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Einsatz von KI bei der Strafverfolgung ..............................................Seite

Bei der Berliner Polizei habe sich in den letzten 18 Monaten die Zahl der Überstunden auf 2,23 Millionen Stunden fast verdoppelt. Auch die Zahl der Demonstrationen sei von 2.000 pro Jahr auf rund 5.000 gestiegen, berichtete Geisel. Hinzu komme, dass sich die Demonstranten weiter radikalisieren würden. “Es entwickelt sich eine Extremismus-Form mit eigenem Charakter”, so der Innensenator. Neben der Zunahme an Demonstrationen beklagte Sachsens Staatsminister des Innern zusätzliche Aufgaben wie die Einhaltung der Infektionsschutzauflagen, die an die Polizei gestellt würden. “Die Polizei wird zum Reparaturbetrieb der Gesellschaft”, zeichnete Prof. Dr. Roland Wöller ein düsteres Bild. Unterstützung erhielt er von seinem Amtskollegen Michael Stübgen: “Wir müssen zuerst an die denken, die die Sicherheit des Staates aufrechterhalten”, forderte der Minister des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg. Dazu gehöre auch, in Zeiten von Lockdown und Quarantäne die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Deshalb habe er sich eng mit dem brandenburgischen Justizministerium abgestimmt. Das Ergebnis: Kein Versammlungsverbot sei gerichtlich aufgehoben worden.

Gefahr nicht gebannt

Obwohl die Pandemie das Geschehen der letzten eineinhalb Jahre beherrscht hat, sind andere Aufgaben wie die Terroris-

Problem Präventionsparadoxon

Innenminister diskutieren über (Zu-)Stand der Polizei

(BS/Jörn Fieseler) “Wir haben Erfahrungen mit Links- und Rechtsextremisten, aber dass die Polizei auf einmal von einer Frau im Sommerkleid angegriffen wird oder von einem Mann, der einen Bollerwagen mit Kindern zieht, das war eine neue Herausforderung für uns”, sagte Berlins Innensenator Andreas Geisel mit Blick auf die Corona-Demonstrationen in der Hauptstadt. Überhaupt stelle die Pandemie die Polizeien der Länder vor neue Problemlagen. Zumal Themen wie die Terrorismusabwehr wegen der Pandemie nicht verschwunden sind.

musabwehr nicht verschwunden. “Die Abwesenheit eines Beweises ist kein Beweis für die Abwesenheit”, unterstrich Wöller mit einem Zitat aus der Medizin. Die Gefahr eines Anschlags in Deutschland sei weiterhin gegeben, auch wenn es in den letzten Jahren weniger Meldungen und Fälle gegeben habe. Der internationale Terrorismus habe sich gewandelt. Attentäter agierten zunehmend als sogenannte einsame Wölfe, hinzu komme eine Art Franchise-System. Kleine, unabhängige Gruppen würden sich unter einem Dachnamen zusammenschließen, aber weiterhin selbstständig agieren, erläuterte Wöller. “Es ist eine Gratwanderung, zwischen der Sicherheit und der Freiheit der Gesellschaft abzuwägen”, ergänzte Geisel. “Wir diskutieren in Berlin die Verpollerung der Stadt, aber wenn wir das machen, haben die Terroristen am Ende gewonnen.” “In den vergangenen Jahren hatten wir 13 Anschläge in Europa mit islamistischem Hintergrund”, resümierte Joachim Herrmann, Bayrischer Staatsminister des Innern, für Sport und Integration. Anschläge gebe

“Es braucht ein klares Bekenntnis zur wehrhaften Demokratie und zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung”, waren sich Joachim Herrmann, Andreas Geisel, Uwe Proll (Moderator), Prof. Dr. Roland Wöller und Michael Stübgen einig (v.l.n.r.). Fotos: BS/Boris Trenkel

es aber auch mit rechtsextremem Hintergrund. “Wir stellen insgesamt mehr Hass und Hetze fest.” Das polarisiere und die Gefahr wachse, dass sich einzelne Menschen in Rage reden und plötzlich losschlagen würden, wie im Fall des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke. “Deshalb ist ein Wahlkampf-Plakat mit der Aufschrift "Hängt die Grünen” vollkommen inakzeptabel", so der CSU-Politiker. Das sei keine politische Kommunikation mehr. In Bayern habe er der Polizei den Auftrag erteilt, jedes dieser Plakate zu beschlagnahmen. “Der Staat muss klare Botschaften aussenden. Wenn man den Anfängen nicht wehrt, dann eskaliert es – dass haben wir in der Vergangenheit erlebt”, so Herrmann. Allerdings gibt es ein grundsätzliches Problem, das Wöller als Präventionsparadoxon bezeichnete: “Jeder weiß, Sicherheitsmaßnahmen sind gut, aber sie kosten Geld und Aufwendungen. Aber verhinderte Krisen sind kein politischer Erfolg.” Heißt im Klartext: Nicht jeder Parlamentarier ist bereit, Ausgaben zu bewilligen, die ihm keine Wiederwahl garantieren. Kooperationen mit Kommunen kräftigen

Trotzdem haben die Länder in den vergangenen Jahren massiv Polizeikräfte eingestellt. Allein in Bayern sind während der 13-jährigen Amtszeit Herrmanns 7.000 zusätzliche Stellen geschaffen worden, weitere 1.000 sollen in den nächsten zwei Jahren hinzukommen. Doch mehr Stellen allein reichten nicht, es brauche einerseits einen kontinuierlichen Zuwachs von Bewerbenden – im Freistaat seien in diesem Jahr erstmals acht Bewerbungen auf eine Stelle gekommen. Auf der anderen Seite müsse die Kooperation mit kommunalen Sicherheitskräften und Ordnungsdiensten verbessert werden wie etwa bei der Münchner U-Bahn-Wache. Das sei keine Konkurrenz zur Polizei, sondern Ausdruck einer sichtbaren Präsenz der Sicherheitsbehörden und für das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ebenso wichtig wie für die Stabilität des Rechtsstaates.

Taktisch anders aufstellen

Und die Überstunden allein in Berlin? Die hätten inzwischen eine schwierige Größenordnung erreicht. Es bleibe nur die Möglichkeit, diese finanziell abzugelten. Ein Freizeitausgleich könne nicht zugesagt werden, weil die nächsten Einsätze schon bekannt seien, so Geisel. Die bisherigen Überlegungen zu Überstundenabbau und Aufgabenreduzierung seien noch nicht aufgegangen. Und auch die Einstellung von 1.700 neuen Beamtinnen und Beamten habe nicht geholfen. “Wir müssen mit den Personalräten und Gewerkschaften sprechen und eine Lösung finden”, betonte der Innensenator. Der bisherige Kurs könne nicht weitergeführt werden. Einen Königsweg habe er aber noch nicht gefunden, deshalb rücke nun die Einsatztaktik in den Fokus. “Wir denken darüber nach, uns hier anders aufzustellen", gab Geisel zu.

Bei den Bachelor-Arbeiten wurden Martin Bölter von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege Mecklenburg-Vorpommern, Lena Griesbach von der Polizeiakademie Niedersachsen sowie Paula Stadthaus von der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin geehrt. Griesbach erhielt für ihre Ausarbeitung “Der Begriff des Erfolgs in der Cold-Case-Bearbeitung – eine multiperspektivische Betrachtung von Erfolgsfaktoren der polizeilichen Bearbeitung ungeklärter Tötungsdelikte” 1.500 Euro Preisgeld.

Für die Arbeit führte sie Interviews mit verschiedensten Experten, unter anderem zwei Cold-Case-Sachbearbeitern, einer Kapitaldezernentin sowie zwei Angehörigen eines über 30 Jahre zurückliegenden, ungeklärten Mordfalles. Griesbach arbeitet heraus, dass der maximale Erfolg solcher Ermittlungen natürlich in der Ermittlung und Verurteilung des Täters liege. Werde dies nicht erreicht, könnten häufig aber zumindest bedeutsame Teilerfolge vernommen werden. Diese reichten von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Angehörigen über eine zielgerichtete Medienarbeit und die Steigerung des subjektiven Sicherheitsgefühls in der Bevölkerung bis hin zum Gewinnen neuer und dem Ausschluss vorhandener Ermittlungsansätze sowie wichtigen Lernprozessen seitens der Polizei.

Aus Griesbachs Sicht hängt der Erfolg von Cold Case-Ermittlungen keinesfalls vom Zufall ab. Sie seien jedoch nur erfolgreich,

“Zukunftspreis Polizeiarbeit” verliehen

Sechs Absolventen erhalten insgesamt 5.000 Euro

(BS/Marco Feldmann) Mit dem “Zukunftspreis Polizeiarbeit” wurden insgesamt sechs Arbeiten von Absolventen des Fachhochschulbereichs Polizei sowie von Universitäten mit Preisgeldern in Höhe von 5.000 Euro prämiert. Damit wurde auch die Exzellenz der polizeilichen Ausbildung gewürdigt. Das gilt sowohl für den Bereich der Bachelor-Arbeiten als auch für die Master-Studiengänge.

Lena Griesbach, Martin Bölter und Paula Stadthaus (v.l.n.r.) wurden in der Bachelor-Kategorie des diesjährigen “Zukunftspreises Polizeiarbeit” ausgezeichnet. Bei den Master-Arbeiten wurden geehrt (v.l.n.r.): EvaChristina Buchheit, Jessica Bouška und Christoph Büchele. Fotos: BS/Boris Trenkel

wenn neben dem Tod des Ermordeten und dem Leid seiner Angehörigen auch die Bemühungen der Ermittlungsbehörden sowie die Furcht des Täters, gefasst zu werden, für immer währten, schlussfolgert sie. Konkretes Präventionsprojekt entwickelt

700 Euro gingen an Martin Bölter für seine Arbeit “Gewalt im Kontext von Großveranstaltungen und Musikfestivals – ein kriminalpräventiver Ansatz”. In dieser stellte er sich die Frage, wie ein Präventionsprojekt gegen Gewalt im Kontext von Musikfestivals und Großveranstaltungen unter Würdigung szenetypischer Faktoren gestaltet sein könnte. Denn bislang sind Präventions- und Hilfsangebote auf Festivals zur Vermeidung (sexueller) Gewalt kaum bekannt. Außerdem besteht hier ein großes Dunkelfeld, da die Anzeigebereitschaft gering ist. Bölter entwickelte in der Ausarbeitung die Kampagne “bewusstSIGN”. Sie besteht aus einer Audio-CD, einer Internetseite sowie einem Präventionsfilm. Hinzu kommen Design-Element und Grafik-Artwork. Der Präventionsfilm wird auch bereits von Polizeibeamtinnen und -beamten, Lehrern, Schulsozialarbeitern und Opferhilfeeinrichtungen, die Präventionsarbeit mit Jugendlichen an Bildungseinrichtungen durchführen, genutzt. Ziel ist es, zur Sensibilisierung und zur Erlangung von Kompetenzen zur Verhinderung von Straftaten bei jungen Menschen beizutragen und die Anzeigebereitschaft zu erhöhen. 300 Euro erhielt in der Bachelor-Kategorie Paula Stadthaus für ihre Untersuchung zur Eignung verschiedener Spektroskopiemethoden an Betäubungsmitteln. Dabei konnten optische Vergleiche und eine Diversität an Streckmitteln herausgearbeitet werden. Nicht ermittelt werden konnte jedoch, um welche Streckmittel es sich im Einzelnen handelt. Gleichwohl war es möglich, Aussagen über die Mengen der einzelnen Streckmittel zu treffen. In Kombination mit den dazugehörigen Spektren ließ sich daraus schließen, inwieweit die Streckmittel Einfluss auf die Messungen hatten.

Digitalen Identitäten mehr Bedeutung einräumen

Bei den Master-Arbeiten ging der erste Platz (Preisgeld 1.500 Euro) an Christoph Büchele von der Deutschen Hochschule der Polizei. Seine Ausarbeitung setzt sich mit den Möglichkeiten von erkennungsdienstlichen Behandlungen 2.0 auseinander. Dafür erhob er anhand von Experteninterviews den aktuellen Umgang mit digitalen Identitäten im polizeilichen Kontext und Implikationen für die Zukunft. Büchele kritisiert in diesem Zusammenhang, dass die Speicherung in den polizeilichen Systemen allenfalls auf Basis eines begrenzten Hilfskonstruktes erfolge. Dieses werfe zahlreiche Probleme auf und vermindere Effizienz sowie Effektivität der polizeilichen Arbeit. Ebenso zeige es das derzeitige Fehlen eines strategischen Ansatzes sowie einer theoretischen Fundierung des bisherigen Umgangs mit digitalen Identitäten. Der Verfasser verlangt, dass künftige Polizeiarbeit in der Lage sein müsse, digitale Identitäten in den eigenen Systemen zu erfassen und zu verarbeiten. Die Bedeutung digitaler Identitäten müsse sich in einem speziell dafür konzipierten Bereich in polizeilichen Systemen widerspiegeln. Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt

700 Euro erhält Jessica Bouška, ebenfalls von der Deutschen Hochschule der Polizei, für ihre Master-Arbeit zur polizeilichen Vorgehensweise der Länder bei der Auswertung, Analyse und Bewertung von Missbrauchsabbildungen. Dabei erfolgte die Identifizierung eventuell vorhandener Potenziale für Optimierungen in Bezug auf das verfügbare Personal, die Technik, die Instrumente und Tools, die zur Analyse zur Verfügung stehen, sowie mit Blick auf Möglichkeiten themenspezifischer Aus- und Fortbildung. Im Zuge dessen wurden mehrere Optimierungsmöglichkeiten identifiziert. 300 Euro Preisgeld gingen schließlich an Eva-Christina Buchheit für ihre Abhandlung zur Fehlerkultur in der rheinland-pfälzischen Polizei. Sie verfolge das Ziel einer organisationalen Innensicht auf die gelebte Fehlerkultur sowie Folgewirkungen auf Indikatoren der Berufseinstellung innerhalb des operativen Polizeidienstes. Dazu fand eine Beleuchtung externer Organisationen mit hohem Sicherheitsanspruch statt, um potenziell übertragbare Optimierungsansätze zum Fehlermanagement im Polizeidienst zu generieren. Die Studie zeigt, dass Polizeibeamte dem Umgang mit Fehlern einen grundsätzlich positiven Wert beimessen. Allerdings bestätigen sie in diesem Zusammenhang auch Scham- und Angstgefühle. Zudem wird deutlich, dass Führungskräfte entscheidend das entsprechende Verhalten der ihnen unterstehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter prägen. In der Arbeit wird darüber hinaus für eine konzentrierte und erweiterte Nutzung bestehender organisationskultureller Instrumente plädiert.

Er “möchte KI als Add-on betrachten”, sagt Oscar Wijsman, Business Expert Intelligence & Digitalisation, Big Data, Analytics, Data Science & AI von der niederländischen Polizei. Seine Kollegen in Deutschlands Nachbarland nutzen KI u. a. bei der Analyse und Auswertung von Bild-, Textdateien sowie von Sozialen Netzwerken. Konkret sieht ein Anwendungsbeispiel wie folgt aus: Eine KI analysiert Videos der Verkehrsüberwachung auf der Suche nach Verstößen wie dem Telefonieren beim Autofahren. Sollte die KI einen Treffer gelandet haben, wird dem bearbeitenden Polizisten die Stelle in dem Video anzeigt. Dieser entscheidet dann, ob ein Verfahren eingeleitet wird oder nicht. KI-Lösungen in Analyseprogrammen werden schon jetzt von zahlreichen Unternehmen, wie IntraFind, dataport, Videmo oder sinc/IBM angeboten.

Kein Weg führt an KI vorbei

Eine letztendlich menschliche Entscheidung sei Dreh- und Angelpunkt beim Einsatz von KI in der Strafverfolgung. Ohne diese Entscheidung könne dieses Werkzeug nicht rechtssicher eingesetzt werden. Dass KI in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen werde, darüber ist man sich ebenso einstimmig einig. Dies liegt zum einen an den stetig steigenden Datenmengen bei Polizei und Justiz. So spricht man schon nicht mehr von Datenmengen im Gigabyte-, sondern im Petabyte-Bereich (sprich eine Million Gigabyte). Dr. Martin Wachter, Referent beim bayerischen Staatsministerium der Justiz, geht von einem jährlichen Anwuchs von 30 Prozent der Datenmengen aus. Ebenso verweist Wachter auf die Massenklagen z. B. im Zuge des Dieselskandals, die die Justiz an ihre Grenzen brächten. Es brauche Tools, um diese Klagewellen zu bewältigen, so der Bayer. Wijsman gibt zudem zu bedenken, dass man auch die kriminelle Gegenseite genau beobachten müsse, um sich gegen den kriminellen Einsatz von KI zu wappnen.

Als digitalen Mitarbeiter betrachten

Einsatz von KI bei der Strafverfolgung

(BS/Bennet Klawon) Der Einsatz von neuen Technologien, vor allem in der Gefahrenabwehr, wird meist mit gewissem Argwohn beobachtet. Dies ist auch beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) der Fall. Während sich das noch teilweise nach Science-Fiction anhört, sind die Einsatzmöglichkeiten schon vielfältig. Dennoch: Eine Furcht können die Expertinnen und Experten nehmen.

Das Interesse an den Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz (KI) auf die Polizeiarbeit ist nicht nur in diesem Fachforum groß gewesen.

Foto: BS/Boris Trenkel Verhältnis von 20 zu 80

Dennoch geht es nicht nur um neue Daten, die mithilfe von KI bearbeitet werden sollen, sondern auch um Daten, die den Behörden schon vorliegen. Thomas Feld von Materna geht davon aus, dass von den Behörden erst 20 Prozent der vorhandenen Daten wirklich genutzt werden, weil diese strukturiert sind. Die restlichen 80 Prozent seien unstrukturiert, aber von Maschinen lesbar. Hier könnte der Einsatz von KI helfen, Korrelationen herzustellen. Doch selbst die strukturierten Daten befänden sich getrennt voneinander in mehreren Datensilos. Für einen effektiven Einsatz von KI brauche es jedoch eine übergreifende Dateninfrastruktur wie Gaia-X. Der Aufbau einer solchen bleibe eine große Herausforderung für die nahe Zukunft. Hier seien auch die polizeilichen Behörden gefordert, solche Datenräume zu fördern, so Feldt.

Zeit der “Blackbox” der KI ist vorbei

Die von einer KI produzierten Ergebnisse müssten aber immer von Menschen nachvollziehbar sein. Till Elborg, Mitglied der Geschäftsführung von sinc, sieht das Ende der “Blackbox” der KI gekommen. Von Unternehmen werde verlangt, die Funktionsweise ihrer KI-Lösungen zu erklären. Dies bedeute nicht, dass alles offengelegt werde, sondern dass Vertrauen für dieses Werkzeug geschaffen werde. Jetzt sei der richtige Moment, Leitplanken für den Einsatz von KI aufzustellen, zeigt sich Elborg überzeugt. Zwar sei KI nicht wirklich neu, aber erst jetzt habe man die Hardware, um diese auch einzusetzen. Als erste gute Leitplanke kann man den Verordnungsvorschlag der EU-Kommission, den Artificial Intelligence (AI) Act, betrachten. Der Vorschlag legt erste Grenzen fest, um eine rechtssichere Anwendung zu gewährleisten. So sollen Anwendungen untersagt werden, bei denen Personen zu Schaden kommen könnten oder Menschen aktiv manipuliert würden. Der Jurist Wachter und der Polizist Wijsman begrüßen zwar den Vorstoß der EU, dennoch bedürfe es an mehreren Stellen einer Schärfung der Verordnung. Der richtige Schritt sei aber gemacht. Auch wenn bei manchen Stellen Skepsis und Ablehnung für das Thema KI in der Strafverfolgung vorherrscht, führt aufgrund der datengetriebenen Kriminalität kein Weg am Werkzeug KI vorbei, wenn man noch handlungsfähig bleiben will.

“Die derzeitige Bedrohungswahrnehmung ist verheerend”, meinte Mario Hempel, Director Sales Development Public Sector von Bechtle. Dies sei auf die weltweite Migration, auf Cyber Crime und Warfare sowie Terroranschläge zurückzuführen. “Insbesondere Cyberbedrohungen sind alltäglich geworden”, konstatierte auch Andreas Kleinknecht, Mitglied der Geschäftsleitung von Microsoft Deutschland.

Crime as a Service

“Bei Delikten im Bereich der IT-Kriminalität haben sich nicht nur die Fallzahlen seit 2015 verdoppelt, auch die Schadenssumme übersteigt inzwischen die der Drogenkriminalität”, ergänzte Carsten Meywirth, Abteilungsleiter Cybercrime (CC) im Bundeskriminalamt (BKA). Zugleich seien die Bedrohungen intensiver und komplexer geworden. Simultanlagen nähmen zu und müssten bewältigt werden, etwa die Abwehr eines Cyber-Angriffs in Verbindung mit einer Desinformationskampagne in den Sozialen Medien, so Kleinknecht. Außerdem stehe modernste und leistungsfähige Technik heute jedermann zur Verfügung. Seien es 2015 noch Einzeltäter gewesen, die Cyberangriffe verübten, haben es die Sicherheitsbehörden heute mit einer hochprofessionalisierten Täterlandschaft zu tun. Es habe sich eine “Underground Economy” entwickelt, die Crime as a Service anbiete, erläuterte Meywirth. Jeder Teilschritt eines Cyber-Angriffes werde als Dienstleistung angeboten. Dies beginne schon mit der Infektion.

“Täter kochen auch nur mit Wasser”

Cyber-Bedrohungen werden zahlreicher und komplexer

(BS/mj/jf) Cyber-Attacken nehmen zu und finden in unterschiedlichen Formaten wie DDoS-Attacken, mittels Ransomware oder Phishing statt. Doch damit nicht genug. Simultanlagen nehmen zu und die Täterlandschaft verändert sich. Für die Sicherheitsbehörden heißt das, die Zusammenarbeit weiter zu verbessern und einen breiten Technik-Mix einzusetzen. Und noch ein weiterer Faktor muss mitgedacht werden.

Dienstleister würden Bot-Netze und infizierte Rechner bereithalten, die Systeme meist Wochen oder Monate vor dem Angriff bereits kompromittieren. “Die Täter forschen die Systeme aus, prüfen die Netzstrukturen, welche Verdienste sich erzielen lassen und bereiten die Verschlüsselung technisch vor. Zudem würden Daten exfiltriert werden, um ein zweites Mal mit deren Veröffentlichung weitere Gelder zu erpressen”, berichtete Meywirth. Hinzu komme mit “Supplay Chain” eine neue Angriffsart, bei der möglichst viele Rechner bei einem Angriff infiltriert werden. Um sich gegen derartige zukünftige Risiken zu wappnen und Resilienzen zu erhöhen, empfiehlt er, sich in erster Linie auf die eigenen Kernkompetenzen und Schlüsselqualifikationen zu konzentrieren und diese zu erhalten. Dies scheine zwar banal, sagte Hempel, sei aber elementar. Zudem plädierte er dafür, verstärkt auf AI, Cloud, Blockchain, QuantenComputing, Digital Identity und Zero Trust zu setzen. Gerade für die zukunftsgerichtete CyberSicherheit seien diese Ansätze existenziell. “Es geht nicht mehr um inkrementelle Veränderungen in den Sicherheitsbehörden, sondern um einen tiefgreifenden Wandel. Und es geht um Geschwindigkeit”, so Kleinknecht. “Uns ist es gelungen, mit anderen Ländern zusammenzuarbeiten und in einem Fall die kriminell eingesetzte Infrastruktur zu zerstören”, berichtete Meywirth. Dazu habe man die Strukturen zuerst ausgeforscht, die Administration erfahndet, die Bots auf vom BKA gebaute sichere Infrastruktur umgeleitet und parallel die ursprünglich genutzten Server vom Netz genommen. “Da waren wir schneller als die Täter und deshalb erfolgreich.” Für diese Tätigkeiten brauche es jedoch speziell ausgebildete Cyber-Analysten. Die Nachfrage nach diesen Nachwuchskräften, die nicht nur Angriffe abwehren könnten, sondern auch pro- und reaktiv agieren könnten, seien nicht nur bei den Sicherheitsbehörden heiß begehrt, sondern auch in jedem Unternehmen unerlässlich, führte Matthias Memmesheimer, Geschäftsführer von sapite, aus.

Strukturiert ausbilden

Dafür brauche es eine strukturierte Ausbildung. Sein Unternehmen habe deshalb in Zusammenarbeit mit der Industrie- und Handelskammer ein zertifiziertes Fortbildungsmodell mit berufsqualifizierendem Abschluss ins Leben gerufen. Zu diesem gehörten nicht nur Fragen, wie eine Firewall konzipiert und konstruiert werde, sondern auch die Analyse von Netzwerken und Datenträgern, die Entschlüsselung und Wiederherstellung von codierten Datensätzen als auch Angriffssimulationen. “Das alles kann man lehren. Die Täter kochen auch nur mit Wasser”, so Memmesheimer.

Wie ein solches Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Bekanntmachung “Zivile Sicherheit – Fragen der Migration” gefördert wird, aussehen kann, berichtet Dr. André Calero Valdez vom Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft an der RWTH Aachen. Zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen forscht er an einer Smartphone-basierten Analyse von Migrationstrends zur Identifikation von Schleuserrouten (kurz SmartIdentifikation). Ziel des Forschungsprojektes ist es, ein System zu entwickeln, mit dem Polizistinnen und Polizisten Smartphones von aufgegriffenen Flüchtlingen mobil auswerten können. Mit dieser Auswertung sollen die Identität und die Aussagen der aufgegriffenen Personen überprüft werden. Ebenso soll durch die Extraktion der Daten versucht werden, Schleuser- bzw. Flüchtlingsrouten zu identifizieren. Beim Thema Migration kommt man zwangsläufig zur sogenannten Flüchtlingskrise von 2015. Gegen diesen Begriff sträubt sich jedoch Dr. Patricia M. Schütte vom Lehrstuhl für Bevölkerungsschutz, Katastrophenhilfe und Objektsicherheit der Bergischen Universität Wuppertal. Sie ist Teil des Forschungsprojekts “Sicherheitskooperationen und Migration” (SiKoMi). Sie sagt, dass es sich 2015 weniger um eine reine Flüchtlingskrise gehandelt habe. Diese Zuschreibung verdecke andere Probleme. Schütte ist überzeugt, dass es sich 2015 um eine Organisations- bzw. eine Wissenskrise gehandelt habe. Im Zuge von SiKoMi wollen die Wissenschaftler Wissen und Erfahrungen aus diesem Jahr sammeln und Lösungen identifizieren, um die Akteure vor Ort für die nächste Krise zu stärken. Das Ergebnis macht dabei wenig Mut. Während sich die Zusammenarbeit 2015 zwar meistens nach wenigen Wochen normalisiert habe und sich die verschiedenen Akteure aneinander angepasst hätten, so sei heutzutage wenig bis gar kein Wissen mehr aus diesem Jahr vorhanden. Verantwortliche Personen hätten den Job gewechselt oder seien nicht mehr zu finden. Ein Wissensmanagement habe es so gut wie nicht gegeben, so Schütte. Sie fordert, dass Praxisansätze für Wissensmanagement geschaffen werden müssten. Während sich die beiden ersten Projekte mit Fluchtbewegungen und deren Ankommen auseinandergesetzt haben, analysierte das Forscherteam um Prof. Dr. Rita Haverkamp, Professorin für Kriminalprävention und Risikomanagement an der Eberhard Karls Universität Tübingen, im Projekt “Migration und Sicherheit in der Stadt” (migsst) die Frage, ob eine Integration und/oder eine Segregation in migrantisch geprägten Vierteln Kriminalität erhöht. Dazu untersuchte sie vier Großstadtviertel. Dabei sollten Defizite und Verbesserungen bei der Polizei- und Integrationsarbeit identifiziert werden. Haverkamp kam zu dem Ergebnis, dass keines der untersuchten Viertel von schwerer Kriminalität betroffen sei. Es seien eher Ordnungswidrigkeiten oder soziale Konflikte festzustellen. In diesen Vierteln finde zudem keine ethnische, sondern eine soziale und Bildungssegregation statt. Aber es komme zu einer Ausgrenzung der Bewohner. Diese hätten einen beschränkten Zugang ökonomischen und kulturellen Ressourcen. Haverkamp fordert, dass die polizeiliche Sicherheitsarbeit proaktiv gestaltet werden müsse. Es brauche eine bürgernahe Polizei. Auch müsse die “Versicherheitlichung” reduziert werden. Eher solle Sicherheit als Teilaspekt der Migration betrachtet werden.

Wissenschaft und Anwender zusammenbringen

Aktuelle Sicherheitsforschung zu Fragen der Migration

(BS/bk) Das Thema Migration wird auch in der Zukunft die Gesellschaft und den Staat intensiv beschäftigen. Doch wie können ein menschwürdiger Umgang und der Sicherheitsgedanke zusammengebracht werden? Dazu forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in mehreren Verbünden im Rahmen des Programms “Forschung für die zivile Sicherheit” der Bundesregierung. Dabei entstehen unterschiedliche Ergebnisse.

Dr. André Calero Valdez (Mitte), Prof. Dr. Rita Haverkamp (Zweite von links) und Dr. Patricia Schütte (rechts) stellten ihre Forschungsergebnisse zum Thema Migration vor. Foto: BS/Boris Trenkel

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