101 x Bäckerhandwerk in Berlin

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101 x Bäckerhandwerk in Berlin

Eine illustrierte Geschichte

der Berliner Bäcker und ihrer Innung ab 1272

Annette Godefroid

101 x Bäckerhandwerk in Berlin

Eine illustrierte Geschichte

der Berliner Bäcker und ihrer

Innung ab 1272

BeBra Verlag

biszumausgehenden19.Jahrhundert

zuBerline.V.

DeutschenBäcker­Innungen“

19­Berliner­Bäckereien­unter­den­Nationalsozialisten­–­昀椀­tmachenfürdenKrieg

Lebensmittelkarten

BäckerinOs

HandwerkspolitikinderDDR–Handw „Ausbeuter“kl HandwerkspolitikderDDR–priv aussterbenlas

Konkurrenzdurch„Auf­Bäcker“führtzurRückbesinnung aufalteHandwerkstraditionen

51 WiederEINEBerlinerBäcker­InnungfürganzBerlin1990

12. Vertrieb 144 99 Laden­undLiefergeschäft 146

13. WohininderFreizeit? Freizeitgestaltung BerlinerBäcker 150 100 Bäcker­Vergnügen 152

14. Ausblick 156 101 Wiegehtesweitermitdem BerlinerBäckerhandwerkund seinerInteressenvertretung? 158

EINLEITUNG

1950erschiendasersteundfürmehr als45JahreletztegemeinsameAdressbuchderBäckerinBerlin,das2499 aktiveMitgliederderBerlinerBäckerInnungaufführte,1505inWestberlin und994inOstberlin.DadieInnungsmitgliedschaftfreiwilligwar,gabes damalssichernochmehrBäckereien inden20BerlinerVerwaltungsbezirken.

SpaziertmanheutedurchdieStraßen Berlins,könntemandenEindruckgewinnen,dasszwardieZahlderBäckereienabgenommenhat,esaberimmer nochvielegibt,auchinSeitenstraßen. NurdenwenigstenKundendieserGeschäfte,diesich„Bäckerei&Café“, „Backshop“,„Backwerkstatt“,„Backparadies“,„Bakery“nennenodereinen anderenNamentragen,deranBäckereierinnernsoll,dürftebewusstsein, dassdieindenmeistendieserVerkaufsstättenangebotenenWarennichtvon Bäckernhergestelltwerden,sondern essichzumeistumAufbackstationen fürindustriellgefertigtetiefgekühlte Teiglingehandelt.FürdenBetrieb dieserBackshops&Co.reichteine Gewer­beerlaubnis,­eine­fachspezi昀椀scheAusbildungistnichterforderlich.

AndersverhältessichmitdenhandwerklichenBäckereien,dieihrenTeignoch selbstherstellen.UmeineBäckereizu betreiben,diealsHandwerksbetrieb zählt,bedarfesderEintragungindie Handwerksrolle,dievonderHandwerkskammerbetreutwird.Außerdemmuss mindestenseinBäckermeisterim

Betriebarbeiten.ZudessenTitelgehören eineabgeschlossene,überwiegend 3­jährigeLehreineineralsHandwerksbetriebeingetragenenBäckereiund zusätzlichdieAblegungderMeisterprüfungvorderHandwerkskammer. InBerlingibtesStandEnde2021nicht einmalmehr150Betriebe,diealsBäckereiinderHandwerksrollegeführtwerden.

EinwesentlicherGrundfürdenRückgangderBäckereienindenletzten70 JahrenistderPersonalmangel.Seitden 1960erJahrenfehltesanLehrlingen undvieleBäckereienfandenkeine Nachfolgermehr,wennsichdieInhaber zurRuhesetzten.EineBäcker­Ausbildung,diezurGesellenprüfungführt, kannnurineinemMeisterbetrieb absolviertwerden.

InBerlinübernimmtesdieBäckerInnung,„entsprechenddenVorschriften derHandwerkskammerdieBerufsausbildungderLehrlinge(Auszubildende) zuregelnundzuüberwachensowiefür die­beru昀氀iche­Ausbildung­der­Lehrlinge(Auszubildende)insbesonderedurch überbetrieblicheUnterweisungseinrichtungenzusorgen[…und]dieGesellenprüfungabzunehmen“.Auchdie AusbildungzumBäckereifachverkäufer wirdvonderInnunggeregelt.ZurFörderung­der­beru昀氀ichen­Ausbildungbietetsieinderihrangeschlossenen AkademieDeutschesBäckerhandwerk zweimalproLehrjahrdieÜLU(ÜberbetrieblicheLehrlings­Unterweisung) an,umdieAusbildungabzurunden,da

nichtsichergestelltist,dassinallen Ausbildungsbetriebenallesbeigebracht wird,wasfürdieGesellenprüfungerforderlichist.DieÜberwachungder Lehrlingsausbildungerfolgtnichtnur fürdieInnungsbetriebe,sondernfür alleindieHandwerksrolleeingetragenenBäckereien.

ZudenAufgabenundAngebotender BerlinerBäcker­Innunggehörenneben derRegelungderLehrlingsausbildung u.a.Meisterkurse,Fortbildungskurse fürBäckerundBäckereifachverkäufer, Betriebs­undRechtsberatungsowie dieStärkungdesBerlinerBäckerhandwerksdurchWerbemaßnahmenund Messepräsenzenwiez.B.aufder GrünenWoche.

DieBerlinerBäcker­Innunggibtesschon seitdemMittelalter.Am18.Juni1272 genehmigtederMagistratvonBerlin dieGründungeinesBäcker­Gewerks. IhreHistoriewarofteineGeschichte mehrererInnungenaufdemBerliner Stadtgebiet,zuletztverursachtdurch dieTeilungderStadtinWest­undOstberlin.EsgabGlanzzeitenundPhasen, inderihreBedeutungalsInteressensvertretungihrerBerufsgruppezurückging,z.B.im19.Jahrhundert,nachder EinführungderGewerbefreiheitundim 20.JahrhundertwährenddesRegimes derNationalsozialisten.

GenerellistnachdergeltendenHandwerksordnungdieInnungheutenoch die­of昀椀zielle­fachliche­InteressenvertretungvonPersonen,dieineinerBerufsgruppedesHandwerkstätigsind.Auch wenn­eine­Mitgliedschaft­nicht­verp昀氀ichtendist,istdieInnungderersteAnsprechpartnervonEinrichtungenwieHandwerkskammer,Senat,Gewerkschaftetc.

DankanKurtBerning,Hans­Joachim Blauert,JürgenBuhrmeister,HansJoachimGrumm,HeinrichJünemann, ChristianeHetzer,PeterKunkel,Bernd Lau,ChristaLutum,HaraldProhassek, AndreasundOrtwinRösler,UweRohland, JürgenSchulwitz,RainerSchwadtke, LarsundBodoSiebert,AnnetteSipp, HartmutSpaethe,diesichalleZeitfür ausführlicheGesprächenahmenund vielzumEntstehendieserkleinen Geschichtebeitrugen.

MöglichgemachtwurdedieBebilderung derkleinenillustriertenGeschichteerst durchKurtBerning,Hans­Joachim Blauert,JürgenBuhrmeister,HansJoachimGrumm,BerndLau,Christa Lutum,HaraldProhassek,Andreas Rösler,RainerSchwadtke,Manuela See昀氀uth,­Lars­und­Bodo­Siebert,­AnnetteSippundHartmutSpaethe,diesichzu HauseaufdieSuchemachtenundviele privateFotosundDokumentezutage fördertenundfürdiesePublikationzur Verfügungstellten.

1.

Die Berliner BäckerInnung(en) von der Gründung bis

zum ausgehenden

19. Jahrhundert

1568 erschien in Nürnberg das sog. Ständebuch mit Holzschnitten von Jost Amman (1539–1591) und mit Versen von Hans Sachs (1494–1576), in dem auch zahlreiche Handwerksberufe in Wort und Bild Eingang fanden. Nicht viel anders als auf dem Bild dürfte es damals auch in einer Berliner Backstube ausgesehen haben. (Foto artstore.org)

WOZU INNUNGEN – AUCH ZUNFT ODER GEWERK GENANNT –

IM MITTELALTER?

ÑDa der gesunde Mensch nicht lange Zeit ohne Brot sein kann, es k‰me denn von Gottes Gnaden, darum haben wir Ratsm‰nner, alte und neue zu Berlin, mit Vollmacht unserer Gemeinde gegeben und geben Gewerk und Gilde den B‰ckern, unseren lieben Mitb¸rgern, dass sie das Gewerk wohl halten sollen, so wie in diesem Brief geschrieben steht [...].

Durch Kenntnis willen haben wir diesen Brief gegeben, besiegelt mit unserem Stadtsiegel. Gegeben nach Gottes Geburt tausend und zweihundert und zwei und siebzig Jahre am Sonnabend nach Pfingsten.“

Das Berliner Stadtbuch entstand 1391–1398 und umfasst Quellentexte aus der Zeit von 1272 bis 1489. 1883 veröffentlichte der Verein für die Geschichte Berlins eine gedruckte Ausgabe, aus der die Abbildung stammt.

Sobeginntundendet,übertragenin heutigesDeutsch,dasGründungsprivileg derBerlinerBäcker­Innungvon1272,die damitauchdieältesteInnungvonBerlin istund2022ihr750­jährigesBestehen feiernkonnte.DerSonnabendnach P昀椀­ngsten­昀椀­el­übrigens­damals­auf­den18.Juni.LeideristdasOriginalder Gründungsurkundenichtmehrerhalten, wederinderInnungnochimBerliner Stadtarchiv.ZuoftgabesStadtbrände immittelalterlichenBerlin.Nacheinem großenBrand1380beschlossderRat derStadt,allevorhandenenstädtischen GesetzeundUrkundenineinemBuch zusammenzufassen.

„AlsZünfte–vonalthochdeutschzumft ‚zuziemen‘–bezeichnetmanständische KörperschaftenvonHandwerkern,wie sieseitdemMittelalterzurWahrung gemeinsamerInteressenentstanden undbisins19.Jahrhundertexistierten. […]DieZünftebildeteneinsozialesund ökonomischesSystemzurRegelungvon Rohstof昀氀­ieferungen,­Beschäftigungszahlen,Löhnen,Preisen,Absatzmengen bishinzurWitwenversorgung“,weiß Wikipediazuberichten.

BeidieserKurzerklärungfehltallerdingsderHinweis,dassdieGründung vonZünften,inBerlinundBrandenburg

zunächstGewerkundspäterInnunggenannt,sehrwohlauchdenInteressendes Magistratsdiente.Undesistauchnicht erwähnt,dassInnungennochheute–als KörperschaftendesöffentlichenRechts–existierenundweiterhinetlichederAufgabender„alten“Gewerke,angepasst andieAnforderungenderheutigenZeit, fortführen.

DemRatderStadtBerlingingesbeider GründungderBäcker­Innung1272vor allemdarum,eineInstitutionalsAnsprechpartnerzuhaben,dieihreAnordnungenandieMitgliederweiterleitete undsichansonstenselbstverwaltete. VerglichenmitspäterenPrivilegienaus dem16.,17.und18.Jahrhundertistdie Gründungsurkunderechtkurz.

DurchdieBestimmung,dassnurgeprüfte BäckermeistereineBäckereiführen

durften,solltedieQualitätdesBackwerks sichergestelltwerden.Bäckermeister konntemanauchschondamalsnurnach AbsolvierungeinerLehre,inderman dasHandwerkvonderPikeauflernte, werden.DerInnungstandeszu,die Meisterprüfungdurchzuführen.Dabei musstederKandidatnichtnurTeigherstellenundformen,sondernauchBrot abbackenkönnen,umzubeweisen,dass erseinHandwerkverstand.

WersichalsMeisterinderStadtniederlassenwollte,hattederStadtzehnSchillingezuzahlen,Meistersöhnebrauchten nurdieHälftezuzahlen.Nichtindiesem Gründungsstatutsteht,dassesden Meisternauchzustand,dieZahlder zugelassenenBäckerinderStadtfestzulegen,umzuverhindern,dasssie sichgegenseitigKonkurrenzmachten, jedersollteseinAuskommenhaben.

BRO

BROTPREIS

=

POLITISCHER

PREIS, WEHE,

WER SICH NICHT DARAN HÄLT

DaderPreisdesBrotesalsGrundnahrungsmittelvieleJahrhunderteeinpolitischerPreiswar(inOstberlinsogarbis 1990),gingesdemMagistratvorallem umdieDelegierungmarktpolizeilicher Aufgaben,d.h.derKontrollevonQualitätsstandards,Maßen,Gewichtenu.a. andieBäcker.

Sowurdeschon1272bestimmt,dass zweimalproWoche,sonntagsundmittwochs,Ratsmitgliederzusammenmit vonderZunftgestelltenMeisterndas

aufdemBrotscharrenzuverkaufende Brotkontrollierten.DieBäckerdurften ihrBrotnichtselbstverkaufen,sondern dasgeschahdurcheinenvonderStadt angestellten„Scharrenmann“aufdem kommunalenBrotscharren(Brotstand). EineErinnerungandenOrtdesGeschehensistbisheutederStraßenname „Scharrenstraße“inBerlin­Mitte.

DabeimusstendieBäckermeistergründlichprüfen,obQualitätundGewichtden vomMagistraterlassenenAnordnungen

Ganz so streng wie z.B. in Wien, wo das Bäckertauchen eine der Bestrafungen für den Verkauf von mindergewichtigem Brot war, wie diese Abbildung zeigt, dürfte es in Berlin nicht gehandhabt worden sein. Aber sicherlich wurde auch hier diese Postkarte, die eine im ausgehenden 19. Jahrhundert entstandene Illustration zeigt, gern verschickt. (Sammlung Buhrmeister) entsprachen.WenndasnichtderFall war,musstendiePrüfmeisterdasbegleitendeRatsmitglieddaraufaufmerksammachenundderschuldigeBäcker konnteentscheiden,oberseinBrotbilligerverkaufenodergleichkostenlos zumArmenhofderStadtabfahrenlassen wollte.AuchdieBrotpreisewarenvom RatderStadtBerlinfestgelegt,1272 betrugensie½Pf.bzw.¼Pf.

NichtgenauerimInnungsprivilegvon 1272benanntwarendieStrafen,diefür falschesGewichtoderzuvielWasserim Brotgezahltwerdenmussten.Soist nichtbekannt,obdasAbfahrendes BrotesschonStrafegenugwar,oder obesnochzusätzlicheGeldbußengab.

DIE BERLINER BÄCKER-INNUNG

IM 16. JAHRHUNDERT

Das1582vonKurfürstJohannGeorg vonBrandenburg(1525–1598)erlassene Privileg­für­die­Berliner­Bäcker­昀椀­el­mit50Artikelnwesentlichlängerausals dasGründungsprivilegvon1272.Neben organisatorischenBestimmungenwie z.­B.­die­P昀氀­icht­der­Innungsmitglieder,andenInnungsversammlungenteilzunehmenoderdiejährlicheWahl desAltmeisters(heute:Obermeister)

unddervierJungmeister,dieden AltmeisterbeiseinerArbeitunterstützenmussten(heutesinddasdie ehrenamtlicharbeitendenVorstandsmitgliederderInnung),widmensich siebenArtikelderMeisterprüfung. AußerBrothattederMeisterkandidat auchSemmelnzubacken,offensichtlichverzehrtenschondamalsviele BerlinergerndiesesKleingebäck.

UmKonkurrenzunterdenBäckermeisternzuverhindern,durftesichkeiner aufeigeneFaustGroßaufträgefürHochzeiten,TaufenoderandereAnlässeverschaffen.Zwarmusstenunnurnoch einTeildestäglichenBrotsdemScharrenmannzumVerkaufübergebenwerden undderRestkonntezuHauseverkauft werden,aberdieBäckerdurftenkeine KundenzuihrenBackstubenlotsen. VerbotenwaresdenBäckernauch, außerhalbBerlinsRoggenundWeizen zukaufen.MitderBegründung,alle

MeisterinderInnungsollenihrAuskommenhaben,wurdenmitdiesen RegelungenjeglicheEigeninitiativeund pro昀椀torientiertes­Handeln­als­MotorvonInnovationenunterbunden.Aber auchaufdieLebensführungwollteder Landesherr­mit­diesem­Statut­Ein昀氀ussnehmen.AlleinachtArtikelbeschäftigen sichmitStrafenfürFehlverhaltenbei denFestesseninderInnung,vomübermäßigenAlkoholgenussbiszurAnmache deranwesendenMeisterfrauenund ­töchter.

Bei dieser ältesten erhaltenen Urkunde des Berliner Bäckerhandwerks aus dem Jahr 1582 handelt es sich um eine Abschrift des Privilegs. So hießen damals die staatlicherseits erlassenen Statuten. Die Urkunde wurde in der kurfürstlichen Kanzlei aufbewahrt und wanderte später in deren Archiv. Aktenbestand heute im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam. (BLHA)

BERLIN WÄCHST UND BEKOMMT FÜNF NEUE BÄCKER-INNUNGEN HINZU

Im17.Jahrhundertwuchsnichtnurdie StadtBerlin,sondernauchdieAnzahlder Bäcker­Innungen,dennmitdemAusbau derVorstadtsiedlungenFriedrichswerder, DorotheenstadtundFriedrichstadt wurdendort1668,1677und1693eigene Bäcker­Innungengegründet,dieihre BackwarennurinihremInnungsbereich verkaufendurften.Um1700kamnoch dieKönigsstadthinzu,inderesdann aucheineeigeneBäcker­Innunggab.

Bereits1693hatteKurfürstFriedrichIII., ab1701KönigFriedrichI.inPreußen (1657–1713)verfügt,esdürftekeineBegrenzungderMeisterzahlaufBerliner Gebietmehrgeben.WereinenMeistertitelundgenügendGeldhatte,umBürgerrechtundHauszuerwerben,durfte inBerlin,CöllnoderdenVorstädteneine Bäckereiaufmachen.Auchdurftejeder MeistersovieleGesellenundLehrlinge haben,wieeressichleistenkonnte.

Berlin und seine Vorstädte waren damals weit entfernt von der Größe des heutigen Berlins. Namen wie Brandenburger Tor, Kottbusser Tor, Hallesches Tor, Schlesisches Tor, Oberbaumbrücke, Frankfurter Tor, Platz vor dem Neuen Tor und Torstraße geben einen Eindruck vom Verlauf der um 1735 erbauten Zollmauer um Berlin, seine Vorstädte und deren Ausdehnung.

18 | Die Berliner Bäcker-Innung(en) von der Gründung bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert

BERLINER BÄCKER-INNUNGEN IM

18. JAHRHUNDERT

AusdenAnforderungenfürdieMeisterprüfungimGeneralprivilegfürdieBäcker von1735lässtsicherkennen,dasssich dasBackwarenangebotbeimBäcker vergrößerthatte.DerPrüfungskandidat sollteauseinemScheffel(rund55l) Roggenmehl„allerhandSortenBrod wieeshiesigenOrtsgebräuchlich“,und auseinemScheffelWeizenmehl„allerhandArtSemmel[…]auchBrezelnoder Kringelnbacken“.

DasGeneralprivileggestatteteden Bäckern,nunganzjährigBrezelnund Krapfenanzubieten.Bisdahinwardas nurzubestimmtenJahreszeitenüblich gewesen.Daslässtdaraufschließen, dassdieBerlinerschondamalseine VorliebefürinFettausgebackeneBackwarenhatten,auchwenndieKrapfen vermutlichnochnichtmitMarmelade gefülltwaren.DenInnungsmitgliedern

waresfreigestellt,obsieuntereinander Produktionsquotenabsprechenwollten.

WeiterhinordnetederMagistratals AufsichtsbehördePreiseundGewicht an.NochimmermussteeinTeildes produziertenBrotesaufdemScharren verkauftwerden.DieBäckerdurften abernunaufeigeneFaustauchimUmlandihrGetreidebzw.Mehlorganisieren, waseinigevonihnenabderzweiten Hälftedes18.Jahrhundertsnutztenund einzweiteswirtschaftlichesStandbein alsMehlhändleraufbauten,wasoft einträglicherwaralsihreBäckerei.

Deutschlandwarbisins19.Jahrhundert einFlickenteppichvonverschiedenen Herrschaftsgebieten,dieerst1871zu einemStaatvereinigtwurden.Dadie wanderndenHandwerksgesellenaber gernauchvoneinemHerrschaftsbereich indenanderenwandertenundesinallen deutschenKönigreichen,Fürstentümern, Großherzogtümern,Reichsstädtenetc. Innungengab,einigtensichdieverschiedenenStaatenaufdeutschemGebiet 1731aufGrundzügeeinereinheitlichen

„General­Privilegium und Gülde­Brief des Bäcker­Gewerks in der Chur­ und Mark Brandenburg dies­ und jenseits der Oder und Elbe insonderheit des Bäcker­Gewerks zu Berlin, de dato, Berlin, den 25ten Maii, 1735“, Umschlag der dem Berliner Magistrat übergebenen Abschrift des Genera legs, heute Landesarchiv Berlin. (Foto Landesarchiv GeneralpriviBerlin)

Handwerksordnung,die1731auchin Preußeneingeführtwurde.IndenfolgendenJahrenwurdenstaatlicherseits Innungsordnungenfürdieverschie­

denstenHandwerksberufeausgearbeitet, die,dafüralleInnungendesjeweiligen HandwerksinganzPreußengleich, „Generalprivileg“genanntwurden.

Letzte Seite des Generalprivilegs mit der Signatur König Friedrich Wilhelms I. von Preußen, nachstehend daraus Art. XXXIII:

„Gleichwie nun das Gewerk der Bäcker allhier sich nach diesen Innungs­Articuln, welche Wir zu vermehren, zu vermindern und zu verbeßern, Uns alle Wege vorbehalten, gehorsamlich zu achten und dagegen Unseres mächtigen Schutzes zu erfreuen hat: Also befehlen Wir Unserem Cammer­Gerichte, Kriegs­ und Domainen­Cammer, Magistrat und Stadt­Gerichten, darüber mit allem Ernst und Nachdruck drauf zu halten, und wider die Übertreter dieser Articul auf die darin vorgeschriebene Weise, mit allem Ernst zu verfolgen.

Urkundlich haben Wir gegenwärtige Innungs­Articul höchsteigenhändig unterschrieben und mit Unserem königlichen Insiegel bedrucken laßen. So geschehen und gegeben zu Berlin den 25. Maii nach Christi Geburt in Eintausend siebenhundert fünf und dreijßigstem Jahre.

Fr. Wilhelm“

06 FRANZ

FRANZÖSISCHES FLAIR IN BERLIN

FranzösischesFlairbrachtennach 1685dieHugenottennachBerlin.Sie gründeten1696eineeigeneInnungund imGegensatzzudenanderenBäckerInnungendurftensieinallenBereichen derwachsendenStadtbackenundverkaufen.1729gabes26französische Bäcker,ihreZahlsankbis1800aufvier, unddievierbefanden,dassessich nichtmehrlohne,eineeigeneInnung zuunterhaltenundschlossensichder InnungdesStadtteilsan,indemsie ihreBäckereihatten.

Selbst, wenn Baguette­Brot und Croissants damals noch nicht zum Repertoire französischer Bäcker gehörten, so brachten sie doch neue Rezepte und Backmethoden nach Berlin. Vielleicht befand sich ja auch schon ein Patissier darunter und führte das Konditorhandwerk ein. (Foto BIB)

AUS SECHS MACH EINS –DIE VEREINIGUNG DER BÄCKERINNUNGEN

IN BERLIN 1845

1710hatteKönigFriedrichI.vonPreußen Berlin,CöllnunddiedreiVorstädte Friedrichswerder,Dorotheenstadtund FriedrichstadtzurköniglichenHauptundResidenzstadtBerlinvereinigtund befand,dasssichnundieBäcker­Innungenzum„combinierten“Gewerkzusammenschließenkönnten.Die186Bäcker aufdemBerlinerStadtgebiettatendies 1717nurhöchstungernundbehielten ihreindividuellenInnungsstrukturen weitgehendbei.UmaberdenWünschen unddemDruckdesLandesvatersentgegenzukommen,wurdejedesJahr alternierendeinAltmeisterauseiner derInnungenzumObermeisterdes

„combinierten“Gewerksgewählt. Schonvor1822fusioniertendie DorotheenstädtischeunddieFriedrichswerderscheInnung,1832schloss sichihnendieFriedrichstädtischean. EinigeJahrespätervereinigtensichdie Bäcker­InnungeninBerlin,Cöllnund Königsstadtzum„BerlinerGewerk“, sodasses1845nurnochzweiBäckerInnungeninBerlingab.Aberauchdas warnachderneuenGewerbeordnung von1845nichtmehrzulässig,dapro StadtnurnocheineInnungexistieren durfte.Deshalbverschmolzendie beidenBäcker­Innungen1847zu einerOrganisation.

Innungssiegel aus der 1897 erschienenen „Geschichte der Bäcker­Innung zu Berlin“ von Eduard Kolbe, dem viele heute nicht mehr erhaltene Dokumente vorgelegen haben.

Berliner Bäcker­Innung von 1442 ene

Friedrichstädtische Bäcker­Innung von 1694

Königsstädtische Bäcker­Innung um 1710

Cöllnische Bäcker­Innung aus der Zeit der napoleonischen Besetzung 1806

2.

Berliner Bäckerhandwerk von 1871 bis 1945

Die „Germania“ kaufte ein großes Grundstück an der Chausseestr. 103 (heute Nr. 110), das zur Chausseestraße hin bereits mit einem großen Mietshaus bebaut war. Auf der freien Fläche hinter dem Haus ließ sie ihr Innungshaus inkl. eines großen Festsaals und mehrerer Gesellschaftszimmer erbauen. Auch Räumlichkeiten für Innungsbüros, Sitzungszimmer etc. fanden in diesem „Neubau“ Platz. (Sammlung Godefroid)

AUS EINS WIRD WIEDER ZWEI –DIE BÄCKER-INNUNGEN „GERMANIA“ UND „CONCORDIA“

1883gabeswiederzweiBäcker­InnungeninBerlin:etlicheBäcker,diemit demStilderaltenInnungnichteinverstandenwaren,hatteneinezweiteInnung gegründet.ZugroßwarendieVorteile einerInnungsmitgliedschaft,alsdass mandaraufverzichtenwollte.Unddie neueInnungbautediegleichenServiceLeistungenauf,wiesiediealtebesaß: Sterbekasse,Gesellenherberge,Gesellenkasse,Arbeitsvermittlung,Lehrlingsbetreuung,Großabnehmer­Verträgeetc.

InZwietrachtentstanden,nanntesich dieneueInnung„Concordia“.Diealte Innungwähltedaraufhin–nichtganz

unbescheiden–denNamen„Germania“, schließlichwarsiedieInitiatorindes 1874gegründetenGermania­ZentralverbandesderDeutschenBäckerInnungengewesenundstellteauch immerdenVerbandsvorsitzenden.

BeideInnungenerwarbenAnfangder 1890erJahregroßerepräsentative Häuser.FinanziertwurdederHauskauf durchdieAusgabevonverzinstenHausanteilscheinen,dieauchvieleBäckermeisteralsKapital­Anlageerwarben. DielaufendenKostensolltendurchdie EinnahmenausMietenundVerpachtungder„Festsäle“gedecktwerden.

Die „Concordia“ erwarb zwei Grundstücke in Friedrichshain, die rückwärtig aneinanderstießen. Sowohl das Grundstück in der Krautstr. 38 als auch das in der Andreasstr. 64 waren zu den Straßen hin schon bebaut, aber in der unbebauten Mitte errichtete sie ihr Innungshaus, das neben den „Festsälen“ und Räumen für den Innungsbedarf auch Platz für eine Gesellenherberge und ein Presshefe­Geschäft bot. (Sammlung BIB)

GRÜNDUNG DES FACHVEREINS VON BÄCKERMEISTER-SÖHNEN

ZU BERLIN E. V.

WährendsichdiebeidenInnungenbis Ende­des­19.­Jahrhunderts­昀氀­eißig­bekriegten,ignoriertenetlicheBäckermeister­Söhne,diezwarschonGesellen waren,abernochaufdieNachfolge wartenmussten,diese„Fronten“und gründeten1892gemeinsamden„FachvereinvonBäckermeister­Söhnenzu Berlin“.ZumeinensolltederVerein ihrerFortbildungundbaldauchder

andererGesellendienen,indemKurse undVorträgeangebotenwurden,wofür dieInnungenauchRäumezurVerfügungstellten.Zumanderensolltedas Geselligenichtzukurzkommen,hatte mandochalsBäckerandereArbeitszeitenalsdiemeistenanderenjungen Leute,undsoveranstaltetederVerein Feiern­und­Aus昀氀­üge­zu­bäckerfreundlichenZeiten.

Das Mitteilungsblatt des 1892 gegründeten Fachvereins wurde erst seit 1923 herausgegeben und diente nur für Mitteilungen, war also ein Flyer, wie man heute sagen würde, der der Bäcker­Zeitung beigelegt wurde. Später wurden die Veranstaltungen in der BäckerZeitung veröffentlicht. Über die Qualität des abgedruckten Gedichtleins lässt sich streiten, aber es zeigt die Erwartung, dass die Bäcker sich als (Standes­)Gemeinschaft verstanden. Die Aufforderung zum Durchhalten ist sowohl aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges­und­der­In昀氀­ation­zu­verstehenals auch als Reaktion auf die Tatsache, dass es weiterhin in Berlin zu viele Bäckereien gab, die sich Konkurrenz machten. (Sammlung Grumm)

ZUSAMMENSCHL

ZUSAMMENSCHLUSS DER BEIDEN KONKURRENZ-INNUNGEN 1911

Berlinwuchsundwuchs,1911gabes schonrund2000Bäcker.Dasdamalige Stadtgebietumfasstenurdie1921–2001 existierendenVerwaltungsbezirkeMitte, Friedrichshain,Kreuzberg,Prenzlauer Berg,WeddingundTiergarten.

1911entschlossensichdieMitglieder derbeidenBäcker­Innungenunterden ObermeisternFritzSchmidt(Concordia) undGustavMilleville(Germania)zu fusionierenundeineZwangs­Innung

einzurichten,dasiebefanden,dassalle BerlinerBäckerbittefürdievonden InnungengebotenenServiceleistungen ihrenObolusentrichtensollten.EinJahr zuvor,1910,hattendieInnungsmitglieder aufdenInnungsversammlungendafür grünesLichtgegeben.Zunächstmit zweiObermeistern–FritzSchmidtund GustavMilleville–anderSpitze,kehrte mannachMillevillesTodimDezember 1913wiederzueinemObermeister zurück.

Gustav Milleville, 1906–1911 Obermeister der Bäcker­Innung „Germania“, 1911 bis zu seinem Tod im Dezember 1913 Obermeister der Berliner (Zwangs­)Innung. (Sammlung BIB)

Fritz Schmidt, Obermeister der „Concordia“, ab 1911 bis Dezember 1918 Obermeister der Berliner (Zwangs­)Innung, ab 1910 bis zu seinem Tod im Januar 1920 Vorsitzender des Zweckverbandes der Berliner Bäcker­Innungen. (Sammlung Grumm)

BÄCKEREIEN IM BERLINER „SPECKGÜRTEL“

WährenddieBäckerinBerlingerade wiederzueinerInnungzurückkehrten, waresindenStädtenundLandgemeindenumBerlinherumzuzahlreichen GründungenvonweiterenBäcker­Innungengekommen.Nebendenälteren Bäcker­Innungen–die1317gegründete SpandauerBäcker­Innung,gefolgtvon derKöpenicker(1614)undderCharlottenburger(1711)–hattensichzwischen 1890und1914auchinBritz,Lichtenberg, Lichterfelde,Mariendorf,Neukölln,

Ober­Schöneweide,Pankow,Reinickendorf,Schöneberg­Friedenau,Steglitz, Weißensee,WilmersdorfundZehlendorfBäcker­Innungengebildet.

CarlSchröder(1853–1939)ausClaushageninderUckermarkhatteeine Bäckerlehreabgeschlossenundseine WanderjahreinBrandenburg,z.B.in TemplinundZehdenick,verbracht.Wann esihnnachBerlinverschlagenhat,ist nichtbekannt,jedenfallserrichteteer

Brotwagen der Bäckerei von Carl Schröder in dem noch sehr ländlichen Mariendorf. (Sammlung Prohassek)

1883einkleinesHausmitBackstubein derDorfstraße3(heuteAlt­Mariendorf 51).Erhattezunächstnichteinmalein Ladengeschäft,sondernliefertemitseinemPferdekarrenBrotindiebenachbartengrößerenSiedlungen,z.B.nach Schöneberg.Zusätzlichbewirtschaftete eretwasAckerlandbeiMariendorf.

Schöneberg,ursprünglichauchmalein Dorf,hatteseit1871vonderGrenzezu Berlin­pro昀椀tiert­und­wuchs­rasant­an.DieLageSchönebergsanderRingbahn undseit1888auchperStraßenbahnzu erreichen,beschleunigtedasWachstum,

Das Haus von Johann Mayer in der Ebersstraße 42 in Schöneberg wurde 1892 erbaut. (Sammlung Berning)

1898bekamSchönebergdasStadtrecht verliehen.EswarvorallemdasBürgertum,dashinausnachSchönebergzog, undentsprechendrepräsentativeWohnhäuserentstandenauchrundumden InnsbruckerPlatz.DieBäckereiinder Ebersstraße42,dievermutlichmitdem BaudesWohnhausesentstand,wurde 1912vonJohannMayr[ab1914Mayer] (1886–1964)­aus­Gundel昀椀ngen­übernommen,nachdemerinBerlinseine Meisterprüfungabsolvierthatte.DieBäckerei­be昀椀ndet­sich­mit­Karsten­Berninginder4.GenerationinFamilienhand.

12 ERSTER WEL

ERSTER WELTKRIEG – EINFÜHRUNG

DER ZWANGSBEWIRTSCHAFTUNG

UND BROTKARTEN

ImErstenWeltkrieg1914–1918erlebte dieBäcker­Innungerstmalsim20.Jahrhundert,wasZwangsbewirtschaftung fürdasBäckerhandwerkbedeutet.Im Februar1915wurdenBrotkarteneingeführt,zweiMonatespäterlegteder MagistratHöchstpreisefürBrotund Schrippenan.AuchdieZusammensetzungdesBroteswurdevorgeschrieben.AbFebruar1917warBrötchenundKuchenherstellunguntersagt.Jede VeränderungderBrotzusammensetzungführtezuneuenPreisverhand­

lungenzwischendemZweckverband derBerlinerBäcker­Innungenundder Abt.BrotversorgungdesMagistrats,der dasMehlmonopolbesaß.Verteiltwurde dasBrotüberdieMehlhändlerunddie Innung,wobeiderMarkenrücklaufdie BasisfürdieNeuzuteilungvonMehlwar. DieInnungbeliefertevorallemkleine Bäckereien,denensiereichlichKredit einräumte.Außerdemunterstütztesie Bäckersfrauen,derenMännereingezogen odergefallenwaren,mitSchutzmeistern, diesichumdasBackenkümmerten.

Ungenutzte Brotkarte für Berlin und Umgebung, gültig für den Zeitraum vom 2. bis 8. August 1915. (Sammlung BIB)

NA

MODERNISIERUNGEN NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG

BiszumAnfangdesErstenWeltkriegs herrschteinBerlinundUmgebungein ÜberangebotanGesellen,sodasses sichfürdiemeistenBäckereiennicht lohnte,inBäckereimaschinenwiez.B. Knetmaschinenzuinvestieren,wardoch diemenschlicheArbeitskraftbilliger. DasändertesichnachdenErfahrungen desErstenWeltkriegs,demseitJanuar 1915geltendenNachtbackverbotund derEinführungdesAchtstundentags auchfürBäckergesellenEnde1918.

Zwargabesbaldwiederbisindie1930er Jahrehineinzahlreichearbeitslose Bäckergesellen,aberdieseit1918 geltendeArbeitszeitbegrenzung,die arbeitnehmerfreundlichePolitikinder WeimarerRepublikunddiebis1929 ständigsteigendenArbeitslöhnemachten esjetztattraktiv,Bäckereimaschinen anzuschaffen,umdenBedarfanArbeitskräftenzuverringern.VorallemKnetmaschinenhieltennunEinzugindie Bäckereien.

Schauraum für Bäckereimaschinen und ­zubehör in der auf Betreiben der Berliner Bäcker­Innung 1918 gegründeten „Einkaufsgenossenschaft der Bäcker und Konditoren Groß­Berlins“ (EBK), die von 1926 bis 1945 ihre Räume auf dem Pfefferberg an der Schönhauser Allee 176 hatte. Sie war Hauptanteilseignerin der „Pfefferberg Beteiligungsgesellschaft mbH“. Foto 1930er Jahre. (Sammlung Grumm)

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