Verlassene Orte / Abandoned Berlin (Leseprobe)

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Ciarรกn Fahey

Verl A ssene Orte | A BAndOned

Berlin ruinen und relikte in Berlin und Umgebung | ruins and relics in and around Berlin

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Mehr informationen im internet

Bildnachweis Bunker5001.com: s. 86, 91, 93 Alle anderen Abbildungen stammen von Ciarán Fahey. Bibliografische information der deutschen nationalbibliothek die deutsche nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen nationalbibliografie; detaillierte bibliografische daten sind im internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle rechte vorbehalten. dieses Werk, einschließlich aller seiner teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die einspeicherung und Verarbeitung auf dVds, Cd - rOMs, Cds, Videos, in weiteren elektronischen systemen sowie für internet-Plattformen. © berlin edition im be.bra verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2015 KulturBrauerei Haus 2 schönhauser Allee 37, 10435 Berlin post@bebraverlag.de Übersetzung: Marijke topp, Berlin, und Matthias Zimmermann, Berlin lektorat: Marijke topp, Berlin, und Matthias Zimmermann, Berlin Umschlag: Ansichtssache, Berlin satz: typegerecht, Berlin schrift: dtl Argo 9/12 pt ˇesk´ druck und Bindung: Finidr, C y te ˇˇsín isBn 978-3-8148- 0208- 4 www.bebraverlag.de

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inhaltsverzeichnis | Contents

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Vorwort | Foreword

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Anatomisches institut Berlin-Zehlendorf Ballhaus Grünau Berlin-Köpenick Bärenquell-Brauerei Berlin-Treptow Beelitzer Heilstätten Beelitz Chemiewerk rüdersdorf Rüdersdorf eisfabrik Berlin-Mitte elisabeth-sanatorium Stahnsdorf Funkhaus Grünau Berlin-Köpenick Garbátys Zigarettenfabrik Berlin-Pankow Heilstätte Grabowsee Oranienburg Heeresbekleidungsamt Bernau Bernau bei Berlin Heilstätten Hohenlychen Lychen Honecker-Bunker Wandlitz irakische Botschaft Berlin-Pankow Kaserne Krampnitz Potsdam Kriegsversehrte Villa Berlin lager Koralle nördlich von Bernau bei Berlin Olympisches dorf Wustermark siemensbahn Berlin-Spandau spreepark Berlin-Treptow ss -Bäckerei Oranienburg tankstelle Berlin-Kreuzberg teufelsberg Berlin-Wilmersdorf Vogelsang Zehdenick Volkspolizeikaserne Blankenburg Berlin-Weißensee Waldhaus Buch Berlin-Pankow Wernerbad Berlin-Hellersdorf Wünsdorf-Waldstadt Zossen

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dank | thanks Über den Autor | About the Author

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Vorwort

Foreword

Die verbotenen Früchte sind umso süßer, wenn man Hürden überwinden muss, um sie zu bekommen; ein Sirenenruf lockt Menschen dorthin, wo sie nicht sein sollten. Verlassene Orte verströmen einen unwiderstehlichen Charme. Sie sind Tore zu einer versteckten Vergangenheit mit lange verlorenen Geschichten. Es gibt eine oberflächliche Schönheit des physischen Verfalls – von Spinnenweben überzogene Fensterscheiben, zerschlissene Gardinen, verblasste Töne, abblätternde Farbe, abfallende Schilder, frühere Pracht verdeckt unter einer sanften Staubdecke –, aber dahinter verbirgt sich weit mehr. Selbst ein leerer Raum bewahrt Verbindungen zum vergangenen Leben. Spuren trotzen der Natur und den größten Bemühungen der Menschen, sie zu beseitigen. Wände können sprechen, aber sie sprechen ihre eigene Sprache. Ihre Stille spricht. Andere Wände wollen nicht sprechen – auch das sagt etwas. Gebrauchsgegenstände bekommen große Bedeutung, wenn die kahle Umgebung sie ins Scheinwerferlicht rückt. Eine vergessene Gabel füttert auch Jahre später noch, wird Gedankenfutter. Klaviere, die die Zeit überdauert haben, vermitteln größere Wunder als zu Zeiten, in denen noch auf ihnen gespielt wurde. Ein Stuhl wird zum Mittelpunkt, wenn nichts weiter im Raum ist. Wer saß hier? Wann? Waren diejenigen glücklich? Waren sie traurig? Was ist mit ihnen geschehen? Dann gibt es Geister, die nicht loslassen wollen. Traurigkeit herrscht an solchen Orten, es gibt dort kein glückliches Ende. Qualen scheinen der einzige Ausweg zu sein. Für ein Gebäude ist es ein großes Unglück, verlassen zu werden, eine Verhöhnung. Das letzte Jahrhundert hat Berlin mit einer kaum fassbaren Geschichte gesegnet, die lebendige Bauten veröden ließ. Die dunklen Schicksalsfäden spinnen Geschichten, die danach flehen, erzählt zu werden. Sie sind zu gut, um sie versinken zu lassen. Es ist nur ein Schnappschuss, ein Schnappschuss der Vergangenheit, der Gegenwart und einer Zukunft, die nicht mehr dieselbe sein wird. Kehrt man morgen an einen Ort zurück, wird er sich verändert haben. Nicht viel, aber spürbar. Kein Ort bleibt derselbe, und alle Bemühungen, etwas zu bewahren, sind zum Scheitern verurteilt. Dokumentation ist wohl das Beste, worauf wir hoffen können. Durch die Gegenwart verstehen, was aus der Vergangenheit geblieben ist. Dies ist der Versuch, fremde Erinnerungen zu erhalten.

Forbidden fruit is all the sweeter through hurdles overcome to reach it; a compelling call draws people where they’re not supposed to go. Portals to a hidden past with never-told or long-lost stories, abandoned places emit an irresistible charm. On a superficial level there’s the physical beauty of decay – cobweb-shrouded windowpanes, frayed curtains, fading colors, flaking paint, peeling labels, former grandeur hiding coquettishly under a soft coat of dust – but there’s so much more to it than that. Even a room devoid of detail retains some connection to a previous life. Traces always remain, despite nature and man’s best efforts to remove them. Walls can talk but they speak in different ways. Their silence alone says something. Some walls don’t want to talk. That says something too. Common items assume massive importance once bare surroundings thrust them into the spotlight. A forgotten fork still feeds for years afterward, food for thought. Surviving pianos convey more wonder than they ever did in their playing days. A chair becomes the centerpiece when there’s nothing else in the room. Who sat here? When? Were they happy? Were they sad? Where did they go? Then there are the spirits, those who don’t want to let go. Sadness prevails in these places for there are no happy stories, no happily ever after. Torment seems the only way out. For a building to be abandoned at all is a remarkable misfortune, a story in itself, a travesty. The last century has provided Berlin with unrivaled implausible history, rendering otherwise functioning facilities still. The dark twists of fate created untold stories (pun intended) begging to be told before they’re lost in the mire too. They’re too good to let go. It’s just a snapshot, a snapshot across the past, present and future that will never be the same. Come back tomorrow and it will have changed. Not much, but perceptively. No place ever stays the same and all efforts to preserve are doomed to failure. Documentation, I feel, is the best we can hope for. Grasp what remains of the past through the present. This is an attempt to remember someone else’s memories. Ciarán Fahey Berlin, Febuary 2015

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Anatomisches institut Abgehackt

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Man erwartet vermodernde leichen, zerstückelte Körper, verfaulte Fleischklumpen, die Überreste makaberer experimente. Aber alle Beweisstücke sind verschwunden, chirurgisch sauber entfernt. sogar die Fliegen haben diesen Ort verlassen. Zumindest scheint es so … dennoch finden sich einige Hinweise auf die bewegte Vergangenheit dieses Ortes: Gekachelte räume, labors, seziertische, Vitrinen, seltsame Vorrichtungen, gespenstische Hörsäle, Vorführräume, eilig gekritzelte notizen, telefone als Verbindung zur Außenwelt, Waschbecken, schreibtische, stühle, schränke, Akten, eine toilettenbürste, ehemalige laborratten. Zählt man eins und eins zusammen, dann gibt es keinen Zweifel – dieser Ort war ein schauplatz des schaurigen Handwerks der Anatomie. im Untergeschoss läuft es einem eiskalt den rücken herunter. Hier waren die leichen untergebracht, frisch gehalten in rostfreien stählernen Kühlschränken, aufeinandergestapelt wie taubenschläge. Wir befinden uns im ehemaligen Anatomischen institut der Freien Universität, das 2005 an modernere einrichtungen

You expect decaying corpses, chopped up bodies, putrid specimens of flesh, the remains of fevered experiments, but all the evidence is gone, surgically removed. even the flies have left. Or so it seems … some clues remain, hinting at a choppy past. tiled rooms, laboratories, dissecting tables, display cases, strange contraptions, eerie auditoriums, projector rooms, hurriedly scribbled notes, telephones for contact with the outside world, sinks, desks, chairs, cabinets, files, a toilet brush, former lab rats. Put them together and there can be no mistake – this place was once dedicated to the frightful field of anatomy. downstairs would send a chill down your back, as indeed the cold steel scalpels must have done to their victims. this is where the corpses were stored, kept fresh in stainless steel fridges stacked like pigeonholes. this, to be precise, was Freie Universität Berlin’s institute of Anatomy before it upped sticks in 2005 for snazzier facilities in Mitte. the writing was on the wall – and i’m not referring to the graffiti which has made its way there since – when the col-

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in Berlin-Mitte angegliedert wurde. sein schicksal war bereits zwei Jahre zuvor besiegelt worden, als die Medizinische Fakultät der FU mit der der Humboldt-Universität zur Charité – Universitätsmedizin Berlin fusioniert war. die Freie Universität war 1948 gegründet worden, da es infolge der teilung Berlins keine Universität im Westteil der stadt mehr gab. Am 20. november 1949 zog das Anatomische institut in das 1929 von ernst Huntemüller entworfene Gebäude ein und die studenten begannen, die leichen aus den Kühlräumen im interesse der Wissenschaft zu zerschnippeln – leichen von Menschen, die keine Chance mehr hatten, sich zu wehren. das Gebäude selbst hatte offensichtlich auch keine Chance, sich zu wehren. es ist seit 2005 verwaist und verfällt seitdem. sein Zustand ist jedoch nicht so schlecht, wie man erwarten würde. Vielleicht haben die laborratten inzwischen gelernt, ihr domizil zu verteidigen. Vielleicht durchstreifen auch die Geister gequälter seelen die Korridore, um sicherzustellen, dass keine studenten es mehr wagen, mit Präpa-

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lege’s medical faculties were merged with Humboldt-Universität’s under the auspices of the Charité Universitätsmedizin Berlin university hospital in 2003. the FU Berlin, or ‘Free University of Berlin,’ was formed in 1948 because there was no longer a university in West Berlin following the division of the city after the war. the institute of Anatomy moved into the building designed by ernst Huntemüller on november 20 th, 1949, and its students quickly got to work, chopping up the corpses stored in the cool rooms for the purposes of science, on people who were no longer in a position to object if they changed their minds. the building itself was built in 1929 but apparently that wasn’t in a position to object either. it’s been abandoned since 2005, and trashed to a certain extent in the meantime, though not as much as you’d expect. Perhaps the lab rats have learned to defend their abode now that they’ve broken free of its cruel shackles. Maybe the ghosts of tortured souls still roam the campus corridors to

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rierscheren, skalpellen, nadeln oder Zangen das Gebäude zu betreten. das 5.100 Quadratmeter große Gelände wurde von Aldi nord erworben, aber die Pläne, hier ein einkaufszentrum zu eröffnen, sind beim Bezirksamt auf Widerstand gestoßen. Politiker vor Ort machen sich für den schutz des etablierten Kaiser’s-supermarktes in dahlem und der shopping-Mall »das schloss« am rathaus steglitz stark, wie die »Berliner Woche« schreibt. normalerweise scheren sich Berliner Politiker einen dreck um solche diskussionen – je mehr supermärkte, desto besser –, aber ganz offensichtlich hat der existierende einzelhandel Angst vor der Konkurrenz und Freunde in höheren Positionen. Vielleicht haben auch die laborratten und die gequälten seelen ihren teil dazu beigetragen. nach über 50 Jahren des Zerhackens, schnippelns, Klammerns, reißens, Messens und innen-nach-außen-Kehrens ist ihnen die sehnsucht nach ruhe nicht zu verdenken.

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ensure no more students dare enter with dissecting scissors, scalpels, pins or forceps. the 5,100 square meter site has been acquired by Aldi nord, but the discount supermarket chain’s plan to build a shopping center there has run into difficulties with the district office. local politicians want to protect the established Kaiser’s at dahlem and ‘das schloss’ (the Castle), a shopping center at rathaus steglitz, according to ‘Berliner Woche’. Usually Berlin’s politicians don’t give a damn – the more supermarkets the merrier – but evidently the existing retail outlets are worried about the competition and have made friends in high places. Perhaps the lab rats and tortured souls have lent their support too. After more than 50 years of hacking, snipping, clipping, tearing, scaling and being turned inside out, you couldn’t blame them for wanting a quiet life.

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Ballhaus Grünau Wenn die Musik vorüber ist

When the music’s over

When the music’s over turn out the lights. For the music is your special friend, dance on fire as it intends. Music is your only friend, until the end. Until the end. The Doors

When the music’s over turn out the lights. For the music is your special friend, dance on fire as it intends. Music is your only friend, until the end. Until the end. The Doors

Es tut mir leid, sagen zu müssen: Dies ist das Ende – das Ende von Grünaus berühmten Tanzsälen, dem Ballhaus Riviera und dem Gesellschaftshaus Grünau. Alle Freunde sind gegangen, die Musik ist aus, die Lichter sind zerschlagen und der letzte Tanz ist nicht mehr als eine weit zurückliegende blasse Erinnerung. Heute fließt die Dahme traurig vorbei und stupst das »Riviera« an, so als wollte sie sehen, ob das Ballhaus noch lebt. Doch es gibt kein Lebenszeichen mehr von sich. Nur der leblose Körper steht noch da, aber auch der wird wohl sehr bald verschwunden sein. Den letzten Tanz gab es hier 1991, den ersten 1890. In jenem Jahr wurde das Ballhaus Riviera erbaut, mit zahlreichen Räumen und einem von Palmen gesäumten Restaurant auf der

Well, I’m sorry to report it is the end – the end of Grünau’s famous dance halls, the Ballhaus Riviera and Gesellschaftshaus Grünau. Every friend has left, music included, the lights have been smashed, and the last dance is but a distant fading memory. Now the Dahme flows sadly by, lapping the ‘Riviera’ as if prodding a carcass for signs of life. There are none. Only the corpse is left, and very soon, it seems, that will be gone too. The last dance was in 1991. The first was in 1890. That’s when Ballhaus Riviera was built – a dance hall with several other rooms and a palm-lined outdoor restaurant on a terrace beside the river – at a time when Grünau was a happening place and hot destination for Berlin’s movers and shakers.

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Terrasse neben dem Fluss. Damals war Grünau ein lebendiger Ort und ein beliebtes Ausflugsziel für unternehmungslustige Berliner. seit dem 27. Juni 1880 war es auch bekannt als Wassersport-Revier: An jenem Tag kamen drei örtliche Ruderclubs zur ersten Grünau-Regatta zusammen. Der Erfolg war so groß, dass im september 1881 bereits die zweite, die Große Grünauer Regatta, stattfand und von nun an jährlich veranstaltet wurde. An guten Tagen kamen bis zu 50.000 Zuschauer. Bei all diesen Festivitäten wurde getanzt und gefeiert. Das Ballhaus war unglaublich beliebt, für Musiker war es eine Ehre, dort zu spielen. Das Gesellschaftshaus mit seinem neun Meter hohen Ballsaal und weiteren Räumen wurde 1897/98 errichtet. Gemeinsam mit dem Ballhaus machte es Grünau zu einem Magneten für Partygänger und Feierlustige von nah und fern. Deutsche lieben es zu tanzen, damals wir heute. Natürlich wurde auch weiterhin Wassersport betrieben. Durch die Olympischen spiele von 1936 erlebte die Gegend einen enormen Aufschwung und es wurde weitergebaut. Aber das ist eine andere Geschichte …

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Grünau was renowned for its watersports, particularly after June 27, 1880, when three local rowing clubs came together to hold the first Grünau Regatta. It was such a success, that the second, called the Große Grünauer Regatta, followed in september 1881, and they continued yearly after that, drawing crowds of up to 50,000 people on good days. With all the festivities, of course there was call for dancing and merrymaking! The Ballhaus was immensely popular. Musicians were honored to come and play there. The Gesellschaftshaus (social house) with nine-meter high ballroom and other rooms was built in 1897/98 and together with the Ballhaus, they turned Grünau into a magnet for partygoers and revelers from far and wide. Germans love their dancing. It was no different then. The watersports continued, of course. The area received a massive boost with the Olympic Games in 1936, for which more facilities were built, but that’s a whole other story … The Ballhaus and Gesellschaftshaus continued their important role in Grünau’s social fabric throughout the DDR and the

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Auch zur DDR-Zeit spielten Ball- und Gesellschaftshaus eine wichtige Rolle, die Gebäude wurden 1977 sogar unter Denkmalschutz gestellt. Aber bereits zu Beginn der 1980erJahre lebten ihre prachtvollen Tage nur noch in Erinnerungen an eine vergangene Ära. Im saal tanzte man zu Disco- statt zu Ballhausmusik. Die Wiedervereinigung läutete dann das Ende ein, die DJs zogen endgültig aus und beide Einrichtungen wurden im Folgejahr geschlossen. Die Treuhand übernahm das Gelände und bemühte sich um eine Lösung. Zahlreiche unternehmer wurden mit Bebauungsplänen vorstellig, doch die stadt lehnte alle vorschläge ab. Das Kavaliershaus wurde 1999 abgerissen. Das schicksal von Ball- und Gesellschaftshaus war nach wie vor unklar, als im August 2000 ein Biergarten auf dem Gelände eröffnete. Er hielt sich aber nicht lange und wurde schon im Oktober wieder geschlossen. Die Gebäude waren bereits geplündert und zugemüllt, als die Treuhand bekannt gab, dass sie abgerissen werden sollten, mit Ausnahme des großen Ballsaals und der Fassade.

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buildings were even given protected status in 1977. However, the glory days were already part of a bygone era by the time the 1980s rolled around, with discos rather than ballroom dances taking center stage. German reunification in 1990 spelled the end, killing the DJ, and both Ballhaus and Gesellschaftshaus were shut down the following year. Treuhand, the state company responsible for privatizing East German enterprises after Mauerfall, seized control and attempted to find a solution. various investors came with plans to build apartments but these were rejected by the city. Meanwhile, the ‘Kavaliershaus’ was demolished in 1999. The Ballhaus’ and Gesellschaftshaus’ fate was still unclear when another crowd opened a Biergarten on the land in August 2000. It didn’t last long, closing in October. The buildings were already being vandalized and trashed when Treuhand announced they’d be demolished but for the large ballroom and façade. In the end they sold the whole lot in 2006 to an investor from Ankara, Turkey, represented by her

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schließlich wurde der ganze Komplex 2006 an eine Investorin aus Ankara verkauft, die von ihrem in Potsdam ansässigen Bruder vertreten wird. Anfangs schien es, als wollte sie dort ein Hotel eröffnen. Nach weiteren Ideen, wie der Errichtung eines Altersheims, schlug die Investorin den Bau von Apartments vor, doch dies wurde abgelehnt. Anwohner fürchten, dass die Eigentümerin nun darauf wartet, dass der ganze Komplex in sich zusammenfällt oder niedergebrannt wird, damit nichts mehr erhalten werden muss und sie endlich lukrative Wohnungen bauen lassen kann. Die Gebäude sind stark verfallen und in einem beklagenswerten Zustand. Dennoch ist ihre frühere Pracht noch immer erkennbar. Gerade noch. Die Bühnen, umkleidekabinen, Flure, Wände und alles, was man in einem Ballhaus erwartet, sind noch immer da. Nur die Kronleuchter und die kunstvolle Ausstattung sind denselben Weg gegangen wie die Tänzer. Längst würde ein einziger Tanz diesen Ort zum Einsturz bringen. »Es war wunderschön«, sagte eine alte Frau, die ich draußen traf. sie hatte in den 1950 er-Jahren hier das Tanzen

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brother, a Potsdam-based businessman. Treuhand was under the impression she wanted to build a hotel there. More ideas followed, an old folks’ home for one, before the investor came back with another plan to build apartments. This too was turned down. Locals fear the owner is simply waiting for the whole lot to fall down or be burned to the ground so there’s nothing left to protect anymore and she can go ahead and build her lucrative apartments. It’s in a sorry state now, seriously dilapidated, yet the former splendor still manages to shine through. Just. The stages, backstage, dressing rooms, floors and walls and all you’d expect to find in a ballroom are still there, but the chandeliers and fancy trimmings are all gone the way of the dancers. Any dancing now would just bring the place down. “Es war wunderschön!” said an old woman I met outside. she had learned to dance here in the 1950s. she said Ballhaus Riviera was open to all, with dances ongoing on weekday afternoons too. she also said a Berlin school of ballet performed in

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gelernt. sie erzählte, dass das Ballhaus Riviera für alle geöffnet war und dass hier sogar unter der Woche nachmittags getanzt wurde. Auch eine Berliner Ballettschule soll hier aufgetreten sein, erinnerte sie sich. sie erzählte und erzählte mit großer Leidenschaft. Ihre Liebe zum Ballhaus Riviera und dem Gesellschaftshaus Grünau – wie die vieler Anwohner – hat die Zeiten unbeschadet überstanden. Was man von den Gebäuden nicht sagen kann.

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the Gesellschaftshaus, though I couldn’t find any corroborating evidence. But she talked and talked with genuine affection. Her love for the Ballhaus Riviera and Gesellschaftshaus Grünau – like that of many locals – has not deteriorated, even if their condition has.

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Bärenquell-Brauerei Bären-Bier verschwunden

Bears’ brewery gone bare

Als die Mauer fiel, wurde den Berlinern mit einem Mal klar, dass es mehr zu tun gab als zu trinken. leider bedeutete dies auch das ende für die meisten ostdeutschen Brauereien. die Bierproduktion sackte ab und in den Jahren nach der Wiedervereinigung war es mit Brauereien in der ehemaligen ddr vorbei. sie verwaisten schneller als jede Party, bei der das Bier alle ist. ihre Produkte konnten einfach nicht mithalten mit den trendigen West-Bieren, die nun auch die Ostdeutschen trinken wollten – weil sie es konnten. Währenddessen kauften die West-Brauereien ihre Konkurrenten im Osten auf – ebenfalls weil sie es konnten. Heute sind die Opfer des großen ostdeutschen »Biertrugs« über Berlin verstreut, stillgelegt und verwahrlost. der Kater eines landes, das sich nicht an die Party erinnern will. Kolosse auf riesigen Höfen, gigantische leere Hallen, stille laderampen, Fässer so trocken wie Kühlschränke auf verlassenen Partys. einst geschäftig, ist die verlassene Bärenquell-Brauerei nun leblos und still. doch noch immer erzählen zahlreiche details ihre traurige Geschichte – Metalltreppen, Plattformen,

Once the Berlin Wall came down, locals suddenly realized there was more to do than drink. Unfortunately for breweries in east Germany this spelled the end for most of them. Beer production plummeted, and in the years after reunification breweries in the former Gdr closed down and were deserted quicker than parties when the fridge runs dry. they simply couldn’t compete with trendy beers available from the West that everyone wanted to drink because they could. While they were buying western beers, western breweries were snapping up their counterparts in the east – because they could. these days, victims of the Great east German Beertrayal are scattered around Berlin, idle and neglected. A hangover from a country that doesn’t want to remember the party, they hulk over vast yards, immense halls empty, loading bays silent, vats as dry as fridges at abandoned parties. Once busy, now inanimate and soundless, the deserted Bärenquell Brauerei produces a multitude of clues as it begs to tell its sorry story – metal stairways, platforms overlooking

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von denen aus die Hallen zu überblicken waren, in denen die berauschenden substanzen zusammengebraut wurden. Kabel an gefliesten Wänden, leitern, stufen, seltsame rostige rohre, die überall und nirgends hinführen, Papierkram, Akten, Handbücher hinter einer staubigen tür, ddr-Zeug, Manifeste und Propagandablätter. etiketten liegen herum, staubige Bierflaschen in einem Kasten. im oberen stock ist eine Küche. dort stehen schreibtische mit herausgezogenen schubladen, herumfliegende Papiere, merkwürdige Maschinen und Vorrichtungen, zerbrochene Fenster zu der Welt draußen, einer Welt, die diese hier zurückgelassen hat. Als Bärenquell ihre türen am 1. April 1994 für immer schloss, war dies das ende einer 112 Jahre alten tradition. 1882 war sie als Borussia Brauerei eröffnet, dann von der schultheiß AG gekauft und 1898 erweitert worden. nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie unter staatliche Kontrolle gestellt, wie nahezu alles andere auch. die Brauerei wurde in VeB Bärenquell umbenannt. (VeB stand für Volkseigener Betrieb, auch wenn das Volk reichlich wenig damit zu tun hatte.)

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great spaces where inebriating substances were once concocted, wires on tiled walls, ladders, steps, weird looking rusty pipes going anywhere and everywhere, paperwork, files and training manuals behind a dusty door, Gdr stuff, manifestos and propaganda, labels scattered around, dusty beer bottles in a crate. Behind a door upstairs was a kitchen. it had desks with drawers pulled outpapers scattered, strange machines and contraptions, broken windows onto an outside world, a world that had left this one behind. When the Bärenquell Brauerei closed its doors for the last time on April 1st, 1994, it marked the end of a brewery 112 years old. it first opened as the Borussia Brauerei in 1882, was bought by schultheiss AG and expanded in 1898. After World War ii, it came under state control like pretty much everything else. it was renamed the VeB Bärenquell. (VeB stood for Volkseigener Betrieb, people-owned enterprise. Of course, the people had nothing to do with it.) Bärenquell proved to be one of Berlin’s most popular beers and was renowned for its good taste. By the time of its closure

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Bärenquell war eines der beliebtesten Biere Berlins und bekannt für seinen guten Geschmack. Als die Brauerei dichtgemacht wurde, gehörte sie neben Kindl, Berliner Pilsener und schultheiß zu den vier Großen in Berlin. Warum sie pleiteging, obwohl ihr Bier so beliebt war, ist mir allerdings nicht ganz klar. Vielleicht sind ihr die »Bären« ausgegangen. ich zumindest bin keinen begegnet, als ich dort herumschnüffelte. die suche nach Bier erwies sich leider als genauso unergiebig. Mein größter Fund war ein besonders glücklich aussehender Bär, der stolz einen riesigen Bierkrug hält. er befand sich auf einem Bärenquell-Kasten. Aber teilen wollte er sein lieblingsgebräu genauso wenig wie all seine rausgeputzten Kameraden auf den tausenden herumliegenden Flaschenetiketten, die nicht mehr aufgeklebt wurden. Wie sich herausstellte, kamen die Bären kein stück näher an ihr Bier heran als ich.

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it was one of the ‘big four’ with Kindl, Berliner Pilsener and schultheiss. if it was that popular however, i fail to understand fully why it went bust. Perhaps they ran out of bears. (Bärenquell literally means spring of Bears.) i certainly didn’t notice any when i was nosing around. My search for beer proved as fruitful as my search for bears. the closest i came to either was a particularly happy looking bear proudly holding a giant pitcher. He featured on the side of a Bärenquell crate but wouldn’t share any of his favorite brew, and neither would any of the other bears still adorning thousands of bottle-labels strewn around. it was one of the last batches of labels to be printed. it turned out the bears didn’t come any closer to their beer than i did.

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Beelitzer Heilstätten Von der Geschichte heimgesucht

Haunted by history

Verfallen und geschunden, den Atem angehalten, warten die Beelitzer Heilstätten darauf, was das schicksal als nächstes bereithält. das ausgedehnte Areal des verlassenen Militärkrankenhauses liegt still und leise beiderseits der Bahngleise südwestlich von Berlin. nahezu in Vergessenheit geraten, lässt es stoisch die Zeit an sich vorüberziehen, während es versucht, die Wunden der Vergangenheit zu verdrängen. der beißende Geruch nach desinfektionsmitteln in den Operationssälen und Fluren ist noch immer wahrnehmbar und steht in einem krassen Gegensatz zur Weichheit der alten Farbe, die von den Wänden blättert, und den herrlichen Fensterrahmen. die gekachelten staubigen Korridore sind wunderschön, und der Überfluss an vergänglicher Pracht und feinen schatten macht die Beelitzer Heilstätten zu einem traum für Fotografen. Hitler und Honecker sind hier behandelt worden, der eine wegen einer Verletzung, die er im ersten Weltkrieg erlitten hatte, der andere wegen einer erkrankung während der letzten tage der ddr. Aber das sind nur Fußnoten in einer

Battered and bruised, Beelitz-Heilstätten is waiting with bated breath to see what fate holds for it next after witnessing more than its fair share of suffering. the huge abandoned military hospital complex sits still and silent either side of the railway southwest from Berlin, almost but not quite forgotten, accepting time’s punishment stoically while it tries to forget traumas from before. the smell of disinfectant still lingers in the operating rooms, permeating airy corridors, a caustic whiff in sharp contrast to the soft palettes of old paint flaking off the walls and delightful window frames. Beelitz’ dusty tiled corridors really are quite beautiful, and the abundance of fading glory and subtle shades make it a photographer’s dream. though both Hitler and Honecker were treated here for injuries/ailments sustained in World War i and east Germany’s last days, respectively, they are but footnotes to a tale that begins in 1898. that’s when Berlin’s health insurance authority bought around 140 hectares here to build a tuberculosis sanatorium

Verlassene Orte.indb 30

30.01.15 16:22


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