RADENSDORF
Thomas Mietk (Hg.) Geschichte(n) eines Spreewalddorfs
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Lektorat: Anika Strehlow, Berlin Satz und Umschlag: typegerecht berlin Schrift: Compatil Pro Druck und Bindung: Finidr, Český Těšín ISBN 978-3-95410-310-2
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Für Florian und MagdalenaALFRED ROGGAN HEINRICH KAAK
Inhalt
THOMAS MIETK
Grußwort 7
Vorwort des Herausgebers 8
Radensdorf im sorbischen/wendischen Siedlungsgebiet und seine bauliche Entwicklung 13
Radensdorf vom Spätmittelalter bis zur Gründung des Kaiserreiches (1425–1871) 35
»Sie arbeiten mit einem Fleiß und einer Ausdauer, die Bewunderung erweckt.«
Radensdorf im Deutschen Reich (1871–1945) 77
THOMAS MIETK
»Dabei werden auch manchmal Genossen zum Saufen verführt.«
Radensdorf in der SBZ und DDR (1945–1989/90) 111
THOMAS MIETK
Aufbruch und Perspektiven – Radensdorf ab 1990 153
THOMAS MIETK
»seines Amtes bei Kirche und Schule nach äußerstem Vermögen jederzeit wahrzunehmen.«
Schulwesen in Radensdorf 179
THOMAS MIETK
Das sündige Dorf – Kriminalgeschichten aus Radensdorf 203
PETER BECKER
Ein Dorf, seine Vereine, seine Macher 213
Anhang 235
Grußwort
Liebe Radensdorfer*innen, Liebe Leser*innen,
Ihr Dorf, unser Ortsteil Radensdorf, blickt auf eine 600-jährige Geschichte zurück und doch ist es die jüngs te Geschichte, welche den Bürger*innen unserer Stadt Lübben in Erinnerung ist: das Jahr 1993, als Radensdorf Teil der Stadt Lübben wurde. Ein Schritt, der mutig und richtig war. Es war kein leichter Prozess mit den befürch teten Unsicherheiten. Und doch war es ein Segen, denn so konnten zahlreiche Vorhaben umgesetzt werden, welche das Leben bereichern. Denken wir da nur an das Dorfge meinschaftshaus, den Dorfplatz oder den Spielplatz.
Diese Maßnahmen sind Beiträge der Zugehörigkeit, der Unterstützung des Dorflebens. Wenn ich Radensdorf besuche, sehe ich stets Bürger*innen, die ihre Geschichte selbst in die Hand nehmen. Wer mit Radensdorfer*innen ins Gespräch kommt, merkt schnell, wie engagiert die Menschen sind. Radensdorf feiert die Feste, wie sie kom men, und das ist auch gut so. Denn Fastnacht, Dorffest, Osterfeuer, Maibaum und Generationssportfest beleben die Gemeinschaft. Besonders erwähnen möchte ich hier die Feuerwehr, den Traditionsverein Radensdorf e. V., den TSV 65 Radensdorf e. V. und die vielen Menschen, welche das gesellschaftliche, traditionsreiche Leben prägen.
Danke an alle Beteiligten und insbesondere an den Herausgeber Thomas Mietk, welche dieses Buch mit viel Recherche und Herzblut möglich gemacht haben.
Und am Ende dieser Publikation steht nicht das Ende der Geschichte, sondern eine belebte Zukunft dank der engagierten Lübbener*innen. Schreiben Sie die Geschich te fort.
Ihr Jens Richter Bürgermeister Stadt Lübben (Spreewald)/Lubin (Błota)
Vorwort des Herausgebers
Werte Leserinnen und Leser, manchmal sind es kleine Dinge, die in die Geschichte eingehen. Als im Jahr 1425 Heynrich von Radamstdorff dem Rat der Stadt Lübben 2 ½ Thaler übertrug, konnte er nicht ahnen, dass gerade der darüber angefertigte Nach weis mehrere hundert Jahre später das älteste schriftli che Zeugnis über Radensdorf darstellt. Es bildet quasi die Grundlage zur Geschichtsschreibung des Ortes. Die kommenden Jahrhunderte wurden für die Dorfbewohner ereignisreich. Sie erlebten die ganze Bandbreite mensch licher Schicksalswege. Neben den Freuden und Anstren gungen des Alltags gehörten auch Kriege und Hunger jahre zu den dunkelsten Kapiteln der Ortsgeschichte. Die Einwohner blickten trotz alledem nach vorn. Immer wieder bauten und gestalteten sie ihr Dorf neu und rich ten bis zum heutigen Tag das gesellschaftliche Leben in Anlehnung an alte Traditionen aus.
Als vor gut zwei Jahren die Idee entstanden ist, die Geschichte, Traditionen und Lebenswege der Radensdor fer für ein breiteres Publikum schriftlich aufzuarbeiten,
war die Fertigstellung ursprünglich für das Jubiläumsjahr 2025 geplant. Das Buch sollte gleichzeitig den Abschluss meiner jährlichen Vortragsreihe zur »Historischen Stun de« bilden. Diese erfreut sich seit nunmehr zehn Jahren unter den Radensdorfern einer regen Zuhörerschaft. Da das Buch nun bereits in diesem Jahr veröffentlicht wird, kann es zum Anlass genommen werden, auf das kommen de Jubiläum einzustimmen
Zunächst danke ich dem Bebra Verlag für die bewähr te Zusammenarbeit bei der Herausgabe des Buches. Es ist der nunmehr zehnte Band in den Einzelveröffentlichun gen des Kreisarchivs Dahme-Spreewald, dessen Gestal tung der Verlag übernahm.
Über all die Jahre, in denen ich mich mit der Orts geschichte auseinandersetzte, erhielt ich von zahlreichen Einwohnerinnen und Einwohnern umfangreiche Doku mente und Fotos zur Auswertung überreicht. Den vielen Leihgebern, die mir in unzähligen Gesprächen die Ra densdorfer Geschichte aus ihrem Blickwinkel heraus er
läuterten, gilt mein aufrichtiger Dank. Allen voran möchte ich hier vier Personen nicht unerwähnt lassen, die mir in den vergangenen Jahrzehnten stets mit Rat und Tat zur Seite standen und mir ihr Wissen weitergaben: Lotte Bu risch, der ehemalige Ortsvorsteher Günter Piesker, Wal ter Piesker und Willi Knobba. Ohne sie wäre das Buch in dieser Form nicht möglich gewesen. Insbesondere Willi Knobba ermunterte (und ermahnte) mich immer wieder, an einem Buch zur Ortsgeschichte weiterzuarbeiten.
Entstehen konnte die vorliegende Publikation nur in Zusammenarbeit mit verschiedenen Personen. Ich freue mich, dass ich mit Prof. Dr. Heinrich Kaak, Dr. Alfred Roggan und Peter Becker drei ausgewiesene Kenner ih res Faches für mein Vorhaben gewinnen konnte. Zu Dank bin ich ebenfalls den Interviewpartnern verpflichtet. Sie erklärten sich allesamt spontan dazu bereit, die von Pe ter Becker so wunderbar aufgearbeiteten Porträts zu ver wirklichen. Damit geben sie dem Buch ihre ganz persön liche Note.
Nicht zuletzt kann so ein Vorhaben nur mit finanzieller Unterstützung umgesetzt werden. Der Landkreis DahmeSpreewald, die Stadt Lübben und der Radensdorfer Orts beirat unter Führung des Ortsbürgermeisters Hans-Jörg Schacht übernahmen dankenswerter Weise den Groß teil der Finanzierung. Eine besondere Freude war es für mich, dass mit der Agrargenossenschaft Radensdorf, der Zahnarztpraxis Dr. Steffen Sternberger und der WEB Windenergie Deutschland GmbH drei mit dem Ort ver bundene Unternehmen das Vorhaben unterstützten und so die Herausgabe ermöglichten.
Meiner Heimatgemeinde und ihren Bewohnerinnen und Bewohnern wünsche ich, dass sie sich ihr Enga gement für Dorf und Gemeinschaft erhalten und an die nächsten Generationen weitergeben.
Thomas MietkRadensdorf im sorbischen/wendischen
Siedlungsgebiet und seine bauliche Entwicklung
ALFRED ROGGANEtwa sechs Kilometer östlich der Stadt Lübben befindet sich der Ort Radensdorf. Seine Lage an einer Umgehungs straße führt dazu, dass er heute nur von außen, nur von der Tangente, wahrgenommen wird und scheinbar wirkt auch das Fehlen eines Herrenhauses, einer Kirche oder eines urwüchsigen Angers wie ein Grund, um nicht abzubiegen bzw. auf eine Besichtigung neugierig zu werden. Dennoch steht die Radensdorfer Gründungs- und Dorfgeschichte sowohl für Typisches wie auch für ziemlich Untypisches einer Brandenburgisch-Niederlausitzer Ortsentwicklung und es sollen nachfolgend die Ortsanlage in spätmittelal terlicher Zeit, die Entwicklungsphasen anhand von Landbzw. Vermessungskarten, die Sozial- und Besitzstruktur nach historischen Aufzeichnungen, die infrastrukturelle Entwicklung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sowie eine Beschreibung von Bauweisen und -typen be trachtet werden.
Der Ort Radensdorf hat eine mindestens seit 1439 be zeugte Zugehörigkeit zur Herrschaft Zauche, jedoch ab 1674 zum Amt Neu Zauche. Dieses wiederum war mit dem Amt Lübben verbunden – sodass der Status eines Amts dorfes als Entwicklungs-Chance gelten kann: Amtsdörfer unterlagen im Normalfall überschaubaren feststehenden Dienste-Verbindlichkeiten, während aus heutiger Sicht
Blockfüll-Scheune (r adensdorfer Hauptstraße 16), 2022.
bei gutsuntertänigen Orten die Belastungen durch adlige Besitzer oft höher, willkürlicher und fast jederzeit änder bar erscheinen.
Der Übergang von der slawischen zur deutsch-dominierten Zeit
Die prähistorische Zeit weist eine hohe Vergleichbarkeit mit anderen Niederlausitzer Regionen auf, denn nach dem Abzug germanischer Stammesgruppen im Zuge der Völkerwanderung war die Region zwischen dem 5. und dem 7. Jahrhundert für ca. 200 Jahre wenig oder gar nicht besiedelt. Etwa im 8. Jahrhundert wanderten slawische Sippenverbände ein, die, wie auch vorangegangene Kul turen, entlang fruchtbarer Flusstäler siedelten. Allerdings blieben sie untereinander durch teils beträchtliche Wald massive wie auch andere naturräumliche Hindernisse getrennt.
Das heutige Lübben, wie auch direkt in der SpreeNiederung liegende Bereiche, zeigt eine über lange Zeit anhaltende Funddichte aus allen Jahrhunderten der sla wischen Präsenz. Doch im Gegensatz dazu weisen weite Landstriche, wie auch die Radensdorfer Orts- und Feld flur, eine archäologische Fundarmut1 auf – hier kann man von einem kaum, weil wirtschaftlich unattraktiv, oder sehr dünn besiedelten Landstrich ausgehen. Anneliese
Siedlungszentren und siedlungsleere Bereiche auf dem Gebiet der späteren Niederlausitz in slawischer Zeit (r adensdorf siehe Kenn zeichnung). Bereiche in Flusstälern waren meist dichter besiedelt als sandige Hochflächen wie um das heutige d orf.
Krenzlin lieferte aufgrund ihrer Forschungen eine Er klärung, die für ganze Teile der heutigen Niederlausitz gilt: Sie war »in mittel- und spätslawischer Zeit so gut wie unbesiedelt […] Erst im 12. und 13. Jahrhundert hat von dem alten slawischen Siedlungsgebiet des LuckauKottbuser Niederlandes eine Ausdehnung der Besiedlung […] langsam stattgefunden. Sie wurde mit der deutschen Kolonisation verstärkt, in der in diesem Gebiet von deut schen Grundherren Slawen angesiedelt wurden, die aus altslawischen Gebieten kamen. Das dürfte frühestens im 13. Jahrhundert gewesen sein.«2
Die in deutscher Zeit angeworbenen bzw. eingewan derten Slawen hatten offenkundig den Übergang von einer Naturgötter-Religion (Polytheismus und Animis mus) zum frühen Christentum bereits vollzogen – offen bleibt die Frage, ob dies vielleicht sogar eine Bedingung der Teilnahme am mittelalterlichen Landesausbau unter deutscher Oberhoheit war und diese wiederum das teils ausgedehnte Fehlen slawischer Kultplätze erklärt.
Derartige Forschungsergebnisse mit Differenzierung nach slawischen Lebens- und Siedlungsformen trotz deut scher Dominanz sind erst in den letzten 50 bis 70 Jahren zunehmend in die Betrachtungen gerückt – noch vor 100 Jahren wirkten dagegen althergebrachte, aber recht ein seitige Stereotype, von denen beispielsweise auch der an erkannte Volkskundler Prof. Dr. Ernst Muka/Arnošt Muka nicht frei war. So führte er 1917 zu Niederlausitzer Bau strukturen aus: »Die Häuser der Wenden und ihrer Nach kommen waren bis in die neueste Zeit meist einstöckig, die fränkischen Wohnhäuser der deutschen Kolonisten aber hatten häufig […] noch ein Obergeschoß.« 3
In spätmittelalterlicher Zeit entstand mit dem Namen »Radmisdorff« ein Wirtschaftsbereich unter deutscher Oberhoheit, mit neuer Infrastruktur und einer Hufenver fassung.4
r adensdorf am Kreuzungspunkt dreier Wege, 1783.
Sage der Lüttgen als Form der Volksfrömmig keit. Niedergeschrieben in der Lauitzer rund schau, 30. März 1957.
Die Ortsanlage in spätmittelalterlicher Zeit –eine »Einreihige Zeile« (›Kurze Gasse‹)
Radensdorf teilt mit vielen anderen Orten das Schicksal eines, gemessen an der Ersterwähnung, sicherlich höhe ren Alters. Die Ersterwähnung erfolgte 1425, doch die Gründung wird vor diesem Datum gewesen sein, da im beschriebenen Zusammenhang ein vorhandener (funkti onierender) Ort als Voraussetzung gilt. Ebenso ist es si cher, dass Rudolf Lehmann mit dem Begriff »Kurze Gas se« für Radensdorf den Terminus der »Einreihigen Zeile« umschreibt, denn zur slawischen Wirtschaftstätigkeit ge hörte unter anderem dieser Siedlungstyp. Die »Einreihige Zeile« 5 wurde nicht nur im südlichen Teil der heutigen Niederlausitz, sondern auch bei den Grabungen im Berg bau-Devastierungsbereich Vetschau-Calau sowohl für die slawische wie auch für die spätmittelalterlich-deutsche Zeit nachgewiesen. Zu diesen Ergebnissen bemerkt Ger traud Eva Schrage: »Durch die in der letzten Zeit durchge
führten Untersuchungen in der Umgebung des Burgwalls von Schönfeld, Krs. Calau, konnte nachgewiesen werden, dass die […] nördliche Vorburg-Siedlung eine längliche Form aufwies, die man wohl mit einer Zeile gleichsetzen kann […] Es konnte wahrscheinlich gemacht werden, dass die Zeile eine Ortsform darstellt, die […] außerdem als Ausgangsform für eine Reihe anderer Ortsformen dienen konnte [und es] ist festzustellen, dass sich diese Ortsform hauptsächlich auf die Grund- und Endmoränenplatten bzw. ihre Ränder beschränkt.«6
Die Zeile war eine für Wirtschafts- und Wohnver hältnisse gleichermaßen praktikable Form, die von »den siedelnden Slawen in frühdeutscher Zeit vornehmlich angelegt wurde […] Die Vorliebe für die Zeile ist wahr scheinlich damit zu erklären, dass bei den siedelnden Slawen die Viehzucht eine größere Rolle spielte als bei den deutschen Siedlern, die stärker auf den Ackerbau ein gestellt waren. Die einfache Zeile ist nämlich immer am Rand der Niederung gelegen, und zwar so, dass die Hin
terhöfe und Gärten weit in die Niederung hineinragen. Diese eichenbestandenen ‚Grashöfe‘ sind den Slawen als Koppeln für das Vieh unentbehrlich gewesen und waren in der ganzen Feldmark die wertvollsten Weidebezirke, da die feuchten unentwässerten Niederungen vorwiegend Sauergräser trugen […] Die einfache Aneinanderreihung der Höfe am Rande der Niederung bot jedem Bauern eine gleich gute Gelegenheit, seinem Hofe einen beliebig lan gen Grashof anzugliedern.«7
Erstaunlicherweise ist, im Gegensatz zu weiteren ähnlichen Dorfanlagen, die Gründungsgeschichte in Radensdorf unvergessen geblieben: Der Ursprungsteil der Siedlung trägt heute noch die Straßenbezeichnung (Altes) »Dorf«. Ebenso deutlich zeigen sich die Ver hältnisse der historischen Zeile mit deren ehemaligen Weidebezirken, die als Wirtschaftsflächen bis zu einem tiefer liegenden Graben reichen und bis heute als Orts rand fungieren – jede Ortserweiterung war aufgrund der Topografie nur in nordöstlicher oder in nordwestlicher Richtung möglich.
das ursprüngliche r adensdorf. unter mittelalterlich-deutscher Herrschaft gründeten angeworbene Slawen ihre typischen d örfer, die »einreihigen Zeilen«: Lange Parzellen wurden von einem etwas tiefer liegenden Fließ begrenzt und boten beste Bedingungen für die Tierhaltung.
Die Dorfentwicklung, belegt durch Vermessungen und Statistiken
In Radensdorf ist die Ortsgröße und nutzbare Feldflur bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges annä hernd gleichgeblieben. Es gab von Anfang an etwa acht bis zehn Gehöfte: Das entsprach einer Bevölkerung von maximal 30 bis 40 Einwohnern – zuzüglich Dienstper sonal. Diese scheinbare Einwohner-Stetigkeit ist jedoch nahezu eine Regel gewesen, da bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts eine Zunahme der Bevölkerung infolge der wiederkehrenden Krankheits- und Seuchenwellen (Pest, aber auch insbesondere Pocken) in vielen Niederlausitzer Dörfern kaum zu verzeichnen gewesen ist. Es gibt sogar Berichte des 16. und 18. Jahrhunderts aus dem kirchli chen Raum, in denen die häufige de facto »Zwei-KinderEhe« der Landbevölkerung (offensichtlich unter Ein rechnung der hohen Kindersterblichkeit) stark kritisiert
Proschim als Musterbeispiel einer slawischen d orfgründung in früher deutscher Zeit. Noch nach 1780 bestand es in der spätmittelalterlichen Form.
wurde. Die Bevölkerungsverluste in der Zeit des Großen Krieges (1618–1648) brachte die Einwohnerschaft auf ei nen Tiefpunkt, der bestenfalls um das oder erst nach dem Jahr 1700 wieder ausgeglichen schien: Radensdorf hatte durch seine direkte Lage an mehreren Wegen stetig unter Truppendurchzügen, Plünderungen und den nachfolgen den Störungen jeder Wirtschaftstätigkeit zu leiden gehabt und der Friedensschluss 1648 kann durchaus als »Stunde Null« des Dorfes bezeichnet werden.8
einer Hüfner- bzw. Bauernfamilie ab. Zu bemerken ist weiterhin, dass innerhalb der Auflistung 10 gelegentlich der Unterschied von Bauern zu Halbbauern mehr im Dienste- und Steuersystem als in gravierenden Besitzun terschieden liegen konnte. Zu Radensdorf gehörten:
Die Sozial- und Besitzstandsgliederung im Dorf
Die dörflichen Rangordnungen gründeten sich seit dem Mittelalter auf dem streng parzellierten Hufenbesitz, die gemeinschaftlich zu nutzende Hutung und den Flurzwang innerhalb der Felderbewirtschaftung. Auch gab es zu al len Zeiten eine dörfliche Selbstverwaltung, in der aber nur Besitzende (Bauern, Kossäten) stimmberechtigt waren. Sie bestimmten beispielsweise über gemeinsame Bau maßnahmen gegen Wasser- und Wildschäden, internen Wegebau sowie über die wichtigen Saat- und Ernteter mine in den einzuhaltenden Notwendigkeiten einer DreiFelder-Wirtschaft.
Die Verhältnisse für die unmittelbar auf den Dreißig jährigen Krieg folgende Zeit waren zwar nicht zu ermit teln, doch führt Rudolf Lehmann verlässliche Gehöftzah len für das Jahr 1708 an: »1708 leben im Ort 6 Bauern / 9 Kossäten / 4 Büdner: 33 Personen zwischen 12 und 60 Jahren.« 9 Zu dieser Zeit hat die ursprüngliche Zeile noch die gesamte Dorfstruktur gebildet und es scheinen die größten Verluste an Menschen und der Infrastruktur, die der Dreißigjährige Krieg hinterließ, im Wesentlichen aus geglichen. In der nachfolgenden Auflistung entsprechen: Bauern=Hüfner, Halbbauern=Kossäten oder Gärtner, während Büdner und Häusler über keinen nennenswerten Landbesitz verfügten, also als Dienstleute oder Handwer ker ihr Auskommen suchten.
Die Größe einer Hufe entsprach in der Region einer Fläche von etwa 8 Hektar; diese sicherte die Ernährung
1718: 4 Hüfner, 8 Kossäten oder Gärtner, 4 Häusler, 1723: 7 Bauern, 9 Kossäten, 4 Büdner, 1791: 2 Bauern, 9 Kossäten, 7 Büdner, 1810: 7 Ganz-Bauern, 9 Ganz- u. 4 Halb-Koss., 22 Häusler/Büdner, 1816: Insgesamt lebten nach den Ermittlungen zur Budarschen Stiftung 280 Personen im Dorf 11 , 1864: 2 Windmühlen sind vorhanden.
Es ist bemerkenswert und zugleich eigentlich unüblich, dass zwischen 1708 und 1810 die Schicht der Bauern we nig Stetigkeit zeigt, während die Zahl der Kossäten/Halb bauern bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine hohe Be ständigkeit aufweist. Die Entwicklung in der Schicht der Bauern ist nicht typisch für Niederlausitzer Dörfer, da ein Wechsel im Sozialrang »Bauer« auch einen erheblichen ge sellschaftlichen wie auch wirtschaftlichen Abstieg bedeu tete. Doch müssten zukünftige detailliertere Untersuchun gen aufzeigen, ob entgegen allgemeinen Definitionen der Besitzstand zwischen Bauern, Halbbauern und Büdnern, analog der Verhältnisse im Burger Oberspreewald, in Ra densdorf tatsächlich nicht sehr bedeutsam war – es wirkte sich in jedem Fall auf den verbrieften Sozialrang aus!12
Weitere nicht recht erklärbare, doch spürbare Um wälzungen erlebte die Radensdorfer Region um das Jahr 1800: Es ist noch nicht die Zeit der Separation13 und den noch wächst die Zahl der Häusler, der Kleinbesitzer, bis 1810 auf 22 Wirtschaften an – sie dominieren erstmals in der Anzahl über die der Bauern und Halbbauern. Ver mutlich ist u. a. ein gesteigerter Bedarf an Arbeitskräf ten (Dienstleute, Handwerker) durch das nahe »Lübbener Raths-Vorwerk«, die Forstwirtschaft, eine nahe gelegene Schäferei und zwei erbaute Mühlen entstanden, während der Torf-Abbau keine große Rolle spielt.
d er Familienname Wugler ist der älteste nachweisbare Familienname im o rt. im a ugust 1500 wird ein » c lawß Vgler von r admentstorff« genannt.
ehemaliger Wugler-Hof (d orf 11). ein Gehöft behielt traditionell den Namen des ersten Besitzers. Wurde es verkauft oder an eine Tochter vererbt, wurden die neuen Besitzer nach dem Gehöft benannt. d er letzte Wugler starb 1801 auf diesem Gehöft. Noch heute werden die jeweiligen Besitzer umgangssprachlich »Wugler’s« genannt.
Eine weitere Abrundung der Infrastruktur stellt sich zu dieser Zeit mit der Einrichtung eines Begräbnisplatzes ein. Bis dato galt der Friedhof der Lübbener Wendischen Kirche als Bestattungsort für alle eingepfarrten Orte, doch in Umsetzung der preußischen Regierungsverord
Grundstück von Wilhelmine Wugler (1878–1928), r adensdorfer Haupt straße 77. Mit ihr starb der Name »Wugler« im o rt aus. o bwohl sich der Name auf diesem Grundstück weitaus länger hielt, wird er bis heute nicht mit ihm in Verbindung gebracht.
nung vom 20. Mai 1814 war jeder Transport eines Verstor benen über eine preußische Meile hinaus verboten wor den. So wurden damals in vielen Ortschaften kommunale bzw. kirchliche Friedhöfe eingerichtet.
die letzten ihres Stan des. die jahrhunderte alten Handwerkstraditi onen des Korbflechtens und Besenbindens werden durch Günter Kuhring und Walter Piesker gepflegt.
r adensdorf, 1843. das » a lte d orf« hat einen kompletten neuen Scheunenkranz und jegliche SiedlungsNeubebauung wurde umfassend davon nörd lich liegend entwickelt. etwas entfernt liegt der Begräbnisplatz; zwei runde Katasterstücke daneben zeigen die Mühlen.
r adensdorf zum a bschluss der Separation, 1864. das d orf hat seine Feldflur abschließend neu geordnet.
In der Zeit bzw. zum Ende der Napoleonischen Kriege traten in der Folge der Bauernbefreiung auch in Radens dorf im neuen Maß ganzjährige Tierhaltung und eine ge steigerte Vorratswirtschaft auf. Infolge dieser erweiterten Prozesse wurden andere Bauwerke nötig und so findet sich ein beachtlicher »Scheunenkranz« am südlichen Zei lenrand errichtet. Wegen der erheblichen Brandgefahren befanden sich diese Bauten in einem Sicherheitsabstand, der den Scheunen den Charakter des namengebenden »Kranzes« verleiht. Solche städtebaulichen Elemente prägten von nun an Radensdorf, wie auch andere Dörfer der Niederlausitz.
Die nachfolgende Separation – die in Preußen zwi schen 1820 und etwa 1860 vorgenommenen Gemein heitsteilungen zur Beseitigung der alten schmalstreifigen Gewanngliederungen und der Aufteilung der historischen Gemeindehutungen – erbrachte neue Maßstäbe für eine ertragsorientierte Land-, Forst- und Fischwirtschaft. Er
weiterte Haus-, Stall- und Scheunenformen waren u. a. eine Reaktion darauf. »Modernere« Verdingungen und Anstellungsverhältnisse boten zusätzliche Wirtschaftsim pulse für viele Familien, die bisher nicht zu den Besitzen den bzw. Kleinbesitzenden gehörten. Die sich ergebenen finanziellen Möglichkeiten begünstigten eine erneute Bautätigkeit im Privaten wie auch im öffentlichen Bereich.
Die Ortsentwicklung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Der Kunststraßenbau
Wenige Jahre nach der Separation wurde seitens der Lan des- und Kreisbehörden ein neues Großvorhaben in Gang gesetzt – der Kunststraßenbau. Bis zu deren Fertigstellun gen zeigten sich nahezu überall die normalen Straßen au ßerhalb von Ortschaften seit Jahrhunderten als mehrglei sige, teils ausufernde Sandbahnen, die pflichtgemäß im Rahmen zu erbringender Dienste von den Bewohnern an liegender Orte zu reparieren bzw. auszubessern waren.14 Es traf vielfach zu, »daß die Wege im Frühjahr und im Spätherbste gar nicht befahrbar sind« und »nur im Som mer seien so wie überall auch die hiesigen Straßen gut.«15 Doch lagen die Probleme des Niederlausitzer außerörtli chen Straßennetzes noch auf einer ganz anderen Ebene. Der ausgewiesene Kenner Niederlausitzer Verhältnisse, Dr. Rudolf Lehmann, beschreibt die lausitzischen Ver kehrsverhältnisse vor und nach der 1815 erfolgten Ein gliederung in den preußischen Staatsverband wie folgt: »Im Wiener Frieden vom 18. Mai 1815 war neben anderen sächsischen Gebieten auch das Markgraftum Niederlau sitz an Preußen abgetreten worden […] Die Hoffnungen der Niederlausitzer, mit Berlin durch eine Chaussee ver bunden zu werden und eine weitere in der Richtung von Leipzig nach Frankfurt, dem Sitz der Regierung und des Oberlandsgerichts, zu erhalten, erfüllten sich nicht. So war aller Verkehr mit den übrigen Provinzen des preußi schen Staates aus der Niederlausitz hinausverlegt […] Zu
danksagung
erhebung
dem Verlust, der das Land 1815 durch die Aufhebung al ler einheimischen höheren Behörden betroffen hatte, kam jetzt der Verlust in der Verkehrsbedeutung. Etwa 35 Jahre nach der Angliederung an Preußen, also etwa bis zum Anfang der 1850-er Jahre, war außer der Berlin-Görlitzer Straße nur die Strecke Guben-Cottbus nahezu vollendet. Für Städte wie Lübben, Lieberose aber auch Calau, Senf tenberg und Finsterwalde bestand noch keine Aussicht, an das neue Straßensystem angeschlossen zu werden.«16
Diese Situation veranlasste zur bzw. nach der Mitte des 19. Jahrhunderts viele Kreise, so auch Lübben und Beeskow-Storkow, eigenständig das Planen wie auch Bau en von Kreisstraßen anzugehen. Um im Zuge der Geneh migungen durch die Königliche Regierung zu Frankfurt/ Oder mögliche staatliche Förderungen zu bekommen, wur den die Planungen als Allwetterstraßen, als »Kunststraßen mit Grundbau aus größeren und Deckbau aus kleineren Steinstücken«17 vorgenommen. So lag auch durch den Lübbener Kreistag ein Beschluss vor, der in den Jahren
von 1867 bis 1869 zum Straßenbau von Lübben in Rich tung Straupitz, Lamsfeld und Lieberose führte.18 Diese mit Straßenbäumen versehene Chaussee führte von West nach Ost gehend, direkt durch den Ort, heute als »Radensdorfer Hauptstraße« bezeichnet. Damit war der Ort, wie auch an dere Gemeinden, ganzjährig gut erreichbar geworden – an und für sich begann damit die »Moderne Zeit«.
Zur Tilgung von Baukrediten und für die Instandhal tung wurden für eine gewisse Zeit von allen Nutzern der Chausseen Gebühren erhoben. Als Einrichtungen dafür wurden »Chausseegeld-Hebestellen« (Chausseehäuser) errichtet; heute als Straßenhäuser und sogar irreführend als »Zollstationen« bezeichnet. Der Abstand zwischen den Chausseehäusern konnte eine, seltener zwei Preußische Meilen (7,5 bzw. 15 Kilometer) betragen. Hier wohnte das nötige Personal, wie beispielsweise die »Vereidigten Auf seher und Gebühren-Einnehmer.«19
In diesem Zusammenhang wurden wiederum Ar beitskräfte benötigt und es kam vermutlich zu weiteren
r adensdorf, 1901: die Kreisstraße von 1867 erschließt den o rt und die Spreewaldbahn mit ihrem östlich des d orfes liegenden Bahnhof ermög licht den Personen- und Güterverkehr in bisher ungeahntem umfang.
gebenden Märkten, insbesondere in Lübben und Strau pitz. Auch wenn diese Dimension einerseits im Absatz von Tierhaltungs-, Garten- und Feldprodukten wirtschaftlich bedeutsam wurde, so waren doch andererseits für Ein wohner auch entferntere Arbeitsstellen gut erreichbar ge worden, d. h. ein fast typischer Arbeitskräftemangel bei insgesamt angezogenen Entlohnungen war eine weitere Folge.
Ansiedlungen in Radensdorf. Wahrscheinlich begann die Bebauung des Areals westlich vom Weg Dorf–Friedhof und nördlich der Kreisstraße in dieser Zeit mit den kleine ren Gehöften, in denen Familien wohnten, die Landwirt schaft nur noch im Nebenerwerb betrieben.
Doch übertraf eine Infrastrukturmaßnahme noch die Bedeutung des Straßenbaus – die Einrichtung der Lüb bener Kreisbahn, später nur noch »Spreewaldbahn« ge nannt.
Die Kleinbahn, genannt Spreewaldbahn
Im Jahre 1898 wurde die Spreewaldbahn in Betrieb ge nommen, auch wenn einige Teilbereiche bzw. Bahn- und Betriebsbauwerke noch nicht fertig gestellt waren. Die für Radensdorf gewählte Trasse bildete sichtbar von nun an den nördlichen Ortsabschluss – eine strukturelle Grenze, die sich auch nach der Einstellung des Bahnbetriebs in den 1970/80er Jahren bis heute im Grunde genommen in der Lage der Umgehungsstraße bewahrt findet.
Mit der Eisenbahn begann im größeren Umfang ein bilateraler Austausch zwischen Radensdorf und den um
Das Erscheinungsbild von Radensdorf wie auch wei terer in Bahnnähe liegender Ortschaften nahm neue Prä gungen an, denn durch die Eisenbahn konnten Baumate rialien leicht und preiswert angeliefert werden: So wurde im Bereich des Spreewaldes beispielsweise in größeren Mengen englischer Schiefer verarbeitet, der trotz Schiffs transport via Hamburg/Goyatz–Hoffnungsbay immer noch billiger als der deutsche Schiefer, z. B. aus der Ei fel, blieb. Mit der Bahnlinie kamen auch strapazierfähige Entwicklungen, wie der sogenannte »Holz-Beton« (heute würde man es als Asbestprodukt bezeichnen) in die Re gion. Dieser relativ leichte und haltbare Baustoff begann seit Anfang der 1920er Jahre in seiner rhombischen plat tenartigen Verarbeitung viele Dächer im gesamten Spree waldbereich zu prägen. Weiterhin trat für einheimische Ziegeleien ein ungeahnter Absatz, aber auch Konkurrenz kampf nach Preis und Qualität ein: Der Burger Bahnhof wurde beispielsweise fast vollständig mit Bausteinen aus den (an einer Bahnstrecke liegenden) Ziegeleien bei Hal be errichtet, während gleichzeitig im Burger Bahnhofsbe reich Werbung für Ziegel aus den Lieberoser Ziegeleien gemacht wurde.
Die Spreewaldbahn brachte für Radensdorf nicht nur Prestige und neue anspruchsvolle Arbeitsplätze, sondern durch preiswerte Material-Antransporte Modernisie rungen und Überprägungen im Ortsbild. Zu dieser Zeit stellte sich für so manchen Einwohner die Frage: Warum ein altes Fachwerk-Wohnhaus erhalten, wenn unter den geänderten Bedingungen und den gestiegenen Einkom mensverhältnissen endlich »modern und stolz« im Stile der neuen Zeit gebaut werden kann?
Historische Bauten und Baustoffe im Radensdorfer Ortsbild
Das alte Lübbener Kreisgebiet ist seit dem späten 18. Jahr hundert in Bezug auf Wohnbauten dem Fachwerk-Bereich zuzurechnen. Ähnlich dem heutigen Landkreis Elbe-Els ter finden sich in der ganzen Region Fachwerkbauten, die teils ein hohes Alter aufweisen. Bei diesen alten Bauten zeichneten sich beispielsweise deutliche Drempel-LagerZonen und ebenso die Deckenbalkenenden in den Außen wand-Gefügen ab. Im Vergleich der Grundrisse zeigen sich jedoch keine nennenswerten Unterschiede zwischen Lausitzer Block- und Fachwerk-Wohnhäusern: Sie dienten beide, trotz äußerlicher Unterschiede, den gleichen bäu erlichen Nutzungsprinzipien.
Interessanterweise ist die alte Blockwerk-Konstruk tion von deutschen Wissenschaftlern und Denkmalpflegern noch um 1900 als Ausdruck wendischer Bautraditionen (!) bezeichnet worden. So schreibt der preußische Pro vinzialkonservator Theodor Goecke 1917 über den alten Luckauer Kreis: »Neben dem Bauernhaus aus Fachwerk haben sich noch verschiedene, auf wendische Vorbilder zurückgehende Blockhäuser herübergerettet.«20
Auch wenn Block- oder Fachwerkbauten heute kaum noch in größerem Maßstab die Orte der Lübbener Regi on prägen, geben Wissenschaftler wie Frank Delitz oder Klaus Schmidt Hinweise für die ehemalige Dominanz: »Rückschlüsse auf die ehemalige Verbreitung der Holz bauweise gestatten heute in vielen Fällen nur die in grö ßerer Anzahl vorhandenen Block- [bzw. Blockfüll-] Scheu nen. Als bisher kaum angetastete Überbleibsel der alten dörflichen Architektur stellen sie die letzten überlebenden Zeugen einer [fast] erloschenen Kultur dar.« 21 So stellen sich in Bezug auf alte wendische Holzbautraditionen tat sächlich manche Scheunen als wichtige Zeugnisse he raus: »In der Niederlausitz, die bis 1815 sächsisch war, findet sich […] eine sehr eigene Scheunenarchitektur. Diese ist im Allgemeinen von einer großzügigeren Ver wendung von Holz in den unterschiedlichsten Verarbei tungsformen geprägt. So wurde an den Außenwänden die
untere Gefachreihe ausgeblockt.«22 Diese Bauformen der Kombination von Block- und Fachwerk werden heute als »Blockfüllwerk« bezeichnet.
Allgemein gilt (Ausnahme Byhleguhre/Neu-Byhleg uhre), dass seit dem Ende des 18. Jahrhunderts eine Grenzlinie von Block- zu Fachwerkbauten innerhalb der Wohnhauslandschaft des alten Lübbener Kreises fest zustellen ist, die annähernd dem Verlauf der südlichen Kreisgrenze entspricht. Westlich der Linie Straupitz–Go yatz beherrschten ebenso seit dem späten 18. Jahrhun dert Wohn-Fachwerkbauten (Beispiele Hartmannsdorf 23 , Schlepzig, Kuschkow, aber auch Radensdorf) die Ortsbil der. Allerdings waren beim Scheunenbau in weiten Teilen des Kreises alte erprobte Kostruktionen, oft als Kombina tion von Block- und Fachwerk (Blockfüllwerk), weiterhin üblich.
Von allen Bautypen, die für Wohn-Architekturen be stimmter Zeiten stehen, sind heute in Radensdorf nur noch Beispiele aus der zweiten Hälfte des 19. und des 20. Jahrhunderts präsent. Die erhebliche Hauserneuerungs rate seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeugt sogar von stetig angewachsenem Wohlstand. So steht die Abfolge von Holz- zum Massivbau zwar für die örtlichen Wohnbauten, jedoch weisen im Dorf die Wirtschaftsbau ten noch eine größere Vielfalt auf. 24
Die Blockfüllkonstruktion in Scheunen In Radensdorf hat sich das sogenannte »Blockfüllwerk« im Scheunenbau zwar nicht in der historischen »Zeile« er halten, doch im nördlich anschließenden Bereich der ers ten großen Ortserweiterung ist ein Bauwerk aus der Zeit um 1810/20 zu finden. Dieses ist sogar auf allen Ortsver messungen abgebildet, so auch auf dem ältesten Ortsplan von 1843. Eine weitere Scheune gleicher Bauart ist durch ein Foto dokumentiert – hier ist sogar noch ein altes Zei chen aus der Volksfrömmigkeit, eine Giebelverzierung in Form eines gekreuzten tierischen Motivs, dokumentiert.25
Die Blockfüll-Scheunen sind ursprünglich in den obe ren Gefachen mit Lehmstak versehen worden und weisen stets im unteren bodennahen Gefach ein eingeschobenes
Blockfüll-Scheune (r adensdorfer Hauptstraße 17) des 19. Jahrhunderts mit einem Tiermotiv, einem alten Schutzzeichen aus der Volksfrömmig keit, als Giebelverzier, 1955. 1975 abgebrannt.
Zwei große einfahrten zeugen von ertragreicher Landwirtschaft. Blockfüll-Scheune (r adensdorfer Hauptstraße 16), 2022.
die Lagerung auf Naturstein bot Wasser keine a ngriffsfläche und sicherte so die Langlebigkeit der Holzkonstruktion.
Blockwerk auf. Es wird angenommen, dass solche Block füllkonstruktionen, egal ob nur im unteren oder in allen Gefachen vorhanden, besser und verformungsfreier Lasten aus landwirtschaftlichen Stapel- wie auch Schüttgütern aufnahmen, wohl auch guten Schutz gegen Schädlinge (Mäuse usw.) boten und aktiver die Trocknungsprozesse begünstigten. Manche dieser Bauten kannten sogar Die len als Schutz gegen Bodennässe.
Galerie-Stall (r adensdorfer Hauptstraße 18), ende der 1980er Jahre. d er alte Stallteil ist mit Ziegel erneuert worden, das o bergeschoss zeigt sich in Fachwerk mit einer (Trocknungs-)Galerie. erst auf den zweiten Blick fallen die schön verzierten Verbretterungen an den Traufen auf.
Eine heutige Seltenheit – der Fachwerk-Galeriestall
Diese Bauwerke waren zwischen dem Fläming bis hin zum Jüterboger Bereich, der westlichen, mittleren und nördlichen Niederlausitz (Beispiel in Goschen bei Lie berose) ursprünglich nicht selten gewesen. Sie standen sowohl in Dörfern wie auch in Ackerbürgerstädten (Bei spiel Lieberose), doch es führten Abbrüche wegen schein barem Nicht-mehr-Bedarf oder die Folgen von nicht ma terialgerechten »Sanierungen« der Stall-Ebenen zum Schwinden des Bestandes. Denn naturgemäß unterlagen die Stallebenen einer recht hohen Abnutzung, während die oberen Fachwerk-Ebenen mit den Trockengalerien und Lagerzonen kaum Verschleiß kannten: Im Regelfall wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entweder eine »Modernisierung« durch Abbruch oder im Bereich der Ställe eine Auswechselung der Fachwerk- gegen Zie gelsteinsubstanz durchgeführt.
So zeigt sich bei dem nur noch durch ein Foto überlie ferten Radensdorfer Beispiel, dass bei der Versteinerung des Untergeschosses keine kraftschlüssig ausgebildeten Lastabführungen aus dem Fachwerk-Galeriebereich vor genommen wurden – diese wären nötig gewesen, um den Dachschub und die Tritt-Lasten aufzunehmen. Die Folge bestand aus unkontrollierten Absenkungen und nachfol gendem Abbruch.
d er a bbruch eines ehemals stolzen und wichtigen Wirtschaftsbaus, wie dem Galerie-Stall, ist immer ein trauriger a nblick, 1986.
erhaltene inschrift zum Bau der Scheune von c hristian Bogott (d orf 5). in diesen sehr frühen Wirtschaftsbau »signierte« der Zimmermann den Bauherrn und die Bauzeit 1718. die Scheune wurde 1948 durch einen Neubau ersetzt.
Ein Unterschied fällt bei den erwähnten Niederlausit zer Galerie-Ställen in Hinsicht auf ähnliche Bauwerke des Kern-Spreewaldes auf: Sie verzichten in den Brüstungen auf die Verwendung von oft kultisch gedeuteten Glücksund Segenssymbolen, den sogenannten »Andreaskreu zen«, und werden nur über eingefügte gerade Ständer getragen.26
Die Fachwerk-Wohnbauten
Die Ermittlungen zur Holzbaugeschichte in den ländli chen Bereichen der alten Niederlausitz haben ergeben, dass der Grundsatz, wonach Fachwerkbauweisen den Blockbaukonstruktionen folgten, nicht für alle Bereiche der Niederlausitz Geltung hat. Auch wenn sich im 19. Jahrhundert immer deutlicher ein Bauholzmangel bzw. differenziertere Anforderungen an Baumaterialien in Hinsicht auf Funktionalität wie auch Brandschutz zeigten, hat jedoch die nordwestliche Niederlausitz in Bezug auf Holzbauweisen eine geteilte Tradition – es zeigen sich in den Fläming- und alten Krummspreeischen Bereichen des heutigen Kreises Dahme-Spreewald wirklich alte Fach werkbauten. So schätzt das Landesdenkmalamt (BLDAM) ein: »In den Dörfern sind eine Reihe von Fachwerkbau ten des 18. Jh. erhalten geblieben, hingegen keine Block bauten. Das Mitteldeutsche Ernhaus – ein traufseitig er schlossenes, quergegliedertes Haus mit durchgehendem Flur, das zumeist Wohn- und Stallzone vereinte – stellte den am stärksten verbreiteten Haustyp dar.« 27 Der be schriebene Grundriss ist sogar bei späteren Steinbauten beibehalten worden. Doch besteht die Besonderheit der alten Fachwerk-Konstruktionen oft in einer ausgeprägten Drempel-Lösung, die für die Lagerung landwirtschaftli cher Produkte und saisonal benötigter Werkzeuge gute Bedingung bot.
Drei aufschlussreiche Fotokopien aus dem »histori schen Radensdorf« zeigen Fachwerk-Wohnbauten, die in ihrer Art für die Fachwerk-Praxis des gesamten 19. Jahrhunderts stehen. Das älteste Beispiel zeigt ein um 1800 errichtetes Haus mit einer ausgeprägten DrempelLagerzone und den sich deutlich markierenden Enden
ehemaliges Fachwerkhaus (r adensdorfer Hauptstraße 78) aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. e s gehörte zum Typ eines d oppelstubenhauses. die dachverformungen weisen auf originale und relativ weite Sparren abstände hin, die auf eine ehemalige rogosch- d eckung schließen lassen.
ein Fachwerkbau, der kurz nach 1850 entstand (r adensdorfer Haupt straße 71). ursprünglich trug er ein rogosch- dach (sichtbar an leichten dachverformungen wegen großer Sparrenabstände). 2020/21 abgeris sen.
Ältestes Wohnhaus des o rtes (d orf 6). ein stilvoller Fachwerkbau mit originaler d rempel-Zone, erbaut um 1800. die dachschräge ist als Hartdach konzipiert und das kleine Fenster (links) weist auf eine Teilun terkellerung hin.
Fachwerkhaus aus dem Jahr 1845 (r adensdorfer Hauptstraße 63). dieser Bau ist mit gut sicht barer Baugeschichte ausgestattet: ein im oberen Giebel in Streben eingefügtes sogenanntes » a ndreas-Kreuz« gilt als Glücks- und Segenszei chen. d er Bau ist auffal lend großzügig mehr als halb unterkellert. eine a nfügung des späten 19. Jahrhunderts stellen die letzten drei Gefache dar. Sie blieben aus der alten unterkellerung ausgeklammert.
der Deckenbalken im Gefüge, während ein weiteres ohne Drempel-Ausbildung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun dert sowie ein drittes Gebäude erst nach 1850 errichtet wurde. So zeichneten sich auch Besitzunterschiede in den verschiedenen Fachwerk-Ausführungen ab.
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhundert hat in Radens dorf zur Dominanz von Wohn-Steinbauten und damit zum Abbruch vieler Fachwerk-Bauten geführt; daher ist die Fachwerk-Baupraxis aktuell nur noch in einigen Wirt schaftsgebäuden zu erleben.
Die Backstein- bzw. Hartbrandstein-Wohnbauten Diese Bauten wurden über Jahrzehnte in ähnlicher Art errichtet, die älteren stammen oft noch aus dem späten 19. Jahrhundert. Sie behielten, wie bereits gesagt, den bewährten Grundriss früherer Fachwerkhäuser bei: Ein traufseitig erschlossenes, quergegliedertes Haus (Ern haus) mit durchgehendem Flur, von dem zu einer Sei te Stube und Kammer abgingen, während die andere Flurseite nicht immer zu Wohn- sondern oft zu Lager- und Vorratsräumen führte. Im Normalfall wiesen diese Häu ser eine Teilunterkellerung auf und die Bewohner betrie ben Landwirtschaft nur im Nebenerwerb.
Die hohe Gestaltung – Klinker-Bauten, fast im kleinstädtischen Stil Diese Bauten wurden im späten 19. bzw. im ersten Drittel des 20. Jahrhundert errichtet. Sie prägen wie Denkmale aktueller oder ehemaliger Wohlhabenheit insbesondere den Bereich der alten Dorf-Zeile. Solche Bauten orien tierten sich an bürgerlich-städtischen, gelegentlich sogar an Herrenhaus-Vorbildern und bestimmten Elementen (Eingangsbauwerk, Vollunterkellerung und Drempelaus führung) und zeugen von bäurischem Wohn- und Wirt schaftsstandard einer gehobenen Besitzerschicht.
Sie stellen im hohen Maß ortsbildprägende und ge schichtsträchtige Bauwerke dar und es lässt sich weiter hin ein Einfluss zeitgenössischer »moderner« Architek turauffassungen erkennen.
Zusammenfassende Ortsgeschichte Radensdorf zeigt seine Ortsgeschichte noch heute sehr deutlich. Während sich andere Orte um ihren alten Kern schalenförmig entwickelten, bildet Radensdorf eine deutliche Süd-Nord-Entwicklung ab. Dabei steht der Südteil vollständig für den Ortsursprung, die mittelal terliche »Einreihige Zeile«. Doch der nördlich davon liegende Bereich, der sich ursprünglich um einen alten Weg entwickelte (1867 als Kreisstraße ausgebaut), re präsentiert die erste größere Ortserweiterung. Weitere Ansiedlungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lagern sich dagegen fast durchweg in Gassenform in wei tergeführter nördlicher Richtung an diese Hauptstraße an. Nahezu vollständig begrenzte seit den 1890er Jahren die Spreewaldbahntrasse den Ort, dessen bauliche Ent wicklung im Großen und Ganzen tatsächlich an dieser Achse (aufgenommen von einer heutigen Umgehungs straße) sein Ende fand – Erweiterungen sind seitdem in gewissem Umfang nur noch westlich und insbesondere östlich der Hauptstraße in Richtung des Bahnhofs vor genommen worden.
Die Situation für die dörflichen Gehöft- und Gebäu destrukturen ist kompliziert geworden, seitdem die alte und umfangreiche Landwirtschaft verschwunden ist oder
a ls städtebaulicher a bschluss der alten d orfzeile dient ein interessan ter Klinkerbau (Baujahr 1909), … …der mit seinem stolzen Vorbau schon an ein, wenn auch kleines, Gutshaus erinnert, 2022.
sich auf einen kleinen Nebenerwerb reduziert hat. Das Beispiel von Scheunen, Ställen und anderen Wirtschafts gebäuden im Ort verdeutlicht dieses strukturelle Problem und es bieten sich nicht für jeden Bau neue Nutzungen an. Unter diesen Bedingungen scheinen die wege- oder straßenbegleitend errichteten Wohnbauten noch die we niger gefährdeten Bauten aus älterer Zeit zu sein. Doch täuscht dieser Eindruck, denn beispielsweise legten frü here Generationen Wert auf eine Darstellung von Besitz wie auch Modernität, was zu teils besonderen und klein teiligen Fassadengestaltungen führte. So sind vielfältige Gliederungen, wie Gurtbänder, Fensterfaschen, betonte Hauseingänge und vieles mehr, als Zeugnisse jener Zeit anzusehen, deren erste Verluste schon durch einen Mate
rialmangel in vergangenen Zeiten eintraten. Heute hinge gen zeigen sich Vorlauben und steinerne Vorbauten wie auch originale Fensterformate als besonders erhaltens werte Elemente.
Es wäre wünschenswert, wenn über Hilfsprogramme den Besitzern besonders wichtiger Bauten der Radensdor fer Orts- und Architekturgeschichte spürbare Unterstüt zungen gewährt würden.
Ein Exkurs: Berichte des 19. Jahrhunderts zur wendischen Kultur in Radensdorf – Die staatlich-preußische Anordnung zur Erfassung des wendischen Sprach-Elements
Seit 1846 gab es angeordnete preußisch-staatliche Er mittlungen »zur Erfassung des wendischen SprachElements«28 , also zu den Einwohnern, die sich ausschließ lich der wendischen Sprache bedienten. So entstanden zur Mitte des 19. Jahrhunderts verlässliche Angaben zur Anzahl der Radensdorfer, die sich ausschließlich über die wendische Sprache verständigten – nicht ermittelt wurde jedoch durch die beauftragten preußischen Behörden der hohe Grad an Zweisprachigkeit:
1847 sprachen von 389 Einwohnern 30 Personen nur wendisch = 7,8 Prozent 1850 waren von 391 Einwohnern 16 ausschließlich wendisch-sprachig = 4 Prozent 1867 wurden keine wendisch-einsprachigen Personen festgestellt, jedoch 1956 haben Sprachwissenschaftler unter 514 Einwoh nern immer noch drei Personen gefunden, die keine nennenswerten Deutschkenntnisse hatten = 0,6 Prozent.
Für Radensdorf sollte bei zukünftigen Forschungen ge klärt werden, ob der bedeutende Einwohner-Zuzug zu einer umfangreichen bzw. signifikanten Abnahme des Wendischen führte.