Tom Bresemann: Berliner Fenster. Gedichte. LESEPROBE

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Tom Bresemann

Berliner Fenster Gedichte

BERLIN VERLAG



Ich wünsche ein Buch, in das ihr alle vorn hineingehen und hinten herauskommen könnt. Nicolas Born

die augen öffnen und die welt verschließen: wir sind das, was jetzt hier leuchten soll.



win/win-situationen



leitmotiv

das nennst du weltkrieg? hier ist alles in ordnung. (szenarien, die bei aller gegenseitigen wertsch채tzung unverhandelbar bleiben.) sollen sie sich doch umbringen. immerhin ist das ihr menschenrecht. (wenn wir denen aufkl채rung bringen wollen ist kunst eben einfach nicht das richtige mittel.) die insel von der sicheren seite aus betrachten. das hier ist europa. es ist gut dabei zu sein.

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stellt angestellte aus

und aufsteller ein! karma kapitalismus: wieder so ein ohrwurm. reclaim the claims. im fernsehn grassieren flßchtlingscamps, supported by Reebok. du auf der couch, mit deinen teleprompteraugen, und ich nebenan, als hostage eines realityformats. ist das jetzt eine dieser win/ win-situationen? der unmittelbare kontakt von mensch zu mensch ist der intensivste, den eine marke erzielen kann. und ich hab schon wieder mit einem wallpaper geschlafen, es tut mir leid, ich glaube, diesmal hab ich mir dabei was eingefangen. du lachst, verbuchst das unter ressort- und ressourcenpflege. du und ich baby, you and me und die sommer der welt, wir rßcken zusammen und machen in 100 % polyestertrikotagen. 10


neue wege der supply chain

und kursverläufe auf höhe der zeit hinterlassen. eben den meeresboden abernten, bevor du auch nur in die nähe der fernbedienung kommst. im angstschnappen luft holen, sich am bloßen lebensunterhalt zu tode langweilen, die füße im laufrad der bildbearbeitung vertreten, was soll sein? ein korrekturmuster, bei dem es tatsächlich darum geht, zwischen der seriösen und der unseriösen art schlecht zu riechen unterscheiden zu lernen – herzrhythmische elliottwellen im 24/7 takt. mit awareness hat das nichts zu tun, wenigstens unter uns sollte man jedoch transparenz erwarten können, schließlich schwitzen wir hier auch um deine zivilisation. und das, da uns der messbare rest der welt unverhohlen zumutet, jede sekunde unterzugehen. obwohl sich mittlerweile auch ausrotten lässt, was nicht auf den bildschirm gerät. das ist, zugegeben, tatsächlich ein ganz neues fortschrittskonzept.

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clearing

die aufbrüche abbrechen den durchbruch abbrechen die großwetterlage resetten den luftdruck ausgleichen die messwerte verbessern die kontraktionen im keim ersticken die portfolios selektieren die inhalte veräußern die aufsteller abstellen die expansion verinnerlichen ein lächeln, aufgesetzt als rundschreiben und nebenprodukt endloser zeitreihen, in denen das bloße augenmaß als einzig verfügbares volatilitätsbarometer hochachtungsvoll verbleibt.

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jetzt ist nah

wir pflanzten frisches in den wind, den hügel hinab, durch die siedlung. schon trug man uns früchte nach. und nichts mehr von morgen. plötzlich stürzte sich leben auf uns. ein lächeln, dass wir jeden schmerz bestritten. an jenem tag war das glück ein ort, bei sonnenschein, bequem mit dem fahrrad erreichbar. näher als wir dachten.

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auf der zunge ein zitat vom grabbeltisch

heute trag ich das karierte, heute putz ich meine schuhe, fahr zum zoo und lass mir einen blasen – so beginnt ein tag wohl -gesetzten epigonentums. und wenn schon – wenigstens well dressed, ich frage: wenn das gute nicht zu kaufen ist, was kann dann gutes daran sein? ich sage: das unverkäufliche verbieten, die konsumfreien zonen ausmerzen, ich sage: da wo man kauft, da lass dich ruhig nieder, nur schlechte menschen kennen keinen preis. und ich will nimmer davon hören, habe ein gehalt und irre immer noch durch diese servicewüste, die mein körper ist, in diesen teuren schuhen, vor diesem billigeren lächeln, das meinen penis blankpoliert als nächste, beste injektion des tages, echtes schnäppchen von einem goldenen schuss.

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da kann ich nicht umhin, aufs potential zu insistieren, weiĂ&#x;t du denn nicht – du hast da einen zipfel seele auf der zunge.

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die feierstunden

1 im herzstill -stand begehen, so gott will, einen kรถrper in gedichte verwickeln wie in geschenkpapier. bin ich nun endlich herr im licht -spielhausbetrieb dieser ghospelshoppingfiliale?

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2 – – – geboren wird ja immer, tage, die dir zufallen, jeder, wie er will, die anderen sind doch auch nonkonform erzogen, und du zupfst das jackett zurecht, und wolltest doch was reißen – – –

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3 mitten im heiligkeitsgedränge, wagte ich nicht den krippensang, überreizte die orgeln, für nichts als ein augvoll? mangelte es nicht allerorten an godbless? so entflammte ich die galeria, erlöste diese wucherung von nächstenliebe, verriss den stammwuchs, und forderte die knappe not, als nichts als glanz verblieb, in jedem nebenraum, denn weihnacht war: the stores all closed.

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4 es muss das fest der liebe sein, selbst die bordelle ruhn ab vier, und es muss unverk채uflich sein: die liebe, 체berschwang des jahresendverlangens nach einer unverbrauchten jacke, einer idee von nahauslage in diesem wechselschlussbereich.

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der duft des erfolgs

ist wie der geschmack von fischpudding, du l채chelst und spreizt mir deine GUCCI-tasche ins gesicht.

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