Für ein gestärktes und modernes Welthandelssystem

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POSITIONSPAPIER UND ANALYSE

Für ein gestärktes und modernes Welthandelssystem

Mai 2016 

Weltweit neuen Marktzugang schaffen, Protektionismus stoppen Nach der Ministerkonferenz der WTO im Dezember 2015 in Nairobi müssen die Mitglieder jetzt die Themen verhandeln, die in der Doha-Runde bisher nicht erfolgreich abgeschlossen worden sind. Die Doha-Agenda und diesbezügliche Beschlüsse der Vergangenheit bilden dafür keine geeignete Grundlage. Das Verhandlungsprinzip des single undertaking ist gescheitert. Im Mittelpunkt der Gespräche sollten umfassende Liberalisierungen für den Güterhandel stehen. Darüber hinaus sollten die WTO und die G20 ihre Bemühungen intensivieren, den schleichenden Protektionismus einzudämmen, unter anderem durch gestärkte Überwachungsmechanismen.

Weiterentwicklung des multilateralen Handelssystems Themenspektrum, Regeln, Abkommen und Organisation der WTO müssen weiterentwickelt werden, um den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. Bereiche wie Investitionen, Exportrestriktionen, digitaler Handel, öffentliche Auftragsvergabe oder auch Wettbewerb dürfen nicht weiter vernachlässigt werden. WTO-konforme, plurilaterale sowie sektorale Abkommen sollten verstärkt zur Liberalisierung des Handels eingesetzt werden. Zwischen den 162 WTO-Mitgliedern muss klarer entsprechend ihrer handelspolitischen Entwicklung differenziert werden.

Multilaterale Regeln für Präferenzabkommen ausbauen Die WTO-Mitglieder sollten genauere Regeln und klarere Definitionen für Präferenzabkommen schaffen. Damit soll die Kohärenz der Präferenzabkommen mit dem multilateralen Handelssystem verbessert werden. Mehr Transparenz und Überwachung auf WTO-Konformität bei Präferenzabkommen erleichtern die spätere Multilateralisierung. Strengere Regeln für präferenzielle Ursprungsregeln in der WTO stellen einen weiteren wichtigen Schritt dar.

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Für ein gestärktes und modernes Welthandelssystem ǀ Mai 2016

Inhaltsverzeichnis Einführung und Zusammenfassung .................................................................................................................. 2 Trends in der globalen Handelslandschaft ....................................................................................................... 3 Deutschland im Welthandel ................................................................................................................................... 3 Der Welthandel braucht neue Impulse................................................................................................................... 7 Veränderung im Welthandel: Die Bedeutung globaler Wertschöpfungsketten ...................................................... 9 Bedeutung der Entwicklungsländer für den Welthandel ...................................................................................... 11 Dienstleistungshandel: Ungenutztes Potential ..................................................................................................... 13 Die Digitalisierung des Welthandels – WTO muss Schritt halten ......................................................................... 14 Schleichender Handelsprotektionismus ............................................................................................................... 17 Ausländische Direktinvestitionen – unerlässlich für Welthandel und Produktion ................................................. 22 Internationale Handelsregeln und -verträge der WTO und ihrer Mitglieder ................................................. 24 Die Welthandelsorganisation ............................................................................................................................... 24 Die Doha-Runde: Teilerfolge, aber bei Kernthemen gescheitert ................................................................. 24 Neue Themen in der WTO .......................................................................................................................... 35 Regeldurchsetzung in der WTO .................................................................................................................. 42 Plurilaterale Abkommen innerhalb und außerhalb der WTO ............................................................................... 45 WTO-Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen ....................................................................... 46 Informationstechnologie-Abkommen ........................................................................................................... 50 Plurilaterales Abkommen über „Umweltgüter“............................................................................................. 51 Abkommen zum Dienstleistungshandel (TiSA) ........................................................................................... 52 Präferenzielle Handelsabkommen ....................................................................................................................... 53 Kompatibilität zwischen WTO und PTAs ..................................................................................................... 54 PTAs und Drittländer ................................................................................................................................... 56 PTAs und Ursprungsregeln ......................................................................................................................... 56 Forderungen ...................................................................................................................................................... 58 Impressum ......................................................................................................................................................... 63

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Einführung und Zusammenfassung Die Einbindung in die Weltwirtschaft gehört zu den wichtigsten wirtschaftlichen Erfolgsstrategien Deutschlands. Die Welthandelsorganisation (WTO) ist und bleibt das Rückgrat des globalen Handelssystems. Bei ihrer 10. Ministerkonferenz (MC10) Ende 2015 in Nairobi haben die 162 WTO-Mitglieder eine gemeinsame Ministererklärung verabschiedet, die unter anderem wichtige Entscheidungen zur Doha-Entwicklungsagenda (DDA) im Bereich der Landwirtschaft und zugunsten der am wenigsten entwickelten Länder enthält. Außerdem konnten sich 53 WTO-Mitglieder auf ein erweitertes Informationstechnologie-Abkommen (ITA II) einigen. Die Beschlüsse sind ein wichtiges Zeichen, dass die WTO handlungsfähig ist und ihre Mitglieder hinter dem multilateralen Handelssystem stehen. Gescheitert ist die Doha-Runde jedoch an der zentralen Aufgabe, ambitionierten multilateralen Marktzugang in den Bereichen Landwirtschaft, nicht-landwirtschaftlicher Marktzugang (NAMA) und Dienstleistungen zu schaffen. In Nairobi konnten sich die WTO-Mitglieder nicht einigen, wie in den Verhandlungen der DDA weiter vorgegangen werden soll. Angesichts einer stark wachsenden Zahl bilateraler und plurilateraler Handelsabkommen steht die WTO vor der Herausforderung, sich als zentrale Plattform für Liberalisierung und Regelsetzung zu behaupten. Erfolgreiche Vereinbarungen der WTO wie ITA II und das multilaterale Abkommen über Handelserleichterungen bei der Zollabwicklung (Trade Facilitation Agreement, TFA) müssen zügig und vollständig umgesetzt werden. Darüber hinaus müssen die WTO-Mitglieder zeitnah die Themen der Doha-Agenda verhandeln, in denen es bisher keine Einigung gegeben hat. Das Verhandlungsprinzip des single undertaking (nichts ist beschlossen, bis alles beschlossen ist) der Doha-Runde hat sich in der Vergangenheit als nicht hilfreich erwiesen und sollte daher aufgegeben werden. Im Mittelpunkt der Gespräche sollten umfassende Liberalisierungen des Güterhandels stehen. Wenn dies multilateral nicht möglich ist, dann sollten möglichst viele WTO-Mitglieder zunächst plurilaterale Vereinbarungen anstreben. Darüber hinaus sollten die WTO und die G20 ihre Bemühungen intensivieren, den schleichenden Protektionismus einzudämmen, unter anderem durch gestärkte WTO-Überwachungsmechanismen. Themenspektrum, Regeln, Abkommen und Organisation der WTO müssen stetig weiterentwickelt werden, um den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. Bereiche wie Investitionen, Exportrestriktionen, digitaler Handel, öffentliche Auftragsvergabe oder auch Wettbewerb dürfen nicht weiter vernachlässigt werden. Zwischen den 162 WTO-Mitgliedern muss klarer entsprechend ihres handelspolitischen Entwicklungsstands differenziert werden, um künftig für alle Seiten faire multilaterale Vereinbarungen zu schaffen. WTO-konforme plurilaterale sowie sektorale Abkommen sollten zur Liberalisierung des Handels und neuer Regelsetzung eingesetzt werden, wenn multilaterale Initiativen scheitern. In wichtigen Bereichen wie dem Schutz des geistigen Eigentums und technischen Handelsbarrieren sind die WTO-Regeln noch unterentwickelt. Außerdem benötigt das WTO-Sekretariat größere finanzielle Ressourcen und Autorität, um seine Kernfunktionen wie die Streitbeilegung und die Überwachung von Handelsmaßnahmen der wachsenden Mitgliedschaft adäquat durchführen zu können. Bilaterale und plurilaterale Handelsabkommen sollten spätere multilaterale Einigungen in der WTO vereinfachen, nicht verhindern. Die WTO-Mitglieder sollten deshalb genauere Regeln und klarere Definitionen für Präferenzabkommen schaffen. Zudem sollten Transparenz und Überwachung der WTO-Konformität gestärkt werden. Dies würde die spätere Multilateralisierung erleichtern. Strengere Regeln für präferenzielle Ursprungsregeln in der WTO würden einen weiteren Wegbereiter darstellen, um die Bedeutung und den Nutzen der WTO für den Welthandel zu erhöhen.

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Trends in der globalen Handelslandschaft Deutschland im Welthandel Der deutsche Außenhandel ist – mit Ausnahme eines kurzen Einbruchs in den 1990er Jahren und 2008/2009 – kontinuierlich in den letzten Jahrzehnten gewachsen. Die Außenhandelsquote Deutschlands, das Verhältnis des Außenhandelswerts zur gesamten Wirtschaftsleistung (BIP), stieg von 48,0 Prozent im Jahr 1991 auf 86,0 Prozent im Jahr 2015. Lediglich in den Jahren 1992/1993, 2002, 2009 und 2013 wurde dieser Trend kurz unterbrochen. Zwischen 2011 und 2014 ist ein leichter Rückgang der Außenhandelsquote zu beobachten 1. Außenhandelsquote Deutschland im Aufwärtstrend Handel mit Waren und Dienstleistungen im Verhältnis zum BIP (in Prozent)

90 80 70 60 50 40 30

Quelle: Statistisches Bundesamt, Globalisierungsindikatoren, Außenhandelsquote für Waren und Dienstleistungen, 2015, Wiesbaden 2016, < https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/Globalisierungsindikatoren/Tabellen/01_02_03_44_VGR.html > (eingesehen am 25.3.2016).

Im Jahr 2015 wurden insgesamt Waren im Wert von 1,2 Billionen Euro aus Deutschland ausgeführt.2 Mit einer Exportquote von 46,9 Prozent im Jahr 2015 gehört Deutschland zu den exportstärksten, aber auch exportabhängigsten Volkswirtschaften weltweit. Auch die Importe spielen eine bedeutende Rolle für die deutsche Volkswirtschaft. Deutschland hat eine Importquote von 39,1 Prozent und war 2014 der größte Importeur Europas (diese Zahlen beziehen sich auf den Waren- und Dienstleistungshandel).3

1

Statistisches Bundesamt, Außenhandel. Zusammenfassende Übersichten für den Außenhandel (Vorläufige Ergebnisse), 2015, Wiesbaden 2016, S.138, <https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Aussenhandel/Gesamtentwicklung/ZusammenfassendeUebersichtenJvorlaeufig2070100158004.pdf?__blob=publicationFile> (eingesehen am 25.3.2016). 2 Siehe ebenda, S. 26. 3 Statistisches Bundesamt, Globalisierungsindikatoren, Kennzahlen der Außenwirtschaft nach dem VGR-Konzept, Wiesbaden 2016, <https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/Globalisierungsindikatoren/Tabellen/01_02_03_44_VGR.html> (eingesehen am 25.3.2016).

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Die fünf wichtigsten deutschen Handelswaren 2015 Ausfuhren in Milliarden Euro

elektr. Ausrüstungen

71,60

DV-Geräte, elektr. Erzeugnisse

96,70

chem. Erzeugnisse

107,70

Maschinen

169,00

Kraftwagen und -teile

0,00

225,70

50,00

100,00

150,00

200,00

250,00

Quelle: Statistisches Bundesamt, Außenhandel. Zusammenfassende Übersichten für den Außenhandel (Vorläufige Ergebnisse), 2015, Wiesbaden 2016, S.65, <https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Aussenhandel/Gesamtentwicklung/ZusammenfassendeUebersichtenJvorlaeufig2070100158004.pdf?__blob=publicationFile> (eingesehen am 25.3.2016).

2015 wies Deutschland beim Warenhandel einen Handelsbilanzüberschuss von 247,9 Milliarden Euro auf. Gegenüber den 28 EU-Mitgliedstaaten betrug er 150,1 Milliarden Euro, wovon 77,8 Milliarden Euro auf die Eurozone entfielen. 4 Mehr als die Hälfte aller deutschen Exporte entfallen auf Fahrzeuge, Maschinen, chemische Erzeugnisse sowie Elektrogeräte.5 Da sich die deutsche Industrie auf die Produktion von Investitionsgütern spezialisiert hat, konnte sie in der Vergangenheit überdurchschnittlich von der starken Investitionstätigkeit in den mittel- und osteuropäischen Staaten sowie in den asiatischen Schwellenländern, allen voran in China, profitieren. Einen besonders hohen Stellenwert für Deutschland hat die Europäische Union. Unter den zehn wichtigsten Handelspartnern Deutschlands finden sich nur drei Länder außerhalb dieses Wirtschaftsraums: die USA, China und die Schweiz. Mit den meisten der für Deutschland wichtigen Handelspartner hat die EU ein präferenzielles Handelsabkommen (engl.: preferential trade agreement, PTA) abgeschlossen oder führt zurzeit Verhandlungen über ein Abkommen. Unter den wichtigsten zwanzig Handelspartnern Deutschlands außerhalb der Europäischen Union sind nur vier Länder – China, Russland, Taiwan und Australien –, mit denen kein präferenzielles Handelsabkommen in Kraft ist oder zurzeit Verhandlungen geführt werden.6 Deutschland profitiert nicht nur vom

4

Siehe ebenda, S. 32-33. Siehe ebenda, S. 65. 6 Statistisches Bundesamt, Außenhandel. Zusammenfassende Übersichten für den Außenhandel (Vorläufige Ergebnisse), 2015, Wiesbaden 2016, S.44-48, <https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Aussenhandel/Gesamtentwicklung/ZusammenfassendeUebersichtenJvorlaeufig2070100158004.pdf?__blob=publicationFile> (eingesehen am 25.3.2016). Anmerkungen: Mit China verhandelt die EU ein Investitionsabkommen, das auch Marktzugangselemente in dem Bereich umfasst. Mit Russland sind die Neuverhandlungen über das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ausgesetzt. Diese beinhalten auch Handels- und Investitionskomponenten, aber keine Präferenzzölle. 5

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europäischen Binnenmarkt, sondern auch erheblich von weltweiten Handelserleichterungen. Es überrascht daher nicht, dass sich die deutsche Industrie seit der Schaffung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (engl.: General Agreement on Tariffs and Trade, GATT) im Jahr 1947 für ein offenes, diskriminierungsfreies globales Handelssystem einsetzt. Deutschland ist dem GATT 1951 beigetreten.

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Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland 20157

Ausfuhr

Einfuhr

Einfuhren plus Ausfuhren

Ausfuhren minus Einfuhren

Land

Wert in Mio. Euro

In Prozent am Gesamthandel

Land

Wert in Mio. Euro

In Prozent am gesamten Außenhandelssaldo

Volksrepublik 91524 China

9,7

Vereinigte Staaten

173202

8,1

Vereinigte Staaten

54598

22,0

8,6

Niederlande

88123

9,3

Frankreich

170055

7,9

Vereinigtes Königreich

51034

20,6

89292

7,5

Frankreich

67008

7,1

Niederlande

167641

7,8

Frankreich

36039

14,5

79517

6,6

USA

59302

6,3

Volksrepublik 162735 China

7,6

Österreich

20699

8,3

Volksrepublik 71211 China

5,9

Italien

49034

5,1

Vereinigtes Königreich

127550

5,9

Vereinigte Arabische Emirate

13733

5,5

4,9

Polen

44482

4,7

Italien

107141

5,0

Spanien

12260

4,9 4,1

In Prozent am Gesamthandel

Land

1 USA

113900

9,5

2 Frankreich

103047

Vereinigtes Königreich

4 Niederlande

5

Außenhandelssaldo

In Prozent am Gesamthandel

Wert in Mio. Euro

Land

3

Umsatz

6 Italien 7 Österreich

58102 58041

4,8

8 Polen

52109

4,4

9 Schweiz

49252

4,1

41375

3,6

10 Belgien Summe

7428469

Schweiz

Wert in Mio. Euro

42661

Tschechische Repub- 39312 lik Vereinigtes 38258 Königreich Österreich

37341 557045

4,5

Polen

96592

4,5

Republik Ko10256 rea

4,1

Österreich

95382

4,4

Saudi-Arabien

9104

3,7

4,0

Schweiz

91913

4,3

Italien

9063

3,6

3,9

Belgien

78236

3,6

Schweden

8892

3,5

1270447

247882

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Quelle: Statistisches Bundesamt, Außenhandel. Zusammenfassende Übersichten für den Außenhandel (Vorläufige Ergebnisse), 2015, Wiesbaden 2016, S.44 ff., https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Aussenhandel/Gesamtentwicklung/ZusammenfassendeUebersichtenJvorlaeufig2070100158004.pdf?__blob=publicationFile (eingesehen am 23.2.2016). 6


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Der Welthandel braucht neue Impulse Die Wachstumsprognosen für den Welthandel liegen aktuell weit unter dem historischen Trend. Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ist der Welthandel 2015 um 2,6 Prozent gewachsen.8 Der IWF erwartet, dass das jährliche Handelswachstum den historischen Trend von sechs bis sieben Prozent pro Jahr auch 2016 nicht erreichen wird. Für das Jahr 2016 sagt der IWF ein Handelswachstum von gerade einmal 3,4 Prozent voraus, wohingegen die WTO mit einem Wachstum von 4,0 Prozent rechnet.9 Wachstumsraten des Welthandels gesunken Jährliche Wachstumsraten des weltweiten BIP und des Welthandels (in Prozent) 15

10

5

2015

2014

2013

2012

2011

2010

2009

2008

2007

2006

2005

2004

2003

2002

2001

2000

1999

1998

1997

1996

1995

1994

1993

1992

1991

1990

0

-5

-10

-15 Weltweites BIP

Welthandel

Quelle: IMF, Gross Domestic Product: Constant Prices, Percent Change (Market Exchange Rates), Trade Volume of Goods and Services: Percent Change. <http://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2015/02/weodata/index.asp> (eingesehen am 3.3.2016) und IMF, World Economic Outlook, An Update of the Key WEO Projections, January 2016, <https://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2016/update/01/pdf/0116.pdf> (eingesehen am 25.3.2016).

Auffällig an der Entwicklung der letzten Jahre ist, dass die Wachstumsraten des Welthandels nicht mehr auf das Vorkrisenniveau ansteigen. Das Handelswachstum liegt nur noch leicht über dem Wachstum des weltweiten BIP. In den Jahrzehnten vor der Jahrtausendwende waren die Wachstumsraten des Welthandels regelmäßig deutlich höher als die Wachstumsraten des weltweiten BIP. Dieses Verhältnis der Wachstumsraten, die „Einkommenselastizität des Welthandels“, ist in den letzten Jahren aber zurückgegangen.10 Der langfristige Trendpfad der Einkommenselastizität lag laut Bundesbank im Zeitraum von 1980 bis 2007 weltweit noch bei rund 1,9.

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IMF, World Economic Outlook, An Update of the Key WEO Projections, January 2016, <https://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2016/update/01/pdf/0116.pdf> (eingesehen am 25.3.2016). 9 WTO, Modest Trade Recovery to Continue in 2015 and 2016 Following Three Years of Weak Expansion, Press Release, April 2015, <https://www.wto.org/english/news_e/pres15_e/pr739_e.htm> (eingesehen am 25.3.2016). 10 Die Elastizität beschreibt die relative Änderung einer Variablen in Abhängigkeit von der relativen Änderung einer anderen Variablen. Hier also das Verhältnis des Wachstums des Welthandels zum Wachstum der Weltwirtschaftsleistung (Weltweites BIP).

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Die Wachstumsraten des Welthandels waren also etwa doppelt so hoch wie die Wachstumsraten des weltweiten BIP. Im Zeitraum von 2008 bis 2013 betrug die Einkommenselastizität des Welthandels hingegen nur noch rund 1,3.11 Die Dämpfung des Welthandelswachstums im Verhältnis zum Wachstum des weltweiten BIP hat verschiedene Ursachen, darunter konjunkturelle Faktoren. So dämpfte die Rezession in den EU-Ländern im Zuge der Finanzkrise ab 2008 den Welthandel stärker als das Welt-BIP. BIP und Außenhandel der EU machen einen großen Anteil an den weltweiten Größen aus. Die Eurokrise belastete sowohl das weltweite BIP als auch den Welthandel. Der EU-Außenhandel reagiert aber statistisch gesehen stärker auf Konjunkturschwankungen als der Außenhandel anderer Wirtschaftsräume. Denn der Außenhandel der EU-Länder geht durch die Berücksichtigung des Intra-EU-Handels überproportional in die Welthandelsstatistik ein. Im Verhältnis zum BIP des Wirtschaftsraums erscheint der EU-Außenhandel also zahlenmäßig viel größer als etwa der US-Außenhandel (der lediglich den Handel an der Außengrenze, nicht zwischen den Bundesstaaten abbildet). Deshalb drückte die Eurokrise den Welthandel stärker nach unten als das Welt-BIP. Konjunkturelle Faktoren allein können jedoch die relativ niedrigen Wachstumsraten im Welthandel der letzten Jahre nicht erklären. Handel innerhalb der EU erholt sich langsam von der Krise Intra- und Extra-EU28-Handel sowie das BIP der EU 28 (Index: 1995 = 100) 350 300 250 200 150 100

Intra-EU28-Handel

Extra-EU28-Handel

2014

2013

2012

2011

2010

2009

2008

2007

2006

2005

2004

2003

2002

2001

2000

1999

1998

1997

1996

1995

50

BIP (EU28)

Quelle: UNCTAD, Intra-Trade and Extra-Trade of Country Groups by Product, Annual, 1995-2014, Gross Domestic Product: Total and Per Capita, Current and Constant (2005) Prices, Annual, 1970-2014, <http://unctadstat.unctad.org/EN/> (eingesehen am 25.3.2015).

Deutsche Bundesbank, „Zum empirischen Zusammenhang zwischen Welthandel und globaler Wirtschaftsleistung“, in: Monatsbericht November 2013, S. 14. <https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Monatsberichte/2013/2013_11_monatsbericht.pdf?__blob=publicationFile>. 11

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Auch Änderungen in der Struktur der Weltwirtschaft spielen eine wichtige Rolle. So haben Schwergewichte im Welthandel wie die USA und China in den letzten Jahren Vorleistungen verstärkt aus dem eigenen Land bezogen, anstatt sie zu importieren.12 Die weltweit steigenden grenzüberschreitenden Direktinvestitionen weisen zudem darauf hin, dass der Außenhandel zunehmend durch die Auslandsproduktion ersetzt wird. So hat sich etwa der deutsche Auslandsumsatz, der über die Auslandsinvestitionen der Unternehmen erwirtschaftet wird, seit 1991 auf zuletzt 2,4 Billionen Euro verdreifacht.13 Weltweit werden ausländische Märkte mehr und mehr über Produktionsstätten vor Ort beliefert. Von 1990 bis 2014 haben die Bestände an grenzüberschreitenden Direktinvestitionen um das 11,5-fache zugelegt.14 Eine weitere Ursache für den langsamer wachsenden Welthandel liegt in einer langsameren Liberalisierung beziehungsweise dem schleichenden Trend zum Protektionismus (s.u.). Gemessen an der Anzahl der weltweit jährlich neuen Handelsabkommen schreitet die Liberalisierung des weltweiten Handels im Vergleich zu den 1990er-Jahren heute langsamer voran. Ein weiterer Faktor für die niedrigere Einkommenselastizität des Welthandels könnte eine Normalisierung einer weltweiten Entwicklung sein, die sich nach der Einbindung von Schwellenländern in den Welthandel eingestellt hat. In den 1990er-Jahren wurden Schwellenländer in die Weltwirtschaft eingebunden, verstärkt durch den WTO-Beitritt Chinas 2001. Dabei handelte es sich um einen „Einmaleffekt“, der nun keine Fortsetzung mit gleichem Tempo mehr erfährt. Diese Entwicklung wird durch den wirtschaftspolitischen Kurs Chinas verstärkt, die chinesische Volkswirtschaft stärker vom Binnenmarkt und weniger vom Außenhandel abhängig zu machen. Die Weltwirtschaft ist zudem mit einer Reihe politischer Risiken konfrontiert, die den Handel beeinträchtigen können. Während sich die territorialen Streitigkeiten zwischen China und Japan abgekühlt haben, sind Konflikte in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika sowie Südostasien noch im vollen Gange (z.B. Syrien, Russland/Ukraine, Ägypten, Thailand). Keine der genannten Entwicklungen kann den Trend einer relativen Abschwächung der Dynamik des Welthandels vollständig erklären. Am wahrscheinlichsten ist ein Zusammenwirken vieler Faktoren. Fest steht aber, dass die Außenwirtschaftspolitik geeignete Maßnahmen ergreifen muss, um den Welthandel weiterhin zu stärken. Veränderung im Welthandel: Die Bedeutung globaler Wertschöpfungsketten Globale Wertschöpfungsketten werden länger und zunehmend komplexer. Sie beziehen sich auf sämtliche Aktivitäten eines Unternehmens von der Herstellung des Produkts bis zu seinem Endverbrauch und darüber hinaus: das Design, die Produktion, das Marketing, den Vertrieb und die Unterstützung für den Endverbraucher. Die Fragmentierung der Produktion ist kein neues Phänomen, aber globale Wertschöpfungsketten sind exponentiell gewachsen und in ihrer Natur komplexer geworden. Unternehmen optimieren heute ihre Produktionsprozesse, indem sie einzelne Produktionsschritte je nach deren spezifischen Anforderungen in verschiedene Länder verlagern. Länder spezialisieren sich auf unterschiedliche Aufgaben und Produkte entlang der Wertschöpfungskette. In der Folge sind Volkswirtschaften zunehmend miteinander verflochten. Die Ursachen für diesen Wandel liegen in veränderten Unternehmensstrategien, technologischen Fortschritten (z.B. günstigere und verlässlichere Informationstechnologien und Telekommunikationsinfrastruktur), sinkenden Transportkosten und Handelsliberalisierung.

Christina Constantinescu, Aaditya Mattoo, Michele Ruta, “The Global Trade Slowdown: Cyclical or Structural?”, S. 22f., in: IMF Working Paper WP/15/6, 2015, <https://www.imf.org/external/pubs/ft/wp/2015/wp1506.pdf>. 13 Deutsche Bundesbank, Jahresumsatz der Unternehmen im Ausland; Alle Länder, <http://www.bundesbank.de/Navigation/DE/Statistiken/Zeitreihen_Datenbanken/Makrooekonomische_Zeitreihen/its_list_node.html?listId=www_s130_ddi_al> (eingesehen am 30.3.2016). 14 UNCTAD, World Investment Report 2015, New York und Genf 2015, S. A7, <http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/wir2015_en.pdf>. 12

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Zwischen 30 und 60 Prozent der Gesamtausfuhren aus G20-Ländern sind Exporte von Zwischenprodukten (2009).15 Der Anteil von Zwischenprodukten an den globalen Exporten lag im Jahr 2012 bei 41,3 Prozent.16 Ein wesentlicher Beschleuniger globaler Wertschöpfungsketten sind ausländische Direktinvestitionen (ADI). Auch Dienstleistungen wie gewerbliche Dienstleistungen, Transport und Logistik spielen eine wichtige Rolle. Laut der Organisation for Economic Co-Operation and Development (OECD) sind Dienstleistungen für mehr als die Hälfte der Werterzeugung in globalen Wertschöpfungsketten in OECD-Ländern verantwortlich. In China beläuft sich dieser Anteil auf über 30 Prozent.17 Die deutsche Industrie ist überproportional stark in regionale und globale Wertschöpfungsketten integriert. Im Jahr 2011 lag die Importquote im Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland bei 34,6 Prozent, der weltweite Durchschnitt bei 23,2 Prozent. In den Industrieländern liegt die Auslandsbezugsquote im Verarbeitenden Gewerbe bei 27,4 Prozent und damit deutlich höher als in den Schwellenländern (14,6 %).18 Nicht alle Wertschöpfungsketten sind dabei global. Intraregionaler Handel – also der Handel zwischen Ländern innerhalb einer Region – spielt nach wie vor eine wichtige Rolle im Welthandel. Die weltweit höchste intraregionale Konzentration des Warenhandels ist in Europa zu verzeichnen: 2014 wurden 69,1 Prozent des Warenhandels (gemessen in Volumen) intraregional abgewickelt. 19 Gleichwohl gewinnen globale Wertschöpfungsketten an Bedeutung. Bezogen die Industrieländer im Jahr 2000 noch gut dreiviertel ihrer Vorleistungen aus den Industrieländern, waren es 2011 nur noch 63 Prozent. 20 Die Fragmentierung der globalen Produktion hat wichtige Konsequenzen für die Handels- und Investitionspolitik. Um globale Handelsketten zu fördern, müssen nicht nur Hemmnisse auf Endprodukte abgebaut werden. Vielmehr ist ein Abbau von Barrieren entlang der gesamten Wertschöpfungskette notwendig. Dies gilt auch für Hemmnisse bei Dienstleistungen, Investitionen und der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Von der Reduzierung der Handelsbarrieren würden nicht nur Exporteure profitieren, sondern auch die Importeure von Zwischenprodukten, die diese für ihre Produktion benötigen. Ein Abbau von Industriezöllen lohnt sich, auch wenn Durchschnittszölle auf Industriegüter (gerade im Handel zwischen Industrieländern) bereits vergleichsweise niedrig sind. So können sich die anfallenden Zollabgaben aufgrund der wiederholten Grenzüberschreitungen von Gütern und Zwischenprodukten beträchtlich summieren. Ebenso lohnt es sich, administrative Hürden bei der Zollabwicklung abzubauen. Globale Wertschöpfungsketten verlangen vor allem nach einer multilateralen Handelsliberalisierung. Grund ist, dass an einer Wertschöpfungskette in der Regel mehr als zwei Wirtschaftsräume beteiligt sind und somit ein bilaterales Handelsabkommen immer nur einen Teil der Probleme lösen kann.21 Die WTO bleibt daher der Königsweg, um globale Wertschöpfungsketten zu befördern. Gleichzeitig sind bilaterale und regionale PTAs in Umfang (Themenabdeckung) und Tiefe (Ambitionsniveau) oftmals weitreichender als multilaterale Vereinbarungen

15 OECD,

WTO, UNCTAD, Implications of Global Value Chains for Trade Investment, Development, and Jobs, Prepared for the G-20 Leaders Summit Saint Petersburg (Russian Federation) September 2013, 6.8.2013, S. 6, <http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/unctad_oecd_wto_2013d1_en.pdf>. 16 WTO, International Trade Statistics 2015, Appendix table A10 und Appendix table A6, <https://www.wto.org/english/res_e/statis_e/its2014_e/its14_appendix_e.htm> (eingesehen am 18.1.2016). 17 OECD, Interconnected Economies: Benefiting from Global Value Chains, Synthesis Report, Paris 2013, S. 5, <http://www.oecd.org/sti/ind/interconnected-economies-GVCs-synthesis.pdf>. 18 IW Consult GmbH, Globale Kräfteverschiebung: Kräfteverschiebung in der Weltwirtschaft – Wo steht die deutsche Industrie in der Globalisierung, Köln 2014, S. 80, <http://bdi.eu/media/user_upload/201501_Studie_Globale-Kraefteverschiebung.pdf>. 19 UNCTAD, Intra-Trade and Extra-Trade of Country Groups by Product, Annual, Europe, <http://unctadstat.unctad.org> (eingesehen am 18.1.2016). 20 IW Consult GmbH (2014), S. 83. 21 OECD, Trade Policy Implications of Global Value Chains, Paris 2013, < http://www.oecd.org/sti/ind/Trade_Policy_Implicatipns_May_2013.pdf>.

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und tragen deshalb erheblich dazu bei, Wertschöpfungsketten von Handelsbarrieren zu befreien und zu effizienteren Wegen der Arbeitsteilung zu kommen. Daher sollten sie zusätzlich zum multilateralen Weg verfolgt werden. Bedeutung der Entwicklungsländer für den Welthandel Der internationale Handel hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Der Anteil von Entwicklungsländern am Welthandel ist erheblich gewachsen. Gemäß der offiziellen Development Assistance Committee (DAC)-Liste kommt man mit Weltbank-Zahlen (WDI) auf einen Exportanteil von Entwicklungsländern am weltweiten Waren- und Dienstleistungshandel von 27,9 Prozent im Jahr 2014 und 17,7 Prozent im Jahr 2000. 22 Dies ist vor allem auf Schwellenländer wie China und Indien zurückzuführen, die sich auch dank Handelsliberalisierung und verbessertem Marktzugang zunehmend industrialisieren konnten. Seit Beginn der Doha-Runde der WTO im Jahr 2001 bis zum Jahr 2014 hat China seinen Anteil am weltweiten Warenexport von 4,3 Prozent auf 12,3 Prozent etwa verdreifacht.23 So ist China allein für mehr als ein Drittel der Exporte der Entwicklungsländer verantwortlich. Im Zeitraum 2001 bis 2014 ist Chinas Anteil am globalen Bruttosozialprodukt in Kaufkraftparität von 7,8 auf 16,3 Prozent gestiegen. Ärmere Entwicklungsländer haben ihre Exporte ebenfalls gesteigert, jedoch mit großen regionalen Unterschieden. Länder Südasiens haben ihre Exporte wesentlich durch arbeitsintensive Industriegüter wie Textilien steigern können (globaler Warenexportanteil +1,9 % zwischen 2000 und 2014).24 Ärmere Entwicklungsländer in Südost-Asien, so zum Beispiel Vietnam und Kambodscha, haben sich in globale Wertschöpfungsketten integriert und exportieren zunehmend hochwertige Güter (Warenexportanteil +0,9 %).25 Subsahara-Afrika (Warenexportanteil +1 %) ist immer noch wesentlich auf Rohstoffexporte (70 % der außerregionalen Exporte) angewiesen, die wenig zur heimischen Wertschöpfung und Entwicklung beitragen. 26 Seit 2012 stagnieren die Exportanteile von Entwicklungsländern jedoch. Dies kann vor allem auf den Einbruch von Rohstoffpreisen sowie die langsamere wirtschaftliche Entwicklung Chinas zurückgeführt werden. 27 Zwischen den Entwicklungsländern gibt es große wirtschaftliche Unterschiede, die in den multilateralen Verhandlungen der WTO nicht ausreichend berücksichtigt werden. Die großen Schwellenländer wie Brasilien, China und Indien sowie aufstrebende asiatische Schwellenländer wie Vietnam und Malaysia haben im Wettbewerb des globalen Handels eine sehr viel stärkere Ausgangslage als Entwicklungsländer, die nur knapp über dem Status eines am wenigsten entwickelten Landes liegen. Neben den kaum diversifizierten volkswirtschaftlichen Strukturen und der schlechten Regierungsführung – zum Beispiel im Wettbewerb – schränken auch Import- und Exportbarrieren den Handel vieler Entwicklungsländer noch wesentlich ein.28 Bei Zöllen und technischen Handelsbarrieren zeigt sich die Tendenz, dass diese höher sind je ärmer ein Land ist.29 Allerdings gibt es auch noch wesentlichen Verbesserungsbedarf bei handelsbezogenen In-

22

The World Bank, Exports of Goods and Services in Current $, (ohne Venezuela und Mikro-Staaten), <http://databank.worldbank.org/data/reports.aspx?source=world-development-indicators> (eingesehen am 30.3.2016). 23 UNCTAD, Exports, Flows, Percentage of Total World, Developing Economies, <http://unctadstat.unctad.org> (eingesehen am 18.1.2016). 24 The World Bank, siehe ebenda. 25 The World Bank, siehe ebenda. 26 Evita Schmieg, „Handelspolitische Optionen für Subsahara-Afrika“, in: SWP-Aktuell, April 2015, S. 2, <http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A35_scm.pdf>. 27 Chee Yoke Heong, „Falling Commodity Prices a Bane for Developing Countries“, in Third World Resurgence No. 293/294, Februar 2015, S. 28-29, <http://www.twn.my/title2/resurgence/2015/293-294/cover09.htm>. 28 Constantine Michalopoulos & Francis Ng, “Developing Country Trade Policies and Market Access Issues, Weltbank”, Mai 2013, <http://elibrary.worldbank.org/doi/abs/10.1596/1813-9450-2214>. 29 Siehe ebenda, S. 8 & 34.

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stitutionen und Infrastruktur. Transportkosten machten etwa in Subsahara-Afrika 2011 zwischen 15 und 20 Prozent der gesamten Importkosten aus; dies ist das Drei- bis Vierfache im Vergleich zu Industrieländern.30 Die Handelsabwicklung dauert in Subsahara-Afrika fast dreimal so lang wie in der EU und die administrativen Handelskosten sind etwa doppelt so hoch.31 Das 2013 vereinbarte WTO-Abkommen über Handelserleichterungen (TFA) kann Handelskosten von Entwicklungsländern um 14,6 bis 17,4 Prozent senken sowie ihren jährlichen Handel um bis zu 730 Milliarden US-Dollar steigern (siehe Kapitel über Doha-Runde).32 Die hohen Importkosten schwächen Produktivität und Exporte von Entwicklungsländern, vor allem angesichts der Tatsache, dass intermediäre Güter mehr als zwei Drittel des globalen Handels ausmachen (Export und Import von Waren und Dienstleistungen).33 Auch der Zugang zu Exportmärkten spielt eine Rolle. In der WTO gilt für Entwicklungsländer gemäß der Meistbegünstigungsklausel (MFN) der gleiche Marktzugang wie für andere Länder. Jedoch steht es dank Ausnahmeregelungen (waiver) WTO-Mitgliedern offen, weniger entwickelten Ländern präferentiellen Marktzugang für Waren und Dienstleistungen zu gewähren. Die EU macht von diesen Möglichkeiten umfassend Gebrauch und ist der offenste Markt für Entwicklungsländer sowie deren größter Absatzmarkt.34 Dennoch sind gerade ärmere Länder global hohen Exportbarrieren ausgesetzt. Arme Entwicklungsländer exportieren oftmals Produkte, auf die weltweit besonders hohe Zölle angewandt werden – zum Beispiel Textilien sowie Agrarprodukte. 35 Ebenso werden die Vorteile präferentieller Zollregime oft durch komplexe und abweichende Ursprungsregeln eingeschränkt. 36 Aufgrund der niedrigen Zölle – vor allem für LDCs – sind die größten Importbarrieren in Industrieländern inzwischen nicht-tarifäre Handelsbeschränkungen, so zum Beispiel technische Handelsbarrieren.37 Entwicklungsländer exportierten 2014 mehr Waren in andere Entwicklungsländer (Süd-Süd-Handel) als in Industrieländer (Süd-Nord-Handel).38 Jedoch lagen Handelsbarrieren zwischen Entwicklungsländern 2012 noch mehr als dreimal so hoch wie für Exporte von Entwicklungs- in Industrieländer.39 Dies liegt einerseits daran, dass industrialisierte Schwellenländer ärmeren Entwicklungsländern kaum präferentiellen Marktzugang gewähren. Problematisch im Handel zwischen Entwicklungsländern ist andererseits, dass verarbeitete Produkte deutlich höher verzollt werden als intermediäre Güter und Rohstoffe, auf denen sie basieren (tariff escalation).40

30

UK Department for International Development, Regional Integration and Trade in Sub-Saharan Africa, 2011, S. 10, <https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/32466/11-978-regionalintegration-and-trade-africa.pdf>. 31 Edward George, “Africa’s External and Intra-Regional Trade”, in: Ecobank, 5.6.2013, S. 21, <https://secure.ecobank.com/upload/20131007100538337894G3jtuE82AC.pdf>. 32 OECD, Implementation of the WTO Trade Facilitation Agreement: The Potential Impact on Trade Costs, Juni 2015, S. 2, <http://www.oecd.org/trade/tradedev/WTO-TF-Implementation-Policy-Brief_EN_2015_06.pdf>; WTO, World Trade Report 2015, 26.10.2015, <https://www.wto.org/english/news_e/pres15_e/pr755_e.htm>. 33 IWF, Trade Interconnectedness: The World with Global Value Chains, 26.8.2013, S. 1, <http://www.imf.org/external/np/pp/eng/2013/082613.pdf>. 34 Europäische Kommission, Improving EU Support to Developing Countries, 9.7.2015, S. 5, <http://www.preventionweb.net/files/27767_communicationonimproveusupporttodev.pdf>. 35 Siehe ebenda. 36 Europäisches Parlament, Cross-Cutting Effects of the EU´s Preferential Trade Agreements (PTAs) on Developing Economies, S. 6&11-13&21-24, 15.6.2015, <http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2015/549047/EXPO_STU(2015)549047_EN.pdf>. 37 UNCTAD, Non Tariff Measures to Trade: Economic and Policy Issues for Developing Countries, 2013, S. 1314, <http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/ditctab20121_en.pdf>. 38 WTO, International Trade Statistics 2015, 2015, S. 28, <https://www.wto.org/english/res_e/statis_e/its2015_e/its2015_e.pdf>. 39 Yannick Binneau & Pierluigi Montalbano, Selected Developmental Aspects of Trade and Trade Policies, Juni 2012, S. 23-24, <http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2012/june/tradoc_149606.pdf>. 40 Michalopoulus, op. cit, S. 11.

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Handelspartner ärmerer Entwicklungsländer Warenexporte und –importe ärmerer Entwicklungsländer Warenexporte ärmerer Entwicklungsländer nach Destination 2014 Low-income economies

2000 2014

Lower-middle-income economies

2000 Warenimporte ärmerer Entwicklungsländer nach Herkunft 2014 Low-income economies

2000 2014

Lower-middle-income economies

2000 0%

10%

20%

30%

40%

Low-income economies Upper-middle-income economies ohne China High-income economies ohne USA & EU USA

50%

60%

70%

80%

90%

100%

Lower-middle-income economies China EU Andere

Quelle: UNCTAD, UNCTADstat, <http://unctadstat.unctad.org/wds/TableViewer/tableView.aspx> (eingesehen am 9.12.2015).

Mit dem TFA und den Entscheidungen in Nairobi zu LDC-Ursprungsregeln, Agrarexportsubventionen sowie Baumwolle hat die WTO in den letzten Jahren bereits wichtige Schritte für eine verbesserte Integration von Entwicklungsländern in den Welthandel unternommen (siehe Kapitel „Die Doha-Runde“). Jedoch schränken Rechtsunsicherheit, hohe Importkosten und Marktzugangsbarrieren in anderen Entwicklungsländern Wirtschaftswachstum sowie Handelsgewinne immer noch wesentlich ein. Dienstleistungshandel: Ungenutztes Potential Auf den ersten Blick ist die Bedeutung des Dienstleistungshandels im gesamten Welthandel nach wie vor überschaubar, auch wenn sich der Dienstleistungshandel von 2000 bis 2013 verdreifacht hat. Während Dienstleistungen in den meisten Industrieländern etwa zwei Drittel des BIP ausmachen, sind sie nur für etwa ein Viertel des gesamten Außenhandels verantwortlich (in Bruttowerten).

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Weltweiter Handel mit Dienstleistungen steigt Exporte in Milliarden US-Dollar einzelner Regionen 5000 4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 2000

2001 Weltweit

2002

2003

2004

2005

Industrieländer

2006

2007

2008

Entwicklungsländer

2009

2010

2011

2012

2013

Transformationsländer

Quelle: UNCTAD, Dienstleistungsexporte (BPM5), in jeweiligen Preisen, <http://unctadstat.unctad.org> (eingesehen am 23.2.2016).

Die Betrachtung von Bruttoexporten und -importen greift jedoch zu kurz, um die Bedeutung der Dienstleistungen vollständig erfassen zu können. Denn Dienstleistungen sind notwendig für die Herstellung von Waren und somit oft im Verkaufspreis enthalten. Gemessen am Mehrwert trugen sie im Jahr 2011 50,9 Prozent zum Bruttoexport in Frankreich, 38,2 Prozent in Deutschland, 43,1 Prozent in Italien, 49,8 Prozent in den USA und 27,7 Prozent in China bei. In der EU-28 beläuft sich der Anteil auf 43,4 Prozent.41 Ein freier Dienstleistungshandel birgt ein großes Potential für das Auslandsgeschäft, für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Industrienahe Dienstleistungen sind für das verarbeitende Gewerbe von großer Bedeutung. Eine verlässliche grenzüberschreitende Dienstleistungsinfrastruktur, beispielsweise Banken, Versicherungen, Transport-/Logistikanbieter, Informations- und Kommunikationstechnologie und Personaleinsatzmöglichkeit, fördern das Auslandsengagement der deutschen Industrie. Auch verrichten „klassische“ Industriebranchen wie die Bauindustrie grenzüberschreitende Dienstleistungen. Dienstleistungshandel fördert zudem den Transfer von Ideen, Expertise und Technologien. Umso wichtiger sind bilaterale, plurilaterale und multilaterale Bemühungen, um den internationalen Dienstleistungssektor zu liberalisieren. Die Digitalisierung des Welthandels – WTO muss Schritt halten Der digitale Handel spielt eine bedeutende Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im 21. Jahrhundert. Deutschland ist der größte europäische Exporteur von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT)-Waren und -Dienstleistungen.42 Vor allem der Handel mit IKT-Dienstleistungen ist dabei von großer

41

OECD/WTO, Trade in Value Added (TiVA): Core Indicators, Domestic Services Value Added Share of Gross Exports, October 2015, http://stats.oecd.org> (eingesehen am 23.2.2016). 42 OECD, Key ICT Indicators- 12. Trade in ICT-Goods: Gross Exports and Value Added, <http://www.oecd.org/internet/broadband/oecdkeyictindicators.htm> (eingesehen am 7.3.2016).

14


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Bedeutung: 2014 war er nach Schätzungen der Weltbank für fast 40 Prozent der gesamten deutschen Dienstleistungsexporte verantwortlich.43 Die deutsche Wirtschaft ist ebenso im hohen Maße auf Importe von IKT-Waren und -Dienstleistungen angewiesen, da diese einen zunehmend wichtigen Produktionsinput für die Herstellung industrieller Güter darstellen. Der TiVA (Trade in Value Added) - Wert des Exports von IKT-Waren und -Dienstleistungen (7,72 Prozent der gesamten deutschen Exporte auf TiVA-Basis) ist für Deutschland deutlich höher als dessen Nominalwert (5,42 Prozent der gesamten deutschen Exporte laut OECD).44 Deutscher IKT-Produktexport braucht neue Impulse 2006-2013 (in Milliarden US-Dollar)

120 100 80 60 40 20 0 2006

2007

2008

2009

IKT-Warenexport

2010

2011

2012

2013

IKT-Dienstleistungsexport

Quelle: Weltbank, World Development Indicators, <http://databank.worldbank.org/data/reports.aspx?source=world-development-indicators> (eingesehen am 4.3.2016).

Der grenzüberschreitende E-Commerce von Waren und Dienstleistungen (Business-to-Consumer, Consumerto-Consumer) betrug Schätzungen zufolge im Jahr 2014 bereits 230 Milliarden US-Dollar und soll bis 2020 auf gut 1 Billionen US-Dollar ansteigen.45 Diese Schätzungen beinhalten nicht den sogar noch bedeutenderen Business-to-Business- und Business-to-Government-E-Commerce. Grenzüberschreitender E-Commerce erweitert den Welthandel nicht nur um eine Modalität, sondern verändert Handelsstrukturen. So kann E-Commerce Transaktionskosten im globalen Handel um ein Vielfaches verringern und vor allem kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die Integration in den Weltmarkt erleichtern. Handelskosten, die mit der geographischen Distanz zusammenhängen, sind einer Weltbank-Studie zufolge im grenzüberschreitenden Handel über eine E-Commerce-Plattform um fast zwei Drittel niedriger als im klassischen Handel.46 Vor allem im Dienstleistungshandel ermöglicht der digitale E-Commerce substantielle Effizienzgewinne, indem die Notwendigkeit einer physischen Präsenz überwunden werden kann. Bereits 2009 beruhte etwa die Hälfte des globalen Dienstleistungshandels auf digitalen Lösungen.47

43

The World Bank, ICT Service Exports (% of Service Exports, BoP), <http://data.worldbank.org/indicator/BX.GSR.CCIS.ZS> (eingesehen am 23.2.2016). 44 Der TiVA-Wert bezieht die Anteile eines Produktionsinputs an dem Gesamtwert eines Exports mit ein; OECD, Key ICT Indicators - 12. Trade in ICT-Goods: Gross Exports and Value Added, <http://www.oecd.org/internet/broadband/oecdkeyictindicators.htm> (eingesehen am 7.3.2016). 45 Accenture & AliResearch, Cross-border E-Commerce to Reach $1 Trillion in 2020, 11.6.2015, <http://www.alizila.com/report-cross-border-e-commerce-reach-1-trillion-2020-charts>. 46 Andreas Lendle et al., There Goes Gravity, Juni 2013, <http://www.valuechains.org/dyn/bds/docs/851/How_eBay_reduces_trade_costs.pdf>. 47 UNCTAD, Information Economy Report 2009, S. 77, 2009, <http://unctad.org/en/docs/ier2009_en.pdf>.

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E-Commerce gewinnt an Bedeutung Globaler B2C/C2C E-Commerce von Waren, Dienstleistungen und digitalen Produkten 4000

31,0%

29,3% 30,0% 29,0%

3500

27,0% 24,4%

3000 21,4%

2500

18,4% 16,3%

2000 1500

14,7%

676 530

400

304

233

1000 500

994 826

1356

1565

1775

2014

2015

2016

2093

2234

2400

1942

2017

2018

2019

2020

0

28,0% 27,0% 26,0% 25,0% 24,0% 23,0% 22,0% 21,0% 20,0% 19,0% 18,0% 17,0% 16,0% 15,0% 14,0% 13,0% 12,0% 11,0% 10,0% 9,0% 8,0% 7,0% 6,0% 5,0% 4,0% 3,0% 2,0% 1,0% 0,0%

Grenzüberschreitender E-Commerce in Milliarden US-Dollar Globaler inländischer E-Commerce in Milliarden US-Dollar Quelle: Accenture & AliResearch, Cross-Border E-Commerce to Reach $1 Trillion in 2020, 11.6.2015, <http://www.alizila.com/report-cross-border-e-commerce-reach-1-trillion-2020-charts>.

Der möglichst uneingeschränkte grenzüberschreitende Datentransfer ist nicht nur eine Voraussetzung für den grenzüberschreitenden E-Commerce, sondern auch unverzichtbar für die effiziente Steuerung von globalen Wertschöpfungsketten sowie Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Die Möglichkeit, weltweit Daten in Echtzeit mit Auslandsrepräsentanzen, Lieferanten und Kunden zu teilen, ist eine der Grundvoraussetzungen für die globale Fragmentierung der Produktion. Gerade für eine erfolgreiche Entwicklung der Industrie 4.0 sind der grenzüberschreitende Austausch von Big Data, Cloud-Leistungen und machine-to-machine (M2M)-Kommunikationen essentiell. Schätzungen zufolge trägt der grenzüberschreitende Datentransfer bereits 2,8 Billionen USDollar zum globalen BIP bei und somit sogar mehr als der Warenhandel (2,7 Billionen US-Dollar).48 Die zunehmende Digitalisierung des Welthandels bietet somit große Chancen für Produktivität und Handelsgewinne gerade auch kleinerer Unternehmen. Die drei Komponenten des digitalen Handels – Handel mit IKT-Produkten, internationaler E-Commerce sowie grenzüberschreitender Datentransfer – finden jedoch im derzeitigen WTO-Regime, von ITA II abgesehen, nur ungenügend Beachtung (siehe Kapitel „Neue Themen in der WTO“ und „Plurilaterale Abkommen“). Dies führt zu Rechts- und Planungsunsicherheit und öffnet Tor und Tür für digitalen Protektionismus.

48

McKinsey Global Institute, Digital Globalization: The New Era of Global Flows, März 2016, S. 82, <http://www.mckinsey.com/business-functions/mckinsey-digital/our-insights/digital-globalization-the-new-era-ofglobal-flows>.

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Schleichender Handelsprotektionismus Auf dem G20-Gipfel in Antalya im November 2015 unterstrichen die G20-Staats- und Regierungschefs erneut, den freien Handel von Waren und Dienstleistungen sowie Investitionen fördern zu wollen. Darüber hinaus bekannten sich die Staats- und Regierungschefs zum Stillhalteabkommen, demzufolge keine neuen protektionistischen Maßnahmen einzuführen und zwischenzeitlich eingeführte Barrieren wieder abzubauen. Weltweites Zollniveau: Abwärtstrend beendet Durchschnittliche weltweite Zollsätze (alle Produkte in Prozent)

11 10 9 8 7

2012

2011

2010

2009

2008

2007

2006

2005

2004

2003

2002

2001

2000

1999

1998

1997

1996

6

Quelle: Weltbank, World Development Database, <http://databank.worldbank.org/data/>, (tariff rate, applied, simple mean, all products) (eingesehen am 8.3.2016). (Schätzwert für 2011)

Das wiederholte Bekenntnis der G20 und die Stärkung der WTO-Überwachungsmechanismen trugen dazu bei, dass Regierungen in der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise nicht im selben Maße auf protektionistische Maßnahmen zurückgriffen wie etwa in der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahre.49 Gleichwohl ist seit der jüngsten Krise ein schleichender Protektionismus zu beobachten, der seinen Ausdruck in einer steigenden Zahl nichttarifärer Handelshemmnisse und Exportrestriktionen findet. So stellten die von den G20 in Auftrag gegebenen gemeinsamen Monitoring-Berichte der OECD, UNCTAD und WTO seit ihrer ersten Ausgabe im Jahr 2009 für fast jeden Berichterstattungszeitraum eine steigende Zahl von handels- und investitionsverzerrenden Maßnahmen der Staaten fest. Über Jahrzehnte hinweg ist das weltweit durchschnittliche Zollniveau kontinuierlich gesunken. Die auf dem Meistbegünstigungsprinzip basierenden Zollraten sind seit 2000 von 12,8 auf 8,8 Prozent im Jahr 2010 gesunken.50 Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise ist jedoch wieder ein leichter Anstieg auf 9,3 Prozent im Jahr 2012 zu beobachten.51

49

Mehr zu den Überwachungsinstrumenten s.u. The World Bank, Tariff Rate, Most Favored Nation, Simple Mean, All Products (%), http://databank.worldbank.org/data/views/variableSelection/selectvariables.aspx?source=world-development-indicators (eingesehen am 18.1.2016). 51 Für das Jahr 2011 liegen in der Datenbank ebenso keine Daten vor wie für die Jahre nach 2012. 50

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Zudem variieren Handelsschranken erheblich zwischen Ländern und Industriezweigen. Durchschnittliche Zölle für landwirtschaftliche Erzeugnisse sind höher als für verarbeitete Güter. Der einfache angewandte Durchschnittszoll auf Agrargüter weltweit lag 2012 bei 8,8 Prozent, während Industriegüter im Durchschnitt mit einem Zoll von 6,5 Prozent belastet sind.52 Durchschnittszölle nach Einkommensgruppen In Prozent, 2015, angewandte Zollrate 14 12 10 8 6 4 2 0 Länder mit niedrigem Einkommen

Länder mit mittlerem Einkommen Länder mit hohem Einkommen Industrieprodukte

Agrarprodukte

Quelle: Weltbank, World Development Indicators 2015, Washington 2015, <http://wdi.worldbank.org/table/6.6>, (eingesehen am 23.2.2016).

Verglichen mit Ländern mit hohem Einkommensniveau weisen Länder mit niedrigem Einkommensniveau höhere angewandte Zollsätze sowohl bei Agrargütern (durchschnittlich 13,2 Prozent) als auch bei gefertigten Waren (11,3 Prozent) auf. In den Industrieländern liegt der durchschnittliche angewandte Zollsatz auf Agrargüter bei 5,0 Prozent und bei 3,7 Prozent für Industriegüter (alle Zahlen beziehen sich auf 2012).53 In vielen Sektoren finden sich darüber hinaus hohe Spitzenzölle. In der EU gibt es etwa in der Gruppe der Milchprodukte Spitzenzölle von bis zu 122 Prozent, im Bereich Tierprodukte von bis zu 138 Prozent (angewandte Zollsätze).54 In den USA erreichen die Spitzenzölle in der Produktgruppe Getränke und Tabak bis zu 350 Prozent (angewandte Zollsätze).55 Betroffen von hohen Spitzenzöllen sind jedoch auch klassische Industriesektoren. Indien beispielsweise erhebt auf bestimmte Textilprodukte Spitzenzölle von bis zu 156 Prozent; in der Kategorie Transportgüter werden Einfuhrzölle in der Höhe von bis zu 100 Prozent fällig (angewandte Zollsätze).56 In

52

The World Bank, Tariff Barriers, <http://wdi.worldbank.org/table/6.6> (eingesehen am 23.2.2016). Siehe ebenda. 54 WTO, Tariff Profiles, http://stat.wto.org/TariffProfile/WSDBTariffPFView.aspx?Language=E&Country=E28 (eingesehen am 23.2.2016). 55 WTO, Tariff Profiles, http://stat.wto.org/TariffProfile/WSDBTariffPFView.aspx?Language=E&Country=US (eingesehen am 23.2.2016). 56 WTO, Tariff Profiles, http://stat.wto.org/TariffProfile/WSDBTariffPFView.aspx?Language=E&Country=IN%2cUS%2cKR (eingesehen am 23.2.2016). 53

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Für ein gestärktes und modernes Welthandelssystem ǀ Mai 2016

Südkorea wird auf bestimmte Chemikalien ein Zoll von 271 Prozent bei der nicht-präferenziellen Einfuhr erhoben (angewandter Zollsatz).57 In den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern besteht zudem ein erheblicher Unterschied zwischen dem unter der WTO gebundenen Zollsatz und den tatsächlich angewandten, den sogenannten effektiven Zollsätzen. Diese Differenz wird als Binding Overhang bezeichnet. In Tansania liegt diese Differenz beispielsweise bei fast 100 Prozentpunkten für landwirtschaftliche Produkte (gebundener Zollsatz: 120 Prozent; angewandter Zollsatz: 20,3 Prozent) und 108,5 Prozentpunkten für industrielle Produkte (gebundener Zollsatz: 120 Prozent; angewandter Zollsatz: 11,5 Prozent).58 Doch auch in den Schwellenländern ist der Overhang beachtlich. In Brasilien liegt die Differenz bei 25,2 Prozentpunkten für landwirtschaftliche Produkte und bei 16,7 Prozentpunkten für nicht landwirtschaftliche Produkte.59 Landwirtschaftliche Produkte in Indien beziehungsweise Südafrika weisen einen Overhang von 80,1 respektive 32,0 Prozentpunkten auf.60 In China beträgt die Differenz zwischen der gebundenen und der tatsächlich angewandten Zollrate hingegen nur 0,5 Prozentpunkte für landwirtschaftliche Produkte und 0,6 Prozentpunkte für nicht-landwirtschaftliche Produkte.61 In zahlreichen Schwellen- und Entwicklungsländern sind überdies viele Zolllinien überhaupt nicht nach oben gedeckelt. Zum Beispiel sind in Indien zurzeit etwa 29,5 Prozent der Industriezölle nicht per WTO-Verpflichtung gebunden.62 Der Binding Overhang ebenso wie eine fehlende Bindung von Zöllen unter der WTO räumt Ländern einen entsprechenden Spielraum ein, Zölle anzuheben, ohne gegen multilaterales Handelsrecht zu verstoßen. Die Schwellen- und Entwicklungsländer argumentieren, dass sie diesen Spielraum brauchen, um auf wirtschaftliche Krisen reagieren zu können. Für das Welthandelssystem schafft dies jedoch erhebliche Unsicherheiten. Dies zeigte sich während der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise, als eine ganze Reihe von Ländern Zölle erhöhte. Darunter waren auch wichtige Zielmärkte der deutschen Industrie. Zum Beispiel stellte in Brasilien etwa jede zweite handelspolitische Maßnahme zwischen 2008 und 2012 eine Zollerhöhung dar. Die meisten davon hatten zum Ziel, Industriesektoren und -produkte wie den Maschinenbau, Eisen und Stahl, Plastik- und Chemieprodukte vor internationalem Wettbewerb zu schützen.63 Doch nicht nur Zölle, sondern auch nicht-tarifäre Handelshemmnisse belasten den Welthandel erheblich. Divergierende technische Normen, Verpackungs- und Kennzeichnungsvorschriften, Ausschreibungsmodalitäten von Aufträgen, Präferenzen in der staatlichen Auftragsvergabe sowie Diskriminierung bei der Zollabwicklung hemmen den Güterhandel deutlich. Kritisch können auch zusätzliche Gebühren oder Abgaben sein, die diskriminierend gegenüber ausländischen Produkten wirken. Ob diese Gebühren tatsächlich, beispielsweise aus ökologischen Erwägungen heraus, gerechtfertigt sind oder ein ungerechtfertigtes Einfuhrhindernis darstellen, kann nur im Einzelfall entschieden werden.

WTO, Tariff Profiles, http://stat.wto.org/TariffProfile/WSDBTariffPFView.aspx?Language=E&Country=KR, (eingesehen am 23.2.2016). 58 WTO, Tariff Profiles, http://stat.wto.org/TariffProfile/WSDBTariffPFView.aspx?Language=E&Country=TZ (eingesehen am 23.2.2016). 59 WTO, Tariff Profiles, http://stat.wto.org/TariffProfile/WSDBTariffPFView.aspx?Language=E&Country=BR%2cTZ%2cCN (eingesehen am 23.2.2016). 60 WTO, Tariff Profiles, <http://stat.wto.org/TariffProfile/WSDBTariffPFView.aspx?Language=E&Country=IN,ZA> (eingesehen am 23.2.2016). 61 WTO, Tariff Profiles, http://stat.wto.org/TariffProfile/WSDBTariffPFView.aspx?Language=E&-Country=BR%2cTZ%2cCN (eingesehen am 23.2.2016). 62 WTO, Tariff Profiles, http://stat.wto.org/TariffProfile/WSDBTariffPFView.aspx?Language=E&Country=IN, (eingesehen am 30.3.2016). 63 Ivan Oliveira, The Post Crisis Brazilian Trade Policy: An Analysis of its Defining Factors, Institute of Applied Economic Research (IPEA), August 2012, S.6,8, <http://www.urosario.edu.co/competitividad/documentos/presentaciones/Ivan-Oliveira.pdf>. 57

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Nicht-tarifäre Handelshemmnisse Nicht-tarifäre Handelshemmnisse (NTB) bezeichnen alle Politikmaßnahmen, die Handelsströme einschränken können und keine Zölle darstellen. Es lassen sich drei Arten von NTB unterscheiden:  NTB auf Importe: Dies sind unter anderem Importquoten, Importbeschränkungen, Importlizenzen, Zollverfahren- und Verwaltungsgebühren.  NTB auf Exporte: Dazu gehören Exportsteuern, Exportquoten, Exportverbote und freiwillige Exportbeschränkungen.  NTB in der inländischen Wirtschaft: Solche Maßnahmen, die hinter der Grenze auferlegt werden, umfassen inländische Rechtsvorschriften für Gesundheits-, Arbeits- und Umweltstandards, technische Standards, Steuern oder Abgaben sowie inländische Subventionen.

Der Dienstleistungshandel leidet besonders unter Beschränkungen für die Unternehmensgründung wie zum Beispiel Obergrenzen für ausländische Beteiligungen oder Joint-Venture-Verpflichtungen. Einige Länder begrenzen die gewerbliche Tätigkeit und die Anzahl oder die Arten der Dienstleistungen, die bereitgestellt werden können. Diskriminierende Registrierungserfordernisse und Lizensierungsverfahren, Anforderungen hinsichtlich der Nationalität und dem Unternehmenssitz sowie eine Prüfung der wirtschaftlichen Notwendigkeit behindern ebenfalls den Dienstleistungshandel. Oft wird dabei zwischen inländischen und ausländischen Anbietern diskriminiert. Darüber hinaus erschwert es eine Vielzahl von Lokalisierungsanforderungen europäischen Produzenten und Dienstleistern, auf Auslandsmärkten aktiv zu werden (sogenannte localization barriers to trade). Diese Maßnahmen dienen dazu, lokale Unternehmen zu schützen oder zu bevorzugen. Sie verstoßen nicht notwendigerweise gegen internationale Verpflichtungen, unterscheiden aber aus Sicht der Handelspartner in unangemessener Weise zwischen lokalen und ausländischen Produzenten, Dienstleistern, Geistigem Eigentum oder Lieferanten. Beispiele solcher localization barriers können verpflichtende Inlandsanteile (local content requirements) bei öffentlichen Ausschreibungen oder öffentlich geförderten Projekten sein. Dazu gehören ferner ein erzwungener Technologietransfer, erzwungene lokale Datenspeicherung, Vorzugsbedingungen nur für lokal ansässige Unternehmen oder auch ungerechtfertigte inländische Doppelzertifizierungen. Die WTO erfasst seit Oktober 2008 alle neuen tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnisse der G20, die den Handel einschränken beziehungsweise einschränken können. Von den 1.441 registrierten handelsbeschränkenden Maßnahmen der G20-Länder seit dem Beginn der Krise im Jahr 2008 wurden 354 bis Oktober 2015 wieder zurückgenommen, 1.087 Maßnahmen blieben bestehen. Zwischen Mitte Mai 2015 und Oktober 2015 wurden in den G20-Ländern 86 neue handelsbeschränkende Maßnahmen erlassen (im Zeitraum von Mitte Oktober 2014 bis Mitte Mai 2015 waren es noch 119 Maßnahmen). 58 Prozent der neuen Maßnahmen geht auf handelspolitische Schutzinstrumente zurück.64 Die 86 neuen Maßnahmen betreffen 0,34 Prozent der von den G20 importierten Waren und 0,26 Prozent der weltweit importierten Waren, im Vergleich zu 0,9 Prozent und 0,7 Prozent in der letzten Periode.65 Die WTO schätzt, dass die von Oktober 2008 bis Oktober 2015 eingeführten Importrestriktionen (die beendeten Maßnahmen ausgenommen) der G20 etwa 4,6 Prozent der weltweiten Warenimporte und etwa 5,9 Prozent der

64

WTO, OECD, UNCTAD, Reports on G-20 Trade and Investment Measures (Mid-May 2015 to mid-October 2015), 30. Oktober 2015, S.17, <http://www.oecd.org/daf/inv/investment-policy/14th-G20-Report.pdf>. 65 Siehe ebenda, S.19.

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Importe der G20-Staaten betreffen. Am häufigsten betroffen waren unter den Industriegütern Produkte der Eisen- und Stahlindustrie sowie der Elektroindustrie.66

Mitte Mai 2015 Okt. 2015

Mitte Okt 2014 Mai 2015

Mitte Mai 2014 Okt. 2014

Mitte Nov. 2013 – Mai 2014

Mitte Mai 2013 Mitte-Nov. 2013

Mitte Okt.2012 Mitte Mai 2013

Mitte Mai 2012 Mitte Okt. 2012

Mitte Okt. 2011 Mitte Mai 2012

Mai 2011 - Mitte Okt. 2011

Art der Maßnahme

Handelsbeschränkende Maßnahmen der G20-Länder während und nach der Krise

Handelsp. Schutzmaßnahmen

44

66

46

67

70

66

54

71

48

Import/ Grenze

36

39

20

29

36

25

25

32

26

Export

19

11

4

7

8

17

9

10

11

Weitere

9

8

1

6

2

4

5

6

1

124

71

109

116

112

93

119

86

Total

108

Quelle: WTO, OECD, UNCTAD, Reports on G-20 Trade and Investment Measures (Mid-May 2015 to mid-October 2015), 30. Oktober 2015, S.17, <http://www.oecd.org/daf/inv/investment-policy/14th-G20-Report.pdf>.

Positiv zu vermerken ist, dass die Mitglieder der G20 im Zeitraum Mai bis Oktober 2015 auch 62 handelserleichternde Maßnahmen ergriffen haben. Mit 42 Prozent aller erfassten handelspolitischen Maßnahmen ist ihr Anteil gegenüber den letzten drei Berichtszeiträumen (48 Prozent) leicht gesunken.67 Dies liegt daran, dass in diesem Zeitraum mehr handelsbeschränkende als handelserleichternde Maßnahmen ergriffen wurden. Das WTO-Abkommen enthält einen Regelkatalog, der den Spielraum für diskriminierende handelspolitische Maßnahmen erheblich einschränkt. Einmal gebundene Zölle dürfen laut Artikel II des GATT nur im Ausnahmefall wieder angehoben werden, beispielsweise, um unfairen Handelspraktiken wie Dumping oder Subventionierung im Ausland zu begegnen oder nationale Sicherheit, Gesundheit und Umwelt zu schützen. Spielraum zur Marktabschottung ergibt sich allerdings durch den beschriebenen Overhang zwischen den gebundenen und angewandten Zollraten. Auch grundsätzlich WTO-konforme Handelsinstrumente wie Antidumping- und Ausgleichsmaßnahmen bieten Möglichkeiten für Protektionismus. Ferner verfügt die Organisation über ein im Vergleich zum Zollregime eher schwaches Subventionsregime und Regelwerk für NTBs und Exportbarrieren. Aufgrund der Vielzahl und Komplexität nicht-tarifärer Handelshemmnisse (NTB) kommt der Initiative in der WTO große Bedeutung zu, einen sogenannten „Horizontalen Mechanismus“ zur Lösung von NTB zu vereinbaren. Ziel ist es, über einen Schlichtungsmechanismus unabhängig von den WTO-Regeln einvernehmliche und schnelle Lösungen für Probleme im NTB-Bereich zu vermitteln. Innerhalb der Doha-Runde konnte der Mechanismus bisher nicht vereinbart werden. Aufgrund des Stillstands in den Verhandlungen sollte versucht werden, dieses für alle Mitglieder sinnvolle Instrument losgelöst zu beschließen. Eine solche zusätzliche und unkomplizierte Vermittlungsmöglichkeit, könnte Handelsprobleme ausräumen, die über die aufwendige und formelle Streitschlichtung der WTO nicht gelöst werden könnten. Die seit der WTO-Ministerkonferenz von Doha im Jahr 2001 alle

66

WTO, OECD, UNCTAD, Reports on G-20 Trade and Investment Measures (Mid-May 2015 to mid-October 2015), 30. Oktober 2015, S.19, <http://www.oecd.org/daf/inv/investment-policy/14th-G20-Report.pdf>. 67 Siehe ebenda, S.20f.

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drei Jahre stattfindende Überprüfung des Vertragswerks zu Technischen Handelshemmnissen (Technical Barriers to Trade Agreement, TBT) ist ebenfalls hilfreich, um potenzielle NTBs durch transparentes Vorgehen zu vermeiden. Diese Maßnahme alleine hilft aber kaum gegen die hohe Zahl an NTBs im Welthandel.

Ausländische Direktinvestitionen – unerlässlich für Welthandel und Produktion Ausländische Direktinvestitionen (ADI) sind eine treibende Kraft für Wohlstand und wirtschaftliches Wachstum in Industrienationen, Schwellen- und Entwicklungsländern. Nach Angaben der UNCTAD hat sich das Volumen der weltweiten ausländischen Direktinvestitionen seit 2000 mehr als verdreifacht und seit 1990 fast das Zwölffache seines ursprünglichen Wertes erreicht (2014). Im Jahr 2014 betrugen die aktiven Bestände von ADI im Ausland (outward stock) 25,9 Billionen US-Dollar. 79,4 Prozent der Investitionsbestände kommen aus entwickelten Ländern (2014). Mit 65,3 Prozent sind die entwickelten Länder auch die wichtigsten Zielländer der weltweiten Investitionsbestände. Dieser Anteil geht allerdings im Zuge des Aufstiegs der Schwellenländer zurück und lag 1990 noch bei 76,8 Prozent. 68 Die globalen Direktinvestitionszuflüsse stiegen 2015 um etwa 36 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das war das höchste Niveau seit 2007. Grund für den starken Investitionsfluss war eine besonders hohe Dynamik bei den Investitionen in die entwickelten Länder, die rund 90 Prozent der Investitionsströme ausmachten. So haben sich alleine die Investitionen in die EU und in die USA im Jahr 2015 vervierfacht. Die Investitionen in die Entwicklungsländer sind zwischen 2014 und 2015 immerhin um 5 Prozent gewachsen, während die Investitionen in die Schwellenländer um 54 Prozent zurückgingen. Ein Grund dafür war der Einbruch der Rohstoffpreise. 69

68

UNCTAD, World Investment Report 2015, June 2015, S. A7, <http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/wir2015_en.pdf>. 69 UNCTAD, Global Investment Trends Monitor No. 22, 20.01.2016, <http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/webdiaeia2016d1_en.pdf>.

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Für ein gestärktes und modernes Welthandelssystem ǀ Mai 2016

Weltweite grenzüberschreitende Direktinvestitionen stark ansteigend Direktinvestitionen nach Herkunftsregionen (Milliarden US$) 30.000.000 25.000.000 20.000.000 15.000.000 10.000.000 5.000.000

1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

0

Welt

Industrieländer

Entwicklungsländer

Transformationsländer

Quelle: UNCTAD, Outward FDI Stock (Current Exchange Rates), <https://unctadstat.unctad.org>, (eingesehen am 23.2.2016).

Die UNCTAD dokumentiert weltweit alle neuen Investitionsmaßnahmen, die von Regierungen eingeführt werden. Obwohl die meisten Maßnahmen auch 2014 noch darauf ausgerichtet waren, Liberalisierung voranzutreiben und ausländische Direktinvestitionen zu fördern, nimmt ihr Anteil stetig ab. Im Jahr 2000 hatten 94 Prozent der weltweiten Investitionsmaßnahmen den Zweck, ausländische Direktinvestitionen zu fördern. Dieser Prozentsatz ist bis 2014 auf 84 Prozent gesunken. Marktöffnung für ausländische Direktinvestitionen fand zuletzt insbesondere im Infrastrukturbereich und bei den Dienstleistungen statt. 70

Wie Regierungen ausländische Investitionen beschränken  Argentinien hat per Gesetz vom 7. Mai 2012 zwei Tochterunternehmen des spanischen Erdölkonzerns Repsol S.A. teilweise verstaatlicht. Dabei wurden jeweils 51 Prozent der Anleihen von Repsol S.A. durch die argentinische Regierung enteignet.  2011 wurde in Russland das Gesetz für die Massenmedien geändert. Radiosender, die zu über 50 Prozent im Besitz von Ausländern sind, dürfen nicht mehr russlandweit senden.  Die Regierung von Sri Lanka hat 2011 mittels Gesetz eine Behörde zur Kontrolle und Verwaltung von 37 einheimischen und ausländischen Unternehmen geschaffen.

70

UNCTAD/OECD, Seventh Report on G20 Investment Measures, 2012, <http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/unctad_oecd2012d7_en.pdf>.

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Im selben Zeitraum ist der Anteil von restriktiven Maßnahmen an Investitionsmaßnahmen weltweit von 6 Prozent auf 16 Prozent (2014) gestiegen. Restriktive Regelungen, die im Zeitraum 2000 bis 2014 erlassen wurden, bezogen sich hauptsächlich auf strategische Industriezweige. Beispiele sind die Rohstoffindustrie, die Energieversorgung und die Agrarwirtschaft.71

Internationale Handelsregeln und -verträge der WTO und ihrer Mitglieder Die Welthandelsorganisation Die Doha-Runde: Teilerfolge, aber bei Kernthemen gescheitert Seit Herbst 2001 verhandeln die WTO-Mitglieder im Rahmen der Doha-Entwicklungsrunde (Doha Development Agenda, DDA) über einen Abbau von Handelsbarrieren und neue Regeln für den weltweiten Handel. Die DDA deckt rund 20 verschiedene Handelsaspekte ab, unter anderem einen verbesserten Marktzugang für landwirtschaftliche Produkte, Industriegüter (Non-Agricultural Market Access, NAMA), Dienstleistungen, Umweltfragen, die Stärkung der multilateralen Regeln und die besonderen Bedürfnisse der Entwicklungsländer. Im Jahr 2004 wurden die für die Industrieländer wichtigen Singapur-Themen Handel und Investitionen, Transparenz im öffentlichen Auftragswesen sowie Handel und Wettbewerb von der Agenda gestrichen. Ein erfolgreicher Abschluss der DDA könnte der Weltwirtschaft einen starken Impuls geben. Die Ökonomen Gary Clyde Hufbauer, Jeffrey J. Schott und Woan Foong Wong schätzen für sieben Industrie- und fünfzehn Entwicklungsländer potentielle Wachstumseffekte in Höhe von rund 56 Milliarden US-Dollar jährlich (dies entspricht 0,1 Prozent des BIP dieser Länder), sollten die Verhandlungen zum Stand der Ministerkonferenz im Juli 2008 abgeschlossen werden.72 Allerdings ist nach heutigem Stand mit einem solch umfassenden Abschluss der DDA nicht mehr zu rechnen. Nachdem die WTO-Mitglieder bei der Ministerkonferenz von 2008 zum wiederholten Mal daran gescheitert waren, die Doha-Runde zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, gab es lange keine nennenswerten Fortschritte mehr. Viele Beobachter erklärten die Runde daher gar für tot. Bei der WTO-Ministerkonferenz 2013 auf Bali konnten sich die damals 159 Mitglieder jedoch zumindest auf den Abschluss von Teilbereichen der Agenda einigen. Dazu zählen insbesondere das Abkommen zu Handelserleichterungen im Bereich Zollabwicklung (Trade Facilitation Agreement), Unterstützungsmaßnahmen für die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) und Flexibilität für nationale Programme zur Nahrungsmittelsicherheit. Die meisten Themen der Doha-Runde – wie Marktzugang und Stützungsmaßnahmen im Agrarbereich, NAMA, Dienstleistungen und Handelsregeln – warten allerdings immer noch auf einen vergleichbaren Durchbruch. Den von der letzten Ministerkonferenz Ende 2013 ausgehenden Schwung hatte der Verhandlungsprozess der WTO bereits 2014 verloren. Das Ziel, ein Arbeitsprogramm zum Abschluss der DDA zu vereinbaren, war aufgeschoben worden und schließlich aus dem Blick geraten. Schlüsselspieler wie die USA, China, Indien, aber auch die EU waren nicht bereit, im Vorfeld der 10. WTO-Ministerkonferenz Ende 2015 in Nairobi etablierte Verhandlungspositionen zur DDA aufzugeben, um für neue Dynamik zu sorgen. Die handelspolitische Priorität vieler WTOMitglieder lag und liegt auf anderen Verhandlungen (Trans-Pacific Partnership Agreement, Transatlantic Trade

71

UNCTAD, World Investment Report 2014, New York und Genf 2015, S. 102, <http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/wir2015_en.pdf>. 72 Gary Hufbauer, Jeffrey Schott, and Woan Wong, Figuring out the Doha Round, Policy Analysis in International Economics 91, Peterson Institute for International Economics, Washington, June 2010, http://www.iie.com/publications/briefs/hufbauer5034.pdf.

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and Investment Partnership, etc.). Schrittweise fielen alle industrierelevanten Themen von der Nairobi-Agenda. Themen wie NAMA, der horizontale Mechanismus für die Klärung von nicht-tarifären Handelshemmnissen (NTBs) oder auch verstärkte Transparenzpflichten für Präferenzabkommen kamen bei der WTO-Ministerkonferenz 2015 gar nicht erst auf den Verhandlungstisch. Stärkere Transparenzregeln zu Antidumping-Maßnahmen (und Subventionen im Fischereibereich) wurden verhandelt, letztlich ergebnislos. Am Ende geriet während der Ministerkonferenz selbst ein kleines Beschlusspaket zu Entwicklungsthemen und Landwirtschaftsfragen in Gefahr. Ein solches Scheitern hätte der WTO einen schweren Schlag versetzt.

Wesentliche Ergebnisse der 10. WTO-Ministerkonferenz in Nairobi  Landwirtschaft: Konkrete Fristen zur Beseitigung jeglicher Exportsubventionen, Begrenzung von Exportkreditprogrammen, spezieller Schutzmechanismus für Entwicklungsländer (Details noch offen), neue Übergangsfrist für subventionierte Lagerhaltung zur Nahrungsmittelsicherheit.  Zugunsten von Entwicklungsländern und am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs): Ausnahmen beim Schutz des geistigen Eigentums (TRIPS), Leitlinien für vereinfachte Ursprungsregeln für LDCs, vereinfachter Marktzugang für Dienstleister aus LDCs.  Themen der Doha-Runde werden weiterverhandelt, Mitglieder aber uneinig, ob auf Basis der DohaAgenda oder mit neuen Ansätzen. Strittig ist Aufnahme weiterer Verhandlungsthemen. Detaillierte Beschreibung und Bewertung der Ergebnisse: s. BDI-Bewertung „Ergebnisse der 10. WTOMinisterkonferenz 15. bis 19. Dezember 2015 in Nairobi, Kenia“.

Am 19. Dezember 2015 beendeten die WTO-Mitglieder die Ministerkonferenz dann doch noch erfolgreich mit einer gemeinsamen Ministererklärung, die wichtige Beschlüsse im Bereich der Landwirtschaft und zugunsten der am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) enthält. Am Rande der Ministerkonferenz verständigten sich 53 Mitglieder der WTO zudem auf die Erweiterung des Informationstechnologie-Abkommens (ITA II). Mit der zäh ausverhandelten Ministererklärung und ihren angefügten Beschlüssen haben die WTO-Mitglieder gezeigt, dass sie weiterhin hinter dem multilateralen Handelssystem stehen. Die Ministererklärung macht allerdings auch deutlich, dass die WTO-Mitglieder unterschiedliche Vorstellungen über die Zukunft der DDA und weitere Verhandlungen haben. Die Entwicklungsländer bekräftigten in großer Zahl die DDA und die bisher in dem Zusammenhang getroffenen Entscheidungen. Sie wollen die DDA auf dieser Basis beenden. Viele Industrieländer sind hingegen der Meinung, dass neue Ansätze notwendig sind, um in multilateralen Verhandlungen ein bedeutsames Ergebnis zu erzielen. Gleichwohl unterstützen alle Mitglieder Verhandlungen zu den verbleibenden Doha-Themen. Ausdrücklich genannt werden in dem Zusammenhang die Bereiche Landwirtschaft (heimische Stützmaßnahmen, Marktzugang, Exportwettbewerb), NAMA, Dienstleistungen, Entwicklung, Handelsbezogene Rechte des Geistigen Eigentums (TRIPS) und Regeln. Bei der anstehenden Arbeit sollte der Entwicklungsaspekt im Mittelpunkt bleiben und die Sonderbehandlung (special and differential treatment) integraler Bestandteil sein. Darüber hinaus wollen einige Mitglieder auch andere Themen identifizieren und verhandeln, andere Mitglieder wollen dies nicht. Es wird festgehalten, dass der Beginn multilateraler Verhandlungen zu neuen Themen im Konsens aller Mitglieder entschieden werden muss. Auf dieser Basis sind aussichtsreiche multilaterale Verhandlungen über das für die Industrieländer zentrale Thema NAMA auf absehbare Zeit unwahrscheinlich (s.u.). Die EU, die USA und andere WTO-Mitglieder fordern daher zu Recht, dass nach neuen Wegen gesucht werden muss, um die verbleibenden Themen der DDA und anderen wichtigen Handelsthemen auszuhandeln. Die alte DDA und diesbezügliche Beschlüsse der Vergangenheit sind dafür keine geeignete Grundlage mehr. Dies haben die gut vierzehnjährigen intensiven, aber erfolglo-

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sen Bemühungen bis Nairobi immer wieder bewiesen. Multilateral abschließen konnten die WTO-Mitglieder lediglich spezielle Themen der DDA wie erleichterte Zollverfahren über das TFA oder jetzt Exportsubventionen im Agrarbereich. Das Verhandlungsprinzip des single undertaking für die gesamte Breite der Doha-Agenda ist gescheitert. Die DDA und ihre Verhandlungsarchitektur wurden im Jahr 2001 geschaffen. Inzwischen hat sich die Welt wirtschaftlich, politisch und technologisch maßgeblich verändert. Beispielsweise ist mit China inzwischen ein Entwicklungsland zum weltweit stärksten Exporteur von Gütern aufgestiegen. Die herkömmliche Unterscheidung von Industrie- und Entwicklungsländern ist angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung der großen Schwellenländer überholt. Themen wie die Digitalisierung des Handels oder auch die zunehmenden Auslandsinvestitionen werden im WTO-Regelwerk nicht ausreichend abgebildet. Es ist deshalb wichtig, alle WTO-Mitglieder davon zu überzeugen, dass Fortschritte bei den verbleibenden Themen nur mit neuen Ansätzen gelingen. Außerdem müssen weitere Themen identifiziert und verhandelt werden, um das Welthandelssystem zu modernisieren. Multilaterale Verhandlungen über neue Themen müssen im Konsens aller Mitglieder entschieden werden; dieses erscheint nur mittelfristig möglich. Daher sollten parallel zu den multilateralen Verständigungsbemühungen in Genf bereits plurilaterale Verhandlungen angestrebt werden. Diese sollten streng nach den WTO-Regeln durchgeführt werden. Am Ende sollten diese Verträge grundsätzlich anderen Mitgliedern offen stehen und die spätere Multilateralisierung der Vereinbarungen zu Marktzugang oder anderen Themen zum Ziel haben.

Empfehlungen  Um die verbleibenden Themen der Doha-Runde zu verhandeln, bietet die DDA keine geeignete Grundlage mehr. Das single undertaking sollte aufgegeben werden.  Handlungsbereite Mitglieder müssen nach neuen Wegen suchen, um die verbleibenden Themen wie NAMA, Dienstleistungen, TRIPS und Regeln erfolgreich zu behandeln.  Die WTO muss ihre zentrale Rolle als Rückgrat des Welthandelssystems langfristig stärken, indem die Themen des 21. Jahrhunderts geregelt werden, die bisher nicht oder zu schwach in der WTO verankert sind. Dazu zählen auch NTBs, technische Handelsbarrieren und Exportrestriktionen.  Auch plurilaterale Vereinbarungen können geeignet sein, um die Grundlage für spätere multilaterale Abkommen zu schaffen. Diese Übereinkünfte müssen den WTO-Regeln entsprechen, grundsätzlich anderen WTO-Mitgliedern offen stehen und die spätere Multilateralisierung zum Ziel haben.

Agrargüter Landwirtschaft zählt zu den schwierigsten Verhandlungsthemen der WTO und der Doha-Runde. Agrarprodukte sind ein wesentliches Exportgut vieler Entwicklungsländer, aber auch Industrieländer wie die USA und Australien verfolgen in dem Sektor offensive Exportinteressen. Entwicklungsländer haben einen wachsenden Anteil am Welthandel mit Primärgütern.73 Solide Vereinbarungen könnten deshalb einen besonders starken Entwicklungseffekt mit sich bringen. Ungeachtet der zahlreichen Beschränkungen gilt der Handel mit Industriegütern als vergleichsweise offen. Der Agrarhandel wird noch durch wesentlich höhere Handelsbarrieren und Subventionen verzerrt. Das Landwirtschaftsabkommen der WTO lässt vor allem den Schwellen- und Entwicklungsländern großen Handlungsspielraum für staatliche Interventionen. Wie kontrovers Agrarthemen sind, zeigte sich bei einem informellen Ministertreffen Mitte 2008 in Genf. Die Konferenz scheiterte vor allem, da man sich über wesentliche

73

UNCTAD, Key Trends in International Merchandise Trade, New York and Geneva, 2013, S. 12, <http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/ditctab20131_en.pdf>.

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Fragen im Landwirtschaftsbereich nicht einigen konnte. Die Kontroverse betraf unter anderem den Marktzugang, einen Schutzmechanismus für Entwicklungsländer gegen starke Importanstiege und konkrete Fristen für die Beseitigung von Exportsubventionen (letzteres war grundsätzlich bereits 2005 vereinbart worden). In den folgenden Jahren gab es so gut wie keinen Fortschritt in den Agrarverhandlungen. Bei der Ministerkonferenz im Jahr 2013 in Bali einigten sich die WTO-Mitglieder unter anderem auf eine vorläufige Regelung bezüglich der Lagerhaltung von Nahrungsmitteln. Diese Übergangslösung sollte für vier Jahre gelten, um Zeit für eine dauerhafte Regelung zu gewinnen. Im Mittelpunkt stehen Programme zur Vorratshaltung von Nahrungsmitteln, deren Ziel es ist, Nahrungsmittelsicherheit zu garantieren. Unter bestimmten Bedingungen können diese Programme nicht vor dem WTO-Streitschlichtungsmechanismus angefochten werden. Flexibilität in dem Bereich ist ein Hauptanliegen Indiens. Zum erfolgreichen Abschluss der 10. WTO-Ministerkonferenz Ende 2015 in Nairobi konnte der Landwirtschaftsbereich maßgeblich beitragen.74 Endlich konnten konkrete Fristen für das Auslaufen von Exportsubventionen beschlossen werden. Die Ergebnisse zum Exportwettbewerb bezeichnete WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo als den bedeutendsten Durchbruch in Landwirtschaftsfragen seit Gründung der WTO vor über 20 Jahren. Die Friedensklausel für die Lagerhaltung von Nahrungsmitteln wurde erneut verlängert. Gleichwohl konnten Schlüsselaspekte wie interne Stützungsmaßnahmen nicht geregelt wurden. Im Bereich Marktzugang wurden nur minimale Ergebnisse zum Baumwollhandel erzielt. Der lange von Entwicklungsländern geforderte spezielle Schutzmechanismus wurde grundsätzlich bewilligt, Details müssen allerdings noch verhandelt werden. Nach Nairobi ist auch unklar, wie die Landwirtschaftsthemen der DDA weiter verhandelt werden sollen. Die ersten Gespräche Anfang 2016 in Genf über künftige multilaterale Verhandlungen und die nächste Ministerkonferenz in 2017 bestätigen, dass der Agrarhandel auch künftig eine Schlüsselrolle in den WTO-Verhandlungen einnehmen wird. Zu den offenen Fragen gehören wie Agrarzölle abgebaut, inländische Stützmaßnahmen gesenkt, der spezielle Schutzmechanismus ausgestaltet und geographische Herkunftsangaben (geographical indications) gestärkt werden sollen. Wie Fortschritte erzielt werden können, ist jedoch noch völlig unklar. Dessen ungeachtet wollen zahlreiche Entwicklungsländer Fortschritte in Nicht-Agrarbereichen weiterhin von Fortschritten bei Landwirtschafts- und Entwicklungsthemen abhängig machen. Dass dies der falsche Weg ist, haben die vergangenen Verhandlungsjahre immer wieder gezeigt.

Empfehlungen  Die WTO sollte schrittweise marktverzerrende Maßnahmen möglichst umfassend regeln und reduzieren, damit langfristig eine faire Wettbewerbsbasis entsteht.  Interne Stützmaßnahmen sollten auch für Entwicklungs- und Schwellenländer gedeckelt werden.  Aufgrund der hohen Bedeutung des Agrarbereichs für erfolgreiche multilaterale Einigungen sollten alle WTO-Mitglieder hier größtmögliche Flexibilität und Einigungsbereitschaft zeigen.

Marktzugang für Industriegüter In Doha verständigten sich die WTO-Mitglieder, den Handel mit Industriegütern (Non-Agricultural Market Access, NAMA) weiter zu liberalisieren. Seit 2008 sind jedoch kaum Fortschritte zu verzeichnen. Mittlerweile ist man sich nicht mehr einig, ob die DDA und Beschlüsse dazu überhaupt die Grundlage für weitere Verhandlungen darstellen sollen (s.o.).

Detaillierte Beschreibung und Bewertung der Ergebnisse: s. BDI-Bewertung „Ergebnisse der 10. WTO-Ministerkonferenz 15. bis 19. Dezember 2015 in Nairobi, Kenia“. 74

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Im NAMA-Bereich wurde über die gescheiterte Ministerkonferenz Mitte 2008 hinaus vor allem über eine Zollsenkungsformel diskutiert. Die sogenannte „Schweizer-Formel“ sollte auf die jeweils multilateral gebundenen Zollsätze angewendet werden. Hohe Zölle würden stärker gesenkt werden als bereits niedrige. Noch nicht gebundene Zoll-linien sollten vorher gebunden werden. Das Bindungsniveau sollte verhandelt werden, aber generell über dem in der Praxis angewendeten Zollsatz liegen (vorgeschlagen wurde ein Aufschlag von 25 Prozentpunkten). Entwicklungsländer sollten dabei weniger stark in die Pflicht genommen werden als Industrie- und Schwellenländer. Sie sollten zwischen drei verschiedenen Koeffizienten wählen können, die eine unterschiedlich weitreichende Zollsenkung mit sich bringen. Je ambitionierter der Zollsenkungskoeffizient, umso mehr Ausnahmen („Flexibilität“) sollten einem Entwicklungsland von den allgemeinen Zollsenkungsverpflichtungen zugestanden werden. Uneinigkeit bestand über die sogenannte Antikonzentrationsklausel. Sie sollte verhindern, dass Entwicklungsländer mit ihrer Flexibilität ganze Sektoren vor Zollsenkungen abschirmen könnten. Streitpunkt war darüber hinaus die Differenz zwischen den bei der WTO gebundenen Zollsätzen und den oft sehr viel niedrigeren angewandten Zollsätzen. Diese Differenz ist gerade in Entwicklungsländern oftmals sehr hoch. Zum Teil würde die Schweizer Formel die gebundenen Zollsätze in Entwicklungsländern zwar erheblich senken, aber nicht oder nur wenig das bereits angewandte Zollniveau. Die Industrieländer forderten entsprechend, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer nicht nur die gebundenen, sondern auch die angewandten Zölle senken sollten, damit eine tatsächliche Marktöffnung stattfindet. Die Schwellen- und Entwicklungsländer argumentieren hingegen, dass die Differenz zwischen gebundenen und angewandten Zollsätzen durch unilaterale Liberalisierungen entstanden sei – sie hätten entsprechend keinen verbesserten Marktzugang im Gegenzug erhalten. Somit stünden sie auch nicht in der Pflicht, die angewandten Zollraten weiter zu senken. Zudem argumentieren sie, politischen Spielraum in Krisenzeiten zu brauchen, da sie – anders als Industrieländer – ihre Volkswirtschaften aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen weniger durch Konjunkturmaßnahmen unterstützen könnten. Um dennoch eine substantielle Liberalisierung für Industriegüter zu erreichen, schlugen eine Reihe von Industrieländern (darunter die USA und die EU) vor, branchenspezifische Teilabkommen zu schließen. Zu diesen Sektoren gehören Chemie, Maschinenbau, Elektronik, Edelsteine sowie Textilien und Bekleidung. Außerdem wurden Vorschläge zum Abbau von Handelshemmnissen (NTB) in verschiedenen Sektoren unterbreitet (z.B. auch im Automobilbereich). Die Sektorverhandlungen gestalten sich jedoch ähnlich schwierig wie die übrigen NAMAVerhandlungen. Damit ein plurilaterales Sektorabkommen innerhalb der WTO geschaffen werden kann, bedarf es einer kritischen Masse (critical mass) an WTO-Mitgliedern, die das Abkommen unterzeichnen. Dieses Kriterium ist dann erreicht, wenn die Teilnehmer ungefähr neunzig Prozent des Welthandels für den entsprechenden Sektor abdecken. Da die großen Schwellen- und Entwicklungsländer die genannten Sektorverhandlungen ablehnen, konnte keine kritische Masse erreicht werden.75 Bereits vor der Ministerkonferenz 2013 war fraglich, ob die Textentwürfe aus dem Jahr 2008 einschließlich der Schweizer Formel weiterhin als Grundlage der NAMA-Verhandlungen dienen sollen. Auch der WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo hinterfragt kritisch, wie sinnvoll die Schweizer Formel als Basis für einen Zollsenkungskompromiss sei. Die Erfahrung habe gezeigt, so Azevêdo, dass sich die Zollspitzen gerade in politisch sehr sensiblen Produkten fänden, deren Schutz Länder kaum aufzugeben bereit sein dürften. Ein Beharren auf substantiellen Beschneidungen dieser Schutzzölle durch die Formel würde einen erneuten Verhandlungsstillstand riskieren, fürchtet der Generaldirektor. Zudem warnte er davor, auf einer Senkung der angewandten Zollsätze zu beharren. Auch dies sei politisch schwer durchsetzbar. Vielmehr sei es bereits ein Fortschritt, wenn die angewandten Zölle in der WTO gebunden würden. So könnten ad hoc Zollanhebungen, wie seit der Finanz- und Wirtschaftskrise immer wieder beobachtet, verhindert werden. Auch die EU schien sich dieser Position anzunähern. Dies würde jedoch das Ambitionsniveaus der Doha-Runde deutlich absenken. Allerdings hat auch dieser Ansatz bei der Ministerkonferenz 2013 zu keinem Ergebnis geführt. Im Anschluss konnten sich die WTO-Mitglieder

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Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Stand der WTO-Welthandelsrunde (Doha Development Agenda – DDA), Berlin 2012, https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/WTO/wto-handelsrunde-sachstand,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf.

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nicht einmal auf ein Arbeitsprogramm dazu einigen. Über den Zollabbau für Industriegüter wurde in der WTO seitdem nicht mehr offiziell verhandelt. Die mangelnden Aussichten, multilateral mehr Marktzugang zu erhalten, hat den Trend zu bilateralen und regionalen Präferenzabkommen gestärkt. Leider haben die Verhandlungen von Abkommen auch zwischen wichtigen WTO-Mitgliedern wie den USA, der EU und Japan bislang die Schwellenländer nicht dazu bewegt, sich multilateral für mehr Marktzugang zu engagieren. Vielmehr scheint kein größeres WTO-Mitglied für minimale Ergebnisse auf WTO-Ebene Zölle reduzieren zu wollen, solange diese für andere Abkommen als Verhandlungsmasse genutzt werden können. Zum Doha-Verhandlungsmandat für NAMA gehört auch das Ziel, NTBs abzubauen. Unter anderem verhandelten die WTO-Mitglieder über einen sogenannten Horizontalen Mechanismus zur Erörterung und Klärung potentieller Streitfälle. Dieser Mechanismus wurde sowohl von Industrie- als auch Entwicklungsländern unterstützt. Die EU und andere WTO-Mitglieder hatten bis zum Jahr 2008 überdies verschiedene Vorschläge zu Standards, technischen Vorschriften und Verfahren zur Konformitätsüberprüfung (z.B. für chemische Produkte), eine Rahmenvereinbarung für industriespezifische NTB und zur internationalen Standardisierung vorgelegt. Auch der Abbau von Exportsteuern wurde vorgeschlagen. Konkrete Vereinbarungen, die technische Handelsbarrieren und Exportsteuern beschränken oder vermeiden, würden den Wert eines erfolgreichen WTO-Abschlusses für die deutsche Industrie signifikant erhöhen. Allerdings wurde lediglich der NTB-Mechanismus im Vorfeld von Nairobi noch diskutiert, mangels schlechter Erfolgsaussichten jedoch nicht vor Ort. Eine multilaterale Einigung beim Thema NAMA ist auf absehbare Zeit äußerst unwahrscheinlich. Die WTO-Mitglieder sollten daher nach neuen Wegen suchen, die verbleibenden Themen der DDA im Einklang mit Regeln und Geist der WTO zu adressieren (s. Kapitel „Die Doha-Runde: Teilerfolge, aber bei Kernthemen gescheitert“).

Empfehlungen  Der Marktzugang im Industriegüterhandel sollte zentraler Teil der WTO-Agenda bleiben, beispielsweise zunächst über Sektorabkommen, die über 90 Prozent des Welthandels abdecken.  Mittelfristig sind ambitionierte multilaterale und sektorübergreifende Liberalsierungen wünschenswert, die den binding overhang beseitigen, die Vielzahl von bilateralen und regionalen Freihandelsabkommen konsolidieren und substanziellen neuen Marktzugang schaffen.

Dienstleistungshandel Neunzig WTO-Mitglieder hatten von 2003 bis 2005 in zwei Runden Angebote über die Öffnung ihrer Dienstleistungsmärke vorgelegt. Viele der Angebote gehen nur wenig über die Verpflichtungen hinaus, die bereits in der Uruguay-Runde eingegangen worden waren. Sie erreichen vielfach nicht das Niveau der Liberalisierung, welches bereits auf der nationalen Ebene besteht. Auf der Ministerkonferenz in Hong Kong im Jahr 2005 wurde das sogenannte Sequenzprinzip festgelegt. Das Prinzip besagt, dass man sich erst über Landwirtschaft und NAMA einigt, bevor weitere Angebote zu Dienstleistungen ausgetauscht werden. Deshalb sind die Gespräche im Dienstleistungsbereich noch weniger vorangeschritten als in den anderen beiden Bereichen. Von 2009 bis 2011 führten die gemessen an ihrem globalen Marktanteil wichtigsten Mitglieder der WTO plurilaterale Verhandlungen im Dienstleistungsbereich fort. Hierbei zeigten einige Mitglieder eine gewisse Bereitschaft für weitere Zugeständnisse. Im April 2011 wurde der Bericht des Vorsitzenden des Rates zum Handel mit Dienstleistungen zum aktuellen Stand der Verhandlungen im Dienstleistungsbereich veröffentlicht. Während die Industrienationen unter anderem darauf drängten, die Unternehmensbeteiligungsgrenzen für ausländische Investoren abzusenken (Erbringungsform 2, englisch mode 2), forderten die Entwicklungs- und Schwellenländer

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einen besseren Marktzugang für befristete Beschäftigungsverhältnisse (mode 4).76 Bisher konnten diese Interessendivergenzen nicht überbrückt werden. Weder bei der Ministerkonferenz 2013 noch 2015 wurden diese zentralen Dienstleistungsaspekte verhandelt. Handlungsbereite WTO-Mitglieder haben deshalb bereits im Jahr 2013 begonnen, parallel zur DDA ein ambitioniertes Dienstleistungsabkommen auszuhandeln (Trade in Services Agreement, TiSA, s.u.).

Empfehlungen  Dienstleistungen sind ein zentraler Bestandteil globaler Wertschöpfungsketten. Daher sollten die verschiedenen Erbringungsformen weiter liberalisiert werden, gerade auch multilateral. Dazu gehören auch Erleichterungen für die Mobilität von Fachkräften.  Die in der Doha-Runde gescheiterte Sequenz, die multilaterale Dienstleistungsverhandlungen erst nach Einigungen im Agrarbereich und NAMA vorsieht, muss endgültig aufgegeben werden.

Handelserleichterungen Nach mehr als neun Jahren Verhandlungen gelang es den WTO-Mitgliedern auf der 9. Ministerkonferenz in Bali, sich auf ein Abkommen über Handelserleichterungen im Bereich der Zollabwicklung zu einigen (Trade Facilitation Agreement, TFA). Das Abkommen soll dazu beitragen, die Zollabwicklung schneller und effizienter zu gestalten. Um dies zu erreichen, soll beispielsweise die Zusammenarbeit zwischen Zollbehörden und anderen zuständigen Behörden verbessert werden.

Zentrale Elemente der Handelserleichterung:  Veröffentlichung und Bereitstellung von Informationen  Gelegenheit zur Stellungnahme, Information vor dem Inkrafttreten neuer Regelungen und ggf. Konsultation  Verbindliche Auskünfte  Berufungs- und Revisionsmodalitäten  Weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Unparteilichkeit  Regelungen für Gebühren und Abgaben  Freigabe und Abfertigung von Waren  Zusammenarbeit der Zollbehörden  Warenverkehr unter Zollaufsicht  Formalitäten beim Import, Export und bei der Warendurchfuhr  Freie Warendurchfuhr

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Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Stand der WTO-Welthandelsrunde (Doha Development Agenda – DDA), Berlin 2012, https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/WTO/wto-handelsrunde-sachstand,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf.

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Das Abkommen umfasst zudem Bestimmungen über technische und finanzielle Hilfen für Entwicklungsländer, um sie bei der Umsetzung der Verpflichtungen zu unterstützen. Ein neu gegründeter Vorbereitungsausschuss wurde beauftragt, ein zügiges Inkrafttreten des Abkommens und eine wirksame Durchführung zu gewährleisten. Das Bali-Abkommen zu Handelserleichterungen besteht aus zwei Teilen. Der erste Abschnitt beinhaltet dreizehn Artikel für einen beschleunigten Warenverkehr und für die Freigabe und Abfertigung von Waren. Die Bestimmungen ergänzen und verbessern die Art. V, VIII und X des GATT von 1994. Das TFA regelt unter anderem, wie Informationen offenzulegen sind und Zollbehörden zusammenarbeiten müssen. Darüber hinaus sollen bürokratische Hemmnisse reduziert und die Maßnahmen gegen Korruption getroffen werden. Die Zollabfertigung kann somit schneller, zuverlässiger und kostengünstiger durchgeführt werden. Der zweite Abschnitt des TFA enthält Bestimmungen zur Vorzugsbehandlung (special and differential treatment) von Entwicklungsländern und den am wenigsten entwickelten Ländern (least developed country – LDC). Die Regelungen erleichtern es den Entwicklungsländern, das Abkommen umzusetzen. So werden die Länder bei der Modernisierung der Infrastruktur und der Schulung von Zollbeamten unterstützt. Bestimmungen zur Vorzugsbehandlung von Entwicklungsländern und den am wenigsten entwickelten Ländern Bestimmungen und Umsetzungsplan für Entwicklungsländer:  Bestimmungen, die ein Entwicklungsland bei dem Inkrafttreten des Abkommens umsetzen wird.  Bestimmungen, die ein Entwicklungsland nach Ablauf einer Übergangsfrist nach Inkrafttreten des Abkommens umsetzt.  Bestimmungen, die ein Entwicklungsland nach Ablauf einer Übergangsfrist nach Inkrafttreten des Abkommens und mithilfe von Unterstützungsmaßnahmen umsetzt. Bestimmungen und Umsetzungsplan für die am wenigsten entwickelten Länder:  Bestimmungen, die ein LDC-Mitglied innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Abkommens umsetzt.  Bestimmungen, die ein LDC-Mitglied nach Ablauf einer Übergangsfrist nach Inkrafttreten des Abkommens umsetzt.  Bestimmungen, die ein LDC-Mitglied nach Ablauf einer Übergangsfrist nach Inkrafttreten des Abkommens und mithilfe von Unterstützungsmaßnahmen umsetzt.

Entwicklungsländer und die am wenigsten entwickelten Länder können selber bestimmen, wann sie die einzelnen Bestimmungen des TFA sowie die Bestimmungen, für die sie Unterstützungsmaßnahmen benötigen, umsetzen werden. Um von der bevorzugten Behandlung profitieren zu können, muss jedes Mitglied die Bestimmungen einer der drei vorgesehenen Kategorien A, B oder C zuordnen. Zudem müssen sie die anderen WTOMitglieder über die Zuordnung informieren. Die Mitglieder müssen festlegen, wann sie die Bestimmungen, die sie den Kategorien B und C zugeordnet haben, umsetzen werden. Dabei gelten für die Entwicklungsländer und die am wenigsten entwickelten Länder unterschiedliche Vorgaben. Seitdem das WTO-TFA in Bali verabschiedet wurde, notifizieren WTO-Mitglieder schrittweise ihre Selbsteinschätzung innerhalb der Kategorie A. Sie legen damit gleichzeitig fest, welche Selbstverpflichtung sie ab Inkrafttreten des Abkommens eingehen. Artikel- und absatzweise erklären sie, welche Bestimmungen sie ab Inkrafttreten oder ein Jahr nach Inkrafttreten bereits umsetzen werden. Einen aktuellen und länderspezifischen Überblick über die Notifizierungen gibt die Webseite der Trade Facilitation Notification Database.

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Die Länder schätzen den Status quo ihrer Zollabfertigungsmöglichkeiten differenziert und unterschiedlich ein. Auch große Schwellenländer wie Brasilien und China haben nicht alle Verpflichtungen unter der Kategorie A eingestuft. Durch den Notifizierungsmechanismus wird der Aufholbedarf aber transparent dargestellt. Zusätzlich wird die Möglichkeit eröffnet, Nachholbedarf zu erkennen und gezielten Kapazitätsaufbau für die Zollinfrastruktur einzuplanen. Fristen für Entwicklungsländer bei der Umsetzung der Kategorien

Quelle: Special and Differential Treatment for Developing Countries, Genf 2014, <http://www.wto.org/english/tratop_e/tradfa_e/tradfa_e.htm>. Eigene Darstellung in Anlehnung an WTO.

Fristen für die am wenigsten entwickelten Länder bei der Umsetzung der Kategorien

Quelle: Special and Differential Treatment for LDCs, Genf 2014, <http://www.wto.org/english/tratop_e/tradfa_e/tradfa_e.htm>. Eigene Darstellung in Anlehnung an WTO.

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Ein strukturierter Kapazitätsaufbau wird durch das WTO-TFA unterstützt. Das TFA sieht Hilfsmaßnahmen insbesondere für die am wenigsten entwickelten Länder vor. Beispielsweise kann ein Frühwarnsystem in Anspruch genommen werden. Ein Mitglied kann eine verlängerte Frist beim WTO-Ausschuss für Handelserleichterung beantragen, wenn es eine Bestimmung der Kategorie B oder C bis zum angegebenen Zeitpunkt voraussichtlich nicht umsetzen kann. Die Verlängerung wird automatisch gewährt, wenn die zusätzlich erbetene Zeit eine Dauer von drei Jahren nicht überschreitet. Voraussetzung für die zügige und vollständige Umsetzung des Abkommens ist, dass die WTO-Mitglieder zeitnah ausreichend Mittel für die Hilfsmaßnahmen bereitstellen. Das Abkommen für Handelserleichterungen wird in Kraft treten, wenn es durch zwei Drittel der WTO-Mitglieder ratifiziert wurde. Anfang März 2016 ratifizierte Paraguay als 70. Staat das Abkommen. Von zu diesem Zeitpunkt 162 WTO-Mitgliedern müssen damit für ein Inkrafttreten noch 38 weitere WTO-Mitglieder das Abkommen in nationales Recht umsetzen. Unter den G20 Staaten haben die EU, USA, Japan, China sowie Australien und Neuseeland bereits ratifiziert. Kanada, Russland, Indien, Brasilien, Mexiko und die Türkei haben bislang keine Urkunde bei der WTO hinterlegt. Die OECD hat die wirtschaftlichen Vorteile des Abkommens für Handelserleichterungen unter zwei Umsetzungsszenarien berechnet: 1) die vollständige Umsetzung aller der im Abkommen enthaltenen Regelungen und 2) die Umsetzung nur der in der Vereinbarung enthaltenen zwingenden Vorschriften. Unter dem ersten Szenario könnten die Handelskosten für Länder im oberen mittleren Einkommensbereich um 14,6 Prozent, für Länder im unteren mittleren Einkommensbereich um 17,4 Prozent und für Länder im niedrigen Einkommensbereich um 16,5 Prozent reduziert werden. Abkommen zu Handelserleichterung Mögliche Reduzierung der Handelskosten in Prozent 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 Länder mit niedrigem Einkommensniveau

Länder mit mittlerem Einkommensniveau

Vollständige Umsetzung

Länder mit hohem Einkommensniveau

Teilweise Umsetzung

Quelle: OECD, Implementation of the WTO Trade Facilitation Agreement: The Potential Impact on Trade Costs, Paris, Juni 2015, S. 2, <http://www.oecd.org/trade/WTO-TF-Implementation-PolicyBrief_EN_2015_06.pdf>.

Unter dem weniger ambitionierten Umsetzungsszenario würden sich die jeweiligen Kosteneinsparungen auf 12,8, 13,7 und 12,6 Prozent belaufen. Die größten Vorteile würden aus der Vereinfachung von Handelsdoku-

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menten und der Harmonisierung mit internationalen Standards resultieren sowie der Automatisierung (unter anderem durch elektronischen Datenaustausch und automatisierte Grenzverfahren) und der verbesserten Verfügbarkeit von Informationen (Veröffentlichung von Handelsinformationen, auch über Internet; zentrale Auskunftsstellen).77 Das Abkommen zeigt, dass die WTO substanzielle multilaterale Übereinkünfte vereinbaren kann, wenn zwischen den Mitgliedern ausreichend und klar nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit differenziert wird. Die Einigung könnte damit Vorbild für künftige Vereinbarungen haben und mittelfristig den Einstieg in eine systematischere Differenzierung zwischen den WTO-Mitgliedern bieten. Zunächst muss allerdings mit Nachdruck daran gearbeitet werden, die Handelserleichterungen in die Praxis umzusetzen. Um die Umsetzung des TFA in Entwicklungsländern zu unterstützen und die Abstimmung zwischen Gebern und Empfängern zu koordinieren, sind bereits verschiedene Initiativen angelaufen. Am Rande der Ministerkonferenz 2015 wurde die Globale Allianz für Handelserleichterungen vorgestellt. Mit einem Budget von circa US$ 60 Millionen sollen konkrete Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern gefördert werden.78 In der Allianz engagieren sich auch die deutsche Bundesregierung und der BDI. Die Globale Allianz und die Trade Facilitation Agreement Facility stellen unverzichtbare Instrumente dar, damit die Zollverfahren in Entwicklungsländern tatsächlich in überschaubarer Zeit effizienter gestaltet werden. Die finanzielle und anderweitige Ausstattung dieser und anderer im WTO-Beschluss erwähnter Unterstützungsmaßnahmen für Entwicklungsländer muss regelmäßig überprüft und bei Bedarf aufgestockt werden. Nur bei einer vollständigen Umsetzung des TFA wird das volle wirtschaftliche Potenzial genutzt.

Empfehlungen  Das Abkommen über Handelserleichterungen sollte von möglichst vielen Ländern so schnell wie möglich und umfassend in Kraft getreten und implementiert werden.  Die Unterstützungsmaßnahmen und Kapazitäten zur Implementierung des TFA sollten regelmäßig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.  Die auf die Möglichkeiten der Mitglieder angepassten Verpflichtungen des TFA sollten den Einstieg in eine Diskussion bilden, die mittelfristig zu einer klareren Differenzierung der WTO-Mitgliedschaft nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit führt.

Entwicklungsthemen Mehr als zwei Drittel der WTO-Mitglieder sind als Entwicklungsländer in der WTO klassifiziert.79 Ziel der DohaEntwicklungsrunde war, ihre Interessen stärker in den Mittelpunkt der Verhandlungen zu rücken, unter anderem indem Handelshemmnisse gerade in dem für viele Entwicklungsländer wichtigen Agrarhandel abgebaut werden. Während der Ministerkonferenz im Jahr 2005 nahmen die WTO-Mitglieder fünf entwicklungspolitische Beschlüsse an. Dazu gehörte der zoll- und quotenfreie Marktzugang für alle Produkte aus diesen Ländern bis spätestens 2008. Die Europäische Union gewährt bereits mit ihrer Everything But Arms-Initiative seit 2001 LDCs zoll- und quotenfreien Zugang für alle Produkte (bis auf Waffen) zum EU-Markt. Andere Industrieländer wie Japan und die USA haben sich zwar angeschlossen, doch sind ihre Programme mit Einschränkungen verbunden.

OECD, The WTO Trade Facilitation Agreement – Potential Impact on Trade Costs, Paris 2014, S. 3, <http://www.oecd.org/trade/tradedev/OECD_TAD_WTO_trade_facilitation_agreement_potential_impact_trade_costs_february_2014.pdf>. 78 Global Alliance for Trade Facilitation, FAQ, <http://www.tradefacilitation.org/faq.html> (eingesehen am 30.3.2016). 79 WTO, Trade and Development, http://www.wto.org/english/tratop_e/devel_e/devel_e.htm (eingesehen am 24.2.2016). 77

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Ebenfalls 2005 wurde das Aid-For-Trade-Programm initiiert. Dieses hilft Entwicklungsländern dabei, ihre angebotsseitigen Kapazitäten auszubauen, um mehr Handel treiben zu können. Auf der Bali-Ministerkonferenz verabschiedeten die Minister eine Reihe von Erklärungen im Entwicklungsbereich. Durch sie soll der Handel der LDCs steigen. Die WTO-Mitglieder sind unter anderem aufgefordert, ihre Ursprungsregeln um Bestimmungen für Importe aus den am wenigsten entwickelten Ländern zu ergänzen. Demnach sollen die Ursprungsregeln so transparent, klar und objektiv wie möglich sein. Die Dokumentationsanforderungen hinsichtlich der Einhaltung der Ursprungsregeln sollen für diese Staatengruppe besonders einfach gestaltet werden.80 Bei der Ministerkonferenz Ende 2015 in Nairobi wurden dazu konkrete Leitlinien beschlossen. Überdies beschlossen die WTO-Mitglieder, einen Mechanismus einzuführen, der die Bestimmungen für die Vorzugsbehandlung von LDCs überprüft. Ziel ist einerseits, die Umsetzung der Bestimmungen zu verbessern und andererseits, die Bestimmungen selbst neu zu verhandeln. Zudem wurde die Vorzugsbehandlung der LDCs im Dienstleistungsbereich ausgebaut. Der sogenannte Services Waiver sieht eine Ausnahme des Nichtdiskriminierungsprinzips für Dienstleistungen aus den am wenigsten entwickelten Ländern vor. Demnach dürfen entwickelte Länder und Entwicklungsländer Dienstleistungen aus den LDCs bevorzugt behandeln. 81 Diese Regelung wurde in Nairobi bis Ende 2030 verlängert. Bereits im Vormonat hatte die WTO eine Regelung bis zum Jahr 2033 verlängert, die es LDCs erlaubt, zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung gegen bestimmte Patentbestimmungen des Abkommens über Handelsbezogene Rechte des Geistigen Eigentums (TRIPS) zu verstoßen.

Empfehlungen  Mit den LDC-Bestimmungen von Bali und Nairobi wurde dem Ziel der Doha-Entwicklungsrunde entsprochen, diese Länder stärker in den Welthandel zu integrieren. Auch künftig müssen die Bedürfnisse der LDCs in der WTO besonders berücksichtigt werden.  Gleichwohl dürfen Ausnahmeregelungen und Vorzugsbehandlungen nicht die Kernanliegen (Schaffung eines geregelten Freihandels) und die Grundprinzipien der WTO (Meistbegünstigung, Gegenseitigkeit, Inländerbehandlung, etc.) dauerhaft aushöhlen. Ausnahmeregelungen und Übergangsfristen müssen daher auch tatsächlich ein konkretes Enddatum tragen.

Neue Themen in der WTO Wettbewerb Obwohl die internationalen Märkte zunehmend verflochten und grenzüberschreitend geregelt sind, sind sie hinsichtlich des Wettbewerbsrechts noch weitgehend lokal geprägt. Sofern kodifiziert, gelangt nationales Wettbewerbsrecht durch nationale Behörden zur Anwendung. Die EU bildet mit ihrem ausgeprägten Wettbewerbsrecht eine Ausnahme. Internationale Regeln stecken noch in den Kinderschuhen und betreffen nur Teilaspekte. So haben sich die OECD-Mitglieder Regeln für Exportkredite gesetzt. Im Agrarbereich hat die WTO in Nairobi Vereinbarungen zu Exportkreditprogrammen und das Ende von Exportsubventionen beschlossen. Zu internen Stützungsmaßnahmen sollen noch Vereinbarungen folgen. Immer mehr bilaterale und regionale Freihandelsabkommen enthalten erste Vereinbarungen zum Wettbewerbsrecht.

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WTO, Ministerial Conference, Ninth Session, Decision of 7 December 2013, Preferential Rules of Origin for Least-Developed Countries, <https://www.wto.org/english/thewto_e/minist_e/mc9_e/desci42_e.htm>. 81 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Stand der WTO-Welthandelsrunde (Doha Development Agenda – DDA), Berlin 2012 https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/WTO/wto-handelsrundesachstand,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf.

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Maßnahmen gegen das Dumping von Waren auf Drittmärkten sind im sogenannten „Antidumping-Abkommen“ der WTO geregelt. Zudem wurden in der WTO bestimmte, direkt den Handel verzerrende Subventionen verboten. Eine weitere Kategorie von Subventionen (sog. actionable subsidies) kann mit Hilfe der WTO-Streitschlichtung hinterfragt werden. Wenn der Kläger nachweisen kann, dass die Subventionen des beklagten WTO-Mitglieds seinen Handelsinteressen schaden, können diese verboten werden. Im Rahmen der DDA wurde beabsichtigt, das Regelwerk zu Antidumping und Subventionen klarer zu fassen und zu verbessern. Dabei konnten sich jedoch die Befürworter engerer Grenzen für solche Maßnahmen (u.a. China, Norwegen, Schweiz, Südkorea) und Gegner (u.a. USA) nicht einigen. Diskutiert wird auch die Frage, inwiefern wettbewerbspolitische Aspekte im Regelwerk stärker berücksichtigt werden sollten (beispielsweise hinsichtlich der Wettbewerbssituation und der Marktstruktur des beklagten Staates). Den WTO-Mitgliedern ist bewusst, dass auch Export- und Importkartelle, Missbrauch marktbeherrschender Stellungen, wettbewerbseinschränkende internationale Kartelle und Fusionen sowie Staatsunternehmen und staatlich dominierte Unternehmen den internationalen Handel einschränken können. Als Ergebnis der WTO-Ministerkonferenz in Singapur (1996) wurde die Arbeitsgruppe zu Handel und Wettbewerbspolitik ins Leben gerufen. In der Doha-Runde konzentrierte sich die Arbeitsgruppe auf die Themengebiete Prinzipien der Transparenz, Gleichbehandlung und der Verfahrensgerechtigkeit, Bestimmungen über Hardcore-Kartelle (Preisabsprachen, Festlegungen von Absatzquoten, Aufteilungen von Märkten), Modalitäten für eine freiwillige Kooperation sowie Unterstützung für den Institutionenaufbau in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Im Juli 2004 wurde allerdings vom Allgemeinen Rat der WTO beschlossen, die Arbeitsgruppen zu Wettbewerbspolitik einzustellen, da keine hinreichende Aussicht auf eine Einigung bestand. Nationale Wettbewerbsbestimmungen und Unterstützungsmaßnahmen führen im internationalen Wettbewerb regelmäßig zu ungerechtfertigten und massiven Marktverzerrungen und Ineffizienzen. Umso wichtiger ist es, dass die WTO-Mitglieder wieder die Wettbewerbspolitik auf die WTO-Agenda setzen. Die bestehenden WTOVereinbarungen reichen nicht aus; multilaterale und notfalls plurilaterale Lösungen sind bilateralen und nationalen vorzuziehen. Das mittelfristige Ziel sollte die Verankerung angemessener internationaler Prinzipien im Sinne von best practices in der Wettbewerbspolitik sein, um langfristig zu Konvergenz und einem level playing field zu gelangen. Dies sollte internationale Prinzipien und verbesserte Transparenzvorschriften zum Wettbewerb zwischen staatlichen und privaten Unternehmen einschließen. Zudem sollten sämtliche Formen von Exportsubventionen in der WTO gleichzeitig abgebaut werden. Auch ein Verbot marktverzerrender Importsubventionen im Rohstoffbereich wie Einfuhrsteuerrabatte sollte angestrebt werden.

Empfehlungen  Die WTO braucht neue Regelungen, um wettbewerbsverzerrendes Verhalten durch Kartelle, marktmächtige Unternehmen und Unternehmenszusammenschlüsse in ihren Handelsbeziehungen zu unterbinden. Dabei sollten auch Regeln für Staatsunternehmen in den Fokus rücken. Die Arbeitsgruppe zu Handel und Wettbewerbspolitik der WTO sollte ihre Arbeit wieder aufnehmen und multilaterale Verhandlungen vorbereiten. Sollte dies nicht gelingen, sollten plurilaterale Initiativen angestrebt werden.  Die WTO-Mitglieder sollten ihre Arbeit für klarere Regeln im Bereich Antidumping und Subventionen mit dem Ziel fortsetzen, den fairen Wettbewerb der Unternehmen auf dem Weltmarkt zu fördern und staatswirtschaftliche Praktiken einzuschränken. Exportrestriktionen Das Regelwerk der WTO zu Exportrestriktionen bietet bisher viel Spielraum für die Mitgliedsländer. Diese Art der Handelsbeschränkungen ist gerade im Rohstoffbereich weit verbreitet. Sie stellen ein Problem für Industrienationen wie Deutschland dar, die auf Einfuhr solcher Inputs angewiesen sind.

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Exportzölle sind im Sinne von Artikel XI:1 GATT keine unzulässigen Exportbeschränkungen. Es gibt kein WTOAbkommen, das die Exportzölle reguliert oder gar auf ein bestimmtes Niveau beschränkt. Lediglich einzelne WTO-Mitglieder wie China haben in ihren Beitrittsprotokollen zusätzliche Verpflichtungen übernommen. Quantitative Exportrestriktionen sind zwar grundsätzlich verboten. Das WTO-Regelwerk bietet allerdings eine Reihe von Ausnahmeregeln, mit denen Länder quantitative Restriktionen rechtfertigen können. Laut GATT Artikel XI:2(a) sind quantitative Exportrestriktionen zulässig, wenn sie “temporär“, zur Bekämpfung eines “kritischen“ Mangels eingesetzt werden oder laut Ausnahmen in Artikel XX der Erhaltung natürlicher Ressourcen, dem Umweltschutz oder der Gesundheit dienen, oder für die nationale Sicherheit notwendig sind. Allerdings ist im WTORegelwerk nicht klar definiert, was temporär oder kritisch bedeutet. Einen Fall vor die WTO zu bringen ist ein langwieriger und ressourcenintensiver Prozess, der häufig erst nach mehreren Jahren zu konkreten Ergebnissen führt. Auch Importsubventionen in Drittstaaten können Marktverzerrungen zulasten deutscher Unternehmen hervorrufen. So können Unternehmen, die durch staatliche Subventionen und günstige Kredite unterstützt werden, auf den europäischen Märkten erfolgreicher konkurrieren. Bekannt sind solche Importanreize im Rohstoffbereich. China implementiert beispielsweise Importsteuerrabatte auf Kupferschrotte und kupferhaltige Schrotte. Das Land erstattet den Firmen 30 Prozent der Importsteuer von 17 Prozent auf den Kupferpreis, eine Entlastung von rund 5 Prozent des Preises der Shanghai Futures Exchange.82 In der Folge kann es zu Verknappungen bei der Versorgung europäischer Werke kommen. Generell sollten in der WTO Exportzölle und ähnliche Abgaben wie Exportsteuern und Importsubventionen strikter geregelt werden. Gegebenenfalls können plurilaterale Vereinbarungen einen Zwischenschritt darstellen, um gegen solche Verzerrungen vorzugehen. Durch regelmäßige Überprüfungen der WTO-Mitglieder können potenzielle Verstöße schneller aufgedeckt und auf die Verstöße reagiert werden. Empfehlungen  Das WTO-Regelwerk sollte angepasst werden, um Exportbeschränkungen (und Importsubventionierung) stärker einzuschränken.  Eine plurilaterale Initiative gegen Exportrestriktionen sollte durch handlungsbereite WTO-Mitglieder geprüft und gestartet werden.

Digitaler Handel Handel mit IKT-Dienstleistungen, E-Commerce sowie der Datentransfer sind noch völlig unzureichend im aktuellen WTO-Regime geregelt. In der Folge mindern Rechts- und Planungssicherheit Handelsgewinne. Und digitaler Protektionismus kann durch die WTO kaum verhindert werden. Im Gegensatz zu IKT-Waren (siehe Kapitel Plurilaterale Abkommen: ITA II) wird der Handel mit IKT-Dienstleistungen im gegenwärtigen WTO-Regime nur sehr unzureichend gefördert. Unter dem allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) werden Marktzugang und Inländerbehandlung nur für Dienstleistungssektoren gewährleistet, die explizit von WTO-Mitgliedern in Positivlisten aufgeführt werden. Da sich das nunmehr 20 Jahre alte GATS zudem auf die zentrale Gütersystematik der Vereinten Nationen (CPC) von 1991 bezieht, können viele neuentwickelte IKT-Dienstleistungen nicht eindeutig in die Dienstleistungssektor-Klassifizierung des GATS eingeordnet werden. Somit können neuere, innovative IKT-Dienstleistungen nicht von den ohnehin wenig ambitionierten Bestimmungen des GATS profitieren. Angesichts der hohen Innovationskraft des IKT-Sektors und der zunehmenden Bedeutung des IKT-Dienstleistungshandels muss ein Verhandlungsmodus gefunden werden, der auch die Liberalisierung neuer Dienstleistungen erlaubt. Eine Mindestvoraussetzung für

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Yi Zhu, China Rebates for Copper-Product Exports May Ease Domestic Glut, Bloomberg, 8. Juli 2015

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die Förderung des IKT-Dienstleistungshandels in der WTO wäre, eine Aktualisierung der WTO-Dienstleistungsklassifizierung sowie eine ambitionierte Liberalisierung in den IKT-betreffenden Dienstleistungssektoren zu vereinbaren. Gegebenenfalls könnten auch Negativlisten für die Liberalisierung in Betracht gezogen werden, da so auch nach Abkommens-Abschluss neuentwickelte Dienstleistungen klar unter die Bestimmungen des Abkommens fallen würden. Aus der WTO-Rechtsprechung ergibt sich, dass GATS-Regelungen für den E-Commerce in gleichem Maße wie für den klassischen Handel gelten. Die technologische Neutralität aller weiteren WTO-Abkommen sollte ebenfalls explizit bestätigt werden, um nötige Rechtssicherheit zu gewährleisten. Es sollte also zum Beispiel irrelevant sein, ob eine Dienstleistung mittels Post, Telefon, E-Mail oder Internetplattform geliefert wird. Im WTO-Regime bestehen über die technologische Neutralität hinaus eine Reihe offener handelsrechtlicher Fragen, die den grenzüberschreitenden E-Commerce einschränken. So gibt es keine Einigkeit unter WTO-Mitgliedern, ob digitaler Dienstleistungshandel nach GATS grenzüberschreitend erbracht (Erbringungsform, mode 1) oder im Ausland konsumiert wird (Erbringungsform, mode 2). Die jeweiligen Liberalisierungsverpflichtungen im GATS unterscheiden sich erheblich, je nachdem, ob es um Handel der Erbringungsform 1 oder 2 geht. Darüber hinaus ist unklar, ob bei einer Transaktion das Recht des Ursprungs- oder des Empfängerstaates anzuwenden ist. Diese Rechtsunsicherheit stellt eine erhebliche Belastung für Unternehmen dar und kann so die Aufnahme von internationalem E-Commerce verhindern. Des Weiteren ist offen, inwiefern es sich bei digitalen Produkten, die auch physisch gehandelt werden können (zum Beispiel Software, Musik, Filme), um Waren oder Dienstleistungen handelt. Somit ist ungeklärt, ob digitale Produkte unter die Bestimmungen des GATT oder des GATS fallen. Die Klärung dieser seit langer Zeit bestehenden juristischen Unsicherheiten in der WTO ist eine Voraussetzung, damit sich der grenzüberschreitende E-Commerce dynamisch entwickeln kann. Ein besonderes Problem beim Handel mit Software stellt mangelnder Schutz geistigen Eigentums dar. WTORegeln sollten sicherstellen, dass die Offenlegung oder der Transfer von Quellcodes keine Marktzugangskondition sein dürfen. Ausnahmen zum Schutz der Sicherheit und der Privatsphäre müssen im Einklang mit dem existierenden WTO-Recht stehen. Seit 1998 besteht in der WTO ein Zoll-Moratorium auf Datenströme, das zuletzt 2015 in Nairobi um zwei Jahre verlängert wurde. Um die notwendige Planungssicherheit für Unternehmen zu gewährleisten, sollte dieses Moratorium von den WTO-Mitgliedern rechtsbindend verstetigt werden. Hierbei müsste auch klar gestellt werden, dass dies auch den Inhalt von Datenströmen – vor allem digitale Produkte – miteinbezieht. Die WTO sollte zudem die Gewährleistung eines freien grenzüberschreitenden Transfers nicht-sensibler Daten verbindlich stipulieren. Dabei sind weiterhin vorliegende Regularien sowie GATS-Ausnahmen zum Schutz der Privatsphäre und der Sicherheit zu beachten. Ein freier Datentransfer ist die Grundvoraussetzung für E-Commerce, die Steuerung globaler Wertschöpfungsketten sowie die internationale Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit. Insbesondere sollten Anforderungen, Daten lokal zu speichern sowie Vorschriften, welche IKT-Infrastruktur zu nutzen ist, soweit wie möglich eingeschränkt werden. Verbraucher und Unternehmen müssen frei wählen können, ob sie ihre Daten nur lokal speichern und transferieren oder ob sie diese auch ins Ausland übertragen.

Empfehlungen  Die WTO muss die technologische Neutralität aller WTO-Abkommen explizit bestätigen.  Digitale Produkte sollten weder verzollt noch anderweitig diskriminiert werden. Ausnahmen können für kulturelle Produkte bestehen.  Das Zollmoratorium zur Nicht-Verzollung von Datenströmen muss entfristet werden.  Die WTO muss offene handelsrechtliche Fragen des digitalen Handels klären, um Rechts- und Planungssicherheit zu schaffen (Klassifizierung sowie Erbringungsform von Dienstleistungen, Jurisdiktion, Einordnung von digitalen Produkten, etc.).

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 Lokalisierungsanforderungen für nicht-sensible Daten und Infrastruktur müssen klar eingeschränkt werden. Mittelfristig sollte über ein eigenes WTO-Abkommen zu E-Commerce und Datentransfers nachgedacht werden.  Der Transfer oder die Offenlegung von Quellcodes dürfen keine Marktzugangskondition für Software sein.

Investitionsregeln Anders als für den Handel von Gütern und Dienstleistungen gibt es für Investitionsflüsse kein vergleichbares multilaterales Regime. Lediglich handelsbezogene Aspekte von Investitionsmaßnahmen werden unter dem Agreement on Trade-Related Aspects of Investment Measures (TRIMs-Abkommen) der WTO geregelt. So untersagt das TRIMs-Abkommen im Einklang mit den grundlegenden WTO-Prinzipien, Investitionsmaßnahmen anzuwenden, die ausländische Produzenten diskriminieren oder zu quantitativen Beschränkungen führen. Dabei geht es nicht in erster Linie um ausländische Investitionen, sondern um Maßnahmen im Investitionsbereich, die zwischen Güterimport oder -export diskriminieren beziehungsweise Ein- oder Ausfuhrbeschränkungen bewirken. So sind zum Beispiel Vorschriften zur lokalen Wertschöpfung bei Investitionsprojekten nur mit TRIMs-Regeln vereinbar, wenn sie importierte Produkte gegenüber heimischen Produkten nicht benachteiligen. Der WTO-Ausschuss für handelsbezogene Investitionsmaßnahmen überwacht die Umsetzung des Abkommens und bietet eine Plattform, um Probleme ohne ein offizielles Streitschlichtungsverfahren auszuräumen. Außerdem regelt das GATS (General Agreement on Trade in Services) ausländische Investitionen in Dienstleistungen. So sind Maßnahmen untersagt, die zu mengenmäßigen Beschränkungen von solchen Investitionen führen. Eine 1996 gegründete Arbeitsgruppe der WTO zu den Verbindungen zwischen Handel und Investitionen hat bereits seit Jahren nicht mehr getagt. Versuche, ein Multilateral Agreement on Investment (MAI) unter dem Dach der OECD abzuschließen, scheiterten Ende der 1990er Jahre. In der Doha-Verhandlungsrunde der WTO waren multilaterale Regeln für Auslandsinvestitionen zwar zunächst Teil der Verhandlungen, wurden jedoch auf Wunsch der Entwicklungs- und Schwellenländer 2003 von der Agenda gestrichen. Die Energiecharta sieht als plurilaterales Abkommen Regeln zum Investitionsschutz vor, ist aber nur im Energiesektor anwendbar.

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Völkerrechtlicher Investitionsschutz wird wichtiger

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Anzahl der weltweiten IFV

Grenzüberschreitende Direktinvestitionen (ADI) in Mrd. US$

Grenzüberschreitende Direktinvestitionen (Bestände in Milliarden US$) und Anzahl weltweiter Investitionsförder- und -schutzverträge (IFV)

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1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

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Quelle: UNCTAD, UNCTADStat, <https://unctadstat.unctad.org/EN>, (eingesehen am 22.2.2016); UNCTAD, World Investment Report 2015, June 2015, p. 106, A7, <http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/wir2015_en.pdf>.

An Stelle eines umfassenden multilateralen Investitionsregimes sichert eine Vielzahl von bi- und zunehmend auch plurilateralen Investitionsförder- und Schutzabkommen (IFV) den Schutz von ADI. Immer häufiger werden Regeln über den Schutz und Marktzugang von Investitionen in präferenzielle Handelsabkommen aufgenommen. Dazu gehört beispielsweise das Handelsabkommen der EU mit Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA) sowie mit Vietnam. Auch im Rahmen der Gespräche der EU mit den USA über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) wird über ein Kapitel zum Investitionsschutz und Marktzugang verhandelt. Investitionen gehören überdies zum Verhandlungsmandat der EU in den FTA-Gesprächen unter anderem mit Indien, Japan und Thailand. Mit der Volksrepublik China sowie mit Myanmar verhandelt die EU derzeit alleinstehende Investitionsförder- und Schutzverträge (IFV). Vor dem Hintergrund der weltweit stetig steigenden ausländischen Direktinvestitionen wird der Schutz von ADI immer wichtiger. In den vergangenen Jahren ist jedoch eine heftige Diskussion um Investitionsverträge entbrannt, in deren Mittelpunkt die Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) stehen. In der weltweiten investitionspolitischen Diskussion geht es seit einigen Jahren um die Frage, wie moderne Investitionsförder - und schutzabkommen (IFV) oder Investitionsabkommen in Handelsverträgen aussehen können. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die Interessen der Investoren an einem hohen Schutzniveau und die Interessen des Staates nach Wahrung ihrer Regulierungshoheit ausgeglichen werden können. Angefacht wird die Reformdebatte nicht nur durch die TTIP-Verhandlungen, sondern auch einige derzeit laufende Schiedsverfahren, etwa die Klage von Vattenfall aus dem Jahr 2012 gegen die Bundesrepublik Deutschland. Seit 2012 haben mindestens

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110 Länder ihre Investitionspolitik erneuert.83 Einige Länder haben ihre Investitionsschutzabkommen aufgekündigt. Im Jahr 2013 kündigte Südafrika seine IFV mit Deutschland; den Niederlanden und der Schweiz. Bolivien kündigte im Mai 2013 alle bestehenden IFV, darunter auch den Vertrag mit Deutschland mit der Begründung, dass die neue Verfassung von 2009 keine internationalen Streitschlichtungsmechanismen anerkennt.84 Ecuador kündigte im Jahr 2008 insgesamt neun IFV.85 Im November 2015 hat die Europäische Kommission im Rahmen ihres Vorschlags zur Ausgestaltung eines Investitionsschutzkapitels für TTIP unter anderem vorgeschlagen, parallel zu den TTIP-Verhandlungen auf einen internationalen Investitionsgerichtshof (International Investment Court) zur Klärung von Investitionsschutzfragen hinzuarbeiten. Angesichts der bestehenden 3.325 IFVs86, die jeweils unterschiedliche Regelungen und Schutzstandards vorsehen, wäre eine Multilateralisierung des völkerrechtlichen Investitionsschutzes eine gute Möglichkeit, weltweite Kohärenz auf diesem Gebiet zu fördern. Angesichts der weltweit stattfindenden Reformdebatte böte sich dadurch auch die Möglichkeit, einen modernen Investitionsschutzstandard zu implementieren. Aus Sicht des BDI wäre eine Bewegung in diese Richtung grundsätzlich wünschenswert, allerdings wären einige Fragen zu klären. Sollte sich ein multilateraler Vertrag oder eine Institution an bereits bestehenden Regelwerken oder Institutionen orientieren oder auf ihnen aufbauen? Welche Institutionen kämen dabei in Frage? Würden die einzelnen Fälle durch ad-hoc Schiedsgerichte bearbeitet? Solle es sich – wie bei der Handelsschiedsgerichtsbarkeit im Rahmen der WTO – um Staat-Staat Schiedsverfahren handeln? Der Weg hin zu einer Multilateralisierung des völkerrechtlichen Investitionsschutzes wäre sicherlich lang und schwierig. Allerdings böte dieser Weg große Chancen für Investoren, für Handel und Entwicklung. Die laufende WTO-Runde wird kaum Gelegenheit dazu bieten, das Thema zu behandeln. Während der diesjährigen G20Präsidentschaft des Landes spielt das Thema Auslandsinvestitionen eine wichtige Rolle. Es wäre wünschenswert, dass die G20 sich bereits in diesem Jahr auf zukunftsweisende Vereinbarungen verständigen.

Empfehlungen  Auch abseits bilateraler Verträge muss verstärkt nach Wegen gesucht werden, um das Schutzniveau für Auslandsinvestitionen zu erhöhen und Rahmenbedingungen für ausländische Investitionen zu verbessern, letzteres insbesondere durch verlässlichen und möglichst vollständigen Marktzugang.  Es gilt, die Kohärenz des völkerrechtlichen Investitionsschutzes zu verbessern. Die durch die neue Strategie der EU geschaffene Gelegenheit sollte genutzt werden, um eine mögliche Multilateralisierung des Investitionsschutzes zu eruieren.  Im G7/G20-Prozess (einschließlich der entsprechenden Wirtschaftsformate) sollte der völkerrechtliche Investitionsschutz weiterentwickelt und multilaterale Ansätze gefördert werden.

83

UNCTAD, IIA Issue Note No. 1 March 2016, <http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/webdiaepcb2016d1_en.pdf>, S. 5. 84 GTAI, Wirtschaftsentwicklung Bolivien 2012, 26.7.2013, <http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/maerkte,did=854178.html>. 85 The Wall Street Journal, Ecuador Established Commission to Audit Investment Treaties, 8.10.2013, http://online.wsj.com/article/BT-CO-20131008-712214.html. 86 UNCTAD, IIA Navigator, <http://investmentpolicyhub.unctad.org/IIA> (eingesehen am 28.1.2016).

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Regeldurchsetzung in der WTO Die WTO-Abkommen enthalten einen Regelkatalog, der den Spielraum für diskriminierende handelspolitische Maßnahmen erheblich einschränkt. Einmal gebundene Zölle dürfen laut Artikel II des GATT nur im Ausnahmefall wieder angehoben werden, beispielsweise, um unfairen Handelspraktiken wie Dumping oder Subventionierung im Ausland zu begegnen oder nationale Sicherheit, Gesundheit und Umwelt zu schützen. Spielraum zur Marktabschottung ergibt sich allerdings durch den beschriebenen Overhang zwischen den gebundenen und angewandten Zollraten und durch nicht gebundene Zollsätze. Auch grundsätzlich WTO-konforme Handelsinstrumente wie Antidumping- und Ausgleichsmaßnahmen bieten Möglichkeiten für handelsbeschränkende Maßnahmen. Ferner verfügt die Organisation über ein im Vergleich zum Zollregime eher schwaches Subventionsregime und Regelwerk für NTBs und Exportbarrieren. Transparenz und Monitoring Die WTO ist verpflichtet, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben transparent vorzugehen. Es gehört zu ihren Kernfunktionen, die Verträge und Regeln zu verwalten und ihre Anwendung zu überwachen. Zudem sammelt, analysiert und veröffentlicht das WTO-Sekretariat Daten zu internationalen Handelsentwicklungen. Ziel ist, den Grad der Vorhersagbarkeit in der Handelspolitik zu erhöhen. Im Rahmen von Verhandlungen ist das WTO-Sekretariat angehalten, alle wichtigen Informationen aus den verschiedenen Verhandlungsformaten und -gruppen mit der gesamten Mitgliedschaft zu teilen, um einen „inklusiven“ Prozess und informierte, konsensbasierte Entscheidungen zu ermöglichen. Zu den Kontrollinstrumenten der WTO gehört in erster Linie der Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitik (Trade Policy Review Mechanism, TPRM) mit seinen Länderberichten (TPR). Alle zwei Jahre wird ausführlich über die Handelspolitik und -praxis großer Mitglieder wie der EU, der USA und China berichtet. Kleinere Mitglieder werden alle vier bis sechs Jahre einer Untersuchung unterzogen. In der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise wurden zwei neue Überprüfungsinstrumente eingeführt: Die Berichte des WTO-Generalsekretärs geben einen Überblick über den aktuellen Stand des Welthandels und der Handelsmaßnahmen der WTO-Mitglieder. In ihrem Bericht zu Handels- und Investitionsmaßnahmen der G20 analysiert die WTO zusammen mit der OECD und UNCTAD neue Handels- und Investitionsbarrieren und deren Einfluss auf die Handels- und Investitionsströme. Ohne die Überwachung und Veröffentlichung der handelspolitischen Maßnahmen der WTO-Mitglieder und der G20 wären die protektionistischen Reaktionen auf die Finanz- und Wirtschaftskrise wahrscheinlich sehr viel deutlicher ausgefallen. Zudem liefert seit 2013 das integrierte Portal der WTO zu Handelsmaßnahmen (Integrated Trade Intelligence Portal; I-TIP) Informationen über tarifäre und nicht-tarifäre Handelshemmnisse, den Dienstleistungshandel, regionale Handelsinitiativen und Beitrittsverpflichtungen der WTO-Mitglieder. Aber nicht nur dem WTO-Sekretariat kommen Transparenz- und Monitoring-Pflichten zu. Diese Pflichten und Aufgaben betreffen auch die im Wesentlichen durch die Mitglieder geleiteten WTO-Gremien und die Mitgliedsstaaten selbst. Beispielsweise hat der Agrarausschuss der WTO die Aufgabe, die Umsetzung der Entscheidungen der Ministerkonferenz in Nairobi zu Landwirtschaftsfragen zu überwachen. Transparenz- und Berichtspflichten spielen in zahlreichen Gremien und Vereinbarungen eine wichtige Rolle, so zum Beispiel in der Arbeitsgruppe zur Transparenz im Öffentlichen Auftragswesen oder dem 2006 geschaffenen Transparenzmechanismus für Präferenzabkommen. Letzterer sieht unter anderem vor, dass die Mitglieder ihre Präferenzabkommen in der WTO ankündigen und notifizieren (s. Kapitel Präferenzielle Handelsabkommen). Transparenz und Kontrolle sind eine zentrale Voraussetzung dafür, dass das multilaterale Handelssystem funktioniert. Beide Felder – das Monitoring der WTO und die Auskunftspflichten der Mitglieder – bieten allerdings noch großes Verbesserungspotenzial. Beispielsweise funktioniert das naming and shaming durch die Berichte der WTO nur eingeschränkt. Es fehlt eine zumindest vorläufige Bewertung der jeweiligen Maßnahmen durch die WTO. Auch die Berichte für die G20 enthalten keinen Abgleich neuer und alter Handelspraktiken anlässlich der G20-Treffen auf Minister- und Regierungschefebene. Umgekehrt ist die Disziplin und Kooperationsbereitschaft

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vieler Mitglieder gering, wenn es darum geht, Informationen bereitzustellen und Handelsmaßnahmen bei der WTO zu notifizieren.

Empfehlungen  Die Kontrollinstrumente der WTO sollten weiter geschärft und dem Sekretariat größere Befugnisse bei der Bewertung von Handelsmaßnahmen der Mitglieder eingeräumt werden, z.B. im Rahmen der TPR.  Die Auskunftspflichten der Mitglieder sollten ausgebaut und strenger überwacht werden.

Streitschlichtung Die Schlichtung von Streitfällen stellt eine zentrale Aufgabe der WTO dar. So können WTO-Mitglieder mit Hilfe der Streitschlichtungsverfahren (Dispute Settlement Procedure, DSP) gegen Verstöße von WTO-Regeln und Verpflichtungen vorgehen. Durch die regelbasierten Verfahren des DSP können Konflikte entpolitisiert und Handelsstreitigkeiten regelmäßig schon in der Konsultationsphase beigelegt werden. Der DSP bietet Sicherheit und Vorhersehbarkeit für das multilaterale Handelssystem und hilft, bestehende Regeln zu interpretieren. Der Streitschlichtungsmechanismus der WTO kann als letztes Mittel das klagende Mitglied zu wirtschaftlichen Sanktionen berechtigen, wenn das unterlegende Mitglied die im Urteil vorgesehenen Anpassungen nicht vornimmt. Seit der Gründung der WTO wurden über 500 Klagen eingereicht (504 am 15. März 2016). In den letzten zehn Jahren wurden jedes Jahr durchschnittlich 16,5 neue Fälle eingereicht (2015: 13 Fälle). 2014 war mit 34 aktiven Panel, Compliance- und Streitschlichtungsverfahren87 sowie sechs Berufungsverfahren eines der aktivsten Jahre in der Streitschlichtung seit der Gründung der WTO im Jahr 1995. Bislang konnte etwa die Hälfte der Streitfälle seit 1995 in der ersten Phase des Streitschlichtungsverfahrens – der Konsultationsphase – beigelegt werden.88

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Die Zahl beinhaltet beantragte und laufende Konsultationen, beantragte und laufende Panel-Verfahren und Compliance-Verfahren (beantragte Kompensationsmaßnahmen wegen potenzieller Nicht-Erfüllung der Schiedssprüche). 88 World Trade Organization, Annual Report 2015, Genf 2015, S. 90-95, <https://www.wto.org/english/res_e/booksp_e/anrep_e/anrep15_e.pdf>.

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Anzahl der WTO-Streitfälle Bei der WTO eingerichtete Streitfälle pro Jahr

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1997

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Quelle: WTO, Annual Report 2015, Genf 2015, S. 95, <https://www.wto.org/english/res_e/booksp_e/anrep_e/anrep15_e.pdf>.

Der DSP der WTO liegt in Bezug auf Nachfrage (Anzahl der Fälle) und Durchsetzung im Vergleich zu allen anderen internationalen Streitbeilegungssystemen weltweit an der Spitze. Die Umsetzung der Panelentscheide wird vom Streitschlichtungsgremium überwacht. Davey (2013) hat die Umsetzung der Panelentscheide zwischen 1995 und 2012 untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass über achtzig Prozent der Panelentscheide erfolgreich umgesetzt wurden, davon rund die Hälfte vor Ablauf der Umsetzungsfrist. Obwohl sich die Umsetzung in manchen Fällen über Jahre hinziehen kann, werden nahezu alle Entscheide von den betreffenden Ländern früher oder später umgesetzt. Der Streitschlichtungsmechanismus konnte einige kontroverse Fälle, insbesondere zwischen den USA und der Europäischen Union, erfolgreich lösen.89 Neben der hohen Zahl von Streitschlichtungsfällen sind immer komplexere Verfahren und eine steigende Zahl von Berufungen ursächlich dafür, dass die im DSP vorgesehenen Fristen oft nicht mehr eingehalten werden können und sich Verfahren lange hinziehen. Einen Engpass stellen dabei sowohl die personellen Kapazitäten im WTO-Sekretariat als auch die auf sieben begrenzte Zahl der Richter im Berufungsorgan (Appellate Body) dar. Die stetig wachsende Zahl an WTO-Mitgliedern trägt zum Aufgabenumfang des WTO-Sekretariats und auch der Streitschlichtung bei. Allerdings kommen die Beiträge der Neumitglieder nicht dem WTO-Haushalt als zusätzliche Mittel zugute, sondern führen in der Regel zu Beitragssenkungen der bisherigen Mitglieder. Die WTO-Mitglieder waren bisher nicht bereit, das Kapazitätsproblem des DSP durch ein erhöhtes Budget zu lösen. In den regelmäßigen Sondersitzungen des Streitschlichtungsgremiums (Dispute Settlement Body Special Sessions) wird – bislang noch ergebnislos – über effizientere Verfahrensregeln und gesteigerte Transparenz diskutiert. Auch wenn die Umsetzung der Panelberichte insgesamt erfolgreich verläuft, birgt der DSP also Verbesserungspotential. Ziel sollte sein, Aufwand und Dauer der Verfahren zu reduzieren und Streitschlichtungskapazitäten der WTO auszubauen. So könnten die WTO-Mitglieder schneller und häufiger auf Regelverstöße reagieren und

89

William Davy, The WTO Dispute Settlement at 18: Effective at Controlling the Major Players?, Robert Schuman Centre for Advanced Studies, 2013, http://cadmus.eui.eu/bitstream/handle/1814/26794/RSCAS_2013_29.pdf?sequence=1.

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dem weltweit steigenden Protektionismus besser Einhalt gewähren. Durch eine verbesserte Transparenz der laufenden Verfahren sowie der Umsetzung der Panelentscheide könnte zudem die Wirtschaft besser einschätzen, ob und wie ein Streitfall gelöst wurde. Bestrebungen der USA, Streitparteien größeren Einfluss auf die Entscheidungen im DSP zu gewähren, sind kritisch zu beurteilen. Ebenso problematisch für eine schnelle und effektive Streitbeilegung ist die Initiative der Entwicklungsländer, weniger entwickelten Ländern verlängerte Fristen in den Verfahren zu gewähren. Nicht-tarifäre Handelshemmnisse (NTB) belasten in großer Zahl und oft durch ihre Komplexität den Welthandel enorm. Zahlreiche NTBs werden nur befristet angewendet oder unterliegen keinen WTO-Regeln. Deshalb ist die Initiative in der WTO bedeutend, einen sogenannten „Horizontalen Mechanismus“ zur Lösung von NTB zu vereinbaren. Ziel ist es, einen Schlichtungsmechanismus für Probleme im NTB-Bereich zu schaffen, der unabhängig von den WTO-Regeln einvernehmliche und schnelle Lösungen ermöglicht. Innerhalb der Doha-Runde konnte der Mechanismus bisher nicht vereinbart werden. Aufgrund des Stillstands in den Verhandlungen sollte versucht werden, dieses für alle Mitglieder sinnvolle Instrument losgelöst zu beschließen. Eine solche zusätzliche und unkomplizierte Vermittlungsmöglichkeit könnte Handelsprobleme ausräumen, die über die aufwendige und formelle Streitschlichtung der WTO nicht gelöst werden können. Die seit der WTO-Ministerkonferenz von Doha im Jahr 2001 alle drei Jahre stattfindende Überprüfung des Vertragswerks zu Technischen Handelshemmnissen (Technical Barriers to Trade Agreement, TBT) ist ebenfalls hilfreich, um potenzielle NTBs durch transparentes Vorgehen zu vermeiden. Diese Maßnahme alleine hilft aber kaum gegen die hohe Zahl an NTBs im Welthandel.

Empfehlungen  Aufwand und Dauer des Streitschlichtungsverfahrens sollten gesenkt und die Transparenz über laufende Verfahren unter Wahrung des Schutzes sensibler Daten verbessert werden.  Die Kapazitäten des WTO-Sekretariats und des Berufungsorgans sollten an die gestiegenen Anforderungen angepasst werden.  Eine Politisierung der Verfahren und verlängerte Fristen für Entwicklungsländer sollte vermieden werden.  Der horizontale Mechanismus zur Schlichtung von Konflikten über potenzielle NTBs sollte unabhängig von der DDA rasch beschlossen und implementiert werden.

Plurilaterale Abkommen innerhalb und außerhalb der WTO Plurilaterale Abkommen sind Verträge zwischen mehreren, jedoch nicht allen WTO-Staaten. Sie bieten einer Gruppe gleichgesinnter Länder die Möglichkeit, den Handel für ausgewählte Bereiche stärker zu liberalisieren und strengere Regeln zu setzen, als dies in multilateralen Übereinkünften politisch erreichbar ist. Sofern es anderen WTO-Mitgliedern offensteht, sich den Abkommen anzuschließen, kann so eine schrittweise Multilateralisierung der Vereinbarungen erreicht werden.90 Wenn plurilaterale Abkommen das Prinzip der Meistbegünstigung (most favoured nation, MFN) anwenden, können auch Nicht-Mitglieder profitieren. Dem MFN-Prinzip zufolge müssen Zugeständnisse, die einem WTO-Mitglied eingeräumt werden, auch allen anderen WTO-Mitgliedern gewährt werden. Allerdings können plurilaterale Abkommen auch Anreize für Trittbrettfahrer setzen, da Drittländer nicht an ihre Regeln gebunden sind. Deshalb

Patrick Low, WTO Decision-Making for the Future, 2011, http://www.wto.org/english/res_e/reser_e/ersd201105_e.pdf. 90

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wird versucht, bei plurilateralen Abkommen eine kritische Masse von teilnehmenden Staaten zu erreichen (critical mass). Dieses Kriterium wird dann erreicht, wenn die Teilnehmer ungefähr neunzig Prozent des weltweiten Warenhandels für den entsprechenden Regulierungsbereich abdecken. Ist diese Reichweite erreicht, besteht für die Vertragsparteien kaum mehr ein Anreiz, MFN auszusetzen. Beim derzeit geplanten Dienstleistungsabkommen (TiSA, siehe unten), das außerhalb der WTO verhandelt wird, wäre es möglich, die Meistbegünstigung auf Grundlage des GATS auszusetzen. Artikel V des GATS erlaubt dies, wenn ein Dienstleistungsabkommen bei der Liberalisierung eine „substantielle Sektorabdeckung“ erzielt. Das GATT sieht eine entsprechende Ausnahmeregelung für das MFN-Prinzip in Artikel XXIV vor. Allerdings gibt es auch hier Voraussetzungen, insbesondere, dass im Wesentlichen der gesamte Handel liberalisiert wird. Auf Basis dieses GATT-Artikels ist es somit kaum möglich, themen- oder sektorenbezogene plurilaterale Abkommen ohne MFN zu rechtfertigen.91 Das Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen unterliegt aufgrund eines im Konsens getroffenen Beschlusses im Marrakesch-Abkommen von 1994 nicht der Meistbegünstigung. Plurilaterale Abkommen unterliegen bei der WTO denselben Regeln wie die übrigen Präferenzabkommen.92 Mit dem Transparenzmechanismus von 2006 haben sich die WTO-Mitglieder verpflichtet, alle ihre Präferenzabkommen bei der WTO zu notifizieren. In der Geschichte des GATT beziehungsweise der WTO gibt es mehrere Beispiele für plurilaterale Abkommen, denen sich im Laufe der Zeit immer mehr Staaten angeschlossen und die so zu einer weiteren Liberalisierung geführt haben. Zu den plurilateralen GATT-/WTO-Abkommen gehören beispielsweise diejenigen über zivile Luftfahrt, öffentliches Auftragswesen und über Informationstechnologien. Dem GATS unterliegt das Sektorabkommen über Finanz- und Telekommunikationsdienstleistungen. Mit dem Chemical Tariff Harmonization Agreement (CTHA) verständigte sich eine Gruppe von WTO-Mitgliedern (Kanada, die Europäische Union, Japan, Korea, Singapur, Schweiz und die USA) während der Uruguay-Runde auf eine Zollharmonisierung bei Chemiegütern. Das CTHA trat 1995 in Kraft und wird derzeit von 49 WTO-Mitgliedern, unter anderem der Europäischen Union, den USA und Japan angewandt.93 Viele große Länder wie Indien und Brasilien sind nicht Teil des Abkommens, profitieren allerdings ebenfalls von den auf niedrigem Niveau harmonisierten Chemiezollsätzen der CTHA-Unterzeichner. Plurilaterale Abkommen führen zu einem WTO-System der zwei Geschwindigkeiten.94 WTO-Mitglieder, die sich an einem plurilateralen Abkommen nicht beteiligen wollen, können entsprechend wenig Einfluss auf die Verhandlungen nehmen.95 Viele Entwicklungsländer sehen dies kritisch. Sie fürchten, dass Marktentwicklungen sie zwingen könnten, einem Abkommen beizutreten (beispielsweise durch Ratings von Länderratingagenturen), dessen Regeln sie nicht mitverhandelt haben. WTO-Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen Das erste Abkommen zum öffentlichen Beschaffungswesen wurde 1979 unterzeichnet und trat 1981 mit 10 Mitgliedern (die EG als eines gezählt) unter dem Namen „GATT-Kodex Regierungskäufe“ in Kraft.96 1994 wurde es in veränderter und erweiterter Form als „Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen“ (Agreement

Die sogenannte „enabling clause“ sieht im Rahmen der Sonderbehandlung von Entwicklungsländern eine weitere Möglichkeit vor, MFN auszusetzen, s.u. Kapitel „Zunahme präferenzieller Handelsabkommen“. 92 S. dazu auch Kapitel “Präferenzieller Handelsabkommen“. 93 Office of the United States Representative, Chemicals, https://ustr.gov/issue-areas/industry-manufacturing/industry-initiatives/chemicals (eingesehen am 24.2.2016). 94 John Odell, Strengthening the Multilateral Trading System, A Grand Bargain to Save the WTO from Declining Relevance, Think Piece for the E15 Expert Group on the Functioning of the WTO, August 2013, S. 3. 95 Brendan Vickers, Strengthening the Multilateral Trading System, The Relationship between Plurilateral Approaches and the Trade Round, Think Piece for the E15 Expert Group on the Functioning of the WTO, 2013, S. 3. 96 Sue Arrowsmith,Robert D. Anderson, The WTO Regime on Government Procurement: Challenge and Reform, S. 14, Cambridge University Press, 2011 91

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on Government Procurement, GPA) in das WTO-Regelwerk übernommen – dabei wurden erstmals Dienstleistungsaufträge einbezogen. Nach einem weiteren jahrelangen Reformprozess trat im April 2014 eine reformierte Fassung des GPA in Kraft.97 Das Übereinkommen macht einen erheblichen Teil der öffentlichen Ausschreibungen der Vertragsstaaten für Unternehmen aus dem Kreis der Vertragsstaaten des Abkommens zugänglich. Es enthält wichtige Mindestvorgaben für ein transparentes Vergabeverfahren, darunter vor allem Verpflichtungen zu Transparenz und Nichtdiskriminierung sowie das Gebot eines effektiven Rechtsschutzes. Diese Vorgaben binden zum Beispiel auch die EU und ihre Mitgliedstaaten hinsichtlich der Gestaltung ihrer Vergabevorschriften. Dementsprechend sind die Vorgaben des GPA sowohl in den EU-Richtlinien für öffentliche Aufträge als auch in ihren nationalen Umsetzungen berücksichtigt.

Überblick über das WTO-Abkommen zum öffentlichen Beschaffungswesen (GPA) Das GPA gilt für große Vergaben öffentlicher Auftraggeber im Kreise der Vertragsparteien ab bestimmten Mindestauftragsvergaben („Schwellenwerten“). Diese Schwellenwerte sind in den Anhängen zum Abkommen festgelegt. Das GPA enthält für die Vertragsparteien zwingend zu beachtende Bestimmungen zu folgenden Aspekten: 1. Mindestvorgaben für das Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge, dazu zählen vor allem:  Grundsätze der Transparenz und der Nichtdiskriminierung von Bietern,  Mindestvorgaben für wichtige Elemente des Vergabeverfahrens, darunter auch Regelungen zur elektronischen Auftragsvergabe,  Mindestvorgaben für den Rechtsschutz bei fehlerhafter Auftragsvergabe,  Vorschriften zur Streitbeilegung in diesem Bereich,  Regelungen zur Ausdehnung des Geltungsbereichs und Beseitigung noch bestehender diskriminierender Maßnahmen durch weitere Verhandlungen.

97

Im April 2014 hatten zehn Vertragsparteien das überarbeitete Abkommen ratifiziert. Für weitere GPA-Mitglieder trat die revidierte Version mit Ratifizierung in Kraft. Am 18.09.2015 hatten lediglich die Schweiz und Südkorea noch nicht ratifiziert.

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2. Bestimmungen zum Geltungsbereich des Abkommens (coverage)  In Artikel II des GPA und in den Anhängen zum Abkommen ist der Geltungsbereich des GPA im Einzelnen festgelegt. In den Anhängen finden sich Festlegungen bezüglich der -

zur Anwendung des Abkommens verpflichteten Behörden,

-

erfassten Liefer-, Dienst- und Bauleistungen,

-

im Einzelnen geltenden Schwellenwerte, ab denen das Abkommen Anwendung findet und

-

Ausnahmen vom Anwendungsbereich.

 Nach dem 2014 neu gefassten GPA bestehen für die einzelnen Vertragsparteien je sieben Anhänge bezüglich folgender Bereiche: -

zentrale Regierungsdienststellen,

-

subzentrale Regierungsdienststellen,

-

sonstige Stellen,

-

Lieferleistungen,

-

Dienstleistungen,

-

Bauleistungen und –konzessionen sowie

-

Allgemeine Anmerkungen.

Gegenwärtig hat das GPA die folgenden Vertragsparteien: Armenien, die EU einschließlich ihrer 28 Mitgliedstaaten, Hong Kong/China, Island, Israel, Kanada, Japan, Korea, Liechtenstein, die Niederlande mit Bezug auf Aruba, Norwegen, Montenegro, Neuseeland, Singapur, Schweiz, Chinese Taipei und die USA. Diese 17 Vertragsparteien umfassen 45 der insgesamt 162 WTO-Mitglieder. Weitere 30 Mitglieder der WTO folgen den Beratungen zum GPA als Beobachter. Zehn Staaten mit Beobachterstatus, darunter Australien, China und die Ukraine, verhandeln zurzeit über einen Beitritt. Weitere sechs WTO-Mitglieder haben sich im Rahmen ihres Beitritts zur WTO verpflichtet, ebenfalls Verhandlungen über den GPA-Beitritt aufzunehmen, darunter Russland und Saudi-Arabien.98 Mit dem 2014 in Kraft getretenen überarbeiteten GPA wurde eine Modernisierung der Regelungen wie beispielsweise zur elektronischen Vergabe und eine Ausweitung des Anwendungsbereichs erreicht. Ferner wurden Regelungen geschaffen, die es Entwicklungsländern erleichtern sollen, dem Abkommen beizutreten. Nach Schätzungen des WTO-Sekretariats liegen die Gewinne, die sich durch die Erweiterung des Abkommens für Unternehmen der GPA-Vertragsparteien beim Marktzugang ergeben, zwischen 80 und 100 Milliarden US-Dollar jährlich.99 Das GPA gilt als bedeutendes WTO-Abkommen, da es einen besseren gegenseitigen Zugang zu öffentlichen Aufträgen schafft und die Transparenz von Beschaffungsverfahren auf internationaler Ebene stärkt. Schwächen des GPA bestehen jedoch selbst nach der jüngsten Reform noch darin, dass in einigen Bereichen immer noch nennenswerte Ausnahmen existieren. Auch gibt es nach wie vor strukturelle Unterschiede zwischen den Marktöffnungsverpflichtungen der Vertragsparteien. So hat Europa seine Märkte grundsätzlich sehr weitgehend geöffnet, und zwar auch auf der Ebene regionaler und lokaler Behörden. Dagegen haben in den USA beispielsweise

98

WTO, Agreement on Government Procurement, Parties, Observers and Accessions, <https://www.wto.org/english/tratop_e/gproc_e/memobs_e.htm> (eingesehen am 29.03.2016) 99 WTO, Revised WTO Agreement on Government Procurement to Come into Force on 6 April 2014, 2014, http://www.wto.org/english/news_e/news14_e/gpro_07apr14_e.htm (eingesehen am 24.2.2016).

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nur 37 Bundesstaaten Öffnungsverpflichtungen übernommen, zudem teils mit erheblichen Ausnahmen. Auch die Höhe der Schwellenwerte divergiert teilweise deutlich zwischen den Vertragsparteien. So ist der Schwellenwert für Vergaben von Baudienstleistungen auf subzentraler Ebene in Japan beispielsweise dreimal höher als für entsprechende Aufträge in der EU.100 Außerdem umfasst das Abkommen bis jetzt im Wesentlichen nur Industriestaaten. Entwicklungs- und Schwellenländer sind dem GPA bislang weitgehend ferngeblieben, darunter auch viele bedeutende Schwellenländer. Selbst China ist dem GPA noch nicht beigetreten, obwohl es sich bereits mit der WTO-Mitgliedschaft im Jahr 2001 zu Beitrittsverhandlungen verpflichtet hat. Im Rahmen des bereits seit langem laufenden Beitrittsprozesses hat China bisher nur Beitrittsofferten vorgelegt, deren Marktöffnungsniveau weitaus geringer als das aller GPAVertragsparteien war. Deshalb wurden diese Offerten von den GPA-Mitgliedern bisher stets abgelehnt. Für eine weltweite Liberalisierung der Vergabemärkte ist es besonders wichtig, dass China baldmöglichst ein für die GPA-Vertragsparteien akzeptables Beitrittsangebot vorlegt und dem Abkommen damit zügig beitreten kann. Auch weitere Staaten sollten für einen Beitritt gewonnen werden. Das GPA ist auf seinem Gebiet das wichtigste Instrument der WTO, da weder GATT noch GATS ausdrücklich bindende Verpflichtungen im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens enthalten.101 Die zum GPA laufenden Verhandlungen im Rahmen der Doha-Runde über Transparenz im öffentlichen Auftragswesen wurden 2004 aufgrund der gravierenden Interessengegensätze der WTO-Mitglieder ausgesetzt. Die multilateralen Verhandlungen unter dem GATS102 zum öffentlichen Beschaffungswesen – verhandelt wird im Rat für den Handel mit Dienstleistungen (Council for Trade in Services) beziehungsweise in der Arbeitsgruppe für GATS-Regeln (Working Party on GATS Rules) – haben bislang ebenfalls zu keinen Ergebnissen geführt. Strittig ist, welche Bereiche des öffentlichen Beschaffungswesens durch das GATS-Mandat abgedeckt werden. Während einige der Meinung sind, dass die Themen Marktzugang, Nicht-Diskriminierung und Transparenz unter dem Mandat verhandelt werden können, lehnen andere WTO-Mitglieder dies strikt ab. Die Arbeit geht entsprechend langsam voran. So diskutiert die Arbeitsgruppe für GATS-Regeln im Bereich der öffentlichen Beschaffung hauptsächlich über Arbeitspapiere von Mitarbeitern des WTO-Sekretariates. Diese analysieren beispielsweise die Verpflichtungen auf dem Gebiet der öffentlichen Beschaffung in anderen Präferenzabkommen sowie wirtschaftlichen Integrationsabkommen.103 Substantielle Ergebnisse sind auf diesem Wege derzeit nicht absehbar. Die Verhandlungen über Transparenzmaßnahmen im öffentlichen Auftragswesen sollten wieder auf die politische Agenda gesetzt werden. Ein multilaterales Transparenzabkommen würde dazu beitragen, auch Staaten, die bisher dem Abkommen ferngeblieben sind, durch Aufstellung von Mindestanforderungen mit einem geordneten und transparenten Beschaffungswesen vertraut zu machen. So könnte ein Transparenzabkommen Wegbereiter für eine künftige Erweiterung des Mitgliederkreises des GPA werden und zu dessen Multilateralisierung beitragen.

100

WTO, Revised WTO Agreement on Government Procurement, 2014, Appendix I, Annex II (EU/Japan). s. Artikel III, 8a GATT bzw. Artikel XIII, 1 GATS. 102 Das GATS mandatiert die WTO-Mitglieder, über öffentliche Auftragsvergabe zu verhandeln, siehe Artikel XIII, 2 GATS. 103 WTO Secretariat, WTO Working Party on GATS Rules, Report of the Meeting Held on 18 March 2015, S/WPGR/M/86; Anmerkung: Quellenangaben zu den genannten Arbeitspapieren befinden sich im genannten Bericht (s. S.2). 101

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Empfehlungen  Die Mitglieder des GPA müssen mit Nachdruck darauf hinarbeiten, dass neue Mitglieder zu angemessenen Bedingungen beitreten. Zuallererst sollte China signalisiert werden, dass die Abgabe eines akzeptablen Angebots überfällig ist.  Die Verhandlungen über Transparenzmaßnahmen im öffentlichen Auftragswesen sollten so bald wie möglich wieder aufgenommen werden. Ein solches Abkommen würde die Transparenz in Ausschreibungsverfahren insbesondere in den Staaten verbessern, die dem GPA nicht beigetreten sind. Zugleich könnte ein multilaterales Transparenzabkommen Wegbereiter für ein multilaterales GPA sein.

Informationstechnologie-Abkommen Das Informationstechnologie-Abkommen (Information Technology Agreement, ITA) wurde auf der WTO-Ministerkonferenz in Singapur 1996 ins Leben gerufen und trat 1997 in Kraft.104 Zu den Begründern des ITA gehörten die EU, die USA, Japan, Kanada, die Schweiz und die Türkei. Bei Beitritt verpflichten sich die Beteiligten zur Zollreduktion für die vom Abkommen erfassten Produkte, beispielsweise PC-Zubehör, Peripheriegeräte, elektrische Komponenten wie Halbleiter und PC-Software. Das Abkommen schreibt die Anwendung des Meistbegünstigungsprinzips vor und beseitigt bürokratische Hürden in Bezug auf Ursprungsregeln.105 Das ITA deckt heute ein Handelsvolumen im Wert von über vier Billionen US-Dollar jährlich ab. Die Zahl der Vertragsparteien ist stetig gestiegen, von ursprünglich 29 Unterzeichnern auf 81 Mitglieder im August 2015 (einschließlich der 28 EU-Mitgliedstaaten). Diese Länder decken mit rund 97 Prozent eine kritische Masse des globalen Handels mit Informations- und Technologiewaren ab.106 Durch technologische Fortschritte und eine kontinuierliche Weiterentwicklung des IKT-Sektors war es überfällig, den Anwendungsbereich des Abkommens zu erweitern. 15 Jahre nach Inkrafttreten von ITA verständigte sich eine Gruppe von ITA-Mitgliedern, eine Erweiterung und Aktualisierung des Abkommens (ITA II) zu verhandeln. Im Juli 2015 einigten sich nahezu alle der 54 Verhandlungsteilnehmer auf eine um 201 Produkte erweiterte Liste und eine gemeinsame Erklärung zur Umsetzung von ITA II. Zu den Produkten gehören beispielsweise neue Halbleiter, GPS-Navigationsgeräte, Ultraschall-Scanner und Druckerzubehör wie Farbkartuschen. Nicht abgedeckt sind Farbfernseher und diverse optische Komponenten. Nach Berechnungen der WTO weist der Handel mit den neu erfassten Produkten einen jährlichen Wert von über 1,3 Billionen US-Dollar auf. Das entspricht etwa sieben Prozent des Welthandels.107 Zur Vermeidung nicht-tarifärer Handelshemmnisse ist ein weiterer Dialog vorgesehen; darüber hinausgehende Vereinbarungen konnten noch nicht erzielt werden. Indem man sich über die konkreten Abbaustufen und -fristen für die Zölle einigte, konnten am Rande der WTOMinisterkonferenz Mitte Dezember 2015 die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden. Im Juli 2016 sollten demnach die ersten Zollsenkungen wirksam werden. Bei einer planmäßigen Umsetzung würden die letzten Zölle Mitte 2019 eliminiert und auf Null gebunden.108 Zu den Parteien gehören neben den EU-Mitgliedstaaten auch die USA, China, Japan, Korea und Taiwan. Von den 54 WTO-Mitgliedern, die ITA II verhandelt haben,

Vgl. WTO, Information Technology Agreement – Introduction, www.wto.org/english/tratop_e/inftec_e/itaintro_e.htm (eingesehen am 24.2.2016). 105 OECD, Trade Policy Implications of Global Value Chains, Paris 2013 106 WTO, Information Technology Agreement, https://www.wto.org/english/tratop_e/inftec_e/itaintro_e.htm (eingesehen am 24.2.2016). 107 Siehe ebenda. 108 Die Zollabbaufristen (schedules) sind auf der WTO-Homepage abrufbar: <https://docs.wto.org/dol2fe/Pages/FE_Search/FE_S_S006.aspx?Query=(%20@Symbol=%20g/ma/w/117*%20)&Language=ENGLISH&Context=FomerScriptedSearch&languageUIChanged=true#> (eingesehen am 30.3.2016). 104

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hat lediglich die Türkei bislang den Abschluss nicht akzeptiert. Durch die Zollunion mit der EU ist das Land jedoch gezwungen, ebenfalls die Zölle für die vereinbarten Produkte entsprechend zu beseitigen. Da die Vertragsparteien rund 90 Prozent des Welthandels mit diesen IT-Produkten abdecken, wird die Meistbegünstigung angewendet. Das heißt, dass die Zollsenkungen allen WTO-Mitgliedern zugute kommen werden.109

Empfehlungen  ITA II sollte fristgerecht umgesetzt werden.  Auch zum Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse sollten schnellstmöglich Vereinbarungen in das Abkommen aufgenommen werden.  Die Mitgliedschaft von ITA und ITA II sollte erweitert werden. Die Produktlisten müssen regelmäßig überprüft und erweitert werden. Plurilaterales Abkommen über „Umweltgüter“ Im Juli 2014 nahmen 17 Mitgliedsstaaten der WTO, darunter die EU, die USA und China, plurilaterale Verhandlungen über ein Abkommen zur Liberalisierung sogenannter „Umweltgüter“ auf (Environmental Goods Agreement, EGA). Ausgangsbasis der Verhandlungen ist eine Vereinbarung der 21 Länder des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsrats (APEC) von 2012. Diese sieht vor, dass für eine Liste von 54 Produkten bis Ende 2015 die Zölle auf fünf Prozent oder weniger gesenkt werden. Ziel der EGA-Verhandlungen ist, die APEC-Liste deutlich zu erweitern und weitgehendere Zollabbaupflichten festzulegen.110 Auf multilateraler Ebene hatte man in der seit 2001 laufenden Verhandlungsrunde der WTO vergeblich versucht, Zollsenkungen für „Umweltgüter“ zu vereinbaren. Dies liegt an sehr unterschiedlichen Vorstellungen der inzwischen 162 Mitgliedstaaten, was unter einem „Umweltgut“ zu verstehen ist. In der neuen Initiative wird deshalb ohne explizite Definition ausschließlich über Produktlisten verhandelt. Bei dem Abkommen soll die Meistbegünstigung angewendet werden, das heißt, dass die Zollvorteile allen WTOMitgliedern zugutekommen würden. Während dies im Sinne der WTO-Prinzipien wünschenswert ist, führt es zwangsläufig zu Trittbrettfahren (free riding) vieler großer WTO-Mitglieder. Nachdem die Verhandlungsführer bereits verschiedene politisch angestrebte Abschlusstermine verpasst haben, gilt inzwischen eine Einigung im Jahr 2016 als wahrscheinlich. Die EU will gegen den bisherigen Widerstand der übrigen Verhandlungspartner durchsetzen, dass man sich spätestens bei einer Revision des Abkommens auch auf substantielle Liberalisierungen für Umweltdienstleistungen und die Vermeidung nicht-tarifärer Handelshemmnisse verständigt. Eine liberale Welthandelsordnung kann den Klimaschutz fördern. Umweltfreundliche Produkte und Dienstleistungen können ohne Zollbelastungen und andere Handelshemmnisse preiswerter angeboten werden. Indem moderne Umwelttechnik einfacher, schneller und günstiger verfügbar ist, kann sie verstärkt auch in Schwellenund Entwicklungsländern eingesetzt werden. Freier Handel bringt Wohlstand, und weltweiter Wohlstand fördert die Nachfrage nach höheren Standards im Umweltschutz. Ein Handelsabkommen über Umweltgüter birgt jedoch auch Risiken. Mangels einer einheitlichen und objektiven Definition von „Umweltgütern“ besteht die Gefahr, dass politisch ausgehandelte Listenregelungen Produkte mit vergleichbarer Umweltwirkung oder notwendige Vorprodukte diskriminieren, der Ansporn zu umfassenden Zollsenkungen sinkt und neue bürokratische Hür-

109

WTO, Briefing note: The Expansion of Trade in Information Technology Products (ITA Expansion), <https://www.wto.org/english/news_e/news15_e/itabriefingnotes161215_e.pdf>. 110 Europäische Kommission, The Environmental Goods Agreement (EGA): Liberalising Trade in Environmental Foods and Services, <http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=1116> (eingesehen am 30.3.2016).

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den geschaffen werden. Ein Risiko besteht beispielsweise dadurch, dass zusätzliche Prüf- und Dokumentationspflichten entstehen. Letztlich ist eine wissenschaftlich nicht gerechtfertigte Unterteilung in „Umweltgüter“ und „Nicht-Umweltgüter“ abzulehnen.

Empfehlungen  Den größten Beitrag zur Verbreitung von Umwelttechnologie würde ein umfassendes Abkommen zum Abbau von Handelsschranken über alle Sektoren hinweg entlang der gesamten Wertschöpfungsketten im Rahmen der WTO leisten. Der zügige und möglichst weitreichende Zollabbau bei Industriegütern sollte daher eine Priorität der WTO-Mitglieder bleiben.  Plurilaterale Sektorabkommen wie das EGA sollten neue Handelsverzerrungen minimieren und neue Zollbürokratie vermeiden. Abkommen zum Dienstleistungshandel (TiSA) Eine Koalition von WTO-Mitgliedern, die sich really good friends of services nennen, haben im März 2013 Verhandlungen über ein Abkommen zum Dienstleistungshandel (Trade in Services Agreement, TiSA) aufgenommen. Unter den 23 Verhandlungspartnern111 ist auch die Europäische Union. Nach Angaben des United States Trade Representative (USTR) decken die Verhandlungspartner rund zwei Drittel des Welthandels an Dienstleistungen ab und stehen für einen Dienstleistungsmarkt in Höhe von 30 Billionen US-Dollar.112 Wichtige aufstrebende Märkte wie Brasilien sind bisher allerdings nicht an den Verhandlungen beteiligt. China hat seine Teilnahme beantragt. Das TiSA soll den Dienstleistungshandel liberalisieren. Das Abkommen basiert auf dem GATS und soll zu einer Öffnung der Märkte für Finanzdienstleistungen, E-Commerce bis hin zu maritimen Verkehrsdienstleistungen führen. Es gilt als unwahrscheinlich, dass von Beginn an das Prinzip der Meistbegünstigung angewendet wird. Die Europäische Union spricht sich für ein Aussetzen des Prinzips aus, solange die Vertragsparteien keine kritische Masse des Welthandels in den abgedeckten Dienstleistungen ausmachen. Einigkeit besteht darüber, dass eine Beitrittsklausel für neue Mitglieder vorgesehen und langfristig eine Multilateralisierung des Abkommens ermöglicht werden sollte. Andere WTO-Mitglieder kritisieren die Verhandlungen allerdings als exklusiv und intransparent. Umso wichtiger ist es, dass die an den TISA-Verhandlungen beteiligten Länder regelmäßig über den Stand der Gespräche berichten. Empfehlungen  TiSA ist ein pragmatischer Ansatz, um weitreichendere Regeln für den Dienstleistungshandel für Länder zu schaffen, die ihre Märkte stärker öffnen wollen. Davon würde auch die deutsche Industrie profitieren.  Die Verhandlungen sollten allerdings transparent geführt werden und multilateralen Vereinbarungen im Dienstleistungsbereich nicht entgegenstehen. TiSA sollte ein Wegbereiter für ambitionierte WTO-Regeln in diesem Bereich werden.

111

Europäische Kommission, Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, <http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/tisa/index_de.htm> (eingesehen am 29.3.2016). 112 USTR, The President’s Trade Policy Agenda: Supporting Jobs and Economic Growth through Trade, Washington D.C. March 2014, http://www.ustr.gov/sites/default/files/Chapter%20I%20The%20Presidents%20Trade%20Policy%20Agenda.pdf.

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Präferenzielle Handelsabkommen Seit Abschluss der Uruguay-Runde 1994 ist die Zahl präferenzieller Handelsabkommen (engl.: Preferential Trade Agreements, PTAs) dramatisch angestiegen.

Arten von präferenziellen Handelsabkommen (PTAs) Unter PTAs werden generell Abkommen zur gegenseitigen präferenziellen Behandlung verstanden. Dabei können die folgenden Arten von PTAs unterschieden werden:  Ein Freihandelsabkommen (engl.: free trade agreement – FTA) ist ein Vertrag zwischen zwei oder mehr Parteien, in welchem Zölle und andere Handelsbarrieren zwischen den Zollgebieten in Handelsbereichen beseitigt werden.  Eine Zollunion (engl.: customs union - CU) ist ein Abkommen, unter dem zwei oder mehr Vertragsparteien ein gemeinsames Zollgebiet gründen, weitestgehend alle Zölle und andere Handelsbarrieren untereinander eliminieren und darüber hinaus einen gemeinsamen Außenzolltarif festlegen. Eine Zollunion erfordert ein entsprechend höheres Maß an Koordination und Harmonisierung der Außenhandelspolitiken der Vertragsparteien gegenüber Drittstaaten.  Ein Teilabkommen (engl.: partial scope agreement – PSA) ist ein Abkommen, unter dem sich zwei oder mehr Länder gegenseitig Zugeständnisse in ausgewählten Produkten oder Sektoren tarifärer wie nichttarifärer Art einräumen.  Wirtschaftliche Integrationsabkommen im Dienstleistungshandel (engl.: economic integration agreement in services – EIA) sind Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen, unter denen sich zwei oder mehr Parteien gegenseitig einen bevorzugten Marktzugang ermöglichen.

Arten von geltenden PTAs Notifizierte Abkommen, 2016 (in Prozent)

FTA & EIA 39%

45%

PSA CU CU & EIA FTA

4% 6%

6%

Quelle: WTO, List of all RTA’s in Force, <http://rtais.wto.org/UI/PublicAllRTAList.aspx> (eingesehen am 8.3.2016). Eigene Darstellung. Anmerkung: Von EIA und PSA existieren nur 1 bzw. 0 Abkommen, daher wurden sie aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht in die Grafik aufgenommen.

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Bis zum 1. Februar 2016 waren bei der WTO 625 PTAs registriert (Waren und Dienstleistungen werden separat gezählt); 431 davon unter GATT Artikel XXIV, 41 unter der Enabling Clause und 153 unter Artikel V des GATS.113 Von den 625 PTAs sind 419 in Kraft. Mehr als 80 Prozent der PTAs, die zurzeit in Kraft sind, sind Freihandelsabkommen, mehr als 10 Prozent sind Zollunionen.114 Die EU arbeitet derzeit an 20 präferentielle Handelsabkommen mit über 60 Ländern.115 Derzeit werden Verhandlungen über zwei sogenannte Mega-PTAs geführt: Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen der Europäischen Union und den USA und die Transpazifische Partnerschaft zwischen zwölf pazifischen Ländern (Australien, Brunei, Chile, Japan, Malaysia, Neuseeland, Peru, Singapur, Vietnam, Kanada, Mexiko und die USA). Die an beiden Verhandlungen beteiligten Parteien hatten laut UNCTAD-Schätzungen 2014 jeweils einen Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt von 47 beziehungsweise 36 Prozent.116 Kompatibilität zwischen WTO und PTAs Ziel der WTO ist es, einen möglichst diskriminierungsfreien und liberalen Welthandel sicherzustellen. Entsprechend haben sich die WTO-Mitglieder zu einer Reihe von Prinzipien verpflichtet, allen voran der Nicht-Diskriminierung (Meistbegünstigung und Inländerbehandlung). Um Diskriminierung zwischen den WTO-Mitgliedern zu verhindern, schreibt Artikel I des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) den Grundsatz der Meistbegünstigung fest. GATT-Artikel III schreibt den Grundsatz der Inländerbehandlung (National Treatment) fest. Nachdem eine Ware die Grenze überschritten hat, muss diese wie eine inländische Ware behandelt werden. PTA sind eine Abweichung vom Prinzip der Nicht-Diskriminierung. Das WTO-Regelwerk erlaubt dennoch PTAs unter der Annahme, dass diese einen Zwischenschritt im multilateralen Liberalisierungsprozess darstellen können. Um negative Effekte auf Drittländer zu vermeiden, müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein. Diese unterscheiden sich für Präferenzmaßnahmen im Rahmen von Zollunionen, Präferenzmaßnahmen im Rahmen von Freihandelszonen, Präferenzmaßnahmen zugunsten der weniger entwickelten Länder. Präferenzmaßnahmen im Güterhandel werden in Artikel XXIV GATT, Präferenzmaßnahmen im Dienstleistungshandel in Artikel V GATS (General Agreement for Trade in Services) geregelt. Die sogenannte Enabling Clause gibt vor, unter welchen Bedingungen Präferenzmaßnahmen zugunsten weniger entwickelter Länder vergeben werden können (Differential and More Favorable Treatment Reciprocity and Fuller Participation of Developing Countries; Decision of November 1979). Die Absätze 4 bis 10 des GATT-Artikels legen die Bedingungen fest, unter denen Zollunionen und Freihandelszonen entstehen können. Es geht dabei um Notifizierungspflicht, Definition solcher Zusammenschlüsse, Verhalten gegenüber Drittländern etc. Den Absätzen 8a, i (Zollunionen) und 8b (Freihandelsabkommen) zufolge müssen die Zölle für annähernd den gesamten internen Handel – substantially all the trade – abgebaut werden. Zu Freihandelszonen ist außerdem vorgegeben, dass die Außenzölle der beteiligten Länder nicht höher sein sollen als vor Abschluss des Abkommens (Absatz 5b).

Mehr zu dieser Einteilung der PTA siehe Kapitel „Kompatibilität zwischen WTO und PTA“ Regional Trade Agreements, <https://www.wto.org/english/tratop_e/region_e/region_e.htm> (eingesehen am 08.3.2016). 115 Europäische Kommission, Agreements, <http://ec.europa.eu/trade/policy/countries-and-regions/agreements/> (eingesehen am 17.5.2016). 116 UNCTAD, Gross Domestic Product: Total and Per Capita, Current and Constant (2005) Prices, Annual 19702014, <http://unctadstat.unctad.org/wds/TableViewer/tableView.aspx?ReportId=96> (eingesehen am 30.3.2016). 113

114 WTO,

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In Artikel V GATS sind die Bedingungen für eine wirtschaftliche Integration im Dienstleistungsbereich nicht ganz so streng gefasst. Entsprechend müsste das Abkommen nur „einen beträchtlichen sektoralen Geltungsbereich“ haben und nicht alle Sektoren umfassen. Zusätzlich soll „praktisch jede Diskriminierung … zwischen oder unter den Vertragsparteien“ ausgeschlossen oder beseitigt werden. Ausnahmen sind somit möglich. Artikel XXIV GATT Absatz 7 verpflichtet WTO-Mitglieder, die sich einer Zollunion oder einem Freihandelsabkommen anschließen wollen, die anderen WTO-Vertragsparteien unverzüglich hiervon in Kenntnis zu setzen. Da die Notifizierungspflicht immer wieder missachtet wurde, einigten sich die WTO-Mitglieder 2006 im Allgemeinen Rat auf einen Transparenzmechanismus für PTAs (Transparency Mechanism for RTAs). Der Mechanismus ist Teil der Doha-Runde und wird nach Paragraph 47 der Doha-Agenda auf vorläufiger Basis angewendet. Die neuen Transparenzpflichten wurden außerhalb von Artikel XXIV festgeschrieben, der Mechanismus bezieht sich jedoch auf Abkommen, die unter GATT Artikel XXIV und GATS Artikel V fallen. Die Transparenzregeln sehen unter anderem die Ankündigung von PTA-Verhandlungen, Notifizierung nach Abschluss, Übermittlung der relevanten Daten und eine faktische Präsentation des Abkommens durch das WTO-Sekretariat vor. Das WTO-Sekretariat beurteilt jedoch nicht, ob das jeweilige PTA regelkonform ist. Versuche, im Rahmen der Doha-Runde die Regeln zu PTA näher zu definieren, verliefen bislang erfolglos. Insbesondere bleibt offen, wie ambitioniert PTAs sein müssen, um die Mindestanforderung der WTO zu erfüllen, „annähernd den gesamten Handel zu liberalisieren“. Die WTO-Mitglieder haben bislang von Streitschlichtungsverfahren abgesehen, um potenziell nicht regelkonforme PTAs anzugreifen. Dies könnte zu einer weiteren Klärung der Regeln beitragen. Allerdings befürchten potenzielle Kläger voraussichtlich, ebenfalls nicht vollständig WTO-konforme PTAs zu unterhalten. PTAs können als Sprungbrett für eine multilaterale Liberalisierung und Regelsetzung dienen. Während traditionelle PTAs auf den Abbau von Zöllen konzentriert waren, umfassen neuere PTAs zahlreiche WTO-Plus-Themen, die bislang nur begrenzt oder noch gar nicht Eingang in das Regelwerk der WTO gefunden haben. Dazu gehören unter anderem Investitionen, das öffentliche Auftragswesen, Wettbewerb (einschließlich Regelungen für staatliche Unternehmen) sowie Arbeits- und Umweltstandards. Teilweise sehen PTAs auch eine regulatorische Zusammenarbeit vor. Dass neue Regeln zunächst in präferenziellen Handelsabkommen erprobt werden, ist keine Seltenheit. Ein Beispiel dafür ist die Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs auf europäischer Ebene und die Einbeziehung dieses Sektors in die Verhandlungen der Uruguay-Runde des GATT (1986–1994). Außerdem können PTAs die Bereitschaft der Mitglieder zu pluri- und multilateralen Abkommen erhöhen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn von vielen WTO-Mitgliedern in PTA gemachte Zugeständnisse nur noch unter dem Dach der WTO konsolidiert werden müssen. PTAs können auch die Kompromissbereitschaft von Mitgliedern in WTO-Verhandlungen über Liberalisierungsschritte steigern, wenn sie sich potentiell durch bi- oder regionale Freihandelsabkommen anderer im Wettbewerbsnachteil sehen. Diese positive Dynamik zwischen PTA und dem multilateralen Prozess dürfte sich mit dem Ambitionsniveau und der Anzahl der PTAs verstärken. Der Anreiz zur Konsolidierung von Liberalisierungsschritten auf WTO-Ebene ist aus Wirtschaftssicht hoch, da damit weltweit einheitliche Regelungen die Transaktionskosten für die Unternehmen senken und die WTO-Streitschlichtung genutzt werden kann. Allerdings muss konstatiert werden, dass die Verhandlungen von PTAs – insbesondere zwischen den etablierten Handelsmächten – bislang die WTO-Mitglieder nicht zu gesteigertem Engagement in der WTO motiviert hat. Vielmehr scheinen PTA-Verhandlungen kurzfristig die Anreize für einen Abschluss der DDA gesenkt zu haben. Ein Grund dafür ist ein verminderter Druck auf die DDA-Verhandlungen, weil die Mitglieder mit neuem, ambitionierterem Marktzugang auf bilateralem oder plurilateralem Wege rechnen und sich damit nicht mehr so sehr auf multilaterale Lösungen angewiesen fühlen. Ein weiterer Grund ist, dass insbesondere die Industrieländer für einen wenig ambitionierten Abschluss der DDA im Markzugangsbereich wichtige Verhandlungsmasse für bilaterale und plurilaterale Verhandlungen (z.B. in Form von Zollsetzen) nicht opfern wollten.

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Empfehlungen  PTAs sollten ambitionierter sein und über den Regelungsrahmen der WTO hinausgehen. Sie müssen den WTO-Regeln entsprechen und sollten mittel- und langfristig die multilaterale Liberalisierung und Regelsetzung erleichtern.  Zur besseren Vereinbarkeit von PTAs und WTO sollte das WTO-Regelwerk für PTAs klarer und präziser gefasst werden.  Der Transparenzmechanismus der WTO muss gestärkt werden; PTAs sollten rigoroser auf ihre Kompatibilität mit dem WTO-Regelwerk untersucht werden. Zudem sollte der Transparenzmechanismus von dem Doha-Mandat losgelöst und in die dauerhafte Gültigkeit überführt werden. PTAs und Drittländer PTAs können Protektionismus und Verzerrungen zwischen den Mitgliedsländern eines solchen Abkommens beseitigen und sich für diese handelsschaffend und wohlfahrtssteigernd auswirken. Es wird Handel geschaffen, wenn durch den Abbau von Handelsbarrieren zwischen den Partnerländern der Handel steigt und die eigene Produktion oder die Importe bestimmter Waren/Dienstleistungen aus Drittländern durch billigere (d.h. effizienter hergestellte) Waren/Dienstleistungen aus dem Partnerland ersetzt werden. Ein PTA kann aber auch zu einer Diskriminierung von Drittländern mit handelsumlenkenden Effekten führen. So gewähren sich die Vertragsparteien einen besseren Marktzugang, in dessen Genuss andere WTO-Mitglieder nicht kommen. Handelsumlenkung entsteht, wenn Waren/Dienstleistungen aus dem Partnerland durch den Abbau von Handelsbarrieren einen Wettbewerbsvorteil erhalten und in der Folge der bisherige Handel mit Drittländern auf die Partnerländer umgelenkt wird – auch wenn das Drittland die betreffenden Waren/Dienstleistungen effizienter herstellen kann. Negative Effekte können zudem durch Präferenzerosion entstehen. Gewährt ein Land einem anderen präferenziellen Marktzugang, so hat der Präferenzpartner einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Drittländern. Schließt das Land nun ein weiteres Handelsabkommen mit einem dieser Drittländer ab, erleidet der erste Präferenzpartner eine relative Wettbewerbsverschlechterung, die zu Einkommensverlusten führen kann. PTAs müssen jedoch nicht unvermeidbar auf Kosten von Drittländern gehen. Entstehen durch ein PTA positive Einkommenseffekte in den Partnerländern, können hiervon auch Zulieferer aus Drittländern profitieren. Zudem fallen die handelsumlenkenden Effekte umso geringer aus, je niedriger die Außenzölle gegenüber Drittländern sind, desto höher der Intra-Firmen-Handel im Handel zwischen den Präferenzpartnern vor Abschluss des Abkommens ist und umso offener die Handelsgrenzen gegenüber Drittländern gestaltet sind. Besonderes Augenmerk gilt hier den präferenziellen Ursprungsregeln. Empfehlungen  PTAs sollten so ausgestaltet sein, dass handelsumlenkende Effekte so gering wie möglich ausfallen.  PTAs sollten so konzipiert sein, dass Drittstaaten einen Beitritt verhandeln können und somit eine Benachteiligung ausgeräumt werden kann.  PTAs und Ursprungsregeln Ein besonderes Problem präferenzieller Handelsabkommen besteht darin, dass sie viele verschiedene Regeln enthalten. Das betrifft vor allem die präferenziellen Ursprungsregeln (Preferential Rules of Origin, PRoO) in PTAs. Ursprungsregeln sind die Stellschrauben für die Lenkung des Warenhandels. Mit ihnen wird festgelegt,

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welche Bearbeitungsschritte oder wieviel inländischer Warenanteil am Produkt notwendig sind, damit eine Ware in den Genuss von niedrigen Zollsätzen (den Präferenzzollsätzen) kommen kann. PRoO werden in jedem Freihandelsabkommen neu ausgehandelt. Kaum ein Ursprungsprotokoll gleicht dem anderen. Sie sind zudem äußerst umfangreich. Das Ursprungsprotokoll des Freihandelsabkommens der EU mit Singapur umfasst beispielsweise 101 Seiten. Laut Erfahrungswerten der deutschen Industrie belaufen sich die administrativen Kosten der Ursprungserbringung in der Regel auf zwei bis sechs Prozent des Warenwertes. In der Wirtschaft werden PRoO daher zunehmend kritisch diskutiert. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen lohnt sich der administrative Aufwand oft nicht, so dass sie weiter den für alle WTO-Mitglieder nach dem MFNPrinzip vorgesehenen Zollsatz nutzen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der zusätzliche Gewinn durch den Präferenzzoll niedriger ist als der mit der Ursprungserbringung verbundene Kostenaufwand. Immer tiefere und globalere Wertschöpfungsketten verschärfen dieses Problem: Je häufiger einzelne Komponenten einer Ware Zollgrenzen überschreiten, desto vielfältiger und zahlreicher sind die Regeln, die zu Präferenzen berechtigen. Derzeit sind WTO-Regeln für PRoO in Freihandelsabkommen nur rudimentär. Im Rahmen des GATT sind WTOMitglieder einzig über die Vorschrift des Artikel VIII:1(c) angehalten, Formalitäten bei der Zollabfertigung in Anzahl und Komplexität gering zu halten und den Im- und Exportvorgang auch hinsichtlich seines Dokumentationsaufwandes zu erleichtern. In Anhang II des Übereinkommens über Ursprungsregeln (Gemeinsame Erklärung in Bezug auf präferenzielle Ursprungsregeln) verständigten sich die WTO-Mitglieder zudem auf einige prozedurale Anforderungen an PRoO. Dazu gehört beispielsweise, dass WTO-Mitglieder allgemein gültige Vorschriften klar definieren müssen. Zudem müssen PRoO bei der WTO notifiziert werden. Der Anhang II verlangt jedoch weder, dass PRoO in den verschiedenen PTAs eines WTO-Mitglieds einheitlich sein sollten, noch, dass sie auf verschiedene Sektoren einheitliche PRoO angewendet werden müssen.

Empfehlungen Dem Wirrwarr unterschiedlicher präferenzieller Ursprungsregeln sollte entgegengewirkt werden, indem ein strengeres WTO-Regelwerk für PRoO geschaffen wird:  Im Ursprungsprotokoll der PTAs muss zukünftig mindestens eine industrieübergreifende Regel in Form einer horizontalen Wertschöpfungsregel für alle Produkte, ausgenommen der landwirtschaftlichen Produkte der Kapitel 1 bis 24 der Kombinierten Nomenklatur, verankert werden.  Parallel gelten weiterhin alle Tarifsprungregeln und verarbeitungsspezifischen Produktregeln. Den Unternehmen muss insofern ein wirkliches Wahlrecht eingeräumt werden. Sie müssen entscheiden können, ob sie die produktspezifischen Regeln oder lieber die einfache horizontale Regel anwenden möchten. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen erleichtert dies den Markteinstieg.

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Forderungen Priorität 1: Die Handels- und Investitionsoffenheit entlang der Wertschöpfungskette verbessern!

Die globalen Wertschöpfungsketten sind exponentiell gewachsen und in ihrer Natur komplexer geworden. Dies hat wichtige Konsequenzen für die Handels- und Investitionspolitik. Um globale Handelsketten zu fördern, müssen nicht nur Hemmnisse auf Endprodukte abgebaut werden. Vielmehr ist ein Abbau von Barrieren entlang der gesamten Wertschöpfungskette notwendig. Eine weitere Handelsliberalisierung und die Rückführung protektionistischer Maßnahmen würden dem Welthandel neue Impulse verleihen, ohne staatliche Haushalte weiter zu belasten. Multilaterale Einigungen im Rahmen der WTO bleiben der Königsweg, um den Welthandel zu gestalten. Um multilaterale Lösungen vorzubereiten, sollten die Institutionen der globalen Ordnungspolitik genutzt werden, beispielsweise die G20. Forderung 1: Das Abkommen über Handelserleichterung sollte zügig und umfassend umgesetzt werden! -

Das WTO-Abkommen zu Handelserleichterungen (Trade Facilitation Agreement) sollte zügig ratifiziert und umfassend umgesetzt werden.

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Die Unterstützungsmaßnahmen für die Entwicklungsländer sollten zeitnah bereitgestellt werden, um auch in diesen Ländern eine schnelle Umsetzung zu ermöglichen. Hierfür sollten die Mittel der Global Alliance for Trade Facilitation regelmäßig überprüft und bei Bedarf aufgestockt werden.

Forderung 2: Die Themen der Doha-Agenda müssen endlich abgeschlossen werden! -

WTO-Verhandlungen: Die WTO-Mitglieder sollten neue Wege suchen, um die verbleibenden Themen der Doha-Runde (NAMA, Dienstleistungen, TRIPS, Regeln, etc.) auszuhandeln. Die DDA (einschließlich single undertaking) und diesbezügliche Beschlüsse bieten dafür keine geeignete Grundlage mehr. Sollten multilaterale Initiativen scheitern, müssen plurilaterale, möglichst inklusive und WTO-konforme Verhandlungen angestrebt werden. Entwicklungsländer sollten sich entsprechend ihrer Wirtschaftskraft zur Marktöffnung verpflichten – nicht zuletzt auch, um den noch zu schwachen Süd-Süd-Handel zu fördern. Gerade Schwellenländer müssen ihrer zunehmenden Bedeutung im Welthandel gerecht werden. Diese Forderungen gelten auch für die weiteren Handelsthemen, die nicht oder nicht mehr Teil der DDA waren (s.u.).

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Marktzugang für Industriegüter (NAMA): Dieser sollte ein zentraler Teil der WTO-Agenda bleiben. Der Marktzugang für Industriegüter sollte in den Schwellenländern deutlich verbessert und Zollsätze in den Entwicklungsländern zumindest auf das angewandte Niveau gebunden werden. Ganze Industriezweige dürfen nicht von Zollsenkungen ausgeschlossen werden. Da multilaterale und sektorübergreifende Einigungen derzeit unwahrscheinlich sind, sollten auch plurilaterale und sektorale Lösungen geprüft werden.

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Dienstleistungshandel: Multilaterale Bemühungen im Bereich des Dienstleistungshandels sollten nicht länger von einer Einigung über Agrar- und NAMA-Fragen abhängig gemacht werden. Es sollten Maßnahmen beschlossen werden, die den Handel entlang globaler Wertschöpfungsketten vereinfachen, beispielsweise durch liberalere Regeln für das Transportwesen und die Mobilität von Fachkräften. Die WTO sollte die Voraussetzungen für die Aufnahme des plurilateralen Dienstleistungsabkommens (TiSA) in das WTO-System und damit eine spätere Multilateralisierung schaffen.

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Agrarhandel: Die Entscheidungen der WTO-Ministerkonferenz 2015 zu Landwirtschaft und Entwicklung müssen zügig umgesetzt werden. Die deutsche Agrarwirtschaft und auf sie aufbauende Industrien benötigen faire internationale Wettbewerbsbedingungen. In den weiteren Verhandlungen über den Agrarhandel sollten alle WTO-Mitglieder größtmögliche Flexibilität und Einigungsbereitschaft zeigen. Der BDI fordert,

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dass die WTO marktverzerrende Maßnahmen auf multilateraler Ebene umfassend regelt und abbaut. Interne Stützmaßnahmen sollten auch für Entwicklungs- und Schwellenländer gedeckelt werden. Forderung 3: Protektionismus muss eingedämmt werden! -

G20-Stillhalteabkommen zum Protektionismus: Das G20-Stillhalteabkommen zum Protektionismus sollte nicht nur bekräftigt werden, vielmehr gehört es wieder oben auf die Agenda der Gipfeltreffen. Eine Selbstverpflichtung gegen neue Lokalisierungsverpflichtungen sollte ergänzt werden. Zudem sollte eine öffentliche Begründungspflicht für neue beziehungsweise wiederholte Beschränkungen eingeführt werden. Handelsbarrieren, die seit der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise errichtet wurden, sollten außerdem schneller wieder abgebaut werden. Die G20-Regierungen müssen mit der WTO, OECD und UNCTAD bei der Erfassung außenwirtschaftlicher Maßnahmen besser kooperieren. Im Zollbereich sollte eine G20-Verpflichtung sondiert werden, die den binding overhang möglichst beseitigt und damit dem Protektionismus vorbeugt.

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Mechanismen für die Überwachung und Berichterstattung in der WTO: Die bestehenden Instrumente und Mechanismen sollten gestärkt werden. In den regelmäßigen WTO-Berichten über die Handelspolitik der einzelnen Mitgliedsländer sollten die Barrieren nicht nur beschrieben, sondern auch bewertet werden. Zudem sollten handelsrelevante Maßnahmen konsequenter bei der WTO notifiziert werden. Die WTO-Mitglieder sollten das integrierte Portal der WTO zu Handelsmaßnahmen, I-TIP, aktiver unterstützen.

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Horizontaler Mechanismus zur Erörterung und Klärung potentieller Streitfälle bei NTBs: Da heute nicht mehr nur Zölle, sondern vor allem auch NTBs den Handel belasten, sollten diese rigoroser abgebaut werden. Der horizontale Mechanismus würde sehr hilfreich sein, um potentielle Streitfälle zu erörtern und zu klären. Dieser sollte unabhängig von der Doha-Runde schnell beschlossen werden.

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Streitbeilegung: Die WTO-Streitschlichtung sollte effizienter gestaltet werden (Kapazitäten erweitern, Verfahren beschleunigen, Transparenz erhöhen). Aufwand und Dauer des Streitschlichtungsverfahrens sollten sinken, die Transparenz über laufende Fälle unter Wahrung des Schutzes sensibler Daten zunehmen. Eine stärkere Politisierung der Verfahren und verlängerte Fristen für Entwicklungsländer müssen vermieden werden.

Priorität 2: Das multilaterale Handelssystem für das 21. Jahrhundert fit machen!

Seit dem Abschluss der Uruguay-Runde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) und der Gründung der WTO ist das Regelwerk für den Welthandel kaum weiterentwickelt worden. Entsprechend kann die WTO auf viele aktuelle Trends nur unzureichend oder gar nicht reagieren. Das Regelwerk der WTO muss daher dringend angepasst werden.

Forderung 4: Bestehende WTO-Regeln weiterentwickeln! -

Abkommen über technische Handelsbarrieren (TBT-Abkommen): Um die regulatorische Zusammenarbeit zwischen den WTO-Mitgliedern zu stärken, sollten die regelmäßigen Berichte über die Umsetzung des TBT-Abkommens und die Diskussion des Ausschusses zu einer konsequenteren Anwendung der Schlüsselprinzipien (Nicht-Diskriminierung, Harmonisierung mit internationalen Standards, etc.) und einem erweiterten TBT-Abkommen führen. Dabei sollten zum Beispiel Definitionen, Transparenzvorschriften und Verfahren möglichst klar und präzise formuliert werden.

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Schutz des geistigen Eigentums: In dem WTO-Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPs) sind bisher nur sehr grundlegende Regeln zum Schutz geistigen Eigentums festgeschrieben. Auch hier sollte das Regelwerk auf die Weise modernisiert werden, dass Innovationsprozesse in der Wirtschaft gefördert werden und Rechte des geistigen Eigentums besser durchgesetzt werden können.

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Digitaler Handel: Um den digitalen Handel zu stärken sowie Rechts- und Planungssicherheit zu schaffen, sollten offene handelsrechtliche Fragen im WTO-Recht so schnell wie möglich geklärt werden (Klassifizierung/Erbringungsform von Dienstleistungen, Jurisdiktion, etc.). Die WTO-Mitglieder sollten das Zoll-Moratorium auf Datenströme permanent rechtlich bindend machen sowie klarstellen, dass dies auch den Inhalt der Datenströme miteinbezieht. Der Handel mit digitalen Produkten sollte auch vor sonstiger Diskriminierung geschützt werden. Die technologische Neutralität aller WTO-Abkommen sollte explizit bestätigt werden. In Anbetracht der wachsenden Bedeutung des digitalen Handels muss die WTO verbindliche Regeln für den freien, sicheren und verlässlichen grenzüberschreitenden Datentransfer schaffen. Gesetzliche Lokalisierungsanforderungen sollten soweit wie möglich eingeschränkt werden. Dabei sollte die unternehmerische Freiheit, ob und welche Daten transferiert werden, nicht beschnitten werden. OECD und WTO sollten Fortschritte bei der Datensammlung und Analyse des grenzüberschreitenden E-Commerce und des internationalen Dienstleistungshandels machen, um Verhandlungsprozesse zu vereinfachen.

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Verantwortung im Welthandel: Zwischen den 162 WTO-Mitgliedern muss klarer entsprechend ihres handelspolitischen Entwicklungsstands differenziert werden, um künftig für alle Seiten faire multilaterale Vereinbarungen zu erleichtern. Schwellenländer müssen mehr Verantwortung übernehmen. Das TFA bietet erste Anregungen für eine differenzierte Verpflichtung der Mitglieder. Ziel muss mittelfristig eine systematische und grundsätzliche Klassifizierung sein, die vor allem neue Kategorien im Bereich der Entwicklungs- und Schwellenländer schafft. Die begründeten Interessen gerade der schwächsten Mitglieder müssen weiterhin besondere Beachtung finden. Gleichwohl dürfen Ausnahmeregelungen und Vorzugsbehandlung nicht die Kernanliegen und Grundprinzipien der WTO dauerhaft aushöhlen. Ausnahmeregeln und Übergangsfristen müssen daher effektive Enddaten haben.

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Dumping und Subventionen: Die WTO-Mitglieder sollten ihre Arbeit für klarere Regeln im Bereich Antidumping und Subventionen mit dem Ziel fortsetzen, den fairen Wettbewerb der Unternehmen auf dem Weltmarkt zu fördern und staatswirtschaftliche Praktiken einzuschränken.

Forderung 5: Plurilaterale Initiativen ambitioniert und übereinstimmend mit Zielen und Regeln der WTO gestalten! -

Öffentliches Beschaffungswesen: Der Kreis der Vertragsparteien des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (Agreement on Government Procurement, GPA) sollte deutlich ausgedehnt werden. Kurz- und mittelfristig ist es vor allem wichtig, China und weitere bedeutende Schwellenländer für einen Beitritt zum GPA zu gewinnen. Langfristig sollte der Geltungsbereich des Abkommens erweitert werden (insbesondere auf subzentraler Ebene, weniger Ausnahmetatbestände). Bestimmungen sollten konsequenter überwacht und diskriminierende Beschaffungspraktiken deutlicher kritisiert werden. Verhandlungen über ein multilaterales Transparenzabkommen für das öffentliche Auftragswesen sollten wieder aufgenommen werden.

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Informationstechnologie-Abkommen (ITA): Eine Erweiterung des ITA II konnte bei der Ministerkonferenz 2015 besiegelt werden. Nun ist eine zügige Ratifizierung durch alle beteiligten Staaten wichtig, damit die im Juli 2016 fälligen Zollsenkungen fristgerecht umgesetzt werden können. Außerdem sollten der Ankündigung nach, auch nicht-tarifäre Handelshemmnisse in dem Sektor abbauen zu wollen, bald verbindliche Vereinbarungen folgen. Im nächsten Schritt sollten weitere WTO-Mitglieder zur Unterschrift des ITA (I und II) ermutigt werden. Schließlich ist es wichtig, die Produktlisten regelmäßig zu überprüfen und zu erweitern.

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Plurilaterales Abkommen über „Umweltgüter“: Drohende negative Effekte wie neue Bürokratiekosten in der Zollabfertigung und Diskriminierungen zwischen Produkten mit ähnlicher Verwendung und Umweltnutzen

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sollten weitestgehend vermieden werden. Die Integration in die WTO sollte bei der Ausgestaltung mitkonzipiert werden. -

Trade in Services Agreement (TISA): Der Dienstleistungshandel sollte so umfassend wie möglich liberalisiert und alle wichtigen sowie interessierten WTO-Mitglieder aufgenommen werden. Das Abkommen sollte zügig in das WTO-System integriert und die Meistbegünstigung angewandt werden, sobald eine kritische Abdeckung des Welthandels erreicht ist.

Forderung 6: Neue Regeln für den Welthandel! -

Ausländische Direktinvestitionen: Die WTO-Regeln zu handelsbezogenen Investitionsmaßnahmen sollten modernisiert werden. Die G20-Staaten sollten gemeinsam über ein internationales Investitionsabkommen (Marktzugang und Investitionsschutz) nachdenken und zusammen mit der WTO diskutieren, ob ein solches Abkommen in die Welthandelsorganisation integriert werden könnte.

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Wettbewerbsregeln: Die WTO-Mitglieder sollten die Wettbewerbspolitik wieder auf die WTO-Agenda setzen. Dafür sollte unter anderem die Arbeitsgruppe zu Handel und Wettbewerbspolitik ihre Arbeit wieder aufnehmen. Das mittelfristige Ziel sollte die Verankerung angemessener internationaler Prinzipien im Sinne von best practices in der Wettbewerbspolitik sein, um langfristig zu Konvergenz und einem level playing field zu gelangen. Dies sollte internationale Prinzipien und verbesserte Transparenzvorschriften zum Wettbewerb zwischen staatlichen und privaten Unternehmen einschließen. Zudem sollten sämtliche Formen von Exportsubventionen in der WTO gleichzeitig abgebaut werden. Auch ein Verbot marktverzerrender Importsubventionen im Rohstoffbereich wie Einfuhrsteuerrabatte sollte angestrebt werden.

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Exportbeschränkungen: In der WTO sollten Exportzölle und ähnliche Abgaben wie Exportsteuern stärker geregelt und so eng wie möglich eingeschränkt werden. Gegebenenfalls können plurilaterale Vereinbarungen einen Zwischenschritt darstellen. Das kontinuierliche Monitoring der WTO-Mitglieder sollte dann gezielt dazu beitragen, dass potenzielle Verstöße in dem Bereich schnell aufgedeckt werden und angemessen darauf reagiert werden kann.

Forderung 7: Die WTO stärken und Prozesse reformieren! -

Das WTO-Sekretariat sollte für seine wachsenden Aufgaben größere finanzielle Ressourcen und mehr Gewicht und Autorität erhalten, beispielsweise bei der Beurteilung von Handelsmaßnahmen der Mitglieder und im Verhandlungsprozess. Erweiterte Kapazitäten sind auch für die Streitschlichtung notwendig.

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Transparenz und Kontrolle sind Voraussetzung für das Funktionieren des multilateralen Handelssystems. Gerade in den Feldern Monitoring der WTO und Auskunftspflichten der Mitglieder bietet sich Verbesserungspotenzial.

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Die Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse in der WTO sollten reformiert werden, nachdem das Verhandlungsprinzip des Single Undertaking (nichts ist entschieden, bevor alles entschieden ist) gescheitert ist.

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Die in Nairobi beschlossene Überprüfung der Gremienstrukturen sollte dafür genutzt werden, die WTOStrukturen neu auszurichten und zu stärken. Ziel muss sein, bei neuen und alten Themen schnellere Ergebnisse zu erzielen.

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Priorität 3: Die Kohärenz zwischen bilateralen sowie plurilateralen Freihandelsabkommen und dem multilateralen Handelsregime stärken!

Seit Abschluss der Uruguay-Runde ist die Zahl präferenzieller Handelsabkommen (Preferential Trade Agreements, PTAs), allen voran Freihandelsabkommen, dramatisch angestiegen. Bis Februar 2016 waren bei der WTO 625 PTAs registriert, von denen 419 in Kraft waren. Die vielzähligen PTAs schaffen bei all ihren Vorteilen für den Handel auch eine Unübersichtlichkeit und können kurzfristig auch Anreize für multilaterale Lösungen nehmen. Es gilt jedoch, mit ambitionierten und WTO-konformen PTAs die Grundlage für entsprechende WTORegelungen zu legen und die Vereinbarkeit von bilateralen und plurilateralen Initiativen mit dem WTO-System zu erhöhen.

Forderung 8: Freihandelsabkommen müssen ein Zwischenschritt in der multilateralen Handelsliberalisierung sein! -

Die Vereinbarkeit von Freihandelsabkommen mit dem multilateralen Handelssystem sollte durch präzisere Regeln und klarere Definitionen im Regelwerk der WTO verbessert werden.

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Die Überwachung der Freihandelsabkommen sollte ausgebaut werden, beispielsweise durch eine Weiterentwicklung des Transparenzmechanismus der WTO. Der Mechanismus muss losgelöst von der DDA als permanent vereinbart werden.

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Ein Mechanismus sollte entwickelt werden, der die Übertragbarkeit der in Freihandelsabkommen vereinbarten Regeln in das multilaterale Regime prüft.

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Die Ursprungsregeln in Freihandelsabkommen sollten durch ein präzises WTO-Regelwerk stärker vereinheitlicht werden.

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Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028-0 Autoren Dr. Stormy-Annika Mildner T: +49 30 2028-1562 s.mildner@bdi.eu Eckart von Unger T: +32 2 792-1011 e.vonunger@bdi.eu Julia Callies T: +32 2 792-1017 j.callies@bdi.eu

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