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Burghard Ciesla ¡ Helmut Suter
Jagd und Macht Die Geschichte des Jagdreviers Schorfheide
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Ein Begleitbuch zur Ausstellung »Jagd und Macht«
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© be.bra verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2011 KulturBrauerei Haus 2 Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin post@bebraverlag.de Lektorat: Matthias Zimmermann, Berlin Gesamtgestaltung: typegerecht berlin Schrift: DTL Documenta 9/13,5 pt Druck und Bindung: TPC ISBN 978-3-89809-090-2 www.bebraverlag.de
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Inhalt
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Die Schorfheide – Einführung
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Markgrafen und Kurfürsten – 12. Jahrhundert bis 1688
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Könige und Kaiser – 1688/1701 bis 1918
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Neue Zeit und alter Geist – 1918 bis 1933
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Machtmensch Göring – 1933 bis 1945
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Unter dem Roten Stern – 1945 bis 1990
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Anhang Anmerkungen Literatur Abbildungsnachweis Die Autoren Die Ausstellung »Jagd und Macht«
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Die Schorfheide Einführung
Die Schorfheide ist ein großes Waldgebiet, umgeben von mehreren Seen, rund 50 Kilometer nördlich von Berlin. Das Areal erstreckt sich heute in der Nordrichtung vom Oder-Havel-Kanal über Groß Schönebeck, dem »Tor zur Schorfheide«, bis nach Templin in einer Länge von rund 25 Kilometern. In der Ost-West-Achse sind es von der Autobahn A 11 über Joachimsthal und den Werbellinsee bis Zehdenick mehr als 35 Kilometer. Es ist eine Landschaft, deren Name erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts gebräuchlich wurde und die ihr Gesicht im Verlauf der – hier betrachteten – letzten 1.000 Jahre immer wieder veränderte. Wer heute die Schorfheide besucht, darf »nicht der Illusion verfallen, daß er das Ursprüngliche zu sehen bekommt. Das gibt es nicht mehr; überall in Deutschland haben die Wälder ihre eigene Kultur- und Wirtschaftsgeschichte«.1 Das gilt auch für die Schorfheide. Doch hinzukommt, dass mit der Landschaft über einen langen Zeitraum hinweg deutsche Herrschaftsgeschichte erzählt werden kann, deren Verknüpfungen weit in die Welt und tief in die Geschichte reichen. In einem Schorfheidebuch wurde hierzu vermerkt, alle anderen bekannten deutschen Jagdreviere würden sowohl ihrem Umfang als auch ihrer geschichtlichen Vergangenheit nach von der Schorfheide übertroffen: »In Europa gibt es nur ein Jagd- und Naturschutzgebiet, welches nach Ausdehnung, Wildreichtum und geschichtlicher Bedeutung mit der Schorfheide verglichen werden kann, das ist der Urwald Białowies, das ehemalige Jagdgebiet litauischer Großfürsten, polnischer Könige und russischer
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Luftbildaufnahmen von der Schorfheide. Oben: Der Wuckersee und der Große Döllnsee, dazwischen erkennbar die Überreste von Görings Waldhof »Carinhall«, 1991. Unten: Der Ort Groß Schönebeck – das »Tor zur Schorfheide«, 2007.
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Links: Das Museum im Jagdschloss Groß Schönebeck. Rechts: Das Jagdschloss Hubertusstock, Herbst 2010.
Zaren, heute noch der bekannte Hort der Wisente.«2 Doch mit Blick auf die Verbindung von Jagd und Macht weist die Schorfheide mehr Kontinuität und Intensität auf als das polnische Jagdrevier im Osten Europas und ist daher in der Tat etwas Besonderes, wenn nicht sogar Einzigartiges. Das vorliegende Buch handelt von dieser Besonderheit: den Mächtigen und ihren Jagdleidenschaften in der Schorfheide. Die Askanier begründeten dort im 12. Jahrhundert eine Tradition der Jagd der Mächtigen, die sich von da bis zum SED-Generalsekretär Erich Honecker 1989 nachverfolgen lässt. In der Zeit dazwischen jagten in der Schorfheide Markgrafen, Kurfürsten, Könige, Kaiser, Staatsoberhäupter, Würdenträger, Präsidenten, Diktatoren, Militärs, Diplomaten, Spitzenfunktionäre und natürlich auch die Wilddiebe. Sie taten es mal mehr, mal weniger spektakulär und sie hinterließen dabei ihre Spuren in der Geschichte. In der »großen Heide« trafen sie zusammen und es gab stets Gelegenheit zum Gespräch und Gedankenaustausch. Mancher Vertragsabschluss und zahlreiche politische Entscheidungen sind eng mit dem Jagderfolg, gemeinsamen Waldspaziergängen, Ausritten, Kutsch-
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fahrten, Gesprächen am Lagerfeuer oder Kamin in der Schorfheide verbunden. Davon erzählt dieses Buch. Dabei geraten nicht nur die einzigartige Landschaft und die mehr oder weniger hochherrschaftlichen Jäger in den Fokus, sondern natürlich auch immer wieder ihre Burgen, Schlösser, Häuser und anderen für die Jagd errichteten Gebäude und Anlagen. Viele sind inzwischen wieder verschwunden und es bedarf einer ortskundigen Führung, um ihre alten Standorte wiederzuentdecken. Doch es gibt heute noch genug dieser architektonischen Zeugnisse zu sehen und nicht selten können sie und die mit ihnen verbundene Geschichte von Jagd und Macht vor Ort besichtigt werden. In den Archiven und den Geschichtsbüchern ist zu diesem Thema nur wenig Konkretes zu finden. Es gibt kaum Hinweise darüber, was die Mächtigen im Umfeld einer Jagd besprachen, anordneten, aushandelten oder entschieden. Nur manchmal findet sich ein Dokument, das auf eine solche Verbindung verweist oder den Zusammenhang von Jagd und Macht eindeutig nachweisbar macht. Für das 19. und 20. Jahrhundert kommen hilfreich Erinnerungen, Tagebücher, Memoiren und Zeitzeugenberichte hinzu, die darüber
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Links: Das Hotel und ehemalige Gästehaus von Carinhall und der SED-Führung am Großen Döllnsee. Rechts: Das Jagdhaus von Erich Honecker »Wildfang«, Herbst 2010.
Auskunft geben und Rückschlüsse ermöglichen. Vieles wird für immer verborgen bleiben, manches bleibt spekulativ oder kann nur anhand von Indizien vermutet werden. Dennoch soll hier der Mechanismus erklärt werden, der abläuft, wenn die Mächtigen, die Reichen, die Berühmten und die Magnaten jagten und dabei ihren vielfältigen Geschäften, politischen Interessen oder persönlichen Absichten nachgingen. »Die Jagd ist die eleganteste Form der Bestechung«, heißt es. Aber wie funktioniert das? Den Autoren kam hierbei ein Kriminalroman des Journalisten Michael Preute zur Hilfe. Unter dem Pseudonym Jacques Berndorf veröffentlicht dieser seit Jahren Krimis, die er in einer anderen wunderschönen deutschen Landschaft, der Vulkan-Eifel, spielen lässt. Er nennt seine Krimis danach: Eifel-Blues, Eifel-Gold, … und wen wundert es, auch Eifel-Jagd. Berndorf lässt in seinen Krimis den freischaffenden Journalisten Siggi Baumeister und einen pensionierten Kriminalbeamten namens Rodenstock Mordfälle aufklären. Bei ihren Ermittlungen stellen sie die berühmten W-Fragen der Kriminalisten und lassen sich – im Falle von »Eifel-Jagd« von dem
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reichen Bauunternehmer Berner und dessen Mitarbeiter Stefan Hommes – erklären, wie das Prinzip »Jagd und Geschäft« respektive »Jagd und Macht« funktioniert. So bietet der Krimi eine Erklärung, die auch das Verhältnis von Jagd und Macht in der Schorfheide zu erhellen vermag: »Eine Frage abseits der Norm«, bemerkte Rodenstock. »Was kostet Sie die Jagd pro Jahr?« »Das ist kein Geheimnis«, antwortete Berner leichthin. »Es ist eine sehr große Jagd, … Sie können davon ausgehen, daß ich die Jagd mit rund 200.000 Mark ansetze.« »Warum ein solcher Haufen Geld?«, fragte Rodenstock etwas verzweifelt. »Ein paar Schüsse auf Hirsche und Rehe und Wildschweine sind doch kein Gegenwert.« »Das ist schlicht falsch, mein Lieber. Ich denke, daß diese Jagd mir pro Jahr etwa fünfzig bis einhundert Millionen Umsatz einbringt.« Er starrte uns an, als hätten wir die Pflicht erstaunt zu sein. Und wir waren es. Gleichzeitig fragten wir: »Wie bitte?« »Stefan, erklär das diesen Greenhorns.«
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SED-Chef Walter Ulbricht im Gespräch mit Chruschtschow und führenden Funk tionären beider Parteiund Regierungsspitzen während einer Jagd in der Schorfheide, um 1962.
Hommes räusperte sich. »Also, es ist so, daß sehr viele Geschäfte beim Golfen gemacht werden. Das ist jedermann klar, kein Mensch denkt darüber nach. Die Jagd ist älter und die …« »… eleganteste Form der Bestechung«, warf ich ein. »Genau!« Er lächelte. »So geht der Spruch. In der Baubranche gibt es sehr viele Jäger, die keine Jagd haben, die nur manchmal Gäste in einer Jagd sein können. Und diese Leute haben viel Einfluß.« Er machte eine sehr wirkungsvolle Pause. »Genau die lädt der Chef dann eben ein, damit sie ihren Rehbock kriegen und die Wildsau und das Stück Mufflonwild und so weiter. Kein Mensch redet dabei über Geschäfte, aber die Aufträge folgen mit Sicherheit.«3 Dass, wie bei diesem fiktiven Beispiel geschildert, bei der Jagd selbst nicht über Geschäfte geredet wird, aber schon mit der Einladung zur Jagd die Ziele hinsichtlich
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der Baugeschäften erreicht wurden, ist nur eine Vari ante des vielschichtigen Themas. In einer Studie über jene Manager, die maßgeblich zum wirtschaftlichen Aufstieg der frühen Bundesrepublik beitrugen, hat die Autorin Nina Grunenberg mit Blick auf deren Karrieren in der NS-Zeit darauf verwiesen, dass diese Männer stets großen Wert auf Verschwiegenheit und Diskre tion gelegt und in eigener Sache kaum etwas Schrift liches hinterlassen hätten: »›Nur nichts Geschriebenes‹, hieß es in ihren Kreisen, und wenn doch, dann ›nichts Unterschriebenes‹. Was sie zu sagen hatten, erledigten sie unter vier Augen. Geordnete Nachlässe mit Gedanken und Erinnerungen, mit Zeugnissen über die privaten, gesellschaftlichen, gar politischen Motivationen ihres Handelns sind sehr selten. Dafür wimmelt es in den Archiven der Unternehmen von Jagdeinladungen und tiefempfundenen Dankschreiben für viele ›schöne Hirschbrunfterlebnisse‹.«4 Am Ausgangspunkt einer Jagdgeschichte stellt sich immer auch die Frage: Warum gehen Menschen auf die Jagd? Für den längsten Teil der Menschheitsgeschichte dürfte die Antwort klar ausfallen: Sie sicherte das Überleben, denn Wildfleisch war ein wichtiger Bestandteil der Nahrung. Doch im Verlauf der letzten 1.000 Jahre wurde das Bild der Jagd umgezeichnet und veränderte sich grundlegend. Sie entwickelte zu einem Standesprivileg, später zu einer Freizeitbeschäftigung der wirtschaftlich Vermögenden in den Industrieländern.5 Jäger beantworten die Frage nach der Faszina tion der Jagd meist unbestimmt und ausweichend. Das darf nicht verwundern, da man für eine Antwort tief in die Ursprünge der Menschheitsgeschichte zurückgehen muss. Das können und wollen wir in diesem Buch nicht leisten, aber die Jagdleidenschaften der Fürsten und Vornehmen, ihre damit verbundenen Privilegien, sind mit dieser grundlegenden Frage verbunden. Die Geschichte zeigt, wenn sich Herrschende und Beherrschte in der Vergangenheit gegenüberstanden, dann ging es »immer auch darum, wer jagen darf und wer nicht. Und kaum ein anderes Vorrecht ist
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unerbittlicher durchgesetzt, kaum eines so hartnäckig verteidigt worden.«6 In den folgenden Kapiteln geht es immer wieder um diesen Zusammenhang. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Ort des Geschehens ist stets die »Schorfheide«. Woher sie ihren Namen hat, ist schwer eindeutig zu bestimmen. Es gibt unterschiedliche Erklärungen und Deutungen, die alle mehr oder weniger plausibel sind. So führen Heimatforscher ihn darauf zurück, dass die Bauern ihre »Schoofe« (Schafe) zur Weide in die königlichen Wälder (»Schafwald«) trieben. Andere weisen darauf hin, dass der Ursprung im Wort »schorfen« oder »schürfen« liegen kann, was auf die Gewinnung von Gerbsäure aus der Eichrinde für das Gerbergewerbe verweist. Immerhin dominierten die Eichenwälder bis Mitte des 18. Jahrhundert den Baumbestand der Schorfheide. Möglicherweise steht der Name Schorf-
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heide aber auch mit dem althochdeutschen »scorf« in Verbindung, was so viel wie raues, feuchtes, mit Gestrüpp bewachsenes Gebiet bedeutet. Widersprüchlich ist auch die Erklärung des Wortes »Heide«, da es regional unterschiedlich gebraucht wird. Im nordöstlichen Deutschland bezeichnet sie einen Wald, während im westlichen Deutschland mit dem Wort »Heide« eine nicht bebaute, mit Heidekraut bewachsene Fläche gemeint ist. Wahrscheinlich hat sich infolge der mittelalterlichen Besiedlung aus dem westlichen Niederdeutschland die mundartliche Bezeichnung »Heide« nach und nach auch hier durchgesetzt.7 Die Schorfheide trug ursprünglich die Bezeichnung »magna merica Werbellin« – die große Heide. Gemeint ist damit im engeren Sinne eine Region um den Werbellinsee, also die um den See sich erstreckenden Waldungen zwischen den heutigen Städten und Orten Liebenwalde, Zehdenick, Angermünde, Eberswalde und
Luftbildaufnahme vom Werbellinsee und der Schorfheide, 2010.
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Wald bei Luisenau nahe Ringenwalde, 2010.
Biesenthal. Erstmals urkundlich erwähnt ist der Name »Schorfheide« im Erbregister des Klosters Himmelpfort vom 27. September 1574. Darin wird ein Gebiet in der Nähe der Ortschaften Görlsdorf und Röddelin als »Kleine Schorfheide« bezeichnet. Einem Brief des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. (1620/1640– 1688) vom 14. November 1672 ist erstmalig die Bezeichnung »Schorfheide« für das Gebiet am Werbellinsee zu entnehmen. Erneut taucht der Name in einer »Arbeitsrechnung« von 1713 als »Schorff-Heyde« auf. In der ersten Revierkarte des Forstamtes Grimnitz wurde der südliche Teil der »Grossen Werbellin Heyde« dann als »Schorf-heyde« bezeichnet. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich schließlich die Bezeichnung Schorfheide durch, die dann auf das eingangs be-
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schriebene Gebiet ausgedehnt wurde. Wenn hier von der »Schorfheide« die Rede ist, ist im Wesentlichen das Areal in diesen »späten« Grenzen gemeint.8 Im Folgenden geht es einerseits um den Zusammenhang zwischen Jagd, Macht und Politik, angefangen von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Andererseits sollen aber auch die Veränderungen in der Natur und damit in der Landschaft aufgezeigt werden, die das Bild der Schorfheide im Laufe der Jahrhunderte nachhaltig umgestalteten. Dabei wird nicht nur erzählt, wie die Schorfheide zu einem Mittelpunkt der herrschaftlichen Jagd avancierte, sondern auch, wie sie sich zum größten Naturschutzgebiet – zu einem Biosphärenreservat – vor den Toren einer Millionenstadt entwickelte.
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M arkgr afen und Kurfürsten 12. Jahrhundert bis 1688
Im 12. Jahrhundert verstärkten die deutschen Feudalherren abermals ihren Expansionsdruck auf die seit dem 6. Jahrhundert slawisch besiedelten Gebiete zwischen Elbe, Ostsee und Oder. Sie nutzten die Kreuzzugsbewegung, um die sich bislang erfolgreich wehrenden Slawenstämme mit christlichem Glaubenseifer zu unterwerfen. Mit Blick auf die Kreuzzüge im »Gelobten Land« wurde das noch von Slawen bewohnte Gebiet Brandenburgs auch als »unser Jerusalem« bezeichnet.1 In einem der Kreuzzugsaufrufe hieß es: »Das Land ist reich an Fleisch, Honig, Geflügel und Mehl. Darum kommt herbei, ihr Sachsen und Franken, Männer aus Lothringen und Flandern; denn beides vereint sich hier: Taten vollbringen zum Heil der Seele und siedeln auf bestem Grund.«2 Ob es wirklich das gepriesene Siedlungsland war, darüber herrschten von Beginn an geteilte Ansichten. In den frühen Berichten wurden die Landstriche Pommerns und Brandenburgs als ebenes, bewaldetes Land mit vielen Sümpfen und sandigen Böden beschrieben. Letztere waren also nicht die besten und die bewaldeten Niederungsgebiete trugen »spreewaldartigen Charakter«. Den Askaniern gelang schließlich ab Mitte des 12. Jahrhunderts nach und nach die Eroberung dieses sowohl sandigen als auch sumpfigen Waldlandes. Ab 1157 führten sie den Titel »Markgraf in Brandenburg«. Die Bezeichnung »Mark« spiegelte zugleich den Charakter der Region als östliche Grenze der Besiedlung durch deutschsprachige Christen wider. Doch auch die Slawen sahen sich als Bewohner eines Grenzlandes an,
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da beispielsweise der Name der Ucranen auf slawischer Seite wiederum auf die Ukrainer verweist, was sinngemäß mit »am Rande« oder auch »Grenzlandbewohner« übersetzt werden kann. In der Herrschaftszeit der Askanier (1157–1319) bildete sich die »Mark Brandenburg«, die dann zum »Kernland jenes Staates wurde, der später unter dem Namen Preußen in die Geschichte eingehen sollte«3 . Das große Waldgebiet zwischen den Flüssen Havel, Finow und Oder – damals auch »Uckerscher Wald« genannt – nahmen die Askanier in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in ihren Besitz. Zwischen 1211 und 1215 kam es zur Errichtung einer Kette von Grenzburgen gegen die pommerschen Fürsten im Norden und Nordosten. Im Gebiet der heutigen Schorfheide ließen die Askanier die Burgen Schönebeck, Werbellin, Grimnitz und Breden bauen. Ihre Funktion als Grenzburgen verloren diese Befestigungen aber schon bald wieder, da sich die Beziehungen zu den pommerschen Fürsten verträglich gestalteten. Durch Heirat kam 1250 zudem die Uckermark vollständig zur Mark Brandenburg. Die Burgen wurden im Zuge dieser Entwicklung zu Wohnburgen umfunktioniert und der umgebende Wald zum Bannforst erklärt, in dem die Markgrafen das alleinige Jagd- und Nutzungsrecht besaßen. Über eine feste Residenz verfügten die Markgrafen in jener Zeit nicht. Wie damals üblich regierten sie mittels einer Art »Reiseherrschaft«, d. h. sie zogen von Burg zu Burg und sicherten über die Jagd in ihren Bannforsten und mittels Abgaben den Fleischbedarf ihres Hofes ab.4
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Bei Ausgrabungen im Jahr 1878 wurden in der Nähe von Eichhorst die Reste einer alten Askanierburg am Werbellinsee (Burg Werbellin) entdeckt. Zur Erinnerung ließ Prinz Karl von Preußen 1878/79 den »Askanierturm« errichten, Herbst 2010.
Die Ausbreitung der Bannforste erfolgte zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert und bedeutete eine tiefe Zäsur im Jagdrecht. Es wird berichtet, dass im Frühmittelalter ein Frankenkönig die Idee gehabt haben soll, »den Volkswald, als den noch weitgehend herrenlosen Wald, zum Königswald zu erklären«5 . Zum Schutz belegte der König die von ihm beanspruchten Wälder mit dem königlichen Forstbann und stellte jede Fremdnutzung unter Strafe. Nach diesem Prinzip gingen etwa ab dem 9. Jahrhundert zahlreiche Könige und Fürsten in Europa vor und beanspruchten den Wald – den »Forst« – für sich. Hierin verübte Jagdvergehen wurden bestraft. Zudem waren Rodung, Weidewirtschaft und andere Nutzungen im Bannforst verboten, falls der Landesherr nicht ausdrücklich anders entschied. Zunächst wurden nicht alle Wildarten mit dem Bann für die »Hohe Jagd« der Könige und Fürsten belegt. Davon betroffen waren von Anfang an das
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Rot- und Schwarzwild (»Hohe Jagd«). Das Recht, andere Wildarten zu jagen, wurde v. a. an den landsässigen Adel (»Niedere Jagd«) verliehen. Frei im Sinne des alten Rechts auf freie Jagd blieb im weiteren Verlauf bis zum 16. Jahrhundert aber schließlich kaum noch eine Wildart. Das Jagdrecht der anderen Stände wurde nach und nach immer mehr eingeschränkt bzw. aufgehoben. Neben den Bannforsten gab es noch das Recht des Wildbannes. Dahinter verbarg sich das Recht zur Jagd auf fremdem Grund und Boden. Auf diese Weise konnten Könige und Fürsten in ihrem ganzen Land das Jagdrecht nach Belieben für sich in Anspruch nehmen. Nur Bär, Wolf und Luchs durften von jedermann als Raubwild verfolgt, gefangen und getötet werden.6 Für die Askanier wurden in der Schorfheide die Burgen Werbellin, Grimnitz und Groß Schönebeck zu ihren bevorzugten Aufenthaltsorten. Eine herausragende Bedeutung erlangte für die Markgrafen im 13. Jahrhunderts die Burg Grimnitz im heutigen Joachimsthal. Otto IV. (1238/1267–1308), der »mit dem Pfeile«, nutzte Grimnitz beispielsweise häufig als Ausgangspunkt für seine Jagden. Den Beinamen »mit dem Pfeile« erhielt Otto aufgrund einer ihm über längere Zeit im Kopf steckenden Pfeilspitze. Der Markgraf war selbst Minnesänger und soll jede Gelegenheit genutzt haben, »um dem Schild mit dem roten Adler Achtung zu verschaffen«7. Zwangsläufig wurden bei solchen Aufenthalten der Markgrafen auf den Burgen neben der »Hohen Jagd« auch Staatsgeschäfte erledigt, Amtshandlungen vorgenommen, politische Entscheidungen getroffen, Verhandlungen geführt und Festlichkeiten etwa im Rahmen von Ritterturnieren veranstaltet.8 Die Herrschaft Ottos IV. zeigt exemplarisch den sozialen Wandlungsprozess im höfischen Leben, der sich nach dem Vorbild der französischen Ritterkultur vollzog. Rittertum und Jagd standen dabei in enger Verbindung. Durch die Kreuzzüge gelangten aus dem orientalischen Kulturkreis auch neue Jagdformen wie die Beizjagd9 in den abendländischen Raum. Alte Vor-
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Links: Markgraf Otto IV. von Brandenburg trug den Beinamen »mit dem pfile«. Bild: Liedersammlung Codex Manesse, um 1340. Rechts: Plastik des heiligen Hubertus mit Hirsch.
stellungen vom »magischen Hirsch« wurden wiederbelebt. Aus den frühen Massenturnieren der Ritter bei Hofe, die von viele tödlichen Unfällen begleitet waren und ursprünglich dem Training für den Kampf dienten, wurden im Verlauf des 13. Jahrhunderts ungefährliche Veranstaltungen, die maßgeblich der prunkvollen Selbstdarstellung des Adels dienten und wiederum mit Jagden verbunden waren. Die höfisch-ritterliche Kultur schuf in dieser Zeit neue Arten der höfischen Jagd, wodurch sich die Formen ihrer Durchführung veränderten und die Jagdkunst verfeinerte. Das Regelwerk wurde strenger gefasst und stärker auf die Einhaltung der Gebräuche geachtet. Jagdheilige und Schutzpatrone der Jagd genossen durch die höfisch-ritterliche Kultur ein zunehmendes Ansehen in der adligen Gesellschaft, obwohl die christliche Kirche seit Beginn ihres Bestehens große Vorbehalte gegen die Jagd und Jagdheilige hatte. Trotzdem stieg der heilige Hubertus
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mit der ikonografischen Darstellung des Hirschmotivs im 12./13. Jahrhundert zum wohl bekanntesten Schutzpatron der Jagd auf.10 Die vornehmen höfischen Elemente zeigten sich bei der Hirschjagd und v. a. bei der Beizjagd, die an den europäischen Fürstenhöfen im 13. Jahrhundert eine beachtliche Blüte erlebte. Gerade die Beizjagd ließ erkennen, dass die Erwerbsjagd in den Hintergrund trat und die höfische Jagd sich zunehmend zu einem vornehmen Sport der Ritterschaft entwickelte. In dem Maße, wie die Ritterturniere ihre kriegerische Trainingsfunktion verloren, ermöglichte die adlige Jagd eine Art »Vorschule des Krieges«. Dabei wurde aber auch gesehen, dass die Jagd zur »Gemütserquickung« und »Schwermutsvertreibung« beitrug sowie der Erziehung junger Adliger und Ritter dienen konnte. Über die Jagd wurden körperliche und geistige Fertigkeiten vermittelt, geschult und trainiert. Beim Verfolgen
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Gemälde »Die Pest« von Arnold Böcklin (1827–1901).
von Hirschen erlangten die jungen Jäger strategische Kenntnisse und Sicherheit im Gelände. Neben der Vorübung für Kampf und Krieg, schätzte man an der Jagd, dass sie einen scharfen Verstand förderte und die Aufmerksamkeit steigerte – wichtige Eigenschaften für eine künftige Führungspersönlichkeit.11 Doch der Erziehungsaspekt der höfischen Jagd sollte für die brandenburgische Herrscherlinie der Askanier bald keine Rolle mehr spielen. Sie starben aus. Den Askaniern folgten die Wittelsbacher (1323–73) aus Bayern, die sich mehr schlecht als recht um die Geschicke der Mark Brandenburg kümmerten. Den schwachen und verschuldeten Markgrafen standen starke märkische Landstände (Adel, Klerus, Bürger) gegenüber. Ihrer finanziellen Misere versuchten die Markgrafen durch die Verleihung, den Verkauf und die Verpfändung ihrer hochherrschaftlichen Rechte an Adlige, Klöster und Städte zu entgehen. Deutlich wird das u. a. am Beispiel der Schorfheide. Dort waren, wie schon erwähnt, freier Holzeinschlag und die uneingeschränkte Weidewirtschaft verboten, um das Wild für die »Hohe Jagd« nicht zu beunruhigen. Doch in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts erhielten Städte wie Eberswalde oder Angermünde mehrfach die Erlaubnis, in der Schorfheide Holz einzuschlagen und sie auch zur Schweinemast zu nutzen. Die markgräflichen Jagdvorrechte wurden zudem belehnt oder schlicht nicht beachtet, zumal sich die Wittelsbacher am liebsten aus der Ferne mit der Mark beschäftigten. Nicht selten kam es vor, dass die Inhaber der neu erworbenen Rechte ihre Ansprüche mit Gewalt durchsetzten.12 Mitte des 14. Jahrhunderts erfolgte durch den Einbruch der Pest in Mitteleuropa (1347–52) auch in der Mark ein gravierender Strukturbruch. Die Infektionskrankheit raffte auf verschiedenen Seuchenzügen im Durchschnitt ein Drittel der deutschen Bevölkerung hinweg und löschte ganze Landstriche aus. Europaweit starben schätzungsweise 25 Millionen Menschen durch die Pest. Erst nach 1430 erholte sich die Bevölkerungsentwicklung wieder. Für den Wald und das Wild
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bedeutete diese Phase eine Atempause. Immerhin wird für Deutschland davon ausgegangen, dass sich der Waldanteil bis etwa 1430 wieder verdreifachte.13 Im Jahre 1373 wechselte in der Mark die Landesherrschaft von den Wittelsbachern auf die Luxemburger. Unter ihrer Herrschaft erlebte die Mark Brandenburg jedoch gleichfalls eine Zeit der Misswirtschaft und Vernachlässigung. Die ganze Region wurde verpfändet und als »finanzielles Ausbeutungsobjekt« benutzt, ein Teil von ihr sogar verkauft. In der Mark Brandenburg herrschten am Ende des 14. Jahrhunderts unhaltbare Zustände, die Finanzen lagen darnieder und von außen erfolgten Angriffe von allen Seiten. Der einheimische Adel ging in Opposition zu seinen Landesherren. In Raubrittermanier nahmen märkische Adelsfamilien in den verschiedenen Teilen der Mark das Heft in die Hand. Im Süden agierte Johann von Quitzow, in der Uckermark und im Barnim Dietrich von Quitzow und
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das obere Havelland kontrollierten die Grafen von Lindow mit ihren jeweiligen Anhängern. Die Burg Werbellin soll u. a. bei einem Raubzug der Quitzows um 1400 zerstört worden sein. Die Lage spitzte sich am Anfang des 15. Jahrhunderts derart zu, dass neben der starken Zerstörung des Landes durch das Raubritterunwesen v. a. die durch die Mark führenden Handelswege zeitweise vollständig unterbrochen waren. In dieser Situation wurde 1411 der Burggraf von Nürnberg, Friedrich von Hohenzollern, vom Kaiser und König Sigismund zur »Klärung der Verhältnisse« in die Mark entsandt. Bis 1414 schaffte er es tatsächlich, die Lage halbwegs in den Griff zu bekommen. Doch es sollte noch einige Zeit dauern, bis sich eine innere und äußere Konsolidierung der Mark vollzog. Am 14. April 1415 wurde der Sprössling der Hohenzollern als Friedrich I. zum erblichen Markgrafen von Brandenburg (1371/1415–1440) mit Kurwürde für sich und seine Erben ernannt. Für die Mark Brandenburg, und dadurch auch für die Schorfheide und die dortige Jagd, begann damit eine neue Ära.14 Den fränkischen Hohenzollern ergaben sich durch ihren Aufstieg zu Kurfürsten von Brandenburg – die Vergabe der Kurwürde für die Mark erfolgte durch die »Goldene Bulle« erstmals im Jahr 1356 – große Vorteile. Sie gehörten nun zur kleinen Elite der insgesamt sieben Kurfürsten, die das Recht innehatten, den deutschen König und damit auch den deutschen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu wählen. Der Kurfürstentitel ermöglichte es ihnen systematisch, »ihre Kurstimme regelmäßig gegen politische Konzessionen oder Geschenke des Kaisers einzutauschen. Solche Gelegenheiten ergaben sich nicht nur bei jeder Wahl, sondern immer dann, wenn der jeweilige König darauf bedacht war, schon im Vorfeld die Unterstützung für seinen Nachfolger zu sichern.«15 Der hochherrschaftlichen Jagd kam hierbei als machtpolitische Schnittstelle eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Die Formen der Jagd an den Königs- und Fürstenhöfen begannen sich zudem in
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der Endphase des Spätmittelalters, am Beginn der Renaissance und Übergang zur Neuzeit zu ändern. Es kamen eingestellte Jagden16 , Hetzjagden17 oder ParforceJagden18 in Mode, die im 17. Jahrhundert aufgrund der höfischen Prunksucht immer bizarrere Formen annahmen. Im weiteren Verlauf wurde das Jagdwesen durch den Einsatz von Feuerwaffen tiefgreifend verändert. Seit der frühen Neuzeit verdrängte das Gewehr nach und nach alle anderen Jagdwaffen. Dieser Prozess vollzog sich aber langsam, da der Gebrauch von Feuerwaffen lange Zeit als unweidmännisch galt. Solange zudem die Gewehre unzuverlässig, schwergewichtig und nicht bei jedem Wetter einsetzbar waren, wurde von den Jägern weiterhin die Armbrust bevorzugt. Erst die schon erwähnten eingestellten Jagden und die Verbesserung der Waffentechnik (Feuersteingewehr) sorgten dafür, dass sich im 17. Jahrhundert das Gewehr als Jagdwaffe durchsetzte.19 Wie die Askanier fühlten sich auch die Hohenzollern von der Schorfheide angezogen. Unter ihrer Herrschaft veränderten sich im Verlauf des 15. Jahrhunderts die Strukturen der dortigen Jagdorganisation. Zunächst wurde das Amt eines Landvogts eingeführt, der in der Mark für Ruhe und Ordnung sorgen sollte. In einer kurfürstlichen Instruktion vom 31. August 1476 erhielten die Landvögte der Mark weitreichende gerichtliche und exekutorische Befugnisse zur »Landfriedensbewahrung«. Folglich fungierten sie als Justiz- und Polizeiorgan im Kurfürstentum und kümmerten sich damit auch um die jagdlichen Belange und Streitigkeiten. In der für die Altmark erlassenen Landfriedensordnung von 1484 erhielt der Landvogt ausdrücklich das Recht, »für die Befriedung von Straßen, Wäldern und wüst gewordenen Ländereien in seinem Gebiet eigene Heidereiter« einzusetzen. Die erste namentliche Erwähnung eines Heidereiters aus der Schorfheide stammt aus dem Jahre 1555. In Grimnitz trugen bis 1739 beispielsweise alle Revierverwalter die Bezeichnung »Heidereiter«. Am 18. August 1739 legte dann Friedrich Wilhelm I. fest, dass »Heidereiter«
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Joachim II. – Kurfürst von Brandenburg und Herzog von Preußen, Gemälde von Lucas Cranach (1515–1586).
oder »Wildnisbereiter« nur noch »Königliche Förster« genannt werden sollten. Später setzte sich für den Vorsteher eines Reviers der Begriff »Oberförster« durch. Nach einer kaiserlichen Anordnung vom 6. September 1891 konnte einem Oberförster bei langjähriger und treuer Tätigkeit auch der Titel eines »Forstmeisters« verliehen werden.20 In der Mitte des 16. Jahrhunderts vollzog sich eine deutliche Wandlung in der Organisation der brandenburgischen Jagd- und Forstverwaltung. Aus den Vogteien wurden Ämter; die Heidereiter agierten als Revierverwalter. Ab 1573 mussten die Heidereiter einen Eid leisten, und zwischen 1547 und 1590 gab es insgesamt acht Jagd- und Forstverordnungen, die später mehrfach ergänzt und überarbeitet wurden, und bis ins 19. Jahrhundert hinein Gültigkeit behielten. Die älteste
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gedruckt überlieferte Holzordnung für die Schorfheide stammt aus dem Jahre 1547. Darin wird erklärt: »Trüge jemand in der Fasten und den Sommer Fewer in Unser Holtz und liesse dasselbige Gefehrlicher Weise liegen, und thet das nicht aus, soll gemeiniglich der Orth, so es geschiehet. Die ganze Gemeinde gestrafft werden, oder einen Theter machen.«21 Mit anderen Worten: Konnte kein Täter ermittelt werden, wurde die gesamte Gemeinde zur Verantwortung gezogen. Die dann folgenden Jagd- und Forstverordnungen regelten die Strafen für illegale Jagd, die Jagdorganisation, die Zugangsrechte, den Umgang mit Wildschäden, die Holzrechte und es wurden neue Forst- und Jagdbezeichnungen eingeführt.22 In der schon erwähnten Holzordnung von 1547 findet sich zudem auch ein Grund dafür, warum Kurfürst Joachim II. (1505/1535–1571) um 1550 zwischen Havel und Oder einen etwa 80 Kilometer langen Wildzaun errichten ließ, der die Schorfheide nach Norden und auch Osten hin abgrenzte.23 So ist darin u. a. verfügt: »Es sollen auch die Heidereiter gut Achtung auf den Heiden haben, damit die vom Adel nicht zu nahe jagen, und wo sie eine betreten, denselben gefänglich einziehen.«24 Durch den Wildzaun wollten sich die Kurfürsten »in erster Linie gegen die Jagdübergriffe benachbarter ritterlicher Grundbesitzer schützen und das Überwechseln des Hochwildes nach der Uckermark verhindern, auch eine sichere Grenze durch den Zaun kennzeichnen. Sie erhoben den Anspruch, daß die Jagd auf Hochwild im ganzen Lande ausschließlich dem Landesfürsten als ein Hoheitsrecht zustehe, was die adligen Grundbesitzer nicht zulassen wollten.«25 Im Jahre 1583 wurde außerdem damit begonnen, ein Hirsch- und Brunftregister für die damals bestehenden Jagdreviere der Schorfheide (Groß Schönebeck, Zehdenick und Grimnitz) zu führen. Angesichts der überlieferten Zahlen von erlegtem Wild muss man fast annehmen, dass sich die Kurfürsten nur noch bei der Jagd vergnügten.26 Im 16. Jahrhundert hielten sich alle vier brandenburgischen Kurfürsten mehr oder weniger oft in der
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Schorfheide auf: Joachim I. (1484/1499–1535), Joachim II. (1535–1571), Johann Georg (1525/1571–1598) und Joachim Friedrich (1546/1598–1608) bevorzugten – wie die Askanier – v. a. das zum Jagdschloss umgebaute Anwesen in Grimnitz für Aufenthalte, Verhandlungen, Festlichkeiten und Hofjagden. Unter Joachim I. wurde Grimnitz zwischen 152 4 und 1528 umgebaut. Im neuen Jagdhaus verhandelte er 1529 mit dem Herzog von Pommern über die Erbfolge und die Lehnsabhängigkeit von Brandenburg. Diese Abhängigkeit war schon unter den Askaniern zustande gekommen und deshalb hatte es über 300 Jahre hinweg immer wieder Auseinandersetzungen gegeben. Der Kurfürst legte mit dem Vertrag von Grimnitz am 26. August 1529 den alten Konflikt endgültig bei.27 Joachim der II. war ein leidenschaftlicher Jäger und oft in der Heide. Ihn und seine Gemahlin Hedwig ereilte im Jagdschloss Grimnitz am 7. Januar 1551 ein Unglück, als sie sich im Rahmen einer Jagdpartie dort aufhielten. Das kurfürstliche Paar bewegte sich morgens im Obergeschoss des Schlosses, als plötzlich der Boden nachgab und sie ins Erdgeschoß durchbrachen. Während sich der Kurfürst mit einem Arm an der Durchbruchstelle halten konnte, fiel die Kurfürstin hindurch und prallte u. a. auf die an den Wänden des Raumes hängenden mächtigen Geweihtrophäen. Sie verletzte sich dabei so schwer, dass sie zeit ihres Lebens körperlich behindert blieb.28 Ein Chronist vermerkte hierzu weiter: »Das Übel aber wurde dadurch ganz unheilbar, daß die Kurfürstin den Schaden, teils aus Schamhaftigkeit, teils aus Furchtvor den Schmerzen, keinen Arzt besichtigen lassen wollte, und so mußte sie, so lange sie noch lebte, an Krücken gehen. Sie fürchtete von da an ganz besonders eine Schwangerschaft und mied die Veranlassung, was auf des Kurfürsten Haltung gegen andere Frauen von großem Einflusse war und die ganze fürstliche Hausordnung änderte.«29 Joachim II. lebte auf großem Fuß, sein Hof umfasste um 1550 mehr als 450 Personen und der Kurfürst machte Schulden, wo er nur konnte. Der Aufwand
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für Kammerjunker, Türknechte, Mundschenken, Hofjungfrauen und Edelknaben war beachtlich. In und um Berlin wurde im Auftrag des Kurfürsten gebaut. Er ließ u. a. auch Jagdschlösser in Köpenick, Bötzow (Oranienburg) und Grunewald errichten. Zudem kam es unter ihm zur Eingatterung von Waldgebieten. Es gab Feste und Turniere, Feuerwerk und Pferderennen und natürlich Hofjagden. In Berlin wurde zur »Belustigung« ein Hetzgarten errichtet – ein eingezäuntes Areal, ähnlich einem Stadion mit Tribüne, wo beispielsweise Wisente und Löwen, Bären oder Wölfe aufeinander gehetzt wurden. Joachim II. ließ 1543 in einem solchen Spektakel Wölfe mit Wisenten kämpfen. Gezielt lud er den Landadel der Mark dazu ein. Was die Finanzlage des Kurfürsten anging, so spielte bei ihm die Naturalwirtschaft noch eine große Rolle, eine Strecke
Karte mit dem Verlauf des im 16. Jahrhundert errichteten Wildzauns, 1719.
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Wild bedeutete ihm mehr als Pfandbriefe. Die Finanzadministration der Mark wies generell große Defizite auf. Allerdings kurbelte die Schuldenwirtschaft des Kurfürsten wiederum den brandenburgischen Kapitalmarkt an und sie war typisch für den damaligen Herrschafts- und Repräsentationsstil der europäischen Königs- und Fürstenhöfe. Joachim II. lieh sich überall Geld, v. a. vom märkischen Adel. Ganz im Geheimen verhandelte er auch mit dem in Stettin ansässigen Bank- und Handelshaus der Loitz, die gleichsam als die »Fugger des Hauses Brandenburg« galten.30 Sein ältester Sohn und Nachfolger, Johann Georg, galt demgegenüber als umsichtiger und er war der erste Kurfürst, der eine Universität besucht hatte. Johann Georg verabscheute das »zeittypisch starke Trinken«. Doch auch er hatte in seiner Regierungszeit eine Schwäche für Grimnitz. Johann ließ das nach einem Brand 1579 stark beschädigte Anwesen wieder auf- und zu einem kurfürstlichen Jagdschloss umbauen. Er jagte regelmäßig in der Schorfheide, lud andere Fürsten zur Jagd ein, ließ den etwa 80 Kilometer langen Wildzaun am Nordsaum der Heide erneuern und versuchte den inzwischen zurückgegangenen Bärenbestand durch die Aussetzung von Jungtieren für die Jagd wieder zu erhöhen. Das Hirsch- und Brunftregister verzeichnete zwischen 1581 und 1597 immerhin 18.272 Stück erlegtes Wild in der Schorfheide. Doch auch Johann Georgs Hofhaltung entwickelte sich kostspielig und stand der seines Vaters nicht nach: Feste, Ritterspiele, Ringrennen, Hofjagden, höfische Schlittenfahrten, Feuerwerke, Bälle, Kleiderluxus und auch eine eigene Hofkapelle kennzeichneten das höfische Leben. Trotz all der Lustbarkeiten scheint er sich mitunter aber auch gehörig gelangweilt zu haben. Aus Grimnitz schrieb er einmal, dass er dort viel Zeit habe, »die Wände anzusehen«31 . Der nächste Kurfürst, Joachim Friedrich, war bei seinen Jagdangelegenheiten nicht minder aktiv und er gehört zu den bemerkenswerteren Persönlichkeiten unter den Kurfürsten Brandenburgs. In seinen nicht einmal zehn Herrschaftsjahren wurden zwischen
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1598 und 1607 von ihm 10.278 Stück erlegtes Wild registriert. Joachim Friedrich förderte bis zu seinem plötzlichen Tod im Sommer 1608 gezielt Wirtschaft, Verwaltung, Bildung und Wissenschaft im Kurfürstentum. Er bildete 1604 den Geheimen Rat und gab der Schorfheideregion wichtige Entwicklungsimpulse. So ordnete Joachim Friedrich u. a. die Gründung der ersten Glashütte der Mark in der Nähe des Jagdschlosses Grimnitz an. Dort entstand 1603 Joachimsthal und in jener Zeit wurde vom Kurfürsten auch der Bau des Finowkanals als künstliche Wasserstraße zwischen Oder und Havel geplant und mit dem Bau 1608 begonnen. Neben einer Reihe von Stadtschulen gründete der Kurfürst 1607, anlässlich eines Jagdaufenthaltes auf der Burg Grimnitz, auch eine Eliteschule, die Fürstenschule zu Joachimsthal. Ein Hintergedanke des Kurfürsten war hierbei, dass die Eliteschüler an einem Ort ausgebildet werden sollten, wo es keine unerwünschten Ablenkungen durch eine größere Stadt gab. Joachimsthal, am Rande der großen Heide, in der es damals noch eine Menge Wölfe gab, schien dafür bestens geeignet.32 Die dann folgenden beiden Kurfürsten, der trinkfeste Johann Sigismund (1572/1608–1619) und sein Sohn Georg Wilhelm (1595/1619–1640), waren passionierte Jäger und sie taten einiges, damit bei ihren diversen Jagdausflügen immer das gewünschte Wild vorhanden war. Johann Sigismund bevorzugte beispielsweise die Jagd auf Luchse und Wölfe. Damit für ihn immer genügend Exemplare verfügbar waren, stellte er kurzerhand die bis dahin freie Jagd auf diese Raubtiere in den kurfürstlichen Forsten unter Strafe. Für einen Wolf mussten 50 Taler und für einen Luchs gar 100 Taler Strafe gezahlt werden. Sein Sohn Georg Wilhelm schickte in seiner Kurfürstenzeit wiederum Elche per Schiff von Preußen in die Mark Brandenburg, um – wie sich sein Großvater Johann Georg einmal ausdrückte, als er junge Bären aussetzen ließ – die »Jagdlust zu vermehren«. Unter den Hohenzollern zeigte der junge Georg Wilhelm die wohl größten Jagdambitionen seiner Zeit. Umso mehr traf es ihn, als er durch eine
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Jagdverletzung in der Folge schwer gehbehindert wurde. Die beiden Kurfürsten hielten sich zudem weniger in der Mark Brandenburg auf, sondern sie bevorzugten während ihrer Herrschaftszeit das ebenfalls zum Besitz der Hohenzollern gehörende Herzogtum Preußen. Vielleicht hätten die zwei weniger jagen sollen, denn die Mark Brandenburg geriet unter ihrer Herrschaft zwischen die Fronten der Mächte, die sich im Rahmen der Reformationsbewegung in protestantische und katholische Lager polarisiert hatten. Der konfessionelle Dauerkonflikt ließ Brandenburg und damit auch die Schorfheide »zum Schauplatz einer europäischen Katastrophe« werden.33
Die »Verwüstung« Die Auseinandersetzungen zwischen dem katholischen Kaisertum der Habsburger und den protestantischen Herrschern innerhalb des Deutschen Reiches weiteten sich derart aus, dass schließlich auf deutschem Gebiet ein Krieg europäischen Ausmaßes ausgetragen wurde. Durch den weitgehend ungeschützten brandenburgischen Binnenstaat und damit auch durch die Schorfheide wälzten sich im Dreißigjährigen Krieg (1618–48) immer wieder militärische Verbände, die Recht und Gesetz außer Kraft setzten. Die Dänen, Schweden und die kaiserlichen Truppen stellten die brandenburgische Bevölkerung im Grunde jedes Mal vor die schizophrene sprichwörtliche Wahl zwischen Pest oder Cholera.34 Diese katastrophale Lage war zu großen Teilen der unentschlossenen Politik des Kurfürsten Georg Wilhelm zuzuschreiben, »der nicht das nötige Rüstzeug mitbrachte, um die extremen Herausforderungen seiner Zeit zu meistern«35 . Dass es im Dreißigjährigen Krieg auch ganz anders zugehen konnte, zeigte das Beispiel des Grafen Anton Günther von Oldenburg, dem es gelang, sein Territorium durch eine kluge Politik und geschicktes Taktieren weitgehend aus dem
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Krieg herauszuhalten.36 Im Fall des Kurfürsten von Brandenburg-Preußen muss aber berücksichtigt werden, dass seine »wenig heldenhafte Figur« maßgeblich von seinem schon erwähnten schweren Jagdunfall herrührte. Er hatte sich bei einer Jagd 1620 am Oberschenkel schwer verletzt, wodurch er eine chronisch entzündete Wunde (»schwärende Stelle«) bekam, die ihn körperlich schwächte, sodass er sich nur mühsam fortbewegen konnte.37 Später griff die Infektion auch auf das andere Bein über und er war dadurch ständig auf eine Sänfte angewiesen: »In einer Zeit, in der das Schicksal Deutschlands in den Händen mächtiger Kriegsherren lag, war der Anblick des Kurfürsten in seiner Sänfte sicher wenig dazu angetan, Vertrauen zu erwecken. Ständig war er auf der Flucht vor einem der am Krieg beteiligten Heere, die ohne seine Einwilligung durch sein Territorium zogen.«38 Er selbst schrieb im Juli 1626: »Ich gräme mich, daß nun meine Lande also verdorben und ich so gering geachtet und verhöhnt werde; alle Welt muß mich für eine feige Memme halte.«39 Das Brandenburger Land wurde während d ieser Jahrzehnte ausgeplündert, Dörfer und Städte in Schutt
Überfall auf ein Dorf im Dreißigjährigen Krieg. Nach einem Stich von Hans Ulrich Franck (1603–1680).
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Die Kirche von Groß Schönebeck, Herbst 2010.
und Asche gelegt, die Äcker lagen wüst, Zug- und Nutztiere waren das bevorzugte Beutegut der kriegführenden Parteien, Seuchen wüteten, die Bevölkerung hungerte und die Sterblichkeitsrate erhöhte sich dramatisch:40 »Das Wirtschaftsleben kam zum Erliegen, und jegliche Kontinuität von Arbeit, Wohnsitz und Erinnerung gehörte unwiderruflich der Vergangenheit an.«41 Nach dem Ende des Krieges gehörte Brandenburg zu den Teilen in Deutschland mit den meisten Zerstörungen und den größten Bevölkerungsverlusten. Um 1648 war die Zahl der in den märkischen Städten lebenden Menschen um die Hälfte gesunken. In der Stadt Prenzlau beispielsweise gab es vor dem Dreißigjährigen Krieg 787 Feuerstellen. Danach waren es nur noch 321, von denen wiederum mehr als 30 Prozent nicht bewohnt waren. Von den 60 Tuchmachern der Stadt waren nach Kriegsende nur noch zehn übrig geblieben. Auf dem Land fielen
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die Bevölkerungsverluste noch gravierender aus. In manchen Gegenden ging die Einwohnerzahl um zwei Drittel zurück.42 Am Ende fehlte es einfach an allem, v. a. aber an Menschen: »Die Felder waren mit Unkraut überwuchert, aus fruchtbaren Äckern waren verwilderte Waldstücke geworden (…). Die Bevölkerung auf dem Land hatte durch Krieg, Auswanderungen und vor allem durch die Pest so stark abgenommen, daß kaum mehr genügend Menschen für die notwendige Aufbauarbeit in den Dörfern lebte.«43 All das traf die Dörfer und Städte an der Schorfheide v. a. in den ersten beiden Jahrzehnten des Dreißigjährigen Krieges. Die durchziehenden oder sich für längere Zeit einquartierenden Truppen forderten für ihre Versorgung Abgaben bzw. nahmen sich, was sie brauchten. Die Ereignisse in Groß Schönebeck, dem heutigen »Tor zur Schorfheide«, waren stellvertretend für das, was sich damals vielerorts abspielte. Für das Dorf und das dort befindliche kurfürstliche »Jagdhaus Schönebeck« markierte das Jahr 1634 einen Bruch in eine Zeit davor und danach. Zuvor hatte es schon mehrfach Durchzüge und Einquartierungen gegeben, bei denen es zu Plünderungen, Brandschatzungen und Gewalttätigkeiten gekommen war. Pachtzahlungen oder etwa eine reguläre Feldbestellung waren nach solchen Heimsuchungen kaum noch möglich, weil die Soldaten bereits »alles aufgefressen« sowie Pferde und Vieh mitgenommen hatten. Das kurfürstliche Amtsregister verzeichnete zu Pfingsten des Jahres 1634 die letzte Abgabe von Groß Schönebeck in Form von 23 Gänsen. Danach brach die Überlieferung für Jahre ab: Das Dorf, die Kirche und das »Jagdhaus« wurden zerstört und die meisten der Bewohner getötet. Lediglich der massive Feldsteinturm der Kirche des Dorfes mit meterdicken Wänden hielt der Katastrophe stand. Die gerissenen Feldsteine im Inneren zeugen noch heute vom unheilvollen Jahr 1634. Ein ähnliches Schicksal erfuhren auch Joachimsthal mit der Fürstenschule und das Jagdschloss Grimnitz im Januar 1636.44 Die Schorfheide wurde zum Selbstbedienungsladen für die
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Holzschnitt »Auf der Wolfsjagd«, 1582.
Armeen, zumal sich der Kurfürst selbst meist im für ihn sicheren fernen Herzogtum Preußen aufhielt. Die »Heidereiter« versuchten zwar, ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen und dafür zu sorgen, dass nur mit kurfürstlicher Erlaubnis Wild erlegt wurde, aber das kümmerte die Soldaten und Offiziere der durchziehenden oder einquartierten Truppen natürlich wenig. Egal, ob mit dem Kurfürsten verbündet oder nicht, niemand hielt sich an dessen Forderung, dass alles Jagen, Hetzen und Schießen in »unseren Gehegen und Wildbahnen« zu unterbleiben habe. Kamen die »Heidereiter« den Forderungen nach Wildabgabe nicht nach, so konnte es ihnen schlecht ergehen. Die überlieferte Drohung eines Offiziers, er werde »die ganze Kompanie nehmen, in die Heide reiten und schießen, was ihnen vorkäme«, wenn er nicht umgehend mit Wild versorgt werde, war harmlos im Vergleich zu anderen gewalt tätigen Erpressungen und Bedrohungen.45
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Aufgrund der spärlichen Überlieferungen kann über die realen Auswirkungen des Krieges auf den Wildbestand und den Wald weitgehend nur spekuliert werden. Die Bevölkerungsabnahme und der Rückgang beim Nutzvieh verschafften dem Wald wohl zunächst einmal eine Ruhepause. Durch die geschrumpfte Zahl der in den Forsten weidenden Nutztiere boten sich dem jungen Wald wieder Wachstumschancen. Der Charakter eines Hut-, Hude- oder Hütewaldes verlor sich zeitweise und die Schorfheide wurde »wieder zur Wildnis«. Doch zu einer erheblichen Zunahme der Waldflächen, wie nach der Pestpandemie Mitte des 14. Jahrhunderts, kam es nach dem Dreißigjährigen Krieg nicht wieder. Im Hinblick auf den Wildbestand ist lediglich überliefert, dass Mitte des 17. Jahrhunderts die massiv angewachsene Zahl der Wölfe die Wildund Nutzviehbestände in großem Maße dezimierte. In den Wäldern der Mark gab es »gewaltige Wolfsscha-
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ren«. Im weiteren Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts wurde ein regelrechter »Vernichtungskrieg« gegen die Wölfe geführt, von dem noch zu berichten sein wird.46 Für die Alltagskultur der Menschen in der Mark Brandenburg bedeutete das »zerstörerische Wüten« des Krieges eine tiefe Zäsur. Unter dem nach Georg Wilhelm folgenden Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620/1640–1688) siedelten sich später in den besonders stark verwüsteten Gebieten der Mark Familien an, die von außerhalb Brandenburgs kamen. Es waren Holländer, Ostfriesen und Holsteiner, die andere Erinnerungen und Gewohnheiten mitbrachten. Der »große Krieg« überlagerte die Erinnerung an frühere Konflikte und Katstrophen. Nicht selten wurde der »Faden der persönlichen Erinnerung durchtrennt« und das Wissen um dörfliches Gewohnheitsrecht ging ver loren, da es einfach niemanden mehr gab, der sich an die Zeit, »bevor die Schweden kamen«, erinnern konnte. Die große Verwüstung prägte sich tief in das kollektive Gedächtnis ein.47
Der GroSSe Kurfürst Weit über das Ende des Dreißigjährigen Krieges hinaus blieb es um die Schorfheide ruhig. Erst nach 1660 widmete sich der Kurfürst Friedrich Wilhelm der Heide und den dortigen zerstörten Jagdhäusern. Dass seit seiner Herrschaftsübernahme im Dezember 1640 bis zu den Maßnahmen für den Wiederaufbau des »Jagdhauses« in Groß Schönebeck um 1662/63 viele Jahre ins Land gingen, hing mit den schwierigen Verhältnissen in der Mark und später im Herzogtum Preußen in der Zwischenzeit zusammen. So plante Friedrich Wilhelm zwar auch den Wiederaufbau von Grimnitz, aber aufgrund der hohen Kosten wurde nur Groß Schönebeck tatsächlich wieder errichtet. Der Kurfürst musste nach 1640 im Grunde mit äußerst begrenzten Mitteln einen Wiederaufbau aus dem Nichts herbeiführen.48 Wie prekär die Ausgangslage war, verdeut-
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licht ein Brief des Statthalters der Mark an den neuen Kurfürsten im Frühjahr 1641: »Wir finden aber insgesamt, daß die Karre so tief, wie man im Sprichwort zu sagen pfleget, in den Koth geschoben, dass sie ohnen sonderbaren Beistand des Allerhöchsten nicht leichtlich wird herausgeschleppt werden können.«49 Als die Schweden abgezogen waren, kam der Kurfürst im März 1643 mit seinem Gefolge aus Preußen in die Mark. Friedrich Wilhelm erkannte das verwüstete Berlin fast nicht wieder. Beim Eintreffen in der Stadt konnte der kurfürstliche Hof kaum versorgt werden. Es gab weder ausreichend Wildbret noch Fleisch von Nutztieren. Die Lebensmittel mussten unter großem Aufwand aus dem Herzogtum Preußen herbeigeschafft werden. Dies war nicht zuletzt ein indirekter Hinweis darauf, welche Auswirkungen der Krieg auf den Wildbestand in den kurfürstlichen Forsten der Mark bis dahin gehabt hatte. Doch der Dreißigjährige Krieg dauerte noch bis 1648 an; es musste ein Heer aufgebaut werden und in den darauf folgenden 1650er Jahren zwangen die kriegerischen Auseinandersetzungen im Ostseeraum den Kurfürsten immer wieder nach Preußen. Immerhin waren von den 48 Regierungsjahren des Kurfürsten 19 von Kriegen erfüllt.50 20 Jahre nach seiner Herrschaftsübernahme herrschten dann wieder andere Verhältnisse im Kurfürstentum. Welcher Aufwand bei Hofe inzwischen wieder betrieben werden konnte, zeigt die Versammlung der Ständevertreter im Königsberger Schloss am 18. Oktober 1663. Sie leisteten ihren Lehnseid auf den brandenburgischen Kurfürsten. Über das anschließende Fest wurde berichtet: »Nach der Zeremonie öffneten sich die Tore zum Schlosshof, und der Landesherr stellte nach altem Brauch seine Großzügigkeit zur Schau. Die Stadtbevölkerung strömte herbei und feierte mit. Haushofmeister warfen Gedenkmünzen aus Gold und Silber in die Menge. Aus einem Brunnen, der dem hohenzollerischen Adler nachgebildet war, strömte den ganzen Tag lang der Wein – aus einem Schnabel Rotund aus dem anderen Weißwein. In den Empfangs-
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räumen des Palastes wurden die Stände an 20 großen Tischen bewirtet.«51 Bei solchen Anlässen lief der
Der Große Kurfürst
Jagdbetrieb in den jeweiligen kurfürstlichen Forsten auf Hochtouren. Das im 19. Jahrhundert bei den Preußenkönigen und Kaisern so beliebte Damwild (Cervus dama), das ursprünglich im Mittelmeerraum ansässig war, ließ übrigens der Große Kurfürst 1681 aus Holland und Dänemark in die Mark Brandenburg bringen. Danach breitete es sich erfolgreich aus und gelangte auch in die Schorfheide, wo sich später ein nennenswerter Bestand entwickelte.52 Friedrich Wilhelm widmete sich, im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern, von Anfang an intensiv den Regierungsgeschäften. Er erfand »das Amt des Kurfürsten sozusagen neu«, das des Jägers nicht. Schon in jungen Jahren war er in den Wäldern bei der Festung Küstrin, wo er im Schutz der Festungsmauern ausgebildet worden war, regelmäßig auf Jagd gegangen, die ihn körperlich trainiert und seine Waffengeschicklichkeit zu Fuß und zu Pferd gefördert hatte. Besonders geprägt hatte ihn 1637 ein Aufenthalt in den für damalige Verhältnisse modernen Niederlanden. Dort beeindruckte ihn, wie sich das kleine Land gegen die Großmacht Spanien wehrhaft behauptete. Er verstand dabei wohl auch erstmals bewusst, dass im künftigen Spiel der europäischen Mächte nur ein militarisiertes Staatswesen mit einem stehenden Heer eine Überlebenschance haben konnte. Nach 1640 formte Friedrich Wilhelm Stück für Stück einen absolutistischen Staat, der Brandenburg machtpolitisch und wirtschaftlich beachtlich aufblühen ließ. Bemerkenswert ist hierbei, dass er seine Innen- und Außenpolitik mithilfe von mehr als 70 Geheimräten betrieb. In Königsberg oder Berlin und in den nahe liegenden Jagdschlössern gab es nicht selten lange Arbeitssitzungen und natürlich wurde auch bei der Jagd Politik betrieben. Am Ende seiner Regentschaft verfügte die Kurmark über ein stehendes Heer, das über die Landesgrenzen hinweg »einen guten Ruf hatte«, es gab eine kleine Ostseeflotte und an der westafrikanischen Küste sogar eine kleine branden-
von Camphausen, um
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nach einem Gemälde 1665.
burgische Kolonie. Die Kurmark Brandenburg-Preußen war bis 1688 zu einer bedeutenden Regionalmacht aufgestiegen und der Kurfürst wurde nach seinem Tod zu einer »einflussreichen Ikone in der Tradition der Hohenzollern«.53 Den Beinamen »der Große Kurfürst« erhielt Friedrich Wilhelm nach seinem herausragenden militärischen Erfolg über die Schweden 1675 bei Fehrbellin. Ihr Einfall im Winter 1674/75 und ihr leidlich bekanntes Wüten in Mecklenburg, der Prignitz und der Uckermark riefen böse Erinnerungen in der Bevölkerung und großen Zorn beim Kurfürsten hervor. Der überragende Sieg über die schwedische Übermacht förderte das Ansehen des Kurfürsten enorm und brachte ihm europaweit Prestige.54 Der Legende nach soll der kurfürstliche Leibjäger Johann Uhl bei der Schlacht 1675 Friedrich Wilhelm das Leben gerettet haben. Die Schweden hatten erfahren, dass der Fürst auf ei-
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Ruine der Burg Grimnitz, 2010.
nem Schimmel an der Schlacht teilnahm und schossen sich daraufhin auf den Kurfürsten ein. Der Leibjäger konnte den Kurfürsten zum Pferdewechsel auf dessen Braunen bewegen und das rettete ihm so das Leben. Johann Uhl blieb ebenfalls am Leben und wurde zum Dank Landjäger (Heidereiter) in Alt Ruppin. Sein Sohn erhielt später die Stelle als Heidereiter in Groß Schönebeck. Die Kochkünste seiner Frau wiederum waren übrigens für den Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. (1713–1740) bei seinen Jagdaufenthalten in Groß Schönebeck von unverzichtbarem Wert. Niemand soll die Leibgerichte des »Soldatenkönigs« – Schweinepökelfleisch mit Erbsen und Sauerkraut, Eierkuchen mit Preiselbeeren – so gut zubereitet haben wie die Frau des Heidereiters Uhl.55 Der Große Kurfürst reformierte die kurfürstliche Verwaltung nachhaltig und schuf mit seiner Personalpolitik »Platz für einen neuen Typus des Staatsdie-
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ners, der sich zunehmend dem Monarchen und seiner Verwaltung verpflichtet fühlte«56 . In seiner Regierungszeit wurde auch die Jagd- und Forstverwaltung reorganisiert. Der Kurfürst ordnete die Einführung eines Jagddirektoriums mit einem Oberjägermeister an der Spitze an. Ihm war der Hofjägermeister als Leiter des Jagdwesens untergeordnet, den wiederum vier Oberforstmeister unterstützten. Diesen unterstanden jeweils kurfürstliche Forstflächen, in denen die Heidereiter agierten. Für Entscheidungen in den nicht wenigen Rechts- und Grenzstreitigkeiten wurde eine Jagdkanzlei geschaffen, die vom Oberjägermeister geführt wurde.57 Aus der Schorfheide mehrten sich um 1672 beispielsweise Meldungen über eine Zunahme der illegalen Jagd. Es wurde berichtet, dass sich die Wilddiebe zu Banden zusammenrotteten und in der Schorfheide »großen Schaden tun«. Es ging dabei nicht nur um
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die Versorgung mit Wildbret, sondern es blühte das Geschäft mit den Tierhäuten, die an Weißgerber gewinnbringend verkauft wurden. Die Wilddiebe kamen überwiegend selbst aus der Schorfheide, kannten sich bestens aus und waren deshalb generell schwer zu fassen. Am 7. November 1672 ordnete der Kurfürst daher eine Jagdverordnung gegen die Wilddiebe an. Darin hieß es u. a.: »(…) damit es nicht weiter einreist, so befehlen wir Euch hiermit in Gnaden, durch die Heidereiter genau Obacht geben zu lassen, ob sie nicht dergleichen Wilddiebe bekommen können, gestalt dann unser gnädigster Wille ist dass, wann sie sich denselben lebendig nicht bemächtigen können, sie darauf schießen sollen, damit sie nicht entgehen, jedoch das dieses mit solcher Beschaffenheit geschehe, damit Unschuldige nicht dabei zu kurz kommen.«58 Den im Dreißigjährigen Krieg weitgehend zerfallenen Wildzaun der Schorfheide ließ der Kurfürst durch 30 abkommandierte Soldaten zwischen 1665 und 1670 in seiner ganzen Länge mit Flechtwerk wieder instand setzen. Die Baukosten sollten aus den Erlösen von zusätzlichen Holzverkäufen beglichen werden. Nach der Fertigstellung wurden zwölf Zaunwärter angestellt, die entlang des Zauns siedelten, Ackerland und die Weideberechtigung erhielten, und für die Aufsicht und den Unterhalt zuständig waren. Dadurch wurde die Neu- und Wiederbesiedlung entlang des »Großen Wildzaunes« vorangetrieben, die auch dann noch Bestand haben sollte, als der Wildzaun später seine Bedeutung verlor.59 Die Errichtung des Wildzauns hing aber auch mit dem Problem der Wolfsplage zusammen. Der von den Wolfsrudeln v. a. bei den Nutztieren der Bauern angerichtete Schaden war groß und für viele von ihnen immer wieder existenzbedrohend. Im Jahr 1663 erging deshalb für die Schorfheide die kurfürstliche Anweisung, dass in Schönebeck von den Bewohnern verschiedener Schorfheidedörfer ein Wolfsgarten zu bauen sei. Generell wurde die Landbevölkerung auch zum Anlegen von Wolfsgruben oder »Luderplätzen«
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Wolf im Wildpark.
mit verendeten Ziegen oder Schafen zum Anlocken der Wölfe aufgefordert. Städte und Dörfer unterlagen der Pflicht, Jahr für Jahr am sogenannten »Wolfsjagdlaufen« teilzunehmen. Dies wurde mit der Zeit als sehr lästig empfunden, da Treiber oft für mehrere Tage bei Wind und Wetter durch die Wälder laufen mussten. Hinzu kam, dass sich jeder Treiber selbst mit Proviant zu versorgen hatte. Als Bewaffnung waren lediglich Mist- und Heugabeln, Spieße und Knüppel erlaubt. Diese spezielle Form der organisierten Wolfsjagd wurde in der Regierungszeit des Großen Kurfürsten geschaffen und bis Anfang des 18. Jahrhunderts immer mehr verfeinert. Es entstanden sogenannte »Wolfszeuge« – aus heutiger Sicht entfernt mit einer Katastrophenschutzorganisation oder Feuerwehr vergleichbar –, die sich aus dem Jagdpersonal, den Treibern, dem »Wolfsjagdzeug« (Netze, Leinen, Lappen) und den dazu notwendigen Wagen mit Pferden zusam-
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Großes Wolfseisen und Schnellschlinge, um 1650.
mensetzten. Am Ende des 17. Jahrhunderts gab es in der Mark Brandenburg insgesamt 18 solcher »Wolfszeuge« mit rund 300 Wagen und mehr als 1.200 Pferden. Wie viele Wölfe in der Mark Brandenburg im 17. Jahrhundert zur Strecke gebracht wurden, ist nicht vollständig bekannt. In der Prignitz wurden zwischen 1653 und 1696 insgesamt 2.307 Wölfe getötet. Aus den Wäldern der Altmark Brandenburgs war der Wolf
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am Ende des 18. Jahrhunderts weitgehend verschwunden. In Kursachsen wurden zwischen 1611 und 1717 in Summe 6.937 getötete Wölfe registriert. In Ostpreußen, Pommern und Brandenburg erreichte der Ausrottungsfeldzug gegen den Wolf dann in den 1820er und 1830er Jahren seinen Höhepunkt.60 Die kurfürstliche Jagd war im 17. Jahrhundert zugleich ein glanzvolles höfisches Gesellschaftsereignis, eine Art der Selbstinszenierung, eine Gelegenheit, Prunk und Pracht des Herrschers zu zeigen. Hierzu zählte auch, dass die »Launen der Natur« – wie etwa ein schwarzes Reh – oder verschiedene Tiere aus fernen Ländern bei Hofe vorgeführt wurden. Der russische Zar schenkte dem Kurfürsten 1679 beispielsweise zwei Kamele und zwei Büffel als »orientalische Belustigung« bei Hofe.61 »Der Spaß war weder für den, der das Vergnügen hatte, noch viel weniger für die, die es ausrichten mußten, billig. Und teuer bezahlte es auch der Wald, der dabei die Kulisse abgab. Wo die Jagd zur Hauptbeschäftigung der Herrscher und ihrer Höfe wurde, fraß sie, zählt man vom Bau der Jagdschlösser bis zur Hundehaltung alles zusammen, tiefe Löcher in die Staatssäckel.«62 Diese Beschreibung traf aber viel mehr noch auf den Sohn des Großen Kurfürsten und dessen Nachfolger, Kurfürst Friedrich III. (1657/1688–1701), später als Friedrich I. (1701–1713) erster preußischer König, zu. Für beide galt aber auch, dass sie in der Schorfheide keine prunkvollen höfischen Jagdspektakel stattfinden ließen. Dafür waren die Jagdschlösser der Schorfheide zu klein und auch nach damaligen Verhältnissen zu weit entfernt.
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Könige und K aiser 1688/1701 bis 1918
Nach dem Großen Kurfürsten übernahm sein Sohn Friedrich III. die Herrschaft über Brandenburg-Preußen, das nach Österreich inzwischen zum zweitgrößten deutschen Fürstentum geworden war. In der Zeit des Hochbarocks erfuhren Prunk und Verschwendung am kurfürstlichen Hof geradezu einen »Quantensprung« (Christopher Clark). Friedrich befand sich damit in guter Gesellschaft mit den anderen europäischen Herrschern und deren Streben nach Prachtentfaltung. Es gab in der Berliner Residenz eine »endlose Reihung« von Festen, großen Schaustellungen, höfischen Jagdspektakeln und anderen Zerstreuungen.1 Für die Lust‑, Prunk- und Sommerjagden bei Hofe zog man nicht in die brandenburgischen Wälder. In der unmittelbaren Umgebung des Hofes oder in der größtmöglichen Nähe zur Residenz kam es zur Errichtung aufwendiger Anlagen für Schaustellungen oder eingestellte Jagden. Die städtischen Bezeichnungen Tier- oder Hirschgarten verweisen heute noch auf solche Anlagen für höfische Prunkjagden. Es wurden tierquälerische »Kampfjagden« veranstaltet, bei denen zum Ergötzen der Hofgesellschaft nach dem Vorbild der alten römischen Tierkämpfe in den Schlosshöfen Bären, Hirsche, Wölfe oder exotische Tiere wie Löwen, Tiger und Panther unter sich, gegeneinander oder mit Hunden kämpften. Mitunter gaben hochherrschaftliche »Akteure«, durch Hunde und Bedienstete gut gedeckt, unter Paukenund Trompetenschall und dröhnendem Beifall der Hofgesellschaft einem Bären oder auch Löwen den Todesstoß. Bei den eingestellten Jagden wurde das
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Wild bereits Tage vor dem Beginn der eigentlichen Jagd von einer großen Zahl von Treibern, Jagdbediensteten und Hunden in den Wäldern zusammengetrieben, gesammelt und mit Tüchern, Netzen und Lappen am Verlassen des Geländes gehindert. Schafften sie es doch, dann waren sie – so der Ursprung der Redewendung – »durch die Lappen gegangen«. Am Tag der Jagd konzentrierten die Jagdhelfer das Wild in einem immer enger gefassten Raum und zwangen die Tiere schließlich in sogenannte Wildkammern, wo sie hinund hergejagt wurden und dann eine Tötung auf kurze Entfernung erfolgte. Es ging im Grunde nur noch um
Prunkjagd zu den Hochzeitsfeierlichkeiten des Herzogs Karl von Württemberg mit Elisabeth Friedericke Sophia, geb. Markgräfin zu BrandenburgBayreuth, am 8. Oktober 1748.
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Fuchsprellen am Hofe der Hohenzollern in Berlin. Gemälde vom Anfang des 18. Jahrhunderts.
»das Totschiessen möglichst großer Wildmassen« bzw. darum sie vorzuführen. Bei manchen eingestellten Jagden – wiewohl nicht in der Schorfheide oder in der Mark – wurden Tausende Stück Wild der unterschiedlichsten Art zusammengetrieben, die bisweilen aus weiten Entfernungen herbeigebracht werden mussten. Dabei tötete man das Wild ohne Rücksicht auf Art, Alter und Geschlecht. Eine Variante der eingestellten Jagd war die Wasserjagd, bei der das Wild von zwei Seiten in einen Fluss, See oder ein künstlich angelegtes Gewässer getrieben und dann getötet wurde. Ein anderes perverses Jagdvergnügen stellte das »Fuchsprellen« dar, bei dem Jagdbedienstete und Mitglieder der Hofgesellschaft die Füchse, aber auch Wildkatzen, Hasen oder andere kleine Tiere, auf Netzen oder Tüchern so lange empor schleuderten, bis sie qualvoll verendeten.2 Mit einem solchen Hofleben versuchte Friedrich III. eigene Akzente zu setzen und auch seine körperlichen
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Mängel zu kompensieren. Er hatte eine Rückgratverkrümmung, die ihm den Beinamen der »schiefe Fritz« einbrachte und die er durch eine besonders große Perücke zu verdecken suchte. Zugleich wurden über die höfische Kultur die internationalen Beziehungen gepflegt. Die prunkvollen Zurschaustellungen zeigten Herrschaftsansprüche und diplomatische Absichten an. Die spektakulären Jagdveranstaltungen symbolisierten das starke Bedürfnis der einzelnen Höfe »nach Demonstration von Macht und Rang durch glanzvolle Festivitäten. Gesandte hatten den Auftrag, ihren Höfen den Ablauf der Lustbarkeiten genauestens zu schildern, wenn möglich sogar mit Angabe der Kosten des Spektakels.«3 Die Bemühungen Friedrichs III., um 1700 die Königswürde zu erlangen, sind in diesem Zusammenhang zu sehen, da der Kurfürst das höfische Leben und damit sich selbst auf eine höhere Stufe heben wollte.4 Was sich dann aber am 17. und 18. Januar 1701 bei der Krönung am Hofe in Königsberg, im Herzogtum Preußen abspielte, war auch nach heutigen Maßstäben eine Veranstaltung der Superlative. Die Krönung war extravagant und wurde wohl zum teuersten Ereignis in der brandenburgisch-preußischen Geschichte. Allein die Anfahrt des Hofes sprengte jeden damals bekannten Rahmen: »Einem zeitgenössischen Bericht zufolge waren insgesamt 30.000 Pferde vonnöten, um die kurfürstliche Familie samt Gefolge und Gepäck in 1.800 Kutschen von Berlin aus zum Krönungsort im Osten zu bringen. Die Reise dauerte 12 Tage. Unterwegs kamen sie durch reich geschmückte Dörfer, deren Hauptstraßen von Fackeln gesäumt oder gar mit feinem Tuch ausgelegt waren.«5
Die Heide und vier Könige Wie bereits erwähnt, passten die kleinen und entfernt liegenden Jagdhäuser in der Schorfheide nicht zu einem derart aufwendigen Hofleben des ersten Preußen königs. Vielmehr wurde zur Durchführung solcher
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