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Vom Wert und der Wertschätzung unserer Sicherheit

Prof. Dr. Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI)

Prof. Dr. Siegfried Russwurm

Foto: Christian Kuppa

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wirft für Deutschland grundsätzliche sicherheitspolitische Fragen auf: Welchen Wert messen wir unserer Sicherheit bei? Wie garantieren wir diese Sicherheit für unsere Gesellschaft, unseren Staat und unsere europäischen und internationalen Freunde?

Außenministerin Annalena Baerbock hat von der „Sehnsucht nach Sicherheit“ gesprochen, die eine zutiefst menschliche Sehnsucht sei: „Im Sinne einer Versicherung für das, wofür wir alle gemeinsam einstehen. Für die Sicherheit der Freiheit unseres Lebens.“ Dem ist ohne Wenn und Aber zuzustimmen. Die Frage ist nur: Welche Schlüsse ziehen wir daraus für unsere Bereitschaft, diese Sicherheit tatsächlich zu gewährleisten, und es nicht dabei zu belassen, ihren strategischen und umfassenden Wert hervorzuheben? Ein Krieg widerspricht dem Ziel der Nachhaltigkeit und dem Schutz unserer Lebensgrundlagen. Er zerstört buchstäblich alles, was wir zum Leben brauchen. Frieden und Sicherheit sind die Basis sozialer, politischer und wirtschaftlicher Stabilität. Nur mit Sicherheit lässt sich umfassende Nachhaltigkeit in ihren drei Dimensionen erreichen – die Ziele der Umwelt- und Klimapolitik, des sozialen Zusammenhalts und ökonomischer Prosperität. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat Deutschland nach diesem Grundverständnis darauf gesetzt, militärische Konflikte durch Diplomatie und enge Wirtschaftsbeziehungen zu verhindern.

Der russische Krieg in der Ukraine hat Deutschland und die Welt nun etwas diametral Anderes gelehrt: Diplomatie und wirtschaftliche Verflechtung sowie der gemeinsame Einsatz zum Erhalt unser aller Lebensgrundlagen sind nur ein Standbein, um Freiheit, Frieden und ganzheitliche Sicherheit zu wahren. Das zweite Standbein ist unsere Fähigkeit zur Verteidigung. Im Ernstfall müssen wir uns gerade auf sie verlassen können.

Beide zusammen sind unerlässlich, um die gemeinsam mit unseren internationalen Partnern nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene regelbasierte Ordnung und Wertebasis zu schützen. Deutschland hat seinen Status als stärkste Volkswirtschaft Europas nicht allein erreicht. Nur im Konzert mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern und nur durch unsere engen globalen Verflechtungen – mit Staaten ganz unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Systeme – konnten wir es so weit bringen. Und die Basis hierfür ist ein friedliches Miteinander, eine verantwortungsvolle Koexistenz, die zwar Kritik zulässt, aber immer von Respekt für den anderen getragen wird. Wenn wir es ernst meinen mit der wertebasierten Gemeinschaft liberaler Demokratien und ihren Grundprinzipien der Souveränität, des Rechtsstaats, der freien Meinungsäußerung und Entfaltung von Menschen, genauso wie der sozialen Marktwirtschaft, dann müssen wir an der Seite unserer Partner und Alliierten stehen – nicht nur an der Seitenlinie oder in sicherer Deckung. Wir müssen uns in mancher Situation einen Schritt voraus wagen und die Richtung weisen, auf Basis unserer festen gemeinsamen Überzeugung.

Deutschland muss das vorhandene Potenzial nutzen und seinen Beitrag für die Sicherheit Europas leisten – für uns und unsere Partner und Freunde diesseits und jenseits des Atlantiks, politisch und militärisch, aber auch wirtschaftlich und technologisch. Investitionen sind hier eines der tragenden Elemente. Wir sollten unser Know-how und unsere Fähigkeiten an vielen Stellen einbringen, um Europa und damit uns selbst und unsere engsten Freunde zu stärken.

Darüber hinaus müssen wir Sicherheit ganz grundsätzlich wieder zu schätzen lernen. Dabei geht es nicht nur um individuelle Sicherheit, sondern auch um die Sicherheit unserer Gesellschaft als Ganzes: In einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung leben zu können, in der jeder Mensch sich frei bewegen und entfalten kann. Nur ein Leben in Sicherheit kann Nachhaltigkeit hervorbringen. Daran müssen wir alle gemeinsam arbeiten. Dieses Sonderheft und seine Beiträge sollen die Verzahnung der beiden Aspekte und eine Wertschätzung von Sicherheit im Kontext der Nachhaltigkeitsdebatte voranbringen.

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