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FORDERUNGEN ZUR BTW25 | MODERNER STAAT
FORDERUNGEN ZUR BTW25 | MODERNER STAAT
Mit durchschnittlich mehr als 200 Behördenkontakten pro Jahr sind Industrieunternehmen die Power-User der öffentlichen Verwaltung. Effiziente, bürokratiearme und Ende-zu-Ende digitalisierte Verwaltungsverfahren sind Grundvoraussetzung für eine verbesserte Funktionsfähigkeit des Staates, mehr Vertrauen der Öffentlichkeit in die Behörden sowie ein entscheidender Standortfaktor. Die nächste Bundesregierung muss zwingend gemeinsam mit den Ländern die Verwaltungsmodernisierung durch eine umfangreiche Registermodernisierung und die Ende-zu-Ende Digitalisierung aller relevanten Verwaltungsverfahren vorantreiben. Um Kapazitäten in Unternehmen für Innovationen zu schaffen, braucht es dringend umfangreichen Bürokratieabbau und ein Belastungsmoratorium. Damit die digitale Transformation mit Tempo vorangebracht wird, müssen Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Grundsätzlich sollte der Staat eine Vertrauenskultur im Verhältnis zu Unternehmen verankern. Die Modernisierungsagenda sollte dem Leitbild „Bürokratiearm. Beschleunigt. Digital. Industriefokussiert.“ folgen und sich auf die Bedarfe der Nutzenden konzentrieren.
Ein leistungsfähiger Staat für einen wettbewerbsfähigen Standort
Mit durchschnittlich mehr als 200 Behördenkontakten pro Jahr sind Industrieunternehmen die Power-User der öffentlichen Verwaltung. Von der Zulassung von Kfz-Flotten über immissionsschutzrechtliche Anträge für neue Fertigungshallen bis hin zu umfangreichen Planungs- und Genehmigungsverfahren für die Errichtung Kritischer Infrastrukturen hat das Verwaltungshandeln weitreichende Implikationen sowohl für die Leistungsfähigkeit der Industrie als auch die Attraktivität des Standorts. Aktuell entscheiden sich Unternehmen – zunehmend auch Mittelstand und Familienunternehmen – gegen Investitionen am Standort Deutschland, da neben hohen Energiekosten, einem zunehmenden Fachkräftemangel sowie einer großen Skepsis der Bevölkerung gegenüber Industriestandorten langwierige Verwaltungsverfahren und hochgradig bürokratische Hürden die Standortattraktivität negativ beeinflussen.
Effiziente, bürokratiearme und Ende-zu-Ende digitalisierte Verwaltungsverfahren sind Grundvoraussetzung für eine verbesserte Funktionsfähigkeit des Staates, mehr Vertrauen der Öffentlichkeit in die Behörden sowie ein entscheidender Standortfaktor. Allein für die deutsche Wirtschaft belaufen sich die Bürokratiekosten aktuell auf 65 Mrd. Euro pro Jahr. Um diese Kosten signifikant zu senken, fordert der BDI alle politisch Handelnden in Bund, Ländern und Kommunen auf, die Verwaltung zu digitalisieren, Verfahren zu beschleunigen, Regelungen auf ihre Umsetzbarkeit und Notwendigkeit zu überprüfen, Bürokratie verbindlich und systematisch abzubauen sowie die Interaktion von Bund, Ländern und Kommunen effizienter auszugestalten. Ohne eine entschlossene Verwaltungsdigitalisierung wird die prognostizierte Fachkräftelücke in der Verwaltung von 765.000 Mitarbeitenden im Jahr 20301 bei gleichzeitiger Verdoppelung allein von Planungs- und Genehmigungsverfahren2 zu einem massiven Attraktivitätsverlust des Standorts im globalen Wettbewerb um Investitionen führen. Dem gilt es entschlossen entgegenzuwirken. Zur verbesserten Funktionsfähigkeit des Staates gehört zwingend eine Rechtsetzung, die den Industriestandort Deutschland stärkt. Unternehmen können im Wettbewerb nur bestehen, wenn gesetzliche Regelungen auf den Prüfstand gestellt und neue Gesetze – insbesondere auch mit Blick auf europäische Vorgaben – bürokratiearm gestaltet werden. Um die für die Transformation notwendigen Verfahren mit angemessenem Aufwand durchzuführen, muss die Eigenverantwortung der Betreiber gestärkt und die Kompetenzen der Behörden erhöht werden. Um die Standortattraktivität konsequent zu fördern, müssen zuvorderst eine leistungsfähige Ende-zu-Ende digitalisierte, bürokratiearme öffentliche Verwaltung und kürzere Verfahren geschaffen werden. Die Modernisierungsagenda sollte dem Leitbild „Bürokratiearm. Beschleunigt. Digital. Industriefokussiert.“ folgen und sich auf die Bedarfe der Nutzenden konzentrieren. Dabei muss zwingend sichergestellt sein, dass Steuergelder effizient eingesetzt werden und nicht in jeder Verwaltungseinheit personalaufwendige und kostspielige Lösungen für identische Probleme entwickelt werden.
1 PwC. 2022. Fachkräftemangel im öffentlichen Sektor.
2 BDI. 2023.
▪ Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen zukunftsfest aufstellen: Die bestehenden Zuständigkeiten und Aufgabenverteilungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen müssen kritisch hinterfragt werden. Denn die aktuelle Kompetenzverteilung und damit einhergehende (Abstimmungs-)Blockaden behindern in mancher Hinsicht einen effektiven Bürokratieabbau und bringen den Staat zunehmend an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit Betroffen sind insbesondere die Digitalisierung von staatlichen Strukturen und Verwaltung sowie Fragen der staatlichen Sicherheit. Um als Standort wieder wettbewerbsfähig zu werden, wären eine Föderalismusreform, zumindest aber partiell erforderliche Grundgesetzänderungen oder Staatsverträge denkbar. Jedenfalls ist ein politischer Schulterschluss der Bundes- und Landesregierungen unerlässlich, um die Resilienz und Leistungsfähigkeit der Staatsorganisation nachhaltig auf solide Beine zu stellen und den Standort wieder handlungsfähig zu machen Ohne spürbare Verbesserungen im Verwaltungshandeln wird es nicht mehr gehen.
▪ Arbeitsfähigkeit der Kommunen gewährleisten: Neben der grundgesetzlichen Anpassung von Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern sollte ferner geprüft werden, wie durch eine gezielte Bündelung von Kompetenzen und Zuständigkeiten insbesondere die Kommunen – unter Wahrung der grundgesetzlich verbrieften kommunalen Selbstverwaltung – bei der Umsetzung der Vielzahl an Aufgaben unterstützt werden können. Es gilt, das Spannungsverhältnis von kommunaler Selbstverwaltung und kommunaler Überforderung zum Wohle effizienten Verwaltungshandelns für Unternehmen sowie für Bürgerinnen und Bürgern zu lösen.
▪ Vergaberecht bundesweit vereinheitlichen: Das Vergaberecht muss dringend im Unterschwellenbereich auf Basis der Unterschwellenvergabeordnung sowie der VOB/A vereinheitlicht werden. Der rechtliche Flickenteppich durch die unterschiedlichen Landesregelungen hat eine Dimension erreicht, die zulasten aller bundesweit anbietenden Bieter, vor allem aber des Mittelstandes und von Start-ups geht, die in jedem Bundesland unterschiedliche Regelungen, Schwellenwerte, Standards und Formulare beachten müssen. Statt weiterhin die zersplitterte Vergaberechtslandschaft aufrecht zu erhalten, muss stattdessen auch unterhalb der europäischen Schwellenwerte das Vergaberecht des Bundes als abschließende Regelung im Vergaberecht ausgestaltet werden. Dies wäre zugleich ein wesentlicher Beitrag zum Bürokratieabbau.
▪ EU-(Digital)-Recht bundesweit einheitlich umsetzen: Die EU-Rechtsetzung gibt Rahmenbedingungen vor, deren Vollzug jedoch bei Bund und Ländern liegt und zugleich auf unterschiedliche Rechtsverständnisse der Mitgliedstaaten stoßen. Es ist eine Regulierungsdichte entstanden, die in ihrer Komplexität unüberschaubar geworden ist. Zugleich erschweren die unterschiedlichen Auslegungspraxen im föderalen System die Normenklarheit für Unternehmen erheblich. EU-Recht sollte zwingend EU-weit einheitlich umgesetzt werden –dies bedeutet auch, dass auch innerhalb Deutschlands eine bundeseinheitliche Umsetzung zwingend notwendig ist. Eine einheitliche Implementierung von EU-Recht würde die Normenklarheit erhöhen, den bürokratischen Aufwand senken, ein Level Playing Field innerhalb Europas schaffen und Unternehmen erlauben, Skaleneffekte im EU-Binnenmarkt zu heben.
Verwaltungsdigitalisierung in Bund, Ländern und Kommunen beschleunigen
▪ Recht auf digitale Verwaltungsleistungen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene verankern: Effiziente und bürokratiearme Verwaltungsverfahren sind ein entscheidender Standortfaktor. Bund und Länder müssen gemeinsam sicherstellen, dass spätestens Ende 2026 alle für die Industrie relevanten OZG-Leistungen volldigital bundesweit verfügbar sind – die vom Bundestag verabschiedete Frist, bis 2029 ausschließlich Bundesleistungen volldigital anzubieten, wird den Bedarfen des Standorts nicht gerecht. Es wird dringend ein Rechtsanspruch auf digitale Verwaltungsleistungen auf allen Ebenen des Föderalstaats benötigt, um den Umsetzungsdruck zu erhöhen. Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass einmal eingeführte digitale Verwaltungsdienstleistungen flächendeckend angeboten und nicht wieder abgeschaltet werden.
▪ Registermodernisierung mit Tempo voranbringen: Die nächste Bundesregierung muss endlich die in Registern gespeicherten Daten durch eine konzertierte Modernisierung und Zusammenführung der deutschen Registerlandschaft behördenübergreifend nutzbar machen Die konsequente Registermodernisierung ist Voraussetzung für datengetriebenes Verwaltungshandeln und würde zu Kosteneinsparungen in der Verwaltung sowie bei Unternehmen führen. Bund und Länder müssen bis 2025 die Modernisierung der 19 Prio-Register durch konsequentes Abarbeiten der definierten Meilensteine fristgerecht erreichen. Anschließend muss zügig – nach Relevanz geclustert – mit der Modernisierung weiterer Register fortgefahren werden. Die Bundesregierung muss die Registermodernisierung eng mit den Ende-zu-Ende digitalisierten OZG-Leistungen sowie den Portal- und Plattformvorhaben, wie dem Organisationskonto, verzahnen.
▪ Organisationskonto bundesweit nutzbar machen: Das Unternehmenskonto, welches Bayern und Bremen entwickelt und im Juni 2021 online gestellt haben, ist weiterhin nicht bundesweit verfügbar. Die Bundesregierung muss gemeinsam mit den Ländern sicherstellen, dass das Organisationskonto alle vorgesehenen Module umfasst und bundesweit einheitlich vollumfänglich nutzbar ist. Unternehmen sollten Verwaltungsverfahren Ende-zuEnde voll digital und auf Basis einer digitalen Identität über das Organisationskonto bundesweit einheitlich abwickeln können. Da vielfach Interaktionen zwischen Wirtschaft und Verwaltung Kommunikationsprozesse zwischen Unternehmen und Unternehmen sowie Gutachtern vorgelagert sind, sollte im Sinne eines effizienten, medienbruchfreien Verwaltungsverfahrens die B2B-Kommunikation ebenfalls über das Organisationskonto abgebildet werden können.
▪ Einsatz von KI in der Verwaltung forcieren: Die Potenziale von KI können und sollten sowohl im Frontend, im Backend als auch bei der Entscheidungsfindung in der Verwaltung zum Einsatz kommen. Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels in der öffentlichen Verwaltung sollte die nächste Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern den Einsatz von KI in der Verwaltung vorantreiben. Um die Dauer von Verwaltungsverfahren erheblich zu reduzieren, sollte Entscheidungsautomatisierung von Routineaufgaben – insbesondere bei gebundenen Entscheidungen – mittels KI ermöglicht werden. Dies wird maßgeblich die Attraktivität des Standorts für Neuansiedlungen von Zukunftsindustrien sowie den Ausbau von Infrastrukturen befördern. Dabei sollten Skaleneffekte gehoben werden, indem Lösungen gemeinsam entwickelt oder zentral beschafft werden.
Ein leistungsfähiger Staat für einen wettbewerbsfähigen Standort
▪ Vollumfängliche Digitalisierung von Vergabeverfahren, einheitlicher Plattformzugang: Unterschiedliche Plattformlösungen von Bund, Ländern und Kommunen sowie fehlende Schnittstellen / Standards erschweren nach wie vor bundesweit anbietenden Unternehmen die Beteiligung an öffentlichen Aufträgen. Erforderlich ist daher eine Einigung auf eine Plattformlösung, die von Bund, Ländern und Kommunen verbindlich für Vergabeverfahren im Ober- und Unterschwellenbereich von der Veröffentlichung bis zum Zuschlag inklusive der Bieterkommunikation genutzt werden muss. Darüber hinaus müssen zügig alle Vergabeverfahren digitalisiert und durchgehend vom Anfang bis zum Ende eines Vergabeverfahrens abgebildet werden. Dies spart Ressourcen, die für wichtige andere Aufgaben bereitgestellt werden können.
Bürokratie konsequent abbauen
▪ Mehr Eigenverantwortung ermöglichen: Die Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand in Deutschland sind innovative Unternehmen, die sich und ihre Produkte stetig voranbringen. Zunehmend werden Entwicklungen aber nicht mehr durch den Markt bestimmt, sondern durch politische Ziele. Eine Wachstumsagenda muss nicht zuletzt neuen Freiraum für Unternehmertum innerhalb klarer Regeln schaffen. Wer eine Vertrauens- und Ermöglichungskultur operationalisieren will, sollte alle relevanten Gesetze überprüfen und konsequent nicht mehr benötigte Bürokratie streichen. Dies entlastet damit Wirtschaft und Verwaltung gleichermaßen
▪ Belastungsmoratorium / Weiterentwicklung One-in, one-out-Regel: Auch wenn der Jahresbericht 2024 des Nationalen Normenkontrollrats (NKR) seit Jahren erstmals im Teilbereich Wirtschaft eine Entlastung feststellt, ist eine Trendwende nicht erreicht. Um den Anstieg von Belastungen für die Wirtschaft dauerhaft zu begrenzen und den politischen Handlungsdruck zu erhöhen, muss die „One in, one out“-Regel zu einem echten Belastungsmoratorium weiterentwickelt werden. Der Einmalaufwand sowie der Aufwand aus EU-Richtlinien sollte angerechnet werden. Für Unternehmen spielt die Quelle der bürokratischen Belastung keine Rolle und besonders der Mittelstand ächzt wegen knapper personeller und finanzieller Ressourcen überproportional unter dem bürokratischen Joch Wo durch Umsetzung von EU-Recht überlagernde Bürokratie entsteht, gehört nationales Recht konsequent abgeschafft. Eine 1:1 Umsetzung von EU-Recht muss der Regelfall sein.
▪ Verbindlicher Bürokratieentlastungspfad: In den vergangenen Jahren ist der Bestand an Gesetzen und Verordnungen stetig gewachsen. Wichtiger als eine quantitative Zahl beim Abbau von belastender Regulierung ist ein Bürokratieentlastungspfad mit verbindlichen Netto-Abbauzielen. Analog zu einem Jahressteuergesetz sollte es ein Jahresbürokratieentlastungsgesetz geben. Um den Mittelstand zusätzlich zu entlasten, sollte mittels KMU-Check besonders belastende Bürokratie identifiziert und entschlossen abgebaut werden.
▪ Stärkung des Nationalen Normenkontrollrates (NKR): Der NKR leistet mit seiner Expertise einen wertvollen Beitrag als Berater und kontinuierlicher Treiber notwendiger Veränderung. Die Zuständigkeit des NKR im Gesetzgebungsprozess sollte erweitert und seine Zuständigkeit in Gesamtschau der Ressorts klarer definiert werden. Ebenso sollte der NKR personell und finanziell gestärkt und im Bundeskanzleramt angesiedelt werden.
Ein leistungsfähiger Staat für einen wettbewerbsfähigen Standort
▪ Besseres Recht setzen / Vorschläge umsetzen: Der Anspruch der Bundesregierung muss sein, die in der GGO angelegten Fristen für die Beteiligung von Ländern, Kommunen, Fachkreisen und Verbänden stets einzuhalten. Ohnehin hilft es, Praxiswissen möglichst frühzeitig in den Prozess zu integrieren. Praxis-, Bürger-, KMU- und Digitalcheck sowie Reallabore sollten im Gesetzgebungsprozess von Beginn an flächendeckend und ressortübergreifend zum Einsatz kommen. Ebenso sollten diese Instrumente auf bestehende Regulierung angewendet werden, um unnötige Bürokratie abzubauen und spürbar praxistauglichere Regeln zu erreichen. Noch dazu liegen Listen mit konkreten Vorschlägen aus der Praxis (und vom NKR) vor, wie spürbarer Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung gelingen können Offenbar besteht kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsdefizit.
Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen, Vertrauenskultur etablieren
▪ Beschleunigung von Verfahren muss Chefsache werden: Die Arbeiten am Bund-LänderPakt für Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung und zu den sog. Fuel Switch Regelungen zur Umstellung von Gas auf Öl in der Gasmangellage haben gezeigt, wie Deutschland-Tempo geht. Das Bundeskanzleramt hat gegenüber allen Ressorts deutlich gemacht, dass eine Beschleunigung unumgänglich und zwingend notwendig ist. So konnten schnell sinnvolle Vorschläge und Regelungen gefunden und umgesetzt werden, anstatt wie bisher mühsam Kompromisse zu konstruieren, die derart kurzlebig, kompliziert, unüberschaubar und umfangreich sind, dass selbst Fachleute nicht mehr durchblicken und der Vollzug weitgehend überfordert wird. Das Bundeskanzleramt muss daher gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Länder für das Thema Verfahrensbeschleunigung federführend zuständig sein.
▪ Vertrauensbasierte Regulierung für mehr Eigenverantwortung von Projektbetreibern: In Deutschland herrscht eine Kultur des Misstrauens gegenüber der Industrie. Der Staat traut Unternehmen kaum noch etwas zu, alles wird bis ins Detail geregelt und kontrolliert. Betriebe müssen immer mehr Zeit dafür aufwenden, Berichts- und Dokumentationspflichten zu erfüllen, regulatorischen Vorgaben nachzukommen und sich auf neue Regelungen einzustellen. Die Kultur des Misstrauens gegenüber der Wirtschaft muss dringend einer vertrauensbasierten Regulierung weichen. Anstatt Probleme zu suchen und damit Vorhaben zu verhindern, braucht Deutschland einen Wandel hin zu einer Vertrauens- und Ermöglichungskultur. Eine vertrauensbasierte Regulierung soll einen Rahmen vorgeben, der Unternehmen eigenverantwortlich agieren lässt und damit stärkt und so mehr Wachstumschancen schafft.
▪ Entscheidungsfreude und Kompetenzen der Genehmigungsbehörden stärken: Die politische Ebene muss eine neue Kultur vorleben und Entscheidungsbefugnisse sowie den Beurteilungsspielraum der Verwaltung entschieden stärken. Bei einer großzügigen Einräumung von Beurteilungsspielräumen verbliebe gerade für technische Fragen bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ein relativ weiter, gerichtlich nicht nachprüfbarer Raum. Sinnvoll wäre ein kombinierter Ansatz von Standardisierung fachlicher Anforderungen und Rücknahme der gerichtlichen Überprüfung bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe. Insbesondere im stark naturwissenschaftlich geprägten Umweltrecht ist es notwendig, der Behörde die Letztentscheidungskompetenz zukommen zu lassen. Durch klare Vorgaben im Gesetz kann die notwendige Entschlossenheit auf Behördenseite gestärkt werden.
▪ Verwaltungsgerichte entlasten und Prüftiefe reduzieren: Für die Erteilung einer Genehmigung prüft ein Behördenmitarbeiter zu 90 Prozent Umweltrecht und damit eine Fülle von interpretationswürdigen unbestimmten Rechtsbegriffen, z. B. „erheblich“, „geeignet“ oder „schädlich“. Die meist naturwissenschaftlichen Beurteilungen der Behörde werden von deutschen Verwaltungsgerichten bis in kleinste fachliche Detail vollumfänglich überprüft. Im deutschen Rechtsschutzsystem entscheiden im Streitfall dennoch allein die Verwaltungsgerichte, was die richtige Auslegung ist. Die Verwaltung in Deutschland hat damit immer nur das vorletzte Wort. Verwaltungsgerichte sollten, wie in anderen europäischen Staaten auch, vielmehr eine Kontrollinstanz sein und prüfen, ob die Entscheidung der Behörde vertretbar und begründbar ist.
▪ EU-Umweltrecht konsolidieren und modernisieren: Das deutsche Umweltrecht ist fast ausschließlich durch das europäische Recht geprägt. Vereinfachung und Modernisierung des europäischen Umweltrechts führen zu schnelleren Verfahren in Deutschland. Das europäische Umweltrecht ist inzwischen ein deutlich zu enges Korsett, um die Verfahren wirklich nachhaltig beschleunigen zu können. Die zunehmend komplexe, unübersichtliche und teilweise veraltete europäische Rechtslage bedarf dringend einer Modernisierung. Deutschland muss hier auf EU-Ebene mit einem klaren Bekenntnis zum Industriestandort EU auftreten. In der nächsten Legislaturperiode der EU muss eine Konsolidierung und Modernisierung der bestehenden umweltrechtlichen Regelungen durch die EU-Kommission erfolgen, ohne neue Richtlinien und Verordnungen zum Verfahrens- und Umweltrecht zu erlassen.
Wettbewerbsrahmen klar und effizient aufstellen
▪ Wettbewerbspolitik auf Dynamik und Effizienz ausrichten: Die Wettbewerbspolitik sollte künftig von einer proaktiveren Industriepolitik geprägt sein, um die Transformationsziele umzusetzen und europäischen Unternehmen effektive Chancen im globalen Wettbewerb zu geben. Dabei ist ein ausgewogener Ansatz wichtig, der die globale Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum europäischer Unternehmen fördert und gleichzeitig einen fairen Wettbewerb im Binnenmarkt gewährleistet. In der Fusionskontrolle wird eine zukunftsgerichtete Marktbetrachtung benötigt, die auch die globale Wettbewerbssituation und eine dynamische Marktentwicklung stärker einbezieht. Außerdem sollten mögliche Effizienzgewinne wie die längerfristigen positiven Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf Innovation, Qualität, Nachhaltigkeit und Standortinvestitionen berücksichtigt werden. Unternehmenskooperationen, etwa in Form von Datenkooperationen oder Kooperationen im Nachhaltigkeitsbereich, benötigen ebenfalls bessere Rahmenbedingungen, um Innovationen zu fördern.
Harmonisierung der Fusionskontrolle vorantreiben: Die im Vergleich zum EU-Recht wesentlich größere Eingriffstiefe der deutschen Fusionskontrolle sollte überprüft werden. Unterschiedliche Systeme verursachen erhebliche Kosten, wenn Fusionen in mehreren Ländern nach unterschiedlichen Regelungen angemeldet werden müssen. Dies betrifft insbesondere das Konzept des „Anteilserwerbs“, der in Abweichung vom EU-Recht auch Minderheitsbeteiligungen ab 25 Prozent erfasst. Dadurch wird die nationale Fusionskontrolle in den bloßen Gefährdungsbereich vorverlagert, und es werden die bürokratischen Lasten für die Unternehmen erhöht. Außerdem führt der unklare Tatbestand des „wettbewerblich erheblichen Einflusses“, der Kleinsterwerbe zur Anmeldung zwingen kann, zu großer Rechtsunsicherheit Er sollte gestrichen oder mindestens im Interesse der Rechts- und Transaktionssicherheit klarer gefasst und konkretisiert werden.
▪ Beihilferecht beschleunigen und vereinfachen: Gezielte öffentliche Fördermaßnahmen können wichtige Anreize für private Investitionen und Innovation bieten. Die beihilferechtlichen Verfahren müssen beschleunigt und vereinfacht werden, die beihilferechtlichen Regelwerke übersichtlicher und verständlicher gestaltet und bürokratische Hürden bei der Antragstellung abgebaut werden. Dies gilt in besonderem Maße für die hochkomplexen IPCEI-Genehmigungsverfahren sowie für Beihilfemaßnahmen im Forschungs- und Innovationsbereich, in denen Zeit ein wichtiger Wettbewerbsfaktor ist. IPCEI (Important Projects of Common European Interest) können einen sehr wichtigen Beitrag zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum, technologischer Souveränität und der globalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie leisten und sollten die Industrie in die Lage versetzen, die Lücke zwischen F&E&I und wirtschaftlich tragfähiger Produktion zu schließen
▪ Fairen Wettbewerb zwischen kommunalen und privaten Unternehmen herstellen: Die wirtschaftliche Betätigung kommunaler Unternehmen benachteiligt private Unternehmen, weil dadurch Betätigungsfelder dem Wettbewerb entzogen werden und kommunale Unternehmen günstiger anbieten können, z. B. durch Nichterhebung der Umsatzsteuer. Weiter sollte die Gebührenaufsicht im Kartellrecht über kommunale Unternehmen wieder eingeführt werden, denn fairer Wettbewerb heißt nicht nur gleiche Regeln für alle Marktteilnehmer, sondern auch gleiche Kontrolle bei deren Einhaltung.
▪ Öffentliche Aufträge: Schwellenwerte der EU-Richtlinien nicht erhöhen. Gerade für Deutschland als Exportnation ist es unverzichtbar, dass die durch die EU-Richtlinien für öffentliche Aufträge und das WTO-Abkommen zum öffentlichen Auftragswesen (GPA) garantierte Marktöffnung und Transparenz bei der öffentlichen Auftragsvergabe sowie der nötige effektive Vergaberechtsschutz weiterhin gewährleistet bleiben. Daher verbieten sich Forderungen nach Erhöhung der Schwellenwerte der EU-Richtlinien und des GPA, da diese den Geltungsbereich der Richtlinien bzw. des GPA reduzieren würden. Eine Erhöhung der Werte lässt sich auch nicht auf den Gesichtspunkt des Inflationsausgleichs stützen, da bereits die geltenden Schwellenwerte zu hoch sind.
Recht als Standortfaktor nutzen
▪ Praktikabilität statt Wettbewerbsbenachteiligung bei der Lieferkettenregulierung: Unternehmen brauchen praxistaugliche und mittelstandsfreundliche Rahmenbedingungen. Mit Blick auf die Umsetzung der Europäischen Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) gilt es, administrative Lasten für Unternehmen abzubauen. Die Bundesregierung sollte dazu beispielsweise die LkSG-Umsetzungsvorgaben entschlacken, keine neuen bürokratischen Anforderungen erlassen sowie eine Positivliste für Staaten mit hohem Rechtsdurchsetzungsniveau einführen. Die Europäische Richtlinie muss 1:1 umgesetzt werden. Nur so kann ein Level Playing Field in Europa erreicht werden. Dazu gehört auch, den zeitlich gestaffelten Anwendungsbereich der Richtlinie einzuhalten.
Ein leistungsfähiger Staat für einen wettbewerbsfähigen Standort
▪ Praxistaugliche Umsetzung der Nachhaltigkeitsberichterstattung nach der CSRD: Die nationale Umsetzung der CSRD muss für mehr Rechtssicherheit zeitnah geschehen und sich auf eine 1:1-Umsetzung der europäischen Vorgaben beschränken. Wettbewerbsnachteile deutscher Unternehmen müssen vermieden und der Bürokratieaufwand der Unternehmen – insbesondere des Mittelstands – höchstmöglich begrenzt werden. Dafür sind eine Abkehr von der „Aufstellungslösung“ sowie eine Einschränkung von Sanktionsmöglichkeiten in den ersten Jahren erforderlich. Außerdem sollte der Wertschöpfungskettenansatz zur Entlastung des Mittelstands reduziert („Trickle-down-Effekt“), der Prüferkreis auf unabhängige Dritte erweitert und doppelte Berichtspflichten vermieden („Once-only-Prinzip“) werden sowie unwesentliche Tochtergesellschaften bei der Konsolidierung außen vor bleiben dürfen.
▪ Kohärente Fortentwicklungen des Zivilrechts: Deutsche Unternehmen sind auf ein verlässliches und ausgewogenes Zivilrecht als Grundlage für Verträge im In- und Ausland angewiesen. Neue Regelungen, z. B. im Digitalbereich, müssen so ausgestaltet sein, dass Unternehmen nicht unangemessen belastet werden. Es bedarf allenfalls punktueller Anpassungen in rechtsklarer und kohärenter Weise, ohne Innovationshemmnisse zu schaffen. Insbesondere beim Haftungsrecht ist eine angemessene Risikoverteilung zwischen Herstellern und Konsumenten unerlässlich.
▪ Keine einseitige Überregulierung im Verbraucherrecht: Der Schutz von Verbrauchern ist wichtig und wird von der deutschen Industrie unterstützt. Es darf aber zugunsten des Verbraucherschutzes keine einseitige Überregulierung gegenüber dem Schutz der wirtschaftlichen Freiheit stattfinden. Vielmehr sollte ein gerechter Ausgleich der Interessen von Verbrauchern und Unternehmen erfolgen und ein Gleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten von Unternehmen und Verbrauchern gewährleistet sein.
▪ Reform des Beschlussmängelrechts: Eine Reform des im internationalen Vergleich restriktiven deutschen Beschlussmängelrechts ist für eine moderne Hauptversammlung und für eine lebendige Debattenkultur in deutschen Hauptversammlungen unerlässlich. Sie kann auch dazu beitragen, die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland zu steigern. Eine Reform des Beschlussmängelrechts sollte insbesondere zum Ziel haben, das erhebliche Anfechtungsrisiko für Aktiengesellschaften bei der Auskunftserteilung in der Hauptversammlung auf ein vertretbares Maß zu reduzieren. Sie sollte allerdings mit Augenmaß erfolgen. Wichtige Elemente aktueller Regelungen, wie das mehrfach reformierte Freigabeverfahren, haben sich bewährt.
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