Wie können wir denn leben? - Auszug

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Oft klingen Schaeffers Einsichten wie prophetische Warnungen vor dem moralischen, geistlichen und intellektuellen Niedergang und den antichristlichen Machenschaften unserer Zeit. Aber auch die Antwort, wie wir in einer solchen Welt zur Ehre Gottes und hoffnungsvoll leben können, zeigt er klar auf.

Wie können wir denn leben?

Um zu erkennen, wie wir heute leben können, müssen wir verstehen, welche kulturellen und intellektuellen Kräfte uns im Lauf der Geschichte dahin gebracht haben, wo wir heute sind. Schaeffers scharfsinnige Analyse spannt den Bogen vom antiken Rom und dessen Untergang über Mittelalter, Renaissance, Reformation und Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert, das sich als Sackgasse der Geistes- und Kulturgeschichte erweist: Die Auflösung aller absoluten Werte und Wahrheiten durch Kultur und Wissenschaften schlägt sich massiv in allen Lebensbereichen nieder und überlässt uns einem Vakuum der Hoffnungslosigkeit. Welche Mächte und Eliten nutzen diese Leere nun aus?

Franc i s Sc ha effer

In Hesekiel 33,10 fragten die Israeliten angesichts ihrer sündigen Vergangenheit: Wie können wir denn leben?

Francis Schaeffer

Wie können wir denn leben? Aufstieg und Niedergang der westlichen Kultur

ISBN 978-3-935558-37-2

9 783935 558372



Francis Schaeffer

Wie kรถnnen wir denn leben? Aufstieg und Niedergang der westlichen Kultur


Die frühere Ausgabe dieses Buches enthielt zahlreiche Abbildungen, die aus rechtlichen, technischen und qualitativen Gründen nicht in diese Neuausgabe aufgenommen wurden. Hinzugefügt wurden Zwischenüberschriften und am Rand herausgestellte Kernaussagen. Auch sämtliche Fußnoten wurden vom deutschen Herausgeber ergänzt. Statt der Abbildungen im früheren Buch stellt der Betanien Verlag im Internet eine entsprechende Bilddokumentation mit zahlreichen Farbabbildungen zur Verfügung, abrufbar unter: www.betanien.de/schaeffer Oder scannen Sie mit Ihrem Mobilgerät folgenden QR-Code, um zur Bilddokumentation zu gelangen:

1. Auflage der Neuausgabe 2014 Originaltitel: How Should We Than Live? © Francis Schaeffer, 1976 Erschienen und © des Vorworts bei Crossway Books, Wheaton, Illinois © der deutschen Übersetzung: Betanien Verlag 2014 Postfach 1457 · 33807 Oerlinghausen www.betanien.de · info@betanien.de Erste deutsche Ausgabe beim Hänssler-Verlag, 5 Auflagen 1977 – 2000 Ursprünglich übersetzt durch »litera«, Christliche Verlags-Agentur Überarbeitung und Lektorat: Hans-Werner Deppe Korrektur und redaktionelle Beratung: Joachim Schmitsdorf Cover: 18prozent.de mit einem Foto von © samott – Fotolia.com Satz: Betanien Verlag Druck: Scandinavianbook, Arhus (Dänemark) ISBN 978-3-935558-37-2


Inhalt

Vorwort zur Ausgabe von 2005

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1 Das Rom der Antike 11 2 Das Mittelalter 21 3 Die Renaissance 42 4 Die Reformation 56 5 Die Reformation – ihre Auswirkungen 76 6 Die Aufklärung 90 7 Der Beginn der modernen Wissenschaft 99 8 Das Versagen von Philosophie und Wissenschaft 113 9 Moderne Philosophie und moderne Theologie 137 10 Moderne Kunst, Musik, Literatur und Film 152 11 Unsere Gesellschaft 172 12 Manipulation und die neue Elite 194 13 Die Alternativen 215 Ein besonderes Nachwort 225 Nachbemerkungen zur deutschen Neuauflage 229 Zeittafel mit Seitenangaben 233



Vorwort Zur Ausgabe von 2005

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählte Francis Schaeffer zu den einflussreichsten Christen überhaupt. Er war ein Mann von einer bemerkenswerten Breite an kulturellen Interessen und von bestechender Einsicht in das nachchristliche, postmoderne Denken und Leben. Aber er war auch ein Mann mit einem tiefen Anliegen für Menschen und für ihre Suche nach Wahrheit, Sinn und Schönheit des Lebens. Wenn sich ein Thema als roter Faden durch alle 24 Bücher zieht, die Schaeffer veröffentlichte, dann dieses: Es gibt eine »absolute Wahrheit«; sie ist in der Bibel offenbart, und zwar durch den wahren Gott, der »keine Illusion« ist. Was wir mit dieser Wahrheit anfangen, hat weitreichende Konsequenzen auf jeden Bereich unseres Lebens und unserer Gesellschaft. Dieses Buch Wie können wir denn leben? war Schaeffers 19. Buch und gehört eindeutig zu seinen wichtigsten. Es ist eine Frucht aus Schaeffers lebenslangem Studium des westlichen Denkens, der abendländischen Geistes- und Kulturgeschichte im Licht biblischer Wahrheit und christlicher Weltanschauung. Es wurde Mitte der 1970er Jahre geschrieben, als christliche und säkulare Führungspersonen zu verstehen versuchten, wie es zur Kulturrevolution der 1960er Jahre gekommen war und was diese Entwicklung für die Zukunft der Christenheit und des Abendlandes bedeutet. Schaeffers These lautete: Wenn wir erkennen wollen, wie wir denn heute leben können und sollen (diese Frage stellten sich die Israeliten in Hesekiel 33,10 angesichts ihrer sündigen Vergangenheit), dann müssen wir zunächst verstehen, welche kulturellen und intellektuellen Kräfte uns im Verlauf der Geschichte dahin gebracht haben, wo wir heute sind. So beginnt Schaeffer seine scharfsinnige Analyse mit dem Römischen Reich und dessen Untergang und kommt über das Mittelalter, die 7


Vorwort: Eschatologie gehört zum Evangelium

Renaissance, Reformation und Aufklärung schließlich zum 20. Jahrhundert, wo er einen prüfenden Blick auf den prägenden Einfluss von Kunst, Musik, Literatur und Film wirft. Hier ist Schaeffers Kulturanalyse, die Generationen christlicher Verantwortungsträger tief geprägt hat, heute noch genauso relevant wie in den 1970er Jahren. Oft klingen Schaeffers Einsichten wie prophetische Warnungen vor dem moralischen, geistlichen und intellektuellen Niedergang unserer Zeit. Er stellt heraus, dass die Menschen des 20. Jahrhunderts durch den zerstörerischen Einfluss der nachchristlichen Kultur jeder Grundlage für Wahrheit, Werte, Sinn und Hoffnung beraubt worden sind und stattdessen zwei »kümmerliche Werte« geblieben sind: »persönlicher Friede und Wohlstand … ohne Rücksicht auf die möglichen Folgen für Kinder und Enkel­k inder« (Kapitel 11). Schaeffer sah auch den postmodernen Zusammenbruch aller Grundlagen für absolute moralische Normen voraus. An deren Stelle treten, wie Schaeffer es nannte, »willkürliche Absolute«, die von einer professionellen und technokratischen Elite auferlegt werden (z. B. ein »Abtreibungsrecht«, das von Juristen und Medizinern gestützt wird). Eine weitere Folge ist, dass jegliche Grundlagen für eine Sexualethik über Bord geworfen wurden, und die Konsequenzen kommen heute im Kampf für die »Homo-Rechte« zum Tragen. Wie können wir denn leben? bietet denjenigen Lesern, die Schaeffer noch nicht kennen, eine Gesamtschau seiner besten Einsichten in die biblische Wahrheit und deren Bedeutung für die gesamte Kultur und den Lauf der Menschheitsgeschichte. Somit bietet dieses Buch eine ideale Einführung in Schaeffers Denken und Werke. Drei weitere grundlegende Werke Schaeffers sind Gott ist keine Illusion (»The God Who Is There«), Preisgabe der Vernunft (»Escape From Reason«) und Und er schweigt nicht (»He Is There And He Is Not Silent«). Schaeffers persönliche Frage an uns – Wie können wir denn leben? – ist heute besonders dringlich, da wir erleben, wie Wahrheit und Moral immer mehr zerfallen und untergehen. Welche Alternativen bietet Schaeffer? Die Bindung an Gottes Wort, das Gottes Wahrheit ist. Der hingebungsvolle Dienst an einer Gesellschaft, die ohne das Evangelium verloren und dem Untergang geweiht ist. Das aufopferungsvolle Ausleben der Wahrheit inmitten all der geistigen, moralischen und kulturellen Kämpfe unserer Zeit. Das Leben in der 8


Vorwort: Eschatologie gehört zum Evangelium

Kraft und Gegenwart des Gottes, der keine Illusion ist und der nicht schweigt, sondern durch sein offenbartes Wort spricht. Dieses Wort sollen wir in allen Bereichen unseres Lebens und unserer Kultur bezeugen. So endet Schaeffer mit den Worten: »Dieses Buch wurde in der Hoffnung verfasst, dass diese Generation sich von … den Wegen des Todes abwenden und leben möge.« Kaum jemand hat diese Botschaft klarer auf den Punkt gebracht und sie schlüssiger dargelegt als Francis Schaeffer. Wer dieses Buch gelesen hat, dem wird neu klar geworden sein, wie wir leben können und sollen. Lane T. Dennis, Verlagsleiter bei Crossway Books, 2005

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Kapitel 1

Das Rom der Antike Geschichte und Kultur sind wie ein Fluss. Dieser Fluss hat seinen Ursprung in den Gedanken der Menschen. Jeder Mensch besitzt ein einzigartiges Geistesleben, und die Gedanken der Menschen bestimmen ihre Handlungen. Das gilt für ihr Wertsystem wie für ihre Kreativität; für ihre gemeinschaftlichen Handlungen – wie zum Beispiel politische Entscheidungen –, ebenso wie für ihr persönliches Leben. Die Ergebnisse ihres Denkens fließen durch ihre Finger oder über ihre Zunge in die äußere Welt. Das gilt für Michelangelos Meißel ebenso wie für das Schwert eines Diktators. Alle Menschen haben bestimmte Denkvoraussetzungen, und ihr Leben wird von diesen Denkvoraussetzungen stärker geprägt, als sie sich selbst bewusst sein mögen. Wenn wir hier von Denkvoraussetzungen sprechen, dann meinen wir damit die grundlegende Weltanschauung eines Menschen, die Brille, durch die er die Welt sieht. Jeder Mensch hat grundlegende Auffassungen darüber, wie die Welt, d.h. das, was wirklich existiert, aussieht. Alles, was ein Mensch tut und sagt, wird davon bestimmt. Seine Denkvoraussetzungen liefern auch eine Grundlage für seine Werte und deshalb für seine Entscheidungen. »Wie ein Mensch denkt, so ist er« (Spr 23,7). Das ist wirklich eine profunde Wahrheit. Ein Einzelner ist nicht nur das Produkt der auf ihn einwirkenden Kräfte. Er hat einen Geist, eine innere Gedankenwelt. Dann, nachdem er gedacht hat, kann er in der äußeren Welt handeln und sie beeinflussen. Oft sehen Leute nur die Bühne der äußeren Handlung und vergessen den Schauspieler, der »im Geiste wohnt« und deshalb der wahre Akteur in der äußeren Welt ist. Die innere Gedankenwelt bestimmt die äußere Handlung. Die meisten Menschen übernehmen die Denkvoraussetzungen ihrer Familie und der umgebenden Gesellschaft auf die gleiche Weise, wie ein Kind sich mit Masern ansteckt. Wer aber mit Weisheit da11


Kapitel 1 · Das Rom der Antike

rüber nachdenkt, wird erkennen, dass man seine Denkvoraussetzungen sorgfältig auswählen muss, und zwar entsprechend dem Weltbild, das man für richtig hält. Wenn alle Möglichkeiten erforscht und erwogen sind, bleiben nicht mehr viele Alternativen übrig: Zwar treten die verschiedenen Weltanschauungen in zahlreichen Variationen auf, doch gibt es grundsätzlich nur wenige verschiedene Welt­ anschauungen oder Grundvoraussetzungen. Diese grundlegenden Alternativen werden deutlich, wenn wir uns mit dem Fluss der Vergangenheit beschäftigen. Um zu verstehen, an welchem Punkt wir in der heutigen Welt mit unseren intellektuellen Ideen und mit unserem kulturellen und politischen Leben angelangt sind, müssen wir in der Geschichte drei Linien der Entwicklung verfolgen: die philosophische, die naturwissenschaftliche und die religiöse. Die Philosophie bemüht sich um intellektuelle Antworten auf die grundlegenden Fragen des Lebens. Der Bereich der Naturwissenschaft hat zwei Teile: erstens die Erforschung der Struktur des physischen Universums und zweitens die praktische Anwendung der Forschungsergebnisse in der Technik. Die Richtung der Naturwissenschaft wird durch das philosophische Weltbild der Wissenschaftler bestimmt. Die religiösen Anschauungen der Menschen bestimmen gleichermaßen die Richtung ihres eigenen Lebens und ihrer Gesellschaft.

Rom – der Ursprung des Abendlandes Wenn wir die Vergangenheit betrachten, um daraus zu lernen, vor welchen Dilemmas wir heute stehen, könnten wir bei den Griechen anfangen – oder noch vor ihrer Zeit. Wir könnten bei den drei Hochkulturen der Antike anfangen, die am Euphrat, am Indus und am Nil lagen. Wir werden jedoch bei den Römern beginnen (und dem Einfluss, den die Griechen auf sie ausübten), weil die römische Zivilisation der direkte Vorfahre der modernen westlichen Welt ist. Seit den ersten Eroberungen der römischen Republik bis in unsere Zeit üben die Gesetzgebung und das politische Gedankengut Roms starken Einfluss auf Europa und die gesamte westliche Welt aus. Überall, wohin die westliche Zivilisation vordrang, trug sie den Stempel Roms. 12


Kapitel 1 · Das Rom der Antike

Rom war in vielerlei Hinsicht groß, aber es hatte keine Antwort auf die grundlegenden Fragen, die alle Menschen sich stellen. Ein Großteil römischen Denkens und römischer Kultur war von griechischem Denken beeinflusst, insbesondere nachdem die Römer im Jahre 146 v. Chr. die Herrschaft über Griechenland erlangten. Die Griechen versuchten ursprünglich, ihre Gesellschaft auf den Stadtstaat zu gründen, die Polis. Der Stadtstaat bestand – in Theorie und Praxis – aus all denen, die Um zu verstehen, als Bürger anerkannt waren. Alle Werte erhielten an welchem ihren Sinn durch den Bezug auf die Polis. Als So­ Punkt wir heute krates (469 – 399 v. Chr.) vor die Wahl gestellt wur- angelangt sind, de, zu sterben oder aus der Gemeinschaft verbannt müssen wir in der zu werden, die seinem Leben Sinn gab, entschied er Geschichte drei sich deshalb für den Tod. Aber die Polis scheiterte, Linien verfolgen: weil sich zeigte, dass sie nicht genügte, um eine Ge- die philosophische, die naturwissensellschaft darauf gründen zu können. Die Griechen – und später auch die Römer – schaftliche versuchten, ihre Gesellschaft auf ihren Göttern auf- und die religiöse. zubauen. Aber diese Götter waren nicht groß genug, denn sie waren endlich und begrenzt. Selbst alle ihre Götter zusammengenommen waren nicht unendlich. Die Götter im griechisch-römischen Denken waren in Wirklichkeit überlebensgroßen Männern und Frauen gleich, die sich von menschlichen Wesen nicht grundsätzlich unterschieden. Ein Beispiel von Tausenden, die man anführen könnte, ist die Statue des betrunkenen und urinierenden Herkules – dem Schutzgott der antiken Stadt Herculaneum, die zusammen mit Pompeji beim Ausbruch des Vesuv im Jahre 79 n. Chr. zerstört wurde. Ihre Götter repräsentierten keine Göttlichkeit, sondern eine vergrößerte Menschlichkeit. Wie die Griechen kannten auch die Römer keinen unendlichen Gott. Aus diesem Grund hatten sie keinen hinlänglichen Bezugspunkt für ihr Denken. Mit anderen Worten: Sie hatten nichts, das groß oder dauerhaft genug war, um ihnen als Bezugspunkt für ihr Denken oder Leben dienen zu können. Daher war ihr Wertesystem nicht stark genug, um den Belastungen des Lebens standzuhalten, sei es im Bereich des Einzelnen oder der Gesellschaft. Alle ihre Götter zusammengenommen vermochten es nicht, ihnen eine ausreichende Grundlage für Leben, Moral, Werte und endgültige Entscheidungen zu verleihen. Diese Götter waren 13


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von der Gesellschaft, die sie geschaffen hatte, abhängig, und als diese Gesellschaft zusammenbrach, gingen die Götter mit ihr unter. Deshalb müssen wir sagen, dass das griechisch-römische Experiment, auf der Basis einer elitären Republik eine gesellschaftliche Harmonie zu etablieren, letzten Endes scheiterte.

Von den Göttern zu den Gott-Kaisern Zur Zeit Julius Cäsars (100 – 44 v. Chr.) wandte sich Rom einem autoritären System zu, in dessen Mittelpunkt Cäsar selbst stand. Vor Cäsars Zeit war es dem Senat nicht möglich, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Bewaffnete Banden terrorisierten die Stadt Rom, und Machtkämpfe unterbrachen die normalen Regierungsgeschäfte. Individuelle Interessen hatten Vorrang vor Gemeininteressen, ganz gleich, wie hochentwickelt die Staatsmaschinerie auch gewesen sein mag. Deshalb akzeptierte das Volk in seiner Verzweiflung eine totalitäre Regierung. Wie Plutarch (46 – 120 n. Chr.) es in seinen Kaiserviten ausdrückte, machten die Römer Cäsar zum Diktator auf Lebenszeit, »in der Hoffnung, dass die Regierung eines Einzelnen ihnen nach so vielen Bürgerkriegen und nach so viel Unheil eine Atempause verschaffen würde. Es war in Wirklichkeit eine wahrhaftige Tyrannei, denn seine Macht war nicht nur absolut, sondern auch zeitlich unbeschränkt. Nach Cäsars Tod kam sein Großneffe Octavian (63 v. Chr. – 14 n. Chr.) an die Macht. Er war durch Adoption zu Cäsars Sohn geworden und wurde bei seiner Einsetzung zum Alleinherrscher in Augustus, »der Erhabene« umbenannt. Der große römische Dichter Vergil (70 – 19 v. Chr.) war ein Freund des Augustus; er schrieb die Aeneis, um zu zeigen, dass Augustus ein von den Göttern eingesetzter Führer sei und dass Roms Sendung darin bestünde, Frieden und Zivilisation in der Welt zu verbreiten. Weil Augustus nach außen und innen hin den Frieden sicherte und die äußere Form der Verfassungsmäßigkeit wahrte, gewährten ihm Römer aller Klassen die absolute Macht, damit das politische System, die Wirtschaft und das Alltagsleben wieder hergestellt und gesichert werden konnten. Seit 12 v. Chr. war er unter dem Titel »Pontifex Maximus« Oberhaupt der Staatsreligion und drängte jedermann, den »Geist Roms und das 14


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Genie des Kaisers« zu verehren. Später wurde diese Verehrung für alle Einwohner des Reichs zur Pflicht, und noch später herrschten die Kaiser als Götter. Augustus versuchte, moralische Maßstäbe und die Ordnung der Familie gesetzlich festzulegen; spätere Kaiser bemühten sich um beeindruckende Gesetzesreformen und Wohlfahrtsprogramme. Aber ein menschlicher Gott ist ein schlechtes Fundament, und Rom ging unter. Es ist wichtig zu erkennen, wie sehr die Fähigkeit der Menschen, die Lasten des täglichen Lebens zu meistern, von ihrer Weltanschauung abhängt. Die damaligen Christen vermochten der religiösen Vermischung (dem Synkretismus) und den Schwächen der römischen Kultur zu widerstehen, und das spricht für die Stärke der christlichen Weltanschauung. Diese Stärke hatte ihren Ursprung darin, dass Gott ein unendlicher und persönlicher Gott ist und dass er gesprochen hatte: im Alten Die Christen hatten Testament, im Leben und den Lehren Jesu Chris- absolute, universell ti und im zu dieser Zeit entstehenden Neuen Tes- gültige Werte, nach tament. Er hatte auf eine Weise gesprochen, dass denen sie ihr Leben Menschen ihn verstehen konnten. Deshalb hatten ausrichten und die die Christen nicht nur ein Wissen über das Uni- Gesellschaft und versum und über die Menschheit, das sie von selbst den Staat, in dem nicht hätten herausfinden können, sondern sie hat- sie lebten, beurteiten absolute, universell gültige Werte, nach denen len konnten. sie ihr Leben ausrichten und die Gesellschaft und den Staat, in dem sie lebten, beurteilen konnten. Ihre Weltanschauung gab ihnen eine ausreichende Grundlage, um die Würde und den Wert eines einzelnen Menschen als ein nach dem Bilde Gottes geschaffenes Wesen anzuerkennen. Vermutlich hat niemand aus unserer Generation die innere Schwäche Roms zur Zeit der Cäsaren so deutlich vor Augen geführt wie Federico Fellini (1920 – 1993) in seinem Film Satyricon. Er erinnert uns daran, dass man die klassische Welt nicht romantisieren darf, denn sie hat die logische Konsequenz ihrer Weltanschauung sowohl grausam als auch dekadent ausgelebt. Eine Kultur oder ein einzelner Mensch mit einer schwachen welt­ anschaulichen Grundlage kann nur so lange bestehen, wie der Druck nicht zu groß ist. Als Beispiel können wir uns eine römische Brücke vorstellen. Die Römer bauten Rundbogen-Brücken über zahlreiche 15


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Flüsse Europas. Zwei Jahrtausende lang wurden diese Brücken von Menschen und Wagen problemlos überquert. Aber führe man heute mit schwerbeladenen Lastwagen über diese Brücken, würden sie einstürzen. Ähnlich verhält es sich mit dem LeWenn Druck ben und den Wertsystemen Einzelner und ganzer und Belastung Kulturen, wenn sie sich auf nichts Stärkeres als steigen und sie kein ihre eigene Begrenztheit, ihre eigene Endlichkeit ausreichendes stützen können. Sie können bestehen, solange der Fundament be- Druck nicht zu groß ist, aber sobald die Belastung sitzen, stürzen sie steigt – wenn sie dann kein ausreichendes Fundaeinfach ein wie eine ment besitzen, stürzen sie einfach ein wie eine rörömische Brücke. mische Brücke unter dem Gewicht eines modernen Sattelschleppers. Kultur und Freiheiten des Menschen sind zerbrechlich. Wenn keine ausreichende Grundlage für sie vorhanden ist, dann ist es bei großer Belastung nur noch eine Frage der Zeit (und manchmal dauert es nicht lange), bis es zum Zusammenbruch kommt.

Rom – innerlich schwach und äußerlich stark Das Römische Reich war gewaltig – sowohl in seinem geografischen Umfang als auch als Militärmacht. Es umfasste einen großen Teil der damals bekannten Welt. Seine Straßen führten überall hin: nach Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika. Das Denkmal zu Ehren Kaisers Augustus in Turbi (in der Nähe des heutigen Monte Carlo) erinnert daran, dass er die Straßen nördlich des Mittelmeers eröffnete und die stolzen Gallier besiegte. Römische Legionen passierten die römische Stadt Augusta Praetoria (Norditalien, heute als Aosta bekannt), überquerten die Alpen und stiegen das Rhonetal in der Schweiz herab, an den Gipfeln der Dents du Midi vorbei bis zu dem Ort, der heute Vevey heißt. Eine Zeitlang hielten die Helvetier – die keltischen Einwohner der heutigen Schweiz – sie in Schach und unterjochten die stolzen Römer. Auf einem Gemälde des schweizerischen Malers Charles Gleyre (1806 – 1874), das jetzt im Kunstmuseum in Lausanne hängt, sieht man die gefangenen römischen Soldaten, die Hände auf den Rücken gebunden, wie sie sich beugen, um sich unterjochen zu lassen. 16


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Dieser Zustand dauerte jedoch nur kurze Zeit an. Nichts konnte die römischen Legionen zurückhalten, weder schwieriges Gelände noch feindliche Armeen. Nachdem die Römer durch Agaunum (heute St. Maurice VS) und vorbei an den Gipfeln der Dents du Midi gezogen waren und am Genfer See entlang zum heutigen Vevey gelangten, marschierten sie über die Hügel und eroberten Aventicum, die alte Hauptstadt der Hel- Niemand kümmerte es, was man vetier, die heute Avenches heißt. Ich mag Avenches sehr. Dort befinden sich ei- anbetete, solange nige meiner liebsten römischen Ruinen nördlich der Anbeter nicht der Alpen. Hier sollen einmal 40.000 Römer ge- die Einheit des lebt haben (obwohl mir diese Zahl etwas zu hoch Staates störte, erscheint). Heute ragen die Ruinen der römischen deren Mittelpunkt Mauern aus den Weizenfeldern hervor. Man kann die formale sich vorstellen, wie ein römischer Legionär, der sich Anbetung des mühsam vom Norden nach Hause geschleppt hat- Kaisers war. te, dann vom Hügel auf Avenches herabblickte – auf ein kleines Rom, wenn man so will, mit Amphitheater, Theater und Tempel. Die Goldbüste des Mark Aurel, die dort gefunden wurde, ist Zeuge für den römischen Reichtum in Avenches. Nach und nach hielt das Christentum im römischen Avenches Einzug. Beweis dafür liefert eine Untersuchung der damaligen Friedhöfe: Die Römer verbrannten ihre Toten, die Christen begruben sie. Zwischen Hadrianswall, mit dem sich die Römer auf der britischen Insel die widerspenstigen Schotten vom Leib hielten, und den römischen Befestigungen am Rhein und in Nordafrika, am Euphrat und am Kaspischen Meer findet man viele Denkmäler und Städte ähnlich wie Turbi, Aosta und Avenches.

Zwei Gründe für die Christenverfolgung Rom war grausam, und seine Grausamkeit lässt sich am besten aus den Ereignissen ersehen, die in der Arena in Rom selbst stattfanden. Zuschauer auf den Sitzplätzen über dem Schauplatz der Arena sahen Kämpfen zwischen Gladiatoren zu und erlebten, wie Christen wilden Tieren vorgeworfen wurden. Wir dürfen nicht vergessen, warum die Christen getötet wurden. Sie wurden nicht getötet, weil sie Jesus 17


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anbeteten. In der römischen Welt gab es zahlreiche verschiedene Religionen. Dazu gehörten der Mithras-Kult, eine populäre persische Form des Zoroastrismus, der Rom um das Jahr 67 v. Chr. erreicht hatte. Niemand kümmerte es, was man anbetete, solange der Anbeter nicht die Einheit des Staates störte, deren Mittelpunkt die formale Anbetung des Kaisers war. Die Christen wurden Keine totalitäre getötet, weil sie als Rebellen galten. Seit Cäsars Macht, kein auto- Zeit hatten die Juden Immunität genossen, doch ritärer Staat kann diese ging den Christen nun verloren, da sie von jene tolerieren, die den jüdischen Synagogen zunehmend abgelehnt einen absoluten wurden. Maßstab besitzen, Wir können das Wesen ihrer Rebellion auf nach dem sie zwei Arten ausdrücken. Erstens können wir sagen, diesen Staat und dass sie Jesus als Gott anbeteten, und sie beteten seine Handlungen allein den unendlichen und persönlichen Gott an. beurteilen. Was die Kaiser nicht tolerieren wollten, war die Exklusivität, mit der die Christen ausschließlich den einen Gott anbeteten. Das galt als Landesverrat. Während der Regierungszeit Diokletians (284 – 305) und während des 3. Jahrhunderts sah man ihren Glauben als Bedrohung der Einheit des Staates an, als sich in den höheren Gesellschaftsschichten viele Menschen zum Christentum bekehrten. Hätten sie Jesus und den Kaiser angebetet, wäre ihnen nichts geschehen, aber sie lehnten alle Formen von Synkretismus strikt ab. Sie verehrten den Gott, der sich im Alten Testament, durch Christus und im nunmehr vervollständigten Neuen Testament offenbart hatte. Und sie beteten ihn als den einzigen Gott an. Sie ließen keine Vermischung zu: alle anderen Götter wurden als falsche Götter angesehen. Zweitens können wir den Grund, warum die Christen verfolgt wurden, auch auf eine andere Weise ausdrücken: Keine totalitäre Macht, kein autoritärer Staat kann jene tolerieren, die einen absoluten Maßstab besitzen, nach dem sie diesen Staat und seine Handlungen beurteilen. Die Christen hatten einen solchen absoluten Maßstab in der Offenbarung Gottes. Weil die Christen einen absoluten, universal gültigen Maßstab hatten, nach dem sie nicht nur die persönliche Ethik, sondern auch das Verhalten des Staates beurteilen konnten, galten sie als Feinde des totalitären Roms und wurden den wilden Tieren vorgeworfen. 18


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Ein Ende in Dekadenz und Apathie Als ihr Reich sich zerrieb, gaben die dekadenten Römer sich einem Durst nach Gewalt und der Befriedigung ihrer Sinnlichkeit hin. Das lässt sich besonders an ihrer zügellosen Sexualität ablesen. In Pompeji zum Beispiel – etwa ein Jahrhundert, nachdem die Republik der Vergangenheit angehörte –, stand der Phalluskult im Vordergrund. Statuen und Gemälde von überbordender Sexualität schmückten die Häuser der Wohlhabenden. Das soll nicht heißen, dass alle Kunst in Pompeji dieser Natur war, aber die sexuellen Darstellungen sind unverblümt offenkundig. Obwohl Kaiser Konstantin der Christenverfolgung ein Ende setzte und das Christentum zunächst im Jahre 313 eine erlaubte und später dann im Jahre 381 sogar die offizielle Staatsreligion wurde, ging die Mehrzahl der Leute ihre alten Wege. Das hervorstechende Merkmal des späten Reiches ist die Apathie. Das lässt sich beispielsweise an dem Mangel an Kreativität in den Künsten dieser Zeit feststellen. Der im 4. Jahrhundert errichtete Konstantins­bogen in Rom schneidet bei einem Vergleich mit den Skulpturen aus dem 2. Jahrhundert, die von Denkmälern aus der Zeit des Kaisers Trajan stammen, sehr schlecht ab. Die Elite gab ihr intellektuelles Leben zugunsten ihres Gesellschaftslebens auf. Die offiziell geförderte Kunst war dekadent und die Musik wurde zunehmend bombastisch. Selbst die Portraits auf den Münzen wurden von immer schlechterer Qualität. Das ganze Leben war von der vorherrschenden Apathie gekennzeichnet. Die Wirtschaft Roms litt unter der Last verschärfter Inflation und einer aufwändigen Regierung, und als es wirtschaftlich immer mehr bergab ging, wurde die Herrschaft des Staates aufgrund des Steuerdrucks immer autoritärer, um der Apathie entgegenzuwirken. Da niemand mehr bereit war, freiwillig zu arbeiten, musste der Staat in dieser Hinsicht oft eingreifen, wodurch Freiheiten verlorengingen. So wurden zum Beispiel Gesetze verabschiedet, die Kleinbauern dauerhaft an ihr Land banden, das sie von Großgrundbesitzern gepachtet hatten (Kolonate). Aufgrund der allgemeinen Apathie und der sich daraus ergebenden Konsequenzen und auch wegen der unterdrückenden Kontrolle und Bürokratisierung hielten es wenige für wert, die alte Zivilisation zu retten. 19


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Der Untergang Roms ist nicht äußeren Kräften, wie zum Beispiel der Invasion der Barbaren, zuzuschreiben. Rom hatte keine ausreichende innere Grundlage; die Barbaren führten den Zusammenbruch lediglich zu seiner Vollendung, und so wurde Rom allmählich zu einer Ruine.

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Kapitel 2

Das Mittelalter Mit dem Zusammenbruch der römischen Ordnung und den Invasionen der Barbaren kam eine Zeit der sozialen, politischen und intellektuellen Umwälzungen. Im Bereich der Kunst gerieten im Mittelalter zahlreiche künstlerische Techniken in Vergessenheit, zum Beispiel die Verwendung der Perspektive, wie wir sie in den Gemälden und Mosaiken der Römer finden. Römische Gemälde waren voller Leben. Die frühe Kunst des Christentums war auch voller Leben. Auf den Wänden der Katakomben finden wir Figuren, die zwar einfach, aber realistisch dargestellt sind. Mit den Begrenzungen, die ihnen durch die verfügbaren Mittel visueller Darstellung auferlegt waren, stellten sie Menschen doch als wirkliche Menschen in einer wirklichen Welt dar. Zwischen dem »Leben«, das wir in der frühen christlichen Kunst finden, und dem lebendigen Christentum der frühen Kirche lässt sich eine Parallele ziehen. Führungspersonen wie Ambrosius von Mailand (339 – 397) und Augustinus (354 – 430) legten großes Gewicht auf ein wahres, biblisches Christentum. Später wandte sich die Kirche immer mehr von der Lehre der Schrift ab, und das wurde von einer Veränderung in der Kunst begleitet. Interessante Beispiele von lebendiger Kunst nach frühchristlichem Muster im Mittelalter sind die Mosaiken in der Basilika San Lorenzo in Mailand. Diese Mosaiken stammen vermutlich aus der Mitte des 5. Jahrhunderts. Die Menschen, die auf diesen Mosaiken dargestellt wurden, waren keine bloßen Symbole, sondern wirkliche Personen. Michael Gough beschreibt in seinem Buch The Origins of Christian Art (»Der Ursprung christlicher Kunst«; 1973) den Übergang vom »naturalistischen Realismus zu einer Bevorzugung des Phantastischen und Unwirklichen«. Er weist auch darauf hin, dass bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts »die letzten Überreste des Realismus aufgegeben worden waren«. Die anschließend aufkommende byzantini21


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sche Kunst zeichnete sich durch formalistische, stilisierte, symbolische Mosaike und Heiligenbilder aus. Das Positive daran war, dass die Künstler ihre Mosaike und Ikonen als christliches Zeugnis für den Betrachter anfertigten; viele, die an diesen Kunstwerken arbeiteten, zeichneten sich durch ihre Hingabe aus und bemühten sich um geistliche Werte. Als negativ hingegen müssen wir bewerten, dass sie in ihrer Auffassung von geistlichem Leben sowohl die Natur als auch das real Menschliche beiseite drängten.

Byzantinische Kunst im Osten, Mönchtum im Westen Seit dem Jahre 395 war das Römische Reich in Ost (Byzanz bzw. Konstantinopel) und West (Rom) geteilt. Der byzantinische Stil entwickelte sich im Osten und breitete sich allmählich zum Westen hin aus. Diese Kunst besaß eine wirkliche Schönheit, aber zunehmend wurde nur noch religiösen Motiven Bedeutung beigemessen, und Menschen wurden nicht als wirkliche Menschen dargestellt, sondern als Symbole. Das fand im 9., 10. und 11. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Die Darstellung der Natur wurde weitgehend aufgegeben. Noch schlimmer – das lebendige menschliche Element wurde beseitigt. Das stand, wie gesagt, im Gegensatz zu den frühen christlichen Gemälden in den Katakomben, die, wenn auch auf einfache Weise, wirkliche Menschen in einer wirklichen, von Gott geschaffenen Welt darstellten. Ravenna in Norditalien war das westliche Zentrum byzantinischer Mosaike und ein Zentrum, das dem Ostkaiser Justinian seine Größe verdankte, wenngleich Justinian Ravenna selbst nie besuchte. Justinian, der von 527 bis 565 in Konstantinopel regierte, errichtete viele Kirchen im Osten, wovon die Hagia Sophia in Konstantinopel, die im Jahre 537 eingeweiht wurde, die berühmteste ist. Bei dem Bau dieser neuen Kirchen wurde der Innenraum betont, besonderer Wert wurde auf Licht und Farbe gelegt. Während dieser Zeit war im Westen eine allgemeine Abnahme an Gelehrsamkeit festzustellen, doch durch die aufkommenden Mönchsorden, die zuerst unter Benedikt von Nursia (ca. 480 – 547) und auf Basis seiner Benediktinerregel entstanden, blieben viele historische Dinge erhalten. Benedikt selbst errichtete ein Kloster auf 22


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dem Monte Cassino in der Nähe der Hauptstraße von Neapel nach Rom. In den Klöstern wurden die alten Manuskripte abgeschrieben und dann Abschriften von den Abschriften angefertigt. Dank der Mönche wurde die Bibel zusammen mit Teilen griechischer und lateinischer Klassiker aufbewahrt. Weil manche alte Musik ständig wiederholt wurde, blieb sie in Erinnerung und erhalten. Ein Teil der Musik stammte von Ambrosius, 374 – 397 Bischof von Mailand, der den antiphonalen Psalmgesang (d. h. Wechselgesang mit Vorsänger und Antwortchor) und Kirchenlieder einführte. Trotzdem wurde das vormalige Christentum, wie wir es im Neuen Testament finden, allmählich verfälscht. Ein humanistisches Element wurde hinzugefügt: In zunehmendem Maße wurde der Autorität der Kirche der Vorrang gegenüber den Lehren der Bibel gegeben. Der Glaube an eine Erlösung des In zunehmendem Menschen, die allein auf der Grundlage des Werkes Maße wurde der Christi möglich war, wurde immer mehr zugunsten Autorität der Kirche eines Erlösungskonzeptes preisgegeben, demzufol- der Vorrang gegenge der Mensch den Verdienst Christi »verdiente«. über den Lehren Wenngleich sich diese humanistischen Elemente der Bibel gegeben. etwas von den humanistischen Elementen der späteren Renaissance unterschieden, so weisen beide doch das gemeinsame Merkmal auf, dass der Mensch sich etwas zu eigen machen will, was in Wirklichkeit Gott zusteht. Bis zum 16. Jahrhundert bestand ein Großteil des Christentums darin, diese Verdrehungen der ursprünglichen biblischen Lehre des Christentums entweder anzunehmen oder zu abzulehnen.

Christentum oder Heidentum? Die genannten Verfälschungen biblischer Lehre schufen kulturelle Elemente, die im klaren Gegensatz zu dem stehen, was wir sonst als christliche oder biblische Kultur bezeichnen könnten. Eine der faszinierendsten Fragestellungen der Mittelalterforschung ist: Welche Aspekte des komplexen kulturellen Erbes des Westens wurden betont oder unterdrückt und in welchem Zusammenhang steht diese Betonung oder Unterdrückung zu der moralischen und rationalen Reaktion der Menschen auf den christlichen Gott, den anzubeten 23


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sie behaupteten? Es wäre falsch zu behaupten, das damalige Denkund Lebensmuster sei nicht christlich gewesen. Genauso wenig kann man leugnen, dass diese Muster fremde oder halbfremde Elemente beinhalteten, einige griechischen und römischen Ursprungs, andere von regionalem heidnischen Ursprung; manchmal sogar verdunkelten sie die darunterliegenden christlichen Grundstrukturen. Das war und ist kein besonderes Problem des Mittelalters. Seit der Zeit der Frühkirche, als das Christentum noch eine kleine Minderheitsbewegung war, hatten die Gläubigen sich stets gefragt: Wie können sie dem Gebet Christi, dass sie in der Welt, aber nicht von der Welt sein mögen (Johannes 17), Folge leisten? Welche Haltung sollten sie zu materiellem Besitz und weltlichem Lebensstil einnehmen? Nicht nur zu apostolischer Zeit, sondern auch noch Generationen später waren die Gläubigen für ihre offenherzige Großzügigkeit bekannt. Selbst ihre Feinde mussten dies zugeben. In einem anderen Bereich stellte sich die Frage nach der Beziehung zwischen Gottes Gesetz und dem Willen des Staates, insbesondere wenn diese miteinander in Konflikt gerieten. Für die Zeit der Christenverfolgungen im Römischen Reich ist das Verhalten des römischen Militärkommandeurs Mauritius ein gutes Beispiel einer möglichen Reaktion: Als er den Befehl erhielt, mit seiner Legion eine Christenverfolgung durchzuführen, überreichte er seinem Untergebenen seine Insignien, um sich somit auf die Seite der Christen zu stellen und mit ihnen getötet zu werden. Dies trug sich im Rhonetal in der Schweiz im Jahre 286 n. Chr. an einem riesigen Felsen unter den Gipfeln der Bergkette Dents du Midi zu. Der kleine Ort St. Maurice im Wallis ist nach Mauritius benannt worden. Im intellektuellen Bereich schließlich ergab sich durch das Gebet Christi aus Johannes 17 die Frage, ob es erbauend sei oder nicht, nichtchristliche klassische Autoren zu lesen. Tertullian (160 – 240) und Cyprian (gest. 258) waren entschieden dagegen, aber sie waren in der Minderheit. Es ist interessant zu beobachten, dass im Bereich der Musik eine strenge Haltung vorherrschte. Der Grund für das Verschwinden der Traditionen römischer Musik zu Beginn des Mittelalters lag darin, dass die Kirche die gesellschaftlichen Veranstaltungen und die damit verbundenen heidnischen religiösen Praktiken ablehnte. Somit verschwanden die alten römischen Musiktraditionen. 24


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Die zwiespältige Wirtschaft des Mittelalters Das eigentliche Mittelalter definiert jeder auf eigene Weise; wir bezeichnen hier damit die Zeit von ungefähr 500 bis 1400. In dieser Epoche reagierte man auf verschiedene Art und Weise auf die oben genannten Fragen. Was materiellen Besitz angeht, schwankte das Pendel zwischen einer völligen Missachtung des Gebotes, bescheiden zu leben und sich um die Armen, Waisen und Witwen zu kümmern, und einer extremen Auslegung desselben Gebotes – in dem Ideal des Mönchtums verkörpert –, überhaupt kein Geld zu besitzen. Einerseits kam es zu dem Extremfall, dass der päpstliche Hof wegen seiner Habgier allgemein verurteilt wurde. Das Evangelium nach der Mark Silber, ein satirisches Spottgedicht aus der berühmten mittelalterlichen Textsammlung Carmina Burana aus dem 12. Jahrhundert, stellt den Papst dar, wie er seine Kardinäle dazu anhielt, die streitenden Parteien am päpstlichen Gerichtshof zu schröpfen; dabei wurden die Lehren Christi bewusst karikiert: »Denn ich habe euch ein Beispiel gegeben, auf dass ihr auch Gaben empfangt, wie ich sie empfangen habe« (in satirischer Anspielung auf Joh. 13,15); und: »Selig sind die Reichen, denn sie werden gefüllt werden; selig sind die, die da haben, denn sie sollen nicht leer ausgehen; selig sind die Wohlhabenden, denn ihnen gehört der Hof von Rom.« Johannes von Salisbury (ca. 1115 – 1180), ein Freund von Thomas Becket und kein Feind der Hierarchie der Kirche, erklärte einem Papst frei ins Gesicht, dass die Leute glaubten, die römische Kirche, die Mutter aller Kirchen, benehme sich mehr wie eine Stiefmutter als wie eine Mutter. Die Schriftgelehrten und Pharisäer sitzen da und muten den Schultern der Menschen Lasten zu, die zu schwer zu tragen sind. Sie behängen sich selbst mit schöner Kleidung und beladen ihre Tische mit kostbarem Geschirr; ein Armer findet selten Zutritt … Inmitten all dieser Missstände verbot Franz von Assisi (ca. 1182 – 1226) seinen Nachfolgern, überhaupt Geld anzunehmen, da er wusste, wie sehr Geld zur Korruption führen kann. Selbst wenn die Oberschicht der Kirche keineswegs von Schuld frei war, so bemühte sie sich trotz allem darum, die zerstörerischen Auswirkungen von maßlosen Leih25


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geschäften in Schach zu halten, zuerst durch ein allgemeines Verbot und später durch eine Begrenzung der Zinsen auf eine allgemein akzeptable Höhe. Von säkularen Herrschern unterstützt, bemühte sich die Kirche auch darum, gerechte Preise durchzusetzen, womit Preise gemeint waren, die die Ausbeutung anderer Menschen durch gierige Manipulation oder das Horten von Waren während einer Zeit der Knappheit verhinderten. Über den Erfolg dieser wirtschaftlichen Kontrollversuche im Namen der Nächstenliebe kann man sich streiten, aber es wäre falsch zu behaupten, es bestünde kein Unterschied zwischen einer Gesellschaft, die zumindest wiederholte öffentliche Anstrengungen macht, Gier und wirtschaftliche Grausamkeit zu begrenzen, und einer Gesellschaft, die den ausgefuchstesten wirtschaftlichen Ausbeuter ihrer Mitbürger zu verherrlichen pflegt. Als Gesamtbild betrachtet war die Wirtschaftslehre des Mittelalters nicht völlig schlecht. Sie lobte die Tugend ehrlicher, gut ausgeführter Arbeit. Das kommt am besten in der wunderschönen Miniaturmalerei im spätmittelalterlichen Stundenbuch (Horarium) zum Ausdruck. Das waren private Gebetsbücher, die für jeden Monat Illustrationen typischer Beschäftigungen enthielten. Das berühmteste solcher Bücher gehörte dem Herzog Jean de Berry und wurde von den Brüdern Paul, Johan und Hermann von Limburg um etwa 1400 erstellt. Das gleiche Thema wurde in einer Serie von Reliefs aus dem frühen 14. Jahrhundert auf dem Campanile (Glockenturm der Kathedrale) in Florenz illustriert. Und wenn Alter oder Krankheit das Arbeiten unmöglich machten, so versorgte die Kirche die Gesellschaft mit einem beeindruckenden Netz von Krankenhäusern und anderen Wohlfahrtseinrichtungen. In Siena diente eines dieser Krankenhäuser noch bis in die 1980er Jahre seinem ursprünglichen Zweck: das berühmte Hospital Santa Maria della Scala. Gleich neben dem Haupteingang im Erdgeschoß – zur Zeit der Abfassung dieses Buches noch die Frauenstation des Hospitals – sind Fresken aus dem 15. Jahrhundert zu sehen, die Szenen des mittelalterlichen Krankenhauses darstellten. Wenn die Patienten des 20. Jahrhunderts dort für die Fortschritte der modernen Medizin dankbar waren, konnten sie zur gleichen Zeit den guten Geschmack der alten Maler von Siena bewundern. Heute erwarten wir vom Staat, dass er Krankenhäuser und Wohl26


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fahrtseinrichtungen betreibt, und diese Erwartung unterstreicht eine große Veränderung der Macht des heutigen Staates im Vergleich zu seinem mittelalterlichen Gegenstück. Aber der Staat, sei er stark oder schwach, war für die Kirche stets ein Problem, besonders wenn es um Fragen moralischer Prinzipien ging. Diesem Bereich wollen wir uns jetzt zuwenden.

Kirche und Staat im Mittelalter Die Situation des Mittelalters war einfacher und zugleich komplexer, als sie es einst für den römischen Offizier Mauritius gewesen war. Sie war deshalb einfacher, weil Europa als das Königreich Christi angesehen wurde. Die christliche Taufe hatte deshalb nicht nur eine geistliche, sondern auch eine gesellschaftliche und politische Bedeutung: Sie eröffnete den Eingang in die Gesellschaft. Nur ein Getaufter war ein voll akzeptiertes Mitglied der europäischen Gesellschaft. In diesem Sinne war ein Jude eine Nichtperson, und deshalb war es ihm möglich, Beschäftigungen nachzugehen (wie zum Beispiel Leihgeschäften), die ansonsten verboten waren. Aber wenn die Kirche den Staat taufte oder weihte, so wurde dadurch das Problem für das Gewissen nur noch komplizierter, denn eine Regierung, die allem Anschein nach der Gesellschaft dient, kann gerade aus diesem Grunde die Gesellschaft hintergehen. Das galt und gilt natürlich auch für die Kirche als Organisation. Zu diesem Thema die vermutlich größte künstlerische Studie, die zur Zeit des Mittelalters angefertigt wurde, ist der Bildzyklus Allegorie von guter und böser Regierung von Ambrogio Lorenzetti (ca. 1290 – 1348), den er in den Jahren 1338/39 als Freskenreihe in der Ratskammer Saal der Neun des großen Palazzo Pubblico (Rathauses) in Siena anfertigte. Lorenzetti unterscheidet ganz klar zwischen guter und böser Regierung: Auf der einen Seite stellt er dar, wie der Teufel über alle Untaten präsidiert, die die Gemeinschaft zerstören, und auf der anderen Seite finden wir die christlichen Tugenden, die aus allen den Tätigkeiten erwachen, die die Einheit zwischen Menschen unter Gott manifestieren (dazu gehört auch ehrliche Arbeit). Im Vergleich zu unserer eigenen Zeit ist es interessant zu beobachten, dass ein Merkmal einer guten Regierung darin besteht, dass eine Frau in 27


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aller Sicherheit allein auf der Straße gehen kann, während sie unter einer bösen Regierung angegriffen, vergewaltigt oder beraubt werden kann. Der Maler wusste jedoch sehr wohl von Sienas eigener turbulenter Stadtpolitik: Zwar kann der Ursprung von guter und böser Regierung genau getrennt werden, doch in der Realität vermischen die Menschen beides zu einem wilden Haufen guter und böser Absichten. Wenn wir uns die Wirklichkeit der mittelalterlichen Situation ansehen, dann können wir ebenso positive wie negative Aspekte der kirchlichen Errungenschaften in finanziellen Fragen feststellen. Die Kirche lieferte zwar oft Modellvorbilder für effektive Wirtschaft und Politik, doch war sie so sehr in die weltlichen Dinge des Mittelalters verwickelt, dass es für sie oft schwierig war, das Salz ihrer Gesellschaft zu sein. Landverwaltung und verschiedene Arten von Pionierarbeit in der Landwirtschaft wurden von den gleichen Mönchsorden unternommen, die einst zur Zeit ihrer Gründung nicht den Profit, sondern die Armut zu ihrem Ideal gemacht hatten. Suchen wir nach einem Modell einer effektiv zentralisierten Monarchie mit einem leistungsfähigen Verwaltungsapparat, brauchen wir nicht weiter als zum kirchlichen Gerichtshof in Rom zu blicken. Der Papst – »Diener der Diener« – war ironischerweise zur Zeit des Höhepunktes päpstlicher Macht zwischen 1100 und 1300 der effektivste Monarch des Mittelalters. Würden wir die Diskussion hier abbrechen, wäre sie nur eine Karikatur der Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Denn die Kirche bildete zwar ein Beispiel für absolute Macht, doch bildete sie auch eine beeindruckende, wenngleich auch vereitelte Herausforderung an die absolute Alleinherrschaft. Die parlamentarischen Versammlungen des Mittelalters sind weithin bekannt, aber die wenigsten wissen, dass der Konziliarismus in der spätmittelalterlichen Kirche eine weitere starke Kraft der Dezentralisierung darstellte. Der Konziliarismus verkörperte eine Wiedererweckung der Idee, dass die wirkliche Autorität der Kirche nicht einem einzelnen Bischof – dem Papst – gegeben sei, sondern allen Bischöfen gemeinsam – einem Konzil. So setzte das Konzil von Konstanz (1414 – 1418) gleich drei rivalisierende Päpste ab und machte damit einer skandalösen Epoche der Kirchengeschichte ein Ende. Gleichzeitig erklärte man, die Autorität des Konzils rühre direkt von Christus her, und alle Menschen 28


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(einschließlich des Papstes) stünden in Fragen des Glaubens und der Kirchenreform unter der Autorität des Konzils. Der Konziliarismus verlor jedoch langsam seine Kraft und verschwand; letztlich übernahm in der Kirche Roms nicht das Prinzip des Konziliarismus die Vorherrschaft, sondern das der Monarchie. Die Kirche stritt sich oft mit säkularen Herrschern über die Grenzen zwischen der Macht der Kirche und der Macht des Staates. Gerade dadurch hat sie – so paradox es auch erscheinen mag – die Entwicklung einer Tradition von politischer Theorie gefördert, die das Prinzip der Begrenztheit und Verantwortung der Regierung betonte. Mit anderen Worten: Die staatliche Macht hatte eine Grenze, die in diesem Fall von der Kirche gesetzt war. In den großen Kathedralskulpturen von Chartres und vieler anderer gotischer Kathedralen spielt das Thema der Monarchie, die durch das Priestertum und das prophetische Amt reguliert wird, eine bedeutende Rolle.

Der Einfluss der klassischen Philosophie Um unsere Analyse zu vervollständigen, müssen wir uns auch mit dem Verhältnis zwischen christlichem und klassischem Denken im Mittelalter beschäftigen. Die Bei dem Schriften und Werke der griechischen und römi- maroden Glauben, schen Denker, von der die Renaissance und nach- der immer weniger folgende Kulturepochen so sehr geprägt wurden, auf der Bibel und waren von mittelalterlichen Gelehrten bewahrt, immer mehr auf gelesen und diskutiert worden und somit verfüg- kirchlicher Autorität bar. Wie ging das Mittelalter mit seinem heidni- beruhte, war es für schen Kulturerbe um? Hier ist wichtig zu beachten: das griechische und Zwar lehnten frühe Christen wie Cyprian (gest. römische Denken 258) und Tertullian (160 – 240) klassische griechi- allzu einfach, durch sche und römische Gelehrsamkeit strikt ab, doch diese Risse für Paulus waren sie keineswegs so verpönt. Wenn einzudringen. es seinem Zweck diente, zitierte er griechische Autoren genauso, wie er bei anderer Gelegenheit subtile rabbinische Argumentationsweisen heranzog, die er als Schüler des großen Rabbi Gamaliel (gest. vor 70 n. Chr.), des Enkels des noch größeren Rabbi Hillel (ca. 70 v. Chr. – 10 n. Chr.) beherrschte. Ambrosius 29


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(339 – 397), Hieronymus (347 – 419) und Augustinus (354 – 430) folgten hierin Paulus statt Tertullian und lernten klassische Weisheit zu schätzen und zu gebrauchen. In der Tat bemühten sie sich darum, sie zu zähmen und in einen majestätischen Lehrplan christlicher Bildung aufzunehmen, der bis zur Renaissance allgemein befolgt wurde. Aber: Ein starker christlicher Glaube einerseits kann vielleicht mit nichtchristlichem Gedankengut umgehen, ohne Kompromisse zu schließen, doch bei maroden Glauben andererseits, der immer weniger auf der Bibel und immer mehr auf der Autorität kirchlicher Proklamationen beruhte, war es für das griechische und römische Denken allzu einfach, durch diese Risse einzudringen. Bereits im 13. Jahrhundert hatte der berühmte Thomas von Aquin (1225 – 1274) unter dem Einfluss von Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) begonnen, einer Theologie die Tür zu öffnen, in der die menschliche Vernunft auf gleiche Höhe erhoben wurde wie Gottes Offenbarung (die so genannte Scholastik).

Karl der Große und die Karolinger Wir werden uns damit später in Einzelheiten beschäftigen. Aber zunächst müssen wir uns als Abschluss unserer »Blitztour« durch die Jahrhunderte des Mittelalters einige der größten künstlerischen Leistungen dieser Epoche ansehen – Leistungen, die vor allem auf die Kirche zurückgehen. Wenn wir uns daran erinnern, dass diese Kirche in Europa allumfassend war, so sollte es uns nicht überraschen, dass sie mit der Gesellschaft als Ganzes zusammenarbeitete, besonders mit ihren Führungspersonen, um ihre künstlerischen Denkmäler hervorzubringen. Das wird besonders bei einer der größten Gestalten des Mittelalters, Karl dem Großen (742 – 814), und der nach ihm benannten karolingischen Kultur deutlich. Karl der Große, der Sohn Pippins, wurde im Jahre 768 König der Franken und am Weihnachtstag des Jahres 800 von Papst Leo III. in Rom zum Kaiser gekrönt. Er war ein gewaltiger Mann mit kolossaler Energie. Er war auch ein großer Feldherr und stets auf Kriegszug. Nachdem er über einen großen Teil des westeuropäischen Gebietes, das früher zum Römischen Reich gehörte, die Kontrolle gewonnen hatte, war seine Krönung durch den Papst im römischen Stil kein 30


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Problem mehr. Seinerseits stärkte er die Kirche auf vielerlei Weise: Er gab dem Papst eine starke Landbasis in Italien und unterstützte auch die angelsächsischen Missionare in den Gebieten, die er eroberte, insbesondere unter den germanischen Stämmen. Karl der Große machte die Abgabe des Zehnten zur Pflicht und somit standen Gelder für die Etablierung einer Kirchenverwaltung zur Verfügung. Er baute auch beeindruckende Kirchen, unter ihnen die Pfalzkapelle von Aachen, die im Jahre 805 eingeweiht wurde (heute Hauptbestandteil des Aachener Doms). Karl lebte bis ins hohe Alter in der Kaiserpfalz von Aachen. Unter Karl dem Großen wurde die Kirche eine allgemeine kulturelle Kraft. Kirche und Staat arbeiteten in der Ausübung ihrer Macht zusammen und kulturell bestand zwischen beiden Bereichen eine enge Wechselbeziehung. Gelehrte wurden in ihrer Arbeit gefördert, und wenn sie auch nicht viel Neues erarbeiteten, brachten sie durch ihren Fleiß, Enthusiasmus und systematische Verbreitung viele Dinge in Bewegung. Gelehrte kamen von überall aus Europa zum Hofe Karls des Großen; Alkuin (735 – 804) zum Beispiel kam von York in Nordengland, als er bereits 50 Jahre alt war. Er wurde Karls Ratgeber, Leiter der Hofschule in Aachen und zog einen ganzen Kreis von Gelehrten an, die sich dort zu ihm gesellten. Karl der Große lud Sänger aus Rom an seinen Hof und gründete eine Gesangsschule, die er persönlich überwachte. Kurz gesagt: Karl der Große und seine gelehrten Höflinge legten ein Fundament für eine Einheit der Gedankenwelt in Westeuropa. Diese Einheit wurde zweifelsohne durch die Erfindung der schönen karolingischen Minuskelschrift – eine Handschrift, die weithin kopiert wurde – gefördert. Aber man beachte, dass alle Gelehrten Karls des Großen Kleriker waren. Bildung war kein Allgemeingut. In der englischen Sprache ist dieser Zusammenhang noch festgehalten: Das Wort »clerk« (Sekretär, Schreiber) ist mit dem Wort »cleric« (Kleriker, Geistlicher) verwandt. Obwohl Karl der Große selbst lesen lernte, konnte er anscheinend nie schreiben. Mit dem Aufleben des Gelehrtentums zur Zeit der Karolinger lebten auch die Künste wieder auf. Leute aus späteren Jahrhunderten bestaunten die kostbaren und exquisiten Juwelen, religiösen Gegenstände und Bücher. Die meisten davon – wie zum Beispiel ein Talisman Karls des Großen, der eine Reliquie enthielt, oder ein Buchde31


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ckel aus Elfenbein mit einem Relief der Kreuzigungsszene – betonen die religiöse Orientierung des künstlerischen Aufbruchs jener Zeit.

Musik und Architektur Wenn wir uns mit der Kultur des Mittelalters beschäftigen, dürfen wir die Musik nicht vergessen. Papst Gregor I. (Papst von 590 – 604) vereinheitlichte die Musik der Westkirche systematisch. Der gregorianische Choral ist nach ihm benannt, dieser einstimmige, unpersönliche, mystische und jenseitige Gesang. Von etwa 1100 – 1300 gab es den Trobador, was »Erfinder« oder »Finder« bedeutet. Trobadore waren hauptsächlich höfische Dichter und Musiker in Südfrankreich, die eine Blütezeit der säkularen Musik herbeiführten. Die Zeit von 1150 – 1300 war die Epoche einer Musik, die Ars antiqua genannt wurde und in der verschiedene Formen polyphoner Kompositionen entwickelt wurden. Die Instrumente des Mittelalters waren Psalterium (eine Art Leier), Flöte, Schalmei (ein Doppelrohrblatt-Holzblasinstrument), Trompete und Trommel. Das allgemeine Volksinstrument war die Sackpfeife (auch Dudelsack genannt). In den Kirchen gab es große Orgeln und auch kleinere, tragbare Orgeln. Mit dem Aufkommen der Ars nova im 14. Jahrhundert in Frankreich und Italien wurden Komponisten erstmals mit Namen bekannt. Guillaume de Machaut (ca. 1300 – 1377), Stiftsherr der Kathedrale zu Reims, ist der hervorstechende Vertreter der französischen Ars nova-Musik; der bekannteste italienische Musiker des 14. Jahrhunderts war Francesco Landini (1325 – 1397) aus Florenz. Wenn wir von den künstlerischen Leistungen des Mittelalters sprechen, so denken wir gewöhnlich an die Architektur. Es wäre unmöglich, von dem allmählich erwachenden kulturellen Denken des Mittelalters zu sprechen, ohne sich die Entwicklungen der Architektur in einigen Einzelheiten anzusehen. Wir wollen mit dem ersten großen mittelalterlichen Stil beginnen – dem romanischen Stil des 11. Jahrhunderts, dessen wesentliche Merkmale der Rundbogen, dicke Mauern und das düstere Innere sind. Durch die ersten Entwicklungen in romanischer Architektur gab es einen Sprung nach vorn. Weil der romanische Stil, wie schon der Name sagt, einen Rückblick auf den römischen Stil bedeutet, hatte er früheren Kirchen viel zu 32


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verdanken – wie der karolingischen Aachener Pfalzkapelle (9. Jahrhundert), die nach dem Vorbild der San Vitale in Ravenna (6. Jahrhundert) gebaut worden war, und solchen frühchristlichen Kirchen wie Sankt Paul vor den Mauern in Rom (4. Jahrhundert). Aber während sich die italienischen Architekten genauestens an den alten römischen Stil hielten – wie beim römisch-byzantinischen Markusdom in Venedig, dessen Plan aus dem 11. Jahrhundert stammt, – so können wir in den französischen und englischen Kirchen eine schöpferische Anpassung erkennen, durch die der Stil nicht einfach römisch, sondern romanisch wurde. Ein gutes Beispiel dafür sind in Frankreich die Basilika von Vézelay aus dem 11. und 12. Jahrhundert und die Abteikirche von Fontevrault aus dem 12. Jahrhundert. In England kam der entscheidende Augenblick mit der Invasion der Normannen im Jahre 1066. Die St.-John-Kapelle im White Tower des Tower von London wurde um 1080 errichtet. Die Kathedrale von Winchester wurde zwischen 1079 und 1093 erbaut, und die Kathedrale von Durham wurde 1093 begonnen. Hauptsächlich hier finden wir das Rippengewölbe – wenn wir an den Säulen entlang aufwärts blicken, sehen wir die Rippen in der Decke. In dem Kreuzrippengewölbe der Durham-Kathedrale waren alle Elemente zur Ausbildung der Gotik enthalten.

Die Erfindung der Gotik Im Jahre 1140 überwachte Abt Suger den Bau der Abteikirche von Saint-Denis. Heute ist die Kathedrale von einem ziemlich deprimierenden Vorort von Paris umgeben, doch sie ist eines der beeindruckendsten Kulturgüter der Welt, denn hier wurde der gotische Stil geboren. Dadurch machte die aufkommende Kultur des Mittelalters einen großen Sprung vorwärts. Wer immer es auch war, der den Chor von Saint-Denis entwarf – er erfand den gotischen Stil. Hier wurde die Gotik geboren, mit ihren Spitzbögen, ihrem Anschein der Schwerelosigkeit durch großflächige, hohe Fenster mit ihren Lichtgaden (d. h. die Fenster sind hoch in die Wand gesetzt, so dass das Licht von oben einfallen kann). Als neues Motiv tauchte die Fensterrose auf, und der Seitenschub durch das lastende Dach wurde von Strebebögen aufgefangen, was dünnere Wände und größere Fenster 33


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ermöglichte. In der Kathedrale von Chartres, im Jahre 1194 begonnen, sehen wir den gotischen Stil in Vollkommenheit: den Spitzbogen, den Strebebogen und das Rippengewölbe. Fernerhin finden wir in Chartres gute Beispiele für den Fortschritt in der Bildhauerei, vor allem in der Westfassade. Man kann die Frühgotik und die klassische Hochgotik auf 1150 – 1250 datieren, die Spätgotik (die besonders überladen war, vor allem in England) auf 1250 – 1500. In Florenz findet sich gotische Kunst seit dem 13. Jahrhundert. Arnolfo di Cambio (1232 – 1302), der dort seit 1266 den alten Palast (Palazzo Vecchio) baute und 1294 die Kathedrale begann, arbeitete im gotischen Stil. Obwohl die florentinische Gotik nie eine vollends ausgebildete Gotik war, so hatte die Frühgotik von Nord- und Mitteleuropa doch ihren Einfluss. Santa Trinita (zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts), Santa Maria Novella (1278 – 1360), Santa Croce (begonnen 1295) wurden alle im gotischen Stil gebaut, und die Loggia dei Lanzi (1376 – 1382) gehört in die Spätgotik. Das Baptisterium San Giovanni (die Taufkirche der Kathedrale) wurde zwar im romanischen Stil erbaut, doch die Reliefs der bronzenen Südtür (1330 – 1336) von Andrea Pisano (ca. 1290 – 1348), wurden in gotischem Stil ausgeführt. In Lorenzo Ghibertis (1378 – 1455) Nordtür, die er in der Zeit zwischen 1403 und 1424 anfertigte, sind die Tafelrahmen immer noch gotisch, wenngleich auch sehr viel mehr Freiheit bezüglich des dargestellten Objektes gegeben war. Als Ghiberti das wundervolle Ostportal (1425 – 1452) schuf – von Michelangelo »Goldene Tür zum Paradies« genannt und daher als Paradiespforte bekannt –, waren die gotischen Rahmen völlig verschwunden, und die Renaissance stand in voller Blüte. Der Übergang von der Gotik zur Renaissance kann an den wunderbaren Portalen des Baptisteriums am deutlichsten gesehen werden.

Der Wandel zu Renaissance und Reformation Während des Übergangs vom romanischen Stil zur Gotik nahm der Marienkult in der Kirche Aufschwung. Die romanischen Kirchen waren nicht der Jungfrau gewidmet, aber umso mehr gilt das für die gotischen Kirchen in Frankreich. Hier können wir erneut eine wachsende Spannung sehen und fühlen: Die Geburtswehen des Mittelal34


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ters waren von einem erwachenden kulturellen und intellektuellen Leben und einer erwachenden Frömmigkeit gezeichnet. Zur gleichen Zeit jedoch bewegte sich die Kirche weiter von den Lehren der frühen Christenheit fort, und die Verfälschungen biblischer Lehre nahmen zu. Später verfolgte das europäische Denken zwei getrennte und entgegengesetzte Linien, die beide unser heutiges Denken prägen: die humanistischen Elemente der Renaissance einerseits und die auf der Bibel beruhende Lehre der Reformation andererseits. Wenn wir uns mit der Renaissance beschäftigen, müssen wir zwei Fehler vermeiden. Erstens: Wir dürfen nicht glauben, vor der Renaissance sei alles völlig düster gewesen. Diese falsche Vorstellung erwuchs aus den Vorurteilen der Humanisten (zur Zeit der Renaissance und der späteren Aufklärung), denen zufolge alles Gute mit der Geburt des Humanismus begann. Das Spätmittelalter war vielmehr eine Zeit zunehmender Geburtswehen. Zweitens: Die Renaissance war zwar eine reiche und wunderbare Zeit, doch dürfen wir nicht glauben, dass alles, was sie hervorbrachte, gut für den Menschen war. In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts und bis ins 12. Jahrhundert hinein kam vieles in Bewegung, was die wirtschaftliche Grundlage für den Höhepunkt mittelalterlicher Kultur im 13. Jahrhundert legte. Die Bevölkerung wuchs, Dorfgemeinschaften schlossen sich zusammen, was die landwirtschaftliche Produktion steigerte, und Städte wurden in verkehrsgünstigen Schachbrettstrukturen angelegt. Selbst die Kreuzzüge führten zu wirtschaftlicher Expansion. Um 1100 setzte sich der zweirädrige Karrenpflug durch – ein Haupt­ element in dem Vorgang, den Historiker als landwirtschaftliche Revolution bezeichnen. Italienische Städte wurden durch orientalischen Handel reich und flämische Städte durch Textilien. Allmählich befreiten sich die Städte von feudalen Zwängen und erlangten ein unterschiedliches Maß an Freiheit, das in den stolzen Rathäusern seinen Ausdruck fand, die im 14. und 15. Jahrhundert errichtet wurden. Allmählich kamen die frühen Universitäten auf. Im späten 13. Jahrhundert gab es Universitäten in Paris, Orleans, Toulouse, Montpellier, Cambridge, Oxford, Padua, Bologna, Neapel, Salerno, Salamanca, Coimbra und Lissabon. Diese Universitäten boten eine Bildung an, die mit der rein kirchlichen Bildung rivalisierte. Die einheimischen Landessprachen wurden mehr und mehr auch zum Schreiben gebraucht; so wurden zum Beispiel Teile der Bibel 35


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ins Französische übersetzt. Im 10. und 11. Jahrhundert wurden »der Gottesfrieden« und später »die Waffenruhe Gottes« verkündet. Das waren zumindest Versuche (wenn auch mit zweifelhaftem Erfolg), die Kriege zwischen den Adligen in Grenzen zu halten. Und die romanische und später die gotische Architektur stellten natürlich einen großen Fortschritt in den Annalen menschlichen Denkens und menschlicher Errungenschaften dar. Bei alledem müssen wir dennoch erkennen, dass es schließlich eine Veränderung gab, die den Namen Renaissance (französisch für »Wiedergeburt«) verdient. Aber wir müssen uns In der Renaissance darüber im Klaren sein, dass es keine Wiederfand eine Verän- geburt des Menschen war; vielmehr war es eine derung statt, durch Wiedergeburt einer Vorstellung über das Wesen die der Mensch sich des Menschen. Hier fand eine Veränderung statt, selbst zum Mittel- durch die der Mensch sich selbst zum Mittelpunkt punkt aller Dinge aller Dinge machte, und diese Veränderung fand machte ihren Ausdruck in den Künsten. Das Wort Renaissance, »Wiedergeburt«, lässt sich für diese Epoche nicht so offensichtlich auf die politische, wirtschaftliche oder soziale Geschichte anwenden, obgleich eine Veränderung des Denken sich auf alle diese Bereiche auswirkt. Aber selbst in Bereichen, wo dieses Wort ohne Einschränkung gilt, sollte man daraus nicht schließen, dass jeder Aspekt dieser Wiedergeburt einen Gewinn für die Menschheit bedeutete.

Thomas von Aquin und Aristoteles Normalerweise rechnet man das 14., 15. und frühe 16. Jahrhundert zur Renaissance; aber um sie zu verstehen, müssen wir uns mit Ereignissen beschäftigten, die diese Entwicklungen herbeiführten, insbesondere die Entwicklung der Philosophie im Mittelalter. Das bedeutet wiederum, dass wir uns mit dem Denken von Thomas von Aquin (1225 – 1274) vertraut machen müssen. Thomas von Aquin war Dominikaner. Er studierte an den Universitäten von Neapel und Paris, und später lehrte er in Paris. Er war der größte Theologe seiner Zeit, und sein Denken herrscht immer noch in einigen Kreisen der katholischen Kirche vor. Der Beitrag, den Thomas von Aquin für 36


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das westliche Denken leistete, ist natürlich viel umfassender, als wir es hier darstellen können, aber sein Menschenbild ist für uns von Bedeutung. Thomas glaubte, der Mensch habe gegen Gott rebelliert und sei deshalb gefallen; aber sein Verständnis vom Sündenfall war unvollständig. Er meinte, der Sündenfall habe den Menschen nicht als Ganzes, sondern nur zum Teil betroffen. Seiner Auffassung nach war zwar der Wille des Menschen gefallen oder verdorben, der Intellekt jedoch nicht. Somit konnten sich die Menschen auf ihre eigene menschliche Weisheit verlassen, und deshalb stand es ihnen frei, die Lehren der Bibel mit den Lehren Thomas von Aquin meinte, der Sünder nichtchristlichen Philosophen zu vermischen. Das wird sehr gut von einem Fresko illustriert, denfall habe den das 1365 von Andrea da Firenze (gest. 1379) in der Menschen nicht Spanischen Kapelle der Klosteranlage Santa Ma- als Ganzes, sonria Novella in Florenz gemalt wurde. Thomas von dern nur zum Teil Aquin sitzt auf einem Thron im Zentrum des Fres- betroffen und der kos, und auf einer niederen Stufe des Bildes sind Intellekt sei nicht Aristoteles, Cicero (106 – 43 v. Chr.), Ptolemäus (ak- verdorben. tiv 121 – 151 n. Chr.), Euklid (aktiv um 300 v. Chr.) und Pythagoras (ca. 570 –  ca. 500 v. Chr.) auf die gleiche Stufe gestellt wie Augustinus. Eine solche Einstufung führte dazu, dass die Philosophie allmählich von der Offenbarung – nämlich der Bibel – getrennt und die Philosophen immer unabhängiger, autonomer wurden. Thomas von Aquin stützte sich vor allem auf einen der größten griechischen Philosophen: Aristoteles (384 – 322 v. Chr.). Im Jahre 1263 hatte Papst Urban IV. verboten, an den Universitäten Aristoteles zu studieren. Thomas von Aquin gelang es, die Anerkennung von Aristoteles wieder durchzusetzen, und so nahm die alte nichtchristliche Philosophie ihren ehemaligen Platz wieder ein. Um zu verstehen, was das bewirkte, lohnt es sich, Raffaels (1483 – 1520) Fresko Die Schule von Athen (ca. 1510, im Vatikan) anzusehen, um einige der Diskussionen und Einflüsse zu begreifen, die in der Zeit der Renaissance folgten. In der Schule von Athen stellte Raffael Platon mit einem nach oben zeigenden Finger dar; das bedeutet, dass Platon dem Universellen, dem abstrakten Urbild, dem absoluten Ideal (der platonische »Idee«) den Vorrang vor den konkreten, individuellen Dingen gab. Bei Platon sind die individuellen Dinge 37


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»Die Schule von Athen« von Raffael (Ausschnitt). Oben links mit erhobenem Finger Platon, rechts daneben mit nach unten ausgestreckter Hand Aristoteles.

von dem höheren Universellen abhängig. Aristoteles hingegen ist mit nach unten ausgestreckten Fingern dargestellt, was bedeutet: Im Gegensatz zu seinem Lehrer Platon gab Aristoteles den individuellen Einzeldingen den Vorrang und hielt sie für unabhängig von einem universellen Ideal oder Urbild. In seinem Denken ist vielmehr das Universelle abhängig von konkreten Dingen, das Allgemeine ist eine Abstraktion des Besonderen. Mit konkreten, individuellen Dingen meinen wir die Gegenstände um uns herum; ein bestimmter Stuhl ist ein individuelles Einzelding, ebenso wie jedes Molekül, aus dem 38


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dieser Stuhl besteht. Jede einzelne Person ist auch ein individuelles Einzelding – wir selbst also auch!1 Thomas von Aquin brachte diese aristotelische Betonung der individuellen Dinge in die Philosophie des Spätmittelalters und förderte damit die Voraussetzungen für die humanistischen Elemente der Renaissance und das grundlegende Problem, das daraus erwuchs. Dieses philosophische Problem, das Universalienproblem, wird in der Theologie oft als Konflikt zwischen Natur und Gnade bezeichnet. Wenn man allein beim Menschen und den individuellen Dingen in der Welt anfängt, dann steht man vor dem Problem, wie man diesen individuellen Dingen irgendeinen letztlichen und ausreichenden Sinn geben kann. Das wichtigste individuelle Ding für den Menschen ist der Mensch selbst. Worin besteht der Zweck des Lebens, welche Grundlage kann es für Moral, Werte und Gesetze geben – ohne einen letztlichen Sinn für eine Person (für mich, einem Individuum)? Wenn man von einer individuellen Handlung anstatt von einem universellen Ideal ausgeht, wie kann man dann sicher sein, ob diese Handlung richtig oder falsch ist? Die Spannung zwischen Natur und Gnade kann wie folgt dargestellt werden: 1 (Diese und alle weiteren Fußnoten wurden vom deutschen Herausgeber der Neuausgabe ergänzt.) Die Fachbegriffe in der Ontologie (Seinslehre) von Platon bzw. Aristoteles lauten in der Philosophie das Allgemeine und das Einzelne. Da der Autor dieses Thema und diese Begriffe noch häufiger erwähnen wird, war es in der Übersetzung nicht einfach, stets dieselben Begriffe sprachlich passend zu verwenden. Es wurden mehrere Begriffspaare verwendet, die hier tabellarisch gegenübergestellt sind. Zum Verständnis: Der Unterschied zwischen den beiden Sichtweisen besteht vor allem in der Frage, in welcher Beziehung das Allgemeine und das Einzelne zueinander stehen (das so genannte Universalienproblem) – ob das Einzelne vom Allgemeinen abhängig ist oder umgekehrt. Platon: Was auf der anderen Seite steht, ist abhängig von dem, was hier steht.

Aristoteles: Was auf der anderen Seite steht, ist abhängig von dem, was hier steht.

das Allgemeine

das Einzelne

das Urbild (dessen Konkretisierung das Abbild ist)

das Abbild (dessen Abstraktion das Urbild ist)

die Idee

das konkrete Ding, Einzelding

das Universelle

das Besondere oder Individuelle

39


Kapitel 2 · Das Mittelalter

Gnade, das Höhere:

Natur, das Niedere:

Gott der Schöpfer; der Himmel und himmlische Dinge; das Unsichtbare und dessen Einfluss auf der Erde; die Einheit oder das Universelle oder Absolute, das der Existenz und Moral Sinn verleiht.

Das Geschaffene; Erde und irdische Dinge; das Sichtbare, das sich normalerweise im Universum von Ursache und Wirkung abspielt; was der Mensch als Mensch auf der Erde tut; Vielfalt oder konkrete Dinge oder die individuellen Handlungen des Menschen.

Allein vom Menschen ausgehend vermochte der Humanismus der Renaissance – und überhaupt der Humanismus bis heute – nicht, zu universalen Absoluten zu gelangen, die der Existenz und der Moral Sinn verleihen könnten. Die Lehre des Thomas von Aquin hatte eine positive Seite: Vor ihm wurde die normale Alltagswelt und unser Verhältnis zur Welt abgewertet. Doch diese Dinge sind wichtig, weil Gott die Welt geschaffen hat. Mitte des 13. Jahrhunderts hatten manche gotischen Bildhauer bereits begonnen, Blätter, Blumen und Vögel darzustellen, und sie bemühten sich, diesen Figuren eine naturgetreuere Erscheinung zu geben. Dank Thomas von Aquin wurde der Welt und dem Platz des Menschen in der Welt eine größere Bedeutung als zuvor beigemessen. Aber die negative Folge seiner Lehre war, dass den einzelnen Dingen, dem Individuellen, immer mehr Selbständigkeit zugeschrieben wurde, und konsequenterweise ging der Sinn der individuellen Dinge allmählich verloren. Wir können uns das so vorstellen, dass die Bedeutung der individuellen Dinge allmählich immer mehr zunahm, bis sie schließlich alles waren und somit ihren übergeordneten Sinn verschlangen, so dass er völlig verschwand. Zwei Dinge schufen also die Grundlage für die nachfolgenden Entwicklungen: erstens das allmählich erwachende kulturelle Denken und die erwachte Frömmigkeit des Mittelalters und zweitens eine zunehmende Verfälschung der biblischen und urkirchlichen Lehre. Humanistische Elemente waren eingedrungen. So hatte zum Beispiel die Autorität der Kirche Vorrang vor der Lehre der Bibel; 40


Zeittafel mit Seitenangaben

Ereignisse und Epochen (v. Chr.)

3500-2500 Antike Hochkulturen des Alten Vorderen Orient, 12 509-264 480-350

Frührömische Republik, 12 Goldenes Zeitalter Griechenlands, 13

146 130-60

Griechenland fällt an Rom, 13 Unruhen in Rom; Akzeptanz eines Diktators, 14

67

Mithras-Kult in Rom, 18

44 31

Caesar wird ermordet, 14 Augustus siegt bei Actium und wird Kaiser, 14 Virgil schreibt die Aeneis, 14 Augustus Pontifex Maximus, 14 Jesus Christus wird geboren, 18

29-19 12 ~6

Ereignisse und Epochen (n. Chr.)

27-64

Frühchristliche Mission, 24

60-70

Christenverfolgung unter Nero, 18 Avenches ist römische Kolonie, 17 Der Ausbruch des Vesuv zerstört Pompeji, 13, 19, 47

69 79

Personen (v. Chr.)

~ 629-588 Jeremia, 191 ~ 580 Pythagoras, 37 ~ 469-399 Sokrates, 13 ~ 427-347 Platon, 37ff, 53f 384-322 Aristoteles, 30, 36ff, 43, 53, 84, 99ff, 145 ~ 300 Euklid, 37 ~ 287-212 Archimedes, 101 ~198-117 Polybiuos, 82

106-43 Cicero, 37, 44 100-44 Julius Cäsar, 14, 18 70-10 n.C. Rabbi Hillel, 29 63-14 n.C. Augustus Caesar, 14ff, 214 ,216

JESUS CHRISTUS, 18, 65, 71, 98, 146, 222

Personen (n. Chr.)

50-120

Plutarch, 14

233


Zeittafel mit Seitenangaben 120

Bau des Hadrianswalls , 17

290-300 Reformen unter Diokletian, 18 303-313 Christenverfolgung unter Diokletian, 18 313 Konstantins Toleranzedikt billigt das Christentum, 19; Bau des Konstantinsbogens, 19 381 Das Christentum wird Reichsreligion Roms, 19 395 Das Römische Reich zerfällt in Ost und West, 22 410, 455 Zerstörung Roms durch Barbaren, 20 476 Ende des Römischen Westreichs, 19-21 537 Justinian erbaut die Hagia Sophia, 22 ~ 600

Gregorianischer Gesang, 32

800

Der Papst krönt Karl den Großen zum Kaiser, 30 805 Bau der Pfalzkapelle in Aachen, 31 800-1000 Blütezeit der Byzantinischen Kunst, 22 11. Jh. »Gottesfriede und Waffenruhe Gottes«, 36 1066 Die Normannen erobern England, 33 11.-12. Jh. Wirtschaftlicher Aufschwung, 35f 12. Jh. Romanische Architektur, 32 1095-1204 Kreuzzüge, 35 12.-14. Jh. Trobadore und ars antiqua, 32; Papst auf dem Höhepunkt der Macht, 28; Zunahme der Marienverehrung, 34; Kritik an päpstlichen Exzessen: Evangelium von der Mark Silber, 25 1140-1250 Gotik: Abt Suger baut Saint Denis (ab 1140), 33; Chartres (ab 1194), 34 13. Jh. Aufkommen der Universitäten, 35

234

127-151 161-180 160-240 258 ~ 286

Ptolemäus aktiv, 37 Mark Aurel, 17 Tertullian, 24, 29f Martyrium des Cyprian, 24 Martyrium des Mauritius, 24, 27

339-397 347-419

Ambrosius von Mailand, 29 Hieronymus, 30

354-430

Augustinus, 21, 30, 37

~ 480-547 Benedikt von Nursia, Benediktinerregel, 22 527-565 Justinian, Ostkaiser, 22 590-604 Papst Gregor I., 32, 46 735-804 Alkuin von York, 31 751-768 Pippin der Franke, 30 768-814 Karl der Große, Frankenkönig und Kaiser, 30f

1048-1122 Omar Khayyam, 99

1115

Ivo von Chartres gestorben, 29, 34

~ 1115-1180 Johannes von Salisbury, 25 ~ 1119-1170 Thomas Becket, 25 ~ 1175-1253 Robert Grosseteste, 100 ~ 1181-1226 Franz von Assisi, 25

1214-1294 Roger Bacon, 100 1225-1274 Thomas von Aquin 30, 36ff, 43, 53f, 58, 100, 157


Zeittafel mit Seitenangaben 1263 Urban IV. verbietet Aristoteles, 37 1250-1450 Parlamentarische Versammlungen des Mittelalters, 28; Spätgotik und Florentiner Gotik; 34, Ars nova in Frankreich und Italien, 32 1300-1321 Dantes Göttliche Komödie, 43 1304 Giottos Jüngstes Gericht, 42 1338-39 Lorenzettis Allegorie von guter und böser Regierung, 27; ~ 1340 Petrarca ersteigt den Mont Ventoux, 45 ~ 1350 Boccaccios Decamerone, 44 1378-1417 Großes Schisma: Gegenpäpste und Konziliarismus, 28f 1380 John Wyclif übersetzt das Neue Testament ins Englische, 41 1415 Johannes Hus auf dem Scheiterhaufen, 56 1375-1444 Salutati und Bruni Kanzler von Florenz, 44 1424-25 Masaccio malt Adam und Eva in der Brancacci-Kapelle, 47 1425-52 Ghiberti gestaltet die Paradiespforte des Baptisteriums in Florenz, 34, 46-47 1432 Van Eyck: Die Anbetung des Lammes, 48 1434 Brunelleschi: Einweihung der Kuppel der Kathedrale von Florenz, 45f ~ 1436 Van Eyck: Die Madonna des Kanzlers Rolin, 48 1439 Konzil von Florenz, 44 ~ 1450 Fouquet: Die rote Jungfrau, 50 1453 Konstantinopel fällt an die Türken, 44-45, 54 1469-92 Lorenzo der Prächtige, 54; Neo-Platonismus des Ficino, 54 1494-98 Savonarola predigt, 57 1501 Petrucci druckt Noten, 49 1504 Michelangelo: David, 51f 1510 Raffael: Die Schule von Athen, 37, 53, 60 ~ 1513 Machiavelli: Der Fürst, 82 1516 Erasmus’ Herausgabe des griechischen Neuen Testaments, 60f 1517 Luthers Thesenanschlag, 57f, 70, 73, 101

1240-1302 Cimabue, Lehrer Giottos, 42

1265-1321 Dante, 42ff, 60, 158 ~ 1267-1337 Giotto, 42, 45, 56, 158 ~ 1304-1377 Guillaume de Machaut, 32 1304-1374 Petrarca, 44f, 56 1313-1375

Boccaccio, 44, 56

~ 1320-1384 Wyclif, 41, 56f, 72 1325-1397 Landini, 32 1369-1415 Johannes Hus, 41, 56, 72 1377-1446 1378-1455 1389-1464 1400-1474 1401-1428 1404-1472 1409-1457

Brunelleschi, 45ff, 56 Ghiberti, 34, 46 Cosimo di Medici, 52 Guillaume Dufay, 46 Masaccio, 47f Alberti und die Perspektive, 46 Lorenzo Valla, 58

1444-1510 Botticelli, 54 1450-1521

Josquin des Prez, 49

1452-1519

Leonardo da Vinci, 46, 53ff, 73, 101, 123, 136, 191 ~ 1466-1536 Erasmus, 60f 1469-1527 Machiavelli, 82 1471-1528 Dürer, 69ff 1475-1543 Kopernikus, 99ff, 108 1475-1564 Michelangelo, 11, 34, 46, 51ff, 60, 73, 169 1483-1520 Raffael, 37ff, 53, 60, 73

1483-1546 Martin Luther, 57-72, 101

235


Zeittafel mit Seitenangaben 1519-36 1523 1534 1536 1543 1564 1620

Michelangelo: Die Gefangenen, 51 Zwingli Reformator in Zürich, 58 Heinrich VIII. und die Reformation in England, 58 Calvin: Institutio, 57f, 101 Kopernikus: De Revolutionibus, 101; Vesalius: De Fabrica, 101

Calvin stirbt, 57f Michelangelo stirbt, 73 Galilei wird geboren, 100f Beza wird Calvins Nachfolger, 67 Bacon: Novum Organum, 101, 104f 1632 Galilei wird von der Inquisition verurteilt, 100 1633 Rembrandt: Die Kreuzaufrichtung, 74 1637 Descartes: Discours de la méthode, 107, 122 1644 Rutherford: Lex Rex, 79 1643-47 Westminster Bekenntnis, 62 1648 Pascal entwickelt das Barometer, 106 1651 Hobbes: Leviathan, 107 1662 Royal Society von London, 107 1687 Newton: Prinzipien, 105 1688 Unblutige Revolution in England, 90 1690 Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, 80 1733-34 Voltaire: Briefe über die Englische Nation, 90 1741 Händel: Messias, 69 1730-80 Erweckungen in Großbritannien und Amerika, 89 Die Aufklärung, 90ff 1755 Erdbeben von Lissabon und Voltaires Klage darüber, 92 1762 Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag, 124 1776 Unabhängigkeitserklärung der USA, 80, 93f; Gibbon: Verfall und Untergang des Römischen Imperiums, 193 ab 1750 Industrielle Revolution, 85 1781 Kant: Kritik der reinen Vernunft, 130

236

1489-1565 Wilhelm Farel, 60f, 65 1494-1547 Franz I., 55, 57 1500-1571 Cellini, 46 1509-1564 Johannes Calvin, 57ff, 78, 83, 101 1511-1574 Vasari: Das Leben der Maler, Bildhauer und Architekten, 48 1514-1564 Vesalius, 99, 101 1519-1605 Theodore Beza, 67 1546-1601 Tycho Brahe, 101 1561-1626 Francis Bacon, 101, 104, 110 1564-1642 Galilei, 100f, 105 1571-1630

Johannes Kepler, 105

1583-1625

Orlando Gibbons, 69

1585-1672

Heinrich Schütz, 68

1596-1650 Rene Descartes, 107, 122 1600-1661 Samuel Rutherford, 79f, 181 1606-1669 Rembrandt, 74f 1623-1662 Blaise Pascal, 105ff 1627-1691 Robert Boyle, 107 1632-1704 John Locke, 80f, 165 1637-1707 Dietrich Buxtehude, 68 1642-1727 Isaac Newton, 105ff 1685-1750 J. S. Bach, 68 1685-1759 G. F. Händel, 68f 1689-1702 Wilhelm III. von Oranien, 90 1694-1778 1703-1791 1707-1788 1711-1776 1712-1778 1714-1770 1723-1794

Voltaire, 90ff, 125 John Wesley 87, 89, 97, 226 Charles Wesley, 69 David Hume, 126 Rousseau, 123-132, 157, 182 George Whitefield, 89 John Witherspoon 80

1724-1804 Immanuel Kant, 123, 129ff, 148 1729-1781 Lessing, 126


Zeittafel mit Seitenangaben 1787 Verfassung der USA, 82, 183f 1789-92 Französische Revolution, 90ff 1789 Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 92 1792 »Zweite« Franzöische Revolution, 93, Revolutionskalender, 93 1792-94 Terrorherrschaft, 91, 124f 1794 Marquis de Condorcet: Historische Skizze des Fortschritts des menschlichen Geistes, 91f 1798 Malthus: Das Bevölkerungsgesetz, 86 1799-1815 Napoleon wird Diktator, 91f, 94 1800 Reformierte presbyterianische Kirche in den USA schließt Sklavenbesitzer aus, 89 1807 Sklavenhandel in Großbritannien abgeschafft, 88 1817 Ricardo: Die Grundsätze der politischen Oekonomie, 86 1830-33 Lyell: Principles of Geology, 117 1833-34 Sklaverei im gesamten britischen Empire verboten, 88 1845-52 Große Hungersnot von Irland, Trevelyans unterlassene Hilfeleistung, 86 1848 Marx und Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, 98 1855 Büchner: Kraft und Stoff, 116 1859 Darwin: Über die Entstehung der Arten, 118; Dickens: Eine Geschichte aus zwei Städten, 88 1860 Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien, 75 1872 Bagehot: Physics and Politics, 120 1881 Holmes: The Common Law, 181 1899 Haeckel: Die Welträthsel, 117 1905 Einsteins Relativitätstheorie, 108f, 162; Robert: Die Gerechtigkeit erhebt die Völker, 77, 181 1906 Schweitzer: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, 146 1906-07 Picasso: Demoiselles d’Avignon, 155 1912 Duchamp: Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2, 157 1914-18 Erster Weltkrieg, 120 1917 Revolutionen in Russland, 94-96 1919 Barth: Der Römerbrief, 145

1740-1814 Marquis de Sade, 128, 196 1743-1826 Thomas Jefferson, 81 1748-1832 Bentham, Vater des Utilitarismus, 85 1749-1832 Goethe, 126, 141, 182 1758-1794 Robespierre, 92, 94, 124 1759-1833 W. Wilberforce, 88, 226

1769-1821 1770-1827 1770-1831 1770-1850 1780-1845 1791-1867 1798-1857 1801-1855 1804-1872 1807-1882 1809-1882 1813-1855 1813-1883 1818-1883 1820-1903 1822-1895 1825-1895 1831-1879 1839-1906 1840-1926 1841-1935 1844-1900 1848-1903 1856-1939 1862-1918 1866-1944 1870-1924 1872-1970 1874-1951 1874-1965 1879-1953 1879-1955 1881-1973 1882-1971 1883-1945

Napoleon, 91ff Beethoven, 127, 158f Hegel, 131ff, 157 W. Wordsworth, 127 Elizabeth Fry, 87, 226 Michael Faraday, 108 Auguste Comte, 165 Lord Shaftesbury, 87, 226 Feuerbach, 116f Garibaldi, 94 Charles Darwin, 118ff Kierkegaard, 123, 125, 132ff, 143ff, 157 Richard Wagner, 116, 141 Karl Marx, 98, 179 Herbert Spencer, 119 Louis Pasteur, 135 T. H. Huxley, 119 J. C. Maxwell, 108 Paul Cezanne, 154 Claude Monet, 153, 166 Oliver Wendell Holmes, 181f Nietzsche 150f, 159, 180 Paul Gauguin, 128, 154 Sigmund Freud, 143, 194 Claude Debussy, 160 W. Kandinsky, 154 V. I. Lenin, 94ff Bertrand Russell, 135 A. Schoenberg ,158ff Winston Churchill, 220 Joseph Stalin, 177f, 194, 209f, 221 Albert Einstein, 108f, 162, 165 Pablo Picasso, 155f, 163 I. Strawinsky, 158 Anton Webern, 160

237


Zeittafel mit Seitenangaben 1922 1926 1922-43 1927

1932 1933

Eliot: Waste Land, 163 Whitehead: Science and the Modern World, 102 Mussolini, Faschismus in Italien, 82 Heisenberg formuliert die Unschärferelation, 109, 162

Huxley: Schöne Neue Welt, 140 Machtergreifung Hitlers und der Nazis, 120, 188, 215 1934 Barth: Barmer Theologische Erklärung, 145 1938 Chamberlain: Münchner Abkommen, 220; Sartre: Der Ekel, 168 1942 Camus: Der Fremde, 168 1945 C. S. Lewis: Die böse Macht, 206 1945-46 Nürnberger Prozesse, 182 1947 Camus: Die Pest, 168 1948 Kinsey: Das sexuelle Verhalten des Mannes, 188 1953 Russland interveniert in DDR, 97 1958 Polanyi: Personal Knowledge , 165 1961 Der evolutionäre Humanismus hrsg. von J. Huxley, 140 1964 Berkeley-Proteste und Free Speech Movement, 173f 1965 Tarsis: Ward 7, 207 1967 Beatles: Sergeant Pepper, 141 1968 Russland interveniert in der Tschechoslowakei, 97, 178f 1969 Woodstock und Altamont, 175 1971 Skinner: Jenseits von Freiheit und Würde, 195 1972 Monod: Zufall und Notwendigkeit, 205 1973 Im Prozess Roe v. Ward entscheidt der Oberste Gerichtshof der USA für das Abtreibungsrecht,183ff Solschenizyn: Der Archipel Gulag, 221; Bell: Die nachindustrielle Gesellschaft, 190; Bronowski: Der Aufstieg des Menschen, 119 1974 Abtreibungsbroschüre Our Future Inheritance: Choice or ChanceI in England, 184, 202

238

1883-1969 1886-1965 1886-1968 1888-1965 1889-1945

Karl Jaspers, 138ff Paul Tillich, 149 Karl Barth, 145ff T. S. Eliot, 163 Adolf Hitler, 82, 120, 188, 194, 209, 215, 220 1889-1976 M. Heidegger, 138f, 142, 145 1891-1953 S. Prokofjew, 95 1893-1976 Mao Tse-tung, 177 1894-1963 Aldous Huxley, 14f, 173 1898-1979 Herbert Marcuse, 174, 189 1899-1963 C. S. Lewis, 206 1901-1976 Andre Malraux, 142 1904-1989 Salvador Dali, 143f 1904-1990 B. F. Skinner, 194ff 1905-1980 Jean-Paul Sartre, 114, 137ff, 145, 148, 168, 170 1912-1992 John Cage, 160ff 1913-1960 Albert Camus, 137f, 145, 168, 170, 205 1915-1973

Alan Watts, 174

1916-2004 Francis Crick, 194, 197-204 1917-2008 A. Solschenizyn, 95, 177f, 221 1926-1997 Allen Ginsberg, 174 1928-2007 K. Stockhausen, 160

1970

Jimi Hendrix stirbt im Alter von 27 Jahren.


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Oft klingen Schaeffers Einsichten wie prophetische Warnungen vor dem moralischen, geistlichen und intellektuellen Niedergang und den antichristlichen Machenschaften unserer Zeit. Aber auch die Antwort, wie wir in einer solchen Welt zur Ehre Gottes und hoffnungsvoll leben können, zeigt er klar auf.

Wie können wir denn leben?

Um zu erkennen, wie wir heute leben können, müssen wir verstehen, welche kulturellen und intellektuellen Kräfte uns im Lauf der Geschichte dahin gebracht haben, wo wir heute sind. Schaeffers scharfsinnige Analyse spannt den Bogen vom antiken Rom und dessen Untergang über Mittelalter, Renaissance, Reformation und Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert, das sich als Sackgasse der Geistes- und Kulturgeschichte erweist: Die Auflösung aller absoluten Werte und Wahrheiten durch Kultur und Wissenschaften schlägt sich massiv in allen Lebensbereichen nieder und überlässt uns einem Vakuum der Hoffnungslosigkeit. Welche Mächte und Eliten nutzen diese Leere nun aus?

Franc i s Sc ha effer

In Hesekiel 33,10 fragten die Israeliten angesichts ihrer sündigen Vergangenheit: Wie können wir denn leben?

Francis Schaeffer

Wie können wir denn leben? Aufstieg und Niedergang der westlichen Kultur

ISBN 978-3-935558-37-2

9 783935 558372


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