Hans Graf von der Goltz: Krasnitz' Entscheidung

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Zu diesem Buch


II

Ein Buch zur Krise? Als Roman, der 1984 spielt? Müssen uns die achtziger Jahre heute interessieren? In einer Zeit, in der Finanzkrisen, Bankenkrisen, Wirtschaftskrisen uns in eine Weltkatastrophe hineinzureißen drohen? Verständlicher Einwand – die heutigen Analysen der Krisenmechanismen sind wichtig. Für die Fragen aber: wohin treiben wir und was hält die Zukunft für uns bereit, greifen die Analysen zu kurz. Wer nicht versucht, zu den Wurzeln unserer Epidemien vorzudringen, wird sie nicht verstehen. Und ohne dieses Verständnis werden unsere Therapien auch dann nicht anschlagen, wenn wir die Dosis um ein Vielfaches erhöhen. Im Gegenteil, man kann auch an seinen Heilmitteln zugrunde gehen.

*

Versuchen wir also einen Rückblick: Am 14.05.1990 schrieb der Spiegel (20/1990) unter anderem: „Größter Finanzskandal der US-Geschichte:


III

Bis zu 500 Milliarden Dollar wird die Sanierung der US-Sparkassen kosten.“ „…die von skrupellosen und unfähigen Managern verschleuderten Spareinlagen waren vom Staat versichert.“ „Mindestens 1000 Sparinstitute sind faktisch pleite…“ „Es war eine schöne Zeremonie im Garten des Weißen Hauses. Hiermit unterzeichne er „das wichtigste Gesetz der letzten 50 Jahre für das amerikanische Finanzwesen“, verkündete Ronald Reagan den 200 geladenen Gästen im Oktober 1982. „Ich glaube, wir alle haben einen Volltreffer gelandet“, lächelte der Präsident und unterschrieb das Gesetz. Mit einem Federstrich war das amerikanische Sparkassenwesen von staatlichen Fesseln und Auflagen befreit worden; fortan sollten ungezügelte Marktkräfte dem ehrwürdigen Gewerbe eine goldene Zukunft bescheren. Es war aber der Anfang vom Ende. Die Tinte auf dem Papier sei „noch nicht trocken gewesen“, da hätten „risikofreudige Investoren, Schwindler und Mafiosi schon angestanden, um die Sparkassen zu plündern“, schrieb sieben Jahre danach der Journalist Steve Pizzo in einem Buch über den, so Pizzo, „größten Raub der Geschichte…“


IV

Wohin die Milliarden aus den geplünderten Sparkonten im Einzelnen flossen und was sie für Unheil anrichteten, blieb den Sparkassen selbst wohl weitgehend verborgen. Die Täter saßen woanders. Die Wellen dieses „Geld-Tsunamis“ trafen auch ferne Küsten – selbst den Mond, mit dem Erwerb des Rechtes, dort einst als Erster eine Filiale eröffnen zu dürfen! Zum Glück dauerte der Spuk keine zehn Jahre! Das Feuer wurde von den Verursachern bald ausgetreten.

* Für uns hätte es das bleiben können, was es für die Umwelt erschien: eine sehr teure Groteske – hätte sich nicht in Deutschland in jenen Jahren in den Führungsetagen von Wirtschaft und Gesellschaft ein Wandel vollzogen, der verharmlosend als „Generationswechsel“ angesprochen worden war. Erst in den späten achtziger, frühen neunziger Jahren war allmählich offenbar geworden, daß dieser Wandel Einschnitte von historischer Dimension mit sich bringen würde.


V

Die „Wiederaufbau-Generation“ mit ihren tradierten Grundwerten, ihren Idealen, in deren Mitte der Mensch, mit seinen Rechten, seiner Würde, gestanden hatte, war weitgehend abgetreten. Von den Einen als „Befreiung“ begrüßt, von Anderen mit wachsender Sorge beobachtet, veränderten sich unter der neuen Führungsschicht Werte, Einstellungen zum Gemeinwesen und persönliches Verhalten und mit ihnen die Fundamente der Gesellschaft.

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Aus den bewundernden Reaktionen von Teilen der neuen Führungsgeneration auf den kurzen Auftritt des amerikanischen Freibeutertums – von einigen gar als Offenbarung gefeiert – lassen sich Elemente einer Initialzündung ablesen. Diese ersten Zeichen machten Schule und so trat das Bild des Wandels immer klarer hervor: Geld wanderte in den Mittelpunkt allen Handelns und Strebens. Seine Mehrung wurde Selbstzweck und alleiniges Ziel. Der Mensch wurde zur Hilfskraft und verschwand in den Kulissen der Bühne.


VI

Die neue „Generation Geld“ entwickelte eine staunenswerte Kreativität bei der Erfindung immer neuer Mittel zur schnellen Produktion des angestrebten Reichtums. Bis zu der genialen Entdeckung des Nichts: der fiktiven Werte, des fiktiven Geldes, das sich in „NichtGeschwindigkeit“ um den Globus schießen läßt – bis es platzt…

*

1984? Es könnte ein Ursprung unserer Katastrophe gewesen sein –. Sicher nicht der einzige. Aber es lohnt hinzugucken. Es könnten sich zwischen den Wurzeln vielleicht auch andere Keime finden lassen: Spuren einer heranwachsenden „Generation Vernunft“ zum Beispiel…


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