mit ihren Bürgern sprechen? Dr. Eckhard Ott In vielen neuen Energiegenossenschaften sind Kommunen oder auch Stadtwerke aktiv engagiert. Zudem denken viele Energiegenossenschaften über Möglichkeiten der Vermarktung ihrer selbst produzierten Energie nach. Hier kommen mögliche Partnerschaften und Vertriebskooperationen ins Spiel. Ich meine, die örtlichen Stadtwerke sind aufgrund ihres Know-hows in der Stromvermarktung und ihrer regionalen Kundennähe ideale Partner für Bürgerenergiegenossenschaften.

Was ist das wichtigste treibende Motiv bei der Gründung solcher Genossenschaften? ott Die Menschen möchten vor allem die Energiewende aktiv unterstützen und mit ihrem Geld die Wertschöpfung in ihrer Heimatregion stärken. Diese Motive sind viel wichtiger als zum Beispiel eine möglichst hohe Dividende. Die Rechtsform der Genossenschaft wird gewählt, weil durch die demokratische Entscheidungsstruktur eine echte Beteiligung möglich ist. Energiegenossenschaften bieten eben eine aktive Mitgestaltung vor Ort.

Energieprojekte erfordern hohe Investitionen. Was bringen Kooperationen in der Finanzierung? ott Kurz gesagt: mehr Geld für größere Investitionen. Und die Beteiligung von Menschen, die einzeln jeweils nur einen geringen finanziellen Spielraum haben, sich aber aktiv an der Energiewende beteiligen möchten. Eine Beteiligung ist in vielen Genossenschaften bereits mit weniger als 100 Euro möglich. Doch Genossenschaft bedeutet nicht nur, Investitionssumme und Finanzierungsrisiko auf mehrere Schultern zu verteilen. Durch die Zusammenarbeit wird vor allem auch Know-how gebündelt.

Vielerorts protestiert die Bevölkerung gegen Energieprojekte. Steigt die Akzeptanz mit der genossenschaftlichen Gewinnbeteiligung?

Energiewende insgesamt erhöhen. Sie sind nachhaltige Unternehmen, mit echter Teilhabe, lokaler Verwurzelung, einem hohen Grad an Mitbestimmung und Transparenz. Die Menschen sind viel eher bereit, ein Windrad oder eine Biogasanlage im eigenen Umfeld zu akzeptieren, wenn sie ein Teil davon sind. Energiegenossenschaften sind eine relativ junge Spielart. Wie passen sie sich ins Gesamtgefüge des Genossenschaftswesens ein? ott Die 700 Energiegenossenschaften mit ihren 150 000 Mitgliedern sind schon rein zahlenmäßig ein bedeutender Teil der genossenschaftlichen Gruppe. Es gibt hier aber auch interessante Querverbindungen. So unterstützen viele Volksbanken und Raiffeisenbanken die Gründung von Energiegenossenschaften vor Ort. Für die Gruppe der Energiegenossenschaften haben wir beim DGRV eine Bundesgeschäftsstelle eingerichtet. Sie soll den Energiegenossenschaften nicht nur eine Stimme in der bundespolitischen Debatte um die Energiewende geben, sondern auch, gemeinsam mit unseren Mitgliedsverbänden, bei der unternehmerischen Entwicklung weiterhelfen.

Welche Perspektive sehen Sie für Energiegenossenschaften? Ist das Potenzial ausgereizt oder gibt es noch viel zu wenige? ott Das Potenzial ist noch lange nicht ausgereizt. Es gibt noch viele Aufgaben, die genossenschaftlich angegangen werden können. Derzeit wird vor allem Strom aus Photovoltaikanlagen produziert. Zukünftig werden die Windenergie und vor allem die Wärmeerzeugung und -verteilung an Bedeutung gewinnen. Bei der Energiewende wird für meinen Geschmack übrigens viel zu wenig über Wärme und Wärmenetze gesprochen. Aber auch Geschäftsfelder wie Direktvermarktung, Mitgliederversorgung, Energieeffizienz oder Elektromobilität bieten noch viele Möglichkeiten.

Dr. Eckhard Ott

ist Vorstandsvorsitzender des DGRV – Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V.

ott Es geht ja nicht nur um Gewinnbeteiligung. Genossenschaften sind nicht mit einem Investmentfonds zu verwechseln. Und das ist der Grund, warum Energiegenossenschaften die Akzeptanz in der Bevölkerung für Erneuerbare Energien und die Kommunale Energiepolitik Streitfragen 04|2013

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Peter Lintzel

ist Leiter GroĂ&#x;handel/Erzeugung bei den Stadtwerken Leipzig. Ăœber die Management-Holding LVV befindet sich das Unternehmen zu 100 Prozent im Besitz der Stadt Leipzig.

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Streitfragen 04|2013 Kommunale Energiepolitik


» DIE STROM­BÖRSE STEHT FÜR

Transparenz und Wettbewerb.«


Die Stadtwerke Leipzig waren Mitbegründer der größten kontinentaleuropäischen Strombörse EEX. Bis heute ist der Energiehandel für das Unternehmen als zentrale Drehscheibe zwischen Erzeugungsanlagen, Vertrieb und Großhandelsmarkt unverzichtbar, meint Peter Lintzel. Herr Lintzel, Sie sind Ingenieur und Energiehändler. Passt das zusammen? Peter Lintzel Natürlich. Ich bin Diplom-Ingenieur für Informationsverarbeitung, und was wäre der Energiehandel ohne funktionierende Datenverarbeitung? Aber ernsthaft: Ich habe zehn Jahre lang den Bereich Energiewirtschaft bei den Stadtwerken Leipzig geleitet und in dieser Funktion war ich mit dem Start des Energiehandels in Deutschland der Überzeugung, dass eine optimale Beschaffung für den Vertrieb und eine bestmögliche Vermarktung der Kraftwerke nur über einen funktionierenden Energiehandel möglich ist. Deshalb habe ich einen Energiehandel bei den Stadtwerken Leipzig aufgebaut und dazu auch Mitarbeiter aus dem Bankenbereich eingestellt, von denen ich auch noch einiges lernen konnte.

Welche Funktion hat der Energiehandel in der Beschaffung von kommunalen Unternehmen? Lintzel Der Energiegroßhandel ist der Zugang der Stadtwerke zu den Großhandelsmärkten. Die fundamentale Aufgabe des Energiegroßhandels besteht darin, die kostengünstige Beschaffung des Energie- und Rohstoffbedarfs der Stadtwerke am Markt zu sichern. Hier geht es zum Beispiel um Strom, Öl, CO2 und Gas, aber auch Fernwärme und Holz. Außerdem sind unter Beachtung der Versorgungssicherheit die Vermarktung und der Einsatz der Eigenerzeugungsanlagen zu steuern: Gas- und Dampfturbine, Heizwerke, Biomassekraftwerke, Windkraftanlagen. Damit ist der Energiehandel die zentrale Drehscheibe zwischen Erzeugungs­

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anlagen, dem Vertrieb und dem Großhandelsmarkt. Integraler Bestandteil des Energiehandels ist dabei das Risikomanagement zur Steuerung und Überwachung des Handels. Der Energiehandel hat wesentlich dazu beigetragen, eine versorgungssichere und wirtschaftliche Energieinfrastruktur nicht nur in Leipzig, sondern auch bundesweit aufzubauen und zu gewährleisten. Die Stadtwerke Leipzig sind Gründungsmitglied der Energiebörse EEX, seitdem hat sich viel verändert. Wie ist Ihr Fazit heute und welche Chancen bieten sich für kommunale Unternehmen? Lintzel Wie Sie richtig sagen, waren wir eines der ersten kommunalen Unternehmen, die sich als Energiehändler an der Energiebörse in Leipzig engagiert haben. Die Börse steht mehr denn je für Transparenz in der Preisbildung und unabhängigen Wettbewerb. Mit zunehmender Transparenz und dem kontinuierlichen Ausbau der Liquidität entstanden aus monopolistischen Versorgungsstrukturen mehr und mehr Wettbewerbsmärkte. Mittlerweile nutzt die überwiegende Mehrzahl der kommunalen Marktakteure die Möglichkeit einer strukturierten Beschaffung, um damit ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, neue Märkte zu erschließen und Risiken des Vertriebs abzusichern. Die Rolle der Börse kann in diesem Zusammenhang gar nicht überschätzt werden.


und unabhängigen Wettbewerb.«

Transparenz

» Die Börse steht für Ist die zunehmende Direktvermarktung der Erneuerbaren Energien eine Chance für den kommunalen Energiehandel? Lintzel Eindeutig ja, die SW Leipzig vermarkten ihre Biomasseanlagen über das Marktprämienmodell und nutzen dafür das Know-how und die Infrastruktur des Energiehandels. Dem aktuell veröffentlichten Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD ist zu entnehmen, dass für neue regelbare Anlagen über 5 Megawatt die Direktvermarktung über eine geleitende Marktprämie verpflichtend wird und diese Grenze schrittweise weiter abgesenkt werden soll. Schon jetzt ist die Mehrzahl der Wind- und Biomasseanlagen in der Direktvermarktung.

Der Energiehandel in Europa ist sehr international. Kann man da noch lokal denken? Lintzel Nein. Die nationalen Märkte werden im Großhandel durch Marktkopplungen immer weiter zusammengelegt, der Energiehandel ist europäisch und wird noch internationaler werden. Im Gashandel kann zum Beispiel der Ausfall eines größeren Gasfeldes in Norwegen oder die Anlandung eines LNG-Schiffs in Großbritannien zu unerwarteten Preisausschlägen führen. Oder der Ausfall eines Kraftwerks in Frankreich führt zu Stromexport von Deutschland nach Frankreich und damit zu einem Preisanstieg in Deutschland. Ähnliche Auswirkungen haben Wetteränderungen mit ihrem Einfluss auf die Produktion von Erneuerbaren Energien. Wer im Energiehandel arbeitet, muss ständig den europäischen Energiemarkt im Blick haben.

REMIT, EMIR und viele weitere Meldepflichten gilt es zu beachten, macht da Energiehandel überhaupt noch Spaß? Lintzel Derzeit ja. Ich bin eindeutig für Transparenz und das Verbot von Insiderhandel. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass alle Marktteilnehmer potenziell mit dem gleichen Know-how am Handel teilnehmen. Aber: Die Margen sind im Energiehandel, wie in allen transparenten Commodity-Märkten, gering. Die Meldepflichten der europäischen Regulierungen und deren nationale Umsetzung verursachen zusätzliche Kosten zum Beispiel für Berichtssoftware. Wir gehen davon aus, dass bei der Umsetzung der Regulierungen zumindest die gleichen Berichtsformate verwendet werden und Doppelmeldungen an verschiedene Behörden vermieden werden können, um die Kosten noch im Griff zu behalten. Ich hoffe, dass mit der jetzt anstehenden MIFID-Neufassung mög-

lichst wenig zusätzlicher Aufwand auf den Energiehandel zukommt, um auch weiterhin als kommunaler Energiehändler am Markt teilnehmen zu können. Die Weiterentwicklung des Marktdesigns wird intensiv diskutiert. Welcher Vorschlag ist aus Ihrer Sicht von besonderer Bedeutung? Lintzel Die Verbände der Energiewirtschaft haben der Politik Vorschläge zur Anpassung des Energiemarkts an die neuen Marktbedingungen, insbesondere zur Berücksichtigung des steigenden Anteils Erneuerbarer Energien im Markt, gemacht, die ich uneingeschränkt unterstütze. Dabei ist es mir besonders wichtig, dass die notwendige Umgestaltung des Markts den Wettbewerb stärkt und nicht durch dirigistische Eingriffe, wie zum Beispiel mit der intransparenten Reservekraftwerksverordnung, den wettbewerblichen Anteil im Markt immer kleiner macht. Ich begrüße, dass es im Koalitionsvertrag ein Bekenntnis zu einem Marktdesign gibt, in dem zukünftig verschiedene Mechanismen geprüft werden, um erforderliche Kapazitäten langfristig im Markt zu halten.

Was müssen kommunale Unternehmen beachten, um erfolgreiche Energiehändler zu sein? Lintzel Der Energiehandel setzt vor allem drei Dinge voraus. Zunächst müssen gut ausgebildete Mitarbeiter vorhanden sein oder eingestellt werden. Dabei ist oft eine Sondervereinbarung mit dem Betriebsrat zur Vergütung notwendig, um wettbewerbsfähige Gehälter zahlen zu können. Zweitens ist die Investition in eine leistungsfähige, dem Handelsvolumen angepasste Software notwendig, um alle Prozesse des Handels möglichst weitgehend zu automatisieren. Am wichtigsten ist aber eine Handels- und Risikostrategie, die von der Geschäftsführung und den Gesellschaftern unterstützt wird. Diese muss von einem gut arbeitenden Risikomanagement überwacht werden. Kommunale Unternehmen, die den damit verbundenen Aufwand nicht leisten wollen, können sich einem der vorhandenen kommunalen Gemeinschafts­ unternehmen anschließen.

Letzte Frage: Vollversorgung oder strukturierte Beschaffung? Lintzel Eindeutige Antwort: strukturierte Beschaffung. Nur damit sind die Unabhängigkeit von einem Vorlieferanten und auf Dauer wettbewerbsfähige Preise für den Vertrieb zu sichern.

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Lars Martin Klieve

war nach einer Banklehre und einem Jurastudium als K채mmerer in H체rth und Gelsenkirchen t채tig, bevor er im Oktober 2009 Beigeordneter und K채mmerer der Stadt Essen wurde.


Geplatzte

Blütenträume ›

Kommunen, die in der Vergangenheit von der Existenz großer Energieversorgungsunternehmen in ihren Mauern profitiert haben, kämpfen nach der Energiewende mit großen Problemen. Lars Martin Klieve, Kämmerer der Stadt Essen, erläutert die Folgen der neuen deutschen Energiepolitik für die selbst ernannte Energiemetropole Europas.

Herr Klieve, für viele Kommunen war die Energiewende auch ein Aufbruch in neue Betätigungsfelder. Sie wollten die Energieversorgung wieder in eigene Hände nehmen, die Energiewirtschaft auf ihrer kommunalen Ebene klimafreundlich und nachhaltig gestalten. Auch wenn die Energiewende erst vor zwei Jahren eingeleitet worden ist – kann man heute schon sagen, dass sich die Kommunen auf dem richtigen Weg befinden? Lars Martin Klieve Unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten ist es durchaus denkbar, dass die Energieversorgung in kommunaler Hand ist. Denn die Versorgung der Bürger auch mit Elektrizität gehört zum Bereich der Daseinsvorsorge. Und das ist eine Grundaufgabe der kommunalen Verwaltung.

Aber ist es noch zeitgemäß? Klieve Im Zuge der Konzentration der Energieversorgung auf immer weniger Unternehmen und auch der Liberalisierung der Energiewirtschaft, die markt-

wirtschaftliche Elemente in diesen Bereich gebracht hat, ist der Aspekt der kommunalen Daseinsvorsorge etwas aus dem Blick geraten. Aber die Geschichte der Elektrizitätswerke in Deutschland ist lange Zeit eng mit den Kommunen verbunden. Muss man deshalb gleich wieder das Rad der Geschichte zurückdrehen und Stadtwerke neu gründen, Netze in kommunale Hand überführen, Erzeugung in kleineren Einheiten betreiben? Geht man damit nicht ein großes Risiko ein? Klieve Mit der Energiewende verbunden war auch die Erwartung, dass die Energieversorgung kleinteiliger wird, dass sie wieder dichter an den Bürger heranrückt. Die ersten Erfahrungen zeigen aber, dass bei der Rekommunalisierung der Energiewirtschaft nicht alle Blütenträume aufgegangen sind. Das gilt insbesondere für den Preis, den die Bürger dafür zahlen müssen. Erst werden sie immer stärker durch die Umlage zur Förderung der Erneuerbaren Energien belastet. Jetzt

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» Die Energiewende hat es nicht gut gemeint mit Essen.«

droht ein zweiter Preisschub. Sie müssen nämlich auch noch Geld aufbringen für die Stromerzeugung in konventionellen Kraftwerken ihrer Stadtwerke, die zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit auch in der Zukunft notwendig sein werden. Für Essen hat sich die Energiewende indes negativ bemerkbar gemacht, zumindest finanziell. Bei Ihnen klafft ein dickes Loch in der Stadtkasse, seit Energiepolitik in Deutschland nach anderen Regeln läuft. Klieve Essen ist die Energiestadt in Europa. Die Energiewende-Beschlüsse haben deshalb auch starke Auswirkungen auf die Stadt Essen und auf den Haushalt der Stadt, weil Essen Sitz von zwei großen Betreibern von Kernkraftwerken ist, die abgeschaltet werden, weil der Strompreis im Großhandel dramatisch verfallen ist und weil sich deshalb die Ertragssituation der beiden Energieunternehmen substanziell verschlechtert hat. Die Folge ist, dass das Gewerbesteueraufkommen der Stadt – allerdings nicht nur wegen der beiden Energieunternehmen – 2013 um etwa 70 Millionen Euro hinter dem Voranschlag von 340 Millionen Euro zurückbleiben wird.

Auch Ihre Kapitalbeteiligung dürfte Ihnen unter diesen Umständen wenig Freude bereiten. Klieve Die Stadt Essen ist seit langer Zeit am RWE-Konzern beteiligt und hat in der Vergangenheit daraus auch immer eine anständige Dividende bezogen. Die ist schon für das vergangene Jahr um rund 30 Millionen Euro gesunken. Und wenn der Vorschlag einer Dividendenhalbierung auf der nächsten Hauptversammlung angenommen wird, dann würden uns noch einmal knapp 19 Millionen fehlen. Und als wir Ende 2010 beschlossen, uns gemeinsam mit anderen Stadtwerken an der Steag zu beteiligen, gab es dafür unter anderem einen wichtigen Punkt: Vieles sprach damals schon für eine immer kleinteiligere Energieversorgung. Vor diesem Hintergrund fanden wir es gut, gemeinsam mit anderen Stadtwerken eine eigene Erzeugungsbasis in der Region zu haben.

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Nach dem Energiewende-Beschluss, die Kernkraftwerke schrittweise abzuschalten, hätten Sie doch sogar jubeln müssen. Klieve In der Tat hatten wir erwartet, dass nach dem Ende des Atomstroms konventionelle Kapazitäten erst recht benötigt würden. Was wir wie viele andere auch nicht erwartet hatten, war, dass die regenerativen Energiequellen so dynamisch zulegen würden wie sie es in den vergangenen Jahren getan haben und auf diese Weise konventionelle Kapazitäten aus dem Markt drängen beziehungsweise für einen dramatischen Preisverfall am Großhandelsmarkt sorgen würden.

Und dennoch wird darüber diskutiert, ob Essen nicht das Stromnetz in der Stadt übernehmen soll. Verheben Sie sich damit nicht angesichts der finanziellen Situation der Stadt? Klieve Das ist ein laufendes Verfahren, über das ich nicht sprechen kann. In einer der nächsten Ratssitzungen werden wir aber darüber zu entscheiden haben, wer die Konzession bekommt. Eine denkbare Option ist dabei auch, die Netze in kommunale Hand zu überführen.

Allgemein gefragt: Ist es für eine Kommune attraktiv, über das Stromnetz selbst zu bestimmen? Klieve Die Übernahme des Stromnetzes bringt eine sehr gute Eigenkapitalverzinsung. Andererseits darf man nicht übersehen, dass mit dieser Chance zugleich auch Risiken verbunden sind. Es muss vor einem Kaufentscheid deshalb immer zu einer gründlichen Abwägung aller Aspekte kommen.


Zu den Risiken zählt beispielsweise der möglicherweise hohe Investitionsbedarf, der auf die Verteilnetze im Zuge der Energiewende zukommen wird. Klieve Es bestehen beachtliche und prinzipiell auch gut kalkulierbare Erlöschancen. Ob das am Ende aber auch Gewinne sind, bestimmen die Risiken, die auch eintreten können. Insbesondere kann der eventuell hohe Investitionsbedarf die finanzielle Kapazität einer Stadt, die sich möglicherweise auch noch in einer schlechten finanziellen Verfassung befindet, übersteigen. Das kann man nicht ausschließen, das muss man sehr genau prüfen.

Gibt es aus Ihrer Sicht positive Aspekte der Energiewende? Klieve Die Sicht des Kämmerers ist ja in erster Linie etwas eingeengt auf das Finanzielle. Und da fällt mir nicht viel Positives ein. Aber ich will nicht bestreiten, dass ein wesentliches Ziel der Energiewende, nämlich der Ausbau der regenerativen Stromerzeugung und damit die CO2-Vermeidung, auf einem sehr guten Weg ist.

Der Kämmerer sagt trotzdem: weg mit der Energiewende? Klieve Die meisten Bürger begrüßen heute die Energiewende. Auch die Stadt Essen steht hinter der Energiewende. Sie betreibt ein sehr ambitioniertes Energie- und Klimakonzept. So hat die Stadt beispielsweise Anfang dieses Jahres beschlossen, dass sie zu 100 Prozent mit Ökostrom versorgt wird. Die Neuorientierung der deutschen Energiepolitik muss aber für den Bürger bezahlbar bleiben. Und es muss einen Weg geben, dass es für die Vorhaltung von Erzeugungskapazitäten und damit für die Aufrechterhaltung von Versorgungssicherheit eine Vergütung gibt, mit der man zumindest die Kosten decken kann. Als Kämmerer, der für die finanzielle Situation dieser Stadt Verantwortung trägt, kann ich derzeit nur sagen: Die Energiewende hat es wahrlich nicht gut gemeint mit der Stadt Essen.

Kommunale Energiepolitik Streitfragen 04|2013

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» wer das netz hat, hat die macht

stimmt nicht mehr.«

Matthias Trunk

(links) ist seit Januar 2011 Geschäftsführer, seit 2012 Alleingeschäftsführer, der Stadtwerke Neumünster und des SWN-Konzerns. Zuvor arbeitete er elf Jahre bei den Stadtwerken Düsseldorf.

Christoph Born

(rechts) ist seit September 2013 alleiniger Geschäftsführer der Stadtwerke Stade. Zuvor hatte er seit 2009 den kaufmännischen Bereich des Unternehmens geleitet.


»Wer das netz hat, hat die Verantwortung

muss es heißen.«


Vom Betrieb des Stromnetzes in Eigenregie versprechen sich die einen Stadtwerke eine große Bürgernähe. Die anderen setzen dagegen auf größere Einheiten, um den Kopf für andere Aufgaben frei zu bekommen. Welcher Weg ist vielversprechender? Ein Streitgespräch. Welche Rolle spielt das Netz in Ihrem Stadtwerk? Christoph Born Wir haben zwei große Bereiche in unserem Unternehmen, die Geld verdienen müssen. Das ist einmal der Vertrieb und das ist zum anderen das Netz. Deshalb spielt das Netz in unserem Unternehmen eine ganz wichtige Rolle.

Gäbe es ohne das Netz die Stadtwerke nicht? Born Die Stadtwerke Stade wären ohne die Netze – neben Strom sind das noch das Gas- und das Wassernetz – ein ganz anderes Unternehmen.

Herr Trunk, wenn ich Herrn Born folge, haben Sie einen großen Fehler gemacht. Sie haben das Netz aus Ihrem Unternehmen ausgegliedert und in einen größeren Verbund eingebracht. Matthias Trunk Wir haben das Netz eingebracht in die Schleswig-Holstein Netz AG. Wir sind damit sehr zufrieden. Wir brauchen keinen eigenen Netzbetrieb.

Das ist ohne Probleme verlaufen? Trunk Wir hatten natürlich anfangs eine schwierige Phase. Die Mitarbeiter waren verunsichert und haben gefragt: Wie geht das ohne Netz? Doch inzwischen klappt das hervorragend. Wir haben uns mit diesem Schritt deutlich optimiert. Themen wie Netzregulierung können viel besser gemanagt werden in einer größeren Einheit. Auch vom Ergebnis her ist der jetzige Zustand für uns viel besser.

Aber so ganz ohne Mitarbeiter der Stadtwerke Neumünster läuft doch auch bei Ihnen der Netzbetrieb nicht? Trunk Das ist richtig. Wir stellen gut 90 Mitarbeiter für den Netzservice im Auftrag der Schleswig-Holstein Netz AG vor Ort ab. Das ist sehr wichtig. Wir haben so die Wertschöpfung vor Ort erhalten, aber die Komplexität deutlich reduziert.

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Herr Born, Sie müssen alles selbst im Haus machen. Sie müssen sich mit den immer umfangreicheren Vorschriften für den regulierten Netzbetrieb beschäftigen. Sind Sie als Unternehmen damit nicht überfordert? Born Es ist in der Tat richtig, dass man personelle Ressourcen, aber auch IT-Systeme benötigt, die zunächst einmal Geld kosten. Wir schaffen das aber. Es hat sich vieles gewandelt, es sind viele Aufgaben dazugekommen. Aber das ist auch eine Herausforderung für die Mitarbeiter und das Unternehmen insgesamt, der wir uns gern stellen.

Würden Sie denn aufgrund der Erfahrungen, die Sie mit dem Netzbetrieb gemacht haben, anderen Stadtwerken beziehungsweise Kommunen empfehlen, den Netzbetrieb wieder in Eigenregie zu übernehmen? Born Das kommt auf den Einzelfall an. Eine Kommune sollte sich gründlich überlegen, welche Ziele sie mit der Übernahme verfolgt. Den Netzbetrieb einfach so zu übernehmen, ohne vorher gemachte Erfahrungen, ohne ausreichendes Know-how, halte ich für sehr problematisch. Zu einem bestehenden Stadtwerk aber passt der Netzbetrieb gut dazu. Trunk Ich halte die Rekommunalisierung gerade in kleinen Einheiten für völlig falsch. Wenn die Kommunen ahnen würden, was da auf sie zukommt an Regulierungsvorschriften, an anderen Regelungen, dann würden sie wahrscheinlich sehr schnell von dem Vorhaben Abstand nehmen. Born In diesem Punkt gebe ich Ihnen völlig Recht. Ich beobachte mit ein wenig Sorge, dass Kleinstädte – häufig auch durch Berater getrieben – sich in das Abenteuer Netzerwerb stürzen, ohne bisher in dem Geschäft engagiert gewesen zu sein. Da werden häufig wirtschaftliche Erwartungen geweckt, die sich insbesondere in kleinen Gemeinden nicht realisieren lassen.


Netzbetrieb bindet Kapital. Wäre es nicht besser, dieses Kapital vor dem Hintergrund der Energiewende in zukunftsorientiertere Bereiche zu investieren, wie das andere Stadtwerke tun?

xion: Kann ich die Professionalität wahren? Wie bin ich aufgestellt? Wo kann ich mich optimieren und wo gehe ich strategische Partnerschaften ein, um das Unternehmen weiterzuentwickeln?

Born Als Stadtwerk verwalten wir kommunales Vermögen. Das, was wir im Rahmen der Energiewende derzeit sehen, ist auch eine Umgestaltung des Lebensraumes Stadt. Wir haben als Stadtwerk die Pflicht, diese Umgestaltung aktiv mit zu gestalten. Und dazu gehören Netze, Erzeugung, Energieeffizienz, um nur einige Aufgabenfelder zu nennen. Wenn wir uns beispielsweise nur auf den Bereich Erzeugung konzentrieren würden, würden wir eine sehr risikoreiche Strategie fahren. Es ist meiner Ansicht nach besser, das Kapital auf verschiedene Felder der Wertschöpfungskette zu verteilen, um auf diese Weise eine risikoärmere Strategie zu fahren.

Dazu dürften auch die Anforderungen gehören, die im Zusammenhang mit der Energiewende auch auf die Verteilnetze zukommen. Stichwort: Smart Grid. Sind Sie als Stadtwerk – mit Netz der eine, der andere ohne – darauf vorbereitet?

Ihr Kollege Herr Trunk geht aber einen anderen Weg. Trunk Wir haben derzeit einen sehr hohen Investitionsbedarf. Wir müssen massiv investieren, um zukunftsfähig zu bleiben. Das Geschäftsfeld Netze ist aber ein Feld, in dem Sie höchstens noch Bestandssicherung betreiben können angesichts der immer schlechteren Margen, gerade vor dem Hintergrund der ständig wachsenden Regulierungsvorschriften. Wir entwickeln deshalb beispielsweise die Breitbandtechnologie als ein neues Geschäftsfeld mit Zukunftsperspektive und investieren auf breiter Basis in die Energiewende. Born Wir wollen auch wachsen. Wir haben aber entschieden, im Bereich Energie zu wachsen – einmal auf der Seite des Vertriebs, indem wir den Kunden neue Dienstleistungen anbieten und hier die Wertschöpfungskette verlängern, zum anderen auf der Seite der Erzeugung, indem wir die Potenziale der regenerativen Energie­ erzeugung in unserer Region heben. Trunk Da stimme ich mit Ihnen überein. Aber dazu benötigen Sie Kapital und Managementkapazitäten. Beides aber wird durch den Netzbetrieb in erheblichem Umfang gebunden. Das betrifft insbesondere die Managementkapazitäten angesichts der steigenden Komplexität des Netzbetriebs.

Ist also der Netzbetrieb für die Stadtwerke kein Geschäftsfeld mit Zukunftsaussichten? Trunk Beim Netz geht es bestenfalls um die Sicherung des Status quo und die Verwaltung bestehender Strukturen. Zukunft gestalten sieht anders aus.

Born Im aktuellen Marktdesign gibt es so gut wie keine positiven Effekte, die die erheblichen Investitionen rechtfertigen würden. Die bisherige Anreizregulierung setzt Anreize, so wenig wie möglich in den Ausbau von Verteilnetzen zu investieren. Diese Ausrichtung passt überhaupt nicht mehr in die aktuelle Situation, in der von uns erwartet wird, dass wir die Netze ausbauen und modernisieren sollen. Sollten wir zu einem Marktdesign kommen, das sich zum Beispiel stärker an vorzuhaltender Kraftwerksleistung orientiert, dann könnten positive Effekte entstehen. Trunk Wir stehen technisch und gesellschaftlich vor großen Herausforderungen, die von uns allen erhebliche Anstrengungen erfordern werden. Die Stadtwerke werden beweisen müssen, wie groß ihre Veränderungsbereitschaft und ihr Anpassungsvermögen sind. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir es schaffen werden: überlegt, aber nicht zögerlich, kreativ und Neuem mit Neugier begegnend.

Das wollen Sie, Herr Trunk, ohne Netz, und Sie, Herr Born, mit Netz anstreben. Der eine gibt die Macht, die angeblich mit dem Netz verbunden sein soll, auf, der andere will sie möglicherweise noch ausbauen. Trunk Der Satz „Wer das Netz hat, hat die Macht“ stimmt spätestens seit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes und der damit eingeführten Anreizregulierung nicht mehr. Ein großer Teil dieser Macht ist nach Bonn zur Bundesnetzagentur gewandert. Und mit dem gesetzlich festgelegten diskriminierungsfreien Zugang zum Netz ist dieser Machtfaktor endgültig entfallen. Born Nicht „Wer das Netz hat, hat die Macht“ muss es heißen, sondern „Wer das Netz hat, hat die Verantwortung“. Die Netze sind die Lebensadern einer Stadt und einer Region. Die Menschen wollen dem, der diese Verantwortung hat, vertrauen können. Vielleicht müssen wir den Trend zur Rekommunalisierung auch vor der Frage sehen: Haben die bisherigen Betreiber der Netze es geschafft, dass die Menschen ihnen vertrauen beziehungsweise zutrauen, dass sie die Belange einer Stadt im Blick haben?

Born Widerspruch! Wer sollte es denn besser machen? Wir haben als Stadtwerk Stade in den letzten 154 Jahren bewiesen, dass wir es können. Der klassische Netzbetrieb ist eine regionale Aufgabe. Allerdings gehört für mich dazu auch eine ständige kritische Refle-

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» Die Bedenken gegen StadtwerkeGründungen sind widerlegt!«

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Landauf, landab gründen sich neue Stadtwerke. Das Wuppertal Institut räumt neuen Versorgern in kommunaler Hand gute Chancen ein. Die Experten sehen lokale Unternehmen als wichtige Akteure im dezentralen Energiesystem von morgen.

Sie haben für Ihre Studie mehr als 70 Neugründungen von Stadtwerken untersucht. Welche Motive stecken hinter dieser „Gründungswelle“?

die wichtigsten Beweggründe. Bei Netzübernahmen wird zudem stärker in die Sanierung und Instandhaltung investiert, um die Versorgungssicherheit zu verbessern.

Dr.-Ing. Kurt Berlo Die Motivlage ist eindeutig. Die örtlichen Entscheidungsträger wollen ihre Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne der Energiewende stärker nutzen. Auf der Erzeugungsseite steht der Ausbau erneuerbarer Energien und im Vertrieb stehen Ökostromprodukte und Energiedienstleistungen im Vordergrund. Viele kommunale Akteure sind unzufrieden mit den Altkonzessionären und deren Unternehmensentscheidungen. Oft spielen auch wirtschaftliche Aspekte eine Rolle. Stärkung der regionalen Wertschöpfung, Nutzung des steuerlichen Querverbundes und Gewinnabführungen sowie Arbeitsplatzeffekte sind hier

Sie erwarten, dass in den kommenden Jahren noch zahlreiche Stadtwerke neu gegründet werden, weil bis 2016 viele Konzessionen für Strom- und Gasverteilnetze auslaufen. Wie wichtig ist der Netzbetrieb für die Erfolgsaussichten einer Neugründung? Geht es auch ohne Netz? Gehört Stromerzeugung zwingend zum Aufgabenfeld eines Stadtwerks?

Streitfragen 04|2013 Kommunale Energiepolitik

Oliver Wagner Die meisten Möglichkeiten haben Unternehmen, die auf allen Wertschöpfungsstufen aktiv sind. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen nur der Vertrieb zum Geschäftsfeld gehört. Doch meist wird eine Stufenstrategie verfolgt.


Dr.-Ing. Kurt Berlo

Oliver Wagner

ist Projektleiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. 2013 veröffentlichte er mit Oliver Wagner eine Studie zu Stadtwerke-Neugründungen und Rekommunalisierungen.

beschäftigt sich als Projektleiter am Wuppertal Institut vorrangig mit kommunaler Energiewirtschaft und mit Stadtwerke-Kooperationen.

Zunächst Vertrieb, dann bescheidener Aufbau einer Eigenstromerzeugung, etwa durch PV-Anlagen und BHKW, dann Netzübernahme und Ausbau der Eigenstromerzeugung und Nutzung der Chancen im Wärmemarkt. Schließlich bieten Energiedienstleistungen ein attraktives Geschäftsfeld.

Wagner Die formulierten Bedenken sind durch die Realität widerlegt. Wir zeigen in unserer Studie sogar Fälle von Netzübernahmen großer Betreiber, bei denen – nach erfolgter Übereignung des Netzes an die Kommune – erhebliche Wartungs- und Instandhaltungsdefizite erkannt wurden. Die meist abwertend benutzte Bezeichnung einer Zersplitterung der Verteilnetzlandschaft entspricht in Wahrheit der technischen Entwicklung zu dezentralen Lösungen. Die Zersplitterung ist kein Nachteil, sondern vielmehr ein Vorteil, weil so Netzstruktur, Unternehmensstruktur und technische Entwicklung zusammenpassen. In der Vergangenheit, als die technische Entwicklung zu immer größeren und kapital­ intensiven Kraftwerken führte, war die Entwicklung großer Unternehmen die logische Folge. Heute ist es umgekehrt. Die zunehmende Zahl von Verteilnetzübernahmen ist zudem unter wettbewerblichen Aspekten ein Vorteil. Mancher Altkonzessionär hat sich in den letzten Jahren zu gemütlich eingerichtet, Investitionen ins Netz unterlassen und lediglich nach der sicheren und attraktiven Rendite geschielt. Die Kommunen aber wissen, dass ein gutes Stromnetz auch einen Standortvorteil darstellt. Ihre Wirtschaftlichkeitsberechnungen beziehen daher volkswirtschaftliche Aspekte stärker ein und ihre Bereitschaft zu investieren ist daher größer. Denn die Erwartung von Aktionären großer Stromkonzerne ist eine andere als die eines kommunalen Gesellschafters. Die Rendite einer Kommune drückt sich auch in der Steigerung des Gemeinwohls aus, die Aktionäre von Großunternehmen hingegen haben den Shareholder Value im Blick. Größenund Know-how-Nachteile machen die kommunalen Unternehmen durch Partnerschaften bzw. Kooperationsmodelle mehr als wett. Hier zeigen sich gerade neue Stadtwerke sehr kreativ, indem sie beispielsweise mit anderen Stadtwerken und Genossenschaften zusammenarbeiten.

Ihre Studie betrachtet Städte und Gemeinden als Schlüssel­ akteure der Energiewende. Welche Rolle spielen Stadtwerke für eine kommunale Energiepolitik, die auf die Umsetzung der Energiewende zielt? Wie groß sind die Spielräume überhaupt, wenn Stadtwerke sich bei der Gas- und Stromversorgung im Wettbewerb behaupten müssen? Berlo Stadtwerke sind nah am Verbraucher und nah an den örtlichen Entscheidungsträgern. Das ist ein Vorteil, wenn es darum geht, Lösungen zu finden, den Ausbau erneuerbarer Energien vor Ort dezentral voranzubringen und Energieeinsparpotenziale zu erschließen. Gerade neue Unternehmen nutzen ihre Möglichkeiten, durch ein schlankes Unternehmen mit kurzen Entscheidungswegen und proaktiver Kooperationsbereitschaft wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Das ist übrigens auch keine Frage der Größe. Selbst Deutschlands kleinstes Stadtwerk in Hagnau am Bodensee, 1 400 Einwohner, schreibt schwarze Zahlen.

Die Rekommunalisierung der Energieversorgung wird auch kritisch gesehen. Das Bundeskartellamt warnt vor einer Fragmentierung und Zersplitterung der Verteilnetzlandschaft. Andere meinen, die Kommunen unterschätzten den Investitionsbedarf für die notwendige Ertüchtigung von Netzen im Zusammenhang mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien. Was entgegnen Sie den Kritikern? Welche Optionen haben Kommunen, um effizienten Netzbetrieb zu gewährleisten und Mittel für Investitionen im Energiesektor zu mobilisieren?

Kommunale Energiepolitik Streitfragen 04|2013

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Ralf Sch체rmann

ist Gesch채ftsf체hrer der Stadtwerke Peine.


» Es gibt gute Gründe, den Einsatz von Mini-BHKW zu forcieren.«

Kraft-Wärme-Kopplung ist technisch bereits ausgereift – schon heute sind Mini-Blockheizkraftwerke (BHKW) vielfältig im Einsatz. Wird sich dieser Trend fortsetzen? Zur Zukunft dezentraler Erzeugungstechnologien steht Ralf Schürmann Rede und Antwort.

Kommunale Energiepolitik Streitfragen 04|2013

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» Dezentralen Erzeugungstechnologien gehört in vielen Bereichen die Zukunft.«

Das Thema Mikro-Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) hat durch Modelle und Strategien wie der von "Lichtblick" erheblich an Popularität gewonnen. Große Hoffnungen haben sich aber bisher so nicht erfüllt. In welchen Bereichen hat die dezen­ trale Energieproduktion eine Zukunft, in welchen nicht? Ralf Schürmann Dezentralen Erzeugungstechnologien gehört in vielen Bereichen die Zukunft. Deshalb mangelt es auch nicht an unterschiedlichen Geräten, die entweder Strom oder Wärme für den privaten oder den gewerblichen Einsatz erzeugen. Kraft-Wärme-Kopplung ist dabei die einzige etablierte Technik, die gleichzeitig Strom und Wärme erzeugt. Darin liegen ihre besondere Stärke und ihre Marktchancen. Einsatzgebiete finden sich in fast allen Wohn- und Gewerbeobjekten, die einen Bedarf an Heiz- oder Prozesswärme, an Warmwasser und an einer möglichst hohen Stromeigennutzung haben. Je mehr dieser Bedarfe auftreten, desto wirtschaftlicher ist die Nutzung von Mikro-BHKW. Heute sind Mini-Blockheizkraftwerke mit einer elektrischen Leistung von mehr als zehn Kilowatt Stand der Technik und finden seit Jahren Einsatz in Schulen, Schwimmbädern und Gewerbetrieben. Dieser Markt dürfte weiter wachsen. Im Leistungsbereich unterhalb von zehn kWel gibt es auch ständig neue Markteinführungen. So sind bereits mehr als 30 verschiedene Geräte im Bereich bis zu drei Kilowatt elektrischer Leistung erhältlich. Mikro- und Mini-BHKW sind bei der Sanierung von Bestandsbauten eine wirtschaftliche und ökologisch sinnvolle Alternative zu einer herkömmlichen Energieversorgung. Im Neubaubereich sind derzeit andere Technologien für Endkunden vorteilhafter.

Woran liegt es, dass das virtuelle Kraftwerk noch in den Kinderschuhen steckt? Schürmann Vier Herausforderungen gilt es zu bewältigen, um virtuellen Kraftwerken zum Durchbruch zu verhelfen. Zunächst geht es um Stückzahlen und die insgesamt installierte

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Streitfragen 04|2013 Kommunale Energiepolitik

Leistung. Für ein virtuelles Kraftwerk brauchen wir eine entsprechende Anzahl an steuerbaren Kraftwerken. Zweitens: die Vernetzung der einzelnen Anlagen zu einem virtuellen Kraftwerk in einer Regelzone. Hier müssen wir kostengünstige IT- und Kommunikationsstrukturen schaffen. Diese beiden Herausforderungen sind technischer Natur. Aber auch der Strommarkt muss für virtuelle Kraftwerke bereit sein. Entsprechende Preissignale sind erforderlich. Und der letzte Punkt: Wir brauchen die richtigen Marktakteure und Produkte für den Endkunden, um virtuelle Kraftwerke zu einem Erfolgsmodell zu machen. Wichtig ist dabei der reibungslose Informationsfluss zwischen diesen Marktakteuren und den lokalen Erzeugern. Diese Rolle können kommunale Energieversorger und Stadt­ werkeKooperationen übernehmen. Sie sind nah am Kunden und oft gut untereinander vernetzt. Anhand welcher Kriterien kann ein Investor oder auch einfach nur Hausbesitzer feststellen, ob eine Mini- oder MikroKWK für ihn das Richtige ist? Schürmann Mini- und Mikro-BHKW sind bereits heute wirtschaftlich. Das hat unter anderem die Stiftung Warentest bestätigt. Für Investoren und Hausbesitzer lohnt sich immer auch der vergleichende Blick auf die Preise der Energieträger. Hier zeigt sich: Im Vergleich von Strom, Gas, Holz und Öl zeichnet sich der Preis für Erdgas seit 2005 durch ein hohes Maß an Stabilität aus. Ein gutes Argument für Investitionen in Mini-BHKW. Grundsätzlich eignet sich ein Mini- oder Mikro-BHKW in allen gewerblichen und privaten Objekten, wo Strom und Heizwärme benötigt werden. Vorteilhaft ist es auch, die Warmwasseraufbereitung in das System zu integrieren. Ein Zugang zum Erdgasverteilnetz sollte verfügbar sein, alternativ ist aber auch der Betrieb von einigen KWK-Anlagen mit Flüssiggas möglich. Wenn in Bestandsgebäuden die alte Heizungsanlage auf Öl- oder Gas­ basis ersetzt werden muss, bieten sich Mini-BHKW unbedingt an.


Dabei können Investoren auf eine vorhandene Wärmeverteilung zurückgreifen. Der zusätzliche Schornstein, der zumeist nötig ist, um den Brennwerteffekt nutzen zu können, hat sich schnell amortisiert. Mindestkriterien für den Einsatz von Mikro-BHKW mit einer elektrischen Leistung von maximal einem Kilowatt sind in der Regel ein Wärmebedarf ab 20 000 kWh und ein Stromverbrauch von mindestens 3 000 kWh. Was sind die entscheidenden Kriterien, damit sich eine solche Anlage rechnet? Schürmann Zentrales Kriterium für die Wirtschaftlichkeit von KWK-Anlagen ist deren Dimensionierung in Verbindung mit einem Spitzenlastkessel. Wer seine Anlage richtig dimensioniert und dann auch noch den Strom weitgehend selbst nutzt, ist wirtschaftlich zumeist auf der sicheren Seite. Die reine Einspeisung erzeugter Strommengen ist dagegen in der Regel nicht wirtschaftlich. Bereits ab 40 Prozent Eigennutzung ist ein wirtschaftlicher Betrieb möglich.

Was ist das Potenzial für Deutschland insgesamt? In welchen Zeiträumen müssen wir uns eine Umsetzung vorstellen? Schürmann Ich gehe davon aus, dass 2022 in rund 120 000 Wohnhäusern Mini-BHKW für Strom und Wärme sorgen. Die Nachfrage nach den kleinen Energiepaketen wird steigen, wenn die Stückkosten in der Produktion sinken. Zusätzlich hängt die tatsächliche Entwicklung aber auch von den energiepolitischen Rahmenbedingungen und einer aktiven Information der Bürger ab. Um es konkreter zu machen: Peine verfügt bei rund 50 000 Einwohnern über 16 000 Gasanschlüsse. Bei einer durchschnittlichen Lebensdauer einer Heizungsanlage von 20 Jahren, haben wir eine Anzahl von 360 Anlagen pro Jahr ermittelt, die grundsätzlich durch Mikro-BHKW ersetzt werden könnten. Wenn wir fünf bis zehn Prozent dieses Potenzials erschließen können, dann ist dies für die Stadtwerke Peine ein interessantes Geschäftsfeld.

Was ist das zentrale energiewirtschaftliche Argument für dezentrale Erzeugung – Klimaschutz, Versorgungssicherheit oder vermiedener Netzausbau oder anderes? Schürmann Letztlich haben alle Argumente ihre Berechtigung und greifen ineinander. Die Bedeutung dieser Technologie erschließt sich sofort, wenn man bedenkt, dass gerade die Haushalte mit 30 Prozent den größten Anteil am Energieverbrauch in Deutschland haben. Mehr noch: Raumwärme macht rund 75 Prozent des Energieverbrauches eines deutschen Haushaltes aus. Genau hier liegt der Markt für Mini-BHKW. Doch es gibt auch andere gute Gründe für Stadtwerke, den Einsatz von Mini-BHKW zu forcieren: Ein weiter sinkender Wärmeverbrauch in den Haushalten führt für die Gaswirtschaft zu drastischen Umsatzeinbußen. Diese Entwicklung lässt sich durch andere Geschäftsmodelle ganz oder teilweise kompensieren. Viele dieser Geschäftsmodelle fußen auf dezentraler Energieversorgung mit KWK. Energieversorger müssen sich dabei mehr und mehr zum Energiedienstleister wandeln. Ein großflächiger Einsatz von steuerbaren Mini-BHKW könnte in Einzelfällen auch teure Netzausbaumaßnahmen vermeiden helfen. Und schließlich können Blockheizkraftwerke zuverlässig zu den Schwachlastzeiten der erneuerbaren Energien eingesetzt werden und sichern damit die Energiewende ab. Kurzum: Klimaschutz, Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit machen zusammen die Kraft-Wärme-Kopplung zur Zukunftsenergie.

In welche Richtung wird geforscht? Schürmann Brennstoffzellen im Mikrosegment (Einfamilienhaus) stehen gegenwärtig im Mittelpunkt der Forschung. Vor allem streben Wissenschaftler die einfache hydraulische Einbindung in bestehende Heizsysteme an, um die Mini-Kraftwerke als Add-on neben der laufenden Heizung zu verwenden. Größter Vorteil der Brennstoffzellen: Der elektrische Wirkungsgrad ist wesentlicher höher als bei Otto- oder Stirlingmotoren. Weitere Forschungsschwerpunkte sind die Bereiche Power to Gas, Batterietechnologien und Latent-Wärmespeicher. Wobei Power to Gas einen vergleichsweise niedrigen Wirkungsgrad besitzt und Batteriespeicher sehr teuer sind. Die intelligente Kombination bestehender Technologien scheint besonders aussichtsreich zu sein. Dazu gehören vor allem Power to Heat und Virtuelle Stromspeicher.

Kommunale Energiepolitik Streitfragen 04|2013

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Was tun gegen Nitrat? ›

Seit 20 Jahren fördert Niedersachsen die Zusammenarbeit von Wasserversorgern und Landwirten für den Schutz des Trinkwassers. Dennoch steigt der Nitratgehalt des Grundwassers in vielen Gebieten wieder. Landesumweltminister Stefan Wenzel und Johann Hans vom Wasser- und AbwasserZweckverband Niedergrafschaft erläutern Lösungsansätze.


Johann Hans

führt die Geschäfte des Wasser- und AbwasserZweckverbands (WAZ) Niedergrafschaft. Der WAZ versorgt die Einwohner eines 600 Quadratkilometer großen Gebiets mit Trinkwasser.

Über 50 Prozent der Messstellen überschreiten den Grenzwert. Die EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) schreibt vor, dass die Bewirtschaftung der Gewässer ökologisch ausgestaltet werden muss, und verfolgt unter anderem das Ziel, sowohl in den Oberflächengewässern als auch im Grundwasser einen guten Zustand zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Grundwasser ist gemäß WRRL so zu bewirtschaften, dass eine Verschlechterung seines mengenmäßigen und seines chemischen Zustands vermieden wird und dass alle signifikanten und anhaltenden Trends ansteigender Schadstoffkonzentrationen umgekehrt werden. Deutschland schneidet schlecht ab

Die Europäische Kommission hat Anfang Oktober den zweiten Bericht zur Umsetzung der seit 1991 geltenden Nitratrichtlinie vorgelegt. Ziel der Richtlinie ist es, Nitrat in den Gewässern zu reduzieren und Einträge zu verhindern. In Deutschland sollten die Vorgaben der Nitratrichtlinie durch die Düngeverordnung umgesetzt werden. Der aktuelle Bericht zeigt, dass Deutschland neben Malta am schlechtesten in der EU abschneidet: Über 50 Prozent der Messstellen überschreiten den Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter, circa 90 Prozent liegen über dem allgemeinen Richtwert von 25 Milligramm Nitrat pro Liter. In Niedersachsen sind über 60 Prozent der Grundwasserkörper in einem schlechten Zustand. Besonders im Bereich Weser-Ems ist nach einer Umfrage des BDEW und des WVT ein steigender Trend der Nitratkonzentrationen in verschiedenen Wassereinzugsgebieten festzustellen. Bedingt durch die agrarpolitischen Rahmenbedingungen – auch in Verbindung mit der zunehmenden Nutzung regenerativer Energiequellen – nimmt die Bewirtschaftungsintensität in der Fläche immer weiter zu. In unserem Landkreis mit einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von rund 60 000 Hektar wurde in den vergangenen Jahren der Viehbestand von 2,11 auf 2,56 Großvieheinheiten erhöht. 46 Biogasanlagen verstärken die Probleme in unserer Veredlungsregion. Dies führt zunehmend zu hohen Stickstofffreisetzungen, die einer Zielerreichung der von der EU vorgegebenen Qualitätsnormen im Gewässerschutz entgegenstehen.

2012 ist die Landesverbringungsverordnung in Niedersachsen in Kraft getreten und im Oktober 2013 wurde der erste Nährstoffbericht veröffentlicht. Dies sollte ein erster Schritt sein, um einen Überblick über die aktuelle Nährstoffsituation und den Flächenbedarf in Niedersachsen zu bekommen. Erleichterung in der niedersächsischen Landwirtschaft, da demnach nur 65 000 Hektar Fläche für den vorhandenen Nährstoffanfall fehlen. Dringender Klärungsbedarf

Grundlage für die in diesem Bericht vorgenommenen Berechnungen sind die Mindestvorgaben der zurzeit geltenden Düngeverordnung. Diese Verordnung lässt zu, dass zunächst bis zu 45 Prozent der tatsächlich anfallenden Nährstoffe als Stall- und Lagerverluste abgezogen werden können. Sie lässt weiter zu, dass von dem verbleibenden Stickstoffanfall im Durchschnitt nur 62 Prozent als anrechenbar berücksichtigt werden. Im Ergebnis könnte es sein, dass nach der geltenden Düngeverordnung nur rund 50 Prozent des tatsächlichen Nährstoffanfalls der Flächen­ ermittlung zugrunde gelegt werden. Auch bei den Biogasanlagen werden nur 60 Prozent des anfallenden Stickstoffs als anrechenbar in Ansatz gebracht. Ist es gerechtfertigt, dass über 50 Prozent der tatsächlich anfallenden Nährstoffe als Stall- und Lagerverluste und nicht anrechenbare Stickstoffmengen bei der Bewertung völlig außer Ansatz bleiben? Wo bleiben diese Mengen? Bei der Überarbeitung der Düngeverordnung sind auch diese Fragen dringend zu klären. Völlig unberücksichtigt bleiben dabei auch die Stickstoffmengen, die als Mineraldünger ausgebracht werden.

Wasserwirtschaft Streitfragen 04|2013

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Wir brauchen dringend eine Novellierte Düngeverordnung

In Niedersachsen unterstützen die Wasserversorgungsunternehmen die vom Land vorrangig favorisierten freiwilligen Kooperationen mit der Landwirtschaft. Hierbei werden Bewirtschaftungseinschränkungen – reduzierte Stickstoffdüngung, kein Mais- und Kartoffelanbau – und Auflagen – etwa Maisuntersaaten – vereinbart und der wirtschaftliche Nachteil ausgeglichen. Mit diesen Maßnahmen wurden in den vergangenen Jahren durchaus Erfolge erzielt. Bei der derzeit in weiten Teilen des Landes stattfindenden Intensivdüngung reichen diese auf Dauer in den Veredlungsregionen aber nicht aus, um den Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter einzuhalten. Wir brauchen dringend eine novellierte Düngeverordnung, die endlich auch die Vorgaben der Nitratrichtlinie und der Wasserrahmenrichtlinie berücksichtigt und dazu beiträgt, dass Deutschland die Grenzwerte wieder einhalten kann. Feinjustierungen helfen nicht weiter, eine generelle Überarbeitung der Verordnung ist erforderlich. Diese Überarbeitung muss auf Basis der Vorgabe „Wasserrecht taktet das Düngerecht“ erfolgen.

Die EU-Kommission kommt aufgrund des Berichtes zur Umsetzung der Nitratrichtlinie zu der Feststellung, dass bezüglich der Aktionsprogramme Klärungsbedarf besteht. Sie hat erkannt, dass die in Deutschland bislang eingeleiteten Maßnahmen die Vorgaben der WRRL und der Nitratrichtlinie nicht erfüllen. Der Nährstoffausgleich zwischen Gebieten mit hohem und vergleichsweise niedrigem Nährstoffaufkommen muss intensiviert werden. Ein vollständiger Informationsabgleich zwischen den Landkreisen und der Landwirtschaftskammer ist für eine umweltgerechte Nährstoffverwertung erforderlich. Die qualifizierten Flächennachweise müssen turnusmäßig überprüft werden. Dabei ist auch zu prüfen, ob die Einführung eines Düngekatasters zielführend sein könnte. Bislang fehlt es an ausreichenden Lagerkapazitäten für Nährstoffe. Dies führt dazu, dass in der vegetationsarmen Zeit Nährstoffe ausgebracht werden müssen, die von den Pflanzen nicht mehr aufgenommen und dann während der Grundwasserneubildung mit ausgewaschen werden.

DAS Einhalten des Düngerechtes ist eine Grundvoraussetzung. Im Jahr 2010 wurde im ersten Bewirtschaftungsplan nach Wasserrahmenrichtlinie gegenüber der EU-Kommission berichtet, dass die Grundwasserkörper auf einer Fläche von 60 Prozent Niedersachsens aufgrund der Nitratbelastung in einem schlechten Zustand sind. Hierbei ist zu beachten, dass diese Grundwasserkörper nicht auf ihrer gesamten Fläche nitratbelastet sind, sondern jeweils in der als sogenannte Zielkulisse ausgewiesenen Teilfläche. Diese umfasst ca. 12 700 Quadratkilometer, etwa 25 Prozent der Landesfläche, mit einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von 7 300 Quadratkilometern. Erfolge werden konterkariert

Vor dem Hintergrund, dass in Niedersachsen im Rahmen des sogenannten Kooperationsmodells seit 20 Jahren in Wassergewinnungsgebieten auf freiwilliger Basis in Zusammenarbeit von Wasserversorgungsunternehmen und Landwirten Maßnahmen zum Trinkwasserschutz sowie eine intensive Beratung finanziert werden, ist die Entwicklung hin zu wieder steigenden Nitratgehalten alarmierend. Die nachweisbaren Erfolge vieler Kooperationen werden offensichtlich durch falsche Anreize und unzureichende Anforderungen und Umsetzung des landwirtschaftlichen Fachrechts konterkariert. Niedersachsen hat ein Nährstoffverteilungsund Nährstoffüberschussproblem

Die aktuellen Auswertungen zur Nitratkonzentration an den über 1  000 Wasserrahmenrichtlinien-Messstellen lassen für einige Messstellen einen fallenden, für andere einen steigenden Trend erkennen. Hier ist in einigen Bereichen eine Verschlechterung der Situation eingetreten. Gleiches gilt für die Entwicklung in den Wasserschutzgebieten. Auch hier gibt es Gebiete mit einer fallenden Belastung, aber auch solche, in denen gerade in den oberflächennah verfilterten Messstellen ein Anstieg der Nitratkonzentration zu verzeichnen ist.

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Streitfragen 04|2013 Wasserwirtschaft

Der jüngst von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vorgelegte Nährstoffbericht dokumentiert regional hohe Überschüsse von Stickstoff und Phosphor aus dem Aufkommen an Wirtschaftsdünger. Berücksichtigt man zudem die in Niedersachsen eingesetzte Menge an Mineraldünger, ergibt sich auch im landesweiten Durchschnitt ein Stickstoffüberschuss, der den Pflanzenbedarf weit übersteigt und zu Belastungen des Grundwassers geführt hat. Es ist deutlich geworden, dass Niedersachsen nicht nur ein Nährstoffverteilungsproblem hat, sondern auch ein Nähr-


Stefan Wenzel

ist niedersächsischer Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz. Der GrünenPolitiker zog 1998 in den Landtag ein, 2004 übernahm er den Fraktionsvorsitz.

stoffüberschussproblem. Ein Export von Wirtschaftsdünger in Bedarfsregionen ist ein wichtiger Beitrag zur Lösung des Problems, wird allein jedoch nicht reichen, um den Nitratbelastungen des Grundwassers wirkungsvoll zu begegnen. Es ist insgesamt zu viel Stickstoff im System, der Gewässer und Natur belastet. Sowohl für die Sicherung der Trinkwasserqualität als auch für die Zielerreichung nach Wasserrahmenrichtlinie ist das Einhalten des bestehenden Düngerechtes zunächst eine Grundvoraussetzung. Niedersachsen plant daher, mehrere Instrumente zur Kontrolle der ordnungsgemäßen Düngung in Form eines Düngekatasters zu etablieren. Die Meldeverordnung für Wirtschaftsdünger ist ein Schritt in die richtige Richtung. Über den Nährstoffanfall und dessen ordnungsgemäße Verwertung innerhalb eines Betriebes können aus diesen Daten jedoch noch keine Aussagen abgeleitet werden. Daran arbeiten wir. Der nächste Schritt wird die Erfassung und Kontrolle der Nachweisflächen sein, die für Tierhaltungs- und Biogasanlagen zur Ausbringung von Wirtschaftsdüngern und Gärresten gebunden sind. Düngekataster als Kontrollinstrument

Auf Bundesebene wird sich Niedersachsen dafür einsetzen, dass im Rahmen der Novellierung der Düngeverordnung fachrecht­ liche Anforderungen konkretisiert und verstärkt werden, um die Trinkwasserqualität sichern und die Qualitätsanforderungen der Wasserrahmenrichtlinie erreichen zu können. Dazu gehören beispielsweise Regelungen für aussagekräftige Nährstoffvergleiche einschließlich wirkungsvoller Kontrollmöglichkeiten ebenso wie die Verlängerung von Sperrfristen zur Ausbringung organischer Düngemittel, die Ausweitung von Mindestlagerkapazitäten sowie erhöhte Anforderungen an die Ausbringungstechnik organischer Düngemittel. Auch die Begrenzung der Phosphorzufuhr bei hochversorgten Böden und die Einbeziehung von Gärresten pflanzlicher Herkunft in die Obergrenze von 170 kg Stickstoff pro Hektar für die Ausbringung von Wirtschaftsdüngern sollten bei der Novellierung berücksichtigt werden.

Die gemeinsame Analyse landwirtschaftlicher und wasserwirtschaftlicher Daten und Modellergebnisse kann zur Identifikation möglicher Verletzungen des Ordnungsrechtes und der damit verbundenen Konsequenzen für die Wassergüte beitragen. Ich halte den kooperativen Ansatz im Trinkwasser- und Grundwasserschutz auch weiterhin für den richtigen Weg: Das Umweltministerium stellt dafür jährlich rund 18 Millionen Euro zur Verfügung. Das Ordnungsrecht muss dafür jedoch eine solide Basis bilden und künftig einen deutlich größeren Anteil zur Lösung des Nährstoffproblems beitragen. Falls die genannten Maßnahmen nicht zu einer Verbesserung führen, kann die Ausweisung von Schutzgebieten zur Vermeidung des Eintrags von Düngemitteln nach § 51 (1) Nr. 3 des Wasserhaushaltsgesetzes erforderlich werden. Hier wären – vergleichbar mit Trinkwasserschutzgebieten – erhöhte Anforderungen an die Flächenbewirtschaftung zu erfüllen. Bioerzeugung macht Gewässerschutz schwierig

Das Hauptproblem liegt nach wie vor bei einer „durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen verursachten Gewässerverunreinigung“ – wie es die EU-Nitratrichtlinie aus 1991 formuliert. In Niedersachsen fallen jährlich rund 39 Millionen Tonnen Gülle, acht Millionen Tonnen Festmist sowie rund zehn Millionen Tonnen Gärreste pflanzlicher Herkunft an. Allein der Anfall an Gärresten pflanzlicher Herkunft entspricht somit einem Nährstoffumfang von rund 50 000 Tonnen Stickstoff und rund 21 000 Tonnen Phosphor (als P2O5). Diese Mengen fallen zusätzlich zum Nährstoffaufkommen aus Tierhaltungsanlagen an und werden auf landwirtschaftlichen Nutzflächen ausgebracht. Negativ für den Gewässerschutz ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass nach Düngeverordnung diese Gärreste nicht in die zulässige Obergrenze von 170 kg Stickstoff pro Hektar und Jahr aus Wirtschaftsdünger einberechnet werden müssen. Ein weiterer für den Wasserschutz bedeutender Aspekt ist die Ausweitung des Maisanbaus als Energiepflanze, häufig sogar auf umgewandelten Grünlandstandorten, wodurch über Jahre große Mengen an Stickstoff aus dem Boden mineralisiert werden. Zwar ist es grundsätzlich möglich, Mais auch gewässerschonend anzubauen, in der Praxis wird Mais jedoch – insbesondere in Nährstoffüberschussregionen – häufig über dem Pflanzenbedarf gedüngt. Nach der Maisernte werden regelmäßig hohe Reststickstoffgehalte im Boden gemessen, die über Winter mit dem Sickerwasser ins Grundwasser gelangen.

Wasserwirtschaft Streitfragen 04|2013

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» Die Energiewende macht die Branche

wieder sexy.«


Andreas Henrich

leitet das Personalmanagement der RWE Deutschland AG. Die Gesellschaft bündelt die Vertriebs- und Netzaktivitäten des Konzerns in der Bundesrepublik. Im Jahr 2012 setzte die Deutschland-Tochter mit mehr als 19 000 Beschäftigten knapp 24 Milliarden Euro um.

RWE will bis 2016 allein in Deutschland mehr als 4 000 Arbeitsplätze abbauen. Trotzdem setzt der Konzern viele Hebel in Bewegung, um talentierte Nachwuchskräfte zu gewinnen. Andreas Henrich beschreibt die vielfältigen Möglichkeiten eines – immer noch – großen Unternehmens. Herr Henrich, Personalabbau auf der einen Seite und intensive Bemühungen um Berufsnachwuchs auf der anderen Seite – wie passt das zusammen? Wir bauen Personal ab, das ist bekannt. Das tun wir möglichst sozialverträglich. Zugleich denken wir an die Zukunft und wollen Nachwuchskräfte gewinnen, gerade auch für die Umsetzung der Energiewende. Da brauchen wir Ingenieurinnen und Ingenieure, Naturwissenschaftler und Elektrotechnikerinnen, die Spaß an diesen Dingen haben. Ich benutze bewusst die weibliche Form, weil wir uns vorgenommen haben, den Frauenanteil im Unternehmen zu erhöhen und junge Frauen und Mädchen für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern. Andreas Henrich

Wie langfristig planen Sie denn? Henrich Wir untersuchen regelmäßig die langfristige Mitarbeiterstruktur, indem wir das gesamte Unternehmen in Job-Familien aufteilen. Anhand der Mitarbeiterdaten können wir früh erkennen, wo wir aufgrund der demografischen Entwicklung möglicherweise Probleme bekommen. Aktuell verlassen die sogenannten Babyboomer über Altersteilzeit und normale Verrentung das Unternehmen. In den nächsten vier, fünf Jahren sind das bis zu 1 700 Kolleginnen und Kollegen. Das wissen wir heute schon. Das hilft uns beim Personalabbau. Aber viele dieser Stellen müssen wir nachbesetzen mit jungen Leuten. Das Durchschnittsalter unserer Mitarbeiter liegt bei 47,3 Jahren – mit den Nachwuchskräften können wir die Alterspyramide wieder zurechtrücken.

Wie attraktiv ist die Energiewirtschaft insgesamt für junge Leute? Henrich Wir haben in den vergangenen Jahren gut aufgeholt im Ranking der attraktiven Arbeitgeber. Wir stehen jetzt wieder im oberen Mittelfeld. Das liegt daran, dass wir im Zusammenhang mit der Energiewende spannende neue Themen anbieten, für die sich junge Menschen begeistern. Da möchten sie mitmachen und mitgestalten. Wenn Sie so wollen: Die Energiewende macht die Branche wieder sexy.

Absolventen von ingenieur- und naturwissenschaftlichen Studiengängen werden von vielen Großunternehmen umworben. Wie bestehen Sie im Wettbewerb mit Siemens, Daimler & Co.? Henrich Wir sind bei allen maßgeblichen Hochschulmessen präsent, um junge Menschen direkt anzusprechen und ihnen Auskunft zu geben. Wir wollen sie möglichst früh mit dem Unternehmen und seinen Möglichkeiten bekannt machen. Außerdem pflegen wir intensive Kontakte zu Hochschulen. Beispielsweise haben wir Mitarbeiter, die dort Lehrtätigkeiten ausüben und dabei auch das Unternehmen vertreten.

Nachwuchs Streitfragen 04|2013

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Henrich RWE Deutschland bietet Praktikumsplätze an und betreut Bachelor- und Masterarbeiten sowie Promotionen. Absolventen können sehr zügig als Trainees einsteigen: Wenn die Bewerberin oder der Bewerber zu uns passt, brauchen wir vom ersten Kontakt bis zum Abschluss des Vertrags nur 40 Tage. Ein anderes Beispiel: Der StudyCircle richtet sich speziell an junge Leute, die im Anschluss an ihre Ausbildung bei RWE Vollzeit studieren. Denen geben wir die Möglichkeit, in den Semesterferien bei uns zu arbeiten und ihre Praktika zu absolvieren. Wir betreuen ihre Abschlussarbeiten und halten dadurch den Kontakt. In der Reihe RWE MINTALENTS wenden wir uns mit Infoveranstaltungen und Exkursionen speziell an Studentinnen der Mathematik, Informatik, der Naturwissenschaften und der Technik-Fächer.

Wie verändert der Ausbau der Erneuerbaren Energien die Anforderungen an Mitarbeiter in der Energiewirtschaft? Henrich Wir brauchen Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht nur mit Elektrotechnik befassen, sondern sich auch mit Informationstechnologie auseinandersetzen. Um die dezentrale Erzeugung zu integrieren, werden wir künftig viel mehr Informations- und Nachrichtentechnik in den Netzen verbauen. Wir brauchen Menschen, die damit umgehen und die Smart Grids der Zukunft steuern können.

Entstehen da neue Berufsbilder? Henrich Ja, auch deshalb, weil die Bereiche Energie und IT immer stärker zusammenwachsen. So haben wir in Kooperation mit der Hochschule Ruhr West in Mülheim an der Ruhr und Bottrop den Studiengang „Energieinformatiker“ aufgebaut. Mit der Fachhochschule in Jülich kooperieren wir in einem MasterStudiengang, der Elektrotechnikern zusätzliche IT-Kompetenz vermittelt. Außerdem hat RWE die nötigen Ressourcen, vorhandene Mitarbeiter gezielt weiter zu schulen. So entwickeln sie die Kompetenzen, die das Unternehmen jeweils braucht.

Welche Rolle spielen Online-Medien und soziale Netzwerke für Ihre Personalarbeit? Die jungen Absolventen kaufen heute keine Zeitung und sehen den Stellenteil durch. Heute schaut man sich den Internet-Auftritt des Unternehmens an und durchsucht dort die JobBörse. Die Bewerbung erfolgt per Online-Formular und mit eingescannten Unterlagen. Das ist für alle einfacher – auch für uns, denn wir können viel schneller Kontakt aufnehmen. Wir legen deshalb großen Wert auf unseren Internet-Auftritt. Außerdem sind wir in Netzwerken wie Xing präsent. Dort können wir selbst nach potenziellen Kandidaten suchen und sie ansprechen. Henrich

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Streitfragen 04|2013 Nachwuchs

» Wir setzen darauf, schon Schülerinnen und Schüler für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern.«

Welche Möglichkeiten haben Studierende und Absolventen bei Ihnen?

In den Naturwissenschaften sind nur wenige Prozent der Absolventen weiblich. Wie ließe sich dieser Wert steigern? Henrich Wir setzen darauf, schon Schülerinnen und Schüler für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern. Speziell die Mädchen laden wir einmal im Jahr zum Girls Day ein. Außerdem bieten wir Schülerpraktika in unseren Ausbildungswerkstätten an. Dann gibt es unser Programm „Mitarbeiter machen Schule“. Hier geben wir Kolleginnen und Kollegen, die sich engagieren wollen, die Möglichkeit, mit professionell vorbereiteten Unterrichtsmaterialien in die Schulen zu gehen. Dort berichten sie über ihren Job und erzählen, wie spannend der ist.

Wir haben jetzt über die Initiativen eines einzelnen Unternehmens gesprochen. Wäre es sinnvoll, wenn die Branche als Ganzes um Berufsnachwuchs werben würde? Henrich Wir bedienen uns am selben Arbeitsmarkt wie die Kollegen aus dem Mittelstand und bei den Stadtwerken. Da halte ich es für vernünftig zu überlegen: Was können wir gemeinsam tun, um künftig den Nachwuchs beispielsweise bei den Facharbeitern zu sichern? Das würde die Anstrengungen der einzelnen Unternehmen sinnvoll ergänzen und der ganzen Branche guttun.


zu anderen Branchen, wie zum Beispiel Automobil und IT, aber auch Pharmazie, die aus ihrer Sicht bei den talentierten Nachwuchskräften höher im Kurs stehen.

03 An welchen Punkten würde eine branchenübergreifende Nachwuchsarbeit helfen, was bleibt besser in der Kompetenz der einzelnen Unternehmen?

DREI Fragen an Peter Asmuth

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Sie haben im BDEW die Initiative ergriffen und die branchenübergreifende Nachwuchssicherung zum Thema gemacht. Warum? Der seit vielen Jahren diskutierte demografische Wandel kommt jetzt in den Unternehmen an, und zwar gerade bei den Stadtwerken. Die Mitarbeiterstruktur unserer Mitgliedsunternehmen ist – auch vor dem Hintergrund einer personellen Konsolidierung in den letzten Jahren – tendenziell überaltert. In den nächsten zehn Jahren müssen 25 Prozent der Stellen in der Branche trotz Restrukturierung neu besetzt werden. Auch die großen technischen Herausforderungen der Energiewende werfen für die Personalplanung der nächsten Jahre Fragen auf. Es wird zunehmend schwerer, im technischen Bereich gut ausgebildete und leistungsbereite Mitarbeiter zu finden. Noch können wir alle Stellen besetzen, die Bewerberzahlen gehen jedoch signifikant zurück. Aber auch die Diskussion in der deutschen Wirtschaft insgesamt lässt aufhorchen. Da ist vom Wettlauf um Fach­kräfte,

von einer Zeitenwende auf dem Lehrstellenmarkt und vom Fischen im leeren Teich die Rede. Allein in NRW werden die Zahlen der Schulabgänger, Auszubildenden und Studenten um circa 22 Prozent zurückgehen. Damit müssen wir uns in der Energie- und Wasserwirtschaft auseinandersetzen.

02 Sie haben Unternehmen der Branche befragt. Was ist dabei herausgekommen? Der Mangel an Nachwuchskräften wird eindeutig vor allem im technischen Bereich erwartet. Das betrifft Ingenieure, aber auch die gewerblich-technischen Berufe. Manche Berufsbilder, wie etwa der Netzingenieur, entstehen neu oder verändern sich in den Anforderungen rapide. Engpässe erwarten die Unternehmen aber auch bei einigen kaufmännischen und juristischen Kompetenzen, spezialisierte Vertriebler können ebenfalls zum Engpass werden. Die befragten Personaler sehen sich außerdem in einer harten Konkurrenz

Die Gewinnung, Entwicklung und Bindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ureigene Unternehmensaufgaben. Die Entwicklung einer starken Arbeitgebermarke für das eigene Unternehmen kann einem niemand abnehmen. Da stehen die Stadtwerke auch sehr gut da. Hier kann im Sinne einer strategischen Personalplanung aber auch noch viel Potenzial gehoben werden. Auf Ebene der Branche dagegen sollte es zumindest einen gut strukturierten Austausch zu diesen Themen geben. Insbesondere Stadtwerke würden darüber hinaus davon profitieren, wenn es gut und jugendgerecht aufbereitetes Material über die Branche als Arbeitgeber, über Karrierewege und Berufe geben würde, damit nicht jeder das Rad neu erfinden muss. Auch mehr Transparenz bei den sich extrem dynamisch entwickelnden akademischen Ausbildungsgängen können wir gemeinsam und für alle organisieren. Bei der Frage: „Welche Themen, welche Arbeitsfelder interessieren mich als Abiturient, als angehender Ingenieur?“ konkurrieren nicht die Unternehmen miteinander, sondern die großen Wirtschaftsbranchen. Hier müssen wir gemeinsam ein besseres Image und Standing der Energie- und Wasserwirtschaft erarbeiten. Ein konkretes Beispiel: Die in den Schulen dringend benötigten Materialien zur Berufsorientierung für die Jugendlichen, aber auch für Eltern und Lehrkräfte muss nicht jeder selber machen, sondern sie können für die ganze Branche erarbeitet und herausgegeben werden.

Dr. Peter Asmuth

ist Mitglied des Vorstandes der STAWAG Stadtwerke Aachen Aktiengesellschaft.



» Viele Bürger glauben weder Politikern noch Unternehmen.«

Bauvorhaben im Zuge der Energiewende stoßen zunehmend auf gut organisierten Bürgerprotest. Für den Politologen Prof. Dr. Franz Walter ist dieser Widerstand nicht zuletzt Aus­ druck eines wachsenden Misstrauens. Nach seinen Erkenntnissen richtet sich der Argwohn der Bürger aber nicht nur gegen die Politik – auch Unternehmen müssen sich darauf einstellen.

Herr Prof. Walter, Sie haben für die jüngste BPGesellschaftsstudie ein breites Spektrum von Protestbewegungen untersucht. Wie stehen diese Gruppen zur Politik? Prof. Dr. Franz Walter Wir registrierten vor allem zu Beginn des Jahrzehnts ein besonders stark ausgeprägtes Misstrauen. Dieses Misstrauen – und nicht der Protest – ist bei vielen Bürgern die erste Reaktion auf spektakuläre politische Entscheidungen und die Ankündigung größerer Projekte. Man glaubt „denen“ nicht. Speziell bei öffentlich verkündeten Kostenschätzungen haben viele den Eindruck, dass sie bewusst hinters Licht geführt werden, weil die Verantwortlichen schon wissen, dass es viel teurer wird. Das

Misstrauen trifft aber nicht nur die Politik. Man glaubt auch Medien, Unternehmen und Verbänden nicht. Kostensteigerungen bei öffentlichen Vorhaben sind nichts Neues. Wie erklären Sie, dass das Misstrauen in den vergangenen Jahren so stark gewachsen ist? Walter Ein Grund ist sicherlich der Umgang mit dem Begriff „alternativlos“. Den hat die Politik seit der Kanzlerschaft Gerhard Schröders sehr häufig benutzt. Die Bürger fühlten sich dadurch zu einem bestimmten Verhalten gedrängt. Aber im Laufe der Zeit stellt man fest: Nicht alles war alternativlos. Inzwischen nennt sich sogar eine Partei „Alternative für Deutschland“. Schon der Name soll ausdrücken, dass es zu allem Möglichen eine Alternative gibt.

Akzeptanz Streitfragen 04|2013

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» Je gröSSer das Projekt, desto eher haben die Verantwort­ lichen heute eine Art

Bringschuld.« Was heißt das für die Einstellung der Bürger zur Energiewende? Walter Über Jahrzehnte war auch die Atomenergie angeblich alternativlos. Nach dem Reaktorunfall in Fukushima änderte sich das über Nacht und nun heißt es: „Die Atomkraftgegner hatten recht.“ Wenn die aber immer recht hatten, wurden die Bürger jahrzehntelang verschaukelt. Dann ist nachvollziehbar, dass sie die nächste Heilsbotschaft erst mal skeptisch sehen – und das ist die Energiewende.

Umfragen zeigen ein hohes Maß an Zustimmung zum Atomausstieg und zum Ausbau der Erneuerbaren Energien. Wie passt das mit Protesten gegen Windräder und Stromleitungen zusammen? Walter Entscheidend ist, wonach gefragt wird. Allgemein bekennt sich sicherlich eine Mehrheit zur Energiewende. Wenn Sie aber gezielt fragen, ob die Bürger auch hohe Kosten oder gar Engpässe bei der Stromversorgung akzeptieren würden, lehnt die Mehrheit eine zügige Energiewende ab. Das war schon bei den ersten Umfragen nach dem Atomunfall in Japan so. Übrigens: Für Windkraft gibt es derzeit eine Mehrheit – für den Bau von Stromtrassen bei vielen Umfragen nicht.

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Streitfragen 04|2013 Akzeptanz

Was können Planer und Investoren tun, um Zustimmung für ihre Projekte zu erhalten? Womit müssen sie rechnen? Walter Je größer das Projekt, desto eher haben die Verantwortlichen heute eine Art Bringschuld. Sie müssen das Vorhaben erklären. Denn wie gesagt: Viele Bürger sind nicht geneigt, ihnen ohne Weiteres zu glauben. Bemerkenswert ist auch, dass der Protest sich oft erst im Laufe des Prozesses konstituiert und nicht gleich zu Anfang. Dadurch kommt bei Unternehmen und Politikern ein gewisser Groll auf. Die klagen häufig: „Wir haben das Projekt vor etlichen Jahren angekündigt – da kam keine Reaktion.“ Der Protest regt sich meistens dann, wenn die Auswirkungen für den Einzelnen erkennbar werden.

Müsste man die Interessen der unmittelbaren Anrainer von neuen Anlagen und Infrastruktureinrichtungen noch stärker berücksichtigen? Walter Das wird ja schon getan. Ein Beispiel ist Gorleben: Im Ort selbst ist der Protest gegen das Atommüll-Lager gleich null, denn man hat die Stadt fürstlich ausgestattet. Widerstand gibt es nur im Umland. Solche Kompensationsgeschäfte laufen anderswo im kleineren Stil. Da wird dann vielleicht der Fußballverein finanziell unterstützt. Das ist vermutlich am Ende billiger als zu warten, bis sich Protest regt.

Welche Risiken birgt so eine Bürgerbeteiligung? Walter Hier setzen sich oft diejenigen durch, die über Eigentum verfügen und eine robuste Ausstattung an Bildung mit den erforderlichen Kompetenzen mitbringen. Sie können sich artikulieren und mit anderen vernetzen, um Interessen durchzusetzen. Aus solchen Konflikten gehen sie unter Umständen als Gewinner hervor. Die anderen haben es umso schwerer, dafür kennen wir viele Beispiele. Dann kommt das Asylbewerberheim eben dorthin, wo die Anwohner nicht über dieselbe Fähigkeit verfügen, sich zu organisieren und zu artikulieren. So kann durch die Proteste eine neue soziale Spaltungslinie entstehen.


Prof. Dr. Franz Walter

leitet das Institut für Demokratieforschung der Georg-AugustUniversität Göttingen. Seine Studie über die aktuellen Protestbewegungen erschien Anfang 2013 unter dem Titel „Die neue Macht der Bürger“.

Die Energiewende hat gerade erst begonnen. Haben die Proteste ihren Höhepunkt überschritten oder erwarten Sie mehr und heftigeren Widerstand? Walter Wir erleben keine Massenproteste in Hamburg, Frankfurt und anderen großen Städten. Momentan ist das ein stark ländliches Problem. Viele Projekte entstehen in dünn besiedelten Gebieten, wo es noch weite Flächen gibt. Der Protest ist zwar erkennbar, aber die Gruppen sind relativ klein. Unruhiger muss man werden, wenn die Energiewende den Süden der Republik voll erfasst. Dort haben wir sehr viel weniger freie Flächen.

Das heißt, mehr Menschen sind direkt betroffen. Walter Die Bürger wollen nicht nur ihr unmittelbares Eigentum vor Wertverlust schützen. Viele sagen: „Unsere Landschaft, auf die wir so stolz sind, mit der wir früher geworben haben, die wird ruiniert.“ Sie sind nicht technikfeindlich, viele Wortführer sind Ingenieure. Aber ihre Heimat wollen sie nicht auch noch technisiert sehen. Die verteidigen sie als letztes Refugium.

Stichwort Ingenieure: Die Protagonisten des Protests kommen oft aus technischen oder naturwissenschaftlichen Berufen. Für ihr Engagement erarbeiten sie sich umfangreiches Fachwissen. Wäre es sinnvoll, diese Menschen und ihre Expertise stärker in Planungsprozesse zu integrieren? Walter Hier gilt: einerseits, andererseits. Auf der einen Seite sind diese Leute fachlich wirklich fit. Sie lehnen nicht einfach alles ab, sondern haben meistens eine Alternative ausgetüftelt. Wenn man so will, sind sie Frühwarnsysteme. Sie können darauf hinweisen, wenn ein Planer vor Ort etwas übersehen hat. Aber auch diese Bürger vertreten spezifische Interessen. Offen bleibt häufig, welche das sind. Und warum sollen ausgerechnet die zwei oder drei Experten einer Protestgruppe mitwirken dürfen – und alle anderen nicht? Auch das würde Konflikte geben.

Würde die Politik diesen Bürgern überhaupt zuhören? Walter Da droht die nächste Enttäuschung. Die Protagonisten sind meist zwischen 55 und 70 Jahre alt und haben ein Berufsleben als Techniker oder Wissenschaftler hinter sich. Sie sind daran gewöhnt, erst ein Ziel zu identifizieren und anschließend den eindeutigen Weg dorthin und die passenden Methoden zu definieren. Aber Politik funktioniert ganz anders, weil so viele unterschiedliche Interessen berücksichtigt werden müssen. Da ergibt zwei plus zwei am Ende drei oder vielleicht auch acht, aber auf keinen Fall vier. Für einen Techniker ist das völlig unverständlich.

Wenn politische Mechanismen für protestierende Bürger so schwierig zu durchschauen sind – wie steht es mit wirtschaftlichen Zusammenhängen? Haben Unternehmen eine Chance, bei den Bürgern Verständnis für die ökonomische Logik ihres Handelns zu wecken? Walter Wir wissen aus Umfragen: Gerade zwei Prozent der Bürger vertrauen den Unternehmen. Meine Erfahrung ist, dass Unternehmer oft gar nicht willens sind, sich öffentlich mitzuteilen. Viele wollen nicht darüber reden, welcher Logik sie folgen, welche Schwierigkeiten sie haben, wie sie auf neue Herausforderungen reagieren und was sie von der Gesellschaft erwarten. Wir erleben das gerade bei den Vorbereitungen für die zweite BP-Gesellschaftsstudie. Sie soll erhellen, wie Unternehmer die Demokratie und die Gesellschaft sehen. Es ist für uns denkbar schwierig, in den Firmen Interviewpartner zu finden, weil so viele sagen: „Wir interessieren uns nicht für Politik und Gesellschaft.“ So gewinnt man kein Vertrauen.

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Akzeptanz ist ein entscheidender Faktor für das Gelingen von technischen Großprojekten. Eine neue Richtlinie des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) enthält Empfehlungen für den frühzeitigen Dialog mit der Öffentlichkeit – und ermuntert die Ingenieure und andere Beteiligte, ihre Rolle zu überdenken.

Herr Dr. Brennecke, der VDI hat eine Richtlinie zur Öffentlichkeitsbeteiligung bei Industrie- und Infrastrukturprojekten erarbeitet. Was waren Ihre Motive?

Was versprechen Sie sich von der Richtlinie? Kann man etwas so „Weiches“ wie einen Dialog überhaupt in ein Regelwerk fassen?

Dr. Volker M. Brennecke Private und öffentliche Vorhabenträger bekommen in Deutschland immer mehr Probleme mit der Akzeptanz ihrer Großprojekte. Verzögerungen von Projekten kosten sie extrem viel Geld und lassen die Vorhaben zum Teil unwirtschaftlich werden. Das ist für den Technikstandort Deutschland untragbar. Deshalb haben wir als VDI nach erfolgreichen Projekten und Strategien gesucht, die zu Akzeptanz geführt haben. Wir haben mit Unternehmen, Genehmigungsbehörden, Umweltverbänden, Beratern und Anwälten ein Best-Practice-Vorgehen bei der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung entwickelt, das effektiv und effizient ist.

Brennecke Die Einbeziehung der Öffentlichkeit bei der Entwicklung einer Antragsvariante vor Beginn des Genehmigungsverfahrens ist ein erfolgversprechender Weg, bereits sehr früh die richtigen Weichen zu stellen. Der Ansatz dabei ist, spätere Konflikte abzuwenden. In der Regel treten Konflikte erst auf, wenn man kaum noch etwas ändern kann. Das Ziel der VDI 7 000 ist, ein strukturiertes Dialogverfahren, das überhaupt nichts Weiches an sich hat, als normalen Vorgang in Planungsprozesse zu integrieren. Öffentlichkeitsbeteiligung muss Teil des Projektmanagements sein und darf nicht nur an Kommunikatoren delegiert werden. Sie geht vielmehr die ganze Organisation an.

Welche Bedeutung hat die Richtlinie VDI 7 000 für die Energie- und Wasserwirtschaft?

Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen bei der Umsetzung der neuen VDI-Richtlinie?

Brennecke Unser Richtlinienentwurf der VDI 7 000 ist branchenunabhängig, denn die Strategien für gute Öffentlichkeitsbeteiligung können überall angewendet werden. Alle energiewirtschaftlichen Projekte, seien es Stromtrassen, Windparks, Gas- oder Pumpspeicherkraftwerke, brauchen Akzeptanz vor Ort. Die derzeitigen Beteiligungsformen haben bisher diese Akzeptanz nicht bewirken können. Überall fragen sich daher die Vorhabenträger, was sie selbst tun können, um juristische Konflikte und wirtschaftliche Schäden durch Verzögerungen oder Baustopps zu vermeiden.

Brennecke Unternehmen sollten sich auf frühe StakeholderDialoge vorbereiten. Es geht hier nicht um große Veranstaltungen, bei denen man wütenden Bürgern das eigene Konzept erklärt. Es geht um frühzeitige Sondierungen der eigenen Varianten. Dazu ist es erforderlich, dass unternehmensintern Ingenieure, Kommunikatoren und Juristen besser kooperieren. Es kommt auf eine kluge Zusammensetzung des Projektteams an. Auch hierzu gibt die VDI 7 000 Empfehlungen.

Streitfragen 04|2013 Akzeptanz


Dr. Volker m. Brennecke

ist Koordinator für Gesellschaft und Innovation des VDI. Sein Interesse gilt der Verbesserung des Dialogs zwischen Technik und Gesellschaft, speziell bei technischen Großprojekten und neuen Technologien.

Sie reden über Ingenieure – die verstehen sich oft in erster Linie als Fachleute für technische Fragen. Welchen Beitrag können sie zur Beteiligung der Öffentlichkeit und zum Aufbau von Akzeptanz leisten? Zunächst werden Ingenieure sachlich alle Alternativen prüfen und technische Problemlösungen entwickeln. Sie tragen die fachliche und als Projektleiter oft auch die finanzielle Verantwortung. Dieser Verantwortung können sie besser gerecht werden, indem sie bei der Projektentwicklung von Anfang an die gesellschaftlichen Kriterien der relevanten Stakeholder einbeziehen, die später über Akzeptanz entscheiden. Dazu enthält die VDI 7 000 konkrete Empfehlungen. Aber Ingenieure können auch im Dialog mit der Öffentlichkeit eine tragende Rolle übernehmen. Sie haben das größte Fachwissen und können damit glaubwürdig die Vor- und Nachteile verschiedener Varianten besser einschätzen. Brennecke

Manche Ingenieure tun sich aber mit öffentlichen Auftritten schwer. Brennecke Viele Ingenieure glauben, dass dies eher Kollegen übernehmen sollten, die für Kommunikation zuständig sind. Doch Vertrauen entsteht, wenn jemand authentisch kommuniziert und als Person für die Inhalte steht. Das ist eine wichtige Rolle der Ingenieure. Immer mehr Unternehmen erkennen das und motivieren ihre Ingenieure dazu.

Um Vertrauen aufzubauen, fordern Sie eine neue Dialogkultur bei Infrastrukturprojekten. Wie sieht die aus? Brennecke Bisher standen vor allem die Experten der Vorhabenträger und die Behörden im Dialog. Um Vertrauen aufzubauen und letztlich Akzeptanz für ein Projekt zu schaffen, muss auch die Öffentlichkeit einbezogen werden. Eine neue Dialogkultur sollte nicht ausschließlich durch technische und juristische Fachsprache, Rechtsförmlichkeit, Fachgutachten und so weiter geprägt sein, sondern auch durch Augenhöhe, Respekt, Empathie und bewusste gegenseitige Verständlichkeit.

Das hört sich sehr ergebnisoffen an. Wie kann trotzdem sichergestellt werden, dass dabei ein hohes Maß an Verbindlichkeit herauskommt? Brennecke Ergebnisoffen klingt nach Wunschkonzert – so, als ob jedes Resultat möglich sei. Das ist es nicht. Denn der Vorhabenträger muss die Spielräume für Alternativen definieren. Nach der VDI 7 000 ist es das Ziel des Dialogs, sich innerhalb des verfügbaren Spielraums auf eine Antragsvariante zu einigen. Über den Antrag entscheidet dann die Behörde. Insofern schafft der Dialogprozess Verbindlichkeit, ohne die rechtliche Verantwortung zu verwischen.

Wie verändert eine Öffentlichkeitsbeteiligung nach der VDIRichtlinie das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure? Brennecke Die Institutionen müssen sich von eingespielten Rollen lösen. Das betrifft auch die Behörden. Deren Rolle ist spannungsreich, denn zum einen müssen sie bei der Bewertung der Genehmigungsfähigkeit neutral sein. Gleichzeitig haben sie aber auch einen Beratungsauftrag für die Vorhabenträger und für die Öffentlichkeit. Wie sie mit den Ergebnissen der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung im förmlichen Verfahren umgehen, muss noch genauer geklärt werden. Eins ist schon klar: Gutachter sollten nach der VDI 7 000 möglichst von allen Beteiligten gemeinsam bestimmt werden.

Das könnte die sogenannten Gutachterschlachten vermeiden. An denen sind häufig auch Umweltverbände beteiligt. Welche Rolle spielen die NGO in Ihrem Konzept? Brennecke Die Umweltverbände sind stärker gefordert, Gemeinwohl und wirtschaftliche Interessen abzuwägen. Das wird jetzt bei der Energiewende besonders deutlich. Gleichzeitig haben sie immer mehr Möglichkeiten, durch eine Klage eine gerichtliche Klärung zu erzwingen und die Projektentwicklung empfindlich zu stören. Es kommt sehr darauf an, wie verantwortungsvoll sie mit diesen Möglichkeiten umgehen. Insgesamt können aber alle von einem frühzeitigen gemeinsamen Dialog profitieren. Wenn das erkannt wird, gibt es gute Chancen, die Probleme zu lösen.

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Herausgeber BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.


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