Die Robert-Koch-Stiftung e.V. im Wechsel der politischen Epochen
Ein historischer Überblick von der Gründungsinitiative 1907 bis in die 1960er Jahre
BeBra Wissenschaft Verlag
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Einleitung
Alljährlich verleiht der Verein »Robert-Koch-Stiftung e.V.« für »außerordentliche[…] wissenschaftliche[…] Entdeckungen in den Arbeitsbereichen Robert Kochs, insbesondere in der Grundlagenforschung der Infektiologie und Immunologie«, den Robert-Koch-Preis.1 Diese international renommierte Auszeichnung verschafft den Preisträgern und ihrer Arbeit nicht nur Anerkennung und Aufmerksamkeit in Wissenschaft und Gesellschaft, sondern ist auch mit einem erheblichen Preisgeld –ak tuell 120 000 Euro – verbunden. Die Geschichte des Robert-Koch-Preises bzw. des Vereins, dessen Vorstand die Preisträger nach der Beratung mit einem Wissenschaftlichen Beirat auswählt, ist indessen ein Desiderat der zeit- und wissenschaftshistorischen Forschung.2
Der heutige Verein geht auf die Robert-Koch-Stiftung (RKS) zurück, die 1907/08 zu Lebzeiten Robert Kochs (1843–1910) als Zeichen der Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen und zur Förderung der Tuberkuloseforschung errichtet wurde. Ihre Gründung lässt sich zwei historischen Entwicklungssträngen zuordnen. Zum einen ist sie Teil des seit mehr als vier Jahrtausenden andauernden Kampfes gegen die Infektionskrankheit Tuberkulose, die erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts mit Einführung der Chemotherapeutika in der öffentlichen Wahrnehmung ihren Schrecken als »Geißel der Menschheit« verlor. 3 Zwar hatte Robert Koch 1882 in einem Vortrag vor der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin die Identifizierung des Tuberkelbazillus bekanntgegeben und später mit dem vermeintlichen Heilmittel »Tuberkulin« ein geeignetes Diagnostikum entwickelt.4 Auch waren mit der von Hermann Brehmer (1826–1889) und Peter Dettweiler (1837–1904) angestoßenen Heilstättenbewegung sowie mit der Gründung von Auskunfts- und Fürsorgestellen und mit der Schaffung von Organisationsstrukturen auf nationaler und internationaler Ebene5 aus zeitgenössischer Sicht durchaus »große[…] Erfolge der Kämpfe gegen die Tuberkulosekrankheit« erzielt worden.6 Der entscheidende Durchbruch in Prophylaxe und Therapie zeichnete sich jedoch nicht ab: Trotz der Identifizierung der Tuberkulose als bakterielle Infektionskrankheit zeigten die bis dahin unternommenen Immunisierungsversuche nicht den erhofften Erfolg; die von Ludolph Brauer
1 Robert-Koch-Stiftung e.V., Robert-Koch-Stiftung – Robert Koch Foundation, S. 9.
2 Eine kurze Darstellung der Gründung findet sich in: Meyer, 24. September 1907.
3 Tatsächlich ist die Tuberkulose aktuell »weltweit die führende Infektionskrankheit«, die aufgrund von Migration, Medikamentenresistenzen und die zunehmende Konzentration in Risikogruppen auch in Deutschland ein »nicht zu unterschätzendes Gesundheitsproblem darstellt«.
Vgl. Loddenkemper/Konietzko/Seehausen/Bauer/Pfeifer, 125 Jahre, S. 719.
4 Vgl. hierzu Gradmann, Krankheit im Labor; Grüntzig/Mehlhorn, Robert Koch.
5 Deutsches Zentralkomitee zur Errichtung von Heilstätten (ab 1906 Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose) und Internationale Vereinigung gegen die Tuberkulose.
6 Leyden, Nachruf, S. 381.
(1865–1951) in Deutschland eingeführte und insbesondere von Ferdinand Sauerbruch (1875–1951) weiterentwickelte Pneumothorax- und Thorakoplastikbehandlung steckte noch in den Anfängen.7 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kostete die Tuberkulose jährlich mehr als 110 000 Menschenleben8 im Deutschen Reich und noch 1912 galt sie als »furchtbarste aller Volksseuchen, die viel größere Opfer erfordert, als je die blutigsten Kriege den Nationen gekostet haben«.9
Zum anderen lässt sich die Errichtung der RKS in das in Deutschland seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert boomende private Stiftungswesen einordnen, das in großem Umfang der Wissenschaftsförderung und -finanzierung zugutekam.10 Den Höhepunkt dieses Prozesses bildete 1911 die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, die mit einem Stiftungskapital von zehn Millionen Mark (M) ausgestattet wurde. Treibende Kraft dieser Entwicklung war der Abteilungsleiter im Preußischen Kultusministerium und »Preußens heimlicher Kultusminister«11, Ministerialdirektor Friedrich Althoff (1839–1908), der die preußische Wissenschaftspolitik unter fünf Kultusministern wesentlich prägte.
7 Bochalli, Die Entwicklung der Tuberkuloseforschung, S. 26ff, 101ff, 117f.
8 Vgl. Rasch/Pöhn, Statistik, S. 86. Danach betrug die Zahl der Todesfälle durch Tuberkulose im Deutschen Reich in 1900: 122 048; 1901: 117 596; 1902: 116 316; 1903: 119 439; 1904: 118 946; 1905: 121 992; 1906: 113 432; 1907: 112 690; 1908: 110 602. Hinzu kam eine nicht statitisch erfasste Anzahl an Krankheitsfällen, die nach zeitgenössischen Schätzungen in den 1890er Jahren bei mindestens einer Million lag, vgl. Leyden, Nachruf Althoff, S. 379.
9 Wezel, Robert Koch, S. 53.
10 Brocke, Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Kaiserreich, S. 17–162, insbesondere S.109ff.
11 Neue Zürcher Zeitung v. 28.9.1907, Brocke, Von der Wissenschaftsverwaltung, S. 12.
Einen Überblick über das prosperierende bürgerliche Mäzenatentum zugunsten der Wissenschaft um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert vermittelt eine Zusammenstellung der »Stiftungen und Förderorganisationen für wissenschaftliche Zwecke in Deutschland 1894–1914« des Wissenschaftshistorikers Bernhard vom Brocke.12 Unter den insgesamt 47 erfassten Stiftungen fehlt die RKS jedoch, obwohl sie – gemessen an ihrem Stiftungskapital von ca. 1 000 000 M – dem Mittelfeld der aufgeführten Institutionen zuzuordnen wäre.13 Die Gründe hierfür dürften in der fehlenden Aufarbeitung ihrer Geschichte aufgrund der schwierigen Quellenlage und ihrer mangelnden Kontinuität liegen, die eine historische Bewertung bisher verhinderten. Diese Lücke soll mit der folgenden Darstellung der institutionellen Entwicklung und Förderpolitik der RKS vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre sowie der Einordnung der Stiftungsgeschichte in den jeweiligen zeithistorischen Kontext geschlossen werden. Ergänzt wird dies durch knappe biographische Beschreibungen der wichtigsten Entscheidungsträger und Stipendiaten der Stiftung. Dabei orientiert sich die Untersuchung über die verschiedenen Zeitepochen hinweg an folgenden Leitfragen:
Welche Personen/Institutionen prägen die Stiftung, ihre Organisation und Tätigkeit?
– In welchem Umfang nehmen Staat, Wissenschaft etc. Einfluss auf die Stiftung?
– Welche Faktoren (Forschungsinteressen, wissenschaftliche Leistungen, politische Überlegungen) bestimmen die Auswahl der geförderten Projekte?
Wie ist die Auszeichnungs- und Förderpolitik der Stiftung zu bewerten?
Quellenlage und Literatur
Nicht nur das in der NS-Zeit angefallene Schrifttum der RKS, sondern mutmaßlich auch ihre in der Kaiserzeit und in der Weimarer Republik entstandenen Unterlagen fielen im Zweiten Weltkrieg dem schweren alliierten Luftangriff auf die Reichshauptstadt Berlin am 23. November 1943 zum Opfer.14 Das Dienstgebäude Einemstraße (heute Karl-Heinrich-Ulrichs-Straße) 11 im Berliner Bezirk Tiergarten (Adresse W 62), in dem die Geschäftsstelle der RKS sowie zahlreiche weitere halbstaatliche Einrichtungen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens untergebracht waren, brannte
12 Brocke, Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Kaiserreich, S. 110–112.
13 Zur Unvollständigkeit der Auflistung vgl. Adam, Wissenschaftsförderung, S. 197.
14 Die 1935 wiedergegründete und in der Einemstraße 11 residierende RKS verfügte offensichtlich auch über die Stiftungsunterlagen aus der Zeit vor 1933. In einem zeitgenössischen historischen Abriss heißt es: »Zahlreich sind die Arbeiten, die mit Hilfe der Robert Koch-Stiftung ausgeführt wurden. Wenn man die Akten der Stiftung daraufhin durchblättert, so entrollt sich dabei die gesamte Tuberkuloseforschung dieser Zeit. Man erkennt auch, mit welcher Sorgfalt und Objektivität die Anträge um Beihilfen geprüft wurden. Nicht Namen und Rang waren maßgebend, sondern nur der Wert des eingereichten Arbeitsprojektes. Unter den mit Beihilfen Bedachten finden sich Namen, die bis dahin unbekannt, erst aufgrund der mit Hilfe der Stiftung durchgeführten Arbeiten in den Vordergrund rücken konnten.«, vgl. Seiffert, Die Robert Koch-Stiftung, S. 850f.
infolge der Bombardierung aus. Auch die Geschäftsstelle des eng mit der Stiftung verbundenen Reichstuberkuloseausschusses (RTA) wurde nach Angaben seines Vizepräsidenten Julius Kayser-Petersen (1886–1954) bei dem Angriff völlig zerstört, wobei »nahezu das gesamte Inventar und Aktenmaterial verloren ging«.15
Diese zeitgenössische Feststellung macht die schwierige Quellenbasis für eine seriöse Forschungsarbeit deutlich. Der Kriegsverlust des direkt bei der Stiftung angefallenen Schriftguts erfordert eine Rekonstruktion ihrer Geschichte vor 1945 auf der Basis von Unterlagen anderer Aktenbildner (z. B. Korrespondenzpartner). Zu dieser Ersatzüberlieferung zählt insbesondere das Schriftgut, das in den Preußischen, Reichs- und städtischen Behörden sowie im Preußischen Institut für Infektionskrankheiten, dem späteren Robert Koch-Institut (RKI),16 in Zusammenhang mit der Stiftung angefallen ist. Dieses Material wird heute im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA), im Landesarchiv Berlin (LAB), im Archiv des RKI sowie am Standort Berlin des Bundesarchivs (BArch) verwahrt. Für die Rekonstruktion der Gründungsphase, insbesondere der Spendenakquise für das notwendige Stiftungskapital standen zudem Unterlagen des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes (PAAA) in Berlin, des Instituts für Stadtgeschichte in Frankfurt am Main (ISG), des Stadtarchivs Wuppertal (StAW) des Archivs der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), des Archivs der Humboldt-Universität (HU UA) Berlin sowie der online zugänglichen Hugo Muensterberg Collection17 in der Boston Public Library zur Verfügung.
Da die Akten des in der NS-Zeit eng mit der RKS verbundenen RTA bei dem erwähnten Bombenangriff im November 1943 gleichfalls vernichtet wurden, fielen diese als Ersatzüberlieferung aus. Mit einer aufwändigen Recherche in korrespondierenden Beständen (Reichsversicherungsamt und Deutscher Gemeindetag) ist es jedoch gelungen, die Vorstandsprotokolle des RTA und anderes in der NS-Zeit entstandenes Schriftgut über die RKS zu ermitteln.
Weitere Informationssplitter für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts bieten die unter den Rubriken »Tagesgeschichte«, »Kleine Mitteilungen« etc. veröffentlichten
15 Vgl. Die Arbeit des Reichs-Tuberkulose-Ausschusses im Jahre 1943/44 (Kayser-Petersen), in: BArch R 36/1341; Dr. Mewes an Reichsminister des Innern, 14.8.1944, in: BArch R 96-II/4, Bl. 17.
16 Das heutige RKI wurde 1891 als Königlich Preußisches Institut für Infektionskrankheiten gegründet, um Robert Koch eine eigene Arbeitsstätte zu bieten. 1912 erhielt es den Namenszusatz »Robert Koch«. 1935 wurde es dem RGA unterstellt und 1942 unter dem Namen »Robert Koch-Institut. Reichsanstalt zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten« selbständig. Nach dem Zweiten Weltkrieg fasste man unter seinem Dach zunächst die in Berlin ansässigen früheren Reichsbehörden auf dem Gebiet der Hygiene zusammen, bevor es 1952 dem neugegründeten Bundesgesundheitsamt unterstellt wurde. Seit dessen Auflösung 1994 ist das RKI ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) und »die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention«. Zitat aus »Das Robert Koch-Institut« in: [https://www.rki.de/DE/Content/Institut/ institut_node.html;jsessionid=82902A9B05F1B79A70B062E3CA152642.internet121] (Stand 10.06.2022). Zur Geschichte des RKI vgl. Hinz-Wessels, Das Robert Koch-Institut.
17 Vgl. Massachusetts Collection online [https://www.digitalcommonwealth.org/search?utf8=%E2%9C%93&f%5Bcollection_name_ssim%5D%5B%5D=Hugo+M%C3%BCnsterberg+Collection%2C+1890-1916&f%5Binstitution_name_ssi%5D%5B%5D=Boston+Public+Library&q=Carnegie.] (Stand 10.06.2022). EINLEITUNG
Kurzmeldungen in medizinischen Fachzeitschriften oder in der Tagespresse. Hier erwies sich insbesondere die systematische Auswertung der Deutschen Medizinischen Wochenschrift (DMW) und der Zeitschrift für Tuberkulose (ZfT) als wertvoll.
Gleichwohl bleiben Leerstellen in der Stiftungsgeschichte, die sich nicht mit einem Rückgriff auf korrespondierende Bestände als Ersatzüberlieferung füllen lassen. Dies gilt insbesondere für die Darstellung und Interpretation der Entscheidungsprozesse im Rahmen der Personal- und Förderpolitik des Stiftungsvorstandes.
Im Gegensatz zu der schwierigen Aktenlage bei der Rekonstruktion der Stiftungsgeschichte vor 1945 liegt für die Analyse der RKS nach dem Zweiten Weltkrieg eine vergleichsweise komfortable Quellensituation vor. Die einschlägigen Akten befinden sich zumeist in den Beständen des Bundesministeriums für Gesundheitswesen und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Bundesarchiv (Standort Koblenz) sowie im Unternehmensarchiv der Bayer AG (BAL). Letzteres verwahrt die Unterlagen des »Robert Koch-Stiftung e.V.«, nachdem in den 1960er Jahren aus pekuniären Erwägungen die Transformation der Stiftung in einen Verein erfolgte.
Zur Klärung biographischer Details, unter anderem über die Zugehörigkeit zu NS-Organisationen, konnten zusätzlich Unterlagen der Landesarchive in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Niedersachsen herangezogen werden.
Thematisiert wird die RKS in den Koch-Biographien, die seine Schüler Martin Kirchner (1854–1925) und Bernhard Möllers (1878–1945) sowie der (Ober)-Stabsarzt und spätere zweite Leibarzt des deutschen Kaisers, Karl Wezel (1877–?), vorgelegt haben.18 Diese stützen sich bei der Beschreibung der Gründungsgeschichte im Wesentlichen auf die Stiftungschronik, die der Schriftführer, Julius Schwalbe (1863–1930), für das Goldene Buch der RKS verfasste.19 Ihr Wert als eigenständige Quellen beruht bei den beiden erstgenannten Autoren auf der persönlichen Nähe zu Robert Koch; sie stellen jedoch keine wissenschaftlich fundierte Darstellung und Bewertung der Ereignisse dar. Ähnliches gilt für die 1935 von Ernst Seiffert (1864–1949), einem Mitarbeiter des RTA, in der DMW publizierte Zusammenfassung der Stiftungsgeschichte.20 Während Möllers der Gründungsphase immerhin mehrere Seiten widmet, heißt es in Kirchners Koch-Biographie lapidar:
»Im Jahre 1908 wurde in weiten Kreisen eine Sammlung veranstaltet, um Koch größere Mittel zur Fortsetzung seiner Forschungen zu verschaffen. An ihr beteiligten sich der Kaiser, zahlreiche Städte, Institute, Private, auch der bekannte amerikanische Philanthrop Andrew Carnegie. Mit dem gesammelten Kapital wurde die ›Robert-Koch-Stiftung‹ begründet. Koch wurde zu ihrem ersten Vorsitzenden gewählt und ihm ein Kuratorium zur Seite gestellt. Zweck der Stiftung war die Unterstützung
18 Kirchner, Robert Koch; Möllers, Robert Koch; Wezel, Robert Koch. Die Koch-Biographie von Bruno Heymann (1871–1943), der selbst Fördermittel der RKS erhalten hat, ist nur unvollständig überliefert. Für Kochs Lebensweg nach 1882 liegen lediglich Fragmente vor. Ungeklärt ist, in welchem Umfang Möllers Texte von Heymann für seine Koch-Biographie benutzt hat, vgl. Henneberg/Janitschke/Stürzbecher/Winau (Hg.), Robert Koch II., S. 9–31.
19 Goldenes Buch der Robert-Koch-Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose, in: RKI-Archiv, NL Robert Koch, w2/030.
20 Seiffert, Die Robert Koch-Stiftung, S. 850f. QUELLENLAGE
UND LITERATUR
von Forschungen auf dem Gebiete der Volksseuchen, in erster Linie der Tuberkulose. Die mit Mitteln der Stiftung entstehenden Arbeiten sollten auf deren Kosten veröffentlicht werden. Die Stiftung besteht noch heute trotz der Ungunst der Verhältnisse und hat eine erkleckliche Zahl wertvoller Arbeiten gefördert.«21
Nur knappe Erwähnung – wenn überhaupt – findet die RKS in den publizierten Lebenserinnerungen einzelner Vorstandsmitglieder.22 Die Hoffnung, in diesen privaten Aufzeichnungen eine persönliche Sicht auf die Stiftungsgeschichte und eine individuelle Bewertung ihrer Tätigkeit zu finden, erfüllte sich nicht. Die umfangreiche wissenschaftliche Forschungsliteratur über Robert Koch, über die Bekämpfung der Tuberkulose, über Institutionen und Entwicklungen der Gesundheits- und Wissenschaftspolitik in den verschiedenen historischen Epochen liefert dagegen wichtige Forschungsergebnisse, auf denen diese Studie aufbauen kann.
21 Kirchner, Robert Koch, S. 75.
22 Schmidt-Ott, Erlebtes und Erstrebtes, S. 101: »Eine umfangreiche Tätigkeit fiel mir durch Althoffs Ausscheiden im Bereich der Wohlfahrtsvereine zu […] Nicht minder gehörte ich seit 1907 zum Vorstand des hauptsächlich von Althoff ins Leben gerufenen Auguste-Viktoria-Hauses für Säuglingspflege in Charlottenburg, auf Althoffs Spuren auch zum Krebsforschungskomitee und leitete nach seinem Tode lange die Robert-Koch-Stiftung, die leider der Inflation zum Opfer fiel.« Keine Erwähnung findet die Stiftung dagegen in den Autobiographien Lubarsch, Ein bewegtes Gelehrtenleben; Waldeyer-Hartz. Lebenserinnerungen.
Die Gründung der RKS im Kaiserreich
Am 24. März 1882 hatte Robert Koch in der Sitzung der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin erstmals über seine Versuche zur Klärung der Ätiologie der Tuberkulose und die Identifizierung des Tuberkuloseerregers berichtet.1 Vor allem für seine Tuberkulosearbeiten erhielt er 1905 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie, wenngleich sich die durch seine Entdeckung geschürten Hoffnungen auf eine wirksame Bekämpfung dieser »Menschheitsgeißel« bis dahin nicht erfüllt hatten. Zwei Jahre später wurde der 25. Jahrestag seines weltweit rezipierten Vortrags nicht nur in der medizinischen Fachliteratur, insbesondere durch seine Schüler, ausführlich gewürdigt, 2 sondern auch in der Tagespresse als »ein weltgeschichtlicher Gedenktag« gefeiert. 3 Der Herausgeber der DMW, Julius Schwalbe,4 nahm das Jubiläum zum Anlass, als dauernden Ausdruck der »Dankbarkeit gegen diesen wahren Wohltäter der Menschheit« eine Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose anzuregen. 5 In welcher konkreten Situation Schwalbe diese Idee entwickelt hatte, lässt sich aus dem überlieferten Schriftwechsel nicht rekonstruieren. Der damals 43-jährige Mediziner Schwalbe prägte fast vier Jahrzehnte das Programm des Leipziger Georg Thieme-Verlags und verfasste parallel zahlreiche eigene Beiträge u. a. über das medizinische Frauenstudium oder Ratgeber für die ärztliche Praxis, die auch internationale Beachtung fanden.6 Seit 1894 gab er die DMW heraus, in der Koch wesentliche Ergebnisse seiner Experimente und Forschungsreisen publiziert hatte.7 Von Koch, dem »wichtigsten Autor« der DMW, war Schwalbe »schwärmerisch gefangen« und hielt auch während dessen Expeditionen den Kontakt aufrecht.8
Ab Mitte März 1907 wandte sich Schwalbe in gleichlautenden Schreiben an Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Verwaltung, Militär und Wirtschaft mit der Bitte, einem engeren Komitee zur Vorbereitung einer Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose beizutreten. Mit dieser Stiftung sollte, so Schwalbe, »dem ge-
1 Koch, Die Ätiologie der Tuberkulose.
2 Loeffler, Zum 25jährigen Gedenktage; Frosch, Gedenkschrift.
3 J. K., Ein weltgeschichtlicher Gedenktag, in: Berliner Tageblatt v. 24.3.1907. Die Bedeutung dieses Tages in der weltweiten Tuberkulosebekämpfung setzt sich bis heute fort. Anlässlich der 100. Wiederkehr der Entdeckung des Tuberkulose-Erregers durch Robert Koch führte die International Union against Tuberculosis and Lung Disease 1982 einen alljährlichen Welttuberkulosetag am 24. März ein. Diese Idee wurde 1997 von der WHO aufgegriffen, vgl. Enarson/ Rouillon, Zur Geschichte der Internationalen Union; Raviglione/Rieder, Synergy between government.
4 Zu Schwalbe vgl. Staehr, Spurensuche, S. 48–50; Eckart, Ein Temperament.
5 Kleine Mitteilungen, in: DMW 33 (1907), S. 471.
6 Vgl. z. B. die Buchrezension im JAMA 82 (1924), S. 1463.
7 Dies gilt z. B. für seine Cholera- und Tuberkulinpublikationen. Vgl. auch Gradmann, Die Entdeckung.
8 Staehr, Spurensuche, S. 50.
nialen Meister der Bakteriologie ein sichtbares und dauerndes Zeichen der Anerkennung dargebracht werden, und gleichzeitig soll[te] die Stiftung humanitären Zwecken dienen, indem aus ihren Mitteln die praktischen Bestrebungen der Tuberkulose und dahin zielende wissenschaftliche Arbeiten gefördert werden.«9 Die ersten Adressaten seines Appells, die ihre Unterstützung signalisierten, waren der Präsident des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (KGA), Franz Bumm (1861–1942), der Leiter der Medizinalabteilung im Kriegsministerium, Generalstabsarzt der Armee und Chef des Sanitätskorps, Otto von Schjerning (1853–1921), der Vortragende Rat im Preußischen Kultusministerium, Martin Kirchner (1854–1925) und der Leiter der I. Unterrichtsabteilung im Preußischen Kultusministerium, Friedrich Althoff, die in enger beruflicher und/oder freundschaftlicher Beziehung zu Robert Koch standen.10 Es folgten weitere Bittschreiben, unter anderem an die Koch-Schüler Paul Ehrlich (1854–1915), Georg Gaffky und Friedrich Loeffler (1852–1915) sowie an den Staatssekretär des Innern, Staatsminister Graf Arthur von Posadowsky-Wehner (1845–1932), und den Preußischen Kultusminister Konrad von Studt (1838–1921),11 die gleichfalls sämtlich ihre Zusage gaben.12
9 Schwalbe an Althoff, 16.3.1907, in: GStA PK, VI. HA, NL Althoff, Nr. 342, Bl. 1.
10 Koch pflegte seit seinem Eintritt in das Kaiserliche Gesundheitsamt 1880 enge Beziehungen zum Sanitätskorps. Zum Generalstabsarzt der Armee, Otto Schjerning, unterhielt Koch freundschaftliche Beziehungen. Kirchner galt als »treuer« und »anhänglicher« Schüler Kochs. Althoff war Kochs langjähriger Förderer im Preußischen Kultusministerium. Vgl. u. a. Möllers, Robert Koch, S. 367–402.
11 Schwalbe an Posadowsky-Wehner, 20.3.1907, in: BArch R 1501/111800, Bl. 2; Schwalbe an v. Studt, 22.3.1907, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI. Teil V C Nr. 39, Bd. 1, Bl. 1.
12 Aufruf für die Gründung einer Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose, in: ISG, Magistratsakten, V884 sowie in: StAW, F-VI 132, Bl. 4.
Mit Ausnahme von Schwalbe gehörten die wichtigsten Protagonisten der Stiftungsgründung, die für die Realisierung des Planes zunächst einem vorbereitenden engeren Komitee beitraten, der Reichs- und Preußischen Ministerialbürokratie an. Darüber hinaus zählten zu den ideellen, zum Teil auch finanziellen Unterstützern weitere Männer aus Politik und Verwaltung wie der Berliner Oberbürgermeister Martin Kirschner (1842–1912) oder Mitglieder des Preußischen Landtags und des Reichstags, ferner Vertreter ärztlicher Standesorganisationen und Vereine wie der Vorsitzende des Deutschen Ärztevereinsbundes Karl Löbker (1854–1912) sowie Unternehmer und Mäzene wie Guido Graf Henckel Fürst von Donnersmarck (1830–1916) und Kommerzienrat Eduard Simon (1864–1929). Die Großindustriellen Margarethe Krupp und ihr Schwiegersohn Gustav Krupp von Bohlen und Halbach lehnten zwar aus prinzipiellen Gründen einen Beitritt zum Komitee ab, erklärten sich jedoch zu einer finanziellen Beihilfe bereit.13 In vielen Fällen waren die Unterstützer auch im DZK aktiv.14 Kochs Schüler Georg Gaffky, Friedrich Loeffler und Paul Ehrlich gehörten gleichfalls dem Kreis prominenter Persönlichkeiten an, die den Aufruf des Komitees zur Gründung einer RKS unterzeichneten.15 Der Name eines weiteren renommierten Koch-Schülers und Nobelpreisträgers fehlt an prominenter Stelle16 auf dem Gründungsaufruf: Zwischen Emil von Behring (1854–1917) und Robert Koch war es bereits in den 1890er Jahren aufgrund von Forschungskontroversen und Patentstreitigkeiten zum Zerwürfnis gekommen, das ein herausgehobenes Engagement Behrings für die RKS ausschloss.17 Auch in der breiten Öffent lichkeit war ihr Dissens bekannt, nachdem Behring ausgerechnet an Kochs 63. Geburtstag ihre unterschiedlichen Standpunkte »in brennenden Tuberkulosefragen« ausführlich auf der Titelseite des Berliner Tageblattes erläutert hatte.18
Wenngleich die Stiftungsinitiative von Schwalbe ausgegangen war, stimmte sich dieser bei der weiteren Vorbereitung und der Organisation des Fundraising eng mit »Preußens heimlichen Kultusminister« ab, der im Hintergrund die Fäden zog.19 Es war – auch aus zeitgenössischer Sicht 20 – insbesondere Friedrich Althoff, der unter Ausnutzung seiner zahlreichen Verbindungen als leitender Kultusbeamter durch unermüdliche persönliche Werbung bei möglichen finanziellen Sponsoren und mit seinem unbürokratischen Vorgehen (»System Althoff«) für eine erfolgreiche Kapitalakquise sorgte.21 Die Gründung der RKS erweist sich damit als strategischer Baustein
13 Schwalbe an Althoff, 18.7.1907, 11.10.1907, in: GStA PK, VI. HA, NL Althoff, Nr. 342, Bl. 55f, 71.
14 Vgl. S. 37.
15 Aufruf für die Gründung einer Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose, in: ISG, Magistratsakten, V884, StAW, F-VI 132, Bl. 4.
16 Behrings Name erscheint gemeinsam mit 80 weiteren Namen auf dem Gründungsaufruf unter der Rubrik »Ausserdem haben auf Einladung ihren Beitritt zum Komitee freundlichst zugesagt«.
17 Möllers, Robert Koch, S. 373–377; Kirchner, Robert Koch, S. 77. Zu Behrings Auffassung vgl. Behring, Tuberculoseentstehung; Zeiss/Bieling, Behring, S. 251–410.
18 Emil von Behring, Die Bekämpfung der Tuberkulose, in: Berliner Tageblatt (Abendausgabe) 11.12.1906, Fortsetzung ebd., 12.12.1906.
19 Vgl. hierzu Schriftwechsel Althoff und Schwalbe in: GStA PK, HA VI, NL. Althoff, Nr. 342.
20 Fraenkel, Fr. Althoff.
21 Vgl. hierzu Schriftwechsel zwischen Althoff und Schwalbe, in: GStA PK, HA VI, NL. Althoff,
seines gesamten wissenschaftspolititischen Wirkens, mit dem er auch die Fundamente für die erst nach seinem Tod erfolgte Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft legte. 22 Die RKS profitierte insbesondere von der unter Althoff »in großem Maßstab begonnene[n] Gewinnung privaten Kapitals, unter Gewährung von Mitbestimmungsrechten an die Kapitalgeber«, von seiner Steuerung des »seit der Jahrhundertwende aufblühende[n] private[n] Stiftungswesen[s]«, von seiner Fähigkeit, die »Finanzkraft der großen Städte für die Wissenschaftspflege fruchtbar zu machen« sowie von seiner Begabung, »geeignete Mitarbeiter« zu gewinnen und ein Netz »persönlicher Beziehungen [aufzubauen], das sich schließlich in alle Bereiche der Verwaltung und des öffentlichen Lebens erstreckte«. 23
Mit seinem Engagement für die RKS setzte Althoff zugleich seine bereits in den 1880er Jahren begonnene Förderung von Kochs beruflichen und wissenschaftlichen Interessen fort.24 Nach Einschätzung Martin Kirchners, eines Schülers und langjährigen Weggefährten Robert Kochs, hat »niemand Robert Koch so tatkräftig gefördert« wie der »langjährige geniale Leiter der preußischen Unterrichtsverwaltung«. Trotzdem war das Verhältnis zwischen diesen beiden sehr unterschiedlichen
Nr. 342; Schwalbe an Medizinalrat von Elberfeld, in: StAW, F-VI 132, Bl. 1. Allerdings traf der Spendenappell nicht überall auf vorbehaltslose Zustimmung. Der Oberbürgermeister von Barmen stellte sich auf den Standpunkt, dass »Städte, namentlich diejenigen mit geringerer Finanzkraft, zu den Kosten der Tuberkulosebekämpfung ausserhalb ihres Stadtbezirks nicht herangezogen werden sollten, sondern dass Staatsmittel bereitgestellt werden müssen, soweit die im Wege der Wohltätigkeit aufgebrachten Gelder nicht aufgebracht werden können«, vgl. Oberbürgermeister Barmen an Oberbürgermeister Elberfeld, 25.3.1908, ebd., Bl. 17.
22 Brocke, Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Kaiserreich, S. 120ff.
23 Brocke, Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Kaiserreich, S. 85.
24 Eckart, Friedrich Althoff.
Charakteren gespannt. Koch hielt, wie Kirchner berichtete, Althoff für seinen Gegner.25 Althoff war aber nicht nur ein anhaltender Förderer Kochs, sondern hatte sich in der Vergangenheit auch sehr aktiv für eine organisierte Bekämpfung der Volkskrankheit »Tuberkulose« eingesetzt.26 Die Gründungen des Deutschen Zentralkomitees zur Errichtung von Heilstätten (ab 1906 Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose [DZK]), der Internationalen Vereinigung gegen Tuberkulose (1902) und der Auskunfts- und Fürsorgestellen für die Stadt Berlin und Vororte (1904) gehen wesentlich auf seine Initiative und Unterstützung zurück. 27 Der bereits 68-jährige Althoff engagierte sich zu einem Zeitpunkt für die Gründung der RKS, als sich seine eigene berufliche Karriere dem Ende zuneigte: Nachdem sein Studienfreund und Vorgesetzter von Studt im Juni 1907 als Kultusminister von Ludwig Holle abgelöst worden war, trat Althoff im August 1907 aufgrund gesundheitlicher Probleme und politischer Querelen zurück. 28 Sein Engagement für die RKS setzte er zwar bis kurz vor seinem Tod im Oktober 1908 erfolgreich fort, auf die weitere Entwicklung konnte er jedoch keinen Einfluss mehr nehmen.
Nachdem sich Schwalbe zunächst vergeblich bemüht hatte, den Staatssekretär im Reichsamt des Innern, Graf Arthur von Posadowsky-Wehner, für den Vorsitz des Komitees zu gewinnen, 29 erklärte sich Ende Mai 1907 der preußische Kultusminister von Studt auf Althoffs Drängen hin zur Übernahme dieser Aufgabe bereit, 30 Althoff selbst sollte als sein Stellvertreter fungieren. Ihre Wahl fand auf der konstituierenden Sitzung des Komitees für die Gründung einer RKS am 7. Juni 1907 im Preußischen Kultusministerium statt. 31 Zugleich wurden der Initiator der Stiftung, Schwalbe, zum Schriftführer und der Bankier und Teilhaber des Bankhauses Bleichröder, Generalkonsul Paul Schwabach (1867–1938; ab 1907: von Schwabach), 32 zum Schatzmeister gewählt. 33
Auch von Studt hatte sich in der Vergangenheit für die Tuberkulose-Bekämpfung engagiert und Ende 1903 im Anschluss an eine Studienreise seines Mitarbeiters Martin Kirchner an das von Albert Calmette in Lille errichtete Tuberkulose-Dispensaire in einem Erlass die Gründung von Wohlfahrtsstellen für Lungenkranke in Deutsch-
25 Kirchner, Robert Koch, S. 75–77. Kirchners Einschätzung deckt sich mit überlieferten Äußerungen Kochs: »In Berlin werde ich bedeutende Veränderungen vorfinden. Studt ist weg, Althoff ist fort, hinter dem ich drei Kreuze her mache. Es wäre sehr zu wünschen, daß noch einige Leute des Kultusministerium[s] in der Versenkung verschwinden, damit endlich einmal ein neuer Geist einziehen kann.«, Koch an Gaffky, 9.8.1907, in: RKI-Archiv, NL Robert Koch, as/b2/102.
26 Fraenkel, Fr. Althoff.
27 Leyden, Nachruf; Fraenkel, Fr. Althoff; Reinicke, Tuberkulosefürsorge, S. 83–86, 100f.
28 Die Behörde und ihr höheres Personal, Darstellung, S. 233.
29 Ursächlich hierfür war möglicherweise die Unsicherheit der eigenen politischen Zukunft. Posadowsky-Wehner trat am 24.6.1907 von seinem Amt als Innenstaatssekretär zurück.
30 Vgl. hierzu Schwalbe an Bumm, 1.6.1907, in: BArch R 1501/111800, Bl. 22.
31 Aufzeichnung über die Konstituierende Sitzung des Komitees für die »Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose, in: GStA PK, VI. HA, NL Althoff, Nr. 432, Bl. 17–21; BArch R 1501/111800, Bl. 26. Die Einladung erging durch Schwalbe, vgl. Schwalbe an Althoff, 1.6.1907, in: GStA PK, VI. HA, NL Althoff, Nr. 342, Bl. 7f.
32 Zilch, Schwabach, Paul von.
33 GStA PK, VI. HA, NL. Althoff, Nr. 432, Bl. 23.
Konrad von Studt, ehemaliger preußischer Kultusminister und erster Vorsitzender der RKS, nach 1907 (Fotograf: Nicola Perscheid)
land angeregt. 34 Sein Rücktritt als preußischer Kultusminister am 24. Juni 1907 aus politischen Gründen35 hatte auf den Gründungsprozess der RKS keine Auswirkungen.
Der von Schwalbe dem Komitee in seiner konstituierenden Sitzung vorgelegte Entwurf eines »Aufrufs für eine Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose«36 enthielt noch den Hinweis, die geplante Stiftung wolle Robert Koch ein dauerndes Andenken bewahren und zugleich humanitären Zwecke dienen, indem sie sowohl praktische Bestrebungen als auch wissenschaftliche Arbeiten unterstütze. In der Sitzung nahm das Komitee37 eine Änderung des Stiftungszwecks vor. Dieser lag nun ausdrücklich auf der Förderung von Forschungsarbeiten und sollte »in dieser Weise auch praktischen Bestrebungen zur Bekämpfung der Tuberkulose dienen«. Ferner beschloss das Komitee die Aufnahme von Donatoren bei einer Minimalspende von 10 0 00 M in das die Stiftung verwaltende Kuratorium. Auf Vorschlag Althoffs verständigten sich die Anwesenden, »zunächst einen Fonds von etwa 500 0 00 M zu sammeln durch Eingaben an Seine Majestät den Kaiser und andere Souveräne, durch Gesuche bei den Magistraten großer Städte [und] Einwirkung auf Finanzgrößen« und anschließend mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit, insbesondere an die Ärzteschaft, heranzutreten. 38 Zudem sollte Koch, der sich seit April 1906 auf einer
34 Gottstein/Schloßmann/Teleky (Hg.), Handbuch, S. 264; Reinicke, Tuberkulosefürsorge, S. 184.
35 Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (Hg.), Acta Borussica, Reihe 1, Bd. 9, S. 18, 196.
36 Entwurf Aufruf, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI. Teil V C Ne. 39, Bd. 1, Bl. 19.
37 Aufzeichnung über die Konstituierende Sitzung des Komitees für die »Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose, in: GStA PK, VI. HA, NL Althoff, Nr. 432, Bl. 17–21.
38 Aufzeichnung über die Konstituierende Sitzung des Komitees für die »Robert Koch-Stiftung zur
DIE GRÜNDUNG DER RKS IM KAISERREICH
Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit in Afrika befand und erst im November 1907 wieder in Berlin eintraf, 39 über die Stiftungsgründung informiert und nach »besondere[n] Wünschen« befragt werden.40 Auf die von Schwalbe nach Sese bei Entebbe übermittelten Informationen über die beabsichtigte Stiftungsgründung reagierte er fünf Wochen später sehr erfreut und versprach, »alles, was in meinen Kräften steht, das Werk zu fördern, soll geschehen«.41
Die Umsetzung der vom Gründungskomitee gefassten Beschlüsse zur Spendenakquise zeitigten schnellen Erfolg. Am 26. September 1907 erschien in deutschen Tageszeitungen und anschließend auch in medizinischen Fachblättern der von den Mitgliedern des Komitees und weiteren Aspiranten unterzeichnete Aufruf zur Stiftungsgründung.42 Drei Tage zuvor war der XIV. Internationale Kongress für Hygiene und Demographie in Anwesenheit des Kronprinzen in Berlin eröffnet worden. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung dürfte bewusst gewählt worden sein, bot doch der siebentägige Kongress mit rund 4 000 Teilnehmern schon aufgrund seiner Presseresonanz im In- und Ausland eine passende Bühne, um die Aufmerksamkeit auf die Stiftungspläne zu lenken.43 Parallel wurden rund 16 000 Ärzte und sonstige Privatpersonen direkt angeschrieben, Gesuche an alle deutschen Städte mit mehr als 100 000 Einwohner gerichtet und auf privatem Wege Geldsammlungen durchgeführt.44
In den USA gründete der Präsident der German Medical Society in New York, der 1882 eingewanderte deutsche Chirurg Carl Beck (1856–1911), auf Schwalbes Bitte hin im Oktober 1907 ein Sub-Komitee der RKS zur Einwerbung von Spenden.45 Prominente Mitglieder waren u. a. der deutsche Botschafter in Washington, Hermann Freiherr Speck von Sternburg (1852–1908), der Lehrstuhlinhaber für Pathologie an der Johns Hopkins University, William Henry Welch (1850–1934),46 der zu den ein-
Bekämpfung der Tuberkulose« am 7.6.1907, in: GStA PK, VI. HA, NL Althoff, Nr. 432, Bl. 17–21. Bereits am 30.4.1907 war es zu einer Vorbesprechung gekommen, deren Teilnehmer und Ergebnisse jedoch nicht überliefert sind, vgl. Schwalbe an Kirchner, 10.6.1907, in: ebd., Bl. 23–24.
39 Möllers, Robert Koch, S. 341.
40 Über die von Schwalbe erhaltenen Informationen zeigte sich Koch sehr erfreut, vgl. Koch an Schwalbe, 24.8.1907, in: Möllers, Robert Koch, S. 328f.
41 Koch an Schwalbe, 24.8.1907, in: Möllers, Robert Koch, S. 328f, zitiert nach Goldenem Buch.
42 Vgl. z. B. Aufruf zur Begründung einer Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose, in: Berliner Tageblatt, 26.9.1907, S. 10; Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose, in: Beiträge zur Klinik der Tuberkulose 8 (1907), S. 223.
43 In US-amerikanischen Zeitungen (New York Times, Washington Post, Los Angeles Times) fand der Kongress schon deshalb große Beachtung, weil die USA im Rahmen ihrer Internationalisierungsbestrebungen an einer Ausrichtung des nachfolgenden Kongresses in Washington interessiert war, was auch gelang. Vgl. Herren, Hintertüren zur Macht, S. 432ff.
44 Aufzeichnung über die Sitzung des Komitees am 28.3.1908, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI Teil V C Nr. 39, Bd. 1, Bl. 49; Althoff an Schwalbe (fälschlich in Quellenangabe als Adressat Koch angegeben), 30.10.1907, in: RKI-Archiv, NL Koch, as/b1/135; Schwalbe an Medizinalrat, 28.12.1907, in: StAW-F-VI 132, Bl. 1. Vgl. hierzu auch Schriftwechsel in: ISG, Magistratsakten, V884.
45 Schwalbe an Althoff, 6.11.1907, in: GStA PK, VI. HA, NL Althoff, Nr. 432, Bl. 80–83; Kaiserlich Deutsche Botschaft Washington an Reichskanzler von Bülow (Abschrift), 26.2.1908, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI Teil V C Nr. 39, Bd. 1, Bl. 34.
46 Artikel, William Henry Welch.
flussreichsten Medizinern in den USA zählte, und der langjährige Dekan der Medical School der Universität von Michigan, Victor Vaughan (1851–1929).47 Die größten Einzelsummen stifteten der US-amerikanische Milliardär Andrew Carnegie (500 000 M) und der deutsche Kaiser Wilhelm II. (100 000 M). Weitere hohe Beträge spendeten das DZK, die Stadt Berlin, und der Großindustrielle Guido Graf Henckel Fürst von Donnersmarck (jeweils 50 000 M), ferner die Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning in Höchst als Produzenten der von Koch entwickelten Arzneimittel (25 000 M), der Schwerindustrielle Gustav Krupp von Bohlen und Halbach (15 000 M) sowie die Städte Bremen, Charlottenburg, Breslau, die Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin und Kommerzienrat Eduard Simon (jeweils 10 000 M). Die Donatoren waren teilweise identisch mit den späteren Kapitalgebern für die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft.48 Das finanzielle Engagement für eine RKS galt offensichtlich als prestigeträchtig und war zudem – ausweislich des Gründungsaufrufs – bei einer entsprechenden Großzügigkeit mit einem Kuratoriumssitz verbunden. Im Ausland blieb die Resonanz auf die Stiftungsinitiative abgesehen von Carnegies Großspende verhalten. Spenden im nennenswerten Umfang gingen auf Schüler von Robert Koch zurück: Auf Antrag von Wilhelm Kolle (1868–1935), der 1906 nach vierjähriger Tätigkeit als Abteilungsvorsteher am RKI auf den neuerrichteten Lehrstuhl für Hygiene und Bakteriologie in Bern berufen worden war, stiftete die dortige Medizinische Fakultät 1 000 Franken, worüber sich Koch hoch erfreut
47 Mitglieder des amerikanischen Subkomitees, begründet von Dr. Carl Beck, New York, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI Teil V C Nr. 39, Bd. 1, Bl. 35.
48 Vgl. Brocke, Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, S. 17–162.
Die Firma Leitz (Wetzlar) stellte das Robert Koch gewidmete hunderttausendste Mikroskop auf seinen Wunsch der RKS zur Verfügung, 1909
zeigte, »da sie der Stiftung einen internationalen Charakter verleihen.«49 Eine unter der Ägide von Kochs ehemaligem Schüler Shibasaburō Kitasato (1853–1931) veranstaltete Sammlung unter japanischen Ärzten erbrachte die Spendensumme von 9 500 M. 50 Zudem veranstaltete die Berliner Ärzteschaft nach Kochs Rückkehr von seiner Schlafkrankheit-Expedition im Februar 1908 ein sogenanntes Ehrenkommers. Die Initiative zu dieser Festsitzung ging mutmaßlich auf Schwalbe zurück, der sich hiervon einen Impuls für die Spendenbereitschaft der Berliner Ärzteschaft und medizinischen Vereine versprach.51 In der Tat gab es neben den Großspenden von Millionären, Kommunen und Verbänden eine Vielzahl an Kleinspenden von Einzelpersonen, medizinischen Gesellschaften und Ärztevereinen. Insofern erweist sich die Beschaffung des Stiftungskapitals als ein frühes erfolgreiches Crowdfunding. Die Namen der Spender und die von ihnen gewährten Beträge wurden regelmäßig in der DMW veröffentlicht. Insgesamt konnte die Stiftung dank ihrer mit großem persönlichen Einsatz der Komitee-Mitglieder durchgeführten Spendenkampagne in ihrem ersten Jahresbericht Einnahmen in Höhe von 1 090 432,6 M ausweisen. 52
49 Kronecker an Koch, 26.2.1908, in: HU UA, NL Koch:b1/752; Koch an Kolle, 7.3.1908, zitiert nach Kolle, Robert Koch, S. 65.
50 Kleine Mitteilungen, in: DMW 35 (1909), S. 1025. Die Firma Leitz (Wetzlar) stellte zudem das von ihr gefertigte und Robert Koch gewidmete hunderttausendste Mikroskop im Wert von ca. 2 000 M auf seinen Wunsch der RKS zur Verfügung, ebd.
51 Schwalbe, Der Kommers.
52 Bericht des Schatzmeisters über das erste Jahr vom 1.1.1909 bis 31.3.1910, in: LAB A Pr. Br. Rep 030 Nr. 17546.
Exkurs: US-amerikanische Philanthropie und deutsches Fundraising
Von deutscher Seite blickte man Anfang des 20. Jahrhunderts »mit einer Mischung aus Skepsis und Neid« auf die großzügige finanzielle Unterstützung US-amerikanischer Forschungseinrichtungen durch einheimische Milliardäre wie Andrew Carnegie, John D. Rockefeller oder Leland Stanford. 53 1901 waren das Rockefeller Institute for Medical Research und 1902 die Carnegie Institution of Washington mit jeweils einem Etat im zweistelligen Millionenbereich gegründet worden. 54 Ministerialdirektor Althoff sammelte seit 1903 einschlägige Presseartikel zum US-amerikanischen Mäzenatentum in einer eigens angelegten »Carnegie«-Akte. 55 In dem von privatem Engagement getragenen US-amerikanischen Finanzierungsmodell für Bildungs- und Forschungseinrichtungen sah er ein Vorbild für die Wissenschaftsförderung im Deutschen Reich. Einer seiner wichtigsten Berater, Adolf Harnack (1851–1930, ab 1914: von Harnack), warb 1907 in der von Althoff gegründeten »Internationalen Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik« anlässlich der Einweihung der Carnegie-Stiftungen in Pittsburgh eindringlich für eine Unterstützung von Wissenschaft und Kultur durch langfristiges und nachhaltiges privates Mäzenatentum bereits zu Lebzeiten des Gönners. 56
Die Idee, Carnegies Spendenbereitschaft nicht nur öffentlich als vorbildhaft für finanzkräftige deutsche Unternehmer hervorzuheben, sondern diesen selbst als Kapitalgeber für die RKS zu gewinnen, entstand mutmaßlich im Vorfeld von Carnegies erstem Zusammentreffen mit Kaiser Wilhelm II. im Juni 1907 in Kiel. 57 Diese Begegnung stand in engem Zusammenhang mit Carnegies Weltfriedensmission. 58 Im April 1907 hatte unter seinem Vorsitz in New York der nationale Schiedsgerichtsund Friedenskongress getagt, auf dem sich Carnegie für die Bildung einer Friedensliga auf der nächsten Haager Konferenz im Juni 1907 und für die Gründung eines Völkerbundes ausgesprochen hatte. 59 Auf seinem Weg nach Den Haag traf Carnegie während der Kieler Woche mehrfach mit Kaiser Wilhelm II. zusammen, von dem er sich Unterstützung für seine Friedensbemühungen erhoffte.60
53 Lerg, Universitätsdiplomatie, S. 113f.
54 Frey, Macht und Moral, S. 81.
55 GStA PK, VI. HA, NL Althoff, Nr. 600.
56 Harnack, Andrew Carnegie; Brocke, Im Großbetrieb der Wissenschaft, S. 83.
57 Vgl. Carnegies Beschreibung seines ersten Treffens mit Wilhelm II (»Meeting the German Emperor«), in: Carnegie, Autobiography, S. 366ff.
58 Patterson, Andrew Carnegie’s quest for world peace. Carnegies Friedensmission mündete 1910 in der Gründung der Carnegie Endowment for International Peace, die er mit einem Stiftungskapital von zehn Millionen Dollar ausstattete.
59 Der Friedenskongress in der Carnegie Hall, in: Berliner Tageblatt 16.4.1907.
60 Royal Yachts Unplaced. Tilly X. Captures First Event at Kiel – Carnegie Meets Emperor, in: New York Times, 21.6.1907; Emperor the Host. German Ruler Entertains Distinguished Americans on Yacht, in: New York Times, 22.6.1907.
Vor Carnegies Ankunft in Deutschland hatten die wichtigsten US-amerikanischen Tageszeitungen61 die Nachricht verbreitet, Carnegie werde als Zeichen für die guten Beziehungen zum deutschen Kaiser und zum deutschen Volk während seines Aufenthaltes eine Spende von einer Million Dollar für den Bau einer Bibliothek in Berlin ankündigen. Vor seiner Weiterreise nach Den Haag dementierte Carnegie allerdings entsprechende Berichte, ohne andere Zusagen öffentlich abzugeben. 62 Tatsächlich hatte der – mutmaßlich von Althoff oder von dessen Mitarbeiter Friedrich Schmidt-Ott instruierte – erste Leibarzt des Kaisers, Friedrich Ilberg (1858–1916; ab 1908: von Ilberg), den US-amerikanischen Milliardär während eines gemeinsamen Abendessens beim Kaiser auf eine geplante Ehrung Robert Kochs hingewiesen und von Carnegie augenscheinlich die Zusage einer finanziellen Unterstützung erhalten.63 Dabei ging Carnegie aufgrund von Missverständnisses fälschlich davon aus, seine Spende diene der Stiftung eines Institutes zu Kochs Ehren. 64
61 Carnegie Gift for Berlin, in: The Washington Post, 15.6.1907, S. 3; Berlin Carnegie Library, in: New York Times, 15.6.1907, S. 1.
62 Carnegies denies it, in: Boston Daily Globe, 25.6.1907, S. 7; No Carnegie Library for Berlin, in: New York Times, 25.6.1907, S. 2.
63 Münsterberg an Ludwig Holle, 7.1.1908, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI Teil V C Nr. 39, Bd. 1, Bl. 15–19; Schmidt-Ott an Münsterberg, 5.7.1907, in: Boston Public Library, Hugo Münsterberg Collection: Hochverehrter Gönner! Sie werden sich über mein Telegramm gewundert haben; ich konnte leider im Drange der Geschäfte zu ausführlichem Schreiben nicht kommen. Carnegie ist ja inzwischen in Kiel gewesen und ich hoffe, daß sich dort etwas angebahnt hat, wenigstens hat er sich bereit erklärt, etwas für eine Koch-Stiftung zu tun; weswegen seitens der Stiftung Weiteres eingeleitet wird.
64 Vgl. Carnegie an Münsterberg vom 28.12.1907, in: Boston Public Library, Hugo Münsterberg Collection.
EXKURS: US-AMERIKANISCHE PHILANTHROPIE UND DEUTSCHES FUNDRAISING
Nach Carnegies Rückkehr in die USA blieb dieser jedoch untätig.65 Damit schlug die Stunde des an der Harvard University lehrenden deutschstämmigen Professors für experimentelle Psychologie, Hugo Münsterberg (1863–1916), der mit Carnegie im Austausch über die deutschen Friedensvorstellungen stand.66 Nachdem Münsterberg bereits im Sommer 1907 von Althoffs Mitarbeiter Schmidt-Ott aufgefordert worden war, Carnegie für die RKS zu interessieren, und nachdem Carl Beck nach eigenem vergeblichen Anlauf gleichfalls um sein Tätigwerden gebeten hatte, richtete er im Dezember 1907 ein ausführliches Bittschreiben an Carnegie.67 Dieser gab umgehend vertraulich seine Zusage, machte aber im weiteren Verlauf des Schriftwechsels die Spende davon abhängig, dass auch von deutscher Seite ein namhafter Betrag beigebracht werde.68 Schließlich erklärte er sich bereit, angesichts der bereits in Aussicht gestellten deutschen Spendenbeträge die noch fehlende halbe Million zur Vervollständigung des anvisierten Stiftungskapitals in Höhe von einer Million M zu geben.69 Die zuerst in der deutschsprachigen New Yorker Staatszeitung am 20. Februar 1908 bekannt gegebene Carnegie-Spende erregte auch in der US-amerikanischen Presse
65 Münsterberg an Ludwig Holle, 7.1.1908, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI Teil V C Nr. 39, Bd. 1, Bl. 15–19; Beck an Speck-Sternburg, 7.12.1907 und 19.12.1907, in: PAAA, RAV 292, Nr. 370.
66 Carnegie an Münsterberg, 17. und 20.4.1907, in: Boston Public Library, Hugo Münsterberg Collection; Münsterberg an Holle, 7.1.1908, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI Teil V C Nr. 39, Bd. 1, Bl. 15-19
67 Münsterberg an Speck-Sternburg, 25.12.1907, in: PAAA, RAV 292, Nr. 370.
68 Carnegie an Münsterberg, 4.1.1908, in: Boston Public Library, NL Hugo Münsterberg.
69 Carnegie an Münsterberg, 1.2.1908, in: GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 24524, Bl. 118b; Münsterberg an Holle, 6.2.1908, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI Teil V C Nr. 39, Bd. 1, Bl. 20f; Münsterberg an Speck-Sternburg v. 11.2.1908, in: PAAA, RAV 292, Nr. 370.
DIE GRÜNDUNG DER RKS IM KAISERREICH
Robert und Hedwig Koch in New York, 1908 (Sammlung G. G. Bain)
Aufmerksamkeit.70 In der New York Times erschien die Nachricht sogar auf der Titelseite.71 Die Washington Post meldete zehn Tage später,72 dass sich Koch sehr erfreut und dankbar über die Carnegie-Spende gezeigt habe und hoffe, dass sie der Vorläufer vieler weiterer Beträge sein werde. Die Darstellung, wonach es sich um ein Geschenk Amerikas an Deutschland oder zumindest an die deutsche Wissenschaft handele, wies Koch zurück. Er sei überzeugt, dass Carnegie die Schenkung allein im Interesse des allgemeinen wissenschaftlichen Fortschritts und der Menschheit gemacht habe. Die Stiftung diene auch nicht der Finanzierung seiner persönlichen Forschungsinteressen, sondern sollte die Untersuchungen von ihm ausgewählter Wissenschaftler unterstützen. Er habe der Stiftung lediglich seinen Namen gegeben, weil er »zufällig den Tuberkelbazillus entdeckt habe«.
Die deutsche Öffentlichkeit wurde über die Carnegie-Spende Ende Februar 1908 durch gleichlautende Presseberichte73 informiert, wonach Carnegies Entschluss auf
70 Carnegie Aids Koch Work, in: The Washington Post, 23.2.1908; Carnegie Aids Berlin Institute, in: Chicago Daily Tribune, 23.2.1908. Später auch weltweit, vgl. Mr Andrew Carnegie has given L25,000 to the Robert Koch Fund for the campaign against tuberculosis. The amount collected so far for carrying out research work in connection with the disease amounts of L 40,000, in: The Herald (Melbourne), 1.4.1908.
71 Germany Praises Carnegie. His Gift to Koch Fund Pleases Kaiser and his People, in: NYT, 1.3.1908.
72 Carnegie Gift Pleases Koch. German Professor Hopes Endowment Will Lead to Many Others, in: The Washington Post, 1.3.1908.
73 »Lokales«, in: Berliner Börsen-Zeitung, Abendausgabe, 25.2.1908; »Kunst und Wissenschaft. Carnegies Robert Koch-Spende«, in: Berliner Volks-Zeitung, Abendausgabe, 25.2.1908; »Aus Berlin«, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 26.2.1908. Die Berichte gingen mutmaßlich auf Informationen aus der US-amerikanischen Botschaft zurück.
EXKURS: US-AMERIKANISCHE PHILANTHROPIE UND DEUTSCHES FUNDRAISING
eine Unterredung mit dem Leibarzt des Kaisers anlässlich seines letztjährigen Besuchs in Kiel zurückgehe. Die Vossische Zeitung verband die Meldung mit einer Kritik an der geringen Spendenbereitschaft »deutsche[r] Industriemagnaten und Großkapitalisten«.74 Zugleich erinnerte sie an die erfolgreiche private Sammlung von 2,5 Millionen Francs für die Errichtung des Institut Pasteur in Paris und mahnte, dass »auch in Deutschland eine ähnliche Summe aufzubringen sein« dürfte. Die DMW bemühte sich ebenfalls mit einem Hinweis auf die erfolgreiche Spendenakquise für das Institut Pasteur, die Geberfreudigkeit deutscher Millionäre durch einen Appell an den Nationalstolz, anzustacheln.75
Eine Gelegenheit, Carnegie für seine großzügige Spende persönlich zu danken, ergab sich für Koch kurz darauf während seiner gemeinsam mit seiner Ehefrau Hedwig unternommenen Weltreise, die ihn erstmals in die USA führte. Hier traf der Besuch des neben Pasteur mutmaßlich bekanntesten Mediziners auf ein großes Medienecho.76 Koch übte nicht nur großen Einfluss auf die US-amerikanische Bakteriologie aus, deren Vertreter vielfach bei Koch gelernt hatten,77 sondern war aufgrund seiner spektakulären bakteriologischen Entdeckungen auch in der breiten Öffentlichkeit bekannt. Die Deutsche Medizinische Gesellschaft zu New York richtete am 11. April 1908 zu Ehren Kochs ein Festessen im Waldorf Astoria Hotel aus, an dem neben Carnegie rund 500 US-amerikanische und deutsche Ärzte teilnahmen. Nach Ansprachen, u. a. von William Welch, der zu Beginn seiner Karriere als Pathologe an der Johns Hopkins University Bakteriologie-Kurse bei Robert Koch in Berlin absolviert hatte,78 dankte Koch dem Milliardär für seine Großzügigkeit und verwies auf die großen Erwartungen, die mit der Stiftung verbunden seien. Während die Gründung von Krankenhäusern lediglich lokale Bedeutung habe, suche die RKS nach Wegen, »die der ganzen Menschheit zugute kommen.«79
»In Anbetracht der bedeutsamen Förderung«, die Andrew Carnegie der RKS »durch seine Spende erwiesen hatte«, wurde der US-amerikanische Milliardär in der Vorstandssitzung der RKS am 11. Januar 1909 einstimmig zum Ehrenmitglied gewählt.80 Die Hoffnung, damit sein dauerhaftes Interesse an der Stiftung zu sichern, 81 erfüllte sich augenscheinlich nicht. Eine weitere finanzielle Unterstützung der RKS durch Carnegie ist nicht belegt.
74 Vossische Zeitung, Abendausgabe, 25.2.1908, S. 2.
75 DMW 34 (1908), S. 295. Vgl. auch: Kleine Mitteilungen, in: DMW 34 (1908), S. 160.
76 Bonner, German Doctors in America; Koch’s Visit of Interest to Scientists, in: Chicago Daily Tribune, 6.4.1908; Dr. Koch here to-day. Seeks rest in tour, in: NYT, 7.4.1908; Dr. Koch, Scientist, Here on World Tour, in: NYT, 8.4.1908; Dr. Koch Sightseeing, in: NYT, 10.4.1908; Medical men dine Dr. Koch, in: NYT, 12.4.1908; Banquet to Dr Koch, in: Boston Daily Globe, 8.4.1908.
77 Adler, Robert Koch.
78 Adler, Robert Koch, S. 126ff.
79 Beck, Die Robert Koch-Feier.
80 Goldenes Buch der RKS, in: RKI-Archiv, NL Robert Koch, w2/030.
81 Carnegie’s Honorary Membership in the Robert Koch Foundation, in: JAMA 52 (1909), S. 715.
Satzung und Konstituierung der RKS
Nach einer längeren Diskussion über die künftige Satzung der RKS, an der sich auch Robert Koch beteiligte, 82 beschloss das Komitee die endgültige Fassung am 3. April 1908.83 Am 23. Mai 1908 erteilte Wilhelm II der Stiftung seine landesherrliche Genehmigung, 84 und durch Erlass vom 27. Februar 1909 wurde sie als »milde Stiftung« anerkannt. Zur aufsichtführenden Behörde bestimmte das Preußische Kultusministerium den Polizeipräsidenten von Berlin.85
Die Satzung86 informierte eingangs in §§ 1–3 zunächst über den Anlass der Gründung (Ehrung Kochs anlässlich des 25-jährigen Jubiläums seiner Bekanntgabe der Entdeckung des Tuberkuloseerregers), den Stiftungszweck (Unterstützung wissenschaftlicher Forschungen zur Bekämpfung der Tuberkulose) sowie den Sitz (Berlin) und das Geschäftsjahr (1. April bis 31. März). § 4 regelte die Zusammensetzung des elfköpfigen Vorstands. Als einzige namentlich aufgeführte Person zählte Robert Koch selbst dazu, der zudem berechtigt war, einen Nachfolger zu bestellen, dem dieselben Befugnisse zustanden. Darüber hinaus gehörten dem Vorstand qua Amt oder als entsandte Vertreter an ein vom Kaiser und Preußischen König zu bestimmendes Mitglied, der Präsident des KGA (ab 1918 Reichsgesundheitsamt [RGA]), der Direktor des Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten (RKI), ein Vertreter des DZK, 87 ein Vertreter des Reichsausschusses für das ärztliche Fortbildungswesen, 88 ein Vertreter des Deutschen Ärztevereinsbundes.89
Die Mitglieder acht bis elf sollten von den vorgenannten Vorstandsmitgliedern kooptiert werden. Ferner legte § 5 der Satzung fest, dass durch einstimmigen
82 Schwalbe an Althoff, 8.2.1908, in: BArch R 1501/111800, Bl. 41–43.
83 Althoff an Holle, 17.4.1908, GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI Teil V C Nr 39, Bd. 1, Bl. 52.
84 GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI Teil V C Nr 39, Bd. 1, Bl. 51–52.
85 Polizeipräsident an Vorstand der RKS, 20.11.1909, in: LAB A Pr Br Rep 030 Nr. 17546.
86 Enthalten u. a. in: LAB A Pr Br Rep 030 Nr. 17546; GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI Teil V C Nr 39, Bd. 1, Bl. 57–59.
87 Dies gründete sich auf den mit der beschlossenen Spende von 50 000 M verbundenen Wunsch des Präsidiums des DZK, einen Sitz im Vorstand/Kuratorium der RKS zu erhalten, vgl. Aufzeichnung über die Sitzung des Komitees am 28.3.1908, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Vc Sekt. 1 Tit. XI Teil V C Nr. 39, Bd. 1, Bl. 49.
88 Die Konstituierung des Reichsausschusses für das ärztliche Fortbildungswesen im März 1908 geht auf ein langjähriges Engagement Althoffs für die Professionalisierung und Organisation des ärztlichen Fortbildungswesens zurück, vgl. Eckart, Friedrich Althoff, S. 376–379; Althoff und Koch wurden hierbei in den Ehrenvorstand gewählt. Renvers wurde Vorsitzender, Waldeyer Beisitzer und Kutner Generalsekretär, vgl. Allg. Zeitung v. 17.3.1908; Konstituierende Sitzung des Reichsausschusses für das ärztliche Fortbildungswesen, in Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 5 (1908), S. 217–222.
89 Unter dem Eindruck der Reichsgründung 1871 schlossen sich die bisher weitgehend lokal agierenden Ärztevereine 1873 zum Deutschen Ärztevereinsbund zusammen, um auf diesem Weg eine schlagkräftige Interessensvertretung zu bilden. Vgl. Tauchnitz, Die »Organisierte Gesundheit«, S. 172–182.
Beschluss des Vorstandes »Persönlichkeiten […], welche sich um die Zwecke der Stiftung besonders verdient gemacht haben«, zu Ehrenmitgliedern ernannt werden konnten, die berechtigt waren, »an den Sitzungen des Vorstandes mit vollem Stimmrecht teilzunehmen.«
Die Zusammensetzung spiegelte zum einen die wichtigsten institutionellen Unterstützer der Stiftungsgründung wider; zum anderen stellte sie mit der vorrangigen Berufung von in der Regel medizinisch vorgebildeten Personen die ordnungsgemäße Erledigung der zentralen Aufgabe des Stiftungsvorstandes sicher, nämlich die Beschlussfassung über die Verteilung der Fördermittel. § 6 regelte die Wahl der Ämter innerhalb des Vorstandes (Vorsitzender, Schriftführer, Schatzmeister) und ihrer Stellvertreter durch die Vorstandsmitglieder, die Abstimmungen und die Protokollführung. § 7 sicherte Robert Koch ein Vorgriffsrecht auf die zu vergebenden Fördergelder zu, indem bestimmt wurde, dass ihm »alljährlich vorweg diejenigen Mittel zur Verfügung zu stellen« waren, »welche nach seinem freien Ermessen für die von ihm angeregten oder geleiteten Arbeiten in Anspruch genommen werden sollen«. Die weiteren Paragraphen regelten insbesondere die Anlegung des Stiftungsvermögens, die Nutzung der alljährlich anfallenden Zinsen als zu vergebende Fördermittel, die Möglichkeit, eine Zuwendung unter dem Namen des Spenders als besonderen Fonds im Stiftungsetat zu führen sowie den Eintrag von besonders großzügigen Spendern (ab 25 000 M) ins Goldene Buch der Stiftung. Mit dieser letztgenannten Bestimmung entfernte man sich weit von dem im Gründungsaufruf abgegebenen Versprechen, wonach Spender von mindestens 10 000 M eine besondere Vertretung im Kuratorium erhalten sollten. Die Bildung eines derartigen Stiftungsorgans sah die Satzung nicht vor. Mutmaßlich wollte man den Einfluss von finanzkräftigen Laien auf die Aktivitäten der Stiftung von vornherein minimieren.
Der elfköpfige Gründungsvorstand der Stiftung konstituierte sich am 17. Dezember 1908.90 Neben Robert Koch gehörten ihm an: als Vertreter des Kaisers dessen erster Leibarzt Generalarzt Friedrich von Ilberg, für dessen Berufung sich Althoff im Hintergrund eingesetzt hatte,91 der Präsident des KGA, Franz Bumm, der Direktor des Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten, Georg Gaffky, als Vertreter des DZK, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bernhard Fraenkel (1836–1911), als Vertreter des Reichsausschusses für das ärztliche Fortbildungswesen, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Rudolf von Renvers (1854 –1909), und schließlich als Vertreter des Deutschen Ärztevereinsbundes der Reichstagsabgeordnete der Freisinnigen Volkspartei und Sanitätsrat Dr. Otto Mugdan (1862–1925).92 Zu den kooptierten Vorstandsmitgliedern zählten der frühere preußische Kultusminister 93 von Studt, Althoffs ehemals engster Mitarbeiter und nach dessen Ausscheiden zum Leiter der neugegründeten Abteilung für Kunst und Wissenschaft im Preußischen Kultusministerium ernannte Wirkl. Geh. Ober-Reg.-Rat Dr. Friedrich Schmidt-Ott, der Initiator der Stiftung und Herausgeber der DMW, Julius Schwalbe, sowie Anna vom Rath (1839–1918) dem Vorstand an. Letztere war die Witwe des im Vorjahr verstorbenen Bankiers und Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Bank, Adolph vom Rath (1832–1907), und sowohl für ihr karitatives Engagement als auch als Mitglied der »Berliner Salongesellschaft« bekannt.94 Die Wahl der einzigen Frau, die im 20. Jahrhundert dem Vorstand der RKS angehörte, stand im unmittelbaren Zusammenhang mit der gleichfalls beschlossenen Annahme ihrer Spende in Höhe von 125 000 M. Dieser Betrag sollte als selbständiger »Anna vom Rath Fonds« der RKS angeschlossen werden und der wissenschaftlichen Erforschung der Beziehungen zwischen Ernährung und Tuberkulose dienen.95 Mit diesem Fokus stellte der Fonds eine Ergänzung der Adolph vom Rath-Stiftung dar, die Anna vom Rath im selben Jahr zum Andenken an ihren verstorbenen Ehemann als rechtsfähige Stiftung errichtet und mit einem Kapital von 500 000 M ausgestattet hatte. Zweck der Stiftung war es, »solchen Personen, die an einer tuberkulösen Erkrankung der Lungen gelitten haben oder noch leiden und aus
90 Verwaltungsbericht über das Jahr 1909/10, in: LAB A Pr Br Rep 030 Nr. 17546.
91 Mitte August hatte Althoff Schwalbe wissen lassen, dass er »wegen Ernennung Hrn. v. Ilberg’s in den Vorstand […] die erforderlichen Schritte unter der Hand gethan« habe, vgl. Althoff an Schwalbe, 15.8.1908, in: RKI-Archiv, NL Robert Koch, as/b1/144. Schwalbe an Althoff, 1.9.1908, in: GStA PK, VI. HA, NL Althoff, Nr. 432, Bl. 144.
92 Otto Mugdan (1862–1925): Medizinstudium in Erlangen; 1885 Approbation in Berlin; ab 1892 Mitglied der Ärztekammer für die Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin; Übertritt vom Judentum zum Protestantismus; 1903–1912 Reichstagsabgeordneter der Deutschen Freisinnigen Volkspartei; 1905 Sanitätsrat; 1912–1918 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses; 1905–1925 Mitglied des Geschäftsausschusses des Deutschen Ärztevereinsbundes, Mitglied des Aufsichtsrates des Hartmannbundes; Verfasser verschiedener Schriften zu ärztlichen Standesfragen (Quellen: Tennstedt, Soziale Selbstverwaltung, Bd. 2, S. 89 Fn 11; Hansen/Tennstedt, Biographisches Lexikon, Bd. 1, S. 114f).
93 Am 24.6.1907 Entlassung aus dem Staatsdienst auf Gesuch.
94 Wilhelmy, Der Berliner Salon, S. 291f, 799f; Weiglin, Berlin im Glanz, S. 76–78.
95 Tagesgeschichte, in: DMW 34 (1908), S. 2279–2280. Die Bildung des Anna vom Rath Fonds war das Verdienst von Prof. Dr. med. et phil. Arthur Kayserling, der in der Berliner Tuberkulosefürsorge sehr aktiv war. Er war Schriftführer der Adolph vom Rath-Stiftung und des Vereins für Krankenküchen, vgl. DZK an Delbrück, 2.2.1912, in: BArch R 1501/111776. SATZUNG UND
eigenen Mitteln und in eigenem Haushalt für eine angemessene Ernährung zu sorgen überhaupt nicht oder nur mit Schwierigkeiten im Stande sind, nach ärztlicher Anweisung gesunde und passende Nahrung zu gewähren.«96
Zum Vorsitzenden des Vorstandes wurde von Studt gewählt, der bereits dem Gründungskomitee vorgesessen hatte, während der Vertreter des Reichsausschusses für das ärztliche Fortbildungswesen, Rudolf von Renvers, den stellvertretenden Vorsitz übernahm. Das Amt des Schatzmeisters bekleidete der Vertreter des DZK, Bernhard Fraenkel, als sein Vertreter fungierte der Direktor des Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten, Georg Gaffky.
Julius Schwalbe, der als Initiator der Stiftung bereits in der Vergangenheit die Korrespondenz geführt hatte, wurde zum Schriftführer bestimmt und als sein Vertreter der Repräsentant des Deutschen Ärztevereinsbundes, Otto Mugdan. Schwalbes Wahl zum Schriftführer schlug sich auch im Briefkopf der RKS nieder. Bis zu ihrer Auflösung in der Weimarer Republik firmierte sie unter Schwalbes Privatadresse bzw. unter der Anschrift der DMW, zunächst in »Berlin W., Am Karlsbad 5« und ab 1913 in »Berlin-Charlottenburg 4, Schlüterstraße 53«. Schwalbes Einsatz für die Gründung der RKS veranlasste den Vorsitzenden von Studt bereits im Januar 1909, im Auftrag einiger Vorstandsmitglieder beim Preußischen Kultusminister die Verleihung des 96 Vgl. Adolph vom Rath-Stiftung, in: LAB, A Pr Br Rep 030 Nr. 17538; Kayserling, Die Organisation der Adolph vom Rath-Stiftung. Für ihr gesellschaftliches Engagement erhielt Anna vom Rath mehrere Ehrungen. Ende Februar 1909 besichtigten nacheinander zunächst die Kaiserin und anschließend Robert Koch die Räume der Stiftung, worüber der Reichsanzeiger vermerkte: »Der berühmte Gelehrte bezeichnete diese Wohlfahrtsschöpfung der Frau vom Rath als mustergültig organisiert und als ein wichtiges Glied unter den Tuberkulosefürsorgemaßnahmen.« Vgl. Reichsanzeiger v. 1.3.1909. Möglicherweise wollte sich Koch mit seinem Besuch für die Stiftung des »Anna vom Rath Fonds« bedanken.