15 Forderungen für zirkuläre Wertschöpfung „Made in Europe“

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FORDERUNG

15 Forderungen für zirkuläre Wertschöpfung „Made in Europe“

15. September 2024

Die Mitglieder der BDI-Initiative Circular Economy verfolgen das gemeinsame Ziel, die zirkuläre Wirtschaft zur tragenden Säule einer nachhaltigen, defossilisierten industriellen Wertschöpfung auszubauen. Sie stellen fest, dass unser Wirtschaften dazu prioritär auch auf die möglichst lange Nutzung sowie Rückführung und Wiedernutzung von qualitativ hochwertigen Produkten und Rohstoffen in Kreisläufen ausgerichtet werden muss. Zugleich wird es erforderlich sein, dieser Ambition neue und innovative Geschäftsmodelle und zirkuläre Dienstleistungen zur Seite zu stellen. Unstrittig ist zudem, dass für die Rohstoffversorgung der Industrie angesichts ihrer Transformationsherausforderungen auch ein stabiler Zugang zu nachhaltig gewonnenen Primärrohstoffen gewährleistet werden muss. Nur so wird es gelingen, eine insgesamt sichere Rohstoffversorgung in Europa zu gewährleisten und die erforderlichen Technologien für den weltweiten Schutz natürlicher Ressourcen und des Klimas bereitzustellen. Die Mitglieder der BDI-Initiative Circular Economy verstehen sich als Gestalter der Entwicklung hin zu einer zirkulären Wirtschaft und stehen für Wettbewerb, Technologieoffenheit und Innovationen. Unter Berücksichtigung dieser Prinzipien bedarf der Übergang in ein zirkuläres Wirtschaftsmodell einer ganzheitlichen und ambitionierten Politik, die auf der Grundlage neuer Instrumente einen sicheren Rahmen für das Schließen von Kreisläufen schafft.

Dass die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, im Juli 2024 die Circular Economy in ihren politischen Leitlinien für die Jahre 2024 bis 2029 weiterhin als industriepolitisch zentral eingeordnet hat, ist daher richtig. Damit das zirkuläre Wirtschaften aber zu einem echten Erfolgsfaktor für den Standort Europa werden kann, müssen auch folgende grundlegende Bedingungen in den Blick genommen werden:

▪ Die Rahmenbedingungen für den Industriestandort Europa inklusive wettbewerbsfähiger Energiekosten, zügigerGenehmigungsverfahren und digitalerInfrastruktur müssen sogestal- tet werden, dass Unternehmen auch im globalen Standortwettbewerb in der EU produzieren, investieren und innovieren können.

▪ Unternehmen müssen in die Lage versetzt werden, dass zirkuläre Strategien auch als Geschäftsmodelle auf einem freien europäischen Binnenmarkt realisiert werden können. Hierzu bedarf es gegebenenfalls auch der Etablierung grüner Leitmärkte.

▪ Den angestrebten Produkt- und Materialkreisläufen muss ein kohärenter Rechtsrahmen zur Seite gestellt werden, der zum einen widerspruchsfreie Definitionen und Vorgaben macht und zum anderen die Schnittstellen zwischen Produkt-, Abfall- und Stoffrecht so definiert, dass Kreisläufe ermöglicht und nicht verhindert werden.

▪ Das europäische Modell einer ganzheitlichen Circular Economy muss im Rahmen der internationalen Handels- und Klimaschutzpolitik sowie Normungs- und Standardisierungsarbeit verankert werden, um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu stärken.

15 Forderungen an die europäische Politik 2024 bis 2029

1. Zirkuläre Produkte als Ausgangspunkt

1.1 Für einen funktionierenden Binnenmarkt und Rechtssicherheit für Unternehmen sollte die EU die unterschiedlichen produktspezifischen Verordnungen und Richtlinien auf ihre Kohärenz in Bezug auf Definitionen (vor allem bei Begriffen der R-Economy außerhalb des Abfallrechts wie repair, refurbish, remanufacture etc.) überprüfen und bei Bedarf Harmonisierungen vornehmen. Grundlegende Definitionen sollten an zentraler Stelle (zum Beispiel Ökodesignverordnung) übergreifend definiert werden, sofern thematisch nicht anders begründbar. Ebenso bedarf es einer klaren Abgrenzung der Anwendungsbereiche der Verordnungen und Richtlinien sowie einer kreislauffördernden Verzahnung von Abfall-, Produkt- und Stoffrecht.

1.2 Bei der Erarbeitung von Anforderungen an das zirkuläre Produktdesign sollte die Kommission gewährleisten, dass die betroffenen Kreise (Unternehmen, Verbände etc.) transparent und strukturiert einbezogen werden. Nur so werden praxisnahe Anforderungen an marktfähige zirkuläre Produkte entwickelt werden können. Bisher fehlt zum Beispiel eine frei zugängliche Übersicht dazu, welche delegierte und Durchführungsrechtsakte zur Circular Economy insgesamt wann erarbeitet werden und wie beziehungsweise wann eine Einbindung der Stakeholder erfolgen wird.

2. Funktionierende Märkte für Rohstoffe der Circular Economy

2.1 Bei der Etablierung von Instrumenten zur Förderung des Einsatzes von Rohstoffen der Circular Economy, wie z. B. Mindestrezyklatanteile, ökonomische Instrumente, Systeme der Herstellerverantwortung oder Qualitätsstandards muss im Rahmen von Folgeabschätzungen

solide geprüft werden, welche Auswirkungen unterschiedliche Vorgaben am Markt auf Angebot und Nachfrage haben. Dadurch können die für den jeweiligen Stoffstrom passenden Maßnahmen („Push“ oder „Pull“-Maßnahmen) identifiziert werden. Wenn beispielsweise Einsatzquoten für einen verpflichtenden Rezyklatanteil bei Kunststoffen in unterschiedlicher Gesetzgebung (in der Einwegkunststoffrichtlinie, der Verpackungsverordnung und der Altfahrzeugverordnung etc.) etabliert werden, adressieren diese potenziell eine identische Materialbasis (einen Abfallstrom). Gleiches gilt für Auswirkungen von Vorgaben für die Vorbereitung zur Wiederverwendung auf die Verfügbarkeit von Abfällen für das Recycling. Zudem muss zwingend ein freier Binnenmarkt ohne aufwändige Notifizierungsverfahren für Abfälle zur Verwertung mit EU-weit hohem Schutzniveau etabliert werden.

2.2 Die Vorgaben der Abfallrahmenrichtlinie zu Nebenprodukten (Art. 5) und dem Ende der Abfalleigenschaft (Art. 6) sollten dahingehend überprüft werden, ob sie stoffstromspezifisch dem Zweck der Etablierung einer zirkulären Wertschöpfung in der EU und dem europäischen Verständnis einer Circular Economy gemäß Green Deal ausreichend gerecht werden. Der Übergang vom Abfall- zurück in das Produkt- und Stoffrecht ist entscheidend für das Gelingen von Rohstoffkreisläufen und muss für Unternehmen rechtssicher und handhabbar sein. Konkretisierende Vorgaben für das Ende der Abfalleigenschaft müssen daher materialspezifisch geprüft und gegebenenfalls gemeinsam mit den Wirtschaftsakteuren gestaltet werden.

2.3 Der Beitrag zu mehr Versorgungssicherheit und zu resilienten Lieferketten durch Rohstoffe der Circular Economy kann – je nach Weltmarktpreis und Materialverfügbarkeit – mehr Kosten verursachen als der Einsatz von Primärrohstoffen. Die EU sollte daher eine strategische Diskussion dazu führen, welchen Wert sie einer stabilen Rohstoffversorgung aus Kreisläufen inklusive einer entsprechenden Investitionssicherheit für Unternehmen in zirkuläre Strukturen, zum Beispiel in grünen Leitmärken, beimessen will. Dies umfasst auch die Entwicklung und Anerkennung von Verfahren zur Bilanzierung von Anteilen von Rohstoffen der Circular Economy in der Grundstoffindustrie (zum Beispiel Massenbilanzen), die eindeutige Nachweise zu den Stufen der Abfallhierarchie (Recycling, sonstige Verwertung) erlauben. Zudem muss die Rolle von verbindlichen Kriterien im Rahmen der öffentlichen zirkulären Beschaffung in diese Diskussion einfließen

3. Circular Economy als Voraussetzung für mehr Klimaschutz

3.1 Die EU sollte sich auf internationaler Ebene – zum Beispiel bei den Weltklimakonferenzen –dafür einsetzen, dass die durch zirkuläre Wertschöpfung entstehenden Effekte auf den Ausstoß von Treibhausgasen standardisiert gemessen und bilanziert werden können. Im Fokus

müssen dabei Methoden stehen, die eine wertschöpfungsstufen übergreifende Perspektive im Scope-3-Bereich ermöglichen.

3.2 Die Verwertung von Abfällen leistet schon heute einen wichtigen Beitrag zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen. In der EU werden allerdings immer noch rund 20 Prozent der Siedlungsabfälle auf Deponien beseitigt. Damit bleibt weiterhin ein signifikanter Teil des Rohstoffpotenzials der europäischen Siedlungsabfälle ungenutzt. Die Beseitigung von unbehandelten Siedlungsabfällen sollte daher in der gesamten EU zügig beendet werden, um das stoffliche und energetische Potenzial zu nutzen.

4. Zirkuläre Wertschöpfung digital

4.1 Im Rahmen des Green Deals wurden in zahlreichen Rechtsakten digitale Produktpässe (DPP) oder Labels etabliert (Ökodesignverordnung, Batterieverordnung, Bauproduktenverordnung, Verpackungsverordnung etc.). Bei der Umsetzung dieser Vorhaben sollte die EU sicherstellen, dass die jeweiligen digitalen Produktpässe technisch kompatibel zueinander sind und keine Doppelungen bei der Aggregation von Informationen ausgelöst werden.

4.2 Die angestrebte Etablierung von DPP kann nur erfolgreich sein, wenn alle relevanten Akteure für den Datenkreislauf auch über einen einfachen und kostenlosen Zugang zur erforderlichen digitalen Infrastruktur haben und rechtzeitig über produktspezifische Informationspflichten in Kenntnis gesetzt werden. Die Kommission sollte daher gemeinsam mit den Mitgliedstaaten vor allem Informations- und Förderinstrumente entwickeln, um kleine und mittlere Unternehmen (KMU) einzubinden. Gleiches gilt für Akteure, die Teil von Wertschöpfungsstufen sind, die außerhalb der EU liegen, um internationale Handelsbeziehungen nicht zu gefährden.

4.3 Für die Umsetzung von DPP und den Einsatz digitaler Technologien für Strategien der Circular Economy werden Datenräume benötigt, die den nahtlosen Transfer von Daten über unterschiedliche Stakeholder und Ländergrenzen ermöglichen. Gaia-X ist eine Initiative aus europäischen Partnern, mit dem Ziel eine sichere und wettbewerbsfähige Dateninfrastruktur in Europa aufzubauen. Über Projekte wie Catena-X und Manufacturing-X gilt es diese Infrastruktur so weiter auszubauen, dass die entwickelten Standards für die spezifischen Industriekonsortien anwendbar werden. Hier wird es in den kommenden Jahren weiteren Förderbedarf geben, um die Datenräume für Circular Economy nachhaltig zu etablieren.

5. Governance und Stakeholdereinbindung für gute Regelsetzung

5.1 Der Fokus bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen für zirkuläre Wertschöpfung verschiebt sich zunehmend auf Anforderungen an Produkte und Unternehmen. Entsprechend wird die Rolle der Normung auch bei der Gestaltung zirkulärer Märkte immer wichtiger. Die EU sollte daher dafür Sorge tragen, dass Rahmengesetzgebung und Normung in der EU und international so ineinandergreifen, dass harmonisierte Vorgaben und ausreichend Flexibilität bei der technischen Fortentwicklung von Produkten gewährleistet wird.

5.2 Um das europäische Verständnis zirkulärer Wertschöpfung als Exportmodell etablieren zu können, sind Unternehmen auf die Anschlussfähigkeit des europäischen Regelwerks an internationale Prozesse angewiesen. Die EU sollte daher das Engagement von Unternehmen in internationalen Normungsgremien fördern und gleichzeitig eine aktive Rolle in der internationalen Normungspolitik einnehmen. Hierfür muss die europäische Normungsstrategie das Thema Circular Economy in den Fokus rücken.

5.3 Der einheitliche Vollzug von Vorgaben zur Circular Economy sowie eine funktionierende Marktüberwachung insbesondere auch bei importierten Gütern sind für einen fairen Wettbewerb zwingend. Die EU sollte daher mit den Mitgliedstaaten gemeinsam Strategien entwickeln, um ausreichende Kapazitäten für diese Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Für den verbesserten Vollzug sollte auch die Nutzung und Integration der DPP-Daten berücksichtigt werden.

5.4 In der Rahmengesetzgebung zur Circular Economy aus dem Green Deal wurde die Erarbeitung und Verabschiedung zahlreicher Delegierter- und Durchführungsrechtsakte beschlossen. Die Regelungen in diesen Rechtsakten werden für das Gelingen unternehmerischer Zirkularität entscheidend sein. Die EU sollte daher bei den Erarbeitungsprozessen größtmögliche Transparenz sicherstellen und eine breite Beteiligung der Stakeholder vorsehen.

5.5 In den letzten Jahren hat die EU-Kommission vermehrt Normungsaufträge an CEN und CENELEC genutzt, um das regulatorische Umfeld der Circular Economy weiter auszuarbeiten (z. B. M/584 oder CEN/CLC JTC 24 DPP/ESPR). Die dort gemachten Erfahrungen und organisatorischen Erkenntnisse gilt es für kommende Aufträge zu nutzen. Ziel sollte es sein, zukünftige Normungsaufträge systematisch und effektiv generaldirektionsübergreifend in der Kommission zu verankern, um die Perspektiven der harmonisierten Produktvorgaben für das Funktionieren des Binnenmarkts und die ökologische Perspektive des Abfallrechts zusammenzuführen.

Impressum

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI)

Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu

T: +49 30 2028-0

Lobbyregisternummer: R000534

Redaktion

Dr. Claas Oehlmann Geschäftsführer Circular Economy Initiative

T: +49 30 2028-1606 c.oehlmann@ice.bdi.eu

BDI Dokumentennummer: D1987

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