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SPEISEN IM

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Drängelnde Autos, breite BVG-Busse, zwischen rot-weißen Schranken Fußgänger und nervende Kamikaze-Radler. Die Luft ist lärmerfüllt und abgasgeschwängert. Die Sonne brennt, die Straße staubt, die Menschen nehmen’s gelassen. Neuköllner Alltag, Hermannstraße.

Die Stille mitten in der Stadt beginnt hinter einer graffitiverschmierten Klinkermauer, der zum St. Thomas-Kirchhof, einem denkmalgeschützten Friedhof, 1865 angelegt mit Platanenalleen und Taxushecken, mit Wegen, gesäumt von Fichten und Linden. Nur ein paar Meter vom U-Bahnhof Leinestraße kann man dem Lärm entfliehen, durch das barocke Sandsteinportal in die Kirchhofstille eintauchen. Oder den Eingang daneben zur ehemaligen Aussegnungshalle, einem Klinkergebäude mit Kuppeldecke, nehmen und in einem lauschigen Hof ausgedehnt frühstücken oder Kuchen essen gehen: im Brunch-Café »21 Gramm«.

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Jeremias Stüer und Daniel Kalthoff, Freunde seit ihrer Jugend, beide Profis aus der Eventbranche, hatten die Idee zum Café im Nebengebäude der Friedhofskapelle. Die Kirche dachte vor einigen Jahren um, begann, ungenutzte Gebäude zu verpachten. Die ehemalige Leichenhalle, 15 Jahre lang eine Werkstatt, und der Hof davor sollten neu genutzt werden. Das Konzept der Freunde überzeugte. Es folgten große Umbauarbeiten in Abstimmung mit dem Denkmalamt: Carports im durchbetonierten Hof wurden beseitigt, Wände eingerissen, Säulen durften wieder freistehen. Ergänzt wurde der Umbau durch neue Wandfarbe, rustikale Möblierung, pflanzenbekränzte Leuchten, freigelegte Bibelsprüche an den Innenwänden.

Und draußen Pflaster statt Beton, dunkle Holzbohlen. Ein Dreieckssegel überdacht die Eckbank zwischen Klinkermauern, eine Lichterkette baumelt drüber. Drumherum Tische aus Holz und Stahl und Stühle, auf denen man lange sitzen bleiben mag. Ein Open-Air-Gastraum, umfangen von mit wildem Wein und Clematis beranktem Backsteingemäuer. »Wir wollten einen Raum schaffen, der aussieht, als gäb’s ihn so schon immer«, sagt Jeremias Stüer. Nichts wirkt aufgesetzt, hier trauen sich alle ganz selbstverständlich rein: Hipster und die nachmittägliche Kuchenfraktion, Kiezbewohner und Touris, Friedhofsbesucher und Hochzeiter.

Das »21 Gramm« hat sein Profil geschärft. Es gibt kein Abendessen, sondern Brunch und Lunch und Kaffeestunde.

Start 9.30 Uhr, Schluss um 17 Uhr. Der neue spanische Küchenchef Hugo Ruiz Herrero schickt Comfort-Food mit mediterranen Aromen, jedes Gericht ein köstlicher Sattmacher. Das Sommer-Curry mit gebackener roter Paprika und Portobello-Pilzen, der Sauerteigtoast mit einem Berg von Tomaten-Hummus, wildem Spargel, Pesto-Mayo, Feta und pochiertem Ei. Das Rührei auf Knusperbrot mit grüner Knoblauchsauce, Kirschtomaten, Gran Padano und Schinkenknackern, der French Toast mit Orangenmelasse und Zitronencreme. Die Buttermilch-Pancakes, das »21-Gramm-Signature-Dish«, kommen immer als Turm aus drei Fladen mit diversen Toppings, sommerlich etwa mit Waldbeeren, Ricotta, Heidelbeer-Coulis, Himbeersirup und Pistazien-Quinoa-Crunch. Sechs bis sieben wechselnde Gerichte plus Frühstücksplatten. Kostenpunkt: zwischen 11 und 14 Euro, nicht billig also, aber eine dicke, besonders schmackhafte Portion Essen fürs Geld. Manches reicht lässig für zwei. Zur Feier des Brunch-Tages darf’s auch mal ein Frühstücksdrink sein: »Birnini« etwa, Cremant d’Alsace mit pürierter Birne. Oder Vanille Espresso Martini aus einer Wodka-Infusion, Kaffeelikör und Vanillesirup.

»Man sollte vielleicht vorher 48 Stunden nichts gegessen haben«, witzelt Restaurantleiterin Jenny Kasten, lila gesträhntes Haar, bisschen Berliner Schnauze, viel strahlendes Lächeln, professionell als Gastgeberin. Die perfekte Berliner Mischung: geboren in Neukölln, aufgewachsen in Charlottenburg und Spandau. In Paris hat sie Politikwissenschaften studiert, zurück in Berlin begann sie mit dem Kellnern und hat sich ordentlich durch die Branche gearbeitet: Buchhaltung, Servicebetreuung, Restaurantleitung. Das Neuköllner Brunch-Café ist ihr Ding. Ein Team von Quereinsteigern und ein gelernter Barista ackern für die Gäste. »Das macht uns aus«, sagt sie. »Wir haben jeden Tag Lust drauf.« Ach ja, und zur zuvor klitzekleinen Küche ist neuerdings eine zweite im früheren Blumenpavillon an der Ecke hinzugekommen.

Jeremias Stüer und Daniel Kalthoff war so viel klerikales Umfeld noch nicht genug. Nicht weit entfernt, am Herrfurthplatz, betreiben sie an der Genezarethkirche, im früheren Gemeindezentrum, seit 2021 das »Terz«, setzen dort im Schillerkiez an fünf Tagen die Woche ihre Idee von handwerklich gelungener, zeitgemäßer Küche um. Ein Lunchcafé, offen von 10 bis 16.30 Uhr, der Fokus: neu interpretierte Berliner Gerichte. Ein nettes Mittagessen auf der großen

Terrasse direkt an der Backsteinkirche fühlt sich kein bisschen blasphemisch an. Morgens zum Friedhof, mittags vielleicht rüber zur Kirche – in diesem Kiez sehr zu empfehlen.

21 Gramm Neukölln, Herrmannstr. 179, 12049 Berlin-Neukölln, www.21gramm.berlin

Terz, Herrfurthplatz 13, 12049 Berlin-Neukölln, www.terz.berlin

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