DENNIS E. JOHNSON
Sieben Grundsätze
Offenbarung zum
Verständnis der
Ein Auszug aus „Der Triumph des Lammes“
Impressum: Dieses Heft enthält Kapitel 1 des Kommentars zur Offenbarung Der Triumph des Lammes von Dennis E. Johnson (siehe Heftrückseite). Das Buch erschien unter dem engl. Originaltitel Triumph of the Lamb 2001 bei Presbyterian & Reformed Publishing Company, Philipsburg, New Jersey. © Dennis E. Johnson. © der deutschen Übersetzung: Betanien Verlag, Augustdorf, www.betanien.de / info@betanien.de. Übersetzung: Joachim Schmitsdorf, Lektorat: Hans-Werner Deppe, Cover: 18prozent.de, Foto: Ig0rZh, Fotolia.com, Artikel-Nr. dieses Heftes: 177806 (keine ISBN), ISBN des Buches: 978-3-935558-30-3.
Buchempfehlung zu einem verwandten Thema: Samuel E. Waldron
Endzeit? Eigentlich ganz einfach! Verständliche biblische Lehre statt komplizierter Systeme Betanien Verlag 2013 Paperback · 288 Seiten ISBN 978-3-935558-43-3, Art.-Nr. 175943 14,90 Euro Blick ins Buch: S. 1-57 unter cbuch.de
Samuel Waldron, Professor für systematische Theologie, zeigt: Biblische Eschatologie ist im Grunde ganz einfach aufgebaut – und für das Evangelium sehr wichtig. Er entfaltet die Zukunftslehre durch sorgfältige Schriftauslegung mit den Grundsätzen: Klare Bibelstellen bestimmen die Auslegung schwieriger Stellen, buchstäbliche die Auslegung bildhafter Passagen und Schriftstellen über die groben Züge der Zukunft helfen beim Verstehen der Detailfragen. Aus dieser Auslegungsweise ergeben sich ein einfaches Modell von zwei Zeitaltern (das jetzige und das zukünftige), zwei Phasen des Kommens des Reiches Gottes (eine vorläufige geistliche und eine vollendete) sowie die Position des Amillennialismus. Zur Veranschaulichung helfen dabei viele leicht verständliche Grafiken. Mit diesem Grundmuster der Endzeitlehre können dann auch Detailfragen geklärt werden: In welcher Beziehung stehen Israel und die Gemeinde zueinander? Was ist mit Trübsalszeit und Antichrist? Was lehrt die Bibel über die Entrückung, die Wiederkunft Jesu und das Gericht, etc.?
Sieben Grundsätze zum Verständnis der Offenbarung Die Offenbarung kann nicht im Vorbeigehen verstanden und ausgelegt werden; man muss darum ringen. Im Jahr 1845 erlebte Moses Stuart1, dass sein zweibändiger und 1.008 Seiten starker Kommentar über die Offenbarung endlich veröffentlicht wurde. Im Vorwort berichtet er: Kurz nachdem er 1809 zum Dozenten am theologischen Seminar in Andover berufen worden war, begannen seine Studenten, ihn »zu bestürmen«, Vorlesungen über das Buch der Offenbarung zu halten: Ich begann [die Offenbarung] mit dem Vorsatz zu studieren, ihrem Wunsch zu entsprechen. Bald darauf musste ich jedoch feststellen, dass ich vollkommen in einer Sackgasse feststeckte, da ich den Auslegungsmethoden gefolgt war, die man gewöhnlich bei den anderen Büchern der Schrift anwendet. … Ich sagte meinen Studenten deshalb offen, dass ich nichts über dieses Buch wüsste, wovon sie profitieren könnten, und daher könne ich nicht wagen, Vorlesungen darüber zu halten. Nachdem ich noch weitere Untersuchungen angestellt hatte, kam ich zu dem Schluss, mich in den nächsten zehn Jahren nicht an eine Auslegung der Apokalypse heranzuwagen. In dieser Zeit würde ich mich, sofern meine anderweitigen Verpflichtungen dies zuließen, dem Studium der hebräischen Propheten widmen. Mein Vorsatz hielt stand. Nach Ablauf dieser Frist begann ich mit großer Vorsicht, in Vorlesungen ein wenig über das gewünschte Buch zu sagen. … Im Laufe der Zeit ging ich das ganze Buch durch. Nach mehreren solcher Durchgängen ist das vorliegende Werk nun das Ergebnis dieser oft wiederholten und langwierigen Arbeit.2 1 Moses Stuart (1780–1852) war als Student an Jonathan Edwards Yale-Universität zum Glauben gekommen und wurde einer der führenden amerikanischen Bibelgelehrten seiner Zeit. Als renommierter Sprachwissenschaftler wird er auch »Vater der Bibelwissenschaft« und »Vater der exegetischen Studien« genannt. Als Frucht seiner Lehrtätigkeit gingen etwa 100 seiner 1500 Studenten in die Auslandsmission, um die Bibel für andere Völker zu übersetzen, u.a. Adoniram Judson. (Ergänzung des dt. Hrsg.) 2 Moses Stuart, A Commentary on the Apocalypse, 2 Bde. (London: Wiley and Putnam, 1845), Bd. 1, S. v.
3
Dennis E. Johnson: Sieben Grundsätze zum Verständnis der Offenbarung
Heute teilen wohl nur wenige die methodische Sorgfalt und Geduld Stuarts, zweifellos aber viele seine anfänglichen Erfahrungen mit der Offenbarung: Sie »stecken in einer Sackgasse fest« und können »nichts in diesen Buch verstehen, wovon sie oder andere »profitieren könnten«. Stuarts Erinnerungen veranschaulichen sehr gut, vor welche Probleme dieses schwierige neutestamentliche Buch seine Leser stellt. Die Offenbarung scheint den »Auslegungsmethoden, die man gewöhnlich bei den anderen Büchern der Schrift anwendet«, zu trotzen und dagegen resistent zu sein. Sie ist weder ein historischer Bericht wie 1. Samuel, noch ein Brief wie der Römerbrief, noch eine Gesetzessammlung wie 3. Mose, keine Liedersammlung wie die Psalmen und auch kein weiser Aphorismenschatz wie das Buch der Sprüche. Dennoch spricht sie von historischen Ereignissen, fängt als Brief an, der sich an sieben Gemeinden richtet, hat sehr viel mit Bundestreue zu tun (dem Kernthema des biblischen Gesetzes), wird durch Lob‑ und Siegeslieder unterbrochen und erfordert Verstand und Weisheit, um ihr ihre Geheimnisse zu entlocken (s. Offb 17,9). Der Eindruck, dass die Offenbarung verglichen mit dem Rest der Bibel eine andere Sprache spricht, trifft nur zum Teil zu. Die Art und Weise, wie die Offenbarung zu uns redet, ist nicht nur mit bedeutenden Teilen der alttestamentlichen prophetischen Literatur verwandt, sondern auch mit den Lehrmethoden Jesu in den Evangelien (das gilt für apokalyptische Abschnitte wie z. B. die Endzeitrede in Markus 13 sowie für die Metaphorik der Gleichnisse) und mit manchen Abschnitten der Briefe. Die Offenbarung ist, wie ihr griechischer Name besagt, apokalyptisch – nicht in der modernen Bedeutung von »katastrophal«, sondern im ursprünglichen Sinn des Wortes: Sie »entschleiert« und »enthüllt« in lebhafter, bildlicher Form die unsichtbaren Realitäten und Mächte, die hinter sichtbaren historischen Ereignissen stehen, und erklärt dadurch den Verlauf der Geschichte. Die wenigsten heutigen Leser des Neuen Testaments sind mit antiker apokalyptischer Literatur vertraut; und da uns die Offenbarung fremd erscheint, können wir den Eindruck gewinnen, in einer Sackgasse zu landen. Es kann uns frustrieren, dass dieses Buch seine Botschaft nicht in einer gewohnten Form vermittelt und dass wir an sie nicht einfach mit Lesestrategien herangehen können, die sich bei anderen Bibelbüchern als bewährt und richtig erwiesen haben. Ein Weg aus der Sackgasse besteht allerdings darin, sorgfältig die biblischen Vorläufer der Offenbarung zu beachten: die »hebräischen Propheten«. Wie Stuart erkannte, liefern die Visionen von Hesekiel, Daniel, Sacharja 4
Ein Auszug aus dem Kommentar »Der Triumph des Lammes«
und anderen nicht nur einen fruchtbaren Boden, dem die Bildersprache der Offenbarung entsprießt, sondern sie bieten auch eine Literaturgattung – also eine Gruppe von verwandter Literatur, die im Stil einander ähnlich ist und damit beim Leser eine ähnliche Erwartungshaltung hervorruft.3 Wir können über Stuarts Disziplin nur staunen. Ein Jahrzehnt scheint eine lange Zeit, um das direkte Studium der Offenbarung zurückzustellen und sich mit Herz und Sinn in deren kanonische Vorläufer zu vertiefen. Gleichwohl wird ein solches Studium der Propheten wie auch anderer alt- und neutestamentlicher Vorläufer unsere Mühen um ein Vielfaches bezahlt machen; denn wie Richard Bauckham treffend sagt, ist die Offenbarung »der Höhepunkt der Prophetie«: Sie führt zur letztendlichen Erfüllung der gesamten israelitischen Prophetie hin.4 Dass Stuart seine Lehrzyklen über das Buch der Offenbarung über viele Jahre wiederholte und seine Auslegung in großer Sorgfalt – zirkulär wie mit einer Bohrspirale – immer weiter vertiefte, verdeutlicht eine Problematik des Buches und zeigt, wie man dieser Herausforderung begegnet. Diese Problematik lässt sich schlicht so formulieren: Man kann keinen Einzelabschnitt in der Offenbarung verstehen, ohne zuvor das Buch als Ganzes verstanden zu haben; man kann aber auch das Buch als Ganzes nicht verstehen, solange man nicht seine Einzelabschnitte verstanden hat. In gewisser Hinsicht stellt uns jedes längere Dokument vor dieses Dilemma. Jede einzelne Stelle muss in ihrem Kontext verstanden werden, und der wichtigste Kontext für jeden beliebigen Satz oder Absatz ist in der Regel das gesamte Dokument. Das Dokument an sich liefert uns unschätzbare Hinweise auf seinen »Sitz im Leben«: an welcher Stelle des Austausches zwischen Verfasser und Empfänger eine bestimmte Textstelle steht, wie weit beide Seiten einander schon kennen und um welche Fragen oder Probleme es zu diesem Zeitpunkt geht. Außerdem ist es hilfreich zu wissen, mit welcher Literaturgattung wir es zu tun haben und welche Art von Sprache diese Literatur verwendet: Ist sie eher bildlich oder wörtlich gemeint? Eher direkt oder indirekt? Eher formell oder zwanglos, thematisch angeordnet oder zeitlich? Die Literaturgattung zu verstehen hilft uns, eine Lesestrategie zu wählen, die einem Text dieser Art gerecht wird. Natürlich gilt: Wenn 3 Tremper Longman III, Literary Approaches to Biblical Interpretation, Foundations of Contemporary Interpretation, Bd. 3 (Grand Rapids: Academic Books, Zondervan, 1987), S. 76-83. 4 Richard Bauckham, The Climax of Prophecy: Studies on the Book of Revelation (Edinburgh: T & T Clark, 1993).
5
Dennis E. Johnson: Sieben Grundsätze zum Verständnis der Offenbarung
wir die einzelnen Passagen des Dokumentes gründlich betrachten, dann kann das unsere Einschätzung, zu welcher Literaturgattung es insgesamt gehört, erweitern oder auch korrigieren – denn jede einzelne Passage liefert ihren eigenen Beitrag als Kontext ihrer Nachbarpassagen. Wir brauchen ein Gesamtverständnis, wie das Buch als Ganzes seine Botschaft vermittelt, um die Aussage seiner Einzelteile zu begreifen; doch unser Studium seiner Einzelteile muss diesen ersten Gesamteindruck bereichern, erweitern und vielleicht auch korrigieren. Unter dem Bild eines hermeneutischen Zirkels bzw. einer hermeneutischen Spirale versteht man zwar gewöhnlich eine gegenseitige Annäherung zwischen dem »Horizont« oder der Weltsicht eines Auslegers und der des Bibeltextes.5 Doch zu diesem Kreislauf der Auslegung gehört auch die Art und Weise, wie ein wachsendes Verständnis des Gesamttextes (seines Genres, seiner Themen und Struktur usw.) unser Verständnis seiner einzelnen Passagen erhellt und umgekehrt. Dieses paradoxe, zirkuläre Auslegungsprinzip ist beim Buch der Offenbarung noch viel entscheidender – und noch weit schwieriger anzuwenden. Es ist noch viel entscheidender, weil man angesichts der symbolischen Natur der apokalyptisch-prophetischen Gattung, zu der die Offenbarung zählt, bei ihrer Auslegung leicht zu subjektiven Gedankenausflügen neigt. Zwischen den Bildern der Offenbarung und deren angeblichen Bezugspunkten in der Weltgeschichte hat man zahllose originelle Verbindungen hergestellt. Wie sollen wir da jene herausfiltern, die Gott wirklich gemeint hat, und jene aussortieren, die nur die Frucht unserer übertriebenen Phantasie sind? Viele Bibelleser, die sich mit biblischer Prophetie beschäftigen, gehen grundsätzlich davon aus, dass jeder Bibeltext so wörtlich wie möglich zu verstehen sei. Sie glauben, mit diesem Grundsatz könne man objektiv prüfen, ob eine Auslegung gültig ist, denn dieser Grundsatz verankert die Auslegung im festen Grund des Bibeltextes, anstatt ihr eine beliebige, freischwebende Deutung zu gestatten. Zwar ist die Maxime »so wörtlich wie möglich« bei prophetischer Literatur (wie wir noch sehen werden) durchaus problematisch; doch das heißt nicht, dass die Offenbarung ein beliebig dehnbarer Gummitext wäre. Der Prozess, aus unseren subjektiven Eindrücken das herauszufiltern, 5 Anthony C. Thiselton, The Two Horizons: New Testament Hermeneutics and Philosophical Description with Special Reference to Heidegger, Bultmann, Gadamer, and Wittgenstein (Grand Rapids: Eerdmans, 1980). Siehe dort besonders Kapitel 11 zu Gadamers Gedanken über die Differenz und Verschmelzung der Horizonte (S. 293-326). Grant R. Osborne, The Hermeneutical Spiral: A Comprehensive Introduction to Biblical Interpretation (Downers Grove, Ill.: InterVarsity Press, 1991), dort besonders den Abschnitt »Context«, S. 19-40.
6
Ein Auszug aus dem Kommentar »Der Triumph des Lammes«
was der Text wirklich bedeutet, ist zwar komplex und herausfordernd, aber nicht unmöglich. Ein Prüfstein für beflügelte exegetische Gedankengänge besteht darin, auf die Wechselwirkung zwischen der betreffenden Stelle und ihrem Kontext zu achten. Aus zwei Gründen ist es bei der Offenbarung schwierig, bei der Bewegung vom Kontext zum Text und zurück im ausgewogenen Takt zu bleiben: Erstens ist die apokalyptisch-visionäre Sprache der Offenbarung dem Denken vieler heutiger Leser fremd. Darum ermüdet unser Geist schnell – es ist, als sprächen die Leute um uns in einer Fremdsprache, die wir gerade erst zu lernen beginnen, und wir fühlen uns verwirrt und überfordert. Mit äußerster Anstrengung schaffen wir es, ein Wort, einen Ausdruck und gelegentlich einen ganzen Satz oder eine vage Vorstellung dessen herauszupicken, worum es geht. Aber uns entgeht mehr, als wir begreifen, und die Mühe, die nötig ist, um den Schleier des Fremden zu durchdringen und die sinngebenden Muster herauszuhören, überfordert uns. Zweitens ist es unwahrscheinlich, dass jemand – unabhängig davon, wie lange er schon Christ ist – an die Offenbarung herangeht, als sei sie für ihn ein unbeschriebenes Blatt; es ist unwahrscheinlich, dass er alle Fragen zu Form und Bedeutung des Buches vollkommen offen lässt. Durch Predigten, Literatur und andere Lehre ist er wahrscheinlich schon mit mindestens einer der drei Ansichten über die tausend Jahre von Offenbarung 20 in Berührung gekommen, sowie mit mindestens einer der vier Meinungen, wie und wo die Ereignisse in den Visionen der Offenbarung im Lauf der Weltgeschichte einzuordnen sind. Es hat zwar Vorteile, die Offenbarung mit einem vorgegebenen Verständnismuster im Hinterkopf zu lesen; aber wenn dieses Paradigma so tief in unserem Denken verwurzelt ist, dass es nicht mehr durch das korrigiert werden kann, was wir an bestimmten Stellen finden, dann wird unser Denkrahmen die Botschaft eher verdunkeln statt erhellen. Aus diesem Grund weiche ich von der üblichen Vorgehensweise bei Kommentaren über die Offenbarung ab und biete hier in der Einleitung weder eine Übersicht über die drei Standpunkte bezüglich der tausend Jahre in Offenbarung 20 (Prämillennialismus, Postmillennialismus und Amillennialismus) noch über den Präterismus, Historizismus, Idealismus und Futurismus als Deutungsrahmen der Offenbarung – im Gegensatz zu den meisten anderen Kommentaren zur Offenbarung. Würde ich diese Diskussion an den Anfang stellen, dann würden die Leser verleitet, schon zu Beginn Partei zu ergreifen. Ich habe diese Erklärungen und Übersichten deshalb als 7
Dennis E. Johnson: Sieben Grundsätze zum Verständnis der Offenbarung
Anhang ans Ende gestellt. Wer gerne wissen möchte, zu welchem Lager ich gehöre, bevor wir den Text zusammen studieren, kann vorab diesen Anhang lesen; aber ich möchte lieber davon abraten. Sollten wir nicht zuerst versuchen, die Botschaft der Offenbarung zu verstehen, und zwar so induktiv (unvoreingenommen aus den Beobachtungen am Text) wie nur möglich aus einzelnen Stellen und ihrem weiteren Kontext, und erst dann fragen, welches Etikett am besten auf das passt, was wir gesehen und gehört haben? Wir wollen daher in Moses Stuarts Fußstapfen treten und die Offenbarung mit der angemessenen Geduld und Sorgfalt immer wieder durchgehen. Erwarten wir, dass jeder Arbeitsgang durch ihre üppige Bildersprache neue Schönheiten enthüllen wird, aber auch neue Verbindungen zu bereits entdeckten Wahrheiten. Um die Forschungsreise beginnen zu können, brauchen wir jedoch zumindest eine allgemeine Vorstellung davon, vor welchem Terrain wir stehen. In diesem Kapitel schlage ich sieben Grundsätze vor, die induktiv aus dem abgeleitet sind, was die Offenbarung über sich selbst sagt und zeigt. Zusammengenommen bieten uns diese Grundsätze eine Strategie, um das zu erkennen, was Gott uns vor Augen führen will. Für jeden Grundsatz wird eine kurze Begründung gegeben, um zu zeigen, wie er auf dem Bibeltext beruht. Bitte prüfen Sie, während wir die Offenbarung abschnittsweise durchgehen, ob diese Grundsätze passende Schlüssel zu dieser Schatzkammer des Neuen Testaments sind und uns ihren Reichtum erschließen.
1. Die Offenbarung wurde gegeben, um zu offenbaren Wir hatten bereits festgestellt, dass Moses Stuarts behutsame Herangehensweise an die Offenbarung durchaus löblich ist. Andererseits dürfen wir uns aber auch nicht von den eigenartigen Visionen in der Offenbarung verwirren lassen, geschweige denn von den Kontroversen um dieses Buch, die so zahlreich sind wie Heuschrecken in einem Schwarm. Unser Startpunkt muss sein: Wir vertrauen darauf, dass Gott dieses Buch nicht gab, um sein Volk zu verwirren, zu erschrecken oder zu spalten; vielmehr gab er es, um uns Licht zu geben, um die unsichtbaren Mächte zu demaskieren und um die Geheimnisse seines Ratschlusses zu enthüllen, den niemand vereiteln kann. Eine solche Erkenntnis befähigt uns, die äußerlichen Ereignisse und Wendungen, die seine Gemeinde in dieser Welt erfährt, zu verstehen und einzuordnen. Was Gott mit der Offenbarung bezweckt, wird im Prolog deutlich (1,1-3): 8
Ein Auszug aus dem Kommentar »Der Triumph des Lammes«
Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gab, um seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen muss; und indem er sie durch seinen Engel sandte, hat er sie seinem Knecht Johannes kundgetan, der das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi bezeugt hat, alles, was er sah. Glückselig, der liest und die hören die Worte der Weissagung und bewahren, was in ihr geschrieben ist! Denn die Zeit ist nahe. Die kursiv gesetzten Worte unterstreichen, dass Gott die Offenbarung nicht gab, um seine Knechte zu verwirren oder um unsere Vorstellung davon, wie er in der Welt handelt, zu verdunkeln. Das Gegenteil ist der Fall. »Offenbarung« ist die Übersetzung des griechischen Wortes apokálypsis, weshalb manche Bibelübersetzungen und Gelehrte dieses Buch auch »die Apokalypse« nennen. Dieses Nomen ist mit dem Verb apokalýptō verwandt, welches bedeutet, dass ein Schleier oder eine andere Verhüllung weggenommen wird, um das zu enthüllen, was dahinter ist (vgl. Mt 10,26). Paulus nennt die Wiederkunft Jesu in sichtbarer Herrlichkeit »die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus« (1Kor 1,7; vgl. 2Thes 1,7). Der Zweck dieser Offenbarung ist, »seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen muss«. Das Verb »zeigen« (deíknymi) bedeutet, dass die Botschaft des Buches in sichtbarer Form an Johannes übermittelt wurde. Das machen die Worte »alles, was er sah« ausdrücklich klar. Womöglich hat das griechische Wort, das mit »kundgetan« übersetzt wird (sēmaínō) und das mit dem griechischen Wort für »Zeichen« verwandt ist (sēmeion; Offb 12,1.3; 15,1), einen Beiklang von »visuell, sichtbar«.6 Das griechische Verb für »zeigen« könnte man als Wortspiel mit »durch Zeichen kundgetan«7 übersetzen, um damit die Verwandtschaft von sēmaínō mit dem Wort für »Zeichen« zu ver 6 Der Gedanke, dass es hier um etwas Sichtbares geht, scheint auch an den anderen drei Stellen in den Schriften des Johannes gegeben zu sein, wo dieses griechische Wort vorkommt: »Dies aber [d. h. dass Jesus von der Erde erhöht werden müsse] sagte er, um anzudeuten, welches Todes er sterben sollte« (Joh 12,33); »damit das Wort Jesu erfüllt würde, das er sprach, um anzudeuten, welches Todes er sterben sollte« (Joh 18,32 in Bezug auf 12,33); »Dies aber [d. h. dass Petrus gefesselt und dorthin geführt werde, wohin er nicht wolle] sagte er, um anzudeuten, mit welchem Tod er Gott verherrlichen sollte« (Joh 21,19). Gregory Beale zeigt in seinem Kommentar zur Offenbarung, dass die Wortwahl von Offb 1,1 auf Dan 2,28-30.45 anspielt, zumindest in dessen griechischer Übersetzung in der Septuaginta (LXX). Die LXX unterstreicht durch den Gebrauch von sēmaínō, dass es sich bei der Vision Nebukadnezars vom großen Standbild und dem Stein um eine symbolhafte Darstellung handelt (G.K. Beale, The Book of Revelation, NIGTC, Grand Rapids: Eerdmans, 1999, S. 50-52). 7 So übersetzt z. B. Hermann Menge (Anm. d. Übers.)
9
Dennis E. Johnson: Sieben Grundsätze zum Verständnis der Offenbarung
deutlichen. Dieses Buch enthüllt seine Botschaft, indem es unserer Vorstellungskraft lebhafte, zuweilen schockierende Bilder liefert. Dem Vorleser und denen, die »die Worte der Weissagung hören und bewahren«, wird Segen verheißen. Das spornt an, an die Offenbarung mit der Erwartung heranzugehen, dass Gott denen die Botschaft dieses Buches klar machen wird, die es zu verstehen suchen! Dieser Segen setzt die allgemeine Situation der Frühgemeinde voraus: Abschriften des Neuen Testaments waren äußerst rar und das literarische Bildungsniveau in manchen Gegenden und Gesellschaftsschichten niedrig. Hier ist an die Situation gedacht, dass ein Vorleser in der Gemeindeversammlung steht und die Offenbarung von Anfang bis Ende laut vorliest; die übrigen Gläubigen (»die hören«) nehmen die Worte allein durch Zuhören auf. Die Segensverheißung zu Beginn der Offenbarung mag uns erstaunen, da wir heute verwöhnt davon sind, schriftliche Texte im Überfluss um uns zu haben: Bibeln, Konkordanzen, Kommentare, Bibelsoftware und vieles mehr. Wie sollte ein bloßer Zuhörer die Offenbarung gut genug verstehen können, um ihre Worte zu bewahren und den dort verheißenen Segen zu empfangen, ohne ständig vor- und zurückzublättern, Parallelstellen zu prüfen und in Konkordanzen und Kommentaren nachzuschlagen? Doch Gott verheißt denen seinen Segen, die das Buch der Offenbarung durch Zuhören empfangen und seine Botschaft beherzigen. Das heißt: Die bedrängten Gläubigen, die im 1. Jahrhundert verstreut in den Städten Kleinasiens lebten (im Westen der heutigen Türkei) und das Buch nicht mit eigenen Augen gelesen hatten, konnten dennoch dessen Kernaussage verstehen – und zwar klar genug, um so darauf zu reagieren, wie Gott wollte. Sie konnten daraus den Trost, die Ermutigung und die Korrektur empfangen, die Gott für sie vorgesehen hatte, um durch das Gnadenmittel seines Wortes wahrhaft reich – im biblischen Sinne – gesegnet zu werden.8
2. Die Offenbarung ist ein Buch, das »gesehen« werden soll Johannes bezeichnet die Botschaft, die er bezeugt, als »das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi« und ergänzt als wichtige Anmerkung: »alles, 8 Sie hatten durchaus einen Vorteil beim Verständnis des Buches, den wir nicht haben: Weil sie in diesen Städten und Gemeinden lebten, kannten sie die Kultur und den Kontext, in denen die Offenbarung verfasst wurde, und zwar besser als es selbst die besten heutigen Gelehrten aus einer Distanz von fast zwei Jahrtausenden je herausfinden können.
10
Ein Auszug aus dem Kommentar »Der Triumph des Lammes«
was er sah« (Offb 1,2). Das Leitmotiv, dass der Prophet etwas sah, prägt die Offenbarung so stark, dass man es leicht übersehen kann (das Verb kommt 53 Mal in Bezug auf Johannes als Sehendem vor). Diese einleitende Erklärung setzt das Zeugnis des Johannes mit dem Wort Gottes und Jesu Christi gleich und daher dürfen wir sie nicht ignorieren. Sie gibt die Literaturgattung des Buches an und zeigt uns somit, wie wir das Buch lesen müssen, um seine Botschaft zu verstehen. Der visuelle und visionäre Modus der Botschaft wird nochmals durch den prophetischen Auftrag betont, den Johannes empfängt: »Was du siehst, schreibe in ein Buch und sende es den sieben Gemeinden« (1,11). Die Offenbarung ist uns – wie ursprünglich den sieben Gemeinden – in Schriftform gegeben; aber sie ist eine Literaturform, die uns die Szenen, die Johannes sah, quasi vor Augen malt.9 Die Offenbarung ist ein Buch voller Symbole in Aktion. Was Johannes in einer prophetischen Vision sah, zeigt das wahre Wesen von Ereignissen, Personen, Mächten und Entwicklungen; wie diese aber auf der irdischen, soziokulturellen, sichtbaren Ebene erscheinen, ist etwas völlig anderes. Eines der Schlüsselthemen des Buches lautet: Nichts ist das, was es zu sein scheint. Die Gemeinde in Smyrna scheint arm zu sein, aber sie ist reich und bildet den Gegenpol zu denen, die behaupten Juden zu sein, aber die Synagoge des Satans sind (Offb 2,9). Sardis hat den Ruf, lebendig zu sein, ist aber tot (3,1). Die Gemeinde in Laodizea meint, sie sei reich und brauche nichts, doch sie ist arm und nackt (3,17). Das Tier scheint unbesiegbar und fähig, die Heiligen zu besiegen und zu töten (11,7; 13,7); ihre Treue bis in den Tod aber erweist sich als ihr Sieg über den Drachen, der dem Tier seine Macht gegeben hat (12,11). Die, die im Laufe der Weltgeschichte dem menschlichen Blick als schwache, hilflose, verfolgte, arme, besiegte Gemeinden der treuen Diener Jesu erscheinen, erweisen sich als die wahren Sieger, die am Triumph des Löwen teilhaben, der als geschlachtetes Lamm den Sieg errungen hat. Was als unbesiegbare Mächte erscheint, die die Weltgeschichte kontrollieren – der militärisch-politisch-religiös-ökonomische Komplex, den Rom und dessen weniger glanzvolle Nachfolger bilden –, ist ein System, das den Keim der Selbstzerstörung in sich trägt und bereits die ersten Geißelhiebe des Zornes des Lammes spürt. Auf der sichtbaren Ebene der Weltgeschichte ist nichts das, was es zu sein scheint; darum enthüllt die Symbolik der Of 9 William Hendriksen schreibt in More Than Conquerors: An Interpretation of the Book of Revelation (Grand Rapids: Baker, 1939), S. 50: »Das gesamte Buch besteht aus wechselnden Szenen, bewegten Bildern, aktiv handelnden Symbolen. … Es ist sozusagen ein ›Tonfilm‹.«
11
Dennis E. Johnson: Sieben Grundsätze zum Verständnis der Offenbarung
fenbarung es als das, was es ist. Ihre überraschende, paradoxe Bildersprache enthüllt, was die Gemeinde wirklich ist, wer ihre Feinde sind und wer ihr Schutzherr ist. Das Paradoxe steht im Mittelpunkt der Symbolik. Und die Dinge sind nicht nur nicht das, was sie in der Geschichte zu sein scheinen, sondern typischerweise zeigen die Visionen auch, dass die Dinge im Wesen genau das Gegenteil dessen sind, was sie zu sein scheinen. Dieser Unterschied zwischen der äußeren Erscheinung einer Sache und ihrer symbolischen Darstellung in der Vision wird deutlich, wenn wir einige Beispiele betrachten, wo bestimmte Symbole im Text selbst ausdrücklich identifiziert werden. Die sieben Sterne, die Johannes in der Hand des Menschensohns sieht, sind die »Engel der sieben Gemeinden«, und »die sieben Leuchter«, in deren Mitte der Menschensohn steht, »sind die sieben Gemeinden« (Offb 1,20). Die Hure, die üppig mit Purpur, scharlachrotem Stoff, Gold und Edelsteinen ausstaffiert ist, »ist die große Stadt, welche die Königsherrschaft über die Könige der Erde hat« (17,18); die sieben Köpfe des Tieres, auf dem sie sitzt, »sind sieben Berge … und sieben Könige« (17,9-10). Das feine, reine Leinen, aus dem das Hochzeitskleid der Braut des Lammes gemacht ist, steht für »die gerechten Taten der Heiligen« (19,8). Der Drache oder die Schlange ist »der Teufel und der Satan« (20,2). In der diesseitigen Welt sieht die Gemeinde von Laodizea wie eine Versammlung von Menschen aus und nicht wie ein Leuchter. Die große Stadt sieht wie eine Ansammlung von Gebäuden, Straßen, Einwohnern und sozialen und kommerziellen Einrichtungen aus und nicht wie eine Hure in auffällig bunter Kleidung. Trotzdem zeigen uns die Symbole etwas über die Gemeinde, die große Stadt, die Braut und den Feind: Sie enthüllen das, was für das bloße Auge unsichtbar ist. Sie zeigen auf, wer diese Personen und Einrichtungen wirklich sind, und zwar mit einer Klarheit, an die eine rein buchstäbliche Beschreibung nie heranreichen würde. Die Stärke der Symbolik liegt in ihrer Aussagekraft, denn ein Bild sagt oft mehr als tausend Worte. Das Problem an der Symbolik ist jedoch ihre Mehrdeutigkeit. Alle Formen von Metaphorik, Analogie und Gleichnissen erfordern vom Leser, die genaue Parallele zwischen zwei Dingen herauszufinden, die sich in vielfacher Hinsicht unterscheiden, aber in zumindest einem Punkt einander entsprechen. Deshalb ermahnt Jesus die Hörer seiner Gleichnisse: »Wer Ohren hat, der höre!« (Mt 13,9; Lk 14,35) – ein Aufruf, der in allen sieben Briefen an die Gemeinden Kleinasiens widerhallt (Offb 2,7.17.29 etc.; vgl. 13,9). Das Gleichnis vom Sämann fordert die Hörer heraus zu erkennen, inwiefern ein Bauer, der Saat ausstreut, dem kommenden Reich Gottes gleicht und es ver12
Ein Auszug aus dem Kommentar »Der Triumph des Lammes«
anschaulicht. So erfordern auch die Symbole der Offenbarung Augen, die sehen können, Ohren, die hören können, und ein Herz, das versteht, was die Verbindung zwischen dem Bild und seinem realen Gegenstück ist (vgl. Mt 13,13-16 in Anspielung auf Jes 6,9-10). An der Stelle, wo die Offenbarung zwei ihrer wichtigsten Symbole einführt (das Tier und die Hure), betont sie: »Weisheit« ist nötig, um zu verstehen, was die Symbole über die Realität sagen, die sie abbilden (Offb 13,18; 17,9). Die richtige Verbindung zwischen Symbol und Realität herzustellen, ist aus zwei Gründen ein schwieriges Problem: Erstens wegen besagter Gegensätzlichkeit zwischen Symbolik und symbolisierter Realität, und zweitens, weil die Offenbarung mehrere Symbole, die miteinander unvereinbar zu sein scheinen, auf ein und dieselbe Sache bezieht. Johannes hört die Verheißung, dass der siegreiche Löwe aus dem Stamm Juda die Vollmacht hat, die versiegelte Schriftrolle des Ratschlusses Gottes zu öffnen; dann aber sieht er ein Lamm, das dasteht wie geschlachtet (Offb 5,5-6). Er hört die Zahl der Erwählten Israels: 144.000, die versiegelt sind, damit sie nicht vertilgt werden; dann aber sieht er eine unzählbare Schar aus allen Nationen, Stämmen, Völkern und Sprachen (7,4-14; 14,1-5). Da Symbolik nie eindeutig ist, hat es im Laufe der Auslegungsgeschichte so viele unterschiedliche Auslegungen der Offenbarung gegeben. Bibelausleger vertreten in mehreren Punkten eine unterschiedliche Meinung: Wie viel Symbolik enthält die Offenbarung? Anhand welcher Kriterien sollte man Symbole mit ihren Realitätsbezügen verbinden? Wie erkennt man, was ein Symbol bedeutet? Manche meinen, bei der Auslegung biblischer Prophetie – des Alten Testaments wie auch der Offenbarung – ließe sich durch eine einfach Regel gewährleisten, dass die Auslegung objektiv bleibt und dass Gottes Handeln als historische Realität anerkannt wird: Prophetische Rede solle wo immer möglich wörtlich verstanden werden und nur dort symbolisch, wo der Text Bilder ausdrücklich als Symbole bezeichnet oder wo ein wörtliches Verständnis zu einer unmöglichen oder widersprüchlichen Bedeutung führen würde. Bei der Offenbarung jedoch wirft dieser Ansatz, alles so wörtlich wie möglich zu nehmen, mehr Probleme auf, als er löst. Erstens ist schon der Begriff wörtlich problematisch. Anscheinend will man damit gewöhnlich besagen, dass ein Bild, das ein Prophet in einer Vision gesehen hat, auf physisch-natürliche Weise einem historischen Bezug entspricht. Wenn also Gott verheißt, dass Israel wieder in sein Land kommen wird, müsse sich diese Verheißung dadurch erfüllen, dass physisch-natürliche Nachkommen der 13
Dennis E. Johnson: Sieben Grundsätze zum Verständnis der Offenbarung
Patriarchen jenes physisch-natürliche Land wieder besiedeln, das zwischen der Ostküste des Mittelmeers und dem Jordan liegt. Oder wenn Gott einen wieder erbauten Tempel verheißt (Hes 40-48), dann könne sich dies nicht in einem »geistlichen Haus« erfüllen, das aus »lebendigen Steinen«, d. h. Erlösten, erbaut ist (1Petr 2,5). Bei einem solchen Verständnis von »wörtlich« übersieht man jedoch, dass »wörtlich« eigentlich »dem Wortsinn entsprechend«10 bedeutet und der Wortsinn eines Wortes von der Literaturgattung abhängt, also davon, in welcher Art von Text dieses Wort oder dieser Ausdruck steht. Der Wortsinn symbolischer Texte besteht in der symbolischen Entsprechung zwischen der Bildrede und der gemeinten Sache, die sie beschreibt.11 Zweitens: Klare Anzeichen im gesamten Buch der Offenbarung machen überaus deutlich, dass visionäre Symbolik das vorherrschende Merkmal der Gattung dieses Buches ist. Nicht einmal der eifrigste Verfechter der »So wörtlich wie möglich«-Hermeneutik erwartet, dass wir aus dem Mund des auferstandenen Herrn ein zweischneidiges Schwert hervorkommen sehen werden (Offb 1,16), oder dass er wie ein Lamm mit sieben Hörnern und sieben Augen aussieht (5,6). Selbst da, wo Symbole nicht als solche bezeichnet werden, ist uns intuitiv klar, dass wir uns in diesem Buch in einer Welt voller Symbole befinden. Gelehrte aller Schulen sind sich einig, dass das »Tier« in der Vision des Johannes ein Weltreich oder ein Weltherrscher ist, das bzw. der nicht buchstäblich so wie in der Vision geschildert aussieht – mit zehn Hörnern und sieben Köpfen und zugleich in Gestalt eines Leo 10 Der Begriff wörtlich, engl. literal, hat eine etwas andere Bedeutungsnuance als buchstäblich. Beispiel: »Die Veranstaltung ist buchstäblich ins Wasser gefallen«, d. h. sie fand tatsächlich aufgrund von Regen nicht statt. Hier würde man aber nicht wörtlich sagen. Die wörtliche Bedeutung von bspw. »Baumkrone« oder »Tischbein« ist hingegen der Wortsinn in der gegebenen Sprache: die Spitze eines Baumes (und kein königlicher Kopfschmuck) und die Standstütze einer Tischplatte (Ergänzung des dt. Herausgebers). 11 Vern S. Poythress zeigt in seinem Aufsatz »Genre and Hermeneutics in Rev. 20:1-6« in Journal of the Evangelical Theological Society 36 (1993), S. 1-42: Bei einem Buch wie der Offenbarung, das sich durch visionäre Symbolik auszeichnet, müssen wir vier Bedeutungsebenen beachten. Die erste Ebene ist die linguistische, d. h. was die Worte, Teilsätze, Sätze und Absätze im linguistischen Rahmen des hellenistischen Griechisch bedeuten. Die zweite Ebene ist die visionäre: die Vision, die Johannes mittels Sprache darstellt und beschreibt. Die dritte Ebene ist die Bezugsebene: die Personen, Mächte oder historischen Ereignisse, auf die sich die Bilder, die Johannes sah, beziehen oder auf die sie verweisen. Die vierte Ebene ist die symbolische: was die visionäre Bedeutungsebene, was die Bilder, die Johannes in seinen Visionen sah, über die Bezugsebene über die symbolisierten Personen, Mächte oder Ereignisse offenbaren.
14
Ein Auszug aus dem Kommentar »Der Triumph des Lammes«
parden, Bären und Löwen. Wenn wir beim Lesen der Offenbarung einer exegetischen Faustregel folgen sollen, dann dieser: Was Johannes in seinen Visionen sieht, sollten wir so symbolisch wie nur möglich nehmen. Was also verankert unsere Auslegung dieses höchst symbolischen Buches fest in der Bedeutung, die Gott damit zu vermitteln beabsichtigt? Ein Anker findet sich in unserem dritten Grundsatz:
3. Die Offenbarung ergibt nur im Licht des Alten Testaments Sinn Das Eingangsbeispiel von Moses Stuart wie auch der Titel von Richard Bauckhams Buch Climax of Prophecy verdeutlichen, dass es höchst wichtig zu begreifen ist: Die Offenbarung präsentiert sich als Höhepunkt der Prophetie. Sie verwendet und kombiniert Bilder aus alttestamentlichen prophetischen Visionen und zeigt deren letztendliche Erfüllung. Die Herrlichkeit Gottes, die Johannes zu Beginn seiner prophetischen Berufung sieht (Offb 1; 10), wurde auch schon in früheren Zeiten geschaut, als Propheten beauftragt wurden, Gottes Botschaft aus seinem Thronsaal zu überbringen (Hes 1; Dan 9-10). Das Tier, das in Offenbarung 13 aus dem Meer aufsteigt, ist eine Kombination aus den vier Tieren von Daniel 7 – dort sind es die Weltreiche, die die Gläubigen unterdrückten, bis der Menschensohn seine Königsherrschaft von dem Hochbetagten empfing. Die zwei Zeugen von Offenbarung 11 sind die zwei Ölbäume von Sacharja 4, »die beiden Gesalbten, die vor dem Herrn der ganzen Erde stehen« (Sach 4,14). Das Unheil des Gerichts, das über die Hure Babylon kommen wird (Offb 18), ist ein Widerklang des Gerichtsunheils, das einst über Israels Feinde Tyros (Hes 27) und Babel kam (Jer 51; Jes 48). Das symbolische Vokabular der Offenbarung leitet sich nicht nur aus dem Wortschatz der prophetischen Bücher ab, sondern auch aus anderen Teilen des Alten Testaments. Der Baum des Lebens, der zu Anbruch der biblischen Geschichte im Paradies stand (1Mo 2,9), erscheint wieder bei ihrer Vollendung (Offb 2,7; 22,2). Die alte Schlange, deren mörderische Lüge die Frau verführte und die Welt in einen Abgrund des Elends stürzte (1Mo 3,1), erscheint wieder und führt Krieg gegen die Frau, deren Sohn und deren weitere Kinder – aber diesmal steht Satans Verderben fest, und er hat nur wenig Zeit (Offb 12; 20). Die Plagen, die einst Israels Unterdrücker Ägypten trafen (2Mo 7-12), kommen über die Verfolger der Gemeinde 15
Dennis E. Johnson: Sieben Grundsätze zum Verständnis der Offenbarung
(Offb 8,7.10.12; 9,3; 11,6; 16,13); so feiert auch die Gemeinde ihre Erlösung – die dem Auszug aus Ägypten ähnelt – mit dem Lied des Mose und des Lammes (Offb 15,3; 2Mo 15). Zwar finden sich nur selten exakte Zitate aus dem Alten Testament in der Offenbarung, doch Anspielungen auf alttestamentliche Bildersprache sind allgegenwärtig: Elia und seine Todfeindin Isebel; der Prophet Bileam, der die Midianiter anstiftete, Israel zu verführen; der Tempel Gottes, in dem seine Priesterkönige ihm dienen und Gebete als Weihrauch auf dem Altar darbringen, von dem das Feuer des Gerichts herabfällt wie über Sodom und Gomorrha; Israel, die Mutter des Messias; Israel, die Braut des Herrn; Israels zwölf Stämme, gerüstet zum heiligen Krieg; Gottes Kelter des Zorns; das kostenlos dargebotene Wasser des Lebens; Jerusalem, die Stadt Gottes. Dennoch ist es nicht so, dass Gott einfach Bilder aus dem Alten Testament herausnähme und sie unverändert in das Schema dieser Visionen einfügte. Die alttestamentlichen Bilder bleiben zwar erkennbar, werden aber verändert und in neuen Gefügen neu verbunden. Das ist auch zu erwarten, denn das Opfer und die Auferstehung des Lammes haben den Krieg der Zeitalter in eine neue Phase und an einen neuen Schauplatz und Handlungsort geführt. Wir wollen uns nicht an die Symbolik der Offenbarung wagen, ehe unser Denken nicht mit der reichhaltigen Bildersprache des Alten Testaments vertraut ist. Wir werden aber ebenso darauf achten, welcher Veränderung diese alten Bilder unterzogen werden, um den Höhepunkt des bevorstehenden Sieges zu beschreiben, den das Königreich Gottes und Christi erringen wird.
4. Zahlen zählen in der Offenbarung Zur Symbolik der Offenbarung gehören auch bestimmte häufig erwähnte Zahlen, die der zuhörenden Gemeinde die Struktur der Visionen und wichtige Gedanken vermitteln. Besonders die Zahlen sieben, zehn und zwölf sowie einige ihrer Vielfachen sind von besonderer Bedeutung.12 Sieben ist die Zahl der Gemeinden, an die das Buch gerichtet ist, und demzufolge auch die Zahl der Briefe bzw. Botschaften, die der auferstandene Christus an die Gemeinden richtet. Zwar zeigen andere neutestamentliche Schriften, dass zu dieser Zeit auch in weiteren Städten im Westen Kleinasiens Gemeinden bestanden; diese sieben aber stehen stellvertretend für die 12 Auch die Zahl Vier hat in mehreren Visionen eine symbolische Bedeutung.
16
Ein Auszug aus dem Kommentar »Der Triumph des Lammes«
Gemeinden Jesu Christi im Allgemeinen, da ihre Anzahl von sieben Vollständigkeit symbolisiert. Ebenso symbolisieren die sieben Hörner des Lammes seine Allmacht, und seine sieben Augen, dass er durch die Allgegenwart des Heiligen Geistes auf Erden allwissend ist (Offb 5,6). Die Schriftrolle, die den Ratschluss Gottes darüber enthält, »was bald geschehen muss« (1,1), ist mit sieben Siegeln versiegelt (5,1), und die Visionen, in denen das Lamm diese sieben Siegel aufbricht, gliedern den zweiten Hauptteil des Buches (6,1 – 8,2). Die sieben Posaunenstöße der Engel gliedern den dritten Hauptteil (8,6 – 11,18). Sie schildern Katastrophen, die für die Zeitspanne zwischen dem ersten und zweiten Kommen Christi verordnet sind. Diese Katastrophen sind zwar in ihrem Umfang begrenzt, bieten aber jeweils eine Vorschau des vollumfänglichen Verderbens, das erst mit den sieben Schalen ausgegossen wird. Deren Umfang ist unbegrenzt und diese Zornesschalen sind die letzten Gerichte, »denn durch diese kam der Zorn Gottes zum Abschluss« (15,1.7; 16). Wir lesen außerdem von sieben Köpfen, sieben Hügeln, sieben Königen und den sieben Geistern Gottes. Die Zehn beziffert die Zahl der Köpfe des Drachens (Offb 12,3) und des Tieres (zehn Könige; Offb 13,1; 17,12; vgl. Dan 7,7) und eine kurze, zehntägige Zeit der Bedrängnis, die zu erdulden ist (2,10). Weit öfter noch aber kommt sie in ihrem Vielfachen vor. In ihrer dritten Potenz, 1.000, symbolisiert sie eine sehr große Zahl von Jahren (20,2-7); ferner beschreibt ihre dritte Potenz multipliziert mit zwölf die enormen Ausmaße des neuen Jerusalems von 12.000 Stadien (etwa 2160 Kilometer13), über die es sich in alle Richtungen erstreckt – in Länge, Breite und Höhe (21,16). Oder ihre dritte Potenz wird mit dem Quadrat von zwölf multipliziert, um die Vollzahl aller Männer unter Waffen in jedem der Stämme Israels zu bezeichnen, die versiegelten »Knechte unseres Gottes«. Sie bilden die Armee des Lammes, gereinigt zum heiligen Krieg (7,4-8; 14,1-5). Mit noch weit größeren Vielfachen (Tausende mal Tausende = Millionen; Zehntausende mal Zehntausende = Hundertmillionen) symbolisiert sie die schier endlose Zahl derer, die im Himmel das Lamm anbeten und lobpreisen (5,11-12). Zwölf ist die Zahl des Volkes Gottes: zwölf Stämme Israels (Offb 7,4-8; 21,12) und zwölf Apostel des Lammes (21,14). Die Zwölf dient somit bei der symbolischen Darstellung des Volkes Gottes als himmlisches Jerusalem da 13 Dies ist eindeutig symbolisch gemeint, denn die Länge des alten Israel von Dan im Norden bis Be’er Scheva im Süden beträgt in buchstäblicher, irdischer Geographie nicht einmal 300 Kilometer.
17
Dennis E. Johnson: Sieben Grundsätze zum Verständnis der Offenbarung
zu, dessen Gestalt zu beschreiben: die Anzahl der Tore und der Grundsteine der Stadtmauer und ihre Dicke von 12 Mal 12 = 144 Ellen (rund 65 Meter), sowie die Länge, Breite und Höhe der Mauern von jeweils 12.000 Stadien. Die Zahlensymbolik wird in der Offenbarung nicht starr, sondern flexibel verwendet. Wer das nicht gewohnt ist, wird sich zum Beispiel wundern, im Eingangssegen zu lesen: »Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron (sind), und von Jesus Christus …!« (Offb 1,4-5). Will Johannes etwa unser trinitarisches Gottesverständnis durch eines ersetzen, in dem Gott aus neun Personen besteht (Vater, Sohn und sieben Geister)? Lehnt er etwa die eindeutig trinitarische Formel des Paulus ab: »ein Geist … ein Herr … ein Gott und Vater aller« (Eph 4,4-6)? Manche Bibelübersetzungen geben diesen Ausdruck mit »siebenfacher Geist« wieder (so die NIV in einer Anmerkung), und das ist richtig. Der Kontext der Offenbarung macht klar: Wenn Johannes sich von der apokalyptischen Bildersprache wegbewegt, die er aus Sacharja 4,10 übernommen hat, um direkt vom dem zu sprechen, auf den die Bilder hindeuten, wechselt er zum Singular: »Da geriet ich durch den Geist in Verzückung« (Offb 1,10; vgl. 4,2; 17,3; 21,10); »Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!« (2,7.11.17.29; 3,6.13.22; 22,17). Johannes weiß sehr wohl, dass es nur einen einzigen Heiligen Geist Gottes gibt.14 Warum aber spricht er dann von »den sieben Geistern Gottes«? Die Zahl Sieben symbolisiert die Fülle und Vollkommenheit des Heiligen Geistes. Er wird durch die sieben Leuchter versinnbildlicht, die vor dem leuchten, der auf dem Thron sitzt – der Heilige Geist ist voll und ganz beim Vater im Himmel gegenwärtig (4,5). Er wird außerdem durch die sieben Augen des Lammes versinnbildlicht: Sie »sind die sieben Geister Gottes, ausgesandt über die ganze Erde« (5,6) – d. h. der Heilige Geist ist voll und ganz in der Gemeinde gegenwärtig, kennt alle Stärken und Schwächen jeder Gemeinde, den Druck von außen, dem sie ausgesetzt ist, und weiß, wie es in ihr wirklich aussieht. Genau so, wie ein einziges Bild von den sieben Köpfen des Tieres mehrere Dinge bedeuten kann (sie sind sowohl sieben Hügel als auch sieben Könige; 17,9-10), so kann auch eine einzige Bedeutung, der 14 Auch Sacharja weiß, dass es nur einen einzigen Geist Gottes gibt; in demselben Text nämlich, wo er von sieben Leuchtern (Sach 4,3) und Augen spricht (4,10), steht die Verheißung: »›Nicht durch Heeresmacht und nicht durch Gewalt (geschieht es), sondern durch meinen Geist!‹ – so spricht der HERR der Heerscharen« (4,6).
18
Ein Auszug aus dem Kommentar »Der Triumph des Lammes«
Heilige Geist, durch mehrere Bedeutungsträger (Bilder) beschrieben werden – wie hier durch Leuchter und Augen.15 Wenn wir erkennen, welche symbolische Bedeutung Zahlen haben und wie vielfältig die Offenbarung Zahlensymbolik verwendet, dann werden wir die Botschaft verstehen: die Zahlen sollen dazu dienen, etwas zu vermitteln; dabei darf man aber den Zahlwerten in den Visionen keine buchstäbliche (zeitliche, räumliche oder mengenmäßige) Bedeutung aufzwingen.
5. Die Offenbarung richtet sich an eine bedrängte Gemeinde Die Gewaltdarstellung in den Visionen der Offenbarung kann Alpträume bei Kindern und Anstoß bei vermeintlich abgebrühten Erwachsenen hervorrufen. Johann Salomo Semler (1725 – 1791) meinte, man könne dem menschlichen Leser nicht die Schuld dafür anlasten, wenn er es »unangenehm und widerwärtig« finde, wie die Offenbarung Gottes Zorn über seine Feinde schildert. Solche Visionen widersprächen nämlich dem, was Semler als selbstverständlich voraussetzt: in einem Buch, dessen Urheber Gott ist, dürfe man eigentlich »nichts als nur göttliche allgemeine Liebe und Wohltätigkeit zur Erneuerung der Menschen finden«.16 Wer eine solche Meinung vertritt, hat allerdings nicht verstanden, in welcher gesellschaftlichen und geistlichen Lage sich die Empfänger der Offenbarung befanden. Die Offenbarung richtet sich an eine bedrängte Gemeinde. Sie offenbart, »was bald geschehen muss« und will daher keine eitle Endzeit-Neugierde befriedigen oder zu Rachegelüsten anstacheln, sondern die Nachfolger Jesu in unerschütterlicher Hoffnung und einem heiligen Lebenswandel festigen. 15 Bei der Methode der Gematrie, die ein alter Brauch ist, haben Zahlen außerdem eine noch weit komplexere Symbolik: Die Gematrie berechnet und deutet die Zahlenwerte von Wörtern, da in alten Sprachen die Buchstaben des Alphabets jeweils einen Zahlenwert haben. Dies macht es möglich, für Eigennamen oder Staatsnamen einen Code von Zahlensummen zu verwenden. Anscheinend deutet Offenbarung 13,18 darauf hin, dass der Leser den dortigen Code durch Gematrie dechiffrieren soll (auf diese mögliche Deutung werden wir später noch zu sprechen kommen). Siehe Bauckham, Climax of Prophecy, »Nero and the Beast«, S. 384-452. 16 Johann Salomo Semler, Abhandlung von freier Untersuchung des Canon (1771–1775), zitiert bei Werner Georg Kümmel, Das Neue Testament: Geschichte der Erforschung seiner Probleme (Freiburg i. Br. ; München: Alber, 2. Aufl. 1970), S. 74f. Das Zitat wurde sprachlich an das heutige Deutsch angepasst.
19
Dennis E. Johnson: Sieben Grundsätze zum Verständnis der Offenbarung
Im Verlauf der Offenbarung finden sich sieben Seligpreisungen: Glückselig sind jene, die das Wort Christi halten (Offb 1,3; 22,7), selbst wenn es sie das Leben kostet (14,13); die sich in wachsamer Erwartung der Wiederkunft Christi rein halten (16,15); die zum Hochzeitsmahl des Lammes eingeladen sind (19,9) und schließlich jene, die um ihres Glaubens willen enthauptet wurden und dadurch an der ersten Auferstehung (20,4-6) und am Baum des Lebens in der Stadt Gottes teilhaben (22,14). Diese Seligpreisungen deuten an, auf welch vielfältige Weise die Gemeinde attackiert wird: durch Verfolgung, die zum Märtyrertod führt, und durch Verführung, die zu Verunreinigung führt. Der Kampf der Gemeinde spiegelt sich außerdem in den Verheißungen wider, die dem Sieger bzw. »Überwinder« gelten. Die sieben Briefe an die sieben Gemeinden in Offenbarung 2-3 schließen jeweils mit einer Verheißung: »Wer überwindet …« Gewöhnlich sind diese Verheißungen ein Vorgriff auf den endgültigen Sieg, den Offenbarung 19-22 schildert: vom Baum des Lebens essen, den zweiten Tod nicht sehen, mit Christus über die Völker herrschen, eine Säule in Gottes Tempel sein, mit Gottes Namen beschriftet sein usw. Worin genau die jeweilige Gemeinde überwinden muss, hängt davon ab, worin der Herr sie zu Glaube und Treue aufruft: sei es, dass die Gemeinde von Spaltung bedroht wird, sei es durch Verfolgung von außen, durch Religionsvermischung mit heidnischen Gedanken und Praktiken oder durch selbstgefällige Kompromisse mit dem Materialismus der umgebenden Kultur. Der ärgste Feind der Gemeinde, der Drache, »die alte Schlange, die der Teufel und der Satan ist« (Offb 20,2), erweist seine große List, die durch die sieben Köpfe symbolisiert wird (12,3), indem er die Gemeinde von innen und außen angreift: durch Bedrohung an Leib und Leben sowie durch geistliche Verführung und durch materielle Verlockung. Die Visionen von Offenbarung 12-19 stellen diese verschiedenen Arten des Angriffs auf dreierlei Weise symbolisch dar: Als – • das Tier aus dem Meer (Bedrohung an Leib und Leben), • das Tier aus der Erde, das später der falsche Prophet genannt wird (geistliche Verführung), • die Hure (materielle Verlockung). Diese drei Aspekte der Verführung sind zwar tatsächlich verschiedene Mächte, doch bilden sie zusammen eine konzertierte teuflische Koalition, mit der 20
Ein Auszug aus dem Kommentar »Der Triumph des Lammes«
der Feind versucht, die belagerte Braut von ihrem siegreichen Herrn zu trennen. Der falsche Prophet verbreitet Lügen, um für die Anbetung des Tieres zu werben; die Hure reitet auf dem Tier und feiert den Sieg des Tieres, indem sie einen Kelch mit dem Blut der Märtyrer hochhält und damit umher prostet. Angesichts dieser Angriffe werden die, die am »Wort Gottes und Zeugnis Jesu festhalten«, aufgerufen, auszuharren und rein zu bleiben. Der Feind greift unerbärmlich an und bedient sich dabei der einschüchternden Macht der römischen Armeen – einschließlich der politisch-militärischen Muskeln der historischen Nachfolger Roms. Das Volk Jesu muss darum sein Herz stählen, um in beharrlicher Hoffnung Verfolgung zu erdulden. »Hier muss sich das standhafte Ausharren der Heiligen zeigen, die da treu bleiben den Geboten Gottes und dem Glauben an Jesus« (Offb 14,12).17 Dem Ruf zum Ausharren folgt man nicht, indem man sich wie Mönche aus der feindlichen Kultur zurückzieht, sondern indem man die Kultur mit dem Evangelium konfrontiert. Ausharren hängt daher mit der Berufung zusammen, ein treuer Zeuge Jesu zu sein. »Ich, Johannes, euer Bruder und Mitteilhaber an der Bedrängnis und am Königtum und am Ausharren in Jesus, war auf der Insel, die Patmos genannt wird, um des Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu willen« (1,9). Das treue Bezeugen der Botschaft Jesu brachte Johannes in Drangsal und in Verbannung auf die Gefängnisinsel Patmos. Er ist darum ein mitfühlender und glaubwürdiger Zeuge, den Jesus, der treue Zeuge (1,5; 3,14), senden kann, um die Gemeinden zu ermutigen und zu ermahnen, an der Hoffnung und am Zeugendienst festzuhalten – nicht, indem sie sich von der Welt abschotten, sondern indem sie auf sie einwirken.18 Weil die Schlange sich heimtückisch einschleicht, um die Braut Christi durch glaubhaft klingende Lügen und gefällige Kompromisse auf Abwege zu locken, muss die Gemeinde auch dadurch überwinden, dass sie sich rein hält. Die weißen Gewänder der Überwinder symbolisieren ihren Sieg über die Versuchung zur Unreinheit. Das heißt also: Die Erlösten sind tauglich, als königliche Priester den Tempel Gottes zu betreten und ihm freudig in seiner Gegenwart zu dienen (Offb 3,4-5.17-18; 22,14-15). Wenn auch das weiße Leinen für ihre gerechten Taten steht (19,7-8), so ist doch die Reinheit, 17 Siehe auch die Stellen in den sieben Sendschreiben, die die Gemeinden für ihr Ausharren loben und sie auffordern, daran festzuhalten (Offb 2,2-3.10.13.19.25; 3,8.10). 18 Zum Thema, angesichts von Bedrängnis Zeugnis zu geben bzw. ein Zeuge Jesu und seines Wortes zu sein siehe auch Offb 1,2; 2,13; 6,9; 11,3.7; 12,11.17; 17,6; 19,20; 20,4.
21
Dennis E. Johnson: Sieben Grundsätze zum Verständnis der Offenbarung
die sie vor dem dreimal heiligen Gott annehmbar macht, nicht ihr eigener Verdienst; vielmehr resultiert diese Reinheit daraus, dass die Gläubigen durch das allerwertvollste Waschmittel rein wurden: »… sie haben ihre Gewänder gewaschen und sie weiß gemacht im Blut des Lammes« (7,14). Unsere Auslegung der Offenbarung muss von der Frage geleitet sein: Was will Gott dadurch im Lebenswandel seines Volkes bewirken? Wenn wir zwar jeden einzelnen Ausdruck erklären, jede Anspielung auf alttestamentliche Schriften oder auf die griechisch-römische Gesellschaft identifizieren, jede Querverbindung zurückverfolgen und jedes Geheimnis dieses Buches erhellen können, trotzdem aber aus Furcht vor der öffentlichen Meinung verstummen, vor dem zu erwartenden Leid zurückschrecken oder uns dadurch verführen lassen, dass die westliche Wohlstandsgesellschaft »Sicherheit, Komfort und Vergnügen« verspricht,19 dann haben wir das Buch der Offenbarung noch nicht einmal ansatzweise so verstanden, wie Gott es will. Der Drache greift die Gemeinde zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten auf verschiedene Weise und aus verschiedenen Richtungen an: In manchen Teilen der Welt fährt er einen Frontalangriff in Form brutaler Verfolgung durch feindlich gesinnte Regierungen oder Mitmenschen. Anderswo gleicht die Gefahr einer heimtückischen, schleichenden Infektion, die schläfrig und taub macht und das Immunsystem schwächt, so dass man Irrlehren nicht mehr erkennt. Anderswo wiederum verführt der Drache geschickt zur Anpassung an die Welt und zu Kompromissen mit der Welt, weil dies angenehme Vorzüge mit sich bringt. Eines aber gilt immer: Die Gemeinde wird immer angegriffen und bedrängt, in jeder Epoche und an jedem Ort. Unsere einzige Sicherheit liegt darin, den Feind und seine Mächte zu erkennen und an Jesus, unserem Schutzherrn und König, festzuhalten.
6. Die Offenbarung zeigt, »was bald geschehen muss« Viele Zeitangaben in der Offenbarung sind rätselhaft und verlangen in den vor uns liegenden Kapiteln unsere ganze Aufmerksamkeit: »zehn Tage« (Offb 2,10); »42 Monate« (11,2; 13,5), »1.260 Tage« (12,6), »eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit« (12,14), »tausend Jahre« (20,2-7). Eine der klarsten und sicher wörtlich gemeinten Zeitangaben ist jedoch die wiederholte 19 P. D. James bezeichnet unsere Gesellschaft als bar jeder Hoffnung und deshalb auch ohne Gewissen, Verantwortung und Mitleid (The Children of Men, New York: Knopf 1993, S. 60).
22
Ein Auszug aus dem Kommentar »Der Triumph des Lammes«
Angabe, dass die Visionen des Johannes etwas zeigen, »was bald geschehen muss« (1,1). Der Appell im Prolog, auf die Botschaft der Offenbarung zu hören und sie zu bewahren, wird durch die Begründung unterstrichen: »denn die Zeit ist nahe« (1,3). Und damit wir nicht meinen, dass hinter den Kulissen eine lange Verzögerung oder ein geheimer Aufschub vorgesehen sein könnte – eine ausgedehnte Kluft zwischen Johannes’ Visionen und ihrer Erfüllung –, wird am Schluss des Buches das dringliche Eröffnungsmotiv umso klarer wiederholt: Und er sprach zu mir: Diese Worte sind gewiss und wahrhaftig, und der Herr, der Gott der Geister der Propheten, hat seinen Engel gesandt, seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen muss. Und siehe, ich komme bald. Glückselig, der die Worte der Weissagung dieses Buches bewahrt! (Offb 22,6-7) In Ergänzung zu diesem Echo auf Offenbarung 1 wird in Offenbarung 22 noch eine weitere Anweisung hinzugefügt, die ein Gegenstück zu Daniel 12,4 bildet. Daniel erhielt damals die Anordnung: »Du aber, Daniel, halte das Gesagte (= diese Offenbarungen) unter Verschluss (= geheim) und versiegle das Buch bis zur Endzeit« (Dan 12,4). Diese Aufforderung zum Versiegeln verdeutlicht, dass zwischen Daniels Prophetie und ihrer Erfüllung ein langer Zeitraum liegt: »Denn die Offenbarungen sollen verschlossen (= verborgen) und versiegelt bleiben bis zur Endzeit« (Dan 12,9; vgl. 8,26). Johannes hingegen soll die Worte seiner Weissagung nicht versiegeln, »denn die Zeit ist nahe« (Offb 22,10). Das Lamm hat die Siegel der Schriftrolle aufgebrochen und entfaltet eine Vorschau auf Gottes Plan für die Weltgeschichte – aber nicht, um sein Volk mit einem Fernblick auf eine Erlösung in weiter Zukunft zu trösten. Das war bei Daniel und seinen Zeitgenossen der Fall. Die Offenbarung hingegen tröstet unmittelbar die Zeitgenossen des Johannes im 1. Jahrhundert mit der Zusage, dass die bevorstehenden Monate und Jahre fest in der starken Hand des Lammes liegen. Diese Erklärung am Anfang und Ende der Offenbarung ist bemerkenswert: Im Gegensatz zu den Visionen Daniels geht es in diesem Buch um Dinge, die »bald« eintreten sollen. Über die Datierung der Offenbarung sind die Gelehrten geteilter Meinung (manche datieren sie auf die 60er Jahre, andere auf Mitte der 90er Jahre), doch die meisten glauben, dass sie gegen Ende des 1. Jahrhunderts verfasst wurde. Seit Johannes bis heute sind nun schon mehr Jahrhunderte vergangen als zwischen Daniels Zeit und der 23
Dennis E. Johnson: Sieben Grundsätze zum Verständnis der Offenbarung
Erfüllung der meisten seiner Prophetien. Wie kann es dann im Buch des Johannes um Dinge gehen, die aus Sicht jener sieben Empfänger-Gemeinden des 1. Jahrhunderts »bald« geschehen sollten? Oder liegt unsere Zeit so weit hinter dem Horizont der Offenbarung, dass dieses Buch uns nur als Fenster in die Vergangenheit dienen kann und betrifft sie weder unsere Gegenwart noch unsere Zukunft direkt? Mit dieser kniffligen und wichtigen Frage werden wir uns später noch beschäftigen. An dieser Stelle aber müssen wir anerkennen, wie wichtig dieser sechste Grundsatz für die Auslegung der Offenbarung ist: Sie gab den Christen des 1. Jahrhunderts einen Einblick in den Plan Gottes für ihre eigene Zeit. Wir können somit zumindest schließen: Deutet man die Visionen in einer Weise, die gänzlich außerhalb des Bezugsrahmens der ursprünglichen Empfänger liegt, dann ist das mehr als fragwürdig. Beginnen wir aber unsere Auslegung unter der Annahme, dass nach Gottes Willen die Gläubigen des 1. Jahrhunderts die Botschaft der Offenbarung verstehen sollten, dann werden wir diese Visionen besser vor dem Hintergrund alttestamentlicher Metaphorik verstehen, als wenn wir sie in den Rahmen der Technik oder Weltpolitik des 21. Jahrhunderts zwängen. Dieser Grundsatz hilft uns auch, die Offenbarung im Kontext der kulturellen und intellektuellen Mächte zu verstehen, der die Gemeinden Kleinasiens im 1. Jahrhundert ausgesetzt waren: Dazu gehören religiöse Institutionen, politische Strukturen, Kriege, Naturkatastrophen und vielleicht sogar das symbolische Vokabular jüdischer Apokalyptik oder heidnischer Mythen. Gott herrscht so souverän über die Weltgeschichte, dass er jede Schattierung einer Erfahrung seines Volkes benutzen kann, um sein Wort zu vermitteln.
7. Gott und sein Gesalbter, Christus, behalten den Sieg Diese Einleitung in die Offenbarung ist zugegebenermaßen nicht besonders ausführlich, aber andererseits kann Detailreichtum auch mehr verwirren als erhellen. Dann sieht man den Wald vor Bäumen nicht mehr. Wir brauchen den Blick für das Grundmuster, in das sich jedes Einzelteil des Puzzles einfügt. In Kapitel 220 werden wir dieses Grundmuster – das Gesamtbild und die Gliederung der Offenbarung – untersuchen und den Aufbau der 20 Gemeint ist Kapitel 2 des Buches Der Triumph des Lammes; das vorliegende Heft ist Kapitel 1 dieses Buches.
24
Ein Auszug aus dem Kommentar »Der Triumph des Lammes«
Visionen und ihre Wechselbeziehung zueinander verstehen. Das wichtigste Grundmuster ist dabei die Fortentwicklung vom Kampf zum Sieg 21 – und die Klarstellung, wer die Sieger sind. Die Offenbarung ist ein Buch, das von Anbetung durchdrungen ist und dessen Botschaft immer wieder von Lobund Ruhmesliedern unterbrochen wird.22 Gott wird darin nicht nur angebetet, indem er für seine ewigen Eigenschaften und seine Schöpfermacht erhoben wird (Offb 4,8.11), sondern besonders auch, indem sein Triumph als Erlöser gerühmt wird: Durch das Lamm siegt er über die Feinde, die seine Gemeinde bedrohen und ihm seine höchste Würde abzustreiten versuchen. Vor allem rühmen die Anbetungsszenen und die Loblieder den Sieg Jesu als Lamm Gottes, die Niederlage und den Untergang seiner und unserer Feinde, die Rechtfertigung23 seiner Märtyrer und die Einführung des neuen Himmels und der neuen Erde (5,9-10.12.13; 7,10-12; 11,15-18; 15,3-4; 16,5-7; 19,1-7). Die Offenbarung malt zwar die Macht der Widersacher in all ihrer Abscheulichkeit deutlich vor Augen, doch in ihrem Schlusswort geht es nicht um den »alt bösen Feind«, dessen »grausam Rüstung« »groß Macht und viel List« ist,24 sondern vielmehr um den freudigen Lobpreis derer, die Jesus erlöst hat, der Messias Gottes. Diese Hoffnung spornt die leidende Gemeinde an, die Drangsal zu erdulden, und die in Versuchung stehende Gemeinde, sich ihrem Bräutigam als reine Braut zu erhalten.
Zusammenfassung Wir haben nun einige der wichtigsten Grundsätze zur Auslegung der Offenbarung gesehen. Diese Grundsätze ergaben sich aus einer sorgfältigen Untersuchung, zu welcher Literaturgattung die Offenbarung zählt und auf welche Weise solche Texte Stilmittel und Metaphorik benutzen, um ihre 21 Dafür gibt es das bekannte Begriffspaar Ecclesia Militans (die streitende bzw. kämpfende Gemeinde) und Ecclesia Triumphans (die siegreiche Gemeinde). Ergänzung des dt. Hrsg. 22 Die gottesdienstlichen Passagen der Offenbarung können bei der Lektüre der Offenbarung durch großartige Musik bereichert werden, die auf den Liedtexten in der Offenbarung basiert. In der klassischen Musik sind die Offenbarungs-Zitate in Händels Oratorium Messias zwar wohlbekannt, aber deshalb nicht weniger gewaltig. 23 Anm. d. Übers.: Die Begriffe »rechtfertigen« und »Rechtfertigung« werden vom Autor meist im eschatologischen Sinn benutzt, d. h. dass Gott sich bzw. die Gläubigen öffentlich als souverän, im Recht und als rechtmäßige Sieger erweist, und nur selten wie bei Paulus im Sinne von »aus Gnade für gerecht erklären« (im juristischen Sinn). 24 So heißt es im berühmten Lied »Ein’ feste Burg ist unser Gott« von Martin Luther.
25
Dennis E. Johnson: Sieben Grundsätze zum Verständnis der Offenbarung
Botschaft zu kommunizieren. Im weiterführenden Buch Der Triumph des Lammes wird die Offenbarung mit Hilfe dieser Erkenntnisstrategie ausgelegt. Fassen wir zusammen, was wir bis hierher festgestellt haben: 1. Die Offenbarung wurde gegeben, um zu offenbaren. Sie formuliert ihre Kernaussage so klar, dass selbst bloße Zuhörer beim Vorlesen sie zu Herzen nehmen und den Segen empfangen können, den sie verheißt. 2. Die Offenbarung ist ein Buch, das »gesehen« werden soll – ein Buch voller Symbole und bewegter Bilder. Weil das wahre Wesen mächtiger Personen und Institutionen in unserer Welt gewöhnlich nicht offenkundig, sondern verschleiert ist, wurde die Offenbarung in Form von Visionen gegeben, die voller Symbole sind und ide das wahre Wesen der Gemeinde, ihrer Feinde und ihres Schutzherrn auf paradoxe Weise klarstellen. 3. Die Offenbarung ergibt nur im Licht des Alten Testaments Sinn. Nicht nur die Visionen von Propheten wie Hesekiel, Daniel und Sacharja, sondern auch historische Ereignisse wie Schöpfung, Sündenfall und Exodus liefern den Wortschatz und die Requisiten für die Symbole in den Visionen des Johannes. 4. Zahlen zählen in der Offenbarung. Weil die Offenbarung Zahlensymbolik verwendet, müssen wir erkennen, was sie bedeuten, statt zu versuchen, sie als berechenbare Zahlenwerte direkt in unsere Erfahrungswelt zu übertragen, in der wir alles mit Kalendern und Kilometerzählern messen. 5. Die Offenbarung richtet sich an eine bedrängte Gemeinde. Ihr Zweck ist, uns die Facetten des Kampfes und die Strategien des Feindes zu zeigen, so dass wir auf die Angriffe mit treuem Ausharren und wacher Reinheit reagieren und so durch das Blut des Lammes überwinden. 6. In der Offenbarung geht es um das, »was bald geschehen muss«. Wir müssen bedenken, dass sie die Erfahrungswelt unserer Glaubensgeschwister in den sieben kleinasiatischen Gemeinden des 1. Jahrhunderts betrifft. Vor diesem Hintergrund müssen wir sie verstehen. In der Offenbarung geht es nicht um Ereignisse und feindliche Mächte außerhalb der Erfahrungswelt der damaligen Christen. 7. Gott und sein Gesalbter behalten den Sieg. Die Offenbarung ist von Liedern und Szenen der Anbetung durchdrungen, weil das Thema, das sie durchzieht, der Triumph Gottes durch das Lamm ist – auch wenn sie ein äußerst grauenhaftes Bild der bösen Mächte zeichnet. Wir lesen dieses Buch, um den Ruf des Königs zu beherzigen, der uns ermutigt und motiviert, anbetend vor ihm niederzufallen. 26
Weitere Buchempfehlung zu einem verwandten Thema
Gregory K. Beale
Der Tempel aller Zeiten Die Wohnung Gottes und der Auftrag der Gemeinde – eine biblisch-heilsgeschichtliche Studie
Betanien Verlag 2011 Paperback · 492 Seiten ISBN 978-3-935558-95-2, Art-Nr. 175995 21,90 Euro Blick ins Buch: 70 Seiten unter cbuch.de
In der gesamten Bibel repräsentiert der Tempel – als Ort der Gemeinschaft und Anbetung Gottes – das Ziel, das Gott für sein Volk erstrebt: in ihrer Mitte zu thronen und zu wohnen, um als Schöpfer und Erlöser angebetet zu werden und seine Herrlichkeit über der ganzen Schöpfung erstrahlen zu lassen. Von Eden bis zur letzten Seite der Bibel lässt sich dieser rote Faden verfolgen. In diesem Buch zeigt Gregory Beale diesen roten Faden und eine erstaunliche Fülle an biblischen und auch antiken kulturellen Zusammenhängen von Eden über die Wohnung Gottes und das in Christus bereits angebrochene Heil bis zur Vollendung auf. Wofür Adam, Israel und der Tempel unvollkommene Schatten waren, das hat Christus vollkommen zu erfüllen begonnen. Auch die Gemeinde gehört schon jetzt zu diesem Tempel, und das hat auch ganz praktische Konsequenzen für das Leben als Christ. Beantwortet werden hier auch zentrale Fragen der Eschatologie und des Lebens als Christ wie z. B:
• Wird es einen wiederaufgebauten Tempel in Israel geben? • In welchen Tempel setzt sich der Antichrist? • Wie ist der Tempel aus Hesekiel 40-48 und Offb. 11 zu verstehen? • Was ist mit den Wiederherstellungsverheißungen für Israel? • Was bedeutet es – auch für unsere Praxis –, dass Jesus Christus und seine Gemeinde der wahre Tempel sind? »Dieses Buch … liefert ein Vorbild dafür, wie man biblische Theologie betreiben soll.« (Donald A. Carson)
Dieses Heft ist ein Auszug aus: Dennis E. Johnson Der Triumph des Lammes Ein Kommentar zum Buch der Offenbarung Erscheint voraussichtlich Nov. 2014 Gebunden, ca. 480 Seiten, 23,90 Euro ISBN 978-3-935558-30-3 www.cbuch.de/triumph (Vor-) Bestellen unter www.cbuch.de
„Glückselig, die lesen und hören die Worte“ der Offenbarung (Offb 1,3). Aber wie können wir dieses Bibelbuch verstehen, um von diesem Segen zu profitieren? Welche Art von Auslegung ergibt Sinn? Was ist buchstäblich, was symbolisch? Auf welcher biblischen Grundlage können wir Symbolik richtig verstehen? Und wie werden Christen aller Zeiten dadurch ermahnt, getröstet und gestärkt? Dennis Johnson macht sich ohne vorgefasste Position an die Auslegung heran und leitet die Grundsätze der Auslegung aus dem Bibeltext selber her. Das Ergebnis ist eine idealistische Sicht: die reiche Bildersprache der Offenbarung zeigt uns den geistlichen Krieg hinter den Kulissen und den letztendlichen Sieg Christi. Die Anwendung der Details bleibt dabei jedoch nicht vage, sondern zeigt die konkrete Zuspitzung der Weltgeschichte auf das Ende hin. Dennis Johnson ist u.a. Pastor und Professor für praktische Theologie, daher hat sein Kommentar auch viel Bezug zum Alltagsleben und seelsorgerliches Feingefühl. Er schreibt flüssig und klar verständlich, geradezu unterhaltsam und doch äußerst tiefgründig. „15 Jahre lang habe ich die Offenbarung als Teil von Gottes Wort gemieden, weil ich dachte, sie sei zu schwierig zu verstehen. Ich danke Dennis Johnson für diesen Kommentar, der gut begründet ist, ohne in den heute üblichen Sensationalismus zu verfallen. Ich hätte mir nie erträumt, dass die Offenbarung sich mir erschließt oder gar mein Lieblingsbuch der Bibel wird.“ (Stan Mccullars, Rezensent auf amazon.com)