Europa zum führenden Standort für Quantentechnologien entwickeln

Page 1

POSITION | INNOVATIONSPOLITIK | SCHLÜSSELTECHNOLOGIEN

Europa zum führenden Standort für Quantentechnologien entwickeln Einschätzungen der deutschen Industrie zu den erforderlichen Weichenstellungen

Dezember 2021 Schlüsseltechnologien mit hohem Potenzial für industrielle Anwender Technologien, die nach den Gesetzen der Quantenphysik funktionieren, galten lange Zeit als eine revolutionäre Idee, die sich allerdings nur schwer in die Praxis umsetzen lässt. Zuletzt konnte die Forschung in diesem Bereich jedoch aufsehenerregende Fortschritte erzielen, die quantenbasierte Lösungen nicht länger als bloße Theorie erscheinen lassen. Von diesem Technologiesprung profitieren nicht nur Wissenschaft und Forschung. Auch der Industrie bieten sich durch Quantentechnologien vielversprechende Chancen in den unterschiedlichsten Bereichen. So ermöglichen Quantencomputer, die im Unterschied zu klassischen digitalen Computern nicht auf Bits, sondern auf sogenannten Quantenbits (Qubits) basieren, bei bestimmten Aufgabenstellungen Rechengeschwindigkeiten, die selbst aktuelle Supercomputer in den Schatten stellen. In diesen Bereichen ist es durch den Einsatz von Quantencomputern möglich, große Datenmengen schneller auszuwerten und hochkomplexe Berechnungsverfahren anzuwenden. Vor diesem Hintergrund stellt das Quantencomputing nach Einschätzung vieler Expertinnen und Experten die Quantentechnologie mit dem „höchsten disruptiven Innovationspotenzial“1 dar. Auch im industriellen Kontext existieren zahlreiche potenzielle Anwendungsfelder für Quantencomputer. So kann die Fähigkeit von Quantencomputern, Muster und Zusammenhänge auch in riesigen unstrukturierten Datensätzen zu erkennen, etwa dafür genutzt werden, um die Objekterkennung beim autonomen Fahren weiter zu optimieren.2 Darüber hinaus kommen Quantencomputer bereits heute im Bereich der Batterieforschung zum Einsatz, wo sie in bestimmten Fällen zur Analyse von Molekülen genutzt werden, die auf klassischen Computern nicht angemessen simuliert werden können.3 Die durch Quantensimulation gewonnenen Erkenntnisse fließen unter anderem in die Entwicklung leistungsfähigerer Batterien ein, die beispielsweise in E-Fahrzeugen eingesetzt werden können.4

1

acatech (2020): Innovationspotenziale der Quantentechnologien der zweiten Generation, S. 63 Vgl. ebd. 3 Vgl. https://www.electrive.net/2018/06/09/google-und-vw-auf-dem-weg-zur-batterie-nach-mass/ [letztes Abrufdatum: 08.12.2021] 4 Vgl. https://www.bcg.com/publications/2019/quantum-computers-create-value-when [letztes Abrufdatum: 08.12.2021] 2

Dr. Thomas Koenen | Oliver Klein | Digitalisierung und Innovation | T: +49 30 2028-1502 | o.klein@bdi.eu | www.bdi.eu


Europa zum führenden Standort für Quantentechnologien entwickeln

Hohe Nachhaltigkeitspotenziale sind auch mit der Lösung komplexer Optimierungsprobleme verbunden. Exemplarisch sei an dieser Stelle das bekannte Problem der Optimierung der Wegstrecke zwischen verschiedenen Orten angeführt, das schnell Komplexitätsgrade annimmt, die selbst mit Supercomputern nicht in einer vertretbaren Zeit gelöst werden können.5 Quantencomputer hingegen können in diesem Bereich ihre Überlegenheit bei der Lösung derartiger Optimierungsprobleme ausspielen. Dadurch leisten sie in Zukunft einen wesentlichen Beitrag, um beispielsweise Transportwege und Verkehrsflüsse effizienter zu gestalten.6 Mit den genannten Beispielen sind die Anwendungspotenziale zudem noch lange nicht erschöpft. Zwar werden Quantencomputer klassische Computer nicht ersetzen, perspektivisch ist jedoch davon auszugehen, dass Quantencomputer in vielen Bereichen, in denen heute klassische Computersysteme an ihre Grenzen stoßen, Anwendung finden werden. Ein hohes industrielles Nutzenpotenzial besteht auch im Bereich der Quantensensorik, die zu den am weitesten entwickelten Quantentechnologien zählt.7 Industrieanwender profitieren hierbei von dem Vorteil, dass durch quantenbasierte Verfahren physikalische Größen mit einer – im Vergleich zu klassischen Sensoren – ungleich höheren Präzision erfasst werden können.8 Für das autonome Fahren und die satellitenunabhängige Navigation lassen sich dadurch beispielsweise Sensoren zur Messung der Rotationsgeschwindigkeit von Objekten mit einer deutlich höheren Genauigkeit konstruieren. In der industriellen Fertigung können mittels Quantensensoren etwa Halbleiter oder Schaltkreise zuverlässig auf mögliche Fehler überprüft werden.9 Ein weiteres wichtiges Anwendungsfeld stellt der geplante Einsatz von auf quantenmechanischen Effekten basierenden Sensoren in der Medizintechnik dar, die im Vergleich zu herkömmlichen Geräten eine minimalinvasivere und präzisere Diagnostik ermöglichen sollen.10 Da der Schutz vertraulicher Informationen für alle Unternehmen von zentraler Bedeutung ist, gehen darüber hinaus von der als abhörsicher geltenden Quantenkommunikation große industrielle Anwendungspotenziale aus. Während bestimmte etablierte Verschlüsselungsverfahren durch die Rechenleistung von Quantencomputern potenziell gebrochen werden können, ermöglicht die Quantenkommunikation eine durch physikalische Gesetze geschützte Datenübertragung. Entsprechende Technologien leisten dadurch einen wichtigen Beitrag, um Informationen auch in Zukunft langfristig vor unberechtigten Zugriffen zu schützen. Quantentechnologien zählen vor diesem Hintergrund zu den Schlüsseltechnologien der Zukunft, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit ganzer Industriezweige wie etwa der Automobil-, Chemie-, Gesundheits- oder Maschinenbauindustrie maßgeblich beeinflussen werden. Die Industrie nimmt dabei nicht ausschließlich eine Anwenderrolle ein, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung von Quantentechnologien. Bei der Förderung von Quantentechnologien muss dieser bedeutenden Rolle forschender Unternehmen Rechnung getragen und die industrieorientierte Forschung gleichrangig mitberücksichtigt werden. Deutschland und Europa sind in der Grundlagenforschung zu Quantentechnologien gut aufgestellt. Die Europäische Union (EU) verfügt dadurch über eine vielversprechende Ausgangsposition, um zu

5

Vgl. acatech (2020): Innovationspotenziale der Quantentechnologien der zweiten Generation, S. 64; Vgl. Fraunhofer-Allianz Big Data und Künstliche Intelligenz (2020): Quantum Machine Learning, S. 13f. u. 36f.; https://www.bcg.com/publications/2019/quantum-computers-create-value-when [letztes Abrufdatum: 08.12.2021] 7 Vgl. acatech (2020): Innovationspotenziale der Quantentechnologien der zweiten Generation, S. 46 8 Vgl. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (2015): Perspektiven der Quantentechnologien, S. 20 u. 45f. 9 Vgl. acatech (2020): Innovationspotenziale der Quantentechnologien der zweiten Generation, S. 49; https://www.produktion.de/wirtschaft/warum-quantensensoren-immer-wichtiger-werden-260.html [letztes Abrufdatum: 08.12.2021] 10 Vgl. acatech (2020): Innovationspotenziale der Quantentechnologien der zweiten Generation, S. 47 6

2


Europa zum führenden Standort für Quantentechnologien entwickeln

einem führenden Standort für Quantentechnologien zu avancieren. Das vorhandene Zeitfenster und die damit verbundene Chance auf Übernahme einer Technologieführerschaft auf diesem Gebiet gilt es unbedingt zu nutzen, um Europas Stellung als führenden Innovationsraum langfristig zu sichern. In den kommenden Jahren kommt es entscheidend darauf an, die Ergebnisse der Grundlagenforschung zügig in eine breite industrielle Anwendungspraxis zu überführen. Dabei sollte ein Fokus auf marktorientierte und skalierbare Lösungen gelegt werden, die industriellen Anwendern einen konkreten Nutzen bieten.

Quantentechnologien als Kernelement technologischer Souveränität Eine führende Rolle Europas im Bereich der Quantentechnologien ist nicht nur mit Blick auf die Potenziale in den verschiedenen Anwendungsbereichen sowie die langfristige Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen von zentraler Bedeutung. Auch aus politisch-strategischer Sicht ist eine hohe Technologiekompetenz Europas auf diesem Gebiet von entscheidender Relevanz. Neben Europa investieren auch andere führende Innovationsräume zunehmend in die Erforschung und Anwendung von Quantentechnologien. Allein für den Bereich des Quantencomputings ist laut der Strategieberatung McKinsey „gemessen an privaten Investitionssummen“ seit dem Jahr 2002 ein „jährliches Investitionswachstum von über 400%“ zu verzeichnen.11 In Bezug auf die staatliche Förderung des Quantencomputings nimmt Deutschland aktuell zwar einen internationalen Spitzenplatz ein. Mit einer jährlichen Förderung von 2,5 Milliarden US-Dollar liegt China in diesem Bereich jedoch mit deutlichem Abstand an der Spitze.12 Deutschland und Europa müssen sich dieser Wettbewerbssituation stellen, um mittel- und langfristig im internationalen Vergleich nicht abgehängt zu werden und die eigene Technologiekompetenz zu sichern. Denn nur durch den weiteren Aufbau und Erhalt eigener Fähigkeiten im Bereich der Quantentechnologien wird Europa in die Lage versetzt, auf diesem Gebiet dauerhaft selbstbestimmt handeln zu können. Die Sicherstellung eigener Kompetenzen in zentralen Schlüsseltechnologien und die damit verbundene Vermeidung strategischer Abhängigkeiten stärkt zudem ganz wesentlich die Resilienz der europäischen Industrie, beispielsweise im Falle einer Störung internationaler Lieferketten. Eine führende Stellung im Bereich der Quantentechnologien stellt somit ein zentrales Element zur Stärkung der technologischen Souveränität Europas dar.13

Quantentechnologien als ein zentrales Handlungsfeld europäischer Innovationspolitik etablieren Um die technologische Souveränität im Bereich der Quantentechnologien langfristig sicherzustellen und angesichts der hohen Investitionen in anderen führenden Innovationsräumen international konkurrenzfähig zu bleiben, müssen Deutschland und die übrigen EU-Mitgliedsstaaten Ressourcen bündeln, Aktivitäten koordinieren und gemeinsam unter Einbezug von Forschung und Industrie den Übergang ins Quantenzeitalter aktiv gestalten. Denn nur durch den Aufbau eines leistungsfähigen europäischen Ökosystems für Quantentechnologien kann sichergestellt werden, dass Europa in diesem

11 https://www.mckinsey.de/news/presse/quantum-computing-monitor-marktanalyse-investitionen [letztes Abrufdatum: 08.12.2021] 12 Vgl. McKinsey & Company (2020): McKinsey Quantum Computing Monitor. Facts & Figures. December 2020. 13 Vgl. BDI-Positionspapier „Europas digitale Souveränität nachhaltig stärken“

3


Europa zum führenden Standort für Quantentechnologien entwickeln

Bereich nicht hinter andere führende Innovationsräume zurückfällt. Daher ist es dringend geboten, die Förderung von Quantentechnologien als ein zentrales Handlungsfeld europäischer Innovationspolitik zu etablieren. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass von der EU-Kommission mit dem „Quantum Flagship“ bereits 2018 ein auf zehn Jahre angelegtes Förderprogramm für Quantentechnologien mit einem Volumen von einer Milliarde Euro aufgelegt wurde, das zu den größten europäischen Förderprogrammen überhaupt zählt und als ein Kernziel den Transfer von Forschungsergebnissen in die Anwendungspraxis unterstützt. Im Arbeitsprogramm zum „Digital Industry and Space“-Cluster des EU-Forschungsrahmenprogramms Horizon Europe (HEU), das am 15. Juni 2021 von der Europäischen Kommission verabschiedet wurde, werden darüber hinaus zahlreiche strategische Projekte für die Jahre 2021-2022 spezifiziert, die auf die Ziele von „Quantum Flagship“ einzahlen. Bei der Konzeption und Umsetzung der Projekte sollte grundsätzlich auch die Entwicklung von Standards mitberücksichtigt werden. Darüber hinaus ist eine enge Abstimmung der HEU-Projekte mit den Aktivitäten in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten geboten. Zudem muss sichergestellt werden, dass die Förderung von Projekten im Bereich der Quantentechnologien auch in den Folgejahren verstetigt wird. Die Europäische Kommission plant außerdem im Rahmen des Programms „EuroQCI“ signifikante Investitionen in die Entwicklung einer satellitenbasierten europäischen Quantenkommunikations-Infrastruktur. Auch diese Aktivität ist zu begrüßen, da terrestrische Infrastrukturen starken technischen Limitierungen unterliegen und somit deutlich weniger leistungsfähig sind. Im Bereich des Quantencomputings sollte in Europa neben der Hardwareentwicklung auch die Softwareentwicklung umfassend gefördert werden, da Staaten wie beispielsweise Deutschland in diesem Bereich über ein großes Potenzial verfügen. Eine führende Stellung im Bereich der Softwareentwicklung für Quantencomputing und -simulation ist darüber hinaus eine weitere wichtige Voraussetzung, um eine hohe Anwendungskompetenz in diesen Feldern zu erlangen und die großen industriellen Anwendungspotenziale in Europa vollständig ausschöpfen zu können. Die industrielle Anwenderperspektive muss auch bei der mittel- und langfristigen Weiterentwicklung der europäischen Förderprogramme im Bereich der Quantentechnologien von Anfang an mitberücksichtigt werden. So sind Unternehmen zur Unterstützung der Entwicklung und Anwendung von Quantentechnologien in besonderem Maße auf flexible und innovative Förderinstrumente angewiesen. Diese sollten es den Wirtschaftsakteuren zum einen ermöglichen, vorab mit einem begrenzten Einsatz von Eigenmitteln Anwendungen zu evaluieren, die potenziell auch bestimmte betriebswirtschaftliche Risiken bergen. Zum anderen sollten die Programme Umplanungen im Rahmen laufender Fördervorhaben zulassen, wenn die Zwischenevaluation von Projektergebnissen eine entsprechende Anpassung nahelegt. Dadurch können die Investitionen in Quantentechnologien optimiert und Risiken für die Industrie minimiert werden. Darüber hinaus sollten die bestehenden EU-Programme zur Förderung von Quantentechnologien in den kommenden Jahren durch zusätzliche Mechanismen, beispielsweise die relativ neuen Instrumente der Important Projects of Common European Interest (IPCEI) oder Regulatory Sandboxes (Reallabore), ergänzt werden. Auf diese Weise wird die Herausbildung europäischer Ökosysteme für Quantentechnologien unterstützt, die für die Bündelung des Know-hows der Akteure in Europa und den Transfer von Forschungsergebnissen in die Anwendungspraxis von zentraler Relevanz sind. Der Förderung von Transferinfrastrukturen, Kompetenznetzwerken sowie nationalen und europäischen Konsortien fällt auch deshalb

4


Europa zum führenden Standort für Quantentechnologien entwickeln

eine entscheidende Bedeutung zu, da in Europa aktuell kein einzelner Akteur die Entwicklung eines Quantencomputers allein übernehmen könnte. Europa darf sich dabei jedoch nicht abschotten, sondern sollte grundsätzlich auch internationale Unternehmen, die durch langjährige Forschungsaktivitäten in den EU-Mitgliedsstaaten aktiv zum Aufbau des europäischen Technologiestandorts mit beigetragen haben, in entsprechende Ökosysteme einbinden. Zudem muss die Anwendung von Quantentechnologien frühzeitig beim Aufbau europäischer Dateninfrastrukturen und Datenräume mitberücksichtigt werden, um Anwenderinnen und Anwendern darüber einen niederschwelligen Zugang zu Angeboten wie beispielsweise der Nutzung von Rechenleistung von Quantencomputern zu ermöglichen. Dies ist eine weitere wichtige Voraussetzung, um entsprechende Ressourcen in Europa in der Breite verfügbar zu machen.

Notwendige politische Weichenstellungen auf nationaler Ebene in Deutschland Auch in Deutschland zählt der Technologietransfer aktuell zu den wichtigsten Herausforderungen im Bereich der Quantentechnologien. Die Bundesregierung sollte daher ebenfalls den zügigen Transfer von Forschungsergebnissen in die industrielle Anwendungspraxis aktiv unterstützen. Das Rahmenprogramm „Quantentechnologien – von den Grundlagen zum Markt“ der Bundesregierung, das Ziele und Maßnahmen zur Förderung von Quantentechnologien bis zum Jahr 2022 beschreibt, legt bereits einen Schwerpunkt auf den Praxistransfer, was ausdrücklich begrüßt wird. Gleiches gilt in Bezug auf die Förderprogramme, die im ersten Halbjahr 2021 zur Umsetzung der auf Quantentechnologien bezogenen Ziele des Konjunktur- und Zukunftspakets der Bundesregierung aufgesetzt wurden und ebenfalls verschiedene Maßnahmen zur Förderung des Technologietransfers in die Anwendung umfassen. Um die mit dem Konjunktur- und Zukunftspaket bereitgestellten Mittel so effizient wie möglich einsetzen zu können, ist zum einen eine enge Koordination zwischen den beteiligten Ressorts (insbesondere zwischen dem BMBF und BMWi) erforderlich. Dabei muss insbesondere eine größtmögliche Kohärenz der einzelnen Fördermaßnahmen sichergestellt werden. Die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Förderprogramme müssen zudem unbürokratisch ausgestaltet, regelmäßig evaluiert und bei Bedarf – beispielsweise zur Berücksichtigung neuer technologischer Entwicklungen – angepasst werden. In diesen Prozess sollten auch Akteure aus Industrie und Wissenschaft – etwa durch die Einrichtung eines Beratungsgremiums – fest eingebunden werden, um die laufenden Förderprogramme so bedarfsgerecht wie möglich weiterzuentwickeln. Aus Sicht der deutschen Industrie besteht bei den Förderprogrammen insgesamt Nachbesserungsbedarf, der adressiert werden muss, damit die Förderprogramme ihre volle Wirkung entfalten können. Unabhängig davon muss die Förderung von Quantentechnologien auch in der neuen Legislaturperiode ganz weit oben auf der innovationspolitischen Agenda der Bundesregierung stehen und mit angemessenen Finanzmitteln ausgestattet werden. Vor diesem Hintergrund ist die im Koalitionsvertrag von SPD, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und FDP enthaltene Ankündigung, Investitionen in Quantentechnologien zu stärken, zu begrüßen. In den kommenden Monaten kommt es darauf an, diese Ankündigung zügig durch konkrete Maßnahmen umzusetzen. Einzelne Maßnahmen und Programme müssen dabei grundsätzlich so ausgestaltet werden, dass sie einerseits Technologieoffenheit und andererseits eine Fokussierung auf die vielversprechendsten Ansätze im Verlauf von Projekten gewährleisten. Die Förderung sollte in diesem Sinne nicht nach dem „Gießkannen-Prinzip“ erfolgen, sondern sich auf Projektkonsortien fokussieren, die im Verbund wesentliche Wertschöpfungsketten abbilden und marktorientierte Projekte vorantreiben. Darüber hinaus müssen die Maßnahmen und Programme für breite industrielle Anwenderkreise, d. h. sowohl für Großunternehmen als auch für kleine und mittlere

5


Europa zum führenden Standort für Quantentechnologien entwickeln

Unternehmen (KMU) sowie Start-ups leicht zugänglich sind, eine hohe Flexibilität in Bezug auf Förderquoten und -bestimmungen aufweisen und die Entstehung leistungsfähiger Ökosysteme für Quantentechnologien befördern. Dem Aufbau strategischer Partnerschaften zwischen Akteuren aus den Bereichen Forschung, öffentlicher Sektor und Wirtschaft fällt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle zu, um Projekte konsequent an industrierelevanten Fragestellungen auszurichten, einen wechselseitigen Know-howTransfer sicherzustellen und auf diese Weise die Herausbildung von Ökosystemen in Deutschland zu befördern. In der frühen Technologiephase kommt auch dem Staat eine bedeutende Rolle zu, da das staatliche Nachfragepotenzial die Entwicklung des Marktes für Quantentechnologien deutlich beschleunigen kann. Wichtig ist zudem die Förderung hybrider Kollaborationen an einem Ort zwischen der Industrie und Forschung. Auf diese Weise wird die Herausbildung von Strukturen unterstützt, die in Zukunft dazu genutzt werden können, um marktreife Lösungen konsequent in die verschiedenen Anwenderbranchen zu überführen. Da kein Mitgliedsstaat der EU allein im internationalen Wettbewerb mit anderen führenden Innovationsräumen dauerhaft mithalten kann, sollte die Entwicklung von nationalen Ökosystemen immer im europäischen Kontext gedacht und entsprechend ausgestaltet werden. Politische Maßnahmen zur Förderung nationaler und europäischer Ökosysteme für Quantentechnologien müssen dabei durch Aktivitäten flankiert werden, die auf eine Verbesserung der allgemeinen Rahmenbedingungen für Forschung- und Entwicklung innerhalb der EU einzahlen. Denn ohne agilere und unbürokratischere Vergabe- und Verwaltungsverfahren können viele Förderinstrumente nur eine begrenzte Wirkung entfalten. Darüber hinaus müssen auch Standortfaktoren wie die Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte beim Aufbau von Ökosystemen für Quantentechnologien mitberücksichtigt werden. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang zum einen eine umfassende Ausbildung von Quantenexpertinnen und -experten (im Bereich der Hard- und Software) im tertiären Bildungsbereich sowie die Schaffung berufsbegleitender Weiterbildungsmöglichkeiten für Fachkräfte. Zum anderen bedarf es geeigneter Rahmenbedingungen für die Akquirierung von Talenten aus dem In- und Ausland. Die im Rahmen von Förderprogrammen bereitgestellten Personalbudgets müssen ausreichend hoch und angemessen flexibel sein, um im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe mithalten zu können. Um eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz für den Einsatz von Quantentechnologien sicherzustellen, sollten außerdem mögliche Sorgen in Bezug auf die disruptiven Potenziale von Quantentechnologien in der Gesellschaft frühzeitig adressiert werden. Neben der Förderung von Ökosystemen für Quantentechnologien und der zügigen Umsetzung wichtiger Einzelmaßnahmen, wie beispielsweise den Kauf, Aufbau oder Betrieb von Quantencomputern in Deutschland, sollte die Bundesregierung auch frühzeitig Herausforderungen in Bezug auf die Sicherheit informationstechnischer Systeme adressieren, die mit den Entwicklungen im Bereich der Quantentechnologien verbunden sind. Da Unternehmen in hohem Maße auf sichere IT-Infrastrukturen angewiesen sind, bestimmte etablierte Sicherheitsmechanismen – sogenannte asymmetrische Verschlüsselungsverfahren – durch Quantencomputer jedoch potenziell gebrochen werden können, muss sowohl die Entwicklung quantenresistenter Verfahren (Post-Quanten-Kryptographie) als auch die Erforschung neuartiger abhörsicherer Kommunikationsformen (Quantenkommunikation) in Deutschland gefördert werden.

6


Europa zum führenden Standort für Quantentechnologien entwickeln

Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028-0 Redaktion Dr. Thomas Koenen Leiter der Abteilung Digitalisierung und Innovation T: +49 30 2028-1415 t.koenen@bdi.eu Oliver Klein Referent Digitalisierung und Innovation T: +49 30 2028-1502 o.klein@bdi.eu

BDI Dokumentennummer: D 1478

7


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.