Die Berliner Schnauze (Leseprobe)

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Matthias Zimmermann

Die Berliner Schnauze Die besten Sprüche, ­Schimpfwörter   und Redensarten

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen. © berlin edition im be.bra verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2014 KulturBrauerei Haus 2 Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin post@bebraverlag.de Lektorat: Ingrid Kirschey-Feix, Berlin Umschlag: Ansichtssache, Berlin Satz: typegerecht, Berlin Schrift: DTL Documenta 9,5/14 pt Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN 978 -3 -8148 -0207-7

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Inhalt

Vorwort Uns kann keener, ooch nich eener! Pechhengst, Stoppelhopser und ­Schrippenarchitekt Nich feierlich Jeh da lang, hier lang is jeflastert! Dir Aas kenn ick! Wasch dir de Brust – du wirst erschossen! Ick liebe dir uff jeden Fall! Knorke ist dreimal so dufte wie schnafte Schnurz und piepe Nu brat mir eener’n Storch! Wichs und Vatermörder Mir kannste nich an de Wimpern klimpern Manoli linksherum Angst hab ick nich, aber loofen kann ick Uff’n Arm nehm’ könn’ Se mir, aber nich schaukeln! Wat nachkommt, is Bärme! Flitzpiepe, Patentekel und Piesepampel Da kiekt’n Been raus! Mach dir det ab! Lieber die janze Woche faulenzen wie Sonntag arbeeten Det walte Hugo! Ran an’n Sarg un mitjeweent! Säufste, stirbste, säufste nich, stirbste ooch, also säufste!

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Chansonettenbrüstchen und ’ne Stulle mit Lamberkengs Jehn Se mit Jott, aber jehn Se! Dummheit is ooch ne Jabe Jottes Dir könnt ick stundenlang in de Fresse haun Der Fleck is wech, det Loch is da Da schmeiß ick’t lieber in de Spree … Oogen, Fleesch und Beene Mensch, hab ick jelacht, der janze Bauch war eene Falte! Der Berliner sagt immer mir, ooch wenn’t richtig is Literaturauswahl Zum Autor

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Vorwort Eins vorweg. Ich bin kein Berliner. Geboren in Halle, aber früh nach Potsdam gezogen, lebe ich seit nahezu 30 Jahren im Speckgürtel Berlins. Ein Umstand, der mich letztlich zum typischen wie idealen Sprecher des dort entstandenen Zungenschlags macht. Schon um 1700 war nur ein Viertel der Einwohner in Berlin geboren, ein Verhältnis, das so auch heute besteht. Eigentlich keine ideale Grundlage für eine gemeinsame Sprache. Und doch verschmolzen im Laufe der Jahrhunderte die zahlreichen Sprachen der neu Hinzukommenden und der schon länger Beheimateten zu einer eigenständigen Mundart. Berlinisch wird den wenigsten, die es sprechen, in die Wiege gelegt. Sie kommen auf verschlungenen Pfaden zu einer neuen, meist zweiten Sprache – was diese wie ihre Sprecher lebendig hält und sich weiterentwickeln lässt. Meine erste bewusste Begegnung mit der Sprache Berlins führte mich im Alter von vielleicht fünf Jahren direkt in ihr Zentrum. In einem der elterlichen Bücherregale stand ein Leporello, ein faltbares Buch, das ich auf den ersten Blick für ein Bilder- und damit Kinderbuch und mich deshalb für den natürlichen Adressaten hielt. Es enthielt nur ein kurzes Gedicht, das illustriert über Vorder- und Rückseite lief. Es fesselte mich vom ersten Moment an. Ich muss es im Laufe der Jahre Hunderte Male besehen, gelesen und rezitiert haben. Während es mich anfangs schlicht stets zum Lachen brachte, vermutete ich später tiefere, mir verborgene Einsichten nahezu existenzialistischen Formats. Ob ich sie habe entdecken können, weiß ich bis heute nicht. Irgendwann schlichen sich indes – vielleicht berechtigte – Zweifel ein, ob es

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sich um mehr als nur eine freudvolle Nonsensreimerei handelt. Längst ist es mir egal. Denn, so scheint mir, der Text hat seinen Zweck – für mich – vollends erfüllt: Er hat meine Freude am Spiel mit der Sprache und ihren Möglichkeiten geweckt, die Begeisterung für Wortspiele, überraschende Wendungen und schlagfertige Ausdrücke. Er hat aber auch die Neugier genährt auf Fragen, die über das Offensichtliche hinausgreifen, die Lust an Vieldeutigem, Unentschiedenem. Aus dem ersten Kontakt mit dem Berlinischen ist nach und nach eine enge Beziehung geworden. Es heißt, es wird im Umland inzwischen zahlreicher und »reiner« gesprochen als in Berlin selbst, wo jährlich ein großer Teil der Bevölkerung kommt und geht, ohne dass seine Sprache haften bleibt. Grund genug, eine kleine Sprachreise zu unternehmen, durch die Welt des Berlinischen – mit einer höchst individuellen Auswahl aus den witzigsten, schlagfertigsten und praktischsten Ausdrücken, Wendungen und Redensarten in gebotener Kürze, aber aller Buntheit. Ziel ist dabei keineswegs, ein Abbild der heute, Anfang des 21. Jahrhunderts, gesprochenen Berliner Sprache zu liefern, sondern ein möglichst vielseitiges Panorama zu bieten, was diese Sprache zu leisten vermag und was sie überhaupt ausmacht. Dank fleißiger Sammler und unermüdlicher Forscher ist vieles aus der Vergangenheit des Berlinischen erhalten, was heute nicht mehr jeder auf der Straße zu hören bekommt. Obwohl es, wie ich finde, zu hören sein sollte! Und wie der Berliner sagt: Wat nich is, kann ja noch – oder, wie in diesem Fall: wieder – werden! In diesem Sinne: Rin in de Rinne! Und mein Einstieg ins Berlinische soll auch der Ihre sein – die Klopsgeschichte:

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Ick sitze da und esse Klops. Uff eenmal kloppt’s. Ick jeh’ zur Tür und denk’ nanu, Erst war se uff, jetz isse zu. Ick mache uff und kieke, Und wer steht draußen: Icke! Noch eine kleine Vorbemerkung zur Schreibung der Berliner Wendungen und Wörter: Das Berlinische verfügte nie über ein Regelwerk für seine Eigenheiten, das betrifft Grammatik und Orthografie gleichermaßen. Da die in diesem Buch zusammengetragenen Begriffe, Redewendungen und Anekdoten aus zahlreichen unterschiedlichen Quellen der vergangenen 180 Jahre stammen, variieren sie hier und da auch in ihrer Schreibung. Während man im 19. Jahrhundert zu Glas noch Jlass sagte, springt über diese Hürde heute kein Berliner mehr … Außerdem ist das Berlinische lange schon eine Sprache der Möglichkeiten und nicht der Zwänge. Soll heißen: Vieles kann man »berlinisieren«, muss man aber nicht, und wo es geschieht, geschieht es oft mit gutem Grund, und wo nicht, auch. Also: Nehm’ Se’t, wie’t kommt!

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Uns kann keener, ooch nich eener! Das Bekannteste am Berliner ist, so lässt sich vermuten, sein Mundwerk, die Kodderschnauze. Dank ihr gilt er in seinem Wesen als frech, meckerig, von sich selbst eingenommen und größenwahnsinnig. Und machen wir uns nichts vor: Es stimmt. All das »berlinert«, es gehört dazu. Auch. In seinem Vorwort zum wichtigsten Wörterbuch des Berlinischen, Hans Meyers »Der richtige Berliner«, bringt es der Schriftsteller und geborene Berliner Walter Kiaulehn auf den Punkt: »Das Geheimnis des richtigen Berliners ist, dass er nicht berlinern muss, sondern, dass er es auch kann.« Aber er kann eben zugleich stets anders, und wenn er meckert, motzt oder frotzelt, dann (zumeist) bewusst. Wer auf die Schippe genommen wird, der hat es verdient. Ton, Grammatik und Witz des Berlinischen dienen ihm als Mittel. Und wenn man einmal genauer hinsieht, sind die Eigenheiten des Berlinischen keineswegs sinnfreie, selbstverliebte Sprachspielereien, sondern Ausdruck der ganz besonderen gewachsenen Umstände dieser Stadt und fast immer zugleich nur die eine Seite der Medaille. Der schnoddrije Ton zum Beispiel, der sich tatsächlich vom niederdeutschen Wort für den Nasenschleim (snodder) ableitet. Egal, ob nun kiebig, rotzig, pampig oder riedig, der Berliner gilt in jeder Form als ausverscheemt. (Da unverscheemt schon für unfassbares Glück reserviert war, drehte man einfach ein bisschen an der Vorsilbe und fortan stand ausverscheemt für frech.) So sehr, dass im großen Brandenburgisch-Berlinischen Wörterbuch für die Dreisten der Eintrag kess wie ein Berliner zu finden ist und zu einem Berliner mit Quadratschnauze der Spruch kur-

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siert: Wenn der mal stirbt, muss de Schnauze extra dotjeschlaren wer’n! Schon der Geheimrat Goethe bemerkte nach einem Besuch in der Stadt: »Es lebt aber, wie ich an allem merke, dort ein so verwegener Menschenschlag beisammen, daß man mit der Delicatesse nicht weit reicht, sondern daß man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muß, um sich über Wasser zu halten.« An die durchaus anerkennende Beschreibung der Berliner als »verwegener Menschenschlag« schließt der Dichterfürst jene Beobachtung an, die Licht ins Dunkel des Vorwurfs ungeschlachter Grobheit bringt: Obwohl es erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur Millionenstadt anwachsen sollte, war Berlin schon seit Langem ein Schmelztiegel unzähliger Heimatsuchender, Glücksritter und Zuwanderer, die sich dort ein neues Leben aufbauen wollten. Ein Umstand, der auch ihre Sprache beeinflusste. Franz Lederer, der Anfang des 20. Jahrhunderts in seinem Büchlein »Ick lach ma’n Ast« versucht hat, »Sprache, Wesen und Humor des Berliners« zu ergründen, erklärte dies folgendermaßen: »Die Einwohnerschaft, von Anfang an auf eigene Kraft gestellt, gewöhnte sich frühzeitig daran, Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Eine solche Bevölkerung neigt naturgemäß zur Kritik, und diese Kritik geht leicht in derben Spott über – (…).« Was mitunter grob erscheint, ist – von einer anderen Seite aus betrachtet – schlicht Offenheit ohne falsche Pietät. Wo Zurückhaltung nicht angebracht ist, vertreiben ein paar klare Worte beizeiten den Nebel. Wenn einer anjibt wie’ne Tüte Mücken, lässt sich der Berliner nicht zweimal bitten und stutzt den Großkotz auf Normalmaß herunter: Mach ma det Fenster uff, det riecht hier mächtig nach Eichenlaub. Oder wie Adolf Glaßbrenner seinen Nante über einen Prahlhans sagen lässt:

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Dunderwetter, wenn ick det wäre, wat der sich inbildt, denn kooft’ ick mir Deutschland, un setzte mir uff ’t Riesenjebirje un sagte: Blast mir’n Stoob wech! Dabei ist die Kritik des Berliners in der Regel kein Mittel, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Zumeist entlarvt sie die Lüge, benennt das Verquere und tadelt das Falsche. Wer heiße Luft daherredet, dem weht ohne Zögern entgegen: Quatsch man keene Wellen, sonst kippt der Kahn um! Folgerichtig macht der Berliner vor seiner eigenen Person nicht halt und nimmt sich, wo es angebracht ist, selbst auf die Schippe. Ganz nach dem Motto: ’n jeder blamiert sich so jut er kann! Nicht selten ist für kritische Töne Ironie das Mittel der Wahl. Mit ihrer Hilfe lässt sich ansprechen, was offen zu scharf, zu schwere Kost oder gar gefährlich wäre. Das ironische Lob ist eine Berliner Paradedisziplin: Wunderscheen is jarnischt dajejen! An einem langweiligen Abend hat er sich amüsiert wie Mops im Tischkasten – also gar nicht, weil er eingesperrt ist – und was schlicht nicht passt, det passt wie de Faust uff ’s Ooge. (Mittlerweile passt die Faust übrigens sehr wohl und gilt als Ausdruck der Zustimmung, während die negative Bedeutung nahezu verloren gegangen ist.) Theodor Fontane hat diesen Hang zur Ironie mit mangelnder Redefreiheit in der Hauptstadt Preußens erklärt: »Man hat dies ironische Wesen auf den märkischen Sand, auf die Dürre des Bodens, auf den Voltairismus König Friedrichs II. oder auch auf die eigentümliche Mischung der ursprünglichen Berliner Bevölkerung mit französischen und jüdischen Elementen zurückführen wollen – aber, wie ich glaube, mit Unrecht. Alles das mag eine bestimmte Form geschaffen haben, nicht die Sache selbst. Die Sache selbst war Notwehr, eine natürliche Folge davon, daß einer Ansammlung bedeutender geistiger Kräfte die

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großen Schauplätze des öffentlichen Lebens über Gebühr verschlossen blieben.« Für Fontanes These spricht, dass die kritisch-kreative Ader der Berliner Sprache seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach und nach einzuschlafen schien. Mit der Gründung eines demokratischen Staates auf deutschem Boden waren die »Schauplätze öffentlichen Lebens« zugänglich und die Rede frei. Allein in Ost-Berlin, das zur »Hauptstadt der DDR« erhoben wurde, bewahrte das Berlinische seine subversive Funktion und deshalb auch Kraft. In kritischer Distanzierung schuf der hiesige unhörbare Volksmund sogar noch neues Vokabular, wie das Kaderwelsch (aus Kader und Kauderwelsch) für das unsägliche Palaver der – ausgerechnet überwiegend sächsischen – Parteioberen, die Pionöse (aus Pionier und einer der beliebten französisierenden Endungen -öse von -euse) oder einen Beitrag zur eigentlich längst begrabenen Abkürzungsmanie: SED stand fortan nicht mehr für die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, sondern galt als Synonym für »selten etwas dran«. Manch einer zog sogar ein Fazit unter das sozialistische Gesellschaftsexperiment, noch ehe es beendet war: Lieber von Zille jemalt, als vom Sozialismus jezeichnet. Gerade am Beispiel der Ironie gilt es aber, Fontane, der mit dem Berlinischen persönlich eher auf Kriegsfuß stand, an anderer Stelle entgegenzutreten. So behauptete dieser, der Berliner habe keinen »Sinn für feinere Lebensform, liebenswürdiges Entgegenkommen. Durch derbe Grobheit stößt er nur zu leicht ab. Seine Stacheln kehrt er gern nach außen, kritisiert ohne Rücksicht zu nehmen.« Doch das Berlinische kennt die Liebkosung, die freundliche Geste und die ehrliche Anteilnahme sehr wohl. Nur sind sie, wie vieles, oft in Ironie oder gar einen etwas derben

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Ton gehüllt. Nirgendwo sonst könnte wohl Olle so viel Anerkennung für die Mutter, Frau oder Geliebte enthalten wie in Berlin, und meint einer zu einem Freund, er sehe aus wie Braunbier mit Spucke, darf dies als Ausdruck wohlwollender Sorge über dessen kränkliche Erscheinung angesehen werden. Als besonders groß gilt die Schandschnauze des Berliner aber, weil er (und sie) den Nabel der Welt zu bilden scheinen. Er sieht besser aus (so bin ick an janzen Körper), ist schlauer (der Berliner lernt nischt inne Schule und weeß doch allet) und hat von allen seltenen Tugenden nur die besten, von Schisslaweng (Schwung) bis Pli (Witz). In Berlin haben sie ’n Wetter, inne ärmere Jejend würden se zwee draus machen, während alles jenseits der Stadtgrenzen nischt wie Jejend ist, dem Credo folgend: Wo wir sind, is vorn. Wenn wir hinten sind, is hinten vorn. Ein waschechter Berliner ist die moderne Fassung des Niebelungen-Siegfried. Mit Spreewasser jedooft, hält er sich für unverwundbar. Als Motto der Stadt kann daher getrost gelten: Uns kann keener – ooch nich eener! Gut möglich, dass diese Haltung dem einen oder anderen sauer aufstößt. Wo bleibt da die Demut, wo das »rechte Maß«, das der Berliner mit seiner derben Kritik und den mitunter allzu offenen Worten bei anderen so ohne Rücksicht fordert? Gilt dergleichen nicht für ihn und seinesgleichen? Dem ist zu entgegnen: Doch, keene Frage! Aber wo Kritik ist, ist ebenso Platz für Stolz und Selbstvertrauen. Wer gelernt hat sich durchzusetzen, hat auch gelernt, sich darüber angemessen zu freuen und da­raus Kraft für neue Taten zu schöpfen. Von nischt kommt nischt, heißt es in Berlin. Aber auch: Wat nich is, kann ja noch werden. Das Berliner Selbstbewusstsein ist das unermüdliche Mantra, das Perpetuum mobile der Stadt, das seit Jahrhunderten den Motor

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am Laufen hält. Nicht zuletzt darum werden hier die offensichtlichen Wahrheiten gepflegt und weitergegeben wie nobelpreiswürdige Entdeckungen: Doppelt hält besser! Oder: Uff een Been kann man nich stehen! Und: Det kommt vor, det eener fällt und find’ nischt. Verwandter Natur sind die unzähligen Sprüche und Reime, die auf Durststrecken und in schwachen Momenten zu hören sind. Dann, wenn Vernunft schon auf der Strecke geblieben ist und nichts als Durchhalten zählt. Das Berliner Mittel der Wahl ist in diesem Fall: Humor. Etwa: Es wird schon wer’n mit Mutter Bern, Mit Mutter Horn is ja ooch jeworn. Bloß de olle Schmitten hat nich jelitten – Dreimal ins Been jeschnitten, Un denn ham se erst jemerkt, Det se’n Holzbeen hatte. Manchmal freilich schlägt das Selbstbewusstsein des Berliners über die Stränge und in eine milde Form des Größenwahns um. Nichts ist dann vor dem Zugriff der Übertreibung sicher, im Guten wie im Schlechten: Bei einem gelungenen Witz ist gleich der janze Bauch eene Falte, in Momenten der Überraschung werden Bauklötzer jestaunt und in der Wut ärjert man sich de Schwindsucht an’n Hals. Doch die Übertreibungen haben ihren Zweck – und zwar ganz im Sinne des ollen Baron Münchhausen, der sich und sein Pferd an dessen Schopf aus dem Sumpf zog, in dem sie beide steckten. Walter Benjamin, der als Philosoph und Essayist eine geschliffene – hochdeutsche – Feder schrieb und zugleich die Sprache seiner Heimatstadt Berlin liebte, schrieb darüber: »Zahllose Redewendungen gibt es, in denen der Berliner so auf

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Gulliversche Art sein Liliput von Wirklichkeit aus den Angeln hebt.« Wie es scheint, läuft der Berliner erst im Windschatten seiner Kodderschnauze zu Höchstform auf. Zudem wird der Wildwuchs der Fantasie in Form der Großspurigkeit durch den Berliner Humor stets auch wieder eingehegt. Schon der Reichskanzler Otto von Bismarck soll die Bemerkung eines jungen Berliners überliefert haben, der im Angesicht der Alpen sagte: »Nee, solche Berge ham wir nich! Aber wenn wir welche hätten, wären se noch höher.« Die gute Nachricht für alle, die der Berliner Schnauze nicht länger schutzlos ausgeliefert sein wollen und sie zugleich ein wenig bewundern: Sie ist kein exklusives Geburtsrecht. Schon seit Jahrhunderten ist nur rund ein Viertel der Berliner auch in der Stadt geboren und doch sind sie (fast) alle in ihrer Sprache vereint. Ja, der eine oder andere Zugezogene hat es fast unbemerkt zu weithin bekannter Meisterschaft im Berlinischen gebracht: Otto Reutter, der unvergleichlich Berlinisch textete, kam aus Gardelegen, Claire Waldoff, die Gallionsfigur der Spottliederei, stammte aus Gelsenkirchen und Heinrich Zille, der sein Leben zeichnend in den Kiez-Hinterhöfen verbrachte, aus dem sächsischen Radeburg. Kein Hindernis auf dem Weg zum meisterhaftschnoddrigen Ausdruck, beobachtete auch Walter ­Kiaulehn in seinem bereits erwähnten Beitrag zum »Richtigen Berliner«: »Ich habe gefunden, dass die ›gewordenen‹ Berliner – die nicht an der Spree geboren sind, sondern später hierherkamen und aus freiem Entschluss zu Berlinern wurden, die humoristischen Möglichkeiten des Berlinischen oft besser benutzen als die geborenen Berliner.« Na dann: Ran an’n Sarg und mitjeweent!

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Pechhengst, Stoppelhopser und ­Schrippenarchitekt »Berlinisch ist eine Sprache, die aus der Arbeit kommt«, schrieb in den 1920 er Jahren Walter Benjamin, der Philosoph, geborene Charlottenburger und bekennende Berliner. Als man an den herrschaftlichen Höfen noch der französischen Art und Sprache nacheiferte, köchelte in den Handwerksstuben, Arbeiterkabuffs und auf den Straßen das berlinische Sprachgemisch. Da war es nur natürlich, dass auch allerlei Namen für das Tun jener entstanden, die die Sprache mitprägten. Und diese waren für gewöhnlich ein wenig treffender, entlarvender oder schlicht komischer als die gewöhnlichen Benennungen der jeweiligen Berufe oder Tätigkeiten. Auch wenn die meisten heute kaum mehr bekannt und schon gar nicht gebräuchlich sind, gehören sie doch zum Wesen und Erbe des Berlinischen. Eine – gewiss unvollständige – Liste der Um-Berufungen enthält über 100 Einträge, sodass hier nur ein kleiner Streifzug durch das arbeitende Vok der Stadt unternommen werden kann. Fangen wir auf der Straße an. Hier steht es, das Arbeiterdenkmal, ruhig auf seine Schaufel gestützt, vielleicht ein Zigarette im Mundwinkel, und erst wenn es den Kopf hebt, zeigt sich, dass es lebt – und nur seine Fuffzehn, die obligatorische Pause, genießt. Getreu dem Motto: Die Arbeit jagt mir, aber ick bin schneller! Tatsächlich entstand im Jahr 1900 auf dem Andreasplatz ein Monument, das einen Schmied mit seinem Sohn zeigte. Platz und Denkmal mussten nach dem Zweiten Weltkrieg weichen, aber das »Original« findet man ohnehin bis heute spontan an etlichen Baustellen. Dort lässt sich möglicherweise auch die eine

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oder andere Dreckschwalbe nieder, so ein einstiger Spitzname der mauernden Zunft. Heute sollte man das nicht mehr hören lassen. Andere sieht man inzwischen kaum noch am Werke, etwa die Rammerdammer, wie man die Steinmetze lautmalerisch nannte, oder sie verschwanden völlig, wie die Naturforscher im Rinnsteen, die Lumpensammler. Stadtweit unterwegs sind wiederum die mittlerweile in orange gekleideten Müllkuten­indianer der Stadtreinigung und ihre Kollegen vom Corps de balai, wie die Straßenfeger in Anlehnung an das Corps de Ballet hießen. Und auch Schorschtenfejer steigen nach wie vor aufs Dach und Zündelmänner düsen in ihren feuerroten Kisten durch die Straßen, um zu löschen, was die Schläuche hergeben. Derweil gehen Discher (Tischler), Pechhengste (Schuster) und Kopfschuster (Hutmacher) in den Werkstätten ihrem Handwerk nach, während links und rechts der Handel blüht: Wer noch etwas besorgen muss, geht zum Koofmich, dessen Laden – ein typisches Erbbegräbnis, das bestimmt bald wieder schließen muss, nur damit anschließend ein anderer sein Glück versucht –, wo sein Ladenschwengel, der Gehilfe, etwas träge die Kundschaft bedient. Links und rechts wird dann das Wochenendmenü zusammengestellt: die Haxe vom Zippelwilli, wie der Fleischer hieß, weil früher die Wurstenden mitverkauft wurden, und die Knüppel für Sonntagmorgen vom Schrippenarchitekten, etwas abfällig auch Teigaffe geschimpft. Alles, was man sonst noch frisch braucht, bekommt man auf dem Markt, wo der Eierfritze neben dem Butterfritzen steht. Überhaupt war der Fritze das Universalwort für Händler, Verkäufer und Handwerker aller Art – vom Jemüse- bis zum Zijarrenfritzen. Für den gesunden Leib steuerte man früher den Saftladen an. Heute eher Synomym für eine schlecht geführte Wirtschaft, war damit einst

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die Apotheke gemeint, weil dort Kräutersäfte verkauft wurden. Um Leib und Seele zu pflegen, geht man(n) anschließend zum Balbier (Barbier) bzw. zum Schnauzenschaber oder Glatzenschneider, beides inzwischen mit zahlreichen Titeln wie dem Coiffeur veredelt. Dazwischen drängeln sich gewiss etliche Bierlokale, in denen Biertanten, Tablettschlusen und Einnehmen (Kellnerinnen) um Gäste rangeln, während der Kneipjee lauwarme Mollen zapft. In besseren Häusern kann man sogar den Herrn Oberkörper, so die spaßhafte Bezeichnung für den Ober, herbeizitieren. Sollte dafür das nötige Kleingeld fehlen, empfiehlt sich der Gang zur Bank oder, wenn da auch nichts mehr zu holen ist, zu Pete. Der ungewöhnliche und wohl gewollt wenig offensichtliche Name für den Pfandleiher stammt wohl vom lateinischen Mons pietatis, mit dem in Italien die ursprünglich wohltätigen Leihbanken benannt wurden. Wer sein Vergnügen nicht in der Molle, sondern in Form von Unterhaltung sucht, begegnet möglicherweise im Kabarett dem Kommfranzundjeh, eine typisch berlinische Eindeutschung des französischen conférenciers qua »Lautverschiebung«, oder Heulbojen (Sänger) und Huppdohlen (Tänzerin). Im eher zwie- oder rotlichtigen Milieu dagegen treiben sich Tippelschicksen (Strichmädchen) herum, unter ihnen die eine oder andere Amateuse – nämlich Prostituierte ohne »Gewerbeschein«. Erschrockene Zeitgenossen können davor vielerorts in himmlische Hallen flüchten, wo Kanzelstürmer (Pfarrer) und wandelnde Pinguine (Nonnen) ihren Dienst tun. Apropos Dienst: Heute kaum mehr in Lohn und Brot, gab es in vielen Haushalten Dienstbolzen, auch WaschlappenAdjutanten genannt: Dienstmädchen oder -boten eben. Für

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hausweite Aufgaben hatte man eine Portjeesche, dort, wo dafür kein Geld da war, verließ man sich auf den stillen Portier, jene Tafel im Hausflur, an der die Namen der Mieter angebracht sind. Manch einer lässt sich auch heute noch eine Fußbodendompteuse für die Reinigung kommen, nur der Spitzname dürfte nicht mehr korrekt sein. Für den höheren, den Beamtendienst hatten Berliner nie viel übrig, was sich nicht zuletzt im entsprechenden Vokabular zeigt. Ein Beamter ist für sie ein Sesselpuper oder Stubenpisser, seine Stenotypistin eine Klapperschlange und die Kollegin allenfalls eine Zimmerlinde. Bekommt er – sicher nicht unverdient – eine Gehaltserhöhung, kann es sich dabei nur um eine Runzelzulage handeln. Ein besonderes Faible hatten Berliner gerade im 19. Jahrun­ dert für die Verunglimpfung des Militärs, was wenig verwundert, wenn man bedenkt, dass preußische Könige jahrhundertelang ihre Truppen durch die Stadt marschieren ließen. So titulierten sie Infanterieoffiziere als Backzahn oder Dreckpatsche, einfache Infanteristen waren Stoppelhopser. Den Portepeefähnrich und mit ihm alle Uneroffiziere verunglimpften sie zum Portemonehfähnrich und Kavallerieoffiziere zu Cavalleriker. Auch Polizisten kamen nie gut weg. Bis 1848 trugen Gendarmen grüne Uniformen und wurden deshalb Laubfrösche genannt. In der Kaiserzeit rief man sie, abgeleitet von Helmhut, der Pickelhaube, Helmut. Und als weniger Spitz- denn Schimpfname dient auch Kob, die Kurzform des Kontaktschutzbeamten, die es sogar in eine Variante des berühmten Klops-Gedichts geschafft hat: Ick sitze da und esse Klops, uff eenmal: Kobs! Zu den schönsten »Berliner Berufen« zählen aber wohl einige von denen, die inzwischen als ausgestorben gelten müssen,

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wie der Pief ke, der Dienstmann, der oft – wie der berühmteste unter ihnen: Nante – an Straßenecken auf Arbeit wartete, oder der Anreißer, der früher vor Verkaufsbuden der Kundschaft einheizte. Und der Kinoerklärer, der in der frühen Stummfilmzeit dem noch ungeübten Publikum die große Welt erklärte. Hans Meyer hat in seinem Werk »Der richtige Berliner in Wörtern und Redensarten« eine einzigartige Szene dieser Helden der Erzählkunst bewahrt: »Se steht da mit een Jesichtsausdruck, een Jesichtsausdruck! Un, wie der Lord nu wieder rin kommt un seiner über alles jeliebten Deisie det an’t Jesicht ansieht, wat se vorhat, da sagt er: – – – Ick mecht doch die beeden Herrn da vorn noch mal ins alljemeine Interesse bitten, det Rauchen einzustellen, ick hab et doch schon einmal janz laut jesagt, und jutet Deutsch war et ooch jewesen – – – da sagt er: Denk an mir un an deinem Kinde, bevor du sowat tust!«

Nich feierlich Eins sei gleich gesagt: Was scheiße ist, wird auch in Berlin so genannt, an einem derart unverzichtbaren »Sprachschatz« wird nicht gerüttelt. Und da bislang nichts Stärkeres gefunden wurde, um Missliches, Abscheuliches oder Hassenswertes anzuprangern, ist auch der Berliner mit der fäkalen Unmutsvokabel Nummer eins bestens vertraut. Eine Feinheit vermag er dank seines niederdeutschen Spracherbes gleichwohl beizusteuern: Bevorzugt wird häufig der Scheiß anstelle des – kaum glaublich aber wahr – standardsprachlichen weiblichen Pendants. Hintergrund

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ist die niederdeutsche Form der Schiet, der sich zwar nicht vollends, doch zumindest sein Geschlecht im Berlinischen durchsetzen konnte. Aber jenseits dessen kennt des Berliners Fabulierlust auch in unangenehmen Situationen weit mehr als nur Naturdünger, und er ist auf die Graustufen des Unschönen in der Regel gut vorbereitet. Kulturell zum Beispiel: Ausbaufähig, aber noch keine Katastrophe, ist ein Theaterabend eben mau. Darf man schon buhen, steigt er bereits zu nich berühmt herab, und wenn die ersten Tomaten fliegen, ist er unter allen Hund. Sollte ein Kneipenabend schon stremplig anfangen, dann ist er von der ersten Molle an nicht in Ordnung. Kein Wunder also, dass sich Glas für Glas daraus eine faule Jeschichte entwickelt, ehe es dann irgendwann unjemütlich wird und die Fäuste fliegen, bis alles futsch – vom italienischen fuggito (verloren) stammend – ist. In einer der berühmten Geschichten Adolf Glaßbrenners schildert Nante, der Eckensteher, den unausweichlichen Werde­gang eines solchen Abends. Es beginnt, als einer der Gäste, »Karnaljenvogel«, auf ihn zukommt mit den Worten: »›Ju’n Dag, Nante! (…) Wat macht deine Natur Luley?‹ Un so mach ick mir en Spaß un sage: ›Ick danke dir, se is Frühling, se schlägt eben aus!‹ Und dabei jeb’ ick ihm einen Katzenkopp. ›Was‹, sagt er, ›du schlägst mir? Ick bin en Karnaljenvogel, un en Karnaljenvogel schlägt ooch!« Un so reicht er mir eine Maulschelle über’n Ladentisch, det mir mein Haupt wackelt.« Einige Schellen und Köpfe später greift die Lage um sich und es schlagen sich plötzlich sogar Freunde: »Kaum werde ick nu meinen Freund die Maulschelle geimpft haben un den Karnaljenvogel jleich darauf noch eine, so entsteht eine Keilerei. Des jing hastenichjesehn, kniz, knaz, rungs, klapp, knall, pladderadautsch, baff!«

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In dieser klanglichen Tradition steht übrigens auch der Kladderadatsch, ein Ärger, der im besten Falle mit Scherben einhergeht, denn er ist eine lautmalerische Wortschöpfung, die zu Boden klatschenden Dingen nachempfunden ist. Weit über Berlin hinaus bekannt wurde der Ausdruck durch die gleichnamige satirische Zeitschrift, die 1848 von dem Berliner Humoristen und Liebhaber der Sprache seiner Wahlheimat David Kalisch gegründet wurde und bis 1944 erschien. Selbstironisch gebraucht, wurde Kladderadatsch später in der Bedeutung als Chaos und Zusammenbruch zum Synonym für den Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft Preußens. Tritt einer im Rinnstein in einen Hundehaufen, findet das der Berliner pechös, muss er dort aber tagtäglich hausen, wird die Sache schon scheddrig (minderwertig), plötrig (schäbig) oder schof lig, was so viel wie gemein bedeutet und vom jiddischen shophol (niedrig, schlecht) herkommt. Töchtern aus gutem Hause wird indes nahegelegt, jemischte Lagen gänzlich zu meiden. Daher winkt das brave Kind bei unfeinen Einladungen kess ab: Meine Mutter hat jesacht, wenn’t jemischt wird, soll ick zu Hause jehn. Immerhin steht der gute Ruf auf dem Spiel, wenn es ordinär wird. In misslichen Situationen ist es um das Seelenleben der Betroffenen selten gut bestellt. Aber auch dabei kommt es noch auf die feinen Unterschiede an. Beantwortet ein Berliner die Frage nach seinem Befinden mit einem so lila, ist das zwar durchwachsen, reicht aber offensichtlich noch für ein Wortspiel mit dem französischen so lala. Ähnlich gemischt geht es einem, der sich halb und halb präsentiert, ein Ausdruck der auf einen ebenso bezeichneten Schnaps der Firma Mampe anspielt. Und findet einer, das Fußballspiel vom Vortag sei nischt Halbet

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und nischt Janzet gewesen, dann meint das – entgegen möglicher logischer Schlüsse – zumeist eine Partie der Marke »untere Tabellenhälfte«. Deutlich schlechter wird es erst, wenn die Lage so richtig mies ist. Nicht umsonst findet sich das vom jiddsichen mis kommende Wörtchen auch im nörgelndenden Miesepeter und im schwarzseherischen Miesmacher. Wer die überstanden hat, dem dürfte nich feierlich zumute sein, sondern vielmehr jottsjämmerlich. Und das – ist schlichtweg scheiße. Bleibt die Flucht in Ironie, die dem Berliner noch immer das Herz erwärmt: Wunderscheen is jarnischt dajejen!

Jeh da lang, hier lang is jeflastert! Wenn Berliner sich unangenehmer Zeitgenossen entledigen wollen, weil diese ihnen ein Ohr abkauen, auf der Tasche liegen oder schlicht die Zeit stehlen, fackeln sie nicht lange und sagen es ihnen direkt ins Gesicht. Aber natürlich nicht irgendwie, sondern mit Feuer und mit Witz und manchmal sogar mit Stil. So zeugt der eine oder andere verbale Rauswurf sogar von einer guten und mitunter (überwundenen) religiösen Kinderstube. Wie die scherzhafte Entscheidungsfrage ohne Entscheidung: Woll’n Se Jott sei dank schon jehn oder bleiben Se leider Jottes noch’n bisschen? Sollte der Störenfried den Wink nicht verstehen, geht es mit höchstem Beistand allemal deutlicher: Jehn Se mit Jott, aber jehn Se! Wenn nicht klar ist, wohin der Weg führen soll, empfehlen Berliner gern: Ab nach Kassel! Warum Störenfriede ausgerechnet dort entsorgt werden sollen, lässt sich nur spekulieren.

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So heißt es, die Redewendung sei entstanden, als hessische Fürsten Untertanen an die Engländer zur Teilnahme am nordamerikanischen Kolonialkrieg verkauften. Sammelpunkt für die verscherbelten Landeskinder war Kassel. Tatsächliche Verbreitung fand die Wendung allerdings erst 1870, als Bismarck persönlich mit dem geflügelten Wort die Verschickung Napoleons III. von Sedan ins Exil nach Kassel-Wilhelmshöhe verfügt haben soll. Weniger geschichtsträchtig, aber ebenso deutlich ist die kühle Empfehlung: Grüßen Se Ihre Waschfrau! Egal wo, Hauptsache woanders, bleibt dabei zwar ungesagt, zumeist aber hörbar. Damit Unerwünschte auch wirklich abschieben, muss man ihnen aber mitunter etwas unsanfter die Tür weisen. Für Berliner keine schwere Aufgabe: Mach Been!, Mensch, verfatz dir! oder Subtrahier dir! sind nur eine kleine Auswahl. Ob Hau ab! oder Ick beiß dir in de Neese! mehr als nur ein freundlicher Abschiedsgruß sind, möchte vielleicht auch nicht jeder ausprobieren. Sicher ist, Berliner verlieren vielleicht hin und wieder die Nerven, aber ganz bestimmt nie ihren Witz. Selbst in Rage reicht es noch für einen Reim wie diesen: Verschwinde, wie die Wurst im Spinde! Auch mit einer Prise Ironie lässt es sich leichter hinauswerfen, etwa mit: Jeh da lang, hier lang is jef lastert! Oder: Mach mal de Diere von draußen zu! In die gleiche Richtung zielt die gleichwohl weit derbere Ansage: Wenn Se hier mit mir reden woll’n, denn jehn Se raus und halten Se’t Maul! Sollte all das nicht helfen, bleibt als verbale Brechstange nur noch die Verabschiedung in Einzelteilen. Aber was heißt hier »nur noch«? Wer träumte nicht einmal von einem Rausschmiss mit den Worten: Kopp weg, Beene weg, det andre jeht alleene weg! Wie wahr.

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Dir Aas kenn ick! Was wäre Berlin ohne seine Kinder? Ärmer allemal, denn viel vom unerhörten Ruf der Stadt, ihres Wesens und auch ihrer Sprache lastet auf den schmalen Schultern der Jörn. Kommen sie auf die Welt, gelten sie noch als kleener Sputnik, Wurm oder Dingelken, aber das ändert sich zumeist recht bald. Nur zu schnell werden daraus Blagn oder Bollen. Letztere sind eigentlich Zwiebeln, und warum ausgerechnet sie einen Spitznamen für den Nachwuchs abgeben, ist nicht wirklich klar. Vielleicht, weil beide gleichermaßen erst klein ungeheuer in die Höhe schießen, wenn die Zeit reif ist, doch das bleibt Spekulation. Viele der Namen, mit denen Berliner ihre Kinder bezeichnen, klingen wenig schmeichelhaft, sind aber zumeist tatsächlich Kosenamen, wie Piesepampel, ollet Quack oder Aas. Was an anderer Stelle und auf andere Köpfe zugesagt ein Schimpfwort wäre, ist Spiegel der komplexen Beziehung der Berliner zu ihren Kindern. Anerkennung und Tadel, Erstaunen und Stolz zeigen sich darin auf eigenwillige Weise. Und natürlich wahren sie den kleinen Unterschied, der hin und wieder gar zu schnell zu einem großen wird. Jungs gehen als Knopp, Steppke – was so viel wie kleiner Stopfen bedeutet –, Hopskeese oder Pief ke durch. Dieser geht möglicherweise auf den preußischen Musikmeister Piefke zurück, der 1864 den Düppeler Sturmmarsch komponierte. Ebenso möglich und durchaus naheliegend ist aber, dass er vom norddeutschen Pief ke stammt, der ein Pfeifchen bezeichnet und als Kosename den kleinen Penis des Jungen für das ganze Männeken setzt. Erst wenn sie richtig frech werden, mutieren die Buben zu Rabauken,

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was im Niederländischen Schurken (rabauw) sind, oder Satansbraten. Mädchen ruft man in der Regel einfach Meechen, manchmal heißen sie aber auch Klunte oder Kröte. Treffender lassen sich die unnachahmlichen Berliner Jörn aber in ihren eigenen Worten beschreiben. Sie sind frech, schlagfertig, vorlaut, neigen zu Größenwahn, können aber auch über sich selbst lachen – und damit kommen sie ganz und gar nach ihren Alten. Heinrich Zille, der Porträtist des »Milljöhs«, hat ihnen in seinem Buch »Kinder der Straße« von 1908 ein zeichnerisches Denkmal gesetzt. Ihre Sprache hat sich dagegen vor allem in zahllosen Witzen und Anekdoten niedergeschlagen. Walter Kiaulehn zufolge waren und sind sie die Hüter des Berlinischen: »Der Genius der Straße erhielt die Berliner Stadtsprache am Leben. Die Kinder sprachen sie weiter, als die Erwachsenen sich ihrer zu schämen begannen. Sie retteten die Sprache samt ihrem Witz. Was die Straße sprach, war schnoddrig, weil es kindlich und altklug war.« Daher führt kein Weg an einem kleinen Rundgang vorbei. Sie sind frech. In allen Lagen. Ein Berliner Dreikäsehoch hat sich verlaufen. Er wendet sich an einen feinen Herrn und fragt: »Sie, Männeken, könn Se mir sagen, wie ick zur Friedrichstraße komme?« Darauf erwidert dieser erbost: »Kannst du denn nicht etwas höf licher fragen?« »Nee, da verloof ick mir lieber.« Halt machen sie deshalb vor nichts und niemandem. In der Straßenbahn fragt eine ältere Dame den Steppke, der ihr gegenübersitzt: »Na, mein Jungchen, was siehst du mich denn so an?« Da sagt dieser: »Ick frag mir, ob Se ooch zu’t schöne Jeschlecht jehörn.« Und auch die eigene Familie bleibt nicht verschont, wenn es im Berliner Hinterhof schallt: »Mutter, kiek mal aus Fenster, Willi gloobt nich, dette schielst!«

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Schlagfertigkeit wiederum gilt es zu trainieren. Oberstes Gebot, schon im Kindesalter ist, nie die Sprache zu verlieren: »Sag ma, seit zehn Minuten stehste schon mit offenem Mund da!« – »Weeß ick. Hab’n ja selber uffjemacht.« Zudem sollte man stets Herr der Situation bleiben, und sei es aus sicherer Distanz. Ein Vater sitzt mit seinen drei Söhnen am Abendbrottisch, es gibt Nudeln. Da sagt Wilhelm, der älteste der drei Knöppe: »Schaut ma, wie Vatern die Nudeln um de Schnauze baumeln!« Heinrich, der zweite, wirft ein: »Wie kannste denn zu Vatern seine Fresse Schnauze sagen!« Darauf Wilhelm: »Wenn’t sich der Ochse jefallen lässt!« Da springt der Vater auf und schnappt sich seinen Stock, doch die drei sind schon unterm Bett verschwunden. Nachdem er sich vergeblich bemüht hat, sie mit Drohungen hervorzuholen, sagt er schließlich zum Kleinsten: »Paule, komm vor, du hast ja nischt jesagt. Dir tu ick ja nischt.« Doch Paul ist misstrauisch, bleibt wo er ist und ruft: »Dir Aas kenn ick!« Sobald sie Oberwasser haben, geben die Großstadtgören an wie eine Tüte Mücken – im Guten wie im Schlechten, je nachdem, was gerade angebracht ist. Zwei Jungs sind gemeinsam angeln, als einer sagt: »Jestern hab ick’n Hecht jefangen, der hatte 70 Fund!« Meint der andere: »Und ick hab letztens ’n Fahrrad aus de Spree jezogen, da brannte sojar noch det Licht!« – »Spinnst ja!« – »Wenn dein Hecht 40 Fund abnimmt, mach ick bei mein’ Fahrrad det Licht aus!« Eine Geschichte anderer Natur hat Franz Lederer, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts als Sammler und Verfechter des Berlinischen einen Namen gemacht hat, überliefert: In einer Zeit, als es noch Straßenhändler gab, pries ein Junge, der Schnürsenkel verkaufte, seine Ware mit den Worten an: »Koofen Se mir doch

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wat ab, ick bin’n armer Waisenknabe. Mein Vater is schon drei Jahre vor meine Jeburt jestorben.« In ihrer unnachahmlichen Art sind sie indes nicht zuletzt eines: die Kinder ihrer Eltern, die ihnen darin (leuchtendes?) Vorbild sind. Und das betrifft wie gesagt auch die Fähigkeit, über sich selbst und eigene Unzulänglichkeiten zu lachen. Friedrich kommt aus der Schule nach Hause und berichtet von seinem Tag: »Unser Lehrer hat jesacht, wir stamm’ von’ Affen ab.« Da erwidert der Vater: »Du vielleicht, ick nich!«

Wasch dir de Brust – du wirst erschossen! Zu den weithin bekannten Qualitäten der Berliner Jörn gehört, dass sie zuverlässig über die Stränge schlagen: des Nachbars Pudel blau färben, Klingelsturm die Straße runter und Vaters Pantoffeln im Ofen verstecken. Von Zeit zu Zeit muss dieser deshalb sich und seine Stimme erheben und sich die lieben Kleinen vorknöppen. Oder doch lieber vorbinden? Wie die dazugehörigen Wendungen zeigen, kennt der Berliner viele Wege, der Erziehung doch noch zum Erfolg zu verhelfen, wobei einige durchaus amüsant, andere handfest anmuten. Wer ein eher stürmischer Typ ist, zieht es vor, seinen Nachwuchs anzuhauchen, anzublasen oder anzupusten. Andere halten es da mit traditioneller Züchtigung. Sie nehmen sich ihren Bengel beim Wickel – womit wörtlich die im Nacken zusammengezogenen Haare gemeint sind – und dann heißt es: Den werd ick Bescheid stoßen! Nicht viel anders dürfte es laufen, wenn sie

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