KURZBRIEFING
Flüchtlingspolitik Aktuelle Entwicklungen seit Herbst 2015
Juli 2016
Der Zustrom von Flüchtlingen ist seit Jahresanfang rückläufig. Eine dauerhafte Entspannung kann jedoch angesichts fortbestehender Fluchtursachen nicht unterstellt werden. Gleichwohl greifen erste stabilisierende Maßnahmen der deutschen und europäischen Politik.
Die Bewältigung der Flüchtlingskrise hat die Gebietskörperschaften vor große Probleme gestellt. Zahlreiche gesetzliche Rahmenbedingungen zur Aufteilung der Kosten, zur Asylgewährung und zur Integration von Flüchtlingen in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt sind auf den Weg gebracht worden.
Das von der Bundesregierung vorgelegte Integrationsgesetz wird voraussichtlich im August in Kraft treten. Dabei geht es um weitere zielführende Maßnahmen zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs.
Auf europäischer Ebene sind zahlreiche Maßnahmen ergriffen worden. Dazu gehört eine Verordnung zur Verbesserung des Grenz- und Küstenschutzes. Außerdem hat die Europäische Kommission Vorschläge zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vorgelegt. Mit der Türkei hat die EU ein Abkommen zur Rücknahme irregulärer Migranten geschlossen.
Entwicklungs- und Schwellenländer nehmen circa 85 Prozent der Flüchtlinge auf. Notwendig sind daher ein größeres humanitäres Engagement in den Krisenregionen und eine nachhaltige Bekämpfung der Fluchtursachen.
Flüchtlingspolitik 07/07/2016
Inhaltsverzeichnis Die Flüchtlingskrise in Deutschland: die Antwort der Politik .......................................................................... 3 Gesetzesänderungen seit Herbst 2015 und aktuelle Gesetzesvorhaben auf Bundesebene ................................. 5 Langwierige Verhandlungen über die Aufteilung der Kosten ................................................................................. 6 Entscheidung für eine Wohnsitzauflage................................................................................................................. 7 Neue Regelungen für die Integration von Flüchtlingen in Arbeitsmarkt und Gesellschaft...................................... 8 Gestiegene Schutzquoten ..................................................................................................................................... 9
Beschlüsse und Vorhaben auf europäischer Ebene ...................................................................................... 10 Die Flüchtlingskrise – eine europäische Herausforderung................................................................................... 10 Umsetzung des Abkommens der EU mit der Türkei ............................................................................................ 10 Aktuelle Reformvorschläge der Europäischen Kommission ................................................................................ 11 Pull-Faktoren reduzieren ..................................................................................................................................... 13
Maßnahmen zur Fluchtursachenbekämpfung................................................................................................. 13 Entwicklungsländer unter Druck .......................................................................................................................... 13 Verstärkte Bemühungen der Bundesregierung .................................................................................................... 14 Hilfszusagen auf europäischer und internationaler Ebene ................................................................................... 14 Bleibe- und Rückkehrperspektiven schaffen ........................................................................................................ 14 Aktivitäten des BDI in der Entwicklungspolitik ..................................................................................................... 14
Glossar ............................................................................................................................................................... 16
Quellenverzeichnis ............................................................................................................................................ 23
Impressum ......................................................................................................................................................... 24
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Flüchtlingspolitik 07/07/2016
Die Flüchtlingskrise in Deutschland: die Antwort der Politik Die Bewältigung der Flüchtlingskrise hat die Bundespolitik im Herbst 2015 dominiert. Mehr als eine Million Flüchtlinge erreichte 2015 die Bundesrepublik. Im ersten Halbjahr haben sich die Migrationsströme deutlich reduziert. Inwiefern dies von längerer Dauer sein wird, bleibt angesichts fortbestehender Fluchtursachen – allen voran dem Syrienkrieg – fraglich. Die Entwicklung der Flüchtlingszahlen schlug sich auch in dem hohen Tempo nieder, mit dem in den letzten Monaten die Gebietskörperschaften, die Wohlfahrtsverbände, Hilfsorganisationen und zahlreiche Freiwillige die ankommenden Flüchtlinge mit Wohnraum, Kleidung, Nahrung und anderen Gütern versorgt haben, um eine humanitäre Krise zu verhindern. Massive Migrationsströme sind kein neues Phänomen. Insofern konnte auf die Erfahrung aus den neunziger Jahren zurückgegriffen werden. Die deutsche Gesellschaft hat mehr als eine Million Flüchtlinge zunächst einmal aufgenommen und nun damit begonnen, sie sukzessive in geordnete Bahnen der Asylverfahren und der Integration bzw. Rückführung zu lenken. Es war nicht zu erwarten, dass in so kurzer Zeit bereits alle Probleme gelöst werden können. In diesem Briefing versuchen wir, einen groben Überblick über die Entwicklung zu geben. In aller Kürze sind bislang folgende Entwicklungslinien in der deutschen Politik und Gesetzgebung zu erkennen: -
In der administrativen Bewältigung der ankommenden Flüchtlinge sind die Gebietskörperschaften und die öffentlichen Institutionen gut vorangekommen, die anstehenden Probleme der Erstaufnahme, der Registrierung, der Verteilung auf das Bundesgebiet, der Unterbringung und Verpflegung sukzessive zu lösen. Die größten Schwierigkeiten bestehen noch in der regionalen Verteilung der Flüchtlinge.
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In der Finanzpolitik sind zunächst die unabdingbaren Mittel bereitgestellt worden. Ob das Finanztableau von Bund und Ländern ausreichen wird, lässt sich erst im Jahresverlauf besser einschätzen. Die Ausgabenentwicklungen pro Kopf liegen nicht weit von den Planannahmen entfernt, die Migration entwickelt sich 2016 aber bisher etwas verhaltener als ursprünglich angenommen.
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Erste finanzpolitische Entscheidungen zur Bewältigung der Kosten der Flüchtlingskrise sind noch im Bundeshaushalt für 2015, im Haushalt für 2016 und in der Finanzplanung für 2017-2020 getroffen worden. Für 2017 sieht der Bundeshaushalt zudem noch eine globale Minderausgabe von über sechs Milliarden Euro für alle Ressorts vor, um Mehrausgaben für die Bewältigung der Flüchtlingskrise auffangen zu können. Die Bundesländer haben im Frühjahr die finanziellen Folgen auf Landesebene abzuschätzen versucht und mit dem Bund über die Aufteilung der Mehrausgaben verhandelt. Die Länder rechnen in 2016 mit Mehrausgaben für Flüchtlinge in der Größenordnung von etwa 20 Milliarden Euro (ohne Einrechnung von Mitteln vom Bund).
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Der Bund hat zudem einige asylrechtliche Rahmenbedingungen geändert. Mehrere Bestimmungen des Asylverfahrensrechts wurden überarbeitet. Ziel war es vor allem, die Asylverfahren zu verkürzen.
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Zugleich brachte die Politik auch erste Maßnahmen zur besseren Integration von Flüchtlingen mit Bleibeperspektive in die Gesellschaft auf den Weg.
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Der Bund hat insbesondere das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit mehr Personal und Ressourcen ausgestattet. Noch im Laufe des Jahres werden gemeinsame Einrichtungen der Behörden von Bund und Ländern das Management und die Betreuung von Flüchtlingen im Hinblick auf die Registrierung und die nachfolgende Betreuung deutlich verbessern können.
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Flüchtlingspolitik 07/07/2016
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Zugleich wurden gesetzgeberisch die Weichen für eine raschere und bessere Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft, insbesondere das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt, gestellt. Das wichtigste Gesetzespaket hierzu wurde noch vor der Sommerpause vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Zudem soll die Aufteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer durch neue Instrumente zukünftig verlässlicher geregelt werden, u.a. durch zeitlich befristete Wohnsitzauflagen.
Darüber hinaus sind auf der europäischen Ebene eine Reihe von Initiativen der Europäischen Kommission und der Institutionen insgesamt entstanden, um den Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union, die Stärkung der Institutionen in diesem Feld, das Asylrecht, die Verteilung von Flüchtlingen zwischen den Mitgliedstaaten der EU, die Hilfe für Griechenland und die Zusammenarbeit mit der Türkei voranzubringen. Die Fortentwicklung der Unionspolitik in diesem Feld ist weitaus schwieriger vorangekommen als die nationale Bewältigung der unmittelbaren Aufgaben in Deutschland. Dies liegt zum Teil an tiefen Konflikten über Verantwortlichkeiten und Kosten. Zudem haben Deutschland und die EU auch mit einigen Drittstaaten Abkommen geschlossen, um das Problem besser bewältigen zu können. Gleichwohl sind in den Außenbeziehungen der EU und in der Außenpolitik gegenüber den Konfliktregionen noch gravierende Probleme anzugehen. Im Folgenden schildern wir die wichtigsten Entwicklungen in der deutschen und europäischen Politik.
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Gesetzesänderungen seit Herbst 2015 und aktuelle Gesetzesvorhaben auf Bundesebene Folgende Gesetze sind seit Herbst 2015 in Kraft getreten (Datum des Inkrafttretens in Klammern) oder befinden sich gerade in Vorbereitung (dunkelgrau hinterlegt):
Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, "Asylpaket I" (24. Oktober 2015) - Neuregelungen im Asylverfahren mit dem Ziel, die Verfahrensdauer zu verkürzen - finanzielle Unterstützung für Länder und Kommunen durch den Bund - Einstufung der Länder Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaatenerste Maßnahmen zur Beschleunigung der Arbeitsmarktintegration, insbesondere Öffnung von Integrationskursen für Geduldete und Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive Datenaustauschverbesserungsgesetz (5. Februar 2016) - Regelungen über die Speicherung von Daten wie Fingerabdrücke, Herkunftsla nd, Schulbildung und Qualifikation bei der Registrierung von Flüchtlingen - Erleichterung des Datenaustauschs zwischen verschiedenen Behörden "Asylpaket II" (17. März 2016) - Aussetzung des Familiennachzugs für Antragsteller mit subsidiärem Schutz für zwei Jahre - Lockerung der Regelungen für Abschiebungen in Krankheitsfällen - Senkung der monatlichen Geldbeträge für den persönlichen Bedarf - Maßnahmen zur weiteren Beschleunigung von Asylverfahren Gesetz zur erleichterten Ausweisung straffälliger Ausländer (17. März 2016) - Versagung des Asyl- und Flüchtlingsschutzes und drohende Abschiebung bei straffälligen Ausländern ab der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe Gesetz zur Einstufung der Länder Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten - aufgrund von Anmerkungen des Bundesrates vom Asylpaket II abgetrennt; eine Entscheidung des Bundesrats ist noch ungewiss - Einstufung der Länder Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten Integrationsgesetz - Inkrafttreten voraussichtlich im August - u.a. rechtssicherer Aufenthalt für die Dauer der Ausbildung und zwei weitere Jahre bei Beschäftigungsaufnahme bzw. sechs Monate zur Arbeitsplatzsuche ("3+2 Regelung":), Einschränkung der Vorrangprüfung, befristete Wohnsitzauflage, Ausbau der Integrationsangebote und Schaffung von 100.000 Arbeitsgelegenheiten, Sanktionen bei Ablehnung von Integrationsmaßnahmen
Das Integrationsgesetz wurde am 7. Juli vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Zuvor hatte sich im ersten Quartal 2016 die Ausarbeitung der Eckpunkte des Integrationsgesetzes aufgrund von haushaltspolitischen Debatten auf Bundesebene verzögert.
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Die Kalkulation der für Unterbringung, Versorgung und Integration benötigten Mittel hängt maßgeblich von der Entwicklung der Flüchtlingszahlen ab. Diese schwankten in den letzten Monaten bekanntlich stark:
Asylanträge und Easy-Registrierungen in Deutschland seit Herbst 2015
250.000
200.000
150.000
100.000
50.000
0 09/2015
10/2015
11/2015
Asylanträge (Erst- und Folgeanträge)
12/2015
01/2016
02/2016
03/2016
04/2016
05/2016
Registrierungen im Easy-System
Quelle: BAMF
Langwierige Verhandlungen über die Aufteilung der Kosten Das Bundeskabinett hat am 6. Juli den Regierungsentwurf für den Haushalt 2017 sowie den Finanzplan bis 2020 beschlossen. Darin sind für die Integration der Flüchtlinge sowie für die Bekämpfung der Fluchtursachen im Jahr 2017 knapp 19 Milliarden Euro vorgesehen. Im gesamten Zeitraum bis 2020 sind es laut Bundesfinanzministerium 77 ½ Milliarden Euro (Bundesministerium der Finanzen 2016). Zwischen Bund und Ländern wurde am 7. Juli nach monatelangem Streit eine Vereinbarung über die Aufteilung der Kosten für die Aufnahme, Unterbringung, Versorgung und Integration von Flüchtlingen geschlossen. Für die Jahre 2016, 2017 und 2018 erhalten die Bundesländer eine jährliche Integrationspauschale von jeweils zwei Milliarden Euro. Außerdem stellt der Bund 2017 und 2018 jeweils zusätzlich 500 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung. Insgesamt erhalten die Länder damit innerhalb von drei Jahren Mittel in Höhe von sieben Milliarden Euro. Diese Mittel kommen zu den bisher zugesagten Leistungen des Bundes dazu. Die Übernahme der Mehrkosten für die Unterbringung von Flüchtlingen hatte der Bund bereits zugesagt, sie belaufen sich auf 2,6 Milliarden Euro in den drei Jahren.
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Im Jahr 2015 war knapp ein Drittel der Asylbewerber minderjährig. Dies zeigt ein Blick auf die Altersstufen der Menschen, die im Jahr 2015 in Deutschland Asyl beantragt haben:
Asylanträge 2015, nach Alter
bis unter 4 Jahre
8,9
von 4 bis unter 6 Jahre
4,0
von 6 bis unter 11 Jahre
8,8
von 11 bis unter 16 Jahre
6,7
von 16 bis unter 18 Jahre
3,4
von 18 bis unter 25 Jahre
25,6
von 25 bis unter 30 Jahre
14,9
von 30 bis unter 35 Jahre
10,0
von 35 bis unter 40 Jahre
6,7
von 40 bis unter 45 Jahre
4,2
von 45 bis unter 50 Jahre
2,9
von 50 bis unter 55 Jahre
1,8
von 55 bis unter 60 Jahre
1,0
von 60 bis unter 65 Jahre
0,6
65 Jahre und älter
0,5 0
5
10
15
20
25
30
Quelle: BAMF
Entscheidung für eine Wohnsitzauflage Eng mit der Kostenteilung verbunden ist die Debatte um die befristete Wohnsitzauflage, auf die sich Bund und Länder in einem Gemeinsamen Konzept1 im Vorhinein des Kabinettsbeschlusses zum Integrationsgesetz geeinigt haben. Danach soll nach Abschluss des Anerkennungsverfahrens eine gesetzliche Verpflichtung zur Wohnsitznahme in dem Land der Erstzuweisung nach dem Königsteiner Schlüssel entstehen. Die Länder haben zukünftig die Möglichkeit, für die Dauer von drei Jahren einen konkreten Wohnort zuzuweisen. Kriterien hierfür sollen die Erleichterung der Versorgung mit angemessenem Wohnraum, der Spracherwerb sowie die Lage am örtlichen Arbeits- und Ausbildungsmarkt sein. Die Wohnsitzregelung ist dabei nur anwendbar, solange die Schutzsuchenden öffentliche Sozialleistungen erhalten. Deren Bezug wird an die Einhaltung der Verpflichtung geknüpft.
Gemeinsames Konzept von Bund und Ländern für die erfolgreiche Integration von Flüchtlingen (22. April 2016) und Beschluss: Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder zur Asyl- und Flüchtlingspolitik (22. April 2016). 1
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Asylanträge nach Bundesländern im Jahr 2015 Insgesamt
davon Erstanträge
davon Folgeanträge
Baden-Württemberg
61.671
57.578
4.093
Bayern
71.168
67.630
3.529
Berlin
36.197
33.281
2.916
Brandenburg
19.324
18.660
1.663
4.888
4.689
199
Hamburg
13.157
12.437
720
Hessen
28.724
27.239
1.485
Mecklenburg-Vorpommern
19.383
18.851
523
Niedersachsen
37.975
34.248
3.727
Nordrhein-Westfalen
77.223
66.758
10.465
Rheinland-Pfalz
19.697
17.625
2.072
Saarland
10.358
10.089
269
Sachsen
28.317
27.180
1.137
Sachsen-Anhalt
17.292
16.410
882
Schleswig-Holstein
16.351
15.572
779
Thüringen
14.733
13.455
1.278
Unbekannt
191
187
4
476.649
441.899
34.750
Bremen
Bundesländer gesamt
Quelle: BAMF
Neue Regelungen für die Integration von Flüchtlingen in Arbeitsmarkt und Gesellschaft Zentraler Punkt des Integrationsgesetzes2 für Unternehmen und Betriebe ist die sogenannte „3+2-Regelung“. Danach soll Flüchtlingen, die eine Ausbildung absolvieren, der Aufenthalt für die Gesamtdauer der Ausbildung
Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Integrationsgesetzes. BT-Ds. 18/8829; ebenso der parallel eingebrachte Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Entwurf eines Integrationsgesetzes. BT-Ds. 18/8615 2
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Flüchtlingspolitik 07/07/2016
garantiert werden – sowie für weitere zwei Jahre im Falle einer Weiterbeschäftigung bzw. sechs Monate zur Arbeitsplatzsuche. Ziel ist es unter anderem, die Planungssicherheit für Arbeitgeber erhöhen. Darüber hinaus soll die bisherige Altersgrenze von 21 Jahren für die Aufnahme einer Berufsausbildung abgeschafft werden. Das Gesetz sieht zudem vor, die Vorrangprüfung und das Verbot der Beschäftigung in der Zeitarbeit für die Dauer von drei Jahren in bestimmten Gebieten mit unterdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit auszusetzen. Dabei ist noch unklar, um welche Regionen es sich handeln soll und wie diese im Einzelnen bestimmt werden sollen. Außerdem soll der Zugang zu Leistungen der Ausbildungsförderung für Gestattete mit guter Bleibeperspektive und Geduldete ohne Beschäftigungsverbot befristet bis 2018 erleichtert werden. Zur niedrigschwelligen Heranführung an den Arbeitsmarkt werden 100.000 zusätzliche Arbeitsgelegenheiten, finanziert aus Bundesmitteln, geschaffen. Um die Rechtslage an die Regelung für andere Ausländer anzugleichen, soll Flüchtlingen eine unbefristete Niederlassungserlaubnis nur erteilt werden, sofern sie bestimmte Integrationsleistungen erbracht haben. Dazu gehört auch das Erlangen von Sprachkompetenz. Bei Ablehnung oder Abbruch von Integrationsangeboten droht dagegen eine Kürzung der Asylleistungen. Diesen Regelungen liegt das Prinzip des „Förderns und Forderns“ zugrunde (BMI 2016). Zugleich ist eine zahlen- und stundenmäßige Aufstockung der Integrationskurse geplant. Die Wertevermittlung soll darin künftig eine wichtigere Rolle spielen. Unabhängig vom Integrationsgesetz erweitert der Bund ab Juli 2016 auch die berufsbezogene Sprachförderung für Zugewanderte, einschließlich der Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive.3 Die berufsbezogene Deutschsprachförderung baut unmittelbar auf den Integrationskursen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf, die sich aus einem Sprach- und einem Orientierungskurs zusammensetzen (BA, BDA, BDI 2016). Gestiegene Schutzquoten Bei den Asylentscheidungen des BAMF ist zu beobachten, dass Asylbewerbern anstelle von Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vermehrt lediglich subsidiärer Schutz gewährt wird (9,3 Prozent der Asylbewerber im April, dagegen nur 0,9 Prozent im ersten Quartal 2016). Insgesamt ist ein Anstieg der Schutzquote auf über 62 Prozent (Januar bis April 2016) zu beobachten. Im Jahr 2015 erhielten nur knapp 50 Prozent der Asylbewerber einen Schutzanspruch. Hintergrund ist, dass sich die Zahl der Flüchtlinge aus den sicheren Herkunftsstaaten verringert hat. Mit dem Gesetzentwurf zur Einstufung der Länder Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftstaaten 4 bezweckt die Bundesregierung eine weitere Beschleunigung der Asylverfahren. Von den 2.605 Asylanträgen aus diesen Ländern, über die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Jahr 2015 entschieden hat, wurde nur in 55 Fällen ein Schutzanspruch (einschließlich Abschiebeschutz) festgestellt (Bundesregierung 2016 b). Viele der Migranten aus den Maghreb-Staaten, die über das Easy-System registriert wurden, haben noch keinen Asylantrag gestellt (ebd.). Die Abstimmung des Bundesrates wurde kürzlich jedoch vertagt.
Verordnung über die berufsbezogene Deutschsprachförderung (Deutschsprachförderverordnung – DeuFöV). BAnz AT 04.05.2016. 4 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten, BT-Ds. 18/8039. 3
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Asylanträge, Anteile nach Herkunftsländern
Übrige 18%
Pakistan 2% Eritrea 2%
Syrien 34%
Ungeklärt 2% Mazedonien 3% Serbien 6% Irak 7% Afghanistan 7%
Kosovo 8% Gesamt 476.649 (Gesamtjahr 2015)
Russ. Übrige SerbienFöderation 12% 1% 1% Eritrea 2% Albanien Iran 2% 3% Pakistan 2% Ungeklärt 4%
Syrien 46%
Afghanistan 13% Albanien 11%
Irak 14% Gesamt 309.785 (Januar bis Mai 2016)
Quelle: BAMF
Beschlüsse und Vorhaben auf europäischer Ebene Die Flüchtlingskrise – eine europäische Herausforderung An der mangelnden Entschlossenheit der Migrations- und Flüchtlingspolitik der Europäischen Union gab es viel Kritik. Fakt ist jedoch, dass die Europäische Kommission bereits im Frühjahr 2014 eine „Migrationsagenda“ veröffentlicht hat. Die Maßnahmen, auf die sich die Mitgliedstaaten dann im vergangenen Jahr tatsächlich einigen konnten, blieben weit dahinter zurück – und zeigten praktisch nur geringe Wirksamkeit. Auf EU-Ebene war im September 2015 vereinbart worden, dass 160.000 Asylbewerber innerhalb von zwei Jahren von Italien und Griechenland umverteilt werden sollten – bislang sind gerade einmal knapp 2.600 (davon lediglich 57 Asylbewerber nach Deutschland) und nicht einmal zwei Prozent (Europäische Kommission 2016a) tatsächlich umverteilt worden. Dies wirft die Frage auf, ob Umsiedlungsmechanismen ein geeignetes Instrument darstellen. Kritiker geben zu bedenken, dass Asylbewerber gezielt in Länder wie Deutschland und Schweden auswandern wollten und sich nur schwer in für sie weniger attraktiven Mitgliedstaaten halten ließen. Umsetzung des Abkommens der EU mit der Türkei Die Europäische Kommission und der Rat arbeiten derzeit an einer nachhaltigen Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Mehr Raum in der öffentlichen Debatte nimmt jedoch nach wie vor die Umsetzung der EU-Türkei-Erklärung vom 18. März 2016 ein. Darin wurde die Rückführung aller neuen irregulären Migranten aus der Türkei sowie für jeden rückgeführten syrischen Flüchtling die Neuansiedlung eines solchen in der EU vereinbart. Im Gegenzug wurden der Türkei die beschleunigte Auszahlung von drei Milliarden Euro und bei Einhaltung der Vereinbarungen die Bereitstellung zusätzlicher drei Milliarden Euro bis Ende 2018 in Aussicht gestellt, ebenso eine Beschleunigung des Beitrittsprozesses und der Visaliberalisierung. Die EU-interne Verteilung erfolgt zunächst auf Basis der bereits im Sommer 2015 eingegangen Verpflichtungen. Dabei werden die Neuansiedlungen, die ein Mitgliedstaat aus der Türkei übernimmt, mit den Umsiedlungen aus Italien und Griechenland, zu denen sich die Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Umfang verpflichtet hatten, verrechnet. Die umzusiedelnden Flüchtlinge aus Syrien sollen dabei unter anderem nach dem Kriterium der Schutzbedürftigkeit auf Vorschlag der türkischen Behörden ausgewählt werden.
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Dass die Flüchtlingszahlen in Deutschland und Europa in den vergangenen Monaten gesunken sind, ist gewiss nicht nur eine Folge des EU-Türkei-Abkommens. Zuvor hatten Österreich, Slowenien, Kroatien und Serbien in Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten rund um die Balkanroute – mit Ausnahme Griechenlands – durch ihre Vereinbarungen Ende Februar eine weitgehende faktische Schließung der Balkanro ute erwirkt. Täglich werden nur noch bestimmte Kontingente an Flüchtlingen durchgelassen.
Zahl in Griechenland angekommener Flüchtlinge 2015/2016
250.000 211.663 200.000 147.123
150.000
107.843
151.249 108.742
100.000 54.899 50.000
31.318 13.55617.889 7.874 1.694 2.873
67.415 57.066 26.971 3.650 873
0 JAN FEB MRZ APR MAI 2015
JUN
JUL AUG SEP OKT NOV DEZ JAN FEB MRZ APR MAI 2016 einschl. 18.05.2016
Quelle: Bundesregierung
Im April 2016 hat Griechenland ein beschleunigtes Verfahren zur Bearbeitung von Asylanträgen in den sogenannten Hotspots direkt auf den Inseln eingerichtet, unterstützt durch Asylbeamte und Dolmetscher aus dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) und aus den Mitgliedstaaten. Im Rahmen des neuen Soforthilfeinstruments der EU werden nach und nach Mittel in Höhe von insgesamt 83 Millionen Euro an Hilfsorganisationen für Projekte in Griechenland ausgezahlt. Aktuelle Reformvorschläge der Europäischen Kommission Um die Regeln über die Zuständigkeit von Mitgliedstaaten für die Bearbeitung von Asylverfahren gerechter, effizienter und nachhaltiger zu gestalten, hat die Europäische Kommission Anfang Mai eine Neufassung der Dublin-III-Verordnung vorgeschlagen. Der Grundsatz, dass Asylbewerber ihren Asylantrag in dem Land stellen müssen, in dem sie erstmals EU-Boden betreten, bliebe demnach bestehen. Allerdings soll durch einen Korrekturmechanismus (Fairness-Mechanismus) eine Lastenteilung zwischen den Mitgliedstaaten gewährleistet werden. Dieser sieht folgendes vor: Steigt das Asylbewerberaufkommen auf das Anderthalbfache eines zuvor auf EU-Ebene bestimmten Schwellenwerts, würden alle weiteren neuen Asylbewerber nach einer Prüfung ihres Antrags auf Zulässigkeit auf die übrigen EU-Mitgliedstaaten verteilt, bis das Asylbewerberaufkommen wieder unter den Schwellenwert sinkt. Ein Mitgliedstaat soll allerdings d ie Möglichkeit haben, vorübergehend nicht an dem Umverteilungsmechanismus teilzunehmen, indem er stattdessen einen Solidarbeitrag von 250.000 Euro pro Asylbewerber an den Mitgliedstaat zahlt, der an seiner Stelle einen ihm zugeteilten Asylbewerber übernimmt. Nachdem die EU-Kommission zuvor Anfang April zwei verschiedene Reformoptionen zur Diskussion gestellt hatte, kam sie mit diesem Vorschlag den Mitgliedstaaten entgegen, die eine Aufnahme weiterer Flüchtlinge ablehnen.
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Zahl der Asylbewerber gemessen an der Bevölkerungszahl, in Prozent 2013
2014
2015
Belgien
0,188
0,203
0,397
Bulgarien
0,098
0,153
0,283
Tschechische Republik
0,007
0,011
0,014
Dänemark
0,128
0,261
0,370
Deutschland
0,154
0,251
0,587
Estland
0,007
0,012
0,018
Irland
0,021
0,031
0,071
Griechenland
0,075
0,086
0,122
Spanien
0,010
0,012
0,032
Frankreich
0,101
0,098
0,114
Kroatien
0,025
0,011
0,005
Italien
0,045
0,106
0,138
Zypern
0,145
0,203
0,267
Lettland
0,010
0,019
0,017
Litauen
0,013
0,015
0,011
Luxemburg
0,199
0,209
0,455
Ungarn
0,191
0,433
1,797
Malta
0,533
0,317
0,430
Niederlande
0,078
0,146
0,266
Österreich
0,207
0,330
1,028
Polen
0,040
0,021
0,032
Portugal
0,005
0,004
0,009
Rumänien
0,007
0,008
0,006
Slowenien
0,013
0,019
0,013
Slowakei
0,008
0,006
0,006
Finnland
0,059
0,066
0,591
Schweden
0,568
0,842
1,667
Vereinigtes Königreich
0,048
0,051
0,060
Quelle: Eurostat
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Flüchtlingspolitik 07/07/2016
Pull-Faktoren reduzieren Um sogenanntem Asylshopping entgegenzuwirken und Pull-Faktoren in die EU zu verringern, regte die Europäische Kommission zudem an, die Rechte von Flüchtlingen und die Asylleistungen EU-weit zu regeln und dabei auch nach oben hin zu begrenzen. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen Flüchtlinge, die gegen die Pflicht zur Kooperation und zum Verbleib im zuständigen Mitgliedstaat verstoßen, bestimmte Rechte auf Aufenthalt und Asylleistungen verlieren. Das EASO soll die Einhaltung der Regeln durch die Mitgliedstaaten überwachen und diese bei der Bearbeitung von Asylverfahren und bei Rückführungsprozessen unterstützen. Außerdem haben sich Kommission, Rat und das Europäische Parlament Ende Juni darauf geeinigt, eine europäische Grenz- und Küstenschutzagentur zur Ablösung von Frontex zu errichten. Jeder Mitgliedstaat soll künftig eine feste Zahl an sofort abrufbarem Personal und Material zur Verfügung stellen. Im Mai verlängerte Deutschland die Kontrollen an den Grenzen zu Österreich im Einklang mit den Empfehlungen von Europäischer Kommission und Ministerrat um bis zu sechs weitere Monate. Mit dem Fahrplan „Zurück zu Schengen“ wird angestrebt, die Kontrollen an den Binnengrenzen bis Ende des Jahres wieder einzustellen. Zugleich hat die Europäische Kommission zum Ziel, auch legale Migrationswege in die EU zu ermöglichen. Insbesondere hochqualifizierten (Erwerbs-) Migranten soll die Einwanderung u.a. durch eine Reform des Systems der Blue Card erleichtert werden. Zur Neufassung der „Blue-Card“-Regelung und zur Integration von Drittstaatsangehörigen legte die EU-Kommission Anfang Juni einen Aktionsplan5 vor. Dieser enthält u.a. politische Rahmenvorgaben und einen Katalog von Maßnahmen, mit denen die Mitgliedstaaten bei der Weiterentwicklung und Ausweitung ihrer Integrationspolitik gegenüber Drittstaatsangehörigen unterstützt werden sollen.
Maßnahmen zur Fluchtursachenbekämpfung Zurzeit befinden sich weltweit mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Dabei nehmen Entwicklungs- und Schwellenländer ca. 85 Prozent aller Flüchtlinge auf. Im Fokus der Aufmerksamkeit stehen im Moment die Länder des Nahen Ostens, insbesondere Syrien, Herkunftsland der meisten Flüchtlinge 2015, Afghanistan und Irak. Auch in Afrika sind jedoch Millionen von Menschen auf der Flucht vor Terror und Krieg, vor allem aus dem Sudan und Südsudan, Somalia, der Demokratische Republik (DR) Kongo, der Zentralafrikanischen Republik und Eritrea. Entwicklungsländer unter Druck Die meisten der Vertriebenen bleiben in der Region ihrer Herkunft. Beispielsweise hat die Türkei nach den Schätzungen von UNHCR rund 2,7 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen (UNHCR 2016). Kenia wurde zum Zufluchtsort für eine Million Menschen, und in Äthiopien kamen ca. 750.000 Flüchtlinge, meist aus Somalia, an. Aus der DR Kongo, einem Land in dem Korruption und lokale Kriege zu Vertreibungen innerhalb der Landesgrenzen führen, sind 2015 rund eine halbe Millionen Menschen geflohen. Zunehmend gerät Burundi in Ostafrika in den Fokus: von dort fliehen Teile der Bevölkerung vor Auseinandersetzung rivalisierender Volksgruppen nach Uganda und Ruanda. Die aufnehmenden Staaten, oft selbst Entwicklungs- oder Schwellenländer,
Europäische Kommission, Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions. Action Plan on the integration of third country nationals. COM (2016) 377 final. 5
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Flüchtlingspolitik 07/07/2016
sind nicht in der Lage, die ankommenden Menschen sinnvoll zu integrieren. Die ohnehin oft fragile Stabilität dieser Länder ist dadurch gefährdet. Dies führt zu erhöhten Sicherheitsrisiken für die betroffenen Regionen und möglicherweise zu neuen Flüchtlingsströmen in Richtung Europa (UNHCR 2015). Verstärkte Bemühungen der Bundesregierung Die Bundesregierung reagiert derzeit mit einer Aufstockung des Haushaltes für Entwicklungs- und Außenpolitik auf die Situation. Anfang Mai 2016 wurde auf Grundlage eines Papiers der Vorstände der Koalitionsfraktionen beschlossen, dass das Bundesentwicklungsministerium im Jahr 2016 circa drei Milliarden Euro für die direkte Bekämpfung von Fluchtursachen und die strukturbildende Unterstützung von Flüchtlingen und aufnehmenden Gemeinden einsetzen soll (CDU/CSU, SPD 2016). Das Auswärtige Amt soll in diesem Jahr für Krisenbewältigung, humanitäre Hilfe und Stabilisierung mindestens 1,2 Milliarden Euro bereitstellen (ebd.). In zahlreichen Regionen, vor allem aber in den Nachbarländern Syriens, sind großvolumige Programme angelaufen, die verbesserte Lebensumstände und Arbeitsmöglichkeiten für die Flüchtlinge schaffen sollen. Im Rahmen des „Cash for Work“-Programms des BMZ werden derzeit für rund 20 Millionen Euro kurzfristige Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge in der Türkei und für über 40 Millionen Euro im Nordirak geschaffen. In einem Antrag forderten die Koalitionsfraktionen kürzlich einen weiteren Ausbau des Engagements (Deutscher Bundestag, 2016). Hilfszusagen auf europäischer und internationaler Ebene Auch international bemühen sich zahlreiche Länder um Lösungen. Auf einem Gipfel in Malta im November 2015 wurden den afrikanischen Staaten von der EU und den Mitgliedstaaten 3,6 Milliarden Euro Unterstützung zugesagt. Bei der Syrienkonferenz hat die EU die Zahlung von einer Milliarde Euro versprochen. Während die entsprechenden Gelder aus dem EU-Haushalt für den Afrikafonds und den Syrienfonds bereitgestellt wurden, fehlen große Teile der Beiträge der Mitgliedstaaten einschließlich Deutschlands. Das Abkommen der EU mit der Türkei vom 18. März 2016 sieht die Zahlung von bis zu weiteren drei Milliarden Euro aus EU-Mitteln an die Türkei vor, zusätzlich zu bereits zuvor versprochenen drei Milliarden Euro. Bleibe- und Rückkehrperspektiven schaffen In den Ländern, in denen Krieg, Verfolgung oder schwache Staatlichkeit der Auslöser der Fluchtbewegungen sind, können Unternehmen nur in Ausnahmefällen aktiv werden. In Staaten, die jedoch politische und wirtschaftliche Perspektiven bieten, kann ein Engagement der Industrie politische Bemühungen verstärken. Dies ist vor allem in aufnehmenden Ländern wie der Türkei, Jordanien oder auch Kenia und Äthiopien der Fall. Viele dieser Staaten haben sich in der Vergangenheit wirtschaftlich sehr positiv entwickelt, geraten aber derzeit unter großen Druck durch die angespannte Lage in ihren Nachbarländern. Aktivitäten des BDI in der Entwicklungspolitik Das Themenfeld der Entwicklungspolitik hat aus wirtschaftlicher Sicht in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Der BDI hat daher 2014 erstmals eine kohärente Afrikastrategie veröffentlicht und nach einer erfolgreichen, sechsjährigen Verbandspartnerschaft mit der Association of Ghana Industries (AGI) eine neue Verbandskooperation mit dem East African Business Council (EABC) aufgelegt. Mit dem im Mai 2016 vorgelegten Grundsatzpapier „Entwicklungspolitik 4.0 – Plädoyer für einen Paradigmenwechsel in der Zusammenarbeit von Staat und Industrie“ bringt sich der BDI konstruktiv und umfassend in die entwicklungspolitische Debatte ein. Auch hier wird es konkrete Folgeaktivitäten geben. So ist der BDI mit einem Projektvorhaben zur Fluchtursachenbekämpfung in Ostafrika auf das BMZ zugegangen. Mitte Juni wurde eine gemeinsame Prüfmission von GIZ und BDI nach Tansania, Uganda und Kenia durchgeführt.
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Finanzielle Zusagen für Treuhandfonds in Millionen Euro (Stand: 07 Juni 2016) Afrikanischer Treuhandfond
Syrischer Treuhandfond*
Flüchtlingsfazilität der Türkei
Gesamt
Österreich
3
11,5
45,6
60,1
Belgien
10
3
-
13
Bulgarien
0,05
0,1
5,9
6,05
Kroatien
-
-
5,9
5,9
Zypern
-
-
2,3
2,3
0,74
5
20,4
26,14
6
10
38,4
54,4
Estland
0,15
0,25
2,8
3,2
Finnland
5
3
28,4
36,4
Frankreich
3
3
309,2
315,2
Deutschland
3
5
427,5
435,5
Griechenland
-
-
25
25
0,7
3
14,7
18,4
Irland
3
-
22,9
25,9
Italien
10
8
224,9
242,9
Lettland
0,05
0,05
3,5
3,6
Litauen
0,05
0,1
5,2
5,35
Luxemburg
3,1
-
4,3
7,4
Malta
0,25
0,02
1,1
1,37
Niederlande
15
5
93,9
113,9
Polen
1,1
3
-
4,1
Portugal
0,25
0,2
24,4
24,85
Rumänien
0,1
0,08
-
0,18
Slowakei
0,6
3
10,5
14,1
Slowenien
0,05
-
5,2
5,25
Spanien
3
-
152,8
155,8
Schweden
3
3
61,3
67,3
Vereinigtes Königreich
3
3
327,6
333,6
Gesamte Zusagen
81,8
69,3
1.863,7
2.014,81
Finanzierungsbeitrag der EU
1.800
664,6 inklusive 24,6 Co-Beitrag der Türkei
1.000
2.300
Gesamt erforderlich
3.600
1.000
3.000
7.600
1.718,19
266,1
136,3
2.120,59
48 %
27 %
5%
28 %
Mitgliedstaaten
Tschechische Republik Dänemark
Ungarn
Fehlbetrag
* Angaben inklusive Zusagen für 2015 und 2016 Quelle: Europäische Kommission
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Glossar Abschiebungsverbote Auch wenn Schutz aufgrund höherrangiger Schutznormen (Flüchtlingsschutz, Asylrecht, subsidiärer Schutz) versagt wurde, gibt es Fälle, in denen ein Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Dies kann sich zum einen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergeben (§ 60 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz). Danach kann eine Ausweisung einer Person in einen Staat, in dem der Person eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (auch Todesstrafe) droht, gegen das Folterverbot des Artikels 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen. Darüber hinaus ist eine Abschiebung bei einer drohenden erheblichen individuellen Gefahr unzulässig, wobei in Krankheitsfällen seit Inkrafttreten von Asylpaket II nur noch lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, Berücksichtigung finden (§60 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz). Asylbewerber und Asylberechtigte Während sich Asylbewerber in einem laufenden Asylanerkennungsverfahren befinden, werden anerkannte Asylbewerber als Asylberechtigte oder anerkannte Flüchtlinge bezeichnet. Dabei kann nicht nur ein Anspruch auf Asyl im engeren Sinne, d. h. nach Artikel 16a Abs. 1 GG aufgrund von politischer Verfolgung bestehen. Vielmehr umfasst der Begriff der Asylberechtigten auch die anerkannten Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sowie die subsidiär Schutzberechtigten. Binnenvertriebene Menschen, die innerhalb ihrer Landesgrenzen auf der Flucht sind, werden als Binnenvertriebene bezeichnet. Sie gelten laut Genfer Flüchtlingskonvention nicht als Flüchtlinge und fallen daher nicht unter das UNHCR-Mandat. Internationale Unterstützung erhalten Binnenvertriebene nur, wenn ihre Regierung dem zustimmt. Um die Rechte von Binnenvertriebenen zu stärken, haben die Vereinten Nationen die „Leitlinien betreffend Binnenvertreibungen“6 entwickelt. Dabei handelt es sich jedoch nur um Empfehlungen für Regierungen und Flüchtlingsorganisationen. Drittstaatsangehörige Als Drittstaatsangehörige bezeichnet man Staatsangehörige aus Staaten, die nicht dem Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) angehören. Zum EWR gehören alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie die sogenannten EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen. (Quelle: Europäische Kommission) Dublin III-Verfahren Die Dublin-III-Verordnung7 enthält Regeln zur Bestimmung der Zuständigkeit eines Staates für die Durchführung von Asylverfahren. Als Verordnung der Europäischen Union ist sie unmittelbar geltendes Recht in den EU-Mitgliedstaaten. Außerdem wurde sie von Norwegen, Island, der Schweiz und Liechtenstein ratifiziert. Die Dublin III-Verordnung trat im Juli 2013 in Kraft und löste die Dublin-II-Verordnung8 ab.
Vereinte Nationen (1998). Guiding Principles on Internal Displacement. E/CN.4/1998/53/Add.2. Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung). 8 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines Drittlandes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. 6 7
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Soweit keine Ausnahmen (z. B. bei unbegleiteten Minderjährigen oder bei Familienangehörigen in einem bestimmten Zielland) einschlägig sind, ist die Grundregel des Dublin-Systems, dass ein Asylbewerber in dem EUMitgliedstaat seinen Asylantrag stellen muss, in dem er den EU-Raum erstmals betreten hat. Dort müssen auch die Registrierung und das Asylverfahren erfolgen. Im Rahmen des Verhandlungsprozesses zur Dublin-III-Verordnung hatte sich die Mehrheit der Mitgliedstaaten hatte sich jedoch explizit für die Beibehaltung dieses Systems ausgesprochen (Europäische Kommission 2008). EASO EASO steht für European Asylum Support Office, das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen. Dabei handelt es sich um eine EU-Agentur mit Sitz auf Malta, deren Gründung 2008 im Rahmen das "Europäischen Paktes zu Einwanderung und Asyl" beschlossen wurde. Sie ist seit 2011 auf Basis einer Verordnung vom 19. Mai 20109 tätig. Das EASO hat den Auftrag, die praktische Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich des Asylrechts zu erleichtern, zu koordinieren und zu intensivieren.Konkret bietet EASO den Mitgliedstaaten praktische und technische Unterstützung sowie operative Unterstützung, unter anderem durch die Koordinierung von Asyl-Unterstützungsteams. Außerdem nimmt es für die Politikgestaltung der EU im Bereich der Asylpolitik eine beratende Funktion ein. Die Europäische Kommission schlug im April 2016 in einer Mitteilung zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vor, die Kompetenzen von EASO deutlich auszuweiten.10 EASY – System Das System „EASY“ ist eine IT-Anwendung, die im Rahmen der Ersterfassung von Asylsuchenden und zu deren quotengerechter Erstverteilung auf die zuständigen Bundesländer zum Einsatz kommt. Die Verteilung erfolgt nach dem "Königsteiner Schlüssel“ (BAMF). Eurodac „Eurodac“ bezeichnet ein EU-System zur Identifizierung von Asylbewerbern und von Personen, die auf illegalen Weg die EU-Außengrenzen überschreiten. Das derzeitige System basiert auf einer Verordnung von EU-Parlament und Rat vom 26. Juni 2013.11 Die Europäische Kommission hat bereits einen Vorschlag für eine baldige Reform des Systems vorgelegt.12 Durch die Möglichkeit des Abgleichs von Fingerabdrücken und weiteren Daten erleichtert Eurodac die Umsetzung des Dublin-Verfahrens. Das System findet daher wie die Dublin-III-Verordnung nicht nur in den EU-Mitgliedstaaten Anwendung, sondern auch in Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz. Das Eurodac-System funktioniert auf Basis einer von der Europäischen Kommission verwalteten Zentraleinheit, einer computergestützten Datenbank für Fingerabdrücke und elektronischen Einrichtungen für die Datenübertragung zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der zentralen Datenbank. Neben den Fingerabdrücken werden u.a. Angaben zu Herkunftsmitgliedstaat, Geschlecht der Person, Ort und Zeitpunkt der Antragstellung oder Zeitpunkt des Aufgreifens übermittelt (Europäische Kommission).
Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen. 10 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zur Reformierung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und Erleichterung legaler Wege nach Europa (COM(2016) 197 final). 11 Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Neufassung). 12 Vorschlag der Europäischen Kommission vom 5. Mai 2016, COM/2016/0272 final - 2016/0132 (COD). 9
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Flüchtlinge Der Begriff des Flüchtlings beschreibt im allgemeinen Sprachgebrauch in der Regel Ausländer(-innen) aus Nicht-EU-Staaten, die zumeist irregulär in das Bundesgebiet, oder auch erlaubt aufgrund eines Aufnahmeprogrammes zum Zweck eines längeren oder Daueraufenthalts eingereist bzw. geflohen sind (vbw 2016). Die rechtliche Definition eines Flüchtlings ergibt sich aus Artikel 1A der Genfer Flüchtlingskonvention. Danach ist ein Flüchtling eine Person, die "aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will“. Frontex Frontex ist eine Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten mit Sitz in Warschau. Sie wurde erst 2005 gegründet, soll jedoch mit einem aktuell in der Ratsabstimmung befindlichen Verordnungsvorschlag13 durch eine Europäische Agentur für Grenz- und Küstenschutz abgelöst werden. Frontex unterstützt operative Aktivitäten der Mitgliedstaaten an den Land-, See- und Flughafen-Außengrenzen der EU mit dem Ziel, ein hohes und einheitliches Niveau der Grenzüberwachung und der Personenkontrollen zu erreichen. Zum derzeitigen Mandat gehört die Unterstützung bei gemeinsamen Rückführungen. Frontex kann jedoch nicht ohne oder gegen den Willen eines Mitgliedstaates tätig werden. Mangels ausreichenden eigenen Personals ist die Agentur auf die Entsendung von mitgliedstaatlichem Personals angewiesen. Dies soll sich durch die geplante Reform ändern (Europäische Kommission, Frontex). GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) Bislang besteht das Gemeinsame Europäische Asylsystem im Kern aus folgenden Richtlinien: Auf die Qualifikationsrichtlinie14 gehen höhere Schutzstandards zurück, die mit Blick auf den subsidiären Schutz über die völkerrechtlichen Verpflichtungen hinausgehen. Die Asylverfahrensrichtlinie15 sorgte für eine Verbesserung der Verfahrensstandards und begrenzte zum Beispiel die Länge der Verfahren, die danach nur in Ausnahmefällen 6 Monate überschreiten dürfen. In der Aufnahmerichtlinie16 sind Mindeststandards für die Aufnahme und Lebensbedingungen und eine abschließende Liste für Haftgründe enthalten. Unmittelbar anwendbar sind die Dublin-IIIVerordnung17 und die novellierte Verordnung zu Eurodac18. Die sogenannte Rückführungsrichtlinie19 dient der
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004, der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 und der Entscheidung 2005/267/EG des Rates, Ratsdokument 15398/15. 14 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes. 15 Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes. 16 Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen. 17 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung). 18 Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen. 19 Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008. 13
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Schaffung einheitlicher Mindeststandards bei der Rückführung ausreisepflichtiger Drittstaatsangehöriger (Europäische Kommission). Geduldete Geduldete sind Personen, die ausreisepflichtig sind, aber aus bestimmten Gründen (z.B. lebensbedrohliche Krankheit, Einreiseverweigerung durch den Herkunftsstaat) nicht ausreisen oder nicht abgeschoben werden können. Die Duldung ist gemäß § 60a Aufenthaltsgesetz kein Titel, der zum Aufenthalt berechtigt, sondern bewirkt lediglich die zeitlich befristete Aussetzung der Abschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers. Die Verpflichtung zur Ausreise bleibt bestehen (BMI). Genfer Flüchtlingskonvention Die Genfer Flüchtlingskonvention ist ein internationales „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" aus dem Jahr 1951. 147 Staaten haben die Konvention ratifiziert. Schutz soll danach genießen, wer befürchten muss, wegen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen einer politischen Überzeugung verfolgt zu werden (UNHCR). Härtefallregelung Maßgebliche Härtefallregelung im deutschen Recht ist § 23a AufenthG. Diese sieht die Möglichkeit vor, in besonders gelagerten, humanitären Fallgestaltungen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, auch wenn der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist. Die Entscheidung liegt im Ermessen der obersten Landesbehörde, die von der Härtefallkommission ersucht werden kann. Hotspots Die Europäische Kommission hat bereits im Mai 2015 verschiedene Sofortmaßnahmen zur Unterstützung der Mitgliedstaaten ergriffen, die überproportionalem Migrationsdruck an den EU-Außengrenzen ausgesetzt sind. Bestandteil dessen sind die Hotspots, die als Flüchtlingszentren zur Registrierung der Migranten an den EUAußengrenzen in Italien und Griechenland eingerichtet wurden. Dort unterstützen das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO), die EU-Grenzagentur (Frontex), das Europäische Polizeiamt (Europol) und die EU-Agentur für justizielle Zusammenarbeit (Eurojust) die Behörden, den Verpflichtungen des EU-Rechts nachzukommen und die ankommenden Flüchtlinge zügig zu identifizieren, zu registrieren und ihre Fingerabdrücke abzunehmen (Europäische Kommission).
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Königsteiner Schlüssel Nach dem sogenannten "Königsteiner Schlüssel" wird festgelegt, wie viele Asylsuchende ein Bundesland aufnehmen muss. Dies richtet sich nach Steuereinnahmen (zwei Drittel Anteil bei der Bewertung) und der Bevölkerungszahl (ein Drittel Anteil bei der Bewertung). Die Quote wird jährlich neu ermittelt. Für 2016 gilt Folgendes: Quoten zur Verteilung der Asylsuchenden auf die Bundesländer im Jahr 2016, gerundet, in Prozent Baden-Württemberg
12,86
Bayern
15,52
Berlin
5,05
Brandenburg
3,06
Bremen
0,96
Hamburg
2,53
Hessen
7,36
Mecklenburg-Vorpommern
2,03
Niedersachsen
9,32
Nordrhein-Westfalen
21,21
Rheinland-Pfalz
4,84
Saarland
1,22
Sachsen
5,08
Sachsen-Anhalt
2,83
Schleswig-Holstein
3,40
Thüringen
2,72
Quelle: BAMF
Migranten Der Begriff „Migranten“ dient im Allgemeinen als Sammelbezeichnung für alle Ausländer, die sich nicht nur zu einem vorübergehenden Zweck außerhalb ihres Herkunftslandes aufhalten (vbw 2016). Bei Personen, die sich ohne gültigen Aufenthaltstitel unerlaubt und ohne Kenntnis der zuständigen Behörden in Deutschland aufhalten, handelt es sich um illegale Migranten. Schengener Grenzkodex Als Schengener Grenzkodex wird das EU-Regelwerk über die Bestimmungen der Grenzkontrollen und des Grenzübertritts an den Binnen- und Außengrenzen des Schengenraums bezeichnet. Im März 2016 wurden die
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Regeln in der Verordnung über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen neu kodifiziert.20 Nach dem Schengener Grenzkodex dürfen die Außengrenzen nur an den Grenzübergangsstellen und während der festgesetzten Verkehrsstunden überschritten werden. Mit Blick auf die Binnengrenzen ist vorgesehen, dass Grenzkontrollen grundsätzlich nur vorübergehend und bei einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit wieder eingeführt werden können. Bestehen jedoch schwerwiegende Mängel bei den Kontrollen an den Außengrenzen durch ein EU-Land, kann die Kommission die Empfehlung aussprechen, für sechs (weitere) Monate Kontrollen an den Binnengrenzen durchzuführen, den Einsatz von Frontex oder von Europäischen Grenzschutzteams anzufordern oder eine bestimmte Grenzübergangsstelle an den Außengrenzen zu schließen. Schutzquote Als Schutzquote bezeichnet man den Anteil der positiv beschiedenen Asylanträge beim BAMF, einschließlich subsidiären Schutzes und des Schutzes aufgrund von Abschiebeverboten. Im vergangenen Jahr betrug die Schutzquote insgesamt 49,8 Prozent, davon 48,5 Prozentpunkte für Flüchtlingsschutz, 0,6 Prozentpunkte für den subsidiären Schutz und 0,7 Prozentpunkte für Abschiebungsschutz. Im ersten Quartal des Jahres 2016 wurde in 62 Prozent der getroffenen Asylentscheidungen die Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der GFK zuerkannt; weitere 0,9 Prozent erhielten subsidiären Schutz und 0,6 Prozent Abschiebungsschutz (BAMF). Sichere Drittstaaten Nach § 26a Asylverfahrensgesetz gilt grundsätzlich, dass sich nicht auf Asylrecht berufen kann, wer aus einem „sicheren Drittstaat“ einreist. Sichere Drittstaaten sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie Norwegen und die Schweiz. Hintergrund ist, dass in diesen Staaten die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention gelten. Sichere Herkunftsstaaten Sichere Herkunftsstaaten im Sinne von § 29a Asylverfahrensgesetz sind Staaten, bei denen aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse die gesetzliche Vermutung besteht, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Diese Vermutung ist im Einzelfall widerlegbar, wenn ein Ausländer aus einem solchen Staat glaubhaft Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, dass er entgegen dieser Vermutung doch Asylrechtsschutz benötigt. Als sichere Herkunftsstaaten gelten in Deutschland die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie des Europäischen Wirtschaftsraums, die Westbalkanstaaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Serbien, sowie Ghana und Senegal. Subsidiärer Schutz Die Gewährung subsidiären Schutzes richtet sich nach § 4 des Asylverfahrensgesetzes, der auf EU-Recht zurückgeht.21 Als subsidiär Schutzberechtigter wird anerkannt, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringt, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Be-
Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen. 21 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes. 20
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strafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Es handelt sich um eine Kategorie, mit der das EU-Recht über den völkerrechtlich gebotenen Schutz hinausgeht. Bei subsidiärem Schutz gilt der Aufenthaltstitel in Deutschland vorerst nur für die Dauer von einem Jahr (dagegen für drei Jahre bei Flüchtlingsschutz auf der Basis der Genfer Flüchtlingskonvention). Zudem wurde das Recht auf Familiennachzug für subsidiär Geschützte mit dem Asylpaket II für zwei Jahre ausgesetzt. Vorrangprüfung Derzeitige Rechtslage ist (Erleichterungen sind im Integrationsgesetz vorgesehen): Bevor ein Migrant ohne dauerhaften Aufenthaltstitel eine Arbeitsstelle antreten kann, überprüft die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit der sogenannten Vorrangprüfung, ob diese nicht mit einem Deutschen, einem EU-Staatsbürger oder einem anderen ausländischen Staatsbürger mit einem dauerhaften Aufenthaltsstatus besetzt werden kann. Eine Ausnahme gilt für Hochschulabsolventen, die die Voraussetzungen der Blauen Karte erfüllen und mit dem Verdienst eine bestimmte Gehaltsgrenze überschreiten. Unabhängig vom Gehalt entfällt die Vorrangprüfung nach drei Monaten auch für Hochschulabsolventen, die die Voraussetzungen für eine Blaue Karte der EU in Engpassberufen erfüllen sowie für Fachkräfte, die über eine anerkannte Ausbildung für einen Engpassberuf nach der Positivliste der BA verfügen bzw. an einer Maßnahme für die Berufsanerkennung teilnehmen. Neben der Vorrangprüfung nimmt die BA auch eine Prüfung der Beschäftigungsbedingungen vor, die sicherstellen soll, dass Asylbewerber bzw. Geduldete nicht zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen beschäftigt werden als vergleichbare inländische Arbeitnehmer (BA, BDA, BDI 2016).
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Flüchtlingspolitik 07/07/2016
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