Mid-Caps ergänzend zu KMU als Unternehmenskategorie einführen

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Mid-Caps ergänzend zu KMU als Unternehmenskategorie einführen

Gezielte Politik für den industriellen Mittelstand erleichtern

Einführung

Deutschland beheimatet – regional in Dichte, Breite und Tiefe unterschiedlich – einen in vieler Hinsicht besonders ausgeprägten unternehmerischen Mittelstand mit vielen Familienunternehmen. Dieser schafft auch abseits von Ballungszentren und oftmals in teilweise grenzüberschreitenden Wertschöpfungsverbünden von kleinen, mittleren und großen Unternehmen sowie gemeinsam mit der Wissenschaft vielseitige Produkte und passende Dienstleistungen. Lösungen, die teilweise weltweit nachgefragt werden.

Grundsätzlich gilt: Differenzierte Branchen- und Unternehmensstrukturen sind ein Garant für die dynamischen Wettbewerbsvorteile der deutschen Industrie. Unternehmerische Ökosysteme, Cluster und Netzwerkstrukturen, die steter Überprüfung und dynamischer Veränderung standhalten, haben eine besondere Bedeutung, um Kompetenzbündel und Synergien – und damit Wettbewerbsvorsprünge –entwickeln zu können (BDI: Zehn Punkte für faire und nachhaltige Zuliefererbeziehungen, S. 2)

Wenn Politik in Brüssel und Berlin für die globale Wettbewerbs- und strategische Widerstandsfähigkeit der EU genauso wie für Investitionen, Arbeitsplätze und Wachstum vor Ort eintreten will, bieten praxisnahe und zukunftsorientierte Unternehmenskategorien vielfältige Chancen. Nationale und europäische Mittelstandspolitik erhält klare Orientierung, um strategische Konzepte und konkrete Maßnahmen treffsicher zu entwickeln. Bei Unternehmen können übergreifende Zielsetzungen (Innovation; Klimaschutz; …) angereizt beziehungsweise größenbedingte Nachteile oder Verwundbarkeiten bedarfsgerecht ausgeglichen werden, etwa per finanzieller Förderung und regulatorischer Entlastung.

Für eine gezielte Mittelstandspolitik, die auch in der Breite spürbar wird, sollten Entscheider in Brüssel und Berlin nicht nur Mid-Caps als Kategorie einführen, sondern auch die finanziellen Schwellenwerte der KMU-Definition überprüfen Die europäische KMU-Definition gilt seit 2005, hat schon lange Reformbedarf und wird aktuellen und absehbaren Entwicklungen nicht gerecht. Denn teilweise dramatische Preisentwicklungen etwa für Energie, Rohstoffe, Materialien und Arbeit bringen Umsatzsprünge, die nicht die eigentliche Entwicklung der Wertschöpfung spiegeln. Reformvorschläge zur europäischen KMU-Definition hat der BDI bereits im April 2018 vorgelegt (BDI: Die europäische KMU-Definition zukunftsfest machen)

Fabian Wehnert | Mittelstand und Familienunternehmen | T: +49 30 2028-1470 | f.wehnert@bdi.eu | www.bdi.eu
Juni 2023
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POSITION | MITTELSTANDSPOLITIK | MID-CAPS
Mid-Caps ergänzend zu KMU als Unternehmenskategorie einführen 2 Inhaltsverzeichnis Einführung 1 Mid-Caps: eine Vermessung 3 Mid-Caps: das politische Momentum 4 Mid-Caps: die politische Operationalisierung..................................................................................5 Mid-Caps: Schlussfolgerungen und Handlungsbedarf...................................................................6 Impressum ...........................................................................................................................................7

Mid-Caps: eine Vermessung

Eine Studie des Austrian Institute of Technology (AIT) im Auftrag der EU-Kommission aus 2022 zeigt eine Vielzahl von Definitionen zu Mid-Caps auf europäischer und nationaler Ebene, was eine konsistente Handhabung seitens der Politik erschwert (AIT: study to map, measure and portray the EU midcaps landscape, S. 8-12).

Während das AIT für seine Studienzwecke Mid-Caps als Unternehmen mit mindestens 250, aber weniger als 1.500 Beschäftigten definiert, bleibt festzuhalten, dass unterschiedliche Größenordnungen von Mid-Caps politisch diskutiert oder bereits operationalisiert werden. Das reicht von Small-Mid-Caps mit bis zu 500 Mitarbeitern bis hin zu Large-Mid-Caps mit bis zu 3000 Mitarbeitern. Alle Größenordnungen erscheinen politisch sinnvoll und müssen doch differenziert betrachtet werden, weil für gezielte Politik je eigene Vor- und Nachteile zu erwarten sind.

Im eigenen Studiendesign (mindestens 250 / weniger als 1.500 Beschäftigte) hält das AIT zur Quantität von Mid-Caps in der EU fest: „Wir schätzen, dass mehr als 13% der Gesamtbeschäftigung im europäischen Unternehmenssektor und etwa 20% aller Beschäftigten in den nordischen Ländern, Luxemburg, Deutschland und Österreich auf sie entfallen, während ihr Anteil an der Beschäftigung in Spanien, Portugal, Frankreich, Polen oder Griechenland 10% oder weniger beträgt“ (AIT S. 5).

Deutsche Statistiken werten (bislang) nicht in Richtung Mid-Caps aus. Entlang einer Sonderauswertung von Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist in Annäherung davon auszugehen, dass in Deutschland vergleichsweise wenige Unternehmen in diese Kategorie fallen. Entlang des AIT-Zuschnitts wären es rund 15.000 Unternehmen (bei einem Gesamtbestand von etwa 3,5 Millionen).

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Als bemerkenswert stuft das AIT die unternehmerische und damit wirtschaftspolitische Qualität von Mid-Caps in der EU ein. Denn „besonders hoch ist ihr Anteil in Bereichen, die für die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union von zentraler Bedeutung sind: Elektronik, Luft- und Raumfahrt, Energieerzeugung, energieintensive Industrien und Gesundheit“ (AIT S. 5). Sie „wachsen in den meisten EU-Mitgliedstaaten schneller als der Durchschnitt der Unternehmen. Ihre Innovationsleistung liegt über der von KMUs aber leicht unter der von Großunternehmen. Die Mehrheit von ihnen ist auch auf Märkten außerhalb der EU tätig (AIT S. 5)“.

Das AIT hat auch die Eigentumsstruktur von Mid-Caps in der EU untersucht. Diese „befinden sich häufig in Familienbesitz, eine beträchtliche Anzahl von ihnen sind aber auch Tochtergesellschaften multinationaler Unternehmen“ (AIT S. 5). Ohnehin hat sich die Kategorie Mid-Cap schon länger im Finanzbereich etabliert und bezieht sich auf Unternehmen mit mittelgroßer Marktkapitalisierung an der Börse. Es gilt hier die Perspektive zu weiten und gerade auch Unternehmen fern der Börse – etwa mittelständische Familienunternehmen – zu bedenken.

Im Ergebnis wird allemal deutlich, dass eine gezielte Berücksichtigung von Mid-Caps weniger an Quantität als an Qualität orientiert ist. Erreichbar würden Unternehmen, die als agile Treiber eine besondere Rolle für Innovation, Skalierung, Transformation, Wachstum und Internationalisierung spielen – also für Zielsetzungen einer modernen Mittelstandspolitik national und europäisch.

Mid-Caps: das politische Momentum

Im Wissen um die besondere Qualität von Mid-Caps wird deren Bedeutung seit Jahren aus unterschiedlichen Perspektiven bestätigt.

Zu nennen sind etwa aus Brüssel:

▪ Die Mitteilungen der EU-Kommission „Für ein Wiedererstarken der europäischen Industrie“ vom Januar 2014 (KOM 2014/14) würdigt die Bedeutung von KMU für erfolgreiche Industriepolitik. Gleichzeitig werden nachhaltige Clusterbildung genauso wie unternehmerische Größe als erfolgskritische Treiber gesehen, um europaweit industriepolitische Ziele zu erreichen.

▪ Die Entschließung des EU-Parlaments zu Familienunternehmen in Europa von September 2015 (2014/2210 (INI)) stellt aus guten Gründen einen engen Zusammenhang zwischen Familienunternehmen und KMU her (Erwägungsgrund E und Punkt 5). Konkret wird die EU-Kommission aufgefordert, „in Betracht zu ziehen, Familienunternehmen mittelgroßer Marktkapitalisierung in den Kreis der Begünstigten sämtlicher bestehender Instrumente für KMU und/oder Unternehmer (…) aufzunehmen“ (Punkt 10).

▪ Die Mitteilung der EU-Kommission „Investitionen in eine intelligente, innovative und nachhaltige Industrie“ aus September 2017 (KOM 2017/479) greift industriepolitische Kerngedanken aus 2014 wieder auf. So müssten die einschlägigen Akteure auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene „die Lage im Auge behalten, um auf Veränderungen bei den Wertschöpfungsketten, Nachhaltigkeitsprobleme, Verlagerungen der globalen Nachfrage sowie noch vorhandene strukturelle Schwächen unseres Unternehmensumfelds zu reagieren“ (S. 4).

▪ Die Entschließung des EU-Parlaments zu einer neuen Strategie für europäische KMU aus Dezember 2020 (2020/2131 INI) wiederum sieht und konkretisiert Handlungsbedarf „in der Erwägung, dass Unternehmen mit mittlerer Kapitalisierung (Mid-Cap-Unternehmen) erheblich

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zur Beschäftigung und zum Wachstum beitragen, insbesondere in einigen Mitgliedstaaten; in der Erwägung, dass die Kommission im Rahmen der REFIT-Initiative prüfen sollte, ob es einer gesonderten Definition der Mid-Cap-Unternehmen bedarf, um gezielte Maßnahmen zu ermöglichen, wobei sichergestellt werden sollte, dass dadurch weder die bestehende KMU-Definition erweitert noch die Unterstützung von KMU in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird“.

▪ Das „Arbeitspapier“ der EU-Kommission zur Evaluierung der KMU-Definition (SWD (2021) 280 final) aus September 2021 hält fest: „Mit einiger Deutlichkeit wird eine Definition gefordert, die auf Unternehmen zugeschnitten ist, von denen die in der KMU-Definition festgelegten Schwellenwerte überschritten wurden. Es könnte von Nutzen sein, die Herausforderungen zu untersuchen, mit denen der KMU-Phase „entwachsene“ Unternehmen konfrontiert sind, und zu analysieren, ob Politikdefizite beseitigt werden könnten“ (S. 5)

Eine entsprechend von der EU-Kommission beauftragte Studie (umgesetzt vom Austrian Institute of Technology (AIT)) skizziert die europäische Mid-Cap-Landschaft und empfiehlt: “policy should monitor and evaluate how existing initiatives benefit mid-cap firms and adapt these initiatives if necessary (AIT S. 3)”.

In Berlin wiederum formuliert die deutsche Bundesregierung (BReg: Stellungnahme zur öffentlichen Konsultation zur Überprüfung der europäischen KMU-Definition vom Mai 2018):

„Um eine gezielte Adressierung auch größerer mittelständischer Unternehmen in spezifischen Politikbereichen zu ermöglichen, sollte die Empfehlung durch Schaffung einer zusätzlichen Unternehmenskategorie „Small-Mid-Caps“ (250 bis 500 Mitarbeiter) ergänzt werden. Im Hinblick auf die hohe Bedeutung von Forschung und Innovation für die Wettbewerbsfähigkeit der EU sollte eine besonders weitgehende Einbeziehung des Mittelstands möglich sein“ (BReg, S. 2).

Die KMU-Definition solle mit so einem Größensegment „im Sinne eines Baukastenprinzips ergänzt werden“ (BReg, S. 3). Denn dann wäre „auf Grundlage einer einheitlichen europäischen Definition in spezifischen Bereichen ein gezieltes Aufgreifen der spezifischen Belange auch von Small Mid-Caps denkbar“ (BReg, S. 3)

Im Ergebnis wird deutlich, dass im politischen Momentum in Brüssel und Berlin die besondere Qualität und hohe Bedeutung von Mid-Caps strategisch erkannt sind, eine konkrete und konsistente Umsetzung aber noch aussteht. Wichtig bleibt, denkbare Maßnahmen nicht als Null-Summen-Spiel, sondern als Win-Win-Situation zu verstehen, die finanzielle oder regulatorische Förderlücken schließt und so neue Perspektiven eröffnet.

Mid-Caps: die politische Operationalisierung

Jenseits strategischer Perspektiven berücksichtigen Teile von EU-Regulierung schon heute, dass gezielt ansetzende finanzielle Förderung, genauso wie bürokratische Entlastung von Unternehmen, auch jenseits der Kategorie KMU positiv auf Investitionen, Wachstum und Beschäftigung in der EU und darüber hinaus wirken.

Beispielhaft zu nennen sind etwa:

▪ Die Verordnung EU 2015/1017 zum „Europäischen Fonds für strategische Investitionen“ (EFSI) identifiziert in Art. 2 bedarfsorientiert ein breiteres Spektrum nutzungsberechtigter

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Unternehmen. In Betracht gezogen werden „kleinste, kleine und mittlere Unternehmen“ (KMU entlang der EU-Definition) genauso wie „kleine Unternehmen mit mittelgroßer Marktkapitalisierung“ (bis zu 499 Mitarbeiter) sowie „Unternehmen mit mittelgroßer Marktkapitalisierung“ (bis zu 3000 Mitarbeiter).

▪ Die EU-Richtlinie 2014/95 zur CSR-Berichterstattung hatte Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten ausgenommen.

▪ Die Richtlinie EU 2022/2464 hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) staffelt die – allemal sehr kompliziert angelegte – Berichtspflicht zumindest zeitlich entlang der Größenordnung von Unternehmen.

Mid-Caps: Schlussfolgerungen und Handlungsbedarf

Mid-Caps sind qualitativ wichtige Akteure für Wirtschaft und Gesellschaft vor Ort, für grenzüberschreitende Aktivitäten in Europa sowie für die globale Wettbewerbs- und strategische Widerstandsfähigkeit der EU insgesamt. Von daher gibt es gute Gründe, Mid-Caps als eigene Unternehmenskategorie zu etablieren.

Hilfreich für erste Schritte erscheint, entlang der EFSI-Verordnung zu unterscheiden zwischen „kleinen Unternehmen mit mittelgroßer Marktkapitalisierung und bis zu 499 Mitarbeiter“ (Small-Mid-Caps) und „Unternehmen mit mittelgroßer Marktkapitalisierung und bis zu 3000 Mitarbeiter“ (Large-Mid-Caps).

Die Politik sollte Mid-Caps als Kategorie etablieren und die Effekte gezielter Kategorisierung durch belastbare Datenerhebung auf nationaler und europäischer Ebene bewerten, um gezielt einsteuern und ggf. nachhalten zu können.

Im ersten Schritt sehr zügig Small-Mid-Caps einzuführen, hätte den Vorteil, diese Unternehmenskategorie schon bei der anstehenden Ausgestaltung des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) für 2028 ff. und den EU-Förderprogrammen oder für regulatorische Entlastung fallweise und nachvollziehbar berücksichtigen zu können. Das würde Erfahrungen und belastbare Hinweise geben

Um Mid-Caps kontrolliert an ausgewählte EU-Förderprogramme heranzuführen, könnten Mittel degressiv zugeordnet oder gedeckelt werden. Pilotprojekte etwa auf den Feldern Klima, Umwelt, Forschung & Entwicklung oder Internationalisierung würden zeigen, ob Förderung zielgerichtet ankommt und in welchem Umfang europäische Ziele erreicht werden. Ohnehin sollte der neuen MFR mehr Ressourcen dafür bereitstellen, Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz zu stärken.

Hinsichtlich regulatorischer Erleichterung wäre es dem europäischen Gesetzgeber möglich, über KMU hinaus Unternehmen zu erreichen, bei denen aufgrund ihrer Größe noch immer unverhältnismäßige Belastungen durch regulatorische Vorgaben zu erwarten sind. Positiv gesehen könnten beispielsweise in künftigen Außenwirtschaftsabkommen spezifische Kapitel eine Zielgruppe erreichen, die nachweislich international aktiv ist.

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Impressum

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI)

Breite Straße 29, 10178 Berlin

www.bdi.eu

T: +49 30 2028-0

Lobbyregisternummer: R000534

Redaktion

Fabian Wehnert

Abteilungsleiter Mittelstand und Familienunternehmen

T: +49 30 2028-1470

f.wehnert@bdi.eu

BDI-Dokumentennummer: D1774

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